Der Rechtstaat in Deutschland erodiert. Das gemeinsame Rechtsverständnis löst sich auf, an die Stelle eines in sich konsistenten Rechtsrahmens versuchen Teile des politischen Spektrums ein Recht des Populismus zu setzen. Justitia soll nach diesem Verständnis nicht blind, sondern aktivistisch sein. Mit gezielten Empörungswellen gegen tradierte und ausgewogene Rechtsnormen soll die Rechtsordnung sturmreif geschossen werden um an die Stelle der logischen Rechtsordnung eine der populistischen Willkür zu setzen. Reform des Sexualstrafrechts, Selbstbestimmungsgesetz, Cannabisgesetz, Reform des Sozialgesetzbuches II (Bürgergeld) sind nur einige Beispiele, bei denen eine aktivistische politische Minderheit die träge Mehrheit in Gesellschaft und Parlament unter Druck setzte um widersprüchliche Regeln umzusetzen. Ein immer wiederkehrender Zank ist der Streit über die Strafbarkeit des im Volksmund bekannten „Schwarzfahrens“. Aus juristischer Sicht hat die Debatte absurde Züge.
Wer die Leistungen einer Prostituierten in Anspruch nimmt, ohne sie hinterher zu vergüten, begeht eine Straftat. Soweit nicht der hauseigene Zuhälter die Sache regelt, wird es eine Sache für den Staatsanwalt. Warum? Sex ohne Geldaustausch ist absolut normal und keine Straftat. Auch kommt kein Diebstahlparagraf in Frage, schließlich müsste der Geschädigten dafür etwas weggenommen werden. Und ob Prostitution überhaupt moralisch statthaft ist, ist eine ganz eigene Frage.
Kreditgeschäfte im Freundes- und Verwandtenkreis sind keine Seltenheit. Auf schriftliche Fixierung der Geldverleihung wird häufig verzichtet. Ein nicht unerheblicher Anteil der freundschaftlichen Kreditnehmer sieht das gegebene Geld jedoch nicht als Verpflichtung zur Rückgabe. Bei solchen Zeitgenossen ist dann mancher froh, dass es Staatsanwälte gibt. Doch wo ist die Rechtsgrundlage? Weder wurde gestohlen, schließlich wurde der Kredit freiwillig gewährt. Noch wurde Gewalt angewendet. Der Geschädigte hat nichts verloren, was er nicht bereitwillig gegeben hätte.
Auch Mietnormaden sind für Vermieter ein Übel. Von Mietnormaden spricht man, wenn sich Leute in einer Wohnung einmieten ohne je die Absicht zu haben, die vertraglich geschuldete monatliche Rate zu bezahlen. Wieder: es wird nichts weggenommen, der Geschädigte verzichtet nicht auf etwas, was er ohnehin hingegeben hätte. Wer so enthusiastisch Straffreiheit für Schwarzfahrer fordert, sollte sich vorher mit derartigen Rechtsfällen auseinandergesetzt haben.
Erschleichen, Vortäuschen, Betrügen – Schwarzfahrer
In allen Fällen geht es um die Erschleichung einer Leistung unter Vortäuschung einer Zahlungsbereitschaft. Die Prostituierte würde nicht mit dem Freier schlafen, der Freund nicht das Geld verleihen und der Vermieter nicht die Wohnungsschlüssel aushändigen, wenn er wüsste, dass der Gegenüber nicht zahlt. Häufig wird diese Form des unredlichen Umgangs auch allgemeiner „Betrug“ genannt. Es sind alles Worte, die menschliche Niedertracht beschreiben: Erschleichen, Vortäuschen, Betrügen. Menschen, die das tun, nutzen die Gutgläubigkeit ihrer Mitmenschen aus. Und genau deswegen werden solche Taten auch hart geahndet.
Hierum geht es im Kern bei der Strafbarkeit von Schwarzfahren. Der Zechpreller betrügt die Allgemeinheit, die meist öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung stellt und finanziert. Er betrügt den Fahrer und den Schaffner um seinen Lohn, denn wie sollen diese Dienstleister bezahlt werden, wenn nicht über Ticketpreise und Steuern? Wie will der Staat Mautbetrüger noch verfolgen, die nichts anderes tun als der Schwarzfahrer? Wollen die Verteidiger der Betrüger da auch einwerfen: Macht nichts?
Der Rechtstaat ist darauf angewiesen, von den Bürgern akzeptiert zu werden. Gesetze können nur mit demokratischen Mehrheiten beschlossen werden. Gesetzesübertretungen müssen konsequent geahndet werden, sonst verlieren Gesetze und die Gerichtsbarkeit, was das höchste Gut ist: Das Vertrauen in das Recht, das für jeden gilt. Genau hier legen manche die Axt an den Rechtstaat, die zwischen Motiven, Einkommen und persönlichem Status des Delinquenten unterscheiden statt die Tat zu beurteilen. So verteidigten Vertreter der Grünen immer wieder die Kriminellen der sogenannten Letzten Generation und forderten Straffreiheit, da sie für ein angeblich berechtigtes Anliegen einträten.
Die „Gehe aus dem Gefängnis“-Karte
Auch bei der Debatte über die Strafbarkeit des Schwarzfahrens steht der sachwidrige Aspekt des Einkommens im Mittelpunkt. Für Empörung bei einigen Linken sorgt, dass immer wieder Fahrpreispreller im Gefängnis landen. Und dann werden die moralischen Anklagen noch mit Vergleichen der Straffreiheit des Falschparkens zusammengerührt. Warum kommen Schwarzfahrer in den Knast, nicht jedoch Falschparker? Von Niveau sind solche Vergleiche nicht geprägt, das können Kinder besser.
Vor allem zeigt es, dass selbst studierte Menschen oft keine Ahnung von unserem Recht haben. Und damit ist keineswegs mangelnde Paragrafenkenntnis gemeint. Aber wer Falschparken mit Schwarzfahren vergleicht, hat nicht das Geringste von unserem Rechtssystem verstanden. Weder vom deutschen, noch dem britischen, französischen oder australischen.
Am Anfang steht die Behauptung, Schwarzfahrer würden hinter Gitter gebracht. Im Strafgesetzbuch rangiert Schwarzfahren am untersten Rand des Strafenkatalogs. Nach § 265a StGB wird das Erschleichen der Beförderungsleistung mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr (Höchststrafe) geahndet. Kein Schwarzfahrer muss in Deutschland mit Gefängnis rechnen, selbst wenn er das vierte, achte, fünfzehnte Mal erwischt wird. Typischerweise werden bei solchen Delikten Geldstrafen verhängt, die sich nach der Schwere des Vergehens richten.
Anders als auch hier verbreitet, bestimmt sich die Höhe der Geldstrafe nicht nach dem als angemessen erachteten Betrag. Gerichte staffeln Geldstrafen nach Tagessätzen in dreißiger Schritten: 30, 60, 90, 120 usw. Schwarzfahren führt im Normalfall auch nicht zu einer Vorstrafe, da eine Person erst ab mehr als 90 Tagessätzen als vorbestraft gilt. Die auf entsprechenden Plattformen angeführten Verurteilungen von 60 Tagessätzen sind im Allgemeinen absolut heavy. Bei einer solchen Summe liegt nach richterlicher Einschätzung kein geringfügiges Vergehen mehr vor und das sind nicht zwei Schwarzfahrten.
Geldstrafen haben den unbestreitbaren Vorteil sozial absolut gerecht zu sein. Sie folgen dem Gedanken, dass der Wert eines Tages in Freiheit abhängig vom Einkommen steht. Eine Strafe von insgesamt 60 Euro, errechnet aus 60 Tagessätzen besagt, dass der erkaufte Freiheitstag für eine Person mit niedrigem Einkommen nur einen Wert von einem Euro besitzt. Würde der Autor zu einer solchen Strafe von 60 Tagessätzen verurteilt, käme dagegen leicht ein fünfstelliger Betrag zustande. Die Geldstrafe privilegiert also vermögende Straftäter nicht, sondern behandelt sie unter Beachtung ihres Einkommens absolut gleich.
Behauptungen, jemand sei ja nur dreimal schwarzgefahren, sind Quatsch. Das Entdeckungsrisiko beim Fahren ohne Ticket liegt nach Eigenerfahrung bei 1:5 bis 1:20. Das heißt, wer dreimal erwischt wird, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein notorischer Wiederholungstäter. So jemand verzichtet aus Überzeugung auf das Lösen eines Fahrscheins und hat nicht einfach Pech gehabt. Die Einrichtungen bei Bahn, S- und U-Bahnen machen es Betrügern auch unfassbar einfach. Anders als in vielen anderen Ländern sind die Zugänge zu Bahnhöfen und U-Bahn-Schächten nicht beschränkt. In Frankfurt, Berlin und Hamburg können dagegen selbst Obdachlose und Fixer in den Röhren rumlungern und häufig einen bestialischen Uringestank verbreiten. Automatische Einlasskontrollen würden das Problem des Schwarzfahrens deutlich verkleinern.
