Bohrleute 72 – Links sein im 21. Jahrhundert, mit Robert Misik

Das Links-sein hat häufig einen etwas altbackenen Geschmack an sich. Spätestens seit Gerhard Schröders Diktum von der Überwindung linker oder rechter zugunsten von guter Wirtschaftspolitik und all den anderen Verwerfungen des “Dritten Weges” der Sozialdemokratie, des Aufstiegs und Falls der LINKEn und nun Sahra Wagenknechts Parteigründung stellt sich die Frage immer mehr, wer eigentlich heute noch links ist, was es überhaupt heißt, links zu sein und ob das ganze Konzept noch eine Zukunft hat. Darüber spreche ich mit dem Autor und Journalisten Robert Misik.

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Shownotes:

POLITIK VON UNTEN. Gelingt das Comeback der Sozialdemokratie?

Das Buch beschäftigt sich mit den aktuellen Herausforderungen der Sozialdemokratien in Europa und dem Wandel innerhalb der SPÖ, symbolisiert durch den Aufstieg von Andreas Babler. Es analysiert den Verlust des Vertrauens der (post-)proletarischen Milieus und diskutiert Strategien für die Sozialdemokratie, um dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Das Buch kritisiert unklare politische Profile und reflektiert über die Zeit des „Dritten Weges“. Zudem wird ein neues Paradigma für die Zukunft der Sozialdemokratie vorgestellt.

Der überraschende Wahlsieg Bablers als Parteichef, nach einem fehlerhaften Auszählungsprozess, wird als Beginn einer neuen Ära dargestellt. Babler, beschrieben als integer, glaubwürdig und volksnah, verkörpert die Hoffnung auf Erneuerung. Seine Kampagne, gekennzeichnet durch Bodenständigkeit und direkten Kontakt zur Basis, sowie seine Fähigkeit, über parteiinterne Grenzen hinweg Unterstützung zu mobilisieren, werden hervorgehoben.

Das Buch thematisiert die globale Unzufriedenheit mit traditionellen linken Parteien und zieht Parallelen zu anderen Ländern, wo ähnliche Basisbewegungen Erfolge erzielt haben. Es betont die Bedeutung authentischer, volksnaher Politik und die Notwendigkeit, breite Wählerschichten anzusprechen. Bablers politische Positionierung als progressiv, sozial gerecht und modern, sowie seine Fähigkeit, unterschiedliche Wählergruppen zu vereinen, werden als wegweisend für die Erneuerung der Sozialdemokratie angesehen.

Das Buch plädiert für eine Rückbesinnung auf sozialdemokratische Kernwerte, verbunden mit einer offenen, modernen und inklusiven Politik, die in der Lage ist, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen und neue Wählerschichten zu erschließen. Es fordert eine Abkehr von traditionellen politischen Strategien und eine Hinwendung zu einer Politik, die Liberalität, Modernität und Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt.

Woke und Wahnsinn

Die Debatte um „Wokeness“ und deren Auswirkungen auf die politische Linke ist komplex und polarisiert sowohl innerhalb als auch außerhalb progressiver Kreise. Einerseits wird „Wokeness“ von Rechtsextremisten als globaler Feind betrachtet, andererseits kritisieren auch viele Linke die Bewegung als schädlich. Die Kontroverse umfasst eine breite Palette von Themen, einschließlich Aufklärung, Universalismus, Identitätspolitik und die Grenzen der Toleranz gegenüber kulturellen Unterschieden.

Kritiker innerhalb der Linken, wie Susan Neiman, argumentieren, dass „Wokeness“ die Errungenschaften der Aufklärung untergrabe und einen neuen Tribalismus sowie eine Art von Stammesdenken fördere, das kulturelle Besonderheiten über universelle Menschenrechte und Gerechtigkeitsprinzipien stellt. Diese Kritik richtet sich gegen eine wahrgenommene Überbetonung der Identitätspolitik, die zu Spaltung und Ausschluss führen kann, anstatt breite Allianzen für sozialen Fortschritt zu bilden.

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die die Notwendigkeit betonen, Diskriminierung und Ungleichheit in all ihren Formen zu bekämpfen, und die Vielfalt als Stärke sehen, die unsere Gesellschaften bereichert. Sie argumentieren, dass ein Bewusstsein für die spezifischen Erfahrungen und Herausforderungen verschiedener Gruppen notwendig ist, um eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft zu schaffen.

Ein möglicher progressiver Konsens könnte darin bestehen, die Ziele der Gerechtigkeit und Gleichheit zu betonen, während gleichzeitig ein Universalismus verfolgt wird, der die gemeinsamen Interessen aller Menschen anerkennt. Dies würde bedeuten, Diskriminierung aktiv zu bekämpfen, Vielfalt zu fördern und gleichzeitig einen Dialog und Verständnis über unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven hinweg zu fördern. Es geht darum, eine Balance zu finden zwischen der Anerkennung individueller Identitäten und Erfahrungen und dem Streben nach universellen Werten und Zielen, die uns alle verbinden.

Letztlich könnte die Herausforderung darin bestehen, eine Politik zu entwickeln, die sowohl inklusiv als auch vereinend ist, und die es ermöglicht, breite Allianzen für den sozialen Wandel zu bilden, ohne dabei in Sektierertum oder Ausschluss zu verfallen. Dies würde eine kontinuierliche Selbstreflexion und -kritik innerhalb der Linken erfordern, um sicherzustellen, dass die Bewegung sowohl ihre progressiven Ideale als auch ihre breite Anziehungskraft bewahrt.

Israel, die Linken und der Krieg

Der Artikel beschäftigt sich mit der komplexen Frage der politischen Positionierung der Linken im Kontext des Nahostkonflikts, insbesondere im Hinblick auf Israel und die palästinensischen Gebiete. Es wird die Schwierigkeit diskutiert, eine kohärente und gerechte Haltung zu finden, die sowohl die Prinzipien der internationalen Solidarität als auch die spezifischen historischen und politischen Realitäten der Region berücksichtigt. Der Text hinterfragt die einfache Einteilung in „Antiimperialismus der dummen Kerle“ und „kriegsgeile Kiebitze“, indem er auf die vielschichtigen Verwicklungen und die Notwendigkeit einer differenzierten Auseinandersetzung hinweist.

Ein zentrales Thema ist der Provinzialismus in der politischen Auseinandersetzung, der die Bedeutung des globalen Engagements und der informierten Meinungsbildung zu internationalen Konflikten untergräbt. Der Autor betont die Wichtigkeit, sich über weltweite Geschehnisse zu informieren und sich eine fundierte Meinung zu bilden, auch wenn man direkt nicht betroffen ist. Dies wird als Weg gesehen, um schlauer zu werden und eine gereifte politische Identität zu entwickeln.

Des Weiteren wird auf die historische Verbindung zwischen der Linken und Israel eingegangen, die sich von einer anfänglichen Unterstützung aufgrund sozialistischer Ideale hin zu einer kritischeren Haltung aufgrund der Besatzungspolitik und der Rolle Israels im größeren Kontext imperialer Machtstrukturen gewandelt hat. Der Artikel kritisiert die Reduzierung des Konflikts auf einfache antiimperialistische Narrative und fordert eine nuanciertere Betrachtung, die die Komplexität der Situation anerkennt.

Die Herausforderung, eine linke Haltung zu formulieren, die den Idealen von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden treu bleibt, wird als schwierig, aber notwendig dargestellt. Der Text plädiert für eine Außenpolitik, die auf Verständigung und Kooperation setzt, um eine gerechtere und demokratischere Weltordnung zu fördern. Dabei wird die Bedeutung von Allianzen und diplomatischem Geschick hervorgehoben, um effektive Lösungen für den Nahostkonflikt und andere globale Herausforderungen zu finden.

Dem Morgenrot entgegen

Rahel Jaeggi unternimmt in ihrem Werk „Fortschritt und Regression“ den Versuch, das Konzept des „Fortschritts“ neu zu interpretieren und von seinen negativen Assoziationen zu befreien. Sie argumentiert, dass trotz der Fortschritte in Medizin, Wissenschaft und Technologie die Gesellschaft zunehmend von einem Gefühl der Stagnation beherrscht wird, was die allgemeine Idee des Fortschritts in Frage stellt. Jaeggi, die für ihre Fähigkeit bekannt ist, klassische philosophische Konzepte neu zu beleuchten, zielt darauf ab, den Fortschrittsbegriff so zu erneuern, dass er die Kritik daran aufnimmt und in eine konstruktive Richtung lenkt.

Sie analysiert die Idee des Fortschritts aus verschiedenen Perspektiven, erkundet dessen positive und negative Seiten und betont, dass Fortschritt oft mit moralischen und sozialen Implikationen verknüpft ist, die von den jeweiligen gesellschaftlichen Vorstellungen von einer „idealen Gesellschaft“ abhängen. Dabei wird deutlich, dass das, was als Fortschritt gilt, oft umstritten ist und von den vorherrschenden moralischen und ideologischen Vorannahmen abhängt.

Jaeggi schlägt ein „ausgedünntes“ Fortschrittskonzept vor, das sich nicht auf die Annäherung an ein bestimmtes gesellschaftliches Ziel konzentriert, sondern auf die Lösung von Problemen. Fortschrittliche Problemlösungen zeichnen sich durch ihre Fähigkeit aus, sich als „Anreicherungsprozess“ zu präsentieren und neue, komplexe und selbstreflexive Ansätze zu bieten, während Regression als ein Rückfall hinter bereits erreichte Einsichten angesehen wird.

Das Buch von Jaeggi fordert dazu auf, Fortschritt weniger als lineare Bewegung hin zu einem festgelegten Ziel und mehr als einen Prozess zu verstehen, der sich von aktuellen Problemen wegbewegt. Dies impliziert, dass die Beurteilung dessen, was als „Verbesserung“ gilt, unweigerlich normativen Urteilen unterliegt, die immer Gegenstand von Debatten sein werden. Jaeggi argumentiert, dass die Rückeroberung der Zukunft und die Wiederbelebung des Fortschrittsgefühls essentiell für die Vorwärtsbewegung von Gesellschaften und der Menschheit insgesamt sind, und betont die Notwendigkeit einer reflektierten Auseinandersetzung mit dem Konzept des Fortschritts.

„Ohne Sozialstaat kein florierender Kapitalismus“

Das soziale Netzwerk ist weitaus mehr als nur ein Schutz vor Armut; es dient als fundamentaler Pfeiler unserer Wirtschaft, der Konjunktur, unterstützt Gerechtigkeitsvorstellungen und stärkt die Demokratie. Wie Katharina Mader vom „Momentum-Institut“ und die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann erläutern, ist ein florierender Sozialstaat nicht das Ergebnis, sondern vielmehr die Voraussetzung für eine blühende Wirtschaft. Der Sozialstaat fungiert als Stabilisator in wirtschaftlichen Krisenzeiten, verhindert den abrupten Einbruch der Nachfrage und schützt Unternehmen sowie Arbeitsplätze.

Die Bedeutung des Sozialstaats erstreckt sich weit über die direkte Unterstützung für Bedürftige hinaus. Er wirkt sich positiv auf die allgemeine Lebenszufriedenheit, Gesundheit und sogar die Produktivität der Wirtschaft aus. Langfristige Studien und Analysen belegen, dass Länder mit einem ausgebauten Sozialstaat nicht nur sozial, sondern auch ökonomisch profitieren. Der Sozialstaat trägt zur Stabilisierung der Erwartungen bei und mindert die Angst vor Zukunftssorgen, was wiederum eine positive Auswirkung auf die Demokratie hat.

Der Sozialstaat umfasst neben der Mindestsicherung und Sozialversicherungen auch öffentliche Bildungssysteme, Kindergärten, das Pflegesystem, ein gerechtes Steuersystem und vieles mehr. Diese Institutionen sind nicht nur Auffangnetze, sondern auch Ausdruck und Förderer von Gerechtigkeitsnormen. Die „Philosophie des Sozialstaats“ basiert auf der Idee, jedem Mitglied der Gesellschaft Sicherheit und die Möglichkeit zur Teilhabe zu bieten.

Kritiker werfen dem Sozialstaat oft vor, er würde die Wirtschaft belasten und eine „soziale Hängematte“ schaffen. Doch solche Argumente verkennen die stabilisierende und aktivierende Rolle des Sozialstaats in der modernen Marktwirtschaft. Zudem reflektieren sie ein Menschenbild, das von Misstrauen und der Annahme genereller Faulheit geprägt ist – im Gegensatz zu einem positiveren Bild des Menschen, das auf Partizipation, Kooperation und gegenseitiger Unterstützung beruht.

