Olaf Scholz führt Claudia Roth mit psychischer Gewalt in die arbeitende Oberschicht – Vermischtes 07.05.024

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Hochnäsige Unkenntlichkeit

Olaf Scholz scheint vergessen zu haben, welche Aufgaben ein Bundeskanzler hat. Er vernachlässigt die Führung der Koalition, die Stimmung in der Gesellschaft und Deutschlands Position in der Welt. Scholz hat es versäumt, einen klaren Kurs vorzugeben und die Koalition zu einen. Die Regierungsparteien streiten sich ungebremst, während Scholz sich im Hintergrund hält und seine Führungskompetenz nicht nutzt. Er genießt kaum noch Respekt und hat das Vertrauen einiger Kabinettsmitglieder verloren. Scholz fehlt es an einem klaren Plan und einem angemessenen Umgang mit Unternehmern und Managern. In der Außenpolitik hat er zu einem offenen Zerwürfnis mit Frankreich geführt und Deutschland international in eine seltsame Position gebracht. Wenn Scholz nicht bald die Führung übernimmt, ist er als Bundeskanzler ungeeignet. (Dirk Kurbjuweit, Spiegel)

Ich will nicht großartig Scholz verteidigen, weil ich tatsächlich wenig beeindruckt von ihm, weder von seinen Führungsfähigkeiten her noch von der Politik, die er mit seiner Richtlinienkompetenz vertritt. Dass er keinen Plan hat – geschenkt, er ist Merkel 2.0, dafür wurde er gwählt, das haben wir jetzt. Auf der anderen Seite habe ich aber wenig Geduld für diesen Green-Lantern-ismus, den Kurbjuweit hier zur Schau stellt. Der Bundeskanzler mag der mächtigste Akteur im deutschen politischen System sein, aber er besitzt schlicht nicht die Fähigkeit, Konflikte in einem demokratischen System einfach per Fiat aufzulösen. Das wollen wir eigentlich auch nicht, und diese reflexhaften Rufe nach „Führung“ tun wenig. Scholz im Speziellen hat zudem das Problem, dass er eine sehr schwierige Koalition zu managen hat. Wo genau auftrumpfendes Auftreten hier irgendwie mehr helfen soll, weiß ich nicht. Was im Hintergrund passiert, kann zudem niemand außer den Beteiligten wissen. Er erinnert ein wenig an Kurt Georg Kiesinger, was das angeht, und es ist gut möglich, dass das der korrekte Vergleichsmaßstab hier ist („Wandelnder Vermittlungsausschuss“ und so). Meine Kritik als außenstehender Beobachter wäre eher, dass das Vermitteln nicht so pralle läuft. Aber letztlich haben andere Akteure viel mehr agency und damit auch Verantwortung.

2) Warum Claudia Roth richtigliegt

Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat ein neues, modernisiertes Konzept für die deutsche Erinnerungskultur vorgeschlagen, das neben den bisherigen Schwerpunkten auf nationalsozialistischen Verbrechen und DDR-Diktatur auch die deutsche Kolonial- und Migrationsgeschichte sowie die Demokratiegeschichte Deutschlands einbeziehen soll. Dieser Vorschlag hat heftige Kritik, besonders von bestehenden Gedenkstätten, ausgelöst. Kritiker befürchten eine Unterfinanzierung vorhandener Gedenkstätten und eine Relativierung der NS-Verbrechen. Historiker und Experten, die in den neu hinzukommenden Erinnerungsbereichen arbeiten, wurden in der Debatte bislang wenig gehört. Claudia Roth wird vorgeworfen, einen wichtigen und notwendigen Prozess ohne umfassenden und transparenten Konsultationsprozess angestoßen zu haben, was als schwerer handwerklicher Fehler gesehen wird. Das Konzept soll jedoch nicht nur auf finanzieller Ebene sondern auch in der inhaltlichen Ausrichtung der deutschen Erinnerungskultur eine bedeutende Neuerung darstellen, indem es die Erfahrungen von Migranten und die Geschichte des deutschen Kolonialismus in den Fokus rückt. Es gibt Bedenken, dass dies zu einer finanziellen und inhaltlichen Konkurrenz zu etablierten Erinnerungen führen könnte, was jedoch von Befürwortern des Konzepts bestritten wird. Einige Kritiker befürchten, dass die neue Ausrichtung der Erinnerungskultur die Aufarbeitung und Würdigung des Holocausts gefährden könnte, was jedoch von Roth und anderen Befürwortern zurückgewiesen wird, indem sie auf die Notwendigkeit hinweisen, eine inklusive und zeitgemäße Erinnerungskultur zu schaffen, die auch den historischen Erfahrungen von Migranten und kolonialen Verbrechen gerecht wird. (Jürgen Zimmerer, Spiegel)

Ich denke ebenfalls, dass Roths Initiative richtig ist. Zimmerer betont wenig überraschend positiv die Einbindung der Kolonial- und Migrationsgeschichte, aber der verlangte Fokus auf Demokratiegeschichte ist für mich ebenfalls wichtig. Deutsche Erinnerungskultur ist aktuell doppelt negativ: einmal der Holocaust und die NS-Vergangenheit, andererseits die DDR-Diktatur. Letztere wird oft von einem hohlen Triumphalismus begleitet, der eine Art „Ende der Geschichte“ für die Bundesrepublik zu postulieren versucht. Aber eine Rückbesinnung auf positive, demokratische Aspekte der deutschen Geschichte ist für mich gerade auch vor dem Hintergrund der Versuche der AfD, die NS-Diktatur zum „Fliegenschiss“ zu erklären und eine positive Erzählung für sich zu reklamieren, dringend geboten. Ich sehe in Roths Ansatz Echos von Hedwig Richters „Demokratie – Eine deutsche Affäre“ (hier rezensiert), und die Widerlegung der Kritiker*innen gegenüber diesem Ansatz, die Zimmerer in dem Artikel vornimmt, halte ich unabhängig davon, wie man zu Roths Konzept steht, für völlig zutreffend.

3) The Price We Pay for Having Upper-Class Legislators

Seit 2021 gab es in den USA verstärkte Bestrebungen, die Gesetze zum Schutz von Minderjährigen bei der Arbeit zu lockern. Laut dem Economic Policy Institute haben 28 Bundesstaaten Vorschläge eingebracht, von denen 12 Gesetze verabschiedet wurden, die unter anderem längere Arbeitszeiten für Minderjährige erlauben. Diese Entwicklung wird hauptsächlich von republikanischen Gesetzgebern vorangetrieben und spiegelt eine konservative Agenda wider. Eine Studie zeigt, dass nur 1,6% der Staatsgesetzgeber aus der Arbeiterklasse stammen, während etwa 50% der US-Arbeitskräfte in solchen Berufen tätig sind. Die meisten Staatsparlamente sind Teilzeitinstitutionen mit niedriger Bezahlung, was es Arbeitern schwer macht, ohne finanzielle Einbußen politisch aktiv zu sein. Die aktuelle politische Struktur und der Mangel an Vertretung der Arbeiterklasse führen zu einer Gesetzgebung, die oft nicht die Interessen der breiten Bevölkerung widerspiegelt. Es besteht Bedarf an Reformen, um die politische Teilhabe und Repräsentation zu verbessern. (Jamelle Bouie, New York Times)

Bouie hat vollkommen Recht mit seiner Analyse. Deswegen bekämpften Konservative ja auch stets Diäten für Abgeordnete und polemisieren bis heute gerne gegen den „Berufspolitiker“. Die Struktur einer Honoratiorenpartei ist für diese politische Richtung wesentlich angenehmer. Interessant ist in diesem Zug auch die Rolle des Mehrheitswahlrechts, das es wesentlich schwieriger macht, ohne die entsprechenden Ressourcen gewählt zu werden; da ist eine Listenwahl WESENTLICH besser. Mich stört auch wahnsinnig, wie viele Leute das nicht zu verstehen scheinen, auch professionelle Beobachtende nicht. Die populistische Kritik daran, dass Leute hauptberuflich Politiker*in sind, war schon immer auf rein sachlicher Ebene bescheuert (weil diese Professionalisierung eigentlich ja bezüglich der Kompetenz der Leute gut ist!), macht aber auch demokratietheoretisch überhaupt keinen Sinn. Gleichzeitig wird sie aber immer als besonders demokratisch verkauft.

4) Auch Worte verletzen Kinderseelen tief

Körperliche Strafen in der Erziehung, wie Ohrfeigen oder härtere Maßnahmen, werden von einem signifikanten Anteil der Bevölkerung noch immer als akzeptabel angesehen, obwohl ihre Schädlichkeit wissenschaftlich belegt ist. Besonders Personen, die in ihrer Kindheit selbst solche Gewalt erfahren haben, neigen dazu, diese Praktiken fortzusetzen. Dies zeigt eine Studie der Universitätsklinik Ulm. Darüber hinaus rückt die emotionale Gewalt zunehmend in den Fokus der Forschung. Geringschätzige Bemerkungen oder demotivierendes Feedback können ebenfalls tiefgreifende psychische Schäden verursachen. Der Deutsche Kinderschutzbund und Wissenschaftler betonen die subtile und oft nicht sichtbare Natur emotionaler Gewalt, die in alltäglichen Situationen wie Sportvereinen oder im familiären Umfeld stattfindet. Sabine Andresen und Tobias Hecker heben hervor, dass auch emotionale Gewalt langfristige negative Auswirkungen wie Depressionen oder Ängste nach sich ziehen kann. Die Notwendigkeit einer bewussten und reflektierten Erziehungshaltung wird betont, um solche schädlichen Einflüsse zu vermeiden. (Mark Herwig, NTV)

Wir haben vor längerer Zeit einmal im Zusammenhang mit Tassilo Peters darüber gesprochen, dass Gewalt in der Erziehung auch jenseits von Körperstrafen leider sehr häufig ist. Man kann über die Sinnhaftigkeit dieser Ausweitung des Gewaltbegriffs diskutieren und von mir aus auch andere Begriffe verwenden (ich kenne allerdings eine gute Alternative); das Konzept selbst scheint mir aber völlig unbestreitbar. Verbale und psychische Gewalt haben schwerwiegende Auswirkungen, und wir Erwachsenen wissen oft gar nicht, was wir mit unseren Bemerkungen anrichten. Ich stelle das gerade immer wieder an mir selbst fest. Genauso wie Kinder, die Gewalt erlebt haben, Gewalt an ihren Kindern reproduzieren, so reproduzieren wir Verhaltensmuster unserer Eltern an unseren Kindern. Es ist ein furchtbarer Zyklus, in dem wir die Sünden unserer Eltern an unsere Kinder übertragen, indem wir sie wiederholen. Andere Eltern kennen das vermutlich auch: das „ich mache das mal anders“ weicht allzu oft der Erkenntnis, dass man genau das tut, was man an den eigenen Eltern schrecklich fand. Warum ist die menschliche Psyche so?

5) Von Arbeit und Moral

Der 1. Mai, als internationaler Kampftag der Arbeiterklasse bekannt, symbolisiert den Stolz und das Pathos der Arbeit, das tief in den Traditionen der Handwerker- und Facharbeitermilieus verwurzelt ist. Dieser Tag erinnert an den Wert harter Arbeit und die Forderung nach einem gerechten Anteil am gesellschaftlichen Reichtum, welcher durch die Arbeitskraft der Arbeiterklasse geschaffen wird. Historisch gesehen wurde Arbeit als einziger Weg zu Respekt und Einkommen betrachtet, und es wurde ein Anrecht auf faire Löhne und Anerkennung eingefordert. Heute allerdings wird die Arbeitsethik oft missbraucht, um soziale Spaltungen zu fördern, indem zum Beispiel Angestellte gegen Empfänger von Sozialleistungen ausgespielt werden. Dies zeigt sich in Debatten um das Bürgergeld, wo Arme oft als motivationslos dargestellt werden. Die rhetorische Vereinnahmung des Arbeitsbegriffs durch konservative und rechtsextreme Gruppen dient dabei der Delegitimierung des Wohlfahrtsstaates. Die moderne Arbeitswelt und ihre Herausforderungen sind vielschichtig. Trotz der ökonomischen Fortschritte und gestiegenen Anerkennung, fühlen sich viele Arbeiter austauschbar und unterbewertet. Diese Unsicherheit und die zunehmende Individualisierung führen zu einem Rückzug ins Private und zu einem Anstieg des depressiven Individualismus in unteren sozialen Schichten. Politische Bewegungen und die Europäische Union haben jedoch begonnen, auf diese Veränderungen zu reagieren, indem sie Mindestlohnrichtlinien einführen und die Tarifbindung stärken. Diese Entwicklungen zielen darauf ab, die Bedingungen für die Arbeiterklasse zu verbessern und ihnen eine stärkere Stimme und Sicherheit in der modernen Arbeitswelt zu geben. (Robert Misik, taz)

Wir haben gerade ja einmal mehr die große „Debatte“ um Arbeitszeiten und Arbeitskultur, die letztlich vor allem das Wiederkäuen irgendwelcher moralischer Standpunkte ist. Die Vorstellung, dass „die Deutschen“ gerade irgendwie zu faul seien und dringend mal wieder in die Hände spucken müssen, um das Bruttosozialprodukt zu steigern, ist kaum totzukriegen. Ich halte von dieser Idee nicht viel, aber die moralisierende Forderung, dass (natürlich andere) mehr arbeiten müssten (man selbst arbeitet ja bereits hart), erschallt in letzter Zeit besonders aus konservativen Kreisen. Neu ist daran nichts, und an und für sich wäre es auch nicht ernstzunehmen, wenn es nicht reale Folgen in der Arbeitsmarkpolitik hätte, wo diese ideologischen Versatzstücke die Lebensrealität von Millionen Menschen betreffen.