Warum sitzen dennoch regelmäßig ein paar tausend Schwarzfahrer ein? Das ist zweifellos eine gute Frage, aber mit Sicherheit nicht so eindimensional zu beantworten, wie das mancher tut. Die Motive von Menschen sind vielfältig und Rechthaberei und Opferkult sind wahrlich nicht selten. Eine Begründung ist, Menschen am unteren Ende hätten keinen Euro für die Begleichung der Geldstrafe übrig. Auch diese Annahme zeichnet das Bild eines Rechtstaates, das mit der Realität nichts zu tun hat.
Soweit ein Verurteilter nicht in der Lage ist, seine Strafe sofort oder in einem Stück zu bezahlen, wird ihm Stundung und Ratenzahlung gewährt. Zudem wird die Festsetzung erst mit Zugang des Urteils und der Zahlungsaufforderung der Gerichtskasse fällig. Zwischen Prozess und Schreiben der Gerichtskasse nebst Zahlungsfrist vergehen zwei bis drei Monate. Eine Tilgungsvereinbarung von weiteren 6-12 Monaten ist darüber hinaus möglich. Zusammengefasst lässt sich die Zahlung einer Geldstrafe für Schwarzfahren problemlos auf ein bis anderthalb Jahre strecken. Wer will ernsthaft behaupten, es gäbe Menschen, denen selbst eine so geringe Auflage zu schwer sei?
Lieber Staatsanwalt als Gefängnis
Das Prellen des Fahrpreises ist kein Delikt geringer Einkommen, sondern in vielen Gesellschaftsschichten verbreitet. Auch der Autor ist schon ohne Ticket gefahren, vorsätzlich und bewusst, allerdings nicht in London, New York, Kopenhagen und Valencia. Nicht jeder fährt ohne Ticket, dazu braucht es bestimmter Charakterzüge, die Bereitschaft zur Regelübertretung gehört dazu. Jede Strafreform trifft damit die Breite der Bevölkerung, nicht allein bestimmte Einkommensgruppen.
In der Vergangenheit wurde vielfach gefordert, Schwarzfahren zu einem Bagatelldelikt, juristisch gesprochen zu einer Ordnungswidrigkeit herabzustufen, vergleichbar dem Falschparken. Bei Ordnungswidrigkeiten setzt der Gesetzgeber für bestimmte Vergehen gegen die staatliche Ordnung Bußgelder fest. Befürworter sehen sie bereits aus Gerechtigkeitsgründen für erforderlich. Vor allem soll damit verhindert werden, dass weiterhin Nichtzahler im Gefängnis landen. Leider ist die Sache bei weitem nicht so einfach.
Interessant ist bereits die Abgrenzung des Geltungsbereichs. Das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) richtet sich an Vergehen, gegen die ein Gesetz besteht und für die ein ahndungswürdiges Vergehen bestimmt ist. Das hört sich kompliziert an, lässt sich aber einfach am Falschparken erklären. Wer im öffentlichen Raum ein Parkverbot missachtet, erhält eine Geldbuße, die der Staat mit seinem Gewaltmonopol inklusive Erzwingungshaft eintreibt. Wer jedoch sein Fahrzeug auf einem Privatgrundstück, beispielsweise bei Aldi oder Lidl, abstellt, wird hiervon nicht erfasst. Der Eigentümer muss selbständig gegenüber dem Falschparker seine Ansprüche durchsetzen.
Die Deutsche Bahn ist ein Unternehmen in der Rechtsform einer privaten Kapitalgesellschaft. Vergehen, die in ihrem Bereich begangen werden, fallen typischerweise nicht unter das OWiG. Dies gilt ebenso für die vielen privaten Anbieter von Beförderungsgelegenheiten. Das Gewaltmonopol des Staates verlangt, dass Bürger sich nicht gegenseitig bestrafen können. D.h., sie können auch keine Geldbußen gegeneinander verhängen, es sei denn, sie wären vertraglich vereinbart. Soweit Schwarzfahren also zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft würde, blieben die meisten Vergehen völlig straffrei. Private Anbieter können nur Schadensersatz verlangen und dieser orientiert sich am entgangenen Nutzungsentgelt. Zudem blieben sie auf dem Risiko der Beitreibung sitzen, da sie nicht auf staatliche Zwangsmittel zurückgreifen könnten.
Doch selbst, wenn wir diesen schwerwiegenden Aspekt beiseite lassen, bliebe die Frage, ob eine Reform Geringverdiener begünstigen würde. Die ersten Gewinner wären nicht Menschen mit leerem Portemonnaie, sondern alle, die ein adäquates Bußgeld von 100 Euro aus der Hosentasche bezahlen könnten. Wer bereits an einer auf Jahre verteilte Geldstrafe von 60 Euro scheitert, wird sich mit einer rund doppelt so hohen Summe nicht zwingend leichter tun. Wer beharrlich die Zahlung einer Geldbuße verweigert, landet dann doch wieder vor dem Kadi und muss mit Erzwingungshaft rechnen (§ 96 OWiG). Damit wäre die Sache dort, wo sie angefangen hat.
Wozu also? Aktivisten wie die Freunde vom Freiheitsfonds sind da immerhin ehrlich. Auf Sicht kämpfe man dafür, den ÖPNV kostenlos für alle Bürger zu machen. Die Beseitigung der Strafbarkeit für Schwarzfahrer wäre da der wichtigste Schritt. Die Macht des Faktischen würde die Entwicklung erzwingen. Warum sollte jemand noch ein Ticket lösen, wenn die äußerste Strafe eine Nachzahlungspflicht wäre?
Das andere Ziel wird weit weniger offen propagiert. Ein (Straf-) Recht, das nur noch jene bestraft, die es sich leisten können oder es aufgrund ihres verdorbenen Charakters verdient hätten, ist der Traum aller nie erwachsen gewordener Robin-Hood-Fans. Hohe Strafen für Steuerhinterzieher sind seit jeher im linken Lager populär. Und laut Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) müssen gegen Bürger, die mehr als eine Million Euro an Steuern hinterziehen, zwingend Haftstrafen verhängt werden. Begründung: Sie haben die Allgemeinheit massiv geschädigt und es handele sich um fortgesetzten Betrug. Die Financiers des Staates bei Vergehen hart bestrafen und die Nutzer in jedem Fall straffrei zu stellen, das sind die Regeln im Bullerbü von Rot-Grünen.
Umparken im Kopf
Völlig ins Absurde triftet die Straffreiheitsdebatte, wenn der Vergleich mit Falschparkern gezogen wird. Straßen und Parkräume sind öffentliche Räume, die prinzipiell kostenlos von allen Bürgern genutzt werden dürfen. In Ballungsräumen erhebt der Staat in Gestalt der Kommunen meist Gebühren für die Nutzung von Abstellflächen. Dazu legt er einerseits eine Parkticketpflicht auf, andererseits beschränkt er die Nutzung zeitlich sehr eng. Von den Einschränkungen ausgenommen sind dagegen Fahrräder, auch wenn sie elektrisch angetrieben werden, E-Roller und Kinderwagen. Damit sie überhaupt mit einer Ticketpflicht belegt werden könnten, müssten sie erst einer Registrierungspflicht unterlegt werden. Absolute Halteverbote spielen eine sehr untergeordnete Rolle. Meist werden sie in den Großstädten ohnehin sehr schnell zu hohen Kosten für den Halter entfernt.
Es gibt also eine klare Ungleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer, zumal die Infrastruktur ausschließlich von den Autofahrern finanziert wird, die allein derart begründete Sondersteuern entrichten müssen. Der Unterschied zwischen Schwarzfahrern und Falschparkern liegt wesentlich darin begründet, dass letztere ein prinzipiell kostenloses Gut über Gebühr nutzen. Aber man kann sich ja versteigen:
Aber wenig verwunderlich. Natürlich ist die Straftat mit dem Auto viel weniger schlimm als die mit der Bahn. Wir sind in Deutschland.
Es ist kaum möglich, eine solche Ansicht höflich zu kommentieren. In keinem dem Autor bekannten Land gilt Falschparken als Straftat, wohl aber das Erschleichen von Beförderungsleistungen. Es ist hirnrissig, die rechtlichen Verhältnisse auf eine besondere Vorliebe der Deutschen für das Auto zu schieben. Solche Einlassungen machen jeden Versuch zu einer seriösen Debatte zunichte.
Wenn ein Rechtstaat anfängt, Falschparker von Staatsanwälten verfolgen zu lassen und in Handschellen vor Richter zu führen, gibt es keine Grenzen mehr. In der Abstufung der Strafen müsste die verspätete Abgabe der Steuererklärung ins StGB, in der vergangenen Pandemie das Nichttragen einer Maske und das bisher kaum strafbewehrte Krankfeiern müsste mit Freiheitsstrafe von 1 Jahr aufwärts bedroht werden.
Schöne neue absurde Welt.
Der Vorstoß, Schwarzfahren zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen, kam vom Bundesminister der Justiz, Dr. jur. Marco Buschmann, FDP.
Wir haben also einen Justizminister einer staatstragenden Partei, der keine Ahnung von unserem Rechtssystem hat, „hirnrissige“ Vorschläge macht und die „Erosion des Rechtsstaates“ anstrebt. Düstere Zeiten.