Die Zukunft des Sozialstaats in Zeiten von Klimakrise und notwendiger Ressourcenreduktion wird Herausforderungen mit sich bringen. Während einige auf „grünes Wachstum“ hoffen, sehen andere, wie Ulrike Herrmann, die Notwendigkeit, unseren Konsum zu reduzieren und Ressourcen gerechter zu verteilen. Dies könnte zu einer „extremen Form des Sozialstaats“ führen, in der lebensnotwendige Ressourcen rationiert werden, um eine gerechte Verteilung zu gewährleisten.

Insgesamt zeigt sich, dass der Sozialstaat ein unverzichtbares Element unserer Gesellschaft ist, das weit über den Schutz der Schwächsten hinausgeht. Er stabilisiert die Wirtschaft, fördert Gerechtigkeit und unterstützt die Demokratie. Die Diskussion um seine Zukunft und Anpassung an neue Herausforderungen bleibt ein zentrales Thema für eine nachhaltige und gerechte Gesellschaft.

Empathielosigkeit für Malträtierte

Yascha Mounks neues Buch „Identitätssynthese“ widmet sich der kritischen Auseinandersetzung mit aktuellen Strömungen der „Wokeness“ und „Identitätspolitik“. Mounk, ein deutsch-polnisch-jüdisch-amerikanischer Intellektueller, analysiert die theoretischen Grundlagen und Auswüchse einer Ideologie, die er als „Identitätssynthese“ bezeichnet. Dabei geht es um die Kombination aus noblen Überzeugungen und Theorien, die in ihrer Summe zu einem sektiererischen Extremismus führen können, der nicht nur theoretisch fragwürdig, sondern auch in der Praxis problematisch ist.

Mounk setzt sich mit verschiedenen theoretischen Ansätzen auseinander, darunter die Machtanalyse von Michel Foucault, post-koloniale Kritiken und Theorien, die strukturellen Rassismus und subtile Benachteiligungen thematisieren. Er kritisiert die Entwicklung hin zu einem Essentialismus, der behauptet, nur direkt Betroffene könnten unterdrückerische Realitäten verstehen, während anderen die Legitimation abgesprochen wird, dazu Stellung zu beziehen. Mounk illustriert, wie diese Theorien in eine Logik münden können, die jede Kritik als moralisch verwerflich brandmarkt und damit Diskussionen unterbindet.

Das Buch kritisiert besonders die Vereinfachung komplexer gesellschaftlicher Verhältnisse zu einem binären Schema von historisch marginalisierten und dominanten Gruppen, wobei der marginalisierten Gruppe grundsätzlich Recht und der dominanten Gruppe grundsätzlich Unrecht zugesprochen wird. Mounk betont die Notwendigkeit, Ungerechtigkeiten zu erkennen und zu bekämpfen, ohne sich dabei einer konfrontativen und ausschließenden Haltung zu bedienen.

Transkript:

0.725
stefansasse
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von den Bohrleuten. Wir haben in der letzten Zeit von Sarah Wagenknecht gehört, dass sie nicht mehr links sein möchte und die Partei, die das Linke bereits im Namen trägt, befindet sich mittlerweile sicher unter der 5% Hürde.

15.742
stefansasse
Da stellt sich nicht nur mir die Frage, ist Linksign irgendwie out, ist Links in der Krise, ist Links vielleicht sogar schon tot? Und ich habe mir zu diesen ganzen Fragestellungen, was heute eigentlich noch Linksign heißt, wo das historisch herkommt, möglicherweise auch, was ist die Krise der heutigen Linken, einen Experten ins Studio geholt?

36.783
Robert
Ja, hallo, ich bin Robert Misik und bin Autor und auch politisch engagierter ein bisschen und auch im Kunstbereich arbeitender Mensch aus Wien, vor allem Journalist und Buchautor und zu den Thematiken, über die wir da jetzt heute reden.

54.241
stefansasse
Genau, ich habe gerade schon angerissen, dass wir aktuell keine Hochzeit für linke Ideen haben, um es mal milde auszudrücken. Mit den Problemen, die die Partei hat und dann eben diese starke Konkurrenz von rechts. Und das war ja schon mal anders. Also wenn ich mich so zurück erinnere, während der Finanzkrise, die ja jetzt auch noch gerade ein starkes Jahrzehnt her ist, schien es ja geradezu eine Renaissance linke Ideen zu geben.

80.071
stefansasse
Davor, in dem Jahrzehnt davor, das so geprägt war von dieser Reformpolitik mit Stichwort Agenda 2010, Hartz IV und so weiter. Ich erinnere mir noch an Kolumnenbeiträge. Haben wir jetzt bald soziale Unruhen in Deutschland? Es wurde die große populistische Gefahr von links beschworen und davon ist irgendwie gar nichts mehr übrig gefühlt. Also das gesamte Bedrohungsszenario des Bürgertums steht inzwischen hoffentlich rechts.

104.906
stefansasse
Und auf der anderen Seite kriegen die Linken wirklich keinen Fuß auf den Boden und selbst ihre einstmals exponierten Vertreter wollen sich irgendwie gar nicht mehr zu dem Begriff bekennen. Hast du so eine große allumfassende Theorie, woran das liegt? Ist das quasi nur so eine Modeerscheinung des Auf und Ab oder ist da ein strukturelles Problem dahinter?

123.899
Robert
Na ja, ich meine, ich finde jetzt auch, vielleicht war jetzt auch ein bisschen deine, dein Intro ein bisschen zugespitzt, weil man kann das ja natürlich auch anders sehen, seitdem man, seitdem ich denken kann und das sind jetzt doch, weil, also jetzt natürlich längere Zeit, aber sozusagen seit den 80er Jahren permanent man über Linke gesprochen worden ist oder Linke insbesondere über sich selbst gesprochen hat.

147.722
Robert
hat sie immer gesprochen über die Linke in der Krise. Wie soll man sagen, die Indizienkette, worin die Krise besteht, war dann jeweils eine andere im Relation zu was auch immer, also in Relation zu der Zeit vorher oder in Relation zu den Wünschen, die man hätte. Und natürlich eine Krise der verschiedensten

168.814
Robert
Begründungen. Ich kann mich noch erinnern, da wurde dann sozusagen der Zerfall der Post 68er-Linken, das war vielleicht auch zum Teil eine K-Gruppenlinke, beklagt und dann wurden Beklagt Wahlverluste von Sozialdemokraten oder

187.671
Robert
Verlust von Energien bei den Sozialdemokraten, bei den reformerischen Energien, die kreisige Energien, die Palmeenergien, die Willy-Brandt-Energien hat man beklagt, dann war gewissermaßen dann der Zusammenbruch dieses post-Stalinistischen, kommunistischen Systems, also sozusagen der osteuropäischen,

209.444
Robert
stalinistischen Gesellschaften, ob man die jetzt links oder nicht links ausdrückt oder ob man die kommunistisch nennt oder nicht, ist mir jetzt mal wurscht. Aber auch das wurde einerseits eine Befreiung von autoritären Irrwegen schon angesehen, aber gleichzeitig dann auch als Krisensymptom sofort

231.169
Robert
beurteilt weil es gab dann quasi diese große phase der 90er jahre mit den der kapitalismus hat weltumfassend gewonnen globalisierung neoliberalismus und so weiter und so fort und auch das hat man als eine krise der linken angesehen dann sind manche linke also insbesondere die linken liberalen linken damit

254.121
Robert
ins Zentrum gerückt und wurden selbst neoliberal, ich nenne jetzt mal sozusagen das Schlagwort der Clinton-Ära, Blair-Ära, auch das wurde seine Krise der Linken angesehen, dann die Schröder-Ära und naja, die Finanzkrise hat natürlich schwere ökonomische Verwerfungen herbeigeführt und es waren natürlich sozusagen Phasen, in denen durchaus auch in wesentlichen europäischen Ländern auch progressive Sozialdemokraten

278.558
Robert
regiert haben. Portugal, Österreich war so ein bisschen bissel linker als deutsche Sozialdemokraten und das stimmt auch in den südeuropäischen Ländern. Es hat Syriza zum Beispiel in Griechenland

294.65
Robert
die Regierungsmacht erkämpft, da hatte man natürlich dann gewissermaßen manchmal die Analyse, dass das jetzt ein Impuls für eine neue Linke ist. Aber bei allen Auf und Abs, die Krisenrhetorik im Zusammenhang mit der Linken sollte uns nicht überraschen, weil die ist, die wird man seit 40 Jahren nicht los.

315.896
stefansasse
Ich fürchte sogar schon länger. Und ja, du hast mich erwischt. Ich habe tatsächlich extrem zugespitzt. Ich habe auch diesen historischen Blick da durchaus mit drin. Da gibt es, ich weiß nicht, ob du den kennst, diesen mittlerweile auch schon etwas älteren Artikel aus der zweiten Amtszeit Obama, diesen englischsprachigen über die Green Lantern Presidency. Also diese Hoffnung, dass die Progressiven immer quasi diesen

334.497
Robert
Ja. Ja. Ja. Ja.

339.019
stefansasse
diesen Retter, diesen Messias sich erhoffen, dann sind sie jedes Mal enttäuscht, wenn der sich dann im Amt doch als Mensch herausstellt, was dann aber nicht davon abhält, die jeweils letzte Generation zu verklären, wenn die nicht gerade Gerhard Schröder heißt. Aber du hast ja vorher zum Beispiel Willy Brandt erwähnt, der war jetzt seit seiner Zeit auch nicht gerade die linke Vorzeigefigur, sondern galt ja dann in der Linken auch nicht unbedingt als das große Vorbild eben, sondern hat ganz fiese Kompromisse gemacht mit dem Kapitalismus und dem Schweinesystem und was auch immer.

368.558
stefansasse
Diese Verklärung kommt ja dann häufig erst später. Also ich glaube, wenn Oskar Lafontaine Zeitgenosse Brandt gewesen wäre, dann hätte er ihn auch hart kritisiert, anstatt ihn danach so zu verklären, wie er es dann getan hat. Das gehört ja in diesen Prozess quasi mit rein. Allerdings würde ich trotzdem sagen, wir befinden uns, glaube ich, gerade trotzdem in so einer Art Talsohle der Beliebtheit von zumindest klassisch linken Ideen. Das ist schon so ein Auf und Ab, so eine Art Schweinezyklus des Linkseins.

398.439
stefansasse
Und da haben sie es aktuell nicht leicht. Und auch wenn ich nicht davon ausgehe, dass es jetzt irgendwie eine langfristige Wirkung hat in dem Sinne, als dass wir eine Partei links der Mitte oder eine Bewegung links der Mitte künftig nicht mehr haben werden.

413.712
stefansasse
So würde ich doch zumindest die Theorie wagen, dass es sich gerade ändert oder in einer in einer Art Selbstfindungsphase ist. Wie wir das ja schon mal hatten. Du hast es schon Tony Blair und Gerhard Schröder erwähnt. Die kommen ja auch im Endeffekt heraus als Exponenten von einer größeren Selbstfindungskrise. Wenn man da an sowas denkt wie die Wahlniederlage Labor 1983.

435.606
stefansasse
oder den den Wechsel von Mitterrand, der da in Frankreich dann plötzlich so eine, und ich packe es mal in Anführungszeichen, neoliberale Wände vollzieht, die Niederlagen der SPD in den 80er Jahren gegen Helmut Kohl und so weiter. Da gab es ja auch dieses Gefühl, dass man sich so in einer Sackgasse befindet und etwas Neues braucht, was auch immer das ist. Und ich habe das Gefühl, die befinden sich gerade wieder in so einer ähnlichen Phase von so einer gewissen Ideenlosigkeit.

462.734
stefansasse
in der die alten Rezepte nicht mehr so wirklich funktionieren, also auch die Mobilisierungskonzepte, ich rede gar nicht so sehr von Policies, sondern eher von diesem, wie gewinnt man Mehrheiten, und in dem sie versuchen, einen neuen Ansatz zu finden, quasi eine neue Legitimation für die Wählenden, warum man wieder links wählt.