Die von Misik besprochene Überhöhung von Erwerbsarbeit durch Linke ist denke ich auch ein guter Punkt für die stetige Frage nach der Ursache des Abstiegs der Sozialdemokratie: Der „Abschied vom Malocher“ hat dazu geführt, dass die Identitätsbindung daran abgenommen hat. Der Dienstleistungssektor hat nie dieselbe identitäre Bindungskraft entwickelt wie der industrielle, weswegen diese Rufe nach „mehr Arbeit“ und „härter Arbeiten“ da auch nicht so gut funktionieren.

Die genau entgegengesetzte Kolumne findet sich im Spiegel von Henrik Müller, der in das Horn des mehr Arbeitens bläst.

Resterampe

a) Porträt von Serap Güler.

b) Sehr guter Artikel zu den Campusprotesten in den USA. Siehe dazu auch Vox.

c) Germany should get serious on de-risking. Werden wir aber nicht.

d) Die Hybride scheinen eine weitere Sackgasse zu sein, mit viel Tramtram, Lobbyarbeit und Subventionen.

e) Lesenswerter Essay zur Geschichte der Zwischenkriegszeit.

f) The Trumpification of the Supreme Court. SKOTUS, Supreme Kangoroos of the United States.

g) Auch ein blindes Aiwanger findet einmal ein Korn.

h) Ernährung am Existenzminimum.

i) Musks Businessstrategie ist weird.

j) How The Phantom Menace Predicted Hollywood’s Prequel Future.

k) Giving poor people money helps them find homes. Einmal mehr.

l) AI is going to replace low-wage workers. Jepp, viel zu wenig diskutiert.

m) Auch bei der Cicero gilt: Cancel Culture ist immer nur, wenn es die anderen machen.

n) Rechtschreibung in der Schule, Philologen gekonnt am Thema vorbei.


Fertiggestellt am 02.05.2024

{ 129 comments… add one }
  • Lemmy Caurion 7. Mai 2024, 08:46

    Zu 1) Scholz kann man nicht schönreden. In der Vergangenheit hatten wir Kanzler, die auch unter widrigen Umständen das Heft des Handelns in die Hand nahmen. Helmut Schmidt regierte v.a. am Ende sogar gegen seine eigene Partei.
    Noch so ein Kanzler wie Scholz und ich bin dafür, dass wir uns aussenpolitisch Paris unterordnen oder im Falle eines liberal regierten Polens einer Achse Paris-Warschau. Dieses permanent Schlingern und Zaudern kann weder den Deutschen noch unseren Verbündeten zugemutet werden.

    • Stefan Sasse 7. Mai 2024, 08:58

      Und wie erfolgreich war Schmidt damit?

      • Kning4711 7. Mai 2024, 09:39

        Betrachtungsweise:
        Die Regierung wurde abgewählt – die Durchsetzung des Doppelbeschlusses wurde aber umgesetzt und die Nachrüstung beschleunigte sogar noch den Zerfall der Sowjetunion.
        Als Bundeskanzler gescheitert, als Staatmann und für die Nation die richtige Entscheidung.

        • Stefan Sasse 7. Mai 2024, 13:05

          Oh, zweifelsohne, der Doppelbeschluss war richtig. Verstehe worauf du rauswillst.

      • Lemmy Caution 7. Mai 2024, 10:41

        Er blieb vielen Leuten im In- und Ausland in guter Erinnerung. Wirtschaftspolitisch wehrte er die damals nicht praktikablen Ideen der SPD Linken gemeinsam mit der FDP ab. In der Bundestagswahl 1983 konnte die SPD ein für den Zeitgeist achtbares Ergebnis erzielen.

        • Stefan Sasse 7. Mai 2024, 13:06

          Ich weiß, dass er einen guten Ruf hat. Ich halte ihn aber für einen nicht so guten Parteipolitiker.

          • Dennis 7. Mai 2024, 13:42

            Diese Einschätzung – mal angenommen, sie trifft zu – spricht allerdings für Schmidt.

            • Stefan Sasse 7. Mai 2024, 20:01

              Warum?! Das ist eine wichtige Fähigkeit, die ein Regierungschef mitbringen muss.

          • Erwin Gabriel 7. Mai 2024, 14:16

            @ Stefan Sasse 7. Mai 2024, 13:06

            Ich weiß, dass er einen guten Ruf hat. Ich halte ihn aber für einen nicht so guten Parteipolitiker.

            Ich glaube, er hat sich als Staatsmann gesehen. Von den Prioritäten Europa, Deutschland, Partei landete die SPD wohl eher auf dem letzten Platz. Definitiv nicht der richtige für „wasch mich, aber mach mich nicht nass“.

            • Stefan Sasse 7. Mai 2024, 20:01

              Ja, genau. Aber das beschnitt seine Effektivität als Regierungschef.

              • Lemmy Caution 7. Mai 2024, 20:42

                Ein Großteil der SPD wollte Anfang der 80er so etwas, was Mitterand in seiner ersten Amtszeit in Koalition mit Kommunisten und anderen Linken 1982 versuchte. 1984 zerplatzte diese Blase und die extreme Linke verließ die Regierung. Das war völlig unrealistisch. Die FDP hätte da eh niemals mit gemacht und das Wahlvolk auch nicht.

          • Lemmy Caution 7. Mai 2024, 19:22

            Schmidt ging Konflikten nicht aus dem Weg. Vor seiner Zeit als Bundeskanzler hieß er „Schmidt Schnauze“ wegen seiner großen Klappe. Den 68-geprägten Nachwuchs der SPD Anfang der 80er verachtete er.
            In der zweiten Hälfte der 60er bildete er gemeinsam mit Wehner und Brandt das in der Partei akzeptierte Führungs-Trio der SPD.
            International spielte er auch eine wichtige positive Rolle in diesen Finanzkonferenzen, nachdem die USA die Gold-Bindung aufgab und wir in dieses neue System freier Wechselkurse übergingen.
            Ein guter Kanzler braucht etwas autokratisches.

          • Thorsten Haupts 8. Mai 2024, 11:57

            Schmidt ist der nach Merkel meistüberschätzte deutsche Kanzler dieser Republik. Erreicht hat er fast nichts bemerkenswertes, die NATO-Nachrüstung jedenfalls war militärisch sinnlos und politisch nur wichtig als Zeichen dafür, dass die NATO den Selbstbehauptungswillen nicht verloren hatte. Dafür allerdings war der Falkland-Krieg vermutlich wichtiger, weil er Worten auch Taten folgen liess.

      • sol1 8. Mai 2024, 13:27

        Er wurde Herausgeber der ZEIT und konnte so ungestört an seinem Image feilen.

  • Kning4711 7. Mai 2024, 09:37

    aber er besitzt schlicht nicht die Fähigkeit, Konflikte in einem demokratischen System einfach per Fiat aufzulösen.

    Er kann natürlich nicht die Unstimmigkeiten zwischen FDP und Grünen vom Tisch wischen. Aber er müsste viel mehr daran arbeiten, dass die Konflikte geräuschloser im Hintergrund abgewickelt werden. Die Außendarstellung der Regierung ist fürchterlich, obgleich die Bilanz in einigen Teilen sogar okay ist, wird das komplett durch die Kakophonie der Agierenden verdeckt.

    Die Koalition von 1966 bis 1969 mit Kanzler Kiesinger, war auch keine Liebeshochzeit, aber die Zusammenarbeit war deutlich besser. Von einer Zusammenarbeit wie von Strauss und Schiller, können Lindner und Habeck nur träumen. Die FRaktionsvorsitzenden Barzel und Schmidt sorgten für die entsprechende Unterstützung im Bundestag. Das Quartett Mützenich, Hasselmann/Dröge und Dürr scheinen sich da deutlich schwerer zu tun. Kiesinger und Brandt blieben sich immer fremd, aber immerhin orchestrierten sie Arbeitsklima, so dass die Koalition schwierige Themen bewältigen konnte.

    Und genau das ist das, was mir bei Scholz am meissten fehlt. In einer Koalition mit drei Partnern brauchst Du als Kopf einen Integrator, der Brücken baut und sich auch zurücknehmen kann. Der eben auch hinter den Kulissen den Kopf waschen kann. Das scheint ihm von Außen betrachtet völlig abzugehen.

    Die Konzeptlosigkeit in der Strategie der deutschen Außenpolitik ist nicht Scholz und Baerbock allein anzulasten, die stehen da in bester Tradition ihrer Vorgänger. Es gibt weder ein Konzept für Europa, noch für Außen- und Sicherheitspolitik – das ist leider nur Stückwerk.

    • Stefan Sasse 7. Mai 2024, 13:03

      Ja, teils. Auf der anderen Seite kann er sich die Leute nicht schnitzen. Wenn die Stress schieben, kann er sie nur bedingt disziplinieren. Und die SPD hatte den mächtigen Anreiz, Regierungsfähigkeit beweisen zu müssen.

      • Erwin Gabriel 7. Mai 2024, 14:18

        @Stefan Sasse 7. Mai 2024, 13:03

        Und die SPD hatte den mächtigen Anreiz, Regierungsfähigkeit beweisen zu müssen.

        Den bleibt sie halt schuldig.

        • Kning4711 7. Mai 2024, 15:41

          Weil es eben auch kein Kraftzentrum gibt – da sind die Parteivorsitzenden, die aber kaum Gewicht in der Fraktion haben. Dann die SPD Fraktion, die nicht weiss was sie eigentlich sein möchte. Die Ministerriege scheint aus Einzelkämpfern zu bestehen und dann noch ein Kanzler mit einem Kanzleramt, was offenbar gerne zögert und zaudert.

        • Stefan Sasse 7. Mai 2024, 20:02

          1966-1969?!

          • Kning4711 8. Mai 2024, 11:47

            Das Kraftzentrum der ersten GroKo waren Barzel und Schmitt die hatten ihre Fraktionen so im Griff, dass die Regierung ihre Arbeit gut umsetzen konnte.

            • Stefan Sasse 8. Mai 2024, 12:17

              Jo, aber damals war Fraktionsdisziplin halt noch völlig anders verankert, besonders in der SPD.

  • cimourdain 7. Mai 2024, 09:38

    1) Sorry, aber man muss doch trennen, was regierungsintern läuft und was nach außen kommuniziert wird. Nach innen hat der Bundeskanzler die Richtlinienkompetenz und damit die letzte Entscheidungsgewalt, die er auch nutzen muss/müsste.
    Da aber nach außen immer noch Ressortchefs ihre Streitigkeiten austragen, ist diese nicht sichtbar und Bürgery weiß schlicht nicht, ob Scholz seine Führungskarte schon gespielt hat oder noch abwartet.

    2) Es ist doch einfach, je größer die Auswahl an „Erinnerungsthemen“ ist, desto subjektiver die Auswahl. Schon wenn man ‚nur‘ die NS-Verbrechen betrachtet, fällt eine stark unterschiedliche Fokussierung auf: Holocaust wird natürlich wahrgenommen, Porajmos schon viel weniger, Homosexuelle haben die Anerkennung als Opfergruppe erkämpft, das Euthanasieprogramm wird totgeschwiegen, von „Asozialen“ schweigt der Erinnerungspolitiker lieber, etc… Und man sieht genau an der wechselseitig selektiven Instrumentalisierung des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion, wohin die Reise geht, die einen schauen nur auf die ermordeten Russen, die anderen nur auf die ermordeten Ukrainer, bei Gedenkveranstaltungen wird selektiv ausgeladen. Genauso wird bei Roths „Such dir was schönes aus“ Erinnerungskultur auf einmal der Kolonialismus in Kiautschou nicht interessant, wenn China „Systemkonkurrent“ ist.
    Und es geht sicher lieber keiner an die langen Linien, die Kontinuität der inneren Unterdrückung durch Polizei- und Obrigkeitsstaat sowie Militarismus (gewissermaßen die dunkle Seiten des von dir angemahnten Demokratiegedenkens) quer durch die Systeme.