Im Koalitionsvertrag vereinbarten die Ampel-Parteien, die Herabstufung des Delikts Schwarzfahren zu einer Ordnungswidrigkeit zu prüfen. Die Zuständigkeit für eine solche Gesetzesreform liegt beim Bundesministerium für Justiz. Buschmann hat keinen Vorstoß gemacht, sondern nimmt die Aufgabe gemäß Koalitionsvertrag wahr.
Offensichtlich hat der promovierte Jurist jedoch grundsätzliche Bedenken, wie Ariane vor ein paar Tagen feststellte:
Herr Buschmann hatte eigentlich auch versprochen, sich dieses Problems mal anzunehmen, aber welch Wunder, es hat sich da nichts getan.
Auch auf genau solche Kommentare bezieht sich der Artikel. Für die meisten juristischen Experten ist eine Herabstufung aus den im Artikel aufgeführten Gründen nicht zu befürworten. Zum Eigentlichen: Hat Sie das nun überzeugt oder können Sie dagegen argumentieren?
Meine Antwort entspricht der von Denis verlinkten Stellungnahme der Stadt Köln.
Ein kleiner Teil der Legislative einer Kommune sieht die Strafandrohung für unverhältnismäßig. Welche Bedeutung hat das? Ein Teil des Deutschen Bundestages sieht die Anwendung der Schuldenbremse für unangemessen. In rechtsstaatlicher Hinsicht hat das keine Bedeutung.
Die Stadt Köln kann nur entscheiden, ob sie gegen Schwarzfahrer Anzeige erstattet, nicht, ob Schwarzfahren aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird. Der Link ist also in jeder Hinsicht irrelevant.
„Ein kleiner Teil der Legislative einer Kommune“
Nur ein Hinweis: Eine Kommune hat keine „Legislative“, eine Gemeinde kann nicht selbständig Recht setzen (auch wenn manche Gemeinderäte meinen, sie wären Rechtssetzer).
Eine Kommune kann nur innerhalb der Gesetze Ausführungsbestimmungen erlassen.
Richtig. Buschmann hat dazu „Eckpunkte“ vorgelegt, die auch noch andere rechtspolitische Fragen betreffen. Ferner in einem Interview mit der Zeit sich dazu so geäußert.
Zitat Buschmann:
„Wir wollen die sogenannte Beförderungserschleichung, oder populär gesagt: das Fahren ohne Fahrschein, nicht mehr unter Strafe stellen, sondern zu einer Ordnungswidrigkeit machen.“
O-Ton Buschmann:
Es sei zwar nicht in Ordnung, eine Leistung in Anspruch zu nehmen, „für die alle anständigen Menschen bezahlen“. Das Sanktionsverfahren solle aber standardisiert, die Bearbeitung weniger personalintensiv werden.
Eine rechtspolitische Diskussion dazu gibt es eh schon länger. U.a. auch dieser Typ gehört dabei zur Fraktion der Links-grün-Versifften, die keine Ahnung haben:
https://de.wikipedia.org/wiki/Stephan_Thomae
Die Verkehrsbetriebe der Stadt Köln haben übrigens ihre Anzeigepraxis geändert. Das beruht auf einen Beschluss des Rates der Stadt. Dazu kann man sich das auf der Zunge zergehen lassen:
https://www.fdp-koeln.de/aktuell/fdp-initiative-gegen-strafanzeigen-beschlossen/07-12-2023
Ferner ist es so, dass sich lt. repräsentativer Umfragen eine deutliche Mehrheit draußen im Lande für eine Entkriminalisierung in dieser Sache ausspricht. Selbstverständlich ist das in diesem Fall vollkommen unbeachtlich. Im Falle „Schuldenbremse“ dagegen oder auch beim Thema „gendern“ ist das ganz anders. Da ist das von großer Bedeutung.
Habe ich mich irgendwo im Artikel auf Umfragen bezogen? Dann bitte ich um Entschuldigung, das sollte nicht als Begründung herangezogen werden.
Übrigens hatte ich Sie in der Debatte zuvor vermisst. Denn wenn, dann hätten Sie die kritischen Punkte anführen können, die im Artikel nun (ohne Ihren Widerspruch) aufgeführt sind. Oder äußern Sie Ihre semi-professionelle Ansicht nur, wenn es Ihnen politisch passt? 😉
Zitat Stefan Pietsch:
„Habe ich mich irgendwo im Artikel auf Umfragen bezogen?“
Im anderen Artikeln zu anderen Themen: Ja. Hier natürlich nicht, weil keine Übereinstimmung besteht.
Es bleibt also die Grundsatzfrage: Wenn demoskopisch ermittelte Mehrheitsauffassungen bedeutsam sind, warum nur manchmal, warum nicht immer ?
Zitat Stefan Pietsch:
„Oder äußern Sie Ihre semi-professionelle Ansicht nur, wenn es Ihnen politisch passt? “
Willkommen im Klub der Semi-Professionellen. Wir sind beide keine Juristen mit entsprechender abgeschlossener Hochschulausbildung.
Deswegen konsultiere ich in nicht so einfachen rechtspolitischen Fragen gerne die Vollprofessionellen. Da hat man den Vorteil von Sachkenntnis und i.d.R. den Verzicht auf unangemessene Polemik.
Zitat Stefan Pietsch:
„Wer so enthusiastisch Straffreiheit für Schwarzfahrer fordert, sollte sich vorher mit derartigen Rechtsfällen auseinandergesetzt haben.“
Die vorgenannten Rechtsfälle sind von anderer Art als „Schwarzfahren“ und erfüllen auch ANDERE Tatbestände.
Aber gut, ich bin ja nicht kleinlich; aber was heißt „enthusiastisch“ ?
Haben sich Juristen, u.a. Staatsanwälte/Rechtsanwälte/Richteri_nnen, die sich für eine Reform aussprechen „nicht mit derartigen Rechtsfällen auseinander gesetzt“ ?
Natürlich gibt es auch die Gegenmeinung mit fundierten Argumenten. In der Rechtspolitik geht es nicht anders zu als sonst in der Politik auch. Letztlich entscheidet die Mehrheit in den Parlamenten.
Der Deutsche Anwaltverein zum Beispiel (anders als wir alles Vollprofis^, aber womöglich nicht die „richtigen“) plädiert seit Langem für die Herabsetzung als Ordnungswidrigkeit in Übereinstimmung mit den Plänen der Bundesregierung.
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/anwaltverein-pladiert-fur-die-entkriminalisierung-des-schwarzfahrens-5759944.html
Hier ein Kurzbericht über eine offenbar muntere Diskussion, schon etwas länger her:
https://anwaltsblatt.anwaltverein.de/de/themen/kanzlei-praxis/schwarzfahren-entkriminalisieren
Als interessierter Bürger und Wähler, maximal semi-professionell, wenn überhaupt, halte ich die Reform-Argumente für überzeugend. In diesem Punkt offenbar in Übereinstimmung mit entsprechenden Fachkreisen in der FDP.
Mein Punkt ist der des Grundverständnisses unserer Rechtsordnung. Da nützen Umfragen wenig. Ich begründe die Notwendigkeit der Grundrechte nie mit Umfragen, egal ob es um Artikel 14 (Eigentum) oder Artikel 16a (Asyl) geht. Andere verfassungsrechtliche Normen sind durchaus von ihrer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz abhängig, dazu zählt die Schuldenbremse. Das ist aber immer nur das zweite Argument. Das erste ist, dass es keine notwenige Parteienkostellation gibt für eine Abschaffung. Und Parteien werden in einer Demokratie von den Bürgern gewählt.
Folglich habe ich nicht einmal gegoogelt, ob eine Mehrheit für oder gegen die Herabstufung des Schwarzfahrens zur Ordnungswidrigkeit ist. Ich wusste es nicht und es ist auch für die Frage irrelevant, ob sich eine solche Veränderung in unsere Rechtsordnung einbetten lässt. Das ist eben nicht so trivial wie in den letzten Tagen diskutiert, es beschränkt sich nicht einfach auf die Frage, ob man es will oder nicht. Als Semi-Profi hätten Sie da etwas beizusteuern gehabt, weil Sie überdurchschnittliches Rechtsverständnis besitzen. Sonst geben Sie ja auch als Semi-Profi Ihren Senf dazu und überlassen das nicht den Profis.
Zu meinem Semi-Profisein: Ich habe Jahre Jura studiert, arbeite seit über zwei Jahrzehnten regelmäßig mit Juristen zusammen, verfasse des öfteren Schriftsätze und trete von Zeit zu Zeit vor Gericht auf. Ich weiß, wie unser Recht funktioniert, und das nicht aus Gerichtsshow-Sendungen.
Die vorgenannten Rechtsfälle sind von anderer Art als „Schwarzfahren“ und erfüllen auch ANDERE Tatbestände.
Der juristische Grund, warum es bestraft wird, ist der Gleiche. Darauf kommt es an. Jemand täuscht eine Zahlungsbereitschaft vor und erreicht durch die Täuschung, dass ein anderer im guten Glauben eine Leistung (Sex, Kredit, Wohnung, Fahrleistung) gewährt. In größerem Umfang handelt es sich um Betrugsdelikte. Eine solche Täuschung ist menschlich niederträchtig.