468.968
Robert
Vielen Dank für’s Zuhören!

482.432
Robert
Ja, und vor allem sie zu gewinnen versucht, ich meine, Legitimation, ja klar. Ich meine, du hast eine schon angeschnitten, nämlich das, wäre für Lafontaine Brandlinks genug gewesen oder hätte der den auch kritisiert. Ich meine, das eine muss man, glaube ich, schon mal auch immer dazu sagen, das ist auch eine, wenn man so will,

504.155
Robert
Etwas, was sich durchzieht in der Geschichte der Linken, man kann es aber natürlich auch sagen, eine Art von Krankheit der Linken, dass man immer jeweils anderen abspricht, überhaupt Linke zu sein. Es geht nicht nur darum, dass man sagt, ich habe diese Linie und der andere hat die andere Linie, sondern dass man sagt, die Linie, die ich präferiere, ist die einzig Linke und die anderen, die sich vielleicht auch als Linke ansehen, sind gar keine Linken.

528.081
Robert
Was natürlich auch einen gewissen sektierischen Geist motivieren kann, dass man jetzt überspitzt formuliert, ist es dann oft auch so, dass man sagt, nur ich und meine drei besten Freunde sind Linke und alle anderen sind falsche Linke. Also darauf sollten wir uns nicht kaprizieren. Was es aber natürlich gibt, ist immer unterschiedliche Ansichten innerhalb der Linken, wie breit man die jetzt auch definieren mag. Ob man jetzt

554.94
Robert
das Bündnis Sarah Wagenknecht noch als links oder eben schon als nicht mehr links definiert, ist mir jetzt relativ wurscht. Persönlich würde ich jetzt mal sagen, selbst wenn es eine andere Spielart der Linken wäre, es wäre nicht meine Spielart. Das meint das eine dazu.

576.415
Robert
Wir sind jetzt natürlich in einer Situation, die in hohem Maße komplex ist, weil man hat eine große Unzufriedenheit in der gesamten Bevölkerung, sowohl mit den ökonomischen Ergebnissen unseres ökonomischen Systems, ich sage es jetzt mal, den Kapitalismus,

598.183
Robert
oder der gerade zeitgenössischen Ausprägung des Kapitalismus, kann man ja definieren, wie man will, ja, weil sozusagen der ökonomische Stress, der ins Leben der Menschen einzieht, sowohl von den Lebenshaltungskosten, aber auch von Arbeitsmarktinstabilität, Respektabilität, also sozusagen welchen Respekt man genießt als jemand, der seinen Job macht, also diese

623.831
Robert
was immer so definiert wird, im Sinne von der Mensch zählt nicht mehr, man ist eigentlich nur mal eine Kostenstelle auf zwei Beinen und das bei immer mehr ökonomischen Stress bis hin, dass das Leben eigentlich nicht mehr leistbar ist, wenn man jetzt alles zusammenzählt, sozusagen stagnierende Reallöhne und steigende Mieten.

646.8
Robert
steigende Lebenshaltungskosten und so weiter. Also da gibt es mal sozusagen das Wiederaufkommen des ökonomischen Problems, aber jenseits des ökonomischen Problems auch noch mal die Frage, was man als die Krise der Demokratie ansehen kann, dass viele, viele Menschen das Gefühl haben,

663.882
Robert
Innerhalb dieses ökonomischen, dieses politischen Spektrums gibt es überhaupt niemand mehr, dem ich vertraue. Sowohl sozusagen die etablierten Parteien der konservativen Rechten, als auch die verschiedenen vorhandenen etablierten Gruppen in der Mitte und der linken Mitte und links von der Mitte. Das gibt unserem gegenwärtigen Moment nochmal seine eigene Prägung. Das ist sicherlich einer der Hintergründe,

694.475
Robert
Für das, was man jetzt nennen könnte, diesen populistischen Moment oder das Aufstieg des Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus überall, ist sicherlich ein Aspekt davon. Auch wenn ich diesen Aspekt nicht monokausal stark machen würde wollen, weil dann würde man immer sagen, der Aufstieg der Rechten ist nur eine Folge von Defiziten der Linken.

715.111
Robert
Das würde ja alle Leute, die rechtsextrem sind, rechtsextreme Parteien anführen oder rechtsextreme Parteien wählen, irgendwo moralisch exkulpieren. Sie kennen ja nichts dafür. Sie sind ja so was wie nur Symptome einer Krise und überhaupt nicht selbstverantwortlich für das, was sie tun. So würde ich sie ja jetzt auch nicht sehen.

742.807
Robert
Der Aufstieg des rechten Populismus und die Gefahr des Rechtsextremismus und die Gefahren für Demokratien und liberale und progressive Demokratien kommen schon aus sich heraus auch. Dieses Abdriften von wesentlichen Teilen der Gesellschaft in den rechten Extremismus. Und nichts desto weniger.

769.377
Robert
Ich gehe jetzt nochmal wieder von dem zurück. Nichts desto weniger ist es natürlich offensichtlich aber auch ein Element eines Versagens der Linken, dass sie nicht mehr schafft, Kraft der Hoffnung zu sein, dass man eine Gesellschaft im Sinne

786.408
Robert
der großen Mehrheit oder jedenfalls relevanter Teile der Bevölkerung voranbringen kann. Sowohl in Gerechtigkeitsfragen, also mehr ökonomische und materielle Gleichheit herzustellen, mehr Stabilität auch ins Leben zu bringen, mehr Gerechtigkeit der Wohlstandsverteilung.

806.169
Robert
jetzt nicht nur damit man Reichtum und Wohlstand anhäuft, sondern dass man überhaupt das Gefühl hat sicheren Boden unter den Beinen zu haben. Das ist sicherlich mal ein ganz wesentlicher Aspekt für Menschen. Aber natürlich auch muss man glaubwürdig und auch gewinnend sein im Hinblick auf wie man eine Gesellschaft des Ganzen verändern. So mehr

831.698
Robert
Freiheit in Richtung von mehr Respekt für alle, sowohl für die, die sich je einer Mehrheit zurechnen, aber auch für diejenigen, die

843.046
Robert
so etwas sind wie Minderheiten, die noch nicht diesen Grad an Anerkennung haben, also Anerkennung für alle und Freiheitsgewinne für uns alle in einer Gesellschaft, Nonkonformismus und so weiter und so fort. Das war die Linke eigentlich immer, sowohl eine Kraft für ökonomische Gerechtigkeit und ökonomische Fairness, aber auch eine Kraft, die Liberalität, Progressivität und Freiheitsgewinne

871.152
Robert
als ganze Gesellschaft vorangebracht hat. Da war sie am erfolgreichsten, wenn sie auch Allianzen gebildet hat und auch den Optimismus hatte, dass das auch möglich ist. Oder mehr sogar, über weite Strecken der Geschichte hat die Linke dann, wenn sie erfolgreich war, ja auch den Eindruck gehabt, und das war auch dann Ausdruck des Zeitgeists, dass man sowieso einen Wind der Geschichte, der einem günstig ist, hinter sich hat.

897.142
Robert
Ja, das ist sicherlich etwas, was heute eher Mangelware ist, dieses Bewusstsein, sondern er hat so einen stockenden Pessimismus-Einzug gehalten, der es natürlich auch für die Linke besonders schwierig macht. Genosse-Trend. Der Trend ist ein Genosse.

910.009
stefansasse
Genosse Fortschritt hat man das, glaube ich 60er Jahre war das doch. Genosse Trend, genau. Weil diese Idee, dass man das alles quasi den Weltengeist auf seiner Seite hat, das fehlt definitiv. Wobei, ich glaube diese Vorstellung ist einfach generell auch so ein bisschen aus der Mode gekommen. Es ist jetzt nicht so, als würden wir mit dem Weltengeist hausieren gehen oder so.

932.637
Robert
Nein, sowieso nicht, aber das wäre ja mein Einwand. Für die Rechten ist eine depressive Stimmung, ein Gefühl, es geht bergab und wir müssen uns verteidigen, um das zu erhalten, was gerade noch da ist, oder wie auch immer man das formulieren mag, immer günstig.

949.514
Robert
Die Rechten leben von der Angst und von der Pessimismus und dem Angst vor der Veränderung. Die Linken leben immer vom Optimismus, dass es verbessert werden kann. Aber wenn dieser Optimismus nicht da ist, ist es den Rechten günstig. So müsste man es formulieren.

963.37
stefansasse
Ja, da bin ich völlig bei dir. Ich würde noch ganz kurz bei dieser Demokratie-Idee verbleiben. Ich finde es ein bisschen schwierig zu sagen quasi, dass die Gesamtheit aller Linken sozusagen die Kraft der Demokratie verkörpert. Weil das sehen wir jetzt gerade mit den Spielereien wie dem Bündnis Sarah Wagenknecht oder sowas.

982.688
stefansasse
dass natürlich die radikalere Linke genauso wenig mit der pluralen Demokratie, wie wir sie im liberalen System kennen, am Hut hat. Da haben wir dann auch diese, wie quasi die Rechtspopulisten auch, deswegen kriegen wir diese demonstrativen Schulterschlüsse zwischen Leuten aus dem Bündnis Sarah Wagenknecht und der AfD. Das kommt ja nicht von ungefähr, dass die

1005.145
stefansasse
sich ganz bewusst aus jedem Versuch herausziehen, dieses große Bündnis der demokratischen Parteien gegen rechts zu schmieden. Ja, so quasi von der CDU bis zu den Grünen oder der SPD, je nachdem, welchen von den beiden man als linker bezeichnen möchte, sozusagen dieses Bündnis gegen rechts aufzubauen, vielleicht sogar unter Einschluss von Teilen der Linken, wer weiß. Aber gerade diese Wagenknecht-Gruppierung, die nimmt sich da ja ganz, ganz bewusst raus und weiß,

1034.258
stefansasse
dieses Narrativ auch zurück letzten Endes. Für die ist ja sozusagen auch diese Ablehnung von dem, was du gerade als einen Teil von vielen genannt hast, nämlich diese Teilhabe von bisher marginalisierten Gruppen. Das spielt ja bei denen gerade keine Rolle. Die kaprizieren sich ja wieder mehr auf die traditionellen marginalisierten Gruppen.

1052.705
stefansasse
Also so die Arbeiter und was da quasi, was so von einem typischen Labor-Wahlplakat der 70er Jahre rausgeklettert sein könnte im Endeffekt. Das ist sozusagen so ein bisschen deren Idee.

1066.63
stefansasse
Und ich hab das Gefühl, dass tatsächlich hier die, was du als unglaublich wichtig angesprochen hast und was ich auch zustimmen würde, dieses Bauen einer Koalition, eines breiten Bündnisses, eines großen Zells, welche Metapher man da auch immer verwenden möchte, das gelingt denen gerade nicht.

1083.507
stefansasse
Wir haben stattdessen viel mehr dieses ebenfalls von dir schon angesprochene Problem der Volksfront von Judäa gegen die judäische Volksfront. Diese typische Spalterei, die das Pläsier jeder linken Bewegung ist, die feiert gerade wieder Urstände.

1099.616
Robert
M-hm.

1099.718
stefansasse
Und ich finde es ja auch so witzig, weil du gesagt hast, so jeder spricht dem anderen immer des Linksein ab. Das ist ja ein Spiel, das machen ja sogar die Liberalen und die Konservativen mit. Also sogar die versuchen ja immer so mit reinzuhüpfen, so was ist eigentlich links und wer zählt da rein, wenn sie dann beispielsweise wieder den Grünen absprechen, da so wahre linke Interessen zu verkörpern, als ob die da irgendwelche Stakes in diesem Kampf hätten. Also das scheint mir da schon ein wahnsinnig relevanter Aspekt zu sein.

1129.391
stefansasse
Und wir kommen bestimmt nochmal auf diese optimistische Zukunftsvorhersage, da habe ich auch noch die eine oder andere Idee dazu, woran das liegt. Ich würde jetzt allerdings mal eher bei dieser Teilung bleiben. Ein Narrativ, das man ganz häufig hört, ist ja quasi so diese Idee, dass die Linke aktuell in zwei Strömungen geteilt ist. Die eine ist so quasi dieses grüne Ding,

1140.23
Robert
Copyright WDR 2021

1151.499
stefansasse
mit Frauenrechte und Rechte für Migrantinnen und Open Borders und Klimaschutz und der ganze Kram. Und das andere ist sozusagen das klassische mit Mindestlohn und höhere Sozialleistungen und Sicherung und dass diese beiden Bewegungen sich quasi voneinander entkoppelt hätten. Hältst du das hauptsächlich für ein Narrativ oder denkst du da ist was dran?