    3) Sieht es denn bei uns denn so viel besser aus? Wie viele unserer Mandatsträger kommen aus den unteren 50 %?

    4) Natürlich ist emotionale Gewalt Gewalt. Ich habe Macht über jemand, der sich nicht adäquat wehren kann und schade ihm damit (nachhaltig). Das Problem daran ist, dass das oft nicht bewusst ausgeübt wird und oft genug sehr viel mehr als Problem der Eltern zu sehen ist. Ein Extrembeispiel für Kindesmisshandlung aus psychischen Problemen ist das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom.

    5) Misik könnte umgekehrt die linke Traditionslinie des weniger Arbeiten erwähnen, Paul Lafargues „Lob des Müßiggangs“ oder den Gewerkschaftskampf für kürzere Arbeitszeiten, Urlaub, Krankenfreistellung etc..

    • Stefan Sasse 7. Mai 2024, 13:05

      1) Schon richtig, aber man muss wie gesagt zwischen dem Möglichen und dem „Ideal“ unterscheiden.

      2) Ok, aber was folgt? Du musst das ja austragen und ausdiskutieren.

      3) Mehr.

      4) Ja.

      • cimourdain 7. Mai 2024, 16:49

        2) i) Trenne, was als Erinnerungskonsens gesellschaftlich gegeben ist und was der politischen Zeitgeistdiskussion unterworfen. Das Erinnern an den Holocaust ist deshalb so „erfolgreich“, weil es innerhalb des akzeptablen Overton-Fensters außer Diskussion steht. Ebenso das Erinnern an die Menschlichkeitsverbrechen der DDR (zumindest in Westdeutschland).
        ii) Aber bei anderen Themen scheiden sich schnell die Geister. War das Kaiserreich eine nach innen wie außen eine verbrecherische Autokratie oder ein Fortschritt in die richtige Richtung? Ist die Immigration seit 1990 positiv zu bewerten ?
        iii) Es geht auch um Geld. Die Fördermittel sind begrenzt und werden eher noch begrenzter. Was für das neue Projekt A eingesetzt wird, fehlt bei Projekt B. [Das erklärt auch ein wenig den Backlash bei den ‚etablierten‘ Gedenkeinrichtungen]
        iv) Auch die Aufmerksamkeiten sind begrenzt und nur weil eine Gedenkinstitution da ist, heißt das nicht, dass sie auch etwas bringt. Nimm den Gedenktag „Volkstrauertag“: Der geht ziemlich unter, weil er nie wirklich als Gedenktag gepflegt wurde. (liegt auch daran, dass er keiner politischen Ausrichtung ins Konzept passt)
        v) Für das Erinnerungsthema „Demokratie“ haben wir zwei sehr markante Gedenkorte: Das Reichstagsgebäude in Berlin und die Paulskirche in Frankfurt. Ob da ein künstliches Denkmal einen Gedenkgewinn bringt, weiß ich nicht.

        • Stefan Sasse 7. Mai 2024, 20:06

          i) Richtig.
          ii) Das Holocaustgedenken war JAHRZEHNTELANG in der BRD genauso umstritten. Der heutige Konsens besteht erst seit den späten 1990er Jahren!
          iii) Selbstverständlich!
          iv) Völlig nachvollziehbar.
          v) Naja, schaden wird’s auch nicht.

          • Stefan Pietsch 7. Mai 2024, 20:59

            ii) Falsch. Den Konsens gibt es spätestens seit Weizäckers Rede 1985, eigentlich schon wesentlich früher in den Siebzigern. Da habe ich übrigens gelebt. Die Holocast-Serie hat das Thema lebendig gemacht.

            • Stefan Sasse 8. Mai 2024, 07:53

              Du wirst es kaum glauben, aber ich beschäftige mich professionell mit dem Thema. Weizsäckers Rede war ein wichtiger Meilenstein, und die Rolle von „Holocaust“ kann nicht hoch genug geschätzt werden. Der KONSENS, der es außerhalb des diskutierbaren Rahmens gestellt hat, kam aber erst später.

              • Stefan Pietsch 8. Mai 2024, 08:45

                Das glaube ich Dir unbesehen, nur scheinen Deine Quellen nicht über jeden Zweifel erhaben. Deine Darstellungen und Erläuterungen passen manches Mal nicht mit den eigenen Erinnerungen (subjektiv), aber auch Fakten wie Zahlen (objektiv) zusammen. Erstmals ist mir das in Deiner Serie über Deutschlands Kanzler aufgefallen. Da hast Du erzählt die Stoltenberg‘sche Steuerreform habe zu großen Steuerausfällen geführt. Nichts davon war wahr. Du bist jedoch bei Deiner Darstellung geblieben, denn Du begibst Dich weder in die Welt der Zahlen noch zweifelst Du an Deinen Quellen.

                Ich habe bereits Anfang der Achtzigerjahre den SPIEGEL wöchentlich gelesen. Streit oder Zweifel am Holocaust war in der Zeit längst kein Thema mehr. Das bestritten nicht einmal die Vertreter der Vertriebenenverbände, zumindest nicht in offiziellen Äußerungen. 1987 zog ich (notgedrungen) für die Dauer von einem Jahr in eine schlagende rechte Burschenschaft. Veranstaltungen mit „Alten Herren“ gab es auch und ich kann mich an einen Abend mit einem sehr konservativen CDU-Landespolitiker erinnern, damals eine Größe in der hessischen Partei. Da wurde zwar so manches gesagt, aber nicht die Gräuel der Nazi-Diktatur bestritten.

                Das mag Dir alles fremd und unglaubwürdig erscheinen, weil es nicht so mit Deinen Geschichtsschreibungen zusammentritt, an die Du glauben willst. Nur scheinst Du keine Ahnung zu haben, wie verfemt damals alles Rechte war. Und die Geschichte mit meiner Schulklasse ist in dieser Form wahr, niemand wollte als rechts oder nur konservativ gelten. Und selbstverständlich waren alle für die völlige Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs.

                Eigentlich sollten Historiker aus der Forschung zur Geschichte des Dritten Reiches gelernt haben, dass Berichte von Zeitzeugen durch nichts zu ersetzen sind.

                • Thorsten Haupts 8. Mai 2024, 11:51

                  Merci, das ist sogar fast exakt meine Wahrnehmung aus der fraglichen Zeit. Weizsäckers Rede von 1985 war der Schlusspunkt einer langer vorlaufenden Entwicklung und mitnichten deren Eröffnung.

          • cimourdain 8. Mai 2024, 07:07

            ii) Die KZ-Gedenkstätte Dachau ist seit den 60ern eine solche.

            v) aber kosten, siehe iii)

            • Stefan Sasse 8. Mai 2024, 07:54

              ii) Und?

              v) Ja.

              • cimourdain 8. Mai 2024, 11:23

                ii) Beispiel, wie ein zuerst abstrakter Erinnerungsort erst durch das graduelle Entstehen von Bewusstsein zwischen 1968 und 1990 (da hat Herr Pitesch durchaus die richtige Größenordnung und Kernmomente genannt) an Bedeutung gewann. Für 80er Schuljahrgänge in der Münchner Gegend war ein Besuch der Gedenkstätte „normal“.

        • CitizenK 8. Mai 2024, 07:59

          Positive Bezugspunkte zu de frühen Wurzeln, auch wenn die immer wieder gekappt wurden: Die Gedenkstätten, die BP Heinemann ins Leben gerufen hat. Hambacher Schloss, Rastatt, Friedrich Ebert Gedenkstätte in Heidelberg.

          • cimourdain 8. Mai 2024, 11:17

            Interessante Liste. Rastatt ist im wesentlichen ein historisches Museum, das wenig emotionalisiert; Heidelberg kannte ich noch nicht, kann dazu nichts sagen ; Hambach versucht die AfD gerade für sich zu vereinnahmen, wie es vorher schon die (nicht immer 100%-demokratischen) Studentenverbindungen geschafft haben..

    • destello 7. Mai 2024, 17:52

      „Natürlich ist emotionale Gewalt Gewalt. Ich habe Macht über jemand, der sich nicht adäquat wehren kann“.
      „Gewalt“ ist das beste Beispiel für etwas, was ich von Herzen ablehne. Die Ausweitung eines Begriffs auf Bereiche die damit nichts zu tun haben. Gewalt is, bzw. war, wenn jemand was in die Fresse bekommt, fertig. Das hat auch nichts mit Macht zu tun. Wenn zwei ebenbürtige Strassenschläger sich kloppen ist das natürlich Gewalt, auch wenn niemand Macht über den anderen hat, weil sie eben ebenbürtig sind. Psychische Gewalt, indirekte Gewalt (Nötigung), systemische Gewalt: das hat alles nichts mit der ursprünglichen Bedeutung des Wortes zu tun, aber das Wort wird jetzt für alles Mögliche benutzt, weil es halt so schön triggert.

      • cimourdain 8. Mai 2024, 09:56

        Eine konsistente Haltung, ich bin auch misstrauisch, wenn jemand sich als Gewaltopfer darstellt, weil er eine halbe Stunde hinter einem Lastwagen im Stau steht.
        Aber das Problem dessen, was als psychische Gewalt bezeichnet wird, dass man ganz ohne Schläge langfristige emotionale Schmerzen oder sogar Schäden zufügen kann, existiert. Und wie Stefan schreibt, wir haben keinen besseren Begriff.
        Und in Bezug auf die Machtkomponente bei „Gewalt“, so war diese ursprünglich der Kern des Gewaltbegriffs. Worte wie Staatsgewalt, Gewaltmonopol oder Gewaltenteilung sind noch Relikte dieses Bedeutungsanteils.

      • Thorsten Haupts 8. Mai 2024, 13:33

        Fasst hervorragend zusammen, was ich auch denke. Dank dafür.

  • Stefan Pietsch 7. Mai 2024, 10:51

    1) Hochnäsige Unkenntlichkeit

    er ist Merkel 2.0, dafür wurde er gwählt, das haben wir jetzt.

    Das kann man sich natürlich so hinbiegen, doch warum haben die Wähler im Sommer 2021 Markus Söder als Kanzler favorisiert und zuvor Annalena Baerbock? Und warum inszenierte sich Olaf Scholz in der Schlussphase des Wahlkampfes als Wiedergänger von Helmut Schmidt? Unterschiedliche Typen, Söder und Schmidt gerade wegen ihrer zupackenden Art bekannt, aber alles Ebenbilder von Angela Merkel?

    Der Bundeskanzler mag der mächtigste Akteur im deutschen politischen System sein, aber er besitzt schlicht nicht die Fähigkeit, Konflikte in einem demokratischen System einfach per Fiat aufzulösen. Das wollen wir eigentlich auch nicht, und diese reflexhaften Rufe nach „Führung“ tun wenig.

    Auch die Behauptung ist mehr als fragwürdig. Es ist eine langjährige Beobachtung, dass führungsstarke Politiker als Ministerpräsidenten hohe Zustimmungswerte einheimsen. Selbst jemand wie der Hesse Roland Koch, wahrlich kein Sympathieträger, konnte mit seiner Persönlichkeit die absolute Mehrheit im sehr sozialdemokratisch geprägten Hessen holen.

    Die Meinungsumfragen zeigten lange eine Ablehnung gegen die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine. Als jedoch Scholz seine Position änderte und sich zur Lieferung entschloss, drehten sich auch die Mehrheiten. Die Leute mögen das Fiat. Linke Politiker und Milieus mögen es nicht.

    Und das ist eines der Probleme dieser Koalition. Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner vereinbaren etwas – wie z.B. die Sparvorgaben für die Ministerien. Anschließend torpedieren sozialdemokratische und grüne Minister die Vereinbarung. So gibt es einige Beispiele. Die Grünen – und zunehmend auch die Sozialdemokraten haben kein allgemein akzeptiertes Machtzentrum.

    Gestern attackiert der SPD-General Kevin Kühnert den Koalitionspartner FDP aufs Heftigste und macht ausgerechnet die Liberalen für das Versagen der SPD-Bundesbauministerin und die Nicht-Erfüllung des Wahlversprechens, jährlich 400.000 Wohnungen zu bauen, verantwortlich.