Haben sich Juristen, u.a. Staatsanwälte/Rechtsanwälte/Richteri_nnen, die sich für eine Reform aussprechen „nicht mit derartigen Rechtsfällen auseinander gesetzt“
Sicher. Aber sie verfolgen auch Eigeninteressen. Die Vertretung eines Mandanten wegen Schwarzfahrens ist finanziell völlig unattraktiv. Da ist weniger zu holen als bei einem Verfahren wegen Geschwindigkeitsübertretung. Warum sollte der Anwaltsverein die Beibehaltung der Strafbarkeit befürworten, wenn ihre Mitglieder dabei kein Geld verdienen können und mehr oder weniger pro bonus arbeiten? Und es bleibt eine Meinung so wie bei mir, wenn ich als Ökonom mit Diplom Steuersenkungen fordere. Da haben Sie mir auch noch nie eine höhere Kompetenz zugebilligt. 🙂
In diesem Punkt offenbar in Übereinstimmung mit entsprechenden Fachkreisen in der FDP.
Deswegen ist Arianes Vorwurf gegen den Justizminister Buschmann ja auch so unverständlich…
Sie wissen doch auch, dass jemand nicht wegen zweimal Schwarzfahren in den Bau kommt. Sie wissen auch, dass sich eine Geldstrafe sehr lange prolongieren lässt. Sie wissen auch, dass sich eine Geldstrafe nach den persönlichen Einkommensverhältnissen bemisst. Dennoch haben Sie den Unsinn hier laufen lassen. Und das war mein Vorwurf.
Von den Einschränkungen ausgenommen sind dagegen Fahrräder, auch wenn sie elektrisch angetrieben werden …
Es gibt also eine klare Ungleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer,
Auf dieses bizarre Argument muss man in diesem thematischen Zusammenhang erst mal kommen, Chapeau. Der öffentliche Raum ist vollgestellt mit Autoblech, aber die Fahrräder kriegen eine Vorteilsbehandlung, völlig klar. Wenn es nicht von Ihnen käme, wäre das Satire, und zwar gar nicht mal schlechte. 🙂
Hinsichtlich der Entkriminalisierung des Schwarzfahrens bin ich aber auf Ihrer Seite. Ich nehme an, die Freunde des folgenlosen Schwarzfahrens wollen letztlich etwas ganz anderes, nämlich kostenlosen ÖPNV. Die Entkriminalisierung ist ein erster Schritt in diese Richtung. Ich hätte dann gern eine Entkriminalisierung der Steuerhinterziehung.
Ich halte nur nichts davon, Leute ins Gefängnis zu stecken dafür. Dass Schwarzfahren bestraft wird ist für mich völlig einsichtig.
Ich verstehe Dein Argument in absolut keiner Hinsicht. Du kannst auch für eine Ordnungswidrigkeit ins Gefängnis wandern, wenn Du z.B. die Geldbusse der Ordnungswidrigkeit nicht zahlst?
Dir wurde gestern ausführlich erläutert, dass Du für Schwarzfahren NICHT ins Gefängnis kommst, sehr wohl aber bei Nichtzahlung der Strafe. Nun sind 60 Euro erhöhtes Beförderungsentgelt (bei uns) sicher für Niedrigverdiener oder Hartz IV Bezieher verdammt viel Geld, aber nichts, was man nicht in 5 Stunden Hilfsarbeit beim Regaleeinpacken verdienen kann?
Aber zurück zum Argument: Die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens über Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit hilft Dir praktisch keinen Zentimeter weiter. Wie also sieht Dein konkreter Volrschlag aus, die Leute wegen Nichtzahlung (!) nicht in Erzwingungshaft wandern zu lassen? Strafe befürwortest Du ja, wie soll die also aussehen, ohne das (Letzt)Risiko, bei Nichterfüllung in den Knast zu wandern?
Gruss,
Thorsten Haupts
Aber reden wir nicht auch von ganz anderen Summen? Parken ohne Ticket ist ja häufig nur 5-10€ (in Tourigebieten wie Eckernförde sogar) und ich meine, selbst bei krasseren Parkvergehen wie Behindertenplatz oder Hydrant/Rettungseinfahrt kommt man nicht auf die 60€ vom Schwarzfahren. Auch die Dimensionen im Vorfeld würden sich ja verschieben.
Nein, die Strafen sind inzwischen höher. Ich bekam gestern in Frankfurt eine Geldbuße von 20€, weil ich an einer Parkbucht kein Ticket gezogen hatte. Beim eingeschränkten Halteverbot sind es inzwischen so 40€ und bei reservierten Stellflächen 60€ plus (aus dem Kopf). Außerdem wird in Großstädten dann konsequent abgeschleppt, so dass sich die Gesamtkosten leicht auf über 600€ summieren können.
Wie im Artikel beschrieben, ist die Strafe gesondert zu betrachten. Keiner bekommt in Deutschland ein Strafverfahren aufgebrummt, weil er mal beim Schwarzfahren erwischt wurde. Es muss auch niemand befürchten, vor dem Kadi zu landen, wenn er 20 mal mit verschiedenen Beförderungsmitteln schwarz fährt. Wer aber 10 mal innerhalb kurzer Zeit beim gleichen Betreiber auffällig wird, der sollte schon von einem Richter begutachtet werden, findest Du nicht? Der ist ja mit absoluter Sicherheit nicht nur 10 mal, sondern notorisch ohne Fahrschein unterwegs und betrügt damit massiv.
Bremen ist noch nicht so fies und da wo ich rumgurke, ist selbst auf dem Parkplatz quasi mitten in der Innenstadt nur Ticketpflicht von 10-14 Uhr (vielleicht gar keine schlechte Idee, den ÖPNV genauso zu organisieren, Züge fahren ja sowieso, Ticketpflicht nur in der rush hour bitte!)
Ansonsten gehöre ich zu den linksgrünversifften Menschen mit null Ahnung, die befürworten, dass der ÖPNV kostenlos wird.
Schön 🙂 . Wer bezahlt das? Das kostet nach Schätzung des Deutschen Städtetages mindestens 25 Milliarden Euro. Jährlich.
Ich bin auch skeptisch, aber es geht. In Walldorf bei Heidelberg ist das schon seit 2022 der Fall. Und selbst CDU und FDP im Stadtrat sind immer noch dafür.
Andere Gemeinden ziehen nach:
https://www.diegemeinde.de/gratis-oepnv-walldorf-und-st-leon-rot
Mobilität ist ein Grundbedürfnis – heißt es doch hier bei der Auto-Fraktion immer. Wie Bildung: Schulgebühren und dann Studiengebühren wurden auch nach und nach abgeschafft.
Nachtrag (auch @ Ariane): Andere Grundbedürfnisse, elementare wie Nahrung, Wohnung und Kleidung, sind nicht kostenlos. Das fordert auch niemand.
Deshalb leuchtet es mir nicht ein, warum der ÖPNV kostenlos sein soll. Die Walldorfer begründen es mit der Verkehrswende. Weniger reiche Kommunen können das nicht.
Ich denke, das ist das falsche Ziel.
https://www.walldorf.de/nachhaltigkeit/mobilitaet/oepnv
Stimmt, Walldorf kann sich das leisten als Anhängsel an SAP.
Das Freibad dort ist für das Gebotene auch recht günstig, ich bin ganz gerne dort 😉 (als Nicht-Walldorfer)
Nun ja, wie ich lernen konnte, verfolgt Bremen ja auch Schwarzfahrer nicht, von daher passt es. Wäre dann schon strange, Leistungserschleichung straffrei zu stellen und Falschparker hart zu ahnden. In Bremen ist halt alles ein bisschen anders, deswegen bekommt ihr ja so viel aus dem Länderfinanzausgleich (unter anderem aus Hessen). 🙂
Ich kann Menschen nicht vorwerfen, dass sie andere Ziele als ich verfolgen. Das liegt in der menschlichen Natur. Woran ich mich dann abarbeite, ist, wenn sie Ziele propagieren, die nach aller Erfahrung mit dem Handwerkszeug, das sie benutzen wollen, nicht erreichbar ist. Dann frage ich schon: Geht es Dir tatsächlich um das Ziel oder um den Weg.
Ich nehme mal exemplarisch Stefan stellvertretend für andere. Er ist für die Herabstufung des Schwarzfahrens zu einer Ordnungswidrigkeit.
1. Schwarzfahrer gehören nicht ins Gefängnis => Zustimmung
2. Die Gesetzesübertretung soll bestraft werden => Zustimmung
3. Schwarzfahrer sollen nicht übermäßig bestraft werden. => Zustimmung
4. Der ÖPNV soll nicht kostenlos sein. => Zustimmung
Obwohl wir in den Zielen völlig übereinstimmen, kommen wir bezüglich der Maßnahmen zu völlig unterschiedlichen Schlüssen. Das liegt aber, wie gezeigt, daran, dass dafür das von ihm propagierte Mittel untauglich ist. Wenn 2-4 genauso zwingend erfüllt werden soll, dann geht es manchmal nicht ohne Gefängnis und Staatsanwalt.
Es geht nicht ohne Staatsanwalt, weil nur dieser zusammen mit einem Richter im Zweifel eine sehr niedrige Strafe festsetzen kann. Das Ordnungsrecht gibt diese Möglichkeit eben nicht. Nach dem OWiG zahlst Du bei Erwischtwerden eben das erhöhte Beförderungsentgelt und die Ordnungsstrafe von angenommen 100€. Ein Gericht hätte sie auf 20 oder 30€ festsetzen können, die verfolgende Verwaltung kann das eben nicht.