1171.937
Robert
Es lässt sich ja nie voneinander trennen. Es gibt natürlich ein Auseinandergehen von verschiedenen Strömungen, aber sie würden nicht auseinandergehen, wenn es nicht Narrative gäbe, die die jeweiligen Strömungen motivieren.

1196.305
Robert
Ich wollte jetzt nicht den Eindruck erwecken, weil das war eigentlich dein Einwand zu Beginn deines hinterjetzigen Inputs.

1206.254
Robert
dass ich den Eindruck erweckt hätte, die Linke ist automatisch und immer gewesen eine Kraft, die sowohl materielle Gleichheit als auch mehr Demokratie, Liberalität, Pluralismus, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenschutz und so weiter verwirklicht hat. Das war natürlich im Kern zu Beginn der Linken.

1228.285
Robert
eigentlich immer verbunden. Das wäre sozusagen in den Jahren 1848 bis 1870 jeden völlig verrückt erschienen, hätte man gesagt. Die Linke ist nur eine Kraft für mehr ökonomische Gleichheit, aber nicht für Demokratisierung und Ermächtigung des Volkes selbst zu regieren und

1254.445
Robert
und Freiheitsgewinne für alle, also damit auch insbesondere für Minderheiten, nicht nur für die Mehrheiten, sondern auch für Minderheiten. Das wäre zu diesen Zeitpunkten völlig verrückt gewesen, weil völlig klar gewesen ist, dass das eins ist, dass sozusagen das Ziel der Klinken jetzt auch nicht ist, sozusagen die kollektive Befreiung eines Kollektivs, in dem sozusagen quasi dann jedes Individuum untergeht und seine Individualität verliert, sondern

1279.957
Robert
Das war ja auch von Marx beginnend ganz pathetisch auch, dass die Bedingungen

1287.056
Robert
dass sozusagen die Befreiung des Einzelnen und die Befreiung des Individuums das Ziel der kollektiven Befreiung der Menschheit ist. Es geht nicht um die Befreiung der Menschheit, sondern die Befreiung der Menschheit als Ganzes ist an die Bedeutung dafür, dass jeder einzelne, jedes einzelne Individuum dieser Menschheit sein Leben nach seinen eigenen Präferenzen führen kann, dass seine Individualität geschützt ist, dass es

1314.104
Robert
vom Recht geschützt ist und so weiter und so fort und dass es auch eine Stimme im demokratischen Prozess hat. Das heißt diese Kritik an den bürgerlichen Freiheiten war ja nicht, dass es bürgerliche Freiheiten sind, sondern dass sie nicht weit genug gehen, dass sie rein formal proklamiert sind, aber nicht für alle lebbar sind. Erst mit der Spaltung in

1341.032
Robert
Sozialisten oder reformorientierte Sozialdemokraten oder

1348.302
Robert
sozusagen libertäre, radikale, auf der einen Seite und auf der anderen Seite Bolschewisten, Kommunisten oder dann sozusagen noch stalinuide Bolschewisten, hat sich quasi erst eine autoritäre Strömung der Linken herausgebildet, die er eigentlich ganz anders argumentiert hat, nämlich gesagt hat, diese bürgerlichen Freiheiten sind eigentlich nur Betrug und was hilft dem Arbeitslosen das Wahlrecht.

1376.101
Robert
Übrigens ein Satz von, was nützt dem Armen das Wahlrecht, ein Satz von Oskar Lafontaine. Da steckt schon eine Verachtung für Liberalität und Freiheitsrechte und so weiter drin, weil es so tut, als wäre das Wahlrecht nur so ein kultureller Klimbim, der nicht entscheidend ist, dass man die Armut bekämpft.

1396.561
Robert
Und außerdem ist es ja sowieso ein Blödsinn, weil sozusagen Gesellschaften, in denen es Wahlrecht gibt, werden bessere Möglichkeiten haben, auch Ungleichheit zu bekämpfen, als Gesellschaften ohne Wahlrecht. In aller Regel. Es gibt natürlich Gesellschaften mit Wahlrecht, mit ganz grober Ungleichheit. Aber zumindest haben in diesen Gesellschaften auch die Armen die Möglichkeit, für ihre Rechte einzutreten und sozusagen die ökonomischen Bedingungen zu verändern.

1426.22
Robert
Das ist das eine. Aber es ist mit dem verbunden, mit dem zweiten, nämlich dieser Frage von, wie es am überspitztesten formuliert wird, die einen linken, die kämpfen für das, was eigentlich für die breite Bevölkerung interessant ist, materielle Fragen, ökonomische Fragen und alle Fragen des Lebensstils lasst man beiseite, weil Menschen haben einen unterschiedlichen Lebensstil und so weiter und so fort. Und außerdem soll man sich am Lebensstil der Breiten

1455.776
Robert
der großen Mehrheit der Bevölkerung orientieren. Und die anderen, denen man vorwirft, dass sie sich wenig um ökonomische und materielle Fragen kümmern, sondern nur um kulturelle Fragen, Fragen von Lebensentwürfen, Fragen von Identität, Fragen von Differenz.

1474.07
Robert
Ich halte das, natürlich gibt es diese Spaltung, ich halte diese Spaltung aber sozusagen auch aus verschiedensten Gründen für vollkommen vertrautelt, um das jetzt halt abzusagen, nämlich weil es keine materielle Frage gibt, die nicht auch kulturell ist und weil es keine kulturelle Frage ist, die nicht auch ökonomisch verbunden ist.

1495.52
Robert
auch die Ausbeutung der breiten Masse der arbeitenden Klassen, also genau derjenigen, den sich Sarah Wagenknecht und Linke dieser Spielart ja besonders annehmen wollen, deren ökonomische Ausbeutung und deren ökonomische Unterprivilegiertheit ist ja auch verbunden mit

1514.667
Robert
kulturelle Abwertung. Mit der kulturellen Abwertung, ja es sind halt sozusagen quasi nur die Arbeiterklasse, die sozusagen nicht so modern ist, über die die Zeit hinweggeht, die schlecht angezogen sind, die angebildet sind. Also kulturelle Abwertung und ökonomische Ausbreitung sind immer verbunden, genauso wie umgekehrt Minderheiten, die aufgrund ihres Minderheitenstatus

1539.65
Robert
als weniger respektabel angesehen werden, was kommt von Ethnizität, Hautfarbe, Einwanderung oder auch sexuell orientieren, was auch immer, deren kulturelle Abwertung übersetzt sich ja sofort auch in ökonomische Unterprivilegiertheit mit weniger privilegierten Zugang zu Arbeitsmärkten, mit noch schwereren Zugang zu Wohlstand. Also ganz simpel gesagt,

1562.21
Robert
Rassismus auf der einen Seite und niedrige Löhne auf der anderen Seite kann ich nie trennen. Genauso kann ich die Abwertung, die kulturelle Abwertung der Arbeiterklasse und deren ökonomischen Probleme auch nicht voneinander trennen, wie umgekehrt quasi die erfolgreichen Kämpfe der Arbeiterklasse um mehr ökonomische Gleichheit, um sicherere Arbeitsbedingungen, um sicherere Jobs, um bessere Arbeitsrechte, um eine Stabilisierung des Lebens, um

1591.544
Robert
um bessere Löhne sofort einhergegangen ist, auch mit einem kulturellen Gewinn an Respektabilität, an Statusgewinn. Das, simpel gesagt, jetzt übersetze ich es, ist dann nimmer mehr so leicht möglich war, sozusagen so Herrn Reitergestus auf diese Menschen herunterzuschauen. Also ökonomischer Fortschritt und kultureller Fortschritt sind ja sowieso immer miteinander verbunden.

1616.971
stefansasse
Das ist ja diese Abwertung quasi, die du da gerade angesprochen hast. Das ist ja etwas, wogegen die sehr, sehr klassische Linke, also wenn man mal sofort die Zeit des Zweiten Weltkriegs und ganz besonders so Kaiserreich-Ära gehen, das haben die ja durch diese Arbeiterkultur mit diesem ausgeprägten Vereinswesen und so weiter immer zu bekämpfen versucht, weil das denen ja schon sehr, sehr klar war. Da haben wir ja quasi diese direkte Verknüpfung, von der du da gerade gesprochen hast. Da haben die ja dann

1629.991
Robert
M-mh.

1647.031
stefansasse
Arbeitergesangsvereine, Kegelvereine und ganz, ganz viel, also quasi auf der einen Seite diese Freizeitgestaltung, um ein Klassenbewusstsein, wie Marx das immer postuliert hat, in die Praxis überhaupt erst zu schaffen. Und auf der anderen Seite dann natürlich auch gleichzeitig Instrumente herzukriegen mit Büchereien, Bildungsvereinen, Bildungsveranstaltungen etc.

1668.797
stefansasse
um den Leuten es zu ermöglichen, aktiv an diesem politischen Prozess teilzunehmen. Weil Lafontaine hat natürlich insofern recht, wenn er sagt, was bringt einem Armen das Wahlrecht, das ein Wahlrecht, das keine Konsequenzen hat, sozusagen, indem ich nur als

1684.411
stefansasse
als legitimatorisches Klimbin teilnehmen. Das hat natürlich tatsächlich keinen Wert. Aber die Idee ist natürlich, gerade in unserer Demokratie hat das Wahlrecht ja einen sehr aktiven Wert. Also, anders ausgedrückt, in Russland aktuell hilft einem Armen das Wahlrecht tatsächlich einen feuchten Frutz. Während in der Bundesrepublik, da kann ich mir mit meinem Wahlrecht ja tatsächlich, wenn ich es denn sinnvoll ausübe, durchaus Dinge erzeugen. Wenn eine bestimmte Gruppierung, gerade wenn es eine marginalisierte Gruppierung ist, wenn die in signifikante Anzahl wählt,

1713.439
stefansasse
dann wird die eine Kraft, auf die die etablierten Parteien eingehen müssen. Das sehen wir immer. Und von daher, das genau, um diese Frage zu beantworten, bringt dann gegebenenfalls das Wahlrecht. Und ich denke, eines der Themen, das die Linke eben aktuell hat, ist, dass sie es nicht mehr schaffen, diesen Zusammenhang

1734.462
stefansasse
entweder herzustellen oder doch zumindest begreiflich zu machen letztlich. Also nicht in dem Sinne, dass die Leute zu doof werden, das zu verstehen, sondern dass es einfach nicht einsichtig ist, dass dem so ist. Sogar diese Fragestellung, was bringt wählen schon? Die verbreitet sich ja immer mehr. Das war ja auch mit der Alternativlosigkeit der Ära Merkel und so weiter und so fort. Also das hängt definitiv auf eine gewisse Art und Weise zusammen und darauf können die gerade keine Antwort geben.

1763.558
stefansasse
Und ich halte, und da sind wir dann bei der Mobilisierung und dieser Narrativgeschichte, das wäre jetzt quasi meine große These, einer der viel zu unterdiskutierten Punkte in meinen Augen ist, dass wir aktuell keine Wir-gegen-Sie-Erzählung haben.

1778.558
stefansasse
weil das gehört neben dem Optimismus, der unzweifelhaft vorhanden ist, speist sich aber die Stärke linker Bewegungen immer aus diesem Wissen eine Mehrheit zu sein. Und ich packe hier Wissen auch gerne in Anführungszeichen, weil die Linken sind ja selten tatsächlich eine parlamentarische Mehrheit, aber dieses Gefühl quasi, dass man nicht nur für den Fortschritt und für eine bessere Zukunft streitet, sondern dass man in diesem Zusammenhang auch die Mehrheit repräsentiert. Das halte ich auch für ganz ganz zentral,

1808.507
stefansasse
für Erfolgsphasen der Linkenpolitik. Also gerade wenn ich so an diese Mobilisierungen in den 70er Jahren denke, als die SPD, die hat da immer auch Wahlkampf gemacht gegen die da oben. Das war quasi immer die Idee. Und das ist mittlerweile echt zu einer rechten Provenienz geworden und die haben es sogar geschafft, die Linken als die Elite darzustellen. Und ich glaube, diese Umdrehung sozusagen, ob sie jetzt berechtigt ist oder nicht,

1836.613
stefansasse
Das ist einer der großen Erfolgsfaktoren der Rechten auf der einen Seite und einer der großen Misserfolgsfaktoren der Linken andererseits, weil die dieses Narrativ brauchen und die bieten da aktuell zwar diversen marginalisierten Gruppen eines,

1851.459
Robert
Mh.

1851.766
stefansasse
Aber es gibt quasi kein einheitliches, verbindendes Story mehr. Wir wissen quasi als Linke nicht, wer sind eigentlich die da oben. Weil der Kapitalismus,

1867.142
stefansasse
Das funktioniert nicht mehr. Das ist zu krude. Dafür sind wir inzwischen zu sehr Mittelschichtgesellschaft und so weiter und so fort. Damit lockt man keinen mehr hervor. Die Sprache ist auch schon eine, die irgendwie immer vage veraltet klingt, wenn Leute da anfangen. Da schaltet bei mir schon immer alles ab. Wenn da irgendjemand kommt, der Kapitalismus ist böse. Ja, hat Opa auch schon gesagt. Das scheint mir so ein ganz, ganz großes Problem zu sein.