    Tatsächlich bereiten sich alle Ampelpartner auf den Koalitionsbruch im Herbst diesen Jahres vor. In den Parteizentralen fehlt die Überzeugung, dass sich die aufeinander zurasenden Züge – höhere Staatsausgaben auf der Linken, Begrenzung der Staatsausgaben bei der FDP – noch aufhalten ließe. Zum einen geht es um die Aufstellung des Haushalts für das Wahljahr 2025. Zum anderen aber hat Karlsruhe angekündigt, noch in diesem Jahr ein Urteil zum Solidaritätszuschlag zu fällen. Sollten die Richter den Soli ab 2020 für verfassungswidrig erklären, müsste der Bund 50 Milliarden Euro plus 6% Verzugszinsen an die Steuerzahler zurückerstatten. Es ist undenkbar, dass sich Parteien hier einigen können, bei denen die einen sagen, jede Steuersenkung sei Teufelszeug und die anderen jetzt den Zeitpunkt für Erleichterungen gekommen sehen.

    Übrigens hatte ich ein mögliches Urteil zum Soli schon im Winter 2021 als zentrales Problem ausgemacht. Die FDP bekäme bei einem positiven Urteil die Steuersenkung durch die Hintertür. Mal sehen, wie es um meine hellseherischen Fähigkeiten bestellt ist. 😉

    • Stefan Sasse 7. Mai 2024, 13:08

      1) Ich habe keine Inszenierung als Schmidt in Erinnerung. Das hat Steinbrück erfolgslos 2013 versucht, daran kann ich mich erinnern. Und Wählendenpräferenzen sind bekanntlich wankend.

      Ich teile deine einschätzungen weitgehdend, mich irritiert aber dein Fantum für die FDP.

      • Erwin Gabriel 7. Mai 2024, 14:32

        @ Stefan Sasse 7. Mai 2024, 13:08

        Ich teile deine einschätzungen weitgehdend, mich irritiert aber dein Fantum für die FDP.

        Warum?

        Die Regierung geht auf alles los, was Geld hat, erschwert den Unternehmen das Leben mit Vorschrift um Vorschrift, SPD und Grüne wollen aberwitzige Summen ausgeben, obwohl der Nachweis erbracht ist, dass man das Geld nicht auf die Straße kriegt, sondern nur ausgeben kann.

        Bei der aktuellen Gesetzeslage ist es beispielsweise unmöglich, sozialen Wohnungsbau zu betreiben; Lösungsansätzen wie etwa seriellem Bauen steht die Bürokratie von 16 voneinander abweichenden Landesbauvorschriften gegenüber, die deutschlandweit geltende Lösungen massiv erschweren; gegenüber dem Ausbau von in Städten massig vorhandenen Dachstühlen legt der Brandschutz (der hier DEUTLICH strenger ist als in den Niederlanden) ein massives Veto ein.

        Das Geld kann man ausgeben, sicherlich, und Ergebnisse erzielen, die sich über Mieten nicht hereinholen lassen, selbst wenn der Staat 10 Euro pro Quadratmerter drauflegt (eine Summe, die man eigentlich mitkalkulieren müsste, die dann aber in einem anderen Haushalt auftauschen).

        Die einzige Regierungspartei, die diesen Scheiß nicht mitmacht, ist die FDP – nicht wirklich toll, aber mit weitem Abstand das kleinste Übel.

        Alles, was SPD und Grüne derzeit vorschlagen, kostet irre viel Geld, weil die wahren Probleme nicht angegangen werden. Und für jeden 100-Milliarden-Euro-Schattenhaushalt kannst Du die gleiche oder mehrfache Summe drauflegen, bis die angestrebten Ergebnisse halbwegs erreicht sind.

        • Stefan Sasse 7. Mai 2024, 20:02

          Naja, das ist halt eine parteipolitisch gefärbte Sicht. Die kann man ja haben, das ist null Problem. Aber jemand, der den Anspruch vertritt, objektiv zu sein, sollte sich davon distanzieren können, und das sehe ich hier nicht.

          • Erwin Gabriel 8. Mai 2024, 16:34

            @ Stefan Sasse 7. Mai 2024, 20:02

            Naja, das ist halt eine parteipolitisch gefärbte Sicht. Die kann man ja haben, das ist null Problem. Aber jemand, der den Anspruch vertritt, objektiv zu sein, sollte sich davon distanzieren können, und das sehe ich hier nicht.

            Da kann ich Dir nicht folgen, Es sei denn, U vertrittst den Standpunkt, dass jeder, der eine Meinung vertritt, eine parteipolitische Sicht hat, wenn eine Partei die gleiche Sicht hat.

            Ich bin losgelöst von jeder Partei so sozialisiert, dass in erster Linie ich sselbst für mein Schicksal verantwortlich bin. Und als jemand, der zweimal den Schritt in die Selbstständigkeit versuchte und daran scheiterte, ist mir das Thema Unternehmensführung geläufig genug, um zu verstehen, dass ein Chef nicht nur scheffelt.

            Zum Thema Schulden sehe ich, dass das Geld nicht auf die Straße kommt, dass keine oder für die eingesetzten gewaltigen Beträge viele zu „kleine“ Ergebnisse herauskommen. Heben wir dutzendfach probiert, hat dutzendfach nicht geklappt, also halte ich weitere Versuche für sinnlos, etc.

            Gib mir gerne andere Parteien, die das ebenfalls so sehen.

            • Stefan Sasse 10. Mai 2024, 08:45

              Ich bin auch ohne Partei sozialisiert. Ich sehe mich keiner zugehörig. Trotzdem werde ich von Stefan ständig mit den Grünen in einen Topf geworfen. Ich teile viele deren politischer Ansichten, von daher, fair enough. Aber dann muss er sich umgekehrt dasselbe für die FDP gefallen lassen. Entweder beide oder keiner.

              • Stefan Pietsch 10. Mai 2024, 09:25

                Ich stehe in wirtschafts-, steuer-, finanz- und umweltpolitischen Fragen ziemlich überlappend zur FDP. In gesellschaftspolitischen Bereichen habe ich einiges Trennende. Das ist nie ein Geheimnis und deswegen kann ich FDP-Positionen in erstgenannten gut verteidigen. Für das persönliche Verhalten von Politikern sind sie selbst verantwortlich. Ich erwarte ja auch nicht, dass Du mit der Buddha-Haltung der Parteisprecherin konform gehst oder zu Klimaprotesten aufrufst. Nur, wenn Du strafrechtlich relevantes Verhalten rechtfertigst oder nur nivellierst, wenn Du Dich aus Gründen der angeblichen Erkenntniserweiterung teils Minderjähriger mit Straftätern zusammensetzt, nicht aber mit Vertretern einer gesellschaftlich relevanten Partei, setzt Du Dein Verhalten der Diskussion aus.

          • Erwin Gabriel 8. Mai 2024, 16:37

            Nachtrag zum Thema Bürokratie; hier ein Auszug aus einem Beitrag eines Geschäftsführers von einem der größten und erfolgreichsten Bauunternehmen.

            Bürokratie ist grundsätzlich wichtig und richtig. Sie sorgt für Ordnung, Verlässlichkeit, Rechtssicherheit. Erst wenn sie ausufert, lähmt oder gar blockiert, wird sie zum Problem. Dass Deutschland in einer Komplexitätsfalle steckt, ist für viele Bauherren, Planer und Bauunternehmen im Umgang mit Behörden deutlich spürbar. Doch es hilft uns nicht weiter, wenn Wirtschaft und Verwaltung mit dem Finger aufeinander zeigen. Wir sollten vom Reden ins Handeln kommen, konstruktiv sein und die Zusammenarbeit stärken. Aufgrund der Erfahrungen von WOLFF & MÜLLER möchte ich einige Vorschläge unterbreiten, wie uns das gelingen kann. Zunächst jedoch ein konkretes Beispiel aus der Praxis, das ganz gut verdeutlicht, wo die Schwierigkeiten liegen.

            Bei einem Büro-, Geschäfts- und Wohngebäude in einer deutschen Großstadt haben wir einen wahren Ämter-Hürdenlauf miterlebt. Im Herbst 2020 reichte der Bauherr beim städtischen Baurechtsamt den Bauantrag ein. Bis wir dann bauen konnten, dauerte es fast zweieinviertel Jahre. In dieser Zeit wechselten häufig die Vorgaben von Baurechtsamt, Stadtplanungsamt und Gestaltungsbeirat.

            Vier Monate nach Baubeginn reichte der Bauherr beim Baurechtsamt eine Tektur, also eine Korrektur des schon genehmigten Bauplans, ein: Die Raumaufteilung im Unter- und Erdgeschoss hatte sich geringfügig verändert, um das Gebäude barrierefreier und funktionaler zu gestalten. Solche kleinen Anpassungen sind im Bauprozess durchaus üblich. Doch das Baurechtsamt verweigerte eine direkte Kommunikation und Abstimmung vor Einreichen der Tektur, bewertete diese als neuen Bauantrag und gab sie erneut in den Ämterumlauf. Es folgte ein faktischer Baustopp wegen weiterer fehlender Baufreigaben, der den Bauherrn mehrere Hunderttausend Euro kostete – pro Monat! Erst nach vier Monaten wurden die Änderungen genehmigt, sodass wir endlich weiterbauen konnten.

            Das Beispiel zeigt, dass Akteure wegen zu komplizierter Verwaltungsprozesse, fehlender Kommunikation und mangelnder Transparenz viel Zeit, aber auch viel Geld verlieren können. Das belastet nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Stadt und ihre Bürger – zum Beispiel, weil sich dringend benötigter Wohnraum verzögert, verteuert oder wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit gar nicht erst entsteht.

            Fantum – ja, nee, is‘ klar

            https://www.linkedin.com/pulse/raus-aus-der-komplexit%25C3%25A4tsfalle-albert-d%25C3%25BCrr-drv6e/?trackingId=7sYgjExRTCyj4pPPomhQrg%3D%3D

      • Stefan Pietsch 7. Mai 2024, 14:36

        1) Steinbrück hat nicht die Inszenierung Schmidt reloaded erfolglos versucht. Das war nun wirklich nicht sein Problem.

        Zu Scholz:
        https://www.youtube.com/watch?v=OxjryrhU9CY

        Wieso Fantum der FDP? An dieser Stelle, das muss ich immer wieder ausführen, bist Du extrem unfair. Nicht nur Du hast hier häufig gefordert, die FDP müsse nun auch von ihrem Mantra zur Schuldenbremse runter. Ich habe von SPD und Grünen nie gefordert, sie müssten sich auf die Positionen der FDP einlassen.

        Es ist nun wahrlich kein Geheimnis, dass ich die liberalen Positionen jenseits der Gesellschaftspolitik weitgehend teile. Dann kann es auch nicht verwundern, wenn ich Standfestigkeit in Übereinstimmung mit Vereinarungen wie dem Koalitionsvertrag gutheiße. Dennoch ist es das erste Mal, dass ich nicht festgelegt bin, welcher Partei ich bei der nächsten Bundestagswahl meine Stimme geben werde. Es gibt zwei Bedingungen dafür. Die eine ist finanzpolitischer Natur: Sollte die FDP weich werden und 2025 die Schuldenbremse aussetzen, bin ich weg. Die zweite bezieht sich auf meine Werte: Ein Aufdrehen des 218 StGB ist mit mir nicht zu machen.

        Die Minister und Ministerinnen Baerbock, Schulze, Faeser und Heil zeigen, worum es bei einer „Reform“ der Schuldenbremse tatsächlich gehen soll: Mehr konsumtive Ausgaben ggf. auch im Ausland. Du erzählst am einen Tag, dass es Dir bei zusätzlichen Schulden allein um Spielräume für Investitionen ginge und beschuldigst am anderen Tag mich des Fantums, wenn ich nicht für Schulden zu Konsumzwecken bin. Wo bleibt Deine Kritik an den Grünen und der SPD?

        Die SPD konnte im Endspurt des Wahlkampfs nur deswegen an der schwachen Union vorbeiziehen, weil die Bürger zu Scholz Vertrauen hatten, er würde ordentlich mit dem Staatswesen umgehen. Der bis dato Finanzminister bekam einen Bonus, dass er keine zusätzlichen Schulden produziert. Auch die FDP ist nur unter dieser Bedingung in die Koalition eingetreten, die Deutschen haben nicht Rot-Grün gewählt.

        Das ist eine conditio sine qua non. Nicht verhandelbar. Eine solche war das Klimaschutzpaket des Robert Habeck übrigens nicht. Da hat meine Position nichts mit Fantum zu tun.

        Übrigens haben die Koalitionäre 2021 ganz bewusst den Soli in ihren Verhandlungen ausgespart. Man wusste ja sehr wohl, dass Klagen in Karlsruhe anhängig waren und ein Urteil in der Legislaturperiode zu erwarten war. Nur, die FDP hätte niemals einen Koalitionsvertrag unterschrieben, in dem für den Fall der Verfassungswidrigkeit des Solis die Spitzensteuern zu erhöhen seien. Und SPD und Grüne hätten sich schwer getan, für einen solchen Fall die Konsequenzen im Haushalt zu tragen.