Wenn jemand nicht zahlt, dann braucht der Staat Zwangsmittel, die im äußersten Fall immer Gefängnis beinhalten. Um also 2 zu erfüllen, kann es manchmal zu Knast kommen. Nehmen wir noch einmal den Beispielfall mit den 60€ Geldstrafe. Der Schwarzfahrer wird dazu am 1. Januar 01 verurteilt. Mit den vom Gericht angebotenen Möglichkeiten des Aufschubs muss er diesen Betrag in einem Zeitraum von 18 Monaten (Annahme) auftreiben, das sind etwas mehr als 3 Euro pro Monat. Selbst für einen Bürgergeldhaushalt ist das ein kaum merkbarer Betrag, vor allem, wenn dies Bedarfsgemeinschaften von 4-5 Mitglieder (Standard) trifft. Und das soll nicht leistbar sein?
Witzig ist, wenn man ein Vorurteil oder eine Behauptung ins (Selbst-) Ironische dreht oder absurditiert. Nun kann ich mich nicht erinnern, dass Du in den vergangenen zwei Jahren je als „linksgrünversifft“ bezeichnet worden bist. So wie ich mein Neoliberal nicht karikieren kann, läuft bei Dir auch der Witz ins Leere. Nicht witzig, Ariane. Und das ist doch auch etwas Gutes. 😉
In meiner Naivität würde ich so was wie Sozialstunden o.Ä. für sinnvoller erachten als die riesigen Kosten für die Steuerzahlenden.
Auch die musst Du notfalls mit Erzwingungshaft durchsetzen? Dann wandert ein Schwarzfahrer eben nicht mehr für Nichtzahlung der Geldbusse, sondern für Nichtleistung der Sozialstunden ins Gefängnis?
Und das nur nebenbei – das Kostenargument ist höchst fragwürdig. Betreute Sozialstunden (anders macht das keinen Sinn) kosten ebenfalls nicht zu knapp?
Ich bin gar nicht prinzipiell gegen eine Änderung. Aber die Änderung muss mir einleuchten – und dafür habe ich bisher kein überzeugendes Argument gehört.
Gruss,
Thorsten Haupts
„…sondern für Nichtleistung der Sozialstunden ins Gefängnis?“
Das ist aber ein wichtiger Unterschied. Wer die Sozialstunden leisten könnte, es aber nicht tut – seine Entscheidung. Gilt auch für das Zahlen der Strafe. Die große Mehrheit derjenigen, die „sitzen“, hatten diese Entscheidungsfreiheit nicht.
Zum Sozialstunden-Kosten-Argument: Stimmt. Hat aber positive Nebenwirkungen im Gegensatz zum Knast. Was da „gespart“ wird, kostet anderweitig weit mehr. Job weg, Wohnung weg, Freund/in weg – das nützt niemandem, auch nicht der Gesellschaft. Im Gegenteil.
Die große Mehrheit derjenigen, die „sitzen“, hatten diese Entscheidungsfreiheit nicht.
Woher wissen Sie das? Nach dem Verständnis unserer Rechtsprechung haben sie die sehr wohl und auch die Logik legt das nahe.
Das wäre auch mein Bauchgefühl.
Das ist aber ein wichtiger Unterschied. Wer die Sozialstunden leisten könnte, es aber nicht tut – seine Entscheidung. Gilt auch für das Zahlen der Strafe. Die große Mehrheit derjenigen, die „sitzen“, hatten diese Entscheidungsfreiheit nicht.
Das ist ein Argument, dass ich nicht kaufe. Unverschuldet so arm zu sein, dass man eine Geldbusse nicht zahlen kann, ist seltener, als Sie glauben. Betonung auf „unverschuldet“.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ich hab übrigens gar nicht so atemberaubend viel Sympathie für die Schwarzfahrenden bzw. Nichtzahlenden, btw. Sehe das so wie du, da spielen bestimmt viele andere Sachen auch mit rein. Ich kritisiere das hauptsächlich von der Warte, dass ich es für a) sinnlos und b) groteske Ressourcenverschwendung halte, die in den Knast zu stecken.
Ich kritisiere das hauptsächlich von der Warte, dass ich es für a) sinnlos und b) groteske Ressourcenverschwendung halte, die in den Knast zu stecken.
Bin da ganz Deiner Auffassung! Habe allerdings für die vielen Rechtsfälle, in denen ich da so sehe, keine bessere Lösung, die erreicht, was Gefängnisstrafen erreichen sollen – Abschreckung und Verhaltensbeeinflussung. Und kenne auch historisch keine funktionierenden Alternativen?
Gruss,
Thorsten Haupts
Restaurative Gerechtigkeit.
????? Da geht es, so es um Kleindelikte geht, im Kern um die Wiedergutmachung materieller Schäden. Das kostet Geld. Wir haben doch gerade diskutiert, dass arme Leute genau das nicht haben?
Und wenn es um grössere geht, bin ich ohnehin ein strikter Gegner. Wer mir die Nase beim Raubüberfall bricht oder meine Wohnung verwüstet, wandert in den Bau – ich habe am Ausgleich null Interesse.
Gruss,
Thorsten Haupts
In meinen Augen kommt es auf den Kontext an.
Aber ja, da haben wir unterschiedliche Vorstellungen.
Du erinnerst mich an die ZEIT-Journalistin, die ganz auf Deiner Linie lag. Bis zu dem Tag, an dem sie nach einem brutalen Raubüberfall im Krankenhaus aufwachte …
Dass man bei persönlicher Betroffenheit IMMER anders denkt, habe ich noch nie bezweifelt. Ich bin ziemlich sicher, wenn jemand mein Kind ermordete, würde ich auch anders über die Todesstrafe denken. Genau deswegen nimmt der Rechtsstaat ja diese persönlich-emotionale Komponente raus. Aber was weiß ich schon.
Und wenn es nur wenige Fälle sind/wären, an dem Argument ändert das nichts. Nach dem Grundgesetz zählt das Individuum. Jeder Mensch, jedes Leben, jede Freiheit.
Dass das ein „Linker“ erklären muss. Mit Ihren Worten: „Staun“.
Unverschuldet keine Sozialstunden leisten zu können ist auch selten. Und nun?
Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren.
https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtssprichwort#:~:text=So%20sagt%20der%20Satz%20%E2%80%9EWo,erhalten%2C%20siehe%20Latein%20im%20Recht.
Und wenn es nur wenige Fälle sind/wären, an dem Argument ändert das nichts. Nach dem Grundgesetz zählt das Individuum. Jeder Mensch/Bürger, jedes Leben, jede Freiheit.
Dass das ein „Linker“ erklären muss. In Ihrem Duktus: „Staun“.
Ich bin zugegeben auch kein Experte dafür. Ich sehe nur Inhaftierungen für Schwarzfahren als quatschig. Vielleicht muss man auch auf der anderen Seite anpassen: soweit ich weiß, ist das ja ein ziemlich berlinzentrisches Problem, was für ein Armutsproblem spricht, was dafür spricht, da ggf. bei den Sozialleistungen nachzusteuern. Wir brauchen ja keinen kostenlosen ÖPVN für alle, aber vielleicht kann man’s in Sozialleistungen integrieren oder so. Erneut, ich bin kein Experte. Ich kann sicher keine tolle, wasserdichte Lösung präsentieren. Ich bin aber ziemlich sicher dass wir etwas besseres finden können als den Status Quo.
Das kann man kaum über den Regelsatz machen. Die Nutzung des ÖPNV durch Bürgergeldbezieher fällt höchst unterschiedlich aus. Eine pauschale Regelsatzerhöhung würde alle begünstigen, unabhängig ob sie öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Für die eigentlichen Nutzer wäre der Aufschlag aber meist zu niedrig. Zudem stellt sich das Problem der Abgrenzung: Warum sollen Bürgergeldempfänger (zusätzlich) begünstigt werden, während Erwerbstätige mit gleichem Einkommen den vollen Betrag zahlen müssen?
Die optimale Lösung wird man nie finden. Ich denke auch nicht, dass alle, die das betrifft, Bürgergeldempfangende sind. Aber ein „hilf nicht allen“ ist kein gutes Argument gegen eine Maßnahme, wenn sie sonst funktionierte.
Das ist kein Argument, das Falsche zu tun. Gießkanne ist kein kluges Prinzip, das sagst Du ja selber. Es ist irrwitzig teuer – und sinnlos – ein vermeintliches soziales Problem zu identifieren und es damit lösen zu wollen, in dem alle theoretisch Betroffenen dafür Geld bekommen. Anschließend sind die Staatsausgaben höher, das Gefühl, dass es im Land sozial ungerecht zugehen würde, allerdings auch.
Problem nicht gelöst.
Ich fordere auch keine Gießkanne.
Die krassen Heidelberger haben eine ganz gute Lösung:
Zuschuss zum ÖPNV-Ticket für diejenigen, die es brauchen.
https://www.heidelberg.de/hd/HD/Leben/hd4mobility.html
@ Thorsten Haupts
Du kannst auch für eine Ordnungswidrigkeit ins Gefängnis wandern, wenn Du z.B. die Geldbusse der Ordnungswidrigkeit nicht zahlst?