1895.068
Robert
Ja, sicherlich. Also ich meine einerseits gibt der Kapitalist im Sinn von irgendwie der fett gefressene Fabriksherr

1911.049
Robert
mit der Zigarre im Mund, der vielleicht auch nur eine Karikatur dieser Herrschaft war. Aber selbst den gibt es nicht mehr. Diese Form von ökonomischer Macht, die im Kapitalismus ausgeübt wird, hat sich sicherlich in unpersönliche Netzwerke verflüchtigt. Von Investmentfonds, wo dann irgendwer investiert und dann gibt es Manager. Ich will jetzt aber natürlich auch nicht sagen, es wäre das

1938.49
Robert
es so tun, als wird es nicht dann durchaus auch Akteure geben.

1946.372
Robert
die nur ein bisschen in die Nähe dieses Bildes kommen. Also Herr Benko und ähnliches sollen wir da jetzt auch nicht ganz vergessen. Aber ohne Zweifel hast du recht, sozusagen die Definierung des Gegners auch so, dass es ein echter Gegner ist und nicht nur ein Gegner, der fluid in irgendwelchen Netzwerken globaler ökonomischer Finanzströme ist, ist sicherlich heute sehr viel schwieriger.

1974.224
Robert
Das ist sicherlich eines der Probleme. Dann hast du angesprochen, das Problem, das geradezu von paradoxem Problem, dass die Rechten es geschafft haben, bis zu einem gewissen Grad.

1989.377
Robert
etablierte Linke als das Establishment zu frameen, während sie so tun, es werden sie die authentischen Vertreter des einfachen Volkes. Was ja sozusagen mal nur geht, wenn man die ganze Frage vollständig kulturalisiert und dem Ökonomischen entzieht, weil dann kann man jetzt natürlich sagen, wie auch vielleicht die Lebensstile von minoritären Linken,

2014.514
Robert
sind nicht die Lebensstile der großen Breite der Bevölkerung und sozusagen der volkstümliche Populist ist den Lebensstil der breiten Bevölkerung kulturell jedenfalls näher. Diese These kann man ja aufstellen. Ist auch nicht vollständig falsch an jeder Stelle, ist aber leider auch, ist Gott sei Dank auch nicht richtig, weil durchaus

2038.746
Robert
sozusagen viele Linken quasi auch das Leben der ganz normalen Leute spüren, weil wir können wir auch die Frage stellen, was sind eigentlich heutzutage unter den Bedingungen von Diversität und Heterogenität von Gesellschaften sowohl

2053.831
Robert
in jeder Hinsicht Alter, Geschlecht, Stadtland, Werthaltungen und so weiter. Was ist das normale Volk? Ja, also sicherlich nicht dieses Volk-Z-Volk, wie es sich die

2072.125
Robert
die Populisten imaginieren. Die Mehrheit ist quasi unterschiedlich, aber auch miteinander verbunden, glaube ich, in ein paar Fragen von Konsenswerten, geteilten Haltungen und so weiter und so fort.

2095.913
Robert
Es gibt dann natürlich noch ein anderes Problem, nämlich das hast du auch schon angesprochen oder berührt, nämlich

2105.776
Robert
Die Menschen, die zum Beispiel Sarah Wagenknecht und diese Gruppe vertreten wollen oder Menschen, die deren Haltung, es gibt es ja nicht nur in Deutschland oder im deutschsprachigen Raum, sondern auch woanders, da hat man dann natürlich immer das Bild des weißen männlichen Industriearbeiters aus den 70er Jahren vor Augen und bezeichnet und würde den dann quasi als das einfache Volk bezeichnen, das es zu verteidigen gilt.

2135.629
Robert
Und das ist ja nicht ganz falsch, weil diese Menschen gilt es ja auch zu verteidigen. Aber es gilt sie nicht nur zu verteidigen. Und das sind ja auch diejenigen, die tatsächlich die Gewinner der 50er bis 70er Jahre waren. Also die männlich, sehr männlich, primär männliche, relativ homogene Gruppen im Sinne von

2162.637
Robert
in den jeweiligen Gesellschaften in Länder. Und die haben ja einen Status Zuwachs und auch einen Status an Respektabilität und an Sicherheit gewonnen gehabt. Und die haben ja etwas zu verlieren. Und die verlieren ja seit vielen Jahren, also eigentlich sozusagen seit den 90er Jahren und den Strukturwandelsprozessen, die es gibt. Wieder andere Gruppen, Frauen, Zuwanderer,

2191.183
Robert
Menschen in nicht stabilisierten Normalarbeitsverhältnissen, prekäre Beschäftigte, sind nicht von Verlust bedroht, sondern die haben eh schon mal etwas aufzuholen, einen Respektabilitätsstatus.

2207.961
Robert
und Sicherheit. Die wiederum werden ja eher nicht von diesen Gruppen vertreten. Und dann gibt es in unserer ganzen Gesellschaft, aufgrund des gesellschaftlichen Wandels, natürlich nicht nur die prekären und nicht nur die vom Abstieg bedrohten, also sozusagen männlichen Beschäftigten, Industriearbeitern, sondern natürlich Beschäftigte im Dienstleistungsbereich, Gutverdienende oder

2235.998
Robert
einigermaßen gutverdienende Menschen, die man sozusagen in den verschiedensten Mittelschichtsberufen ansieht, bezeichnen würde. Und die sind natürlich heutzutage in unseren Gesellschaften relativ gesehen schon Mehrheiten.

2254.206
Robert
Weshalb, und das ist vielleicht auch ein Ausdruck der Krise der reformerischen Linken, die Sozialdemokraten und vergleichbare Parteien, also die Demokraten in den USA, eigentlich für sich den Schluss gezogen haben, wir wollen eigentlich vor allem die

2276.186
Robert
Präpräsentanten dieser modernen breiten Mittelschichten sein. Schon alleine deshalb, weil man nur mit ihnen die Wahlen gewinnen kann, weil sie eigentlich die Mehrheit sind, während sozusagen quasi die unterprivilegierten proletarischen Schichten immer weniger werden. Und das war natürlich eine Sackgasse für Sozialdemokraten und insofern steckt darin eine

2298.473
Robert
Ein Kern von ein bisschen Wahrheit, wenn die Rechtspopulisten sagen, die konzentrieren sich doch nur mehr auf Eliten, das sind keine Eliten, ohne Zweifel sind es keine Eliten, aber es ist sozusagen eher das, was man die urbanen Mittelschichten nennt und nicht diejenigen, die eine Vertretung sozialistischer und linker Politiker am nötigsten hätten. Da haben die schon recht.

2323.985
stefansasse
Ja, definitiv. Und ich stimme dir auch in der kompletten Analyse der Probleme zu. Ich denke nur, das alles festzustellen, dreht letztlich auch ein bisschen im Kreis, weil diese Sachen, das ist ja real, was du ansprichst. Also dieses Verlustgefühl bei den Leuten, die quasi in der letzten linken Aufsteigergeneration drin waren, gegenüber denen, die aktuell die Gewinner linker Politik sind.

2353.985
stefansasse
Und was ich eben nicht sehe, ist, wie man das sinnvoll unter einen Hut bekommt. Das ist ja schon so ein bisschen die Quadratur des Kreises, weil auf der einen Seite muss man ja quasi den Leuten sagen, jawohl, das ist durchaus real, was du da gerade fühlst. Möglicherweise stimmt es auch in wirtschaftlichen Terminen, dass du da jetzt weniger Chancen hast als früher oder einen sozialen Abstieg hinlegst. Auf der anderen Seite ist es logischerweise auch korrekt,

2358.712
Robert
Mhm.

2379.991
stefansasse
dass wir diesen ganzen früher marginalisierten Gruppen, das ist ja die ganze Fortschrittsgeschichte der letzten 20 Jahre eigentlich, dass wir denen diese ganzen Möglichkeiten gegeben haben. Beides ist wahr. Und jetzt müssen wir euch trotzdem irgendwie unter ein gemeinsames Dach bringen. Und da beißt sich ja die Katze selber so ein bisschen in den Schwanz letzten Endes.

2397.841
stefansasse
Weil genau das schaffen die ja bisher nicht. Und jede der Antworten, die mir da gegeben wird, entweder quasi so dieser Wagenknechtflügel, der sagt, wir müssen back to the roots sozusagen und weg mit dieser ganzen Fortschritts- und Emanzipationsrhetorik, wie du es gerade formuliert hast, ist eine Sackgasse letzten Endes.

2416.271
stefansasse
Und auf der anderen Seite haben wir dann die Leute, die sagen, ja gut, aber wir können die ja jetzt alle auch nicht aufgeben, weil das ist ja eben super real, was wir für die erreicht haben. Die sind ja auch alle benachteiligt gewesen. Da können wir jetzt quasi nicht wieder dahinter zurück. Und die dann aber üblicherweise auch keine clevere Idee haben, wie man quasi diese traditionelleren wählenden Schichten wieder zurückbekommen soll, die man unzweifelhaft in den letzten 20, 30 Jahren verloren hat.

2442.449
stefansasse
Und mir scheint es schon, als wäre da quasi noch so ein ganz großes Sternchen in diesem Plan für Yet to be Determined oder so, wie man da im Endeffekt dann den Masterplan aufbaut, um das alles zu vereinen.

2449.667
Robert
Das war’s für heute.

2454.667
Robert
Du, da hast du natürlich recht, wenn du das heißt, es ist sicherlich nicht einfach. Aber du hast den Masterplan mehr oder weniger schon skizziert, nämlich dass das die große Aufgabe wäre, diese Allianzen hinzukriegen. Und Allianzen hinzukriegen ist nie einfach, war es übrigens auch vor 100 Jahren nicht. Also zu glauben, du hast ja sozusagen die große Kultur, hast ja ein bisschen geschildert, auch die Kulturbewegung der Arbeiter, der Arbeiterbewegung hast du vor 100 Jahren mit den Vereinen, mit

2483.439
Robert
den sozialdemokratischen Kulturvereinen oder linken Kulturvereinen, kommunistische, gab es ja auch mit den Gemeindebauten, mit den neuen Formen des Experimentierens, mit neuem Leben, mit einer emanzipatorischen Kindererziehung, auch übrigens auch mit dem Kampf für gleiche Rechte von Frauen, nicht nur in juristischer Hinsicht, sondern auch sozusagen quasi

2505.128
Robert
in symbolischer Hinsicht, dass sozusagen Partnerschaften zwischen Mann und Frau wirkliche Partnerschaften sein sollen und nicht quasi sozusagen eine Dektatur der Männer. All das hat man ja in den 20er Jahren weit vorwärts gebracht und zu glauben, dass das einfach war, wo es ja auch um Allianzen ging, wo

2528.08
Robert
avantgardistische Künstler genauso drinnen waren als knorrige, sehr männliche Arbeiter aus der Vorstadt und deren gewerkschaftliche Vertretung. Und zu glauben, dass deren gewerkschaftliche Vertretung und die feinsinnigen intellektuellen der linken Parteiführung

2548.814
Robert
es immer einfach hatten, diese Allianzen unter einen Hut zu bringen oder selbst nur eine Allianz zu sein und sich nicht dauernd in die Haare zu geraten, das glaube ich überhaupt nicht. Das war vor 100 Jahren auch ganz schön schwierig und man hat es hingekriegt. Also diese Aufgabe, etwas Kompliziertes, aber nicht Auszuschließendes hinzubekommen, vor der steht man heute auch.