        Deswegen gelten die Rahmenbedingungen des Vertrages (wie bei jedem Vertrag): Es gibt keine Steuererhöhungen und die Regierung hält sich an die Verfassung – was an sich schon ein Armutszeugnis ist, das betonen zu müssen.

  • Stefan Pietsch 7. Mai 2024, 11:02

    2) Warum Claudia Roth richtigliegt

    Roth ist eine Ministerin, die in einem sehr unauffälligen Amt größte Widerstände hervorruft. Die von ihr zu verantwortende Documenta 15 wurde zu einem internationalen Skandal, ausgerechnet von der jüdischen Gemeinde in Deutschland wird sie aus guten Gründen angefeindet. Und mit der Rückgabe der Benin-Statuen hat sie Deutschland der Lächerlichkeit preisgegeben.

    Dass Roth die Geschichte des deutschen Kolonialismus auf eine Ebene mit dem Holocaust stellen will, ist der Gipfel:

    Zwar wird pflichtgemäß die Bedeutung der Verbrechen des NS- und des SED-Regimes für das Gedenken betont. Hinzutreten soll jedoch die „Erinnerung an das deutsche Kolonial-Unrechtssystem und dessen Aufarbeitung“. Beides bilde eine „notwendige neue erinnerungskulturelle Aufgabe“.

    Allerdings ist erstens die Rolle Deutschlands im Gesamtzusammenhang des europäischen Kolonialismus zwar nicht marginal, aber doch eher klein. Auf jeden Fall liegt die Relevanz des Kolonialismus für die deutsche Erinnerungskultur weit unter der Zäsur des Nationalsozialismus und der 44-jährigen Diktatur in einem knappen Drittel Deutschlands.

    Zweitens sind Vertreter der „postcolonial studies“ bisher vor allem durch eine mehr oder minder offene Relativierung des Holocaust sowie aktuell durch aktivistischen Antisemitismus aufgefallen. Ohnehin beruht ihre Weltsicht auf einem ziemlich schlichten, durch Floskeln kaschierten Zerrbild der vom 16. bis 20. Jahrhundert kolonialisierten Regionen. Demnach sei in Afrika und anderen Teilen des „Globalen Südens“ vor Ankunft der Europäer alles in Ordnung gewesen. Das ist eine Vorstellung von „edlen Wilden“, die mit der historischen Realität nichts gemein hat. (..)

    Denn sämtliche mit dem Thema Erinnerungspolitik befasste Verbände haben das 43 Seiten lange Papier scharf verurteilt. Ihre „Stellungnahme zum Entwurf des Rahmenkonzepts Erinnerungskultur“ vom 3. April, die WELT vorliegt, ist eine kaum kaschierte Ohrfeige für Roth. Die Unterzeichner, darunter die Arbeitsgemeinschaften der KZ-Gedenkstätten in Deutschland und der Gedenkstätten zur Diktatur in SBZ und DDR, der Verband der Gedenkstätten in Deutschland und andere, repräsentieren gemeinsam praktisch alle, weit mehr als 350 vergangenheitspolitischen Institutionen der Bundesrepublik.

    Und sie lehnen das Konzept rundheraus ab. Dessen „Mängel“ seien „so gravierend“, dass der „vorliegende Entwurf nicht weiterverfolgt werden sollte“. Es fehlten „klare Leitlinien“, es gäbe „Mängel im Aufbau, Unbestimmtheiten in der Zielsetzung, ja sogar einen gewissen Charakter des bloß Appellativen“. Die „im Entwurf skizzierten Themen“ wirkten „beliebig“. Da viele dieser Einrichtungen direkt oder indirekt von der Förderung durch Roths Abteilung abhängig sind, ist solche Klarheit bemerkenswert.
    https://www.welt.de/kultur/article251253224/Claudia-Roth-Ihr-Systembruch-wird-immer-deutlicher.html?icid=search.product.onsitesearch

    Bemerkenswert, dass sich nun ausgerechnet ein Lehrer für Geschichte zum Verteidiger einer solchen Aktivistin aufschwingt…

    • Thorsten Haupts 7. Mai 2024, 12:01

      Sein Kolonialismus-Guru, ein Professor auf der Jagd nach staatlicher Förderung namens Zimmer, hat das begrüßt 🙂 .

      • Stefan Pietsch 7. Mai 2024, 13:11

        Von einem historisch gebildeten Menschen muss man erwarten, dass er solche Dinge einordnen kann. Und wenn so eine Phalanx gegen eine Politik ist, dann braucht man sehr starke Argumente für ein Dagegen. Was Stefan jedoch bringt, ist:

        Aber eine Rückbesinnung auf positive, demokratische Aspekte der deutschen Geschichte ist für mich (..) dringend geboten.

        Kolonialismus ist positiv? Roth führt die Migration von Muslimen positiv auf, ein eigentlich durchsichtiges politisches Manöver der Türkei-Enthusiastin. Gerade vor dem Hintergrund der enormen Schwierigkeiten, die muslimische Einwanderer der dritten und nun auch noch der vierten Generation verursachen, ist das eine höchst strittige Geschichtsschreibung. In einer Befragung muslimischer Schüler in Niedersachsen erklärte knapp die Hälfte einen Gottesstaat für die beste Regierungsform und drei von vier setzten ihre religiösen Gesetze über die des Rechtsstaates.

        Ist das die positive Einwanderungsgeschichte? Really?

        • CitizenK 7. Mai 2024, 13:35

          Das ist in der Tat besorgniserregend. Sollte man diesen Schülern vor Augen führen, dass sie dann besser in ein solches Land auswandern sollten?

          Andererseits: Das Durchschnittsalter ist 15 – noch 17jährigen (Aiwanger) wurden hier schon Gesinnungs-Persilscheine ausgestellt.

          • Erwin Gabriel 7. Mai 2024, 14:36

            @ CitizenK 7. Mai 2024, 13:35

            Andererseits: Das Durchschnittsalter ist 15 – noch 17jährigen (Aiwanger) wurden hier schon Gesinnungs-Persilscheine ausgestellt.

            Wenn das, was man Ailwanger vorwarf, zutraf, hat man einen Einzelfall. Wenn man alle Klassen aller Schulen mit solchen Einstellungen hat, hat man ein Problem.

            Erkenne den Unterschied.

            • Stefan Sasse 7. Mai 2024, 20:03

              Ich will nicht wissen, was Meinungsumfragen in Aiwangers Klasse für Mist ergeben hätten.

              • Stefan Pietsch 8. Mai 2024, 00:07

                Sei Dir sicher: In den Achtzigern waren keine Schüler Nazis. In meiner gymnasialen Klasse gab es gerade einen bekennenden CDU-Sympathisanten. Der kam aus einem streng katholischen Elternhaus. Die Lehrerschaft bestand neben vielleicht 2 Alt-Nazis aus Sozialisten und Kommunisten. Die Namen sind heute noch legendär.

                Sorry, Du hast über die Zeit und die Umstände vor dem Mauerfall wirklich keine Ahnung. Das kannst Du Dir auch nicht anlesen.

                • Stefan Sasse 8. Mai 2024, 07:53

                  lol

                • VD 8. Mai 2024, 08:52

                  Kleine Anekdote aus der Schulzeit Ende der 70iger/Anfang 80iger.
                  Ein Lehrer zu den RAF-Anschlägen: der linke Terror ist bei weitem nicht so schlimm wie der Rechte, denn die Linken schaden nur ein paar wenigen Leuten (nämlich Industrielle und Politiker), der rechte Terror schadet vielen Leuten (nämlich „normale“ Bevölkerung)
                  Hat mich sehr zum Nachdenken gebracht, damals. Allerdings eher über Menschen, die so dachten wie der Lehrer.

                  • Lemmy Caution 8. Mai 2024, 10:52

                    Ich habe in den 80ern ein paar ziemlich linke Lehrer gehabt, aber daneben weitaus mehr Gemäßigte, Bürgerliche und einen militanten Kommunismus-Haßer mit DDR-Herkunft, der aber im Gegensatz zu einigen Mit-Diskutanten hier um die Überzeugungs-Kraft der eigenen Mäßigung wußte. Da ich damals selbst Links eingestellt war, bewunderte ich die Linken irgendwie, kam aber mit den anderen viel besser klar.

                    • Stefan Sasse 8. Mai 2024, 12:16

                      Es sind halt Menschen. Dass es in den 70ern besonders im akademischen Milieu viel Sympathie für die RAF gab, ist ja hinreichend bekannt und wird auch nicht bestritten.

                  • Stefan Pietsch 8. Mai 2024, 20:35

                    Kann ich auch beisteuern, zwar nicht von Lehrern, aber die Aussage ist mir auch begegnet. Als Zehnjähriger hat mir die angespannte Lage 1977 mit der Entführung der Landshut etwas Angst gemacht, obwohl es mich auch sehr fasziniert hat.

              • Erwin Gabriel 8. Mai 2024, 16:40

                @ Stefan Sasse 7. Mai 2024, 20:03

                Ich will nicht wissen, was Meinungsumfragen in Aiwangers Klasse für Mist ergeben hätten.

                Sicherlich keinen vergleichbar hohen Anteil an Schülern, die glaubten, dass man die Nazi-Diktatur (oder meineswegen das Kaiserreich) wieder einführen müsste.

          • Stefan Pietsch 7. Mai 2024, 14:44

            Stellen Sie sich einen Moment vor, die Mehrheit der Schüler hätte das Nazi-Regime als beste Regierungsform angesehen und Ausschwitz als gutes Regelssystem. Hätten Sie diesen Kommentar geschrieben?

            Aiwanger hat nie zugegeben, Nazigedankentum gepflegt zu haben. Das ist das Gegenteil von dem hier. Außerdem ging es um die Bewertung des 52jährigen Aiwanger, nicht dem 17jährigen Schüler. Zu meiner Schulzeit jedenfalls fand man es richtig, bei Schülern, die gewalttätig oder sonst verhaltensauffällig waren, früh gegenzusteuern. Diese Sichtweise ist etwas aus der Mode gekommen.

            Woher haben die Jungs und Mädels solches Denken? Alternative A: islamistische Lehrer im Gewand der Säkularität haben sie indoktriniert. Alternative B: Sie haben einen gemeinschaftlichen Schnellradikalisierungskurs im Internet, angeboten vom Institut Erdogan, durchlaufen. Alternative C: Die Eltern haben sie von frühester Kindheit an zu solchen Auslegungen getrimmt.

            Was sehen Sie am wahrscheinlichsten an?

            Übrigens handelt es sich weitgehend um deutsche Staatsbürger. Wieso sollten die auswandern? Das hier ist ihre Heimat – die sie sicher gestalten wollen.

            • CitizenK 7. Mai 2024, 20:07

              Elternhaus, Moschee, Nationalstolz/Erdogan-Verehrung – aber auch Trotz wegen Ausgrenzungserfahrungen.
              In dem Alter sind sie noch zu jung, um die Konsequenzen dieser (romatischen?) Vorstellungen zu verstehen.
              Zum Aiwanger-Vergleich: Mehrere Kommentatoren hier, sinngemäß: Frag mich nicht, wie ich mit 17 war.

              Wenn man einen Gottesstaat will, kann man hier nicht leben.
              Dass sie (ihre Eltern) hier sind, zeigt doch, dass ihnen die Lebensumstände hier (persönlche Freiheiten, Wohlsand) wichtiger sind als die Religion.
              Ich würde niemals in einem Land leben wollen, das eine totalitäre Religion über weltliche Gesetze stellt.

              • Stefan Pietsch 7. Mai 2024, 20:33

                aber auch Trotz wegen Ausgrenzungserfahrungen

                Das akzeptiere ich nicht. Da blicke ich auf Jahrzehnte Erfahrung mit anderen Nationalitäten und Kulturen. Da nehme ich die Erfahrungen meiner Frau. Wenn Vierjährige wissen, dass eine Frau ihnen nichts sagen darf, dann wird das irgendwann zu Ausgrenzungsproblemen führen. Mit einer solchen Haltung gibt es nur zwei Alternativen: Entweder die Kinder sind irgendwann in der Schule in der Mehrheit und grenzen die anderen aus. Oder sie fallen selbst zurück. Wenn die von Ihnen präsentierte Begründung stimmen würde, müssen wir in ein paar Jahren viele Tausend alt-deutschstämmige junge Männer (und Frauen) erleben, die sich ausgegrenzt fühlen.

                Bei einem 52jährigen wissen wir, wie die Geschichte ausgegangen ist. Bei einem 17jährigen gibt es eine Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht gutausgeht. Ich habe viele Lebensläufe gesehen. Wo jemand mit 30, 40 steht, lässt sich sehr konsequent aus seinem Curriculum Vitae begründen.