Richtig. Man muss sich das immer wieder vergegenwärtigen, weil es für viele so weit weg ist: Der Staat wird seine Regeln bei entsprechendem Widerstand immer mit Waffengewalt durchsetzen. Wer sich allen Maßnahmen widersetzt, hat am Ende das SEK im Haus. Und das gilt natürlich auch fürs Schwarzfahren.
Daher ist es ein Trugschluss, dass man schwarzfahren künftig sanft sanktionieren kann. Am besten wäre wohl, den Kommunen hier (und in vielen anderen Bereichen auch, aber das nur am Rande) mehr Regelungsbefugnisse einzuräumen. Kann ja durchaus sein, dass Sozialstunden statt Strafen pädagogisch besser wirken.
Das Gewaltmonopol macht aber genau das manchmal erforderlich. Der Staat hält auch Bürger präventiv fest, er steckt sie in eine Zelle, wenn sie in der häuslichen Wohnung streiten oder öffentlich rumpöbeln.
All das wäre Deiner Ansicht nach falsch? Wie dargestellt: niemand, auch kein Bürgergeldempfänger, muss wegen Schwarzfahrens in den Knast. Wenn es dazu kommt, ist sehr, sehr viel passiert, dass nur als Ultima Ratio bleibt. Und das muss der Rechtstaat immer dürfen, damit Delinquenten ihm nicht auf der Nase rumtanzen.
Also in meiner Jugend haben zwei Fahrräder durchaus den Platz eines Smart blockiert. Und es hat schon viele gegeben, die sich über abgestellte Kinderwagen beschwert haben. Kein Fahrradfahrer und keine Mutter stellt solche mobilen Geräte nur dort ab, wo sie niemanden behindern.
Ich denke, es geht sogar um mehr: Manche sind der Ansicht, einkommensschwache Menschen sollten generell von Strafen verschont bleiben. Oder Bürger mit besonderen Anliegen wie Klimaengagierte, „Kämpfer für die Demokratie“ u.ä.
Gute Argumente verständlich erklärt. Danke!
Danke für das Kompliment!
Zum anderen Teil des Themas: Was sagen die Semi-Profis dazu, dass die Verwaltungen trotz § 12 StVO (implizit: Verbot Gehwegparken) und Art. 20 Abs. 3 GG („… an Gesetz und Recht gebunden“) seit Jahrzehnten nichts oder kaum etwas unternehmen?
Für den juristischen Laien sieht das aus wie ein Verstoß gegen ein Gesetz und die Verfassung.
Da wäre ja jede Gesetzesübertretung ein Verfassungsverstoß – was es ist – und der Gesetzgeber müsste dafür sorgen, dass es unter allen Umständen unterbunden wird. Eine solche Auslegung hätte jedoch massive Freiheitseinschränkungen für alle Bürger zur Folge und wäre damit auch wieder verfassungswidrig. Wir hatten die Debatten bis zur Erschöpfung während der Pandemie.
Regierungen sind daran gebunden, verhältnismäßig zu handeln. Speziell auf den Fall des Gehwegparkens angewandt: Soweit eine unmittelbare Gefahr besteht, wird das Fahrzeug kostenpflichtig entfernt. Aber: Sie dürfen auch Hunde halten, obwohl viele Rassen eine potentielle Gefahr für andere Menschen darstellen. Ihr Prinzip angewandt würde es bedeuten, dass eben Hundehaltungen sich nur noch auf Zwergpudel beschränken dürfte.
Darum geht es mir: Unser Recht ist sehr sorgsam austariert. Gesetzgeber dürfen nicht nur einen Aspekt betrachten, sondern müssten die gesamten Einordnungen im Blick haben. Wenn Sie Falschparken zur Straftat hochdeklinieren, müssen Sie das auch bei anderen Ordnungswidrigkeiten prüfen. Umgekehrt müssen Straftaten mit geringen Androhungen eventuell auch hochgestuft werden.
Gerade die Reform des Sexualstrafrechts wurde genau deswegen von Juristen scharf kritisiert. Vergleichsweise kleine Vergehen wie ein unerwünschter Kuss wurden hochgestuft, aber dann passt es eben in der Vergleichbarkeit nicht mehr.
Dass es da Unausgewogenheiten gibt, ist offensichtlich. Ist aber ein anderes Thema.
Das Falschparker-Problem muss nicht unbedingt durch Hochstufung angegangen werden. Es genügt, wenn das Behinderungs- und Gefährdungspotential endlich anerkannt wird durch die Verwaltungen – und diese entsprechend handeln: Kontrollieren, in harmlosen Fällen Knöllchen verteilen, in krassen wegen Verkehrsgefährdung anzeigen.
In Heidelberg zum Beispiel wurde ein Rentner sanktioniert, der auf einem Stuhl vor seinem Haus saß, eine Boutiquebesitzerin wegen eines Blumenkübels auf einem breiten Gehweg. Gegen das Zuparken ganzer Straßenzüge wurde lange nichts getan.
Wir diskutieren das Thema auch vor dem Hintergrund der These des anderen Stefan: dass beim Auto das Rechtsstaatsprinzip nur sehr eingeschränkt umgesetzt wird. Das müsste Sie doch eigentlich besonders empören?
Von welchen Unausgewogenheiten sprechen Sie? Ich habe solche angeführt, welche die Politik erst in den letzten Jahren geschaffen hat aus den Gründen, weshalb wir jetzt über das Schwarzfahren diskutieren. Spanien versuchte sich vor zwei Jahren auch an einer Reform und Verschärfung der ohnehin schärferen Strafen für Sexualdelikte. Ergebnis: zahlreiche Täter kamen vorzeitig frei und die linke Regierung musste die Reform zurücknehmen. Herzlichen Glückwunsch!
Es genügt, wenn das Behinderungs- und Gefährdungspotential endlich anerkannt wird durch die Verwaltungen
Ich merke, Sie haben keine Erfahrung mit den Situationen in den Großstädten. In absoluten Verbotszonen wird so schnell abgeschleppt, so schnell kann man keine Zigarette rauchen. Und wieder sind wir bei dem, was anscheinend so schwer fällt, die Unterscheidung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Gefahr. Wenn man dies nicht versteht, versteht man unser gesamtes Rechtssystem nicht. Das geht weit über das Strafrecht hinaus: Versicherungsrecht, Arbeitsrecht, Gesellschafts- und Handelsrecht.
In Heidelberg zum Beispiel
Ihr Heidelberger seid schon krass. Das scheint aber eher etwas Landsmännisches zu sein. Nur in Heidelberg ist es meiner Frau und mir passiert, dass wir in der Pandemie getrennt wurden, weil wir uns ja gegenseitig in der Öffentlichkeit anstecken könnten. Lassen Sie sich einfach sagen: Heidelberg ist nicht Deutschland.
Wir diskutieren das Thema auch vor dem Hintergrund der These des anderen Stefan: dass beim Auto das Rechtsstaatsprinzip nur sehr eingeschränkt umgesetzt wird.
Hä? Sie scheinen anscheinend für absolute Kontrolle zu plädieren. Das widerspricht dem liberalen Rechtstaatsverständis. Linke sind schon seltsame Zeitgenossen: in manchen Bereichen wollen sie umfangreiche Kontrolle, in anderen gar keine. So plädieren Sie und Stefan konsequent für die Loslösung der Anwesenheit auf der Arbeit von der Bezahlung. Arbeitgeber sollten umfangreich vertrauen (und bezahlen). Kontrollen seien unnötig. Dem folge ich insoweit, als meine Kontrolle meiner Mitarbeiter lautet: Ist der Job erledigt, dann ist auch die Arbeit getan. Ob in 20, 40 oder 50 Stunden ist mir ziemlich egal. Das wissen meine Leute. Aber: sind die Aufgaben nicht erledigt, ist man auch nicht mit der Arbeit fertig.
So ist das für mich auch in anderen Bereichen. Warum soll der Staat in der Nacht auf einer menschenleeren Autobahn kontrollieren, ob ein Fahrer die Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 km/h einhält? Mir hat das in Dänemark gefallen: Wenn’s schiefgeht, hat der Raser ein Problem. Aber das erfordert nicht, alle 20 km eine Blitzeranlage aufzustellen, wie wir in Deutschland das machen würden.
Ein solches Rechts- und Staatsverständnis – einmal viel Kontrolle, dann wenig Kontrolle – ist reine Willkür. Da steckt keine Haltung dahinter, sondern politische Willkür. Ich bin jedenfalls nicht willkürlich. Meine Auslegung des Rechts – liberal mit wenig Kontrollen – zieht sich durch sämtliche Bereiche: Arbeitsrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Verkehrsrecht.
„So plädieren Sie und Stefan konsequent für die Loslösung der Anwesenheit auf der Arbeit von der Bezahlung.“
Nie ein Wort dazu geschrieben. Unsere Diskussionen wären ergiebiger ohne diese ständigen Unterstellungen.
„Wenn’s schiefgeht, hat der Raser ein Problem.“
Nicht nur, auch andere, Unbeteiligte. Weil sie tot sind oder schwer verletzt, wie zu viele Fälle in letzter Zeit gezeigt haben.