2569.77
Robert
Ich glaube, heute kommen natürlich noch ein paar Probleme dazu, nämlich der Verlust an Bindungswirkungen der linken Organisationen. Früher hatte man Massenparteien, heute hast du eher Wahlparteien, wo du quasi

2587.79
Robert
kann das Eliten nennen oder politische Aktivistenmilieus, die in diesen Parteien aktiv sind, aber keine unmittelbare Verbindung mehr mit ihrer Wählerbasis haben, im Sinne von einer permanenten Organisiertheit. Und dadurch wirst du immer mehr zu Wahlparteien natürlich und die Parteien, die verschiedensten Parteien der Linken haben sich natürlich auch ausdifferenziert.

2613.336
Robert
genauso wie sich die Parteien der Rechten ausdifferenziert haben, wie sich die Parteien, wie sozusagen permanent auch neue Parteien, liberale Parteien entstehen oder One-Issue-Parteien entstehen. Und das macht natürlich sozusagen das demokratische System als ganzes komplizierter, weil dann hast du das aufgespaltene Parteien-System, alle haben nur mehr 20%, also die starken Parteien haben nur mehr 20%, die schwachen Parteien haben nur mehr 8 oder bis 4%,

2639.377
Robert
Und dann musst du aus diesen aufgespaltenen Parlamenten Regierungen bilden, die dann vielleicht drei Parteienregierungen sind, vielleicht bald vier Parteienregierungen. Und dann ist völlig klar, dass diese verschiedenen Parteien, die sich das und so was jetzt samtun müssen, dann nur mehr regieren auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners, was die Sache schon kompliziert macht, praktisch. Aber es macht die Sache nochmal kompliziert im Hinblick auf die

2667.295
Robert
Auf das Werben um die Wähler selber und um das Schaffen von Begeisterung und einem optimistischen Sinn, weil dann die Wähler und Wählerinnen natürlich sagen, ja, wir glauben euch vielleicht allenfalls, dass ihr here und noble Ziele habt, das ist ja eh nicht immer, aber wir glauben euch überhaupt nicht oder vertrauen überhaupt nicht, dass ihr diese Ziele erreichen werdet. Wie sollt ihr denn die erreichen?

2692.707
Robert
Ihr werbt jetzt um unsere Stimmen, dann habt ihr 20 Prozent, dann bildet ihr irgendwelche Regierungen, wo sich die beteiligten Parteien gegenseitig belauern und was weiß ich, sozusagen permanent am Regierungstisch streiten und de facto wird ihr nichts weiter bekommen. Also man müsste ja dann auch nochmal eigentlich die Wählerschaft entweder davon überzeugen, dass man das trotz dieser Kompliziertheiten hinbekommen wird.

2721.527
Robert
oder dass man die Wählerschaft versucht zu bringen, diese Wette einzugehen, zu sagen, ja, wenn ihr wollt, dass wir eine akzentuierte Politik machen, wo wir etwas weiterbringen, müsst ihr uns strategische Mehrheiten geben. Aber ihr könnt uns nicht dafür beschimpfen, dass ihr uns einerseits nur 20 Prozent gebt und andererseits uns dann vorwerft, dass wir unsere Ziele nicht verwirklichen. Weil das könnt ihr uns nicht vorwerfen, da seid ihr selber dran schuld.

2748.729
stefansasse
Vielen Dank für’s Zuschauen.

2749.394
Robert
Wenn wir 50 Prozent haben und wir unsere Ziele nicht verwirklichen, dann könnte sie es uns vorwerfen. Aber wenn sie uns sozusagen die Kraft nicht gibt, dann sei es irgendwie auch selber schuld. Also so müsste man natürlich dann auch mal klar reden. Strategische Mehrheiten kannst du natürlich auch selbst heute erreichen, aber natürlich nur unter glücklichen Bedingungen.

2770.828
stefansasse
Ich bin so froh, dass du das alles erwähnst, weil das ist so ein Horn, in das blase ich schon eine ganze Weile. Ich verweise da auch immer super gern auf die jüngeren historischen Forschungen von der Hedwig Richter, die betont das auch wahnsinnig in ihrem zum Beispiel Demokratie eine deutsche Affäre, wie wichtig diese Organisationsarbeit ist.

2787.346
stefansasse
Weil gerade in linker Folklore neigt man sehr gerne dazu, diesen flashigen Aktivismus überzubewerten. Da wird dann quasi die Durchsetzung des Frauenwahlrechts, den zu Fragetten und ihren radikalen Maßnahmen auf die Fahnen geschrieben. Dann wird quasi die Gewährung von Arbeiterrechten, die hängt dann an diesem einen großen Streik oder irgend sowas. Und diese ganze lange Kernerarbeit, die da aber eigentlich davor steht, die wird gerne A. vergessen und B., wenn man sie nicht vergisst, gering geschätzt.

2799.861
Robert
Ja. Ja.

2817.312
stefansasse
Und ich glaube, das ist tatsächlich eine der ganz großen Schwächen, die die Linke aktuell hat. Da kam jetzt erstletzt hin auf Spiegel-Online-Artikel über die anstehenden Landtagswahlen da in Thüringen, Sachsen-Anhalt und so weiter. Und da wurde auch mehr so en passant erwähnt, dass in ganz ganz vielen Dörfern auf dem flachen Land eigentlich nur AfD-Wahlplakate hängen.

2817.466
Robert
Das war’s.

2835.299
stefansasse
weil den demokratischen Parteien das Personal fehlt, um die Dinge aufzuhängen. Also das ist quasi nicht ein Problem, dass die nicht wollen oder dass die die Landbevölkerung abgeschrieben haben, sondern dass denen schlichtweg die organisatorischen Strukturen komplett fehlen.

2850.435
stefansasse
Und das ist natürlich ein ganz, ganz großes strategisches Versagen. Ohne viel Allokation von Ressourcen. Und das scheint mir ein ganz ernsthaftes Problem zu sein mit einer Gerinnschätzung dieser Organisationsformen. Dass man viel zu viel Gewicht legt auf die Pressekonferenz in Berlin. Oder die Schlagzeile eben bei Spiegel Online oder was auch immer. Oder die große Rede, die da im Fernsehen gehalten wird. Das ist ja eh so Politikfolklore, dass irgendeine Rede jemals irgendwas bewirkt hätte.

2875.503
Robert
Vielen Dank für’s Zuschauen.

2880.279
stefansasse
sondern dass es tatsächlich eben darum geht, dass ich da organisiert bin, dass ich ein großes Netz an UnterstützerInnen habe, die dann in der Lage sind, meine Ziele in der Breite zu vertreten. Und das ist ja eigentlich auch die Grundlage des Coalition Building, von dem wir es da vorher dann gegebenenfalls haben. Weil du kriegst ja diese ganzen unterschiedlichen Gruppen nicht unter einen Hut, wenn du nicht Leute in diesen Gruppen hast.

2903.251
stefansasse
Und diese Arbeit scheint mir von den Parteien nicht gemacht zu werden. Und das sind, glaube ich, wie in so vielen Dingen, die amerikanischen Democrats, den europäischen Linken eine ganze Weile voraus, weil die das schon vor längerer Zeit erkannt haben. Im Endeffekt, Obama hat da ja schon losgelegt damit und die haben das seither noch deutlich verstärkt.

2921.828
stefansasse
Nachdem Hillary Clinton da glaube ich ein bisschen zu wenig Gewicht draufgelegt hatte, einer der vielen Faktoren für 2016, seither sind die Democrats super, super dahinter, diese Strukturen überall zu haben, dort wo sie sie nicht haben, sie zu entwickeln, also gerade auch in Orten wie Texas oder Wyoming oder sowas,

2931.237
Robert
Ja.

2938.865
stefansasse
versuchen die unter gigantischen Opfern und im Angesicht von völliger Chancenlosigkeit diese Strukturen aufzubauen. Und jetzt frag mal irgendwelche SPD-Funktionäre, was die machen, um auf dem bayerischen Land da irgendwie noch was hinzubekommen oder gar die Grünen.

2954.275
stefansasse
Weil der Vorwurf an deren Richtung, dass die ja quasi eine reine Großstadtpartei sind, mit Ausnahme von Baden-Württemberg, das ist ja durchaus berechtigter. Und das scheint mir echt eine ganz, ganz große Schwäche zu sein, wo schlichtweg strategisch und logistisch die Rechten aktuell der Linken einfach wahnsinnig viel voraus haben und deswegen politisch verdient auch die Erfolge einfahren letzten Endes. Also das wäre so ein Punkt, den ich da wirklich unterstreichen möchte, weil der mir viel zu wenig diskutiert scheint.

2984.872
Robert
Du hast das sicherlich recht. Ich habe ein bisschen ein Problem mit einem Zungenschlag, der sozusagen von Schuld spricht, wo nicht immer Schuld dabei ist.

2997.654
Robert
Aber grundsätzlich hast du völlig recht, das ist eine der zentralen Aufgaben, Organisierung und Organisierung dort, wo man schwach ist. Aber ich bringe es da jetzt mal an ein Beispiel, ein Flächenbundesland in Österreich wie Niederösterreich, was für die Zuhörer in Deutschland, die nicht von Österreich so viel Bescheid wissen, also Niederösterreich ist ein großes Bundesland, das sich eigentlich rund um Wien schlingelt.

3022.551
Robert
hat circa auch die gleiche Anzahl an Wahlberechtigten sogar mehr als Wien, also ist sozusagen verdammt groß unter den österreichischen Bundesländern, aber natürlich klein im Vergleich mit den deutschen Bundesländern und hat traditionell, ist es eine Mischung als Industrie und aber auch sehr ländlichen Gebiet und mit einigen industriellen Zentren.

3047.329
Robert
In diesem Bundesland hatte die Sozialdemokratie nach meiner Erinnerung nie eine Mehrheit, oder die Linke generell nie eine Mehrheit, aber sie war eine Zeit lang relativ stark aufgrund der industriellen Stärke dieses Bundeslands, waren wir relativ nahe auch an den Konsolativen dran.

3063.422
Robert
Und es hieß damals natürlich, dass es einige Städte gibt, in denen war man stark. Dann gab es einige Regionen, in denen war man so mittelstark. Und dann gab es welche, in denen war man nicht so richtig stark. So. Mittlerweile hast du die Situation, die, dass du einige Städte und Regionen hast, in denen man stark ist, bis hin zu Wahlergebnissen von 60 Prozent. Dann hast du irgendwelche Regionen, in denen bist du schon richtig schwach. Da hast du noch, erreichst du vielleicht noch

3088.626
Robert
18 bis 17 Prozent und hast fünf Aktivisten und Aktivistinnen oder Parteimitglieder on the ground oder sechs oder neun. Und dann hast Regionen, übrigens hast du überhaupt kein Bein mehr auf dem Boden. Da gibt es keinen einzigen Sozialdemokraten in einem Umkreis von 50 Prozent, 50 Kilometer oder 20 Kilometer, der oder die zumindest erkennbar als sozialdemokratische Funktionärin unterwegs ist.

3113.78
Robert
Was tust du in der Situation? Wie machst du einen Parteiaufbau in einer Situation, wie machst du einen Parteiaufbau in Regionen, wo es nicht mehr mehr einen Aktivisten gibt? Natürlich hast du die Aufgabe und würde ich jetzt mal sehr praktisch sagen, du musst hier unter solchen Bedingungen, da du ja nicht unendliche Ressourcen hast,

3137.901
Robert
definieren, okay, was sind die Gebiete, in denen sind wir schon stark? Da musst du schauen, dass du stark bleibst. Was sind die Regionen, in denen wir

3146.374
Robert
schwach sind, aber ein paar Leute haben und die sind so gut, dass ich die so unterstütze, weil es Wachstumspotenzial dort gibt und dort muss ich den Parteiaufbau weiter betreiben. In einer Region, wo es überhaupt niemand gibt oder die einen, die es gibt, die sind sozusagen so frustriert oder älteren schon und ohne jeden Elan noch, dass ich weiß,

3169.633
Robert
da bringe ich eh bei hohen Ressourceneinsatz überhaupt nichts mehr auf den Boden, wäre ich das vielleicht nicht so tun, wie in Gegenden, wo der Ressourceneinsatz dann, um es ökonomisch zu sagen, einen Return of Investment verspricht. Das sind halt dann auch die realen Herausforderungen. Also sozusagen, selbst wenn man all die Probleme, die du geschildert hast,

3194.019
Robert
am Radar hat, hat man nicht immer gleich den Hebel für die Lösung desselben. Das wollte ich damit sagen. Deswegen kann man nicht so leicht von Schuld sprechen.