                Der größte Fehler, wenn wir andere verstehen wollen, ist, davon auszugehen, dass jeder so denkt wie wir selber. Das führt zu nichts. Solche Muslime leben hier, um die Gesellschaft nach ihren Vorstellungen zu formen. Das sollte inzwischen doch klar geworden sein. Sie glauben, dass die AfD einen staats- und gesellschaftszersetzenden Einfluss haben kann. Warum fürchten Sie das bei extremistischen Muslimen nicht? Die können auch kandidieren. Die haben sogar eine eigene Partei, die zur Europawahl antritt.

              • Erwin Gabriel 8. Mai 2024, 16:56

                @ CitizenK 7. Mai 2024, 20:07

                Mehrere Kommentatoren hier, sinngemäß: Frag mich nicht, wie ich mit 17 war.

                Stramm links; Wäre ich stramm rechts gewesen, hätte ich die Entschuldigung gehabt, dass ich das Nazi-Regime nicht aus eigenen Erfahrungen kenne. Aber die Jugendlichen, die hier sind, wurden oft genug von ihren Eltern auf der Flucht vor dem Kalifat mitgenommen; sie feiern die Ermordung, Schändung und Zerstückelung von Frauen und Kindern (solange sie israelisch sind). Sie träumen von der Waffe in der Hand, von Gewaltausübung, der Macht über Leben und Tod, oder zumindest über Frauen und Deutsche.

                Wie so häufig, Citizen: Bist bestimmt ein netter Kerl und immer wieder zu gut für diese Welt, aber meine Erfahrung zeigt, dass nicht alles gut geht im Leben. Ich habe 2015 während all der Lobeshymnen auf Frau Merkel und ein hier deutlich verkündetes „Wir haben es ja geschafft“ darauf hingewiesen, dass man noch 10 oder 20 Jahre braucht, um solch ein Urteil fällen zu können.

                Wir sind doch aufgrund der großen Zuwanderungszahlen weder finanziell noch von der Manpower her in der Lage, ausreichende Integrationsarbeit leisten zu können.

                Dass sie (ihre Eltern) hier sind, zeigt doch, dass ihnen die Lebensumstände hier (persönlche Freiheiten, Wohlstand) wichtiger sind als die Religion.

                Das ist nicht der Punkt. Die wollen beides; jeweils dann, wann es passt.

                Ich würde niemals in einem Land leben wollen, das eine totalitäre Religion über weltliche Gesetze stellt.

                Dann gewöhn Dich daran,entsprechende Entscheidungen zu treffen.

                • Stefan Sasse 10. Mai 2024, 08:46

                  Da guck mal, ich hatte da ne rechtsradikale Phase. Keine Ahnung, was ich um edgy zu wirken da angekreuzt hätte bei solchen Umfragen.

        • Kning4711 7. Mai 2024, 15:39

          Die Frage ist aber hier, nach Ursache und Wirkung und des Zeitpunkts: Die erste Immigrationswelle in Deutschland in den 60ern war defacto schlecht organisert: hundertausende Menschen ins Land zu holen, mit der impliziten Erwartung, die werden schon im Alter wieder nach hause gehen und idealerweise unter sich bleiben, war eine sehr schräge Annahme. Für das Thema Integration ist viel zu lange nichts getan worden. Es fehlten dann die Strukturen um die nächsten Wellen erfolgreicher zu bewältigen. Und sie fehlen noch heute und führen zu einem giftigen Mix aus Verteilungskämpfen, Kriminalität und Abstiegsängsten.

          Dennoch waren die Gastarbeiter ein Gewinn für Deutschland, da ohne diese Menschen ein bedeutender Wohlstandsgewinn ausgeblieben wäre. Zudem hat es das Land bunter und weltoffener gemacht. Aber ja, es gibt massive Schwierigkeiten und durch Verschleppung ist das Problem in den letzten Jahrzehnten sogar noch größer geworden.

          • Stefan Pietsch 7. Mai 2024, 15:51

            Man kann das aber auch genau umgekehrt sehen: Da die Politik die erste Migrationswelle falsch gemanagt ansah, hat sie in den Zehnerjahren genau das Gegenteil getan. Nur, das ist ja definitiv nicht besser, eher weit schlechter.

            Damals sind die Menschen gekommen, um hier zu arbeiten. Heute landen sie mehrheitlich sofort im Transfersystem. Die Kriminalität ist viel höher, Integration und Assimilation finden nicht nur nicht statt, sie werden sogar abgelehnt.

            Hinzu kommt: Die beschriebenen Probleme hatten wir damals nur mit den aus dem muslimischen und arabischen Raum stammenden Menschen und das ist heute wieder so. Italiener, Spanier, Griechen sind entweder längst wieder in ihre Heimat zurück oder hier praktisch nicht mehr als ehemalige Migranten erkennbar. Vor allem erzählen ihre Kinder nicht so einen Mist, dass Mussolini doch ein wunderbarer Staatsführer gewesen sei.

            Und nochmal: Die zweite, dritte und vierte Generation dieser Migranten ist bis heute ein Problem auf dem Arbeitsmarkt, im Sozialsystem, im gesellschaftlichen Leben und in der Kriminalstatistik. Hier immer wieder die gleichen Geschichten zu erzählen, die Gesellschaft habe nicht genug getan, damit sich hier geborene Nachkommen von muslimischen Einwanderern willkommen fühlen, ist mit Blick auf andere Migrantengruppen absurd – und vor allem unehrlich.

            • Thorsten Haupts 7. Mai 2024, 17:01

              Hinzu kommt: Die beschriebenen Probleme hatten wir damals nur mit den aus dem muslimischen und arabischen Raum stammenden Menschen und das ist heute wieder so. Italiener, Spanier, Griechen sind entweder längst wieder in ihre Heimat zurück oder hier praktisch nicht mehr als ehemalige Migranten erkennbar.

              Auf diesen von mir auch häufiger benutzten Fakt habe ich – ausgerechnet von Linken – bisher nur Antworten bekommen, die entweder ausweichend oder (nach heute gültigen Masstäben) rassisitisch waren 🙂 . Plus die Wokie-Universalantwort, die wären ja nur so, weil wir (weissen) Deutschen alle Rassisten seien.

              Gruss,
              Thorsten Haupts

          • Stefan Sasse 7. Mai 2024, 20:04

            Die Einwanderungspolitik ist einfach scheiße.

            • Erwin Gabriel 8. Mai 2024, 16:57

              @ Stefan Sasse 7. Mai 2024, 20:04

              Die Einwanderungspolitik ist einfach scheiße.

              Hab nicht feststellen können, dass es eine gibt. Es regiert die normative Kraft des Faktischen

              • Stefan Sasse 10. Mai 2024, 08:46

                Auch Verweigerung ist eine Entscheidung.

                • Erwin Gabriel 10. Mai 2024, 21:18

                  @Stefan Sasse 10. Mai 2024, 08:46

                  Auch Verweigerung ist eine Entscheidung.

                  Zustimmung. Aber keine Politik.

                  • Stefan Sasse 11. Mai 2024, 09:54

                    Doch, klar. Sich gegen Veränderungswillen zu stemmen erfordert auch politisches Geschick.

        • Stefan Sasse 7. Mai 2024, 19:59

          Eventuell beschäftigst du dich mal mit Roths Vorschlag, sie nennt nämlich explizit die deutsche Demokratiegeschichte als Teil des dritten Standbeins und positiven Bezug. Der Kolonialismus ist nur ein Teilaspekt, auch wenn das in der Springerpropaganda untergeht.

          • Stefan Pietsch 7. Mai 2024, 20:41

            Ich sehe Dich in der Rechtfertigung. Wenn die Kritik so massiv ist, ist Deine Gegenposition begründungspflichtig.

            Womit fängt Roth auf ihrer Ministeriumsseite an?
            Traumata der Eingewanderten
            Erinnerungspolitik in einer Einwanderungsgesellschaft bedeutet auch, die Augen zu öffnen für die Traumata, die viele Eingewanderte in ihren Herkunftsländern, auf dem Weg nach Deutschland oder hier erfahren haben – angefangen mit dem Kolonialismus bis hin zu Erfahrungen von Rassismus und Ausgrenzung in Deutschland.

            Die Gliederung sagt immer, was jemand für wichtig hält.

            Rassistische Anschläge
            Neben der Erinnerung an die Verbrechen sollte die Emanzipationsgeschichte unserer Demokratie und demokratischer Gesellschaften insgesamt stärker thematisiert werden: der Kampf für Freiheit, demokratische Teilhabe und die Durchsetzung der Grund- und Menschenrechte. Wichtiger Bestandteil einer lebendigen Erinnerungskultur ist das bislang unterbelichtete Thema der emanzipatorischen Fortschritte – vom Frauenwahlrecht bis hin zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts.

            https://www.kulturstaatsministerin.de/SharedDocs/Namensbeitrag/DE/2024/2024-02-15-gastbeitrag-gedenkkultur.html

            Nochmal: Die Jahrzehnte des RAF-Terrorismus kommen so wenig vor wie die schlimmen islamistischen Anschläge. Berlin? Breitscheidplatz? Ach, egal! Wenn Du Roth liest, dann geht es um ihre linke Agenda. Das Thema Einwanderung dominiert, die Mehrheitsgesellschaft fällt ab.

          • Thorsten Haupts 8. Mai 2024, 11:49

            Bei staatlich verordneter oder geförderter Erinnerungspolitik kann es – notwendigerweise und absolut unausweichlich – nur um die Betonung weniger, sehr weniger, Elemente der Geschichte gehen, um die Schwerpunktsetzung.

            Die aber folgt – ebenso notwendig und unausweichlich – nicht wissenschaftlichen, sondern politischen Gesichtspunkten. Angesichts der extrem geringen Bedeutung der deutschen Kolonialphase, die darüber hinaus mit 40 Jahren auch noch extrem kurz und bereits 1918 endgültig abgeschlossen war, frage ich mich nach den politischen Motiven, ausgerechnet den Kolonialismus ins Zentrum deutscher Erinnerungspolitik zu rücken.

            Die Antworten, die ich mir darauf gebe (mangels glaubwürdiger offizieller Erklärungen), sind aus meiner Perspektive alle nicht gut. Die Auswirkung der Betonung von postcolonial studies können gerade an US-Eliteuniversitäten „bewundert“ werden. Ich weiss echt nicht, was an diesen Ergebnissen so toll ist, dass wir sie für Deutschland unbedingt übernehmen wollen?

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • Stefan Sasse 8. Mai 2024, 12:17

              Er wird doch nicht ins Zentrum gerückt, Himmelherrgott! Das ist ein völliger Strohmann. Er ist ein Bestandteil eines angedachten DRITTELS.

              • Thorsten Haupts 8. Mai 2024, 13:36

                Sach ma! Die drei Felder sollen gemeinsam ins Zentrum gerückt werden, oder?

    • Kning4711 7. Mai 2024, 17:42

      Ich denke jetzt geht hier einiges Durcheinander.

      Ich finde es schwierig den deutschen Kolonialismus einfach so abzutun, weil er im europäischen Maßstab klein und die Verbrechen der Nazis oder der kommunistischen Diktatur in Ost-Deutschland deutlich größer waren. Es geht hier in meinen Augen um Respekt und nicht zuletzt um den Impact, den die Deutschen auf ihre Kolonien und ihre Bewohner hatten. Insofern finde ich es durchaus in Ordnung, wenn wir dem Umstand, dass Deutsche das Volk der Nama und der Herero nahezu ausgelöscht haben, gedenken und diese negativen Seiten des Kolonialismus in den Blick zu nehmen. Das kann man tun, ohne sich in Schuldkult zu ergeben oder das Gedenken an Nazi und SED Herrschaft zu schmälern.

      Gleichwohl gibt es aber auch keine einfache Linie von Windhoek nach Ausschwitz. Man sollte sie auch nicht konstruieren, nur weil es so schön in ein Narrativ passt und das Ganze dann über Gebühr aufblähen.

      Frau Roth hat es gut gemeint, aber leider nicht gut gemacht. Sicherlich war es ein Fehler die VErnatwortlichen für die Erinnerungskultur nicht einzubeziehen.

      Den von Stefan Sasse zitierte Fokussierung auf die deutsche Demokratie Geschichte ist auch im Hinblick auf den Kolonialismus sehr interessant. Denn es ist ja nicht so, als wäre das koloniale Projekt ein Herzensanliegen der Deutschen gewesen. Schon in den 1890ern gab es Kritiker am deutschen Kolonialismus, die sich in den Kolonie-Etat Debatten im Reichstag gehör verschafften.