„Ich bin jedenfalls nicht willkürlich“
Eigen- und Fremdwahrnehmung. Sie spotten über Menschen, die sich nachts um drei nicht um Gesetze scheren (Rasen, an roten Ampeln warten), obwohl im Gesetz nichts über die Uhrzeit steht.
„Blitzer“
Auch das stützt Sassestefans These. Man darf auf der Party sündenstolz erzählen, dass man wieder mal ein teueres Foto von sich und seinem Auto hat. Dass man Menschen gefährdet wurden, wird ausgeblendet.
Na ja, wenigstens beim Alkohol hat sich das geändert.
Stefan ist ein starker Verfechter der Bezahlung ohne Anwesenheits- und Leistungskontrolle. Ich habe Sie da in einen Topf geworfen, das ist richtig. Wenn ich Ihnen da Falsches unterstellt habe, tut mir das leid. Das ist nie meine Absicht, ungerechtfertigt etwas zu unterstellen. Sorry.
Ich plädierte hier schon für die Einstufung des Rasens als Morddelikt, da gab es dazu noch keine öffentliche Diskussion. Auch in Ländern mit einem generellen Tempolimit wird gerast, auch bei breiter Kontrolldichte wird gerast. Kontrollen verhindern keine illegalen Autorennen, also sollten wir uns das nicht einreden. Wenn aber jemand auf einer menschenleeren Autobahn nachts statt erlaubter 130 km/h rund 20 Prozent schneller fährt, ist das nach juristische Diktion kein Rasen, wird aber mit Androhung eines Fahrverbots geahndet. Schaden für die Allgemeinheit? Null.
Vor einigen Wochen ist die Mutter von drei Kindern (Ihr Mitleid?) nach Korrektur durch den BGH zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Auf einer Landstraße, auf der eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h galt, überholte sie vermutlich bei einem illegalen Autorennen ihren Gegenpart mit 180 km/h. Sie verlor dabei die Kontrolle über das Fahrzeug und in der Folge kamen bei einem Zusammenstoß zwei Kinder ums Leben. Das Tempolimit hat sie offensichtlich nicht davon abgehalten, durch ihr Verhalten zwei kleine Menschen zu töten. Aber hätte sie gewusst, dass sie für ihr Verhalten lebenslang ins Gefängnis wandern kann, hätte ihre Kalkulation möglicherweise anders ausgesehen.
Schon als junger Wirtschaftsprüfer lernte ich: Kontrollen sind nicht dazu da, illegales Verhalten zu verhindern. Das können sie nicht, denn Menschen mit krimineller Energie werden immer Wege finden, Kontrollen zu umgehen. Kontrollen haben die Aufgabe, ein Entdeckungsrisiko von Fehlverhalten (egal ob fahrlässig oder vorsätzlich) herzustellen. Was will der Staat auf einer menschenleeren Autobahn entdecken?
Gesetze sind kein Selbstzweck, wenn der Staat erwartet, dass sich die Bürger daran halten sollen. Die Lektion sollte doch spätestens mit der Pandemie gelernt sein. Sie müssen zielgerichtet, verhältnismäßig und willkürfrei sein. Was will ich Freitag um 16:50 Uhr kontrollieren, wenn ich durch die Büros gehe? Können Sie mir das sagen? Ja, im Gesetz steht keine Uhrzeit, wann Gesetze gelten. Aber wenn die Polizei nachts um 2 auf einer menschenleeren, dreispurigen Autobahn bei einer erlaubten Geschwindigkeit von 130 km/h eine systematische mobile Blitzerkontrolle durchführt, ist zu fragen, welchem Zweck das dienen soll, damit die Maßnahme nicht unverhältnismäßig, zielgerichtet und nicht willkürlich erscheint. Eben. Weil das schwer zu begründen ist, wird es selten gemacht.
Und deswegen mag ich die Dänen.
Gesetze sind kein Selbstzweck, wenn der Staat erwartet, dass sich die Bürger daran halten sollen. Die Lektion sollte doch spätestens mit der Pandemie gelernt sein. Sie müssen zielgerichtet, verhältnismäßig und willkürfrei sein.
Völlig richtig. Und ich füge „sparsam eingesetzt“ hinzu. Alte Bundeswehrregel: „Gib nie einen Befehl, dessen Ausführung Du nicht jederzeit zu kontrollieren bereit bist“.
Das Problem zu hoher Regelungsdichte – nach meiner Beobachtung ein Fetisch der Linken – ist ganz einfach: Viele Regeln werden entweder gar nicht mehr oder höchst selektiv kontrolliert. Übrigens zwangsläufig.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ich darf an neue Kulturkampfbestimmungen erinnern, die Gendern in allen Behörden und Schulen verbieten. Stichwort „kleinteilig“ und „muss man nachhalten“.
Huh? Dass Regelsetzung hier überhaupt notwendig wurde, um den illegitimen, nur von einer radikalen Minderheit getragenen, Sprachwechsel über Indoktrination von Minderjährigen zu verhindern, haben sich die progressiven Kulturkämpfer selbst eingebrockt. Die Regelsetzung wäre sonst völlig überflüssig und ich würde Dir begeistert zustimmen. Den Regelfall muss man nicht regulieren, es sei denn, es erfolgt ein gezielter Angriff auf denselben.
Ah, natürlich, die anderen sind schuld, sorry, hatte die Grundregel vergessen.
Yup, sehr eindeutig und nachweisbar 🙂 .
„Jederzeit“ ist unmöglich. Also weg mit der Regel?
Ich auch. Und ich warte auch nachts und drei nicht an einer roten Fußgängerampel, wenn weit und breit kein Auto zu sehen ist. Deshalb kein prinzipieller Widerspruch, ausnahmsweise.
Halt, doch: In der Sache mit den Kontrollen. Die beiden Aspekte lassen sich nicht trennen. Jedenfalls nicht in Bezug auf unser Thema: Falschparken und Rasen. Ein höheres Entdeckungsrisiko führt auch zu weniger Fehlverhalten. Nicht komplett, klar, aber insgesamt.
Will man Autos auf Gehwegen haben („Die Autos müssen ja irgendwo hin“) , dann müsste man das Gesetz ändern. Und damit zugeben, dass einem Fußgänger, alte Leute und Kinder auf Fahrrädern schnuppe sind.
Gut, dass Sie den Raser-Fall anführen. Ein gutes Beispiel dafür, dass sich in der Einstellung dazu etwas geändert hat, in der Gesellschaft, aber auch bei den Gerichten. Noch vor nicht allzu langer Zeit hat man das als „Pech gehabt“ angesehen.Dass illegale Autorennen auf öffentlichen Straßen als Mordversuch eingestuft werden von Gerichten, ist noch keine zehn Jahre her.
Für einen solchen Bewusstseinswandel auch beim Gehwegparken setze ich mich ein. Likal nicht ohne Erfolg. Weit weniger dramatisch, aber auch nicht ohne, wie dargelegt.
In Japan ist Parken im öffentlichen Raum übrigens grundsätzlich verboten, soweit ich weiß (die Gemeinde muss öffentliche Parkflächen explizit als solche freigeben). Parkraum wird so zu einem Arbeitsfeld der Privatwirtschaft, wie es sich für ein zivilisiertes Land auch gehört. Für den Anything-goes-Wildwuchs bei uns kann man sich nur schämen.
Ja!
Genauso könnten Sie auch sagen, einfache und widerspruchsfreie Regeln führen zu weniger Verstößen. Ich wiederhole, was ich vor Wochen gesagt habe: Erst strenge, umfangreiche Regeln machen viele Kontrollen erforderlich. Wenn es heftig schneit, brauchen Sie keine Geschwindigkeitsbegrenzungen. Die Leute fahren automatisch viel langsamer.
Ich bin an vielen Flecken der Welt Auto gefahren und habe geparkt. Es ist immer das Gleiche: in Ballungsräumen ist es schwer, in der Fläche einfach zu parken. Für die Frage, ob Falschparken eine Straftat oder ob Parkräume verknappt werden sollen, ist das alles irrelevant. Und Falschparker mit Raser zu vergleichen halte ich nicht für statthaft.
Ihr Heidelberger seid schon krass. Das scheint aber eher etwas Landsmännisches zu sein. … Heidelberg ist nicht Deutschland.
Als zugezogener Heidelberger (seit 10 Jahren): Stimmt 🙂
@ CitizenK
Was sagen die Semi-Profis dazu, dass die Verwaltungen trotz § 12 StVO (implizit: Verbot Gehwegparken) und Art. 20 Abs. 3 GG („… an Gesetz und Recht gebunden“) seit Jahrzehnten nichts oder kaum etwas unternehmen?
In der Tat, ein großes Ärgernis, unzivilisiert und flegelhaft. Gehwege werden vollgeparkt, und wenn dann aber zusätzlich mal ein Fahrrad auf dem Gehweh abgestellt wird, versperrt natürlich das Fahrrad den Weg. Völlig klar. Abgesehen davon sind die allermeisten Gehwege bautechnisch überhaupt nicht für die Belastung durch Autos ausgelegt. Aber egal. Grünstreifen werden bei Bedarf ja auch vollgeparkt, auch wenn das den Boden so verdichtet, dass er auf Jahrzehnte ökologisch weitgehend tot ist.