3203.404
stefansasse
Ja, da bin ich völlig bei dir. Das war mit Sicherheit etwas zu scharf formuliert, was das anbelangt. Mein Vorwurf ist eher, dass man selbst da Potenziale ungenutzt lässt, wo die gegebenenfalls existieren würden. Weil gerade in unseren Ländern mit Verhältniswahlrecht ist es ja wirklich so, dass es kein gutes Argument gibt, Regionen komplett aufzugeben. Das ist was anderes, wenn du in den USA bist. Es lohnt sich für die Democrats nicht, in Alabama einen Präsidentschaftswahlkampf zu machen. Das ist überhaupt keine Frage. Deswegen machen die das auch nicht.

3231.203
Robert
Ja.

3232.773
stefansasse
Aber selbst für die SPD lohnt es sich, in Bayern oder in Sachsen Wahlkampf zu machen, weil halt ein Prozent mehr ist ein Prozent mehr. Und das schlägt sich ja immer irgendwo nieder. Und deswegen ist es schon so ein bisschen insofern schuld, wo quasi diese knappen Ressourcen fehlallokiert werden.

3254.036
stefansasse
Und natürlich, es gibt Regionen, die sind einfach raus. Also die Grünen brauchen noch nicht probieren in Ostfriesland eine Organisation aufzubauen. Das ist halt einfach CDU-Land. Und genauso muss die CDU… Echt jetzt? Diese Inseln, die sind so CDU?

3264.753
Robert
Ostfriesland ist SPD-Land. Die Inseln vielleicht, aber Ostfriesland als Region ist, die SPD hat mal eine, wie nennt man so etwas, eine Art von Rechnung gemacht, Schätzung, welche Wahlkreis überhaupt noch hundertprozentig sicher sozialdemokratisch ist.

3293.353
Robert
und sind draufgekommen, also da ist keiner im Ruhrgebiet oder so, klassisches SP-Zirke. Der einzige sichere Wahlkreis, den man eigentlich nicht verlieren kann, ist der Wahlkreis Aurich oder vielleicht sogar größer, Aurich-Altenburg-Rund, also so in Ostfriesland. Eindeutige SPD und hat eigentlich auch ganz gute, glaube ich, grüne

3312.984
stefansasse
Ich hatte im Kopf, dass es in Ostfriesland so ein

3323.385
Robert
hat sicher auch relevante Grüne, sozusagen Prozent. Also das ist natürlich nicht über acht oder neun Prozent, aber sicherlich auch nicht ganz schlecht.

3335.401
stefansasse
Ich hatte im Kopf, dass es auf einer der ostfriesischen Inseln so einen Wahlkreis gab, wo es keinen CDU-Gegenkandidat, also kein Gegenkandidat zum CDU-Menschen gibt.

3341.783
Robert
Das ist durchaus möglich. Die Innsun sind ja so klein, da hast du ja vor allem Touristen und dann 300 Leute, die dort das ganze Jahr leben oder vielleicht sogar nur 100. Das ist durchaus denkbar.

3354.189
stefansasse
Ich wollte gerade einfach nur bewusst ein Extrembeispiel rausgreifen. Das ist völlig klar. In solchen Regionen hast du keine Chance. Genauso wie die CDU eben in manchen Berliner Großstadtregionen, also in diesem alternativen Szeneviertel daraus, die, glaube ich, mit der CDU-Parteimitgliedschaft auch nicht aufschlagen. Da ist halt einfach Hopfen und Malz verloren. Aber es gibt bestimmte Regionen, in denen, glaube ich, durchaus mehr möglich wäre.

3376.357
Robert
Ja. Mhm.

3382.073
stefansasse
Aber gut, damit hätten wir quasi diese Organisationsthematik. Wir haben über den Bedarf gesprochen, dass es eine größere Allianz braucht sozusagen und dann eben diese Idee sozusagen, die dahintersteckt. Einmal einen Fortschrittsoptimismus.

3397.534
stefansasse
der aktuell wirklich fehlt. Und andererseits dann eben auch ein gescheites Feindbild, weil das brauchst du in der Politik einfach. Und das haben die Rechten gerade, da sind die richtig gut da drin, mit den Eliten und die scheiß Linken und die Boken und die cancel culture Fraktionen und überhaupt, denen mangelt es wahrlich nicht an Feindbildern.

3415.862
stefansasse
Während auf der Linken existiert es nicht so wirklich. Ich glaube, wir kriegen es gerade wieder ein bisschen mit der AfD. Da haben wir diese Demokratieproteste, die weisen da schon mal in eine ganz ordentliche Richtung. Die mobilisiert jetzt aber nicht spezifisch links und zum Glück auch nicht. Ja, also das wäre eine Katastrophe, wenn es nur Linke mobilisieren würde. Aber denen fehlt sozusagen einfach dieses griffige Ding, dass man also mit einem Schlagwort hinwerfen kann.

3441.476
stefansasse
Letzten Endes, das hast du ja vorher auch mal angestellt, ich muss immer so auf Dynamiken und Strukturen und diesen ganzen komplexen Kram, der zwar gut in ein Seminar passt oder in ein Podcast, aber eben nicht in so eine zünftige Rede oder halt auch nur in die Überschrift Politiker ergreift XY an, sozusagen. Und es fehlt quasi so ein Josef Ackermann.

3459.36
Robert
Ja.

3467.434
stefansasse
effektiv. Der war noch viel greifbarer, als das jetzt heute der Fall ist mit seinem Victory-Zeichen damals. Und solange das nicht gegeben ist, solange die Linke da nicht irgendwas findet, auf das er auch eintreschen kann, rhetorisch, haben sie, glaube ich, auch noch quasi einen Bestandteil dieser Mobilisierungsträhscheibe verloren. Und korrigiere mich, wenn ich da falsch kriege, aber ich habe schon so ein bisschen das Gefühl, das gilt aktuell in vielen linken Kreisen einfach so unfein.

3493.951
stefansasse
Das ist so ein bisschen ein Relikt diesen politischen Feind zu haben und das gehört sich so gar nicht im politischen Diskurs. Das scheint mir auch noch so mit einem Problem zu sein, diese Haltung.

3505.384
Robert
Ja, du hast recht, einerseits, wobei, eins hast du schon angedeutet, natürlich hat die Linke ein Feindbild, nämlich das sind die Rechten. Und natürlich, das klingt jetzt zynisch, aber natürlich helfen ihnen die auch ein bisschen.

3524.355
Robert
Nämlich den eigenen Leuten das Gefühl zu geben, es geht jetzt um wirklich was. Man muss jetzt sozusagen sich auf die Hinterbeine stehen. Ich bringe dir nur ein Beispiel. Wir hatten ja in Österreich so sozialdemokratische Nachfolge Wien vor einem Jahr, wo du sozusagen einen Contest hast, wo die Wettbewerber um den Parteivorsitz sich relativ

3546.715
Robert
viele Wunden geschlagen haben, da hat dann der linke Outsiderkandidat Andreas Babler gewonnen, was mich sehr gefreut hat. Aber auf das wollte ich jetzt gar nicht hinaus, sondern in diesem Prozess sind über 10.000, glaube ich 13.000 Menschen der Sozialdemokratie beigetreten. Das wäre auf Deutschland umgelegt immerhin 130.000, also nicht nichts.

3575.06
Robert
Und natürlich war die Motivation von vielen dieser Leute, es reicht jetzt nicht mehr in der jetzigen Situation, das politische Spiel von der Seitenauslinie zu beobachten und seine klugen oder auch meklerischen Kommentare dazu abzugeben, sondern wir sind in einer existenziellen Situation. Entweder schaffen wir es sozusagen, Energien in diese

3603.507
Robert
linken oder progressiven Parteien hineinzubringen oder man hat eine Machtübernahme der radikalen Rechten in relativ kurzer Zukunft. Das heißt, die Aussicht der rechten Gefahr ist natürlich auch etwas, was eine mobilisierende und motivierende Wirkung innerhalb

3624.718
Robert
der Linken hat. Das andere warst du gewissermaßen, der ökonomische Feind, die Figur Ackermann, der Weltkapitalismus, die Ausbeuter, der Klassenfeind, wie man früher gesagt hat. Da hast du recht, heute spielt nicht mehr so diese Rolle.

3647.729
Robert
Und auch sicherlich aus den Gründen, die du angemerkt hast, dass eine zu grobe, holzschnittartige Schwarz-Weiß-Geschichte selbst viel zu blöde vorkäme. Ohne Zweifel. Ich glaube nur, dass das auch gar nicht so schlecht ist.

3668.387
Robert
Die Linken, selbst wenn sie es zusammenbrechten, würden mit einem linken Populismus, der circa die gleiche Schwarz-Weiß-Dichotomie und Manicheismus und auch Vertrauteltheit des rechten Populismus zu kopieren versucht, würden die Linken keinen Erfolg haben. Dazu ist das linke Wählerpotenzial viel zu differenziert.

3694.121
Robert
viel zu schlau auch, aber vor allem viel zu unterschiedlich. Die 5.000 Stimmen, die man gewinnt, indem man den Behinder ausreichend vertrautelt einsetzt, die verlierst du sofort bei denen, die sich sozusagen quasi eine vernünftige Linke wünschen. Das heißt, das wäre sowieso kein

3716.834
Robert
keine erfolgsversprechende Strategie. Auch da muss man, glaube ich, eine Balance finden zwischen Entschiedenheit, auch Radikalität und gleichzeitig Vernünftigkeit. Das sind vielleicht die großen Zielkonflikte. Wer in Wirklichkeit bräuchtest, brauchst du einerseits die Vernünftigkeit und die Mäßigung dessen, was man normalerweise Linksliberalismus nennt, aber gleichzeitig brauchst du eine Radikalität.

3747.32
Robert
Weil der Linksliberalismus hat ja dann eben auch die Schwäche, dass er alles so lang durchknetet und warm duscht, bis nichts mehr davon übrig bleibt. Aber wir sind nicht auf der Welt dafür, dass wir es einfach haben. Wir sind auf der Welt dafür, dass wir komplizierte Dinge lösen.

3757.841
stefansasse
Und das unter einen Hut zu kriegen, das ist natürlich wie üblich schwer, aber ich bin ich bin völlig bei dir. Ja genau, genau.

3769.599
stefansasse
Das ist natürlich ein ganz grundsätzlicher Gedanke an der Stelle, aber Linke haben es immer schwerer als Rechte in der Politik. Einfach, weil Linke wollen per Definition etwas verändern und Rechte wollen es üblicherweise beibehalten. Und etwas beizubehalten, völlig unabhängig davon, was es ist, ist immer einfacher als etwas zu verändern. Das ist einfach so eine Grundkonstante, diese gesamten Prozesse. Das ist völlig ohne Werturteil. Man kann ja auch Sachen verschlechtern, wenn man sie verändern möchte. Und man kann gute Dinge erhalten, das ist überhaupt keine Frage.

3792.944
Robert
Mh.

3799.514
stefansasse
Aber der Erhalt der Status quo ist immer leichter als die Veränderung der Status quo. Deswegen, das versteht sich zu einem gewissen Ausmaß von selbst. Und auch, ich glaube es ist wirklich mittlerweile unumstritten, dass die Wähler-Innenschichten der Linken im Schnitt gebildeter sind, oder zumindest mit höheren Bildungsabschlüssen versehen, formulieren wir mal ganz vorsichtig, als das auf der Rechten der Fall ist. Und ja, deswegen absolut, diese Botschaften verfangen hier nicht.

3829.155
stefansasse
Ich habe auch überhaupt keine Geduld bei meinen amerikanischen Freunden, wenn da irgendjemand kommt, wir müssen das auch so machen wie der Trump. Nee, das funktioniert auf der Seite nicht. Das ist völlig unvorstellbar, dass man dieses Rezept kopiert. Und ich denke, auch Sarah Wanknick wird da damit keinen Erfolg haben. Also das würde mich schwer überraschen, mal abgesehen davon, dass die organisatorisch unfähig ist. Womit wir wieder bei dem Thema wären.

3852.927
stefansasse
Das sind einfach diese Bestandteile. Ich habe noch ein letztes Thema auf der Platte und ich finde keine elegante Überleitung dazu. Aber ich wäre noch gespannt, was deine Haltung ist zu der aktuellen Debatte um linke Antisemitismus Israel und Palästina. Weil da kommt ja quasi auch so eine etwas längere Geschichte einerseits hoch. Das zieht sich ja auch schon seit, ich würde mal sagen, so den 1960er Jahren auf jeden Fall.