      Insofern fände ich eine stärkere Verankerung der Entwicklung unserer Demokratie in der Bildung unseres Landes ein höchst sinnvolles Unterfangen.

      • Stefan Pietsch 7. Mai 2024, 18:48

        Sorry, ich meine es auch immer gut. Frau Roth ist aber Ministerin und inkompetent. Eine ziemlich ungute Kombination. Sie wird immer missverstanden.

        Warum richten wir keine Erinnerungskultur an den Linksterrorismus ein? Ich bin sehr von den Morden der RAF geprägt, die das Land zwei Jahrzehnte in Atem hielten. Wir sollten regelmäßig an die Morde von Buback, Ponto, Schleyer, Herrhausen und die Entführung der Landshut erinnern, bekommen es aber bisher nicht einmal hin, die Lufthansa zu einer ordentlichen Gedenkstätte herzurichten.

        Der RAF-Terrorismus ist den meisten viel näher als die kurze deutsche Kolonialgeschichte, von der die Mehrheit nicht einmal weiß, dass es sie gab. Seltsamerweise lässt die gutmeinende Claudia Roth dieses Kapitel deutscher Geschichte völlig unerwähnt. Man kann ja auch nicht an alles denken!

        Eigentlich sollte die Episode mit der Rückgabe der Benin-Figuren vor Augen geführt haben, wie man auf der Südkugel des Globus über die deutsche Erinnerungskultur denkt. Aber die Grünen lernen hier gar nichts. Gerade blamierte sich Steffi Lemke mit ihrem Protektionismus. Dafür dürfen wir bald 20.000 Elefanten beherrbergen. Oder hat sich das Thema erledigt?

      • Stefan Sasse 7. Mai 2024, 20:08

        Gerade deswegen ist das ein wichtiger Fokus: es gab eine halbwegs demokratische Debatte zum Thema!

    • Lemmy Caution 8. Mai 2024, 11:02

      Wäre ich religiös, würde ich um deine Seele beten.
      Für mich manifestierst Du hier einer triumphalistisch zur Schau getragenen Ignoranz von trumpschen Ausmaßen.
      Dass in dem Globalen Süden 1600 bis 1900 „nicht alles in Ordnung war“, rechtfertigt weder Massenmord noch Massensklaverei, die eben halt genau doch an vielen Stellen Parallelen zur Unterdrückung im Nationalsozialismus aufwies.

      • Stefan Pietsch 8. Mai 2024, 20:42

        Tu‘ das! 😉

        Du erzählst von einer dreihundertjährigen Geschichte, der deutsche Kolonialismus dauert aber nicht einmal 40 Jahre. Stefan hat etwas gegen den Fliegenschiss, greift sich aber immer so kleine Zeitfenster raus, will dann aber erzählen, es ginge auch um das Positive. Da komme ich nicht mit.

        Einerseits wird der Migrationsaspekt in unserer Geschichte betont, andererseits will man sich mit dem Kolonialismus auseinandersetzen, wovon die meisten ohnehin nichts wissen (warum dann „erinnern“?) und was für 30 Prozent der Bevölkerung ohnehin abstrakt ist, weil ihre eigene Geschichte in anderen Gegenden begonnen hat. Das ist einfach Quatsch.

        Und Stefan sollte aus dem Buch „Why Nations Fail“ (das er hier mal besprochen hat) wissen, dass Sklaverei sehr viel mit der Brutalität lokaler Eliten zu tun hatte. Vergessen. Sklaverei war nur möglich, weil afrikanische Herrscher ihre Untertanen verkauft haben. Das war die Ursünde.

        • Stefan Sasse 10. Mai 2024, 08:49

          Kein Widerspruch? Und erneut, Sklaverei und deutscher Kolonialismus haben nichts miteinander zu tun, wieso wird das ständig durcheinander geworfen? Das Argument mit den 40 Jahren trägt auch nicht. Das Kaiserreich gab es nur zehn Jahre länger, sollen wir deswegen Bismarck ignorieren?!

          • Stefan Pietsch 10. Mai 2024, 09:42

            Das Kaiserreich ist deutsche Erinnerungskultur? Ich meine mich zu erinnern, dass gerade die Grünen versuchen, die Bismarckzeit aus dem deutschen Gedächtnis zu tilgen.

            Sollten wir uns nicht eher des RAF-Terrors erinnern als einem sehr kleinen Aspekt von vor 150 Jahren in einer sehr fernen Weltgegend, in die ohnehin kaum jemand kommt und wo sich die Menschen nicht an deutsche Besatzungen erinnern, aber Niederländer weit verbreitet sind? Wie sind die Prioritäten und warum soll das, was vor 10, 20, 40 Jahren passierte, nicht herausragend in unserer Erinnerungskultur sein? Schließlich ist es das, was die Menschen in diesem Land tatsächlich selbst erlebt haben. Da ist doch Erinnern und Mahnen sinnvoller, effektiver und verständlicher. Oder? Aber das fällt bei der Aktivistin völlig unter den Tisch.

            • Stefan Sasse 10. Mai 2024, 12:57

              Siehst du, da kommt dir deine parteiideologische Brille in den Weg.
              1) Wir (Befürwortende des Arguments) wollen an Bismarck erinnern, nicht ihn tilgen. Nur eben an den echten, nicht an eine Fantasieversion.
              2) Ich bin froh, dass wir uns einig sind, dass die aktuelle Erinnerungskultur modifiziert werden darf. Wir streiten ja nur worum. Ich würde behaupten, die RAF ist wesentlich präsenter als der Kolonialismus, aber ich habe nichts gegen ein prominenteres Gedenken – gerne auch immer im Zusammenhang mit 1968 und „mehr Demokratie wagen“, da haben wir Beispiele für Radikalisierung und Moderation nebeneinander.

  • Stefan Pietsch 7. Mai 2024, 11:05

    5) Von Arbeit und Moral

    Die Deutschen arbeiten besonders häufig in Teilzeit und noch mehr Menschen wollen das zukünftig. Überall besteht Not an zusätzlichen Arbeitskräften und die Bundesregierung kommt in ihren Analysen seit Jahren zu dem Schluss, dass mehr gearbeitet werden müsste.

    Aber Erwerbsarbeit wird ja so überhöht, wenn die Bettpfanne nicht mehr gewechselt und das Schnitzel im Restaurant nicht zeitig serviert wird.

  • Stefan Pietsch 7. Mai 2024, 11:14

    h) Ernährung am Existenzminimum.

    Ich kenn‘ mich da nicht so aus, aber 100g Tomaten sind doch billiger als 100g Rindfleisch, oder? Und den Brokkoli bekommt man auch zu günstigeren Preisen als die Schlagsahne.

    Aber richtig ist, dass im Grundgesetz bisher keine Norm verankert ist, dass Biofleisch zum Existenzminimum zählt.

    i) Musks Businessstrategie ist weird.

    Ich weiß, es ist für viele ein fremder Gedanke, dass Unternehmen vor allem dazu betrieben werden, um die Kapitalbesitzer reich zu machen. Marx ist schon lange tot. Tesla hat 2023 eine Steigerung der Revenues um 11 Millliarden Dollar hingelegt, aber im Gross Profit (Bruttomarge) 3 Milliarden Dollar verloren. Aktionäre mögen so etwas nicht, denn eigentlich müsste die Entwicklung umgekehrt verlaufen.

    Tesla zeigt dabei deutliche Tendenzen, personalintensiver zu produzieren. Und es ist zentrale Managementaufgabe, dagegen anzugehen. Unternehmer begreifen das.

  • CitizenK 7. Mai 2024, 13:14

    Zu 2)
    Wenn Kolonialismus in die Erinnerungskultur gehört, dann auch der Sklavenhandel durch afrikanische und arabische Herrscher?
    „Die europäischen Händler verschleppten Sklaven, die ihnen von afrikanischen Königtümern verkauft wurde.“
    https://www.dw.com/de/benin-will-geschichte-nicht-verstecken/g-55204593
    https://www.deutschlandfunk.de/dreizehn-jahrhunderte-waehrender-sklavenhandel-100.html

    Relativiert man dadurch die europäischen Verbrechen?
    Oder muss man an „zivilisierte“ Europäer andere Maßstäbe anlegen?
    Und falls ja: Ist das dann eurozentrische Überheblichkeit?

    • Stefan Sasse 7. Mai 2024, 20:00

      Ich denke, das gehört in die Beschäftigung mit dem Thema durchaus, nur: erinnern können wir daran nicht, nur an unseren Teil. Wir können hier ja auch nicht an den britischen Sklavenhandel erinnern, oder an die Niederschlagung der Mau-Mau. Da wirfst du gerade Beschäftigung mit Geschichte generell und Erinnerungspolitik durcheinander.

  • derwaechter 7. Mai 2024, 19:29

    4)
    „Genauso wie Kinder, die Gewalt erlebt haben, Gewalt an ihren Kindern reproduzieren, so reproduzieren wir Verhaltensmuster unserer Eltern an unseren Kindern. Es ist ein furchtbarer Zyklus, in dem wir die Sünden unserer Eltern an unsere Kinder übertragen, indem wir sie wiederholen.“

    Die Kindererziehung hat sich im Schnitt innerhalb der letzten Zwei-drei Generationen massiv von Gewalt als Erziehungsmittel weg entwickelt. Das gilt für psychische wie physische Gewalt und sonstige „schwarze Pädagogik“.

    Ich denke sogar dass es da alleine zwischen der Generation meiner Großeltern und Eltern einen riesigen Schritt gegeben hat. Was noch vor wenigen Jahrzehnten als Teil normaler Erziehung galt, ist heute ein Fall fürs Jugendamt.

    • Stefan Sasse 7. Mai 2024, 20:08

      Jepp! Darauf will ich ja raus, das betone ich immer wieder.

      • derwaechter 8. Mai 2024, 11:03

        Worauf willst du hinaus?

        Ich wollte den Widerspruch zwischen Deiner Behauptung Eltern reproduzierten eigene Erfahrungen immer weiter (also eine Art Teufelskreis) und der von mir beschriebenen Entwicklung aufzeigen.

        Wenn Eltern wirklich so gefangen sind, wie du es beschreibst, wie konnte es dann zu so tiefgreifenden Veränderungen in so kurzer Zeit kommen?

        • Thorsten Haupts 8. Mai 2024, 11:55

          Wenn Eltern wirklich so gefangen sind, wie du es beschreibst, wie konnte es dann zu so tiefgreifenden Veränderungen in so kurzer Zeit kommen?

          Eine verdammt gute Frage. Die ich aus einem anderen Zusammenhang (1968er) kenne. Wo ich wie andere sich auch immer fragten, wie miefig, konservativ und unterdrückend die Phase vorher tatsächlich gewesen sein kann, wenn sich Wertvorstellungen in historisch extrem kurzer Zeit massiv verschieben. Weil diese Verschiebung nämlich absolut unmöglich wäre, wenn die Zeit vorher so war, wie in meist linken Legenden behauptet.

          Gruss,
          Thorsten Haupts

          • Stefan Sasse 8. Mai 2024, 12:18

            Was die Legendenbildung anbelangt bin ich bei dir.

          • cimourdain 8. Mai 2024, 13:20

            Es gibt nun mal Zeiten, in denen (Mainstream!) Wertvorstellungen sehr schnell und radikal kippen (ob zum besseren oder schlechteren). Manche besprechen wir historisch, in einer leben wir gerade. Auch die Jahre nach „1968“ war eine solche.

        • Stefan Sasse 8. Mai 2024, 12:16

          Ah verstehe was du meinst. Ich sehe da keinen Widerspruch. Worauf ich hinauswollte: ich mache manche Dinge besser als meine Eltern, aber ich reproduziere trotzdem noch viele ihrer Fehler.

          • derwaechter 8. Mai 2024, 16:14

            Manchmal habe ich wirklich Schwierigkeiten dich zu verstehen. Du beschreibst hier einen furchtbaren Zyklus in dem die Sünden der Eltern auf die Kinder übertragen werden, siehst darin aber keinen Widerspruch zur Tatsache, dass die Sünden der Eltern inerhalb einer Generation massiv zurückgehen?