Autofahrer dürfen das. Freiheit und Verhältnismäßigkeit und so.
Kann ich nur zustimmen.
Sie stellen die Rechtslage korrekt dar, ziehen aber – nach meiner Auffassung als semi-professioneller Rechtsphilosoph (das kommt auf meine Visitenkarte) verkennen Sie die grundsätzliche Ähnlichkeit der Delikte „Schwarzfahren“ und „Falschparken“ (*) in einem Aspekt:
Das geschützte Rechtsgut ist das Entgelt auf eine Leistung, die – unabhängig von der tatsächlichen Nutzerzahl erbracht wird. Der Zug fährt auch wenn ein Passagier weniger mitfährt und der Parkraum ist ein Solcher auch wenn er unbesetzt ist. Am einfachsten ist die Ähnlichkeit ersichtlich, wenn als Drittvergleich die Leistung „Parken in einem privatwirtschaftlich betriebenen Parkhaus“ betrachtet wird. Auch hier wäre eine „Leistungserschleichung“ denkbar (etwa bei fehlerhaften Schranken). Und da ist es kaum zu übersehen, dass dies (unter dem Aspekt des geschützten Rechtsgutes) eine vergleichbare Situation sowohl mit dem Falschparker als auch dem Schwarzfahrer darstellt.
Insofern ist es gar nicht so abwegig, beide Delikte als in ihrer Natur gleichwertig zu betrachten.
(*) Ich beschränke mich bei „Falschparken“ auf die Situation „Parken ohne Parkticket“. Bei „Parken auf dafür nicht vorgesehenen Flächen“ ist es zu uneinheitlich, welches Rechtsgut durch das Verbot konkret geschützt werden soll – das reicht von „unbeeinträchtigtes Panorama“ über „gesicherte Zufahrt für Rettungskräfte“ bis zu „ungehinderter Verkehr“ (ein Rechtsgut, das ein Kommentator hier für so schützenswert ansieht, dass seine Verletzung „Terrorismus“ darstellt).
Wieder interessant, was Sie da bringen. Dafür erschlage ich Sie jetzt mit Rechtsbegriffen. 🙂
Das geschützte Rechtsgut ist das Entgelt auf eine Leistung, die – unabhängig von der tatsächlichen Nutzerzahl erbracht wird. Der Zug fährt auch wenn ein Passagier weniger mitfährt
Nein. Bei Schwarzfahrern handelt es sich für Ökonomen um Trittbrettfahrer. Lässt sich der Anteil der Trittbrettfahrer einer Leistung nicht kontrollieren, entfällt die Leistung, weil sie für den Betreiber nicht mehr wirtschaftlich zu organisieren sind. Typische Fälle sind hier Bereiche der öffentlichen Sicherheit. In Frankfurt wurde gerade in der Bahnhofsebene eine neue Einkaufsmeile eröffnet. Die Geschäftsinhaber betreiben ausschließlich aus eigenen Mitteln einen privaten Sicherheitsdienst, der gewährleistet, dass sich keine Drogensüchtigen, Bettler und Obdachlose niederlassen. Für die Exklusion der Sicherheitsleistung ist durch die lokale Abgrenzung gesorgt. Jeder Ladenbesitzer muss sich beteiligen. Wenn viele die Zahlungen einstellen würden, könnte der Sicherheitsdienst nicht mehr betrieben werden, Obdachlose und Drogenhändler würden einziehen und Kunden vertreiben.
Damit ein Gut über den Preis organisiert werden kann, muss das Kriterium der Exklusion gewahrt bleiben. Nicht-Zahler müssen von der Nutzung ausgeschlossen werden können. Das ist bei der Bahn und dem ÖPNV auch ziemlich leicht möglich, nur scheint es politisch nicht gewollt. Die Alternative muss dann die harte Bestrafung derjenigen sein, die solches Wohlverhalten ausnutzen.
Was zahlen wir, wenn wir ein Ticket lösen? Einen Preis. Der Preis ist in der Marktwirtschaft die Einlasskarte zu einer Leistung, typischerweise eine, die vom Anbieter mit Gewinnerzielungsabsicht bereitgestellt wird. Der Preis hat dabei wenig mit den Herstellungskosten, sondern hauptsächlich mit den Marktbedingungen zu tun. In Monopolen ist er prinzipiell hoch, in Polypolen mit vielen Anbietern niedrig. Das ist bei der Deutschen Bahn prinzipiell genauso. In den Verträgen des Bahnmanagements steht nicht, die DB solle kostendeckend anbieten.
Davon abzugrenzen ist die Gebühr. Die Gebühr ist ein Betrag, den staatliche Institutionen erheben. Anders als Beiträge gilt kein Äquivalenzprinzip zwischen Leistung und Geldzahlung. Typische Fälle der Gebühr sind die auf die Ausgabe von Personalausweisen und Reisepässen oder die Müllgebühren. Der Staat wird auf die Ausgabe von Pässen nicht verzichten, weil ein paar Bürger die Gebühren für zu hoch erachten. Die Gebühr hat Zwangscharakter und wird dem Bürger auferlegt. Der Bürger kann sich weder der Beantragung eines Passes noch der Müllentsorgung entziehen.
Das ist analog zur Gebühr wegen Falschparkens. Typischerweise enthält ein Falschparker anderen nicht das Gut Parken vor. Zwar sind bestimmte Parkplätze in Ballungsräumen (und nur dort!) manchmal schwer zu finden, aber prinzipiell gibt es umliegend immer genügend Parkhäuser, die zu niedrigeren Preisen anbieten. Und: Wieder prinzipiell, gibt es genügend Parkplätze, denn ähnlich wie Fahrräder und Kinderwagen lässt sich ein Auto auch überall abstellen. Nur, das lässt der Staat zum Schutz anderer Bürger nicht zu und verknappt, auch aus anderen Gründen, den Parkraum im öffentlichen Bereich massiv.
Kurz: Für das Parken ist kein marktwirtschaftlicher Preis, sondern eine Gebühr zu zahlen, die per Zwangsmaßnahme auferlegt wird. Sie steht nicht in Zusammenhang mit Kosten, sondern ist eine Entscheidung der Exekutive. Wer sich der Zahlung einer Gebühr entzieht – egal ob GEZ, Straßennutzungsgebühr, Müll – wird nach dem OWiG bestraft.
Das Argument kann ich akzeptieren, die Kommune tritt hier nicht als Unternehmer auf, da der Zweck der Veranstaltung nicht die Einnahmen sondern das Verhindern von Fehlanreizen ist. Aus diesem Grund ist auch auf dem Parkschein keine Umsatzsteuer. (Damit ist aber das Gerücht widerlegt, dass besonders eifrig kontrolliert wird „wenn die Stadt Geld braucht“ 😉 )
Andererseits ist auch das „erhöhte Beförderungsentgelt“ anders als der normale Fahrpreis beim Schwarzfahren keine Leistung, auf die Umsatzsteuer erhoben wird, sondern hat steuerrechtlich (Straf-) Gebührencharakter (auch wenn von einem privatwirtschaftlichen Unternehmen erhoben).
Vielen Dank für die ausführliche Darstellung im Artikel. Hat einige offene Wissenslücken geschlossen.
Zum Thema Kosten von Falschparken. Deutschland zieht inzwischen langsam nach und gleicht sich den Nachbarländern an. In meinen Augen eine erfreuliche Entwicklung. Was das Thema angeht: der deutsche Autofahrer trägt überproportional zur Finanzierung der Strassen bei. Ich finde das Argument zieht nicht ganz, da KFZ und Mineralölsteuer nicht exklusiv in den Etat des Verkehrsressorts einfliessen. Und abgesehen von der LKW Maut gibt es keine direkten Abgaben im Verkehrsbereich.
Angesichts des Werts von Flächen im grossstädtischen Raum ist Parken nach wie vor zu billig. ich kenne Leute in Köln, vor 20 Jahren ihre ersten Euros, die sie beruflich verdient haben in den Kauf von Garagen und Stellplätzen, investiert haben. Damals haben einige gelacht, inzwischen lacht niemand mehr, denn diese Flächen werfen gutes Geld ab. Aber ich schweife ab.
Die Niederlande machen es vor. Grosszügige Parkflächen am Stadtrand mit sehr billigen Bussen, die dann die Menschen in die Stadt bringen. Kinder 12, sind oft komplett frei. Statt zweispuriger Strassen, reicht dann eine, die andere Spur kann für Fahrräder und Busse verwendet werden. Ob Harlem, Amsterdam, Eindhoven oder Utrecht. Die Innenstädte sind alles, aber nicht verweist, sondern höchst lebenswert. Würde mir wünschen mehr Kommunen in D würden dem Beispiel folgen.
Ich habe das vor einigen Wochen mal aufgeführt. Ein Parkplatz in Berlin Bereich Tauentzienstraße kostet für 24 Stunden 20 Euro. Auf 30 Tage sind das 600 Euro für 10 qm, unmöbliert. Auf eine 3-Zimmer-Wohnung von 60 qm umgerechnet wären das 3.600 Euro. Zu wenig?