3869.138
Robert
Hmpf

3880.789
stefansasse
durch diese Palästina Solidarität in Anführungszeichen gesetzt. Und auf der anderen Seite ist das etwas, das höflich formuliert im aktuellen politischen Klima nicht überragend hilfreich ist. Also dafür kriegen die ja auch wahnsinnig viel Kritik von allen Seiten ab. Da würde mich einfach mal interessieren, wie stehst du zu der Thematik, wie ordnest du das ein?

3900.811
Robert
Naja, das ist tatsächlich jetzt ein ganz anderes Thema. Ich würde jetzt natürlich sagen, natürlich gibt es einen linken Antisemitismus. Oder einen… Man muss den einen linken Antisemitismus nennen, aber eine linke, überzogene Israel-Kritik, die dann dazu führt, dass beispielsweise man eigentlich in bestimmten Bereichen

3928.285
Robert
Ich will gar nicht sagen so viele, aber es gibt diese Milieus, die relativ empathielos reagiert hat auf die Opfer des 7. Oktober.

3939.019
Robert
dass man die gar nicht am Radar hatte, dass die Bestialität dieses Blutbades gar nicht so richtig auf den Radar gekommen ist. Dass man das auch irgendwie negiert und weggeschoben hat. Das ist die eine Geschichte und daraus folgt dann natürlich so absurde Haltungen, wie dass man gewissermaßen eben aufgrund eines Manicheismus, die einen sind Israel, sind sozusagen die

3967.022
Robert
sozusagen natürlich die palästinensischen Gebiete seit 1967 besetzen, also sind sie die Besatzungsmacht und Besatzungsmacht verroht natürlich, sowohl die Besatzer als auch die Besetzen. Aber dass man aus dieser Position heraus jede Widerstandshandlung oder jede Gegenhandlung, also jeden Terrorismus auch schon als Widerstandshandlung legitimiert und nicht die Frage stellt, ja das ist aber eine Form von eines bestialischen Blutpartes, das durch nichts zu rechtfertigen ist.

3996.903
Robert
Das ist die eine Geschichte. Also gibt’s das natürlich ganz, ganz unerträgliche Zungenschläge auf der Linken, die kann man Linken Antisemitismus nennen oder auch anders. Oder sagen, das hat mehrere Motivierungen und Antisemitismus wird sicherlich auch gespielt. Das andere ist aber natürlich auch gleichzeitig, dass dieser

4018.012
Robert
Totschlagbegriff des linken Antisemitismus oder des Antisemitismus mittlerweile ja natürlich auch Leute trifft, die eigentlich nichts anderes ausdrücken wollen, als dass sie entsetzt sind auch über die Todesopfer dieses Krieges und dass man einfach so billig in den Kauf nimmt, dass 30.000 Tote gibt, von denen mindestens 20.000

4040.742
Robert
Zivilisten sind und dann so zynisch sagt, okay, die sind irgendwie selber schuld, weil sie haben halt die Hamas nicht gestürzt oder nicht abgewählt oder was auch immer. Also da gehen mir die Entgleisungen, ich nenne es mal so, die Entgleisungen verschiedenster Seiten ziemlich auf die Nerven.

4065.435
stefansasse
Ja, da kommen wir auch wieder zusammen. Das ist merkwürdigerweise so ein Feindbild, das immer abrufbar ist, ist der Anti-Amerikanismus verbunden mit dem, was dann gerne als Israel-Kritik bezeichnet wird und was allzu häufig über die Stränge schlägt. Also danke für die Einstellung. Wie gesagt, sorry, dass ich das irgendwo organisch einbauen konnte, aber es hat mich einfach umgetrieben, weil das in der aktuellen Debatte um die Linken, glaube ich, nicht weggelassen werden kann. Das ist einfach ein Bestandteil,

4083.658
Robert
Das ist gut.

4091.903
stefansasse
ein Bestandteil dessen, was da läuft und was teilweise auch eine super hässliche Unterströmung ist.

4097.841
Robert
Ich glaube nur, dass der große Mehrheit das so sieht, wie ich formuliert habe, oder auch wie du formuliert hast. Es ist nur so ein toxisches Thema, dass sich diese große Mehrheit zu diesem Thema überhaupt nicht mehr äußert, weil sie denken, ok, da habe ich so Vorzetze mir in den Nesseln oder es gibt irgendeiner, der auf mich draufhaut. Das heißt, zu diesem Thema äußern sich nur mehr die Irren. Und die Vernünftigen halten die Klappe, was natürlich verständlich, aber auch nicht gut ist.

4128.2
stefansasse
Ja, ich glaube, das kann man pointiert durchaus so formulieren. Es ist generell natürlich ein häufiges Problem, dass die nicht mit den abseitigen Positionen besonders laut sind, aber hier scheint es mir wirklich sehr, sehr pronostiert zu sein, ganz ohne Zweifel.

4138.439
Robert
Mh.

4143.78
stefansasse
Hast du noch irgendwelche abschließenden Gedanken, irgendetwas, was ich bisher vergessen habe zu erwähnen? Wenn nicht, dann, du schüttelst schon den Kopf, vielen Dank, dann danke ich dir herzlichst für dieses Gespräch. Es war super aufschlussreich und sehr spannend. Ich hoffe, wir werden uns in diesem Kontext auch mal wiedersehen. Ansonsten, wo findet man denn weitere Werke von dir, wenn man jetzt nach diesem Podcast welche suchen würde?

4165.998
Robert
Naja, in den verschiedensten Verzeichnissen liefern Paradiet Bücher. Das ist wahrscheinlich das einfachste in dem Sinn. Da kann man ja mal bei Amazon nachschauen und es dann trotzdem beim Buchhändler und der Buchhändlerin des lokalen Vertrauens bestellen. Da sind in der letzten Zeit zwei Bücher bei Surcamp erschienen. Ein Buch über progressive Kunst und ein Buch über

4192.517
Robert
Die Fragen, die wir heute eh alle diskutiert haben, das heißt, die falschen Freunde der einfachen Leute. Aber es gibt auch ein Buch, das auch zu diesem Thema gut passt, was Linke denken, eine Geschichte linker Theorien, wenn ich es jetzt mal ganz salopp.

4208.387
Robert
gemein verständlicher Art und eine Reihe anderer Bücher und wer sozusagen die täglichen oder die sozusagen die aktuelle politische Publizistik und ähnliches suchen würde wollen kann auf meiner Website www.missig.at nachschauen.

4226.596
stefansasse
Ich habe da eine Auswahl auch veröffentlicht hier in den Show Notes dann quasi von deinen jüngeren Artikeln, die alle sich um dieses Thema links seien drehen. Ich verlinke auch nochmal deinen Twitter, Blue Sky und die Homepage ebenfalls in den Show Notes. Von daher an dieser Stelle noch einmal Dankeschön an dich, Dankeschön an alle fürs Zuhören und bis bald. Auf Wiedersehen.

 

{ 45 comments… add one }
  • Erwin Gabriel 15. März 2024, 11:46

    Links sein im 21. Jahrhundert

    Das Links-sein hat häufig einen etwas altbackenen Geschmack an sich.

    Das Rechts-sein doch auch. Ich vermute, dass das daran liegt, dass die aktuellen Links-Rechts-Diskussionen von Themen bestimmt werden, die uns schon seit Jahrzehnten beschäftigen. Diskussionen um bestimmende Themen wie Zuwanderung, soziale Gerechtigkeit etc. werden auf dem gleichen Niveau und mit den gleichen Argumenten geführt wie in den 60ern, haben sich aber totgelaufen. Der allgemeine Wohlstand ist seit dieser Zeit deutlich gewachsen, was einen Teil der Diskussion obsolet macht. Auch die Zuwanderung hat ein Maß erreicht, dass man nicht-biodeutsche Menschen nicht mehr bestaunt; sie gehören, ob man das mag oder nicht, dazu.

    POLITIK VON UNTEN. Gelingt das Comeback der Sozialdemokratie?

    Der überraschende Wahlsieg Bablers …

    … zeigt, dass trotz aller Konzepte und Programme charismatische Menschen als Identifikationsfiguren gebraucht werden, um Politik zu vermitteln. Der intelligentere, programmatisch deutlich stärkere Oskar Lafontaine musste dem schlaueren, bodenständigen Gerhard Schröder weichen, und (um in Österreich zu bleiben) Jörg Haider oder Sebastian Kurz (oder in den USA Donald Trump) konnten mit ihren Persönlichkeiten als Programm innerhalb kürzester Zeit bestimmende politische Rollen einnehmen. Wen das überrascht …

    Woke und Wahnsinn

    … dass „Wokeness“ die Errungenschaften der Aufklärung untergrabe und einen neuen Tribalismus sowie eine Art von Stammesdenken fördere, das kulturelle Besonderheiten über universelle Menschenrechte und Gerechtigkeitsprinzipien stellt.

    Das ist, was mich an dem Thema so nervt: Dass man, etwa bei der Situation der Farbigen in den USA, diese Menschen aus der Schublade holen möchte, in die (in diesem Fall) alte, weiße Männer sie gesteckt haben – nur um diese in eine neue Schublade zu stecken, auf der nun „Opfer“ steht; das Individuum und seine individuelle Situation sollen grundsätzlich nachrangig gemacht werden. Schöne neue Welt …

    Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die die Notwendigkeit betonen, Diskriminierung und Ungleichheit in all ihren Formen zu bekämpfen, …

    Der intellektuelle Teil meines Gehirns versteht diesen Punkt und sympathisiert grundsätzlich damit. Der durch die Realität geprägte Teil in mir weiß allerdings, dass es so etwas wie eine gleichberechtigte Menschheit nicht gibt, weil jeder sich in der einen oder anderen Gruppe (oder in mehreren) einsortiert, sich ein jeder auch als Individuum wahrnimmt. Es ist natürlich, sich als Teil einer Gruppe (= wir) zu betrachten, und Nicht-Mitglieder als „die anderen“.

    … und die Vielfalt als Stärke sehen, die unsere Gesellschaften bereichert.

    Wenn Du als Vielfalt Menschen anderer Hautfarbe, aus anderen Kulturen, mit anderen Sitten meinst, die auf eigenen Füßen stehen, aus eigener Kraft ihr eigenes Leben führen, und die sich an die hier geltenden Regeln halten (Toleranz anderen Religionen, Geschlechtern, sexueller Orientierung etc. gegenüber, Gewaltmonopol ausschließlich beim Staat) stimme ich zu: das stärkt und bereichert unsere Gesellschaft.

    Intoleranz, Passivität (bzw. Abhängigkeit vom Staat) oder Ausübung von Gewalt gegen andere bereichert weder den Staat, noch stärkt es ihn. Und da das Gleiche für biodeutsche Menschen gilt (etwa für diese idiotischen rechts- oder linksextremen Schläger), hänge ich mit solchen Unterscheidungen schon wieder in der Luft.

    Ein möglicher progressiver Konsens könnte darin bestehen, die Ziele der Gerechtigkeit und Gleichheit zu betonen.

    Definiere „Gerechtigkeit“ (idealerweise ohne den kaufmännischen Aspekt, dass einer, der hat, anderen, die weniger haben, etwas abgeben soll), und definiere „Gleichheit“. Ich bin mir aber sicher, dass beides nicht möglich ist.

    Israel, die Linken und der Krieg

    Die Herausforderung, eine linke Haltung zu formulieren, die den Idealen von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden treu bleibt, wird als schwierig, aber notwendig dargestellt.

    So habe ich als 17Jähriger auch gedacht. Inzwischen erkenne ich Ideale wie „Freiheit“, „Gerechtigkeit“ oder „Frieden“ als theoretische Konstrukte, die es im wirklichen Leben nicht gibt, und deren Erreichung für die Menschheit vermutlich schädlich wären.

    Dem Morgenrot entgegen

    … betont, dass Fortschritt oft mit moralischen und sozialen Implikationen verknüpft ist, die von den jeweiligen gesellschaftlichen Vorstellungen von einer „idealen Gesellschaft“ abhängen. Dabei wird deutlich, dass das, was als Fortschritt gilt, oft umstritten ist und von den vorherrschenden moralischen und ideologischen Vorannahmen abhängt.

    Zustimmung

    Jaeggi schlägt ein „ausgedünntes“