            Und mit dem hier:
            „Genauso wie Kinder, die Gewalt erlebt haben, Gewalt an ihren Kindern reproduzieren, so reproduzieren wir Verhaltensmuster unserer Eltern an unseren Kindern. Es ist ein furchtbarer Zyklus, in dem wir die Sünden unserer Eltern an unsere Kinder übertragen, indem wir sie wiederholen. Andere Eltern kennen das vermutlich auch: das „ich mache das mal anders“ weicht allzu oft der Erkenntnis, dass man genau das tut, was man an den eigenen Eltern schrecklich fand. Warum ist die menschliche Psyche so?“

            meinst du eigentlich:
            „ich mache manche Dinge besser als meine Eltern, aber ich reproduziere trotzdem noch viele ihrer Fehler.“

  • Lemmy Caution 8. Mai 2024, 10:35

    2) Ich bin etwas zwiespältig bezüglich dieser Aufnahme unserer Kolonialgeschichte in die Erinnerungskultur. Die Aufarbeitung des Holocausts finde ich grundsätzlich positiv, weil praktisch keine Gesellschaft so weit gegangen ist wie die Deutsche zwischen 1933 und 1945.
    Ich kann es nur begrüßen, wenn wir uns mit den dunklen Seiten der oft erdrückenden europäischen Dominanz 1700 bis 1980 auseinandersetzen, aber nicht unbedingt als staatlich verordnete Erinnerungskultur.
    Wie tief wäre eine solche Auseinandersetzung? Wenn das auf der Ebene einer moralischen Empörung über böse Deutsche in Namibia, Kamerun oder Tansania, fände ich es nicht unbedingt zielführend.
    Wenn man sich tiefer mit der europäischen Expansion auseinandersetzt, begegnet man vielen unerwarteten Elementen. Wie bereits CitizenK hat anklingen lassen, war Sklaverei in weiten Teilen Afrikas viel stärker in den Gesellschaften verwurzelt als in Europa. Während Christentum und Islam die Versklavung der Glaubensbrüder beschränkte, war sie in Afrika endemisch. Dies kann natürlich nicht die Ausbeutung und massiver Zerschlagung vorhandener sozialer, rechtlicher, sozialer, ökonomischer und moralischer Strukturen afrikanischer Strukturen durch Europäer rechtfertigen.
    Andererseits waren einige Europäer auch sehr früh gegen die offensichtliche Ungerechtigkeit von Sklaverei mobilisierbar. Die Bettelmönche um B. de las Casas im (Kolonial-)Spanien des 16. Jahrhunderts, die Reaktionen in der Französischen Revolution auf die Haitianische Revolution, die Amistad-Prozesse in den USA lange vor dem Bürgerkrieg und britische Textilarbeiter während des Amerikanischen Bürgerkriegs, von denen sich viele gegen ihre eigenen ökonomischen Interessen für die Sache der Nordstaaten engagierten.
    Die Erniedrigten und Beleidigten selbst haben wie üblich nur sehr wenig historische Quellen hinterlassen. Die Stimme erheben sie erst wieder als Akteure nach einer Phase der erzungenen Akulturation in Aufstände.
    In Lateinamerika habe ich mich mal näher mit dem Kampf um die Unabhängigkeit von Spanien 1868 bis 1898 beschäftigt, die stark mit der Beendigung der Sklaverei Hand in Hand ging. Die Farbigen waren halt sehr effektive Kämpfer. Der aus einer Art Unternehmerfamilie im Maultierverleih-Geschäft stammende, farbige und im Krieg äußerst brutale General Antonio Maceo hinterließ einen umfangreichen Briefverkehr mit den oft rassistischen weißen Führern der Unabhängigkeitsbewegung. Die Intelligenz und seine Ruhe im Umgang mit der rassistischen Umwelt hat mich tief beeindruckt.
    Auch auf eine vielschichtige Art interessant ist der auch sehr blutrünstige Tupac Amaru Aufstand im Peru gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Der Anführer war hier auch ein in kolonialspanische Prozesse privilegiert eingebundener Indigener.
    In Brasilien gibt es ein populäres, riesiges 3-bändiges Werk über die eigene Sklavereigeschichte namens Escravidão von Alberto da Costa e Silva, mit dem ich es bald mal versuchen will.
    Über den brutalen europäischen Kolonialismus in (Süd)-ostasien habe ich viel aus Tim Harper, „Underground Asia: Global Revolutionaries and the Assault on Empire“ erfahren.

    • Stefan Sasse 8. Mai 2024, 12:15

      Ich verstehe diese Kaprizierung auf die Sklaverei nicht; das spielt für Deutschland nun wahrlich keine riesige Rolle (ist eher so ein Lokalphänomen in einigen Hansestädten). Bei deutscher Kolonialgeschichte geht es logischerweise vor allem um Herero und Nama.

      „Moralische Empörung“ ist erst mal nur ein Schlagwort. Ich bin sehr moralisch empört über den Holocaust. Sollte das nicht so sein? Ich weiß schlichtweg nicht, was du a genau kritisierst. Ansonsten: klar bin ich für differenzierte Auseinandersetzungen. Und gerade da kann man ja, wie wir das beim Widerstand gegen den NS auch machen, Oppositionelle würdigen. Ich sehe nicht, wo irgendjemand das ablehnte.

      • cimourdain 8. Mai 2024, 13:27

        „ist eher so ein Lokalphänomen in einigen Hansestädten“ und da teilweise auch mit den Einheimischen als Opfern der Barbaresken-Sklaverei im Mittelmeer (Beispiel: Hamburger Sklavenkasse)

        • Stefan Sasse 8. Mai 2024, 13:36

          Sagt mir nichts.

          • Thorsten Haupts 8. Mai 2024, 15:39

            Du bist nicht damit vertraut, dass eine der grössten Sklavensammelaktionen der neueren Zeit aus den Berberstaaten Nordafrikas im Mittelmeer betrieben wurde und vorrangig Weisse als Ziel hatte?

            • derwaechter 8. Mai 2024, 16:20

              Die es sogar bis nach Island (!) verschlug um dort Einheimische als Sklaven nach Afrika zu verschleppen.

            • Stefan Sasse 10. Mai 2024, 08:42

              Ahhh jetzt. Doch, ich weiß dass es das gab, ich kenn nur keine Zahlen zum Ausmaß. Aber ja, klar. Ich hab ja fleißig „Der Rote Korsar“ gelesen 😉

          • cimourdain 8. Mai 2024, 15:57

            Im 17. Jahrhundert haben Piraten aus Nordafrika im Mittelmeer die Seeleute der gekaperten Schiffe (jeglichen Glaubens oder Hautfarbe) auf Sklavenmärkten verkauft.
            Da Hamburg einen erheblichen Mittelmeerhandel betrieb, haben die Kauffahrer eine frühe Form der Versicherung organisiert: Seeleute konnten in die „Sklavenkasse“ einzahlen und wenn sie von Piraten versklavt wurden, löste diese sie aus ihrem Gesamttopf aus.

      • Lemmy Caurion 8. Mai 2024, 19:09

        Man kann Themen wie die der Herero mehr bekannt machen, auch als Teil des Geschichtsunterichts, aber nicht in dem Ausmaß wie den Holocaust, weil sich an letzterem mehr Deutsche in irgendeiner Form profitierten und sei es nur, dass sie das Eigentum der ins Konzentrationslager verschleppten billig aufkauften.
        Übrigens verschleppte eine „Afrikanische Compagnie“ des Großen Kurfürsten immerhin 30.000 Afrikaner in die Neue Welt: https://www.planet-wissen.de/geschichte/menschenrechte/sklaverei/pwiewissensfrage604.html
        Kolonialismus/Imperialismus würde ich in einen größeren europäischen Gesamtkontext stellen. Das ist komplex, wenn man es gut machen will.

        • Stefan Sasse 10. Mai 2024, 08:48

          Ich glaube, niemand fordert das. Aber eine Unterrichtsstunde zum Thema Kolonialismus ist schon drin. Und bis vor Kurzem war der nicht in den Bildungsplänen drin.

  • cimourdain 8. Mai 2024, 13:14

    2) Ich habe mich gefragt, ob nicht das Grundprinzip „Erinnerungskultur“ immer stärker gewachsen ist (und sich womöglich verselbständigt hat).
    Konkretes Beispiel: Zum Münchner Olympia-Attentat 1972 auf die Mannschaft Israels gibt es in der Nähe drei Gedenkstätten, die zu unterschiedlichen Zeiten installiert wurden:
    In der Nähe des Anschlagsort Connollystraße gibt es eine zweisprachige einfache Gedenktafel, die zeitnah angebracht wurde.
    Seit 1992 ist am Stadionsvorplatz ein 10m langes, einfach gestaltetes Steindenkmal.
    Seit 2017 gibt es im Olympiapark einen relativ großen Pavillon mit permanent laufenden Videodokumentationen.

    • Stefan Sasse 8. Mai 2024, 13:36

      Ok, aber ist das ein Problem?

      • cimourdain 8. Mai 2024, 16:05

        Nicht für sich genommen, aber in meinen Augen ein Beleg dafür, dass der „Erinnerungsrucksack“ mit immer mehr dingen beladen wird und noch dazu die Erinnerungen immer auffälliger präsentiert werden, um überhaupt noch Aufmerksamkeit zu erregen. Meine Befürchtung ist, dass sich das in eine Kakaphonie des „beachtet mein Thema“ mündet. Einen Vorgeschmack hast du hier im Forum: Herr Pietsch möchte an den Terror der 70er erinnern, CitizenK an den arabischen Sklavenhandel, LemmyC an den Unabhängigkeitskampf der lateinamerikanischen Staaten, ich werfe bei der Gelegenheit noch die Verbrechen der NATO hinein und am Ende setzt sich eher der Lauteste durch als das sinnvollste Anliegen.

        • Thorsten Haupts 8. Mai 2024, 17:51

          Sic!

        • Lemmy Caution 8. Mai 2024, 19:15

          Die NATO ist eine zunehmend global vernetzte Organisation, die die Werte der Aufklärung verteidigt. Man kann sie nicht in eine Linie mit Terrorismus, Sklavenhandel und Rassismus bringen.

          • cimourdain 9. Mai 2024, 00:53

            Höhnisches Lachen … 6 Kontinente – jedes nur denkbare Verbrechen … Auch Heuchelei und white supremacy sind „Werte der Aufklärung“ wenn du so willst.

            • Lemmy Caution 9. Mai 2024, 07:59

              Lieber westliche Heuchelei als Putin, Xi, Maduro, Nordkorea und Iran, wobei wir bessere Strategien benötigen werden, um die Meere des Südens stärker an uns zu binden.
              Es gibt Risse auch für Chinas Expansion in die Herzen, z.B. das Huachipato Ding in Chile: https://www.emol.com/noticias/Economia/2024/04/21/1128551/huachipato-retomara-funciones-acero.html
              Wir werden mehr davon in den nächsten Jahren sehen. Mexiko erlebt seit 18 Monaten einen riesigen Investitionsboom eben genau wegen die Integration seiner Wirtschaft mit den USA. Unter dem einzigen erfolgreichen pink wave Präsidenten Lateinamerikas.

            • CitizenK 12. Mai 2024, 14:30

              Frag dich doch einfach, wo du lieber mit deiner Familie leben willst: In einem NATO-Staat – oder in einem, der diese als Feind betrachtet: Russland, Belarus, China, Iran, Nordkorea zum Beispiel.
              Ja, ich weiß: Bologna, Gladio et al. Aber dann mach eine Gesamtschau und wäge ab.

        • Stefan Sasse 10. Mai 2024, 08:43

          Wir reden hier ja überwiegend von einer Plakette irgendwo. Das ist nun wahrlich nicht schlimm, finde ich. Ich denke auch nicht, dass es eine Kakophonie wird. Es wird halt weniger monothematisch.

          • CitizenK 12. Mai 2024, 14:39

            Abgesehen vom Anspruch einer anzustrebenden (!) Objektivität der Geschichtsschreibung/des Geschichtsunterrichts habe ich die Sorge, dass die Fixierung auf europäische/deutsche Verbrechen den „Schuldkult“-Vorwurf der Rechtsextremen unterstützt.

            • Thorsten Haupts 12. Mai 2024, 17:10

              Das ist aber der Sinn und Zweck der geforderten/geförderten Konzentration deutscher Erinnerung auf ihre Kolonialzeit. Die Befürworter, deren Argumenten ich zeitweise im Netz gefolgt bin, machen daraus überhaupt kein Hehl. Ziel ist die Nutzbarmachung von Schuld in ferner Zeit für politische Zwecke.

              Der Fokus macht auch sonst/anders überhaupt keinen Sinn. Für Deutschland und Deutschlands Entwicklung war die Kolonialzeit eine historische Randnotiz. Da gibt es so ungefähr 500 Sachen, die wichtiger wären.

              Warum also der neue Fokus auf den „Kolonialismus“? Die einzig haltbare Begründung dafür ist politische Inastrumentalisierung, eine historisch überzeugende Begründung dafür existiert schlicht nicht.

              Gruss,
              Thorsten Haupts

            • Stefan Sasse 12. Mai 2024, 19:02

              Ja, aber diese Fixierung existiert doch überhaupt nicht! Wir reden hier von einer Stunde unter 152 in der Jahrgangsstufe!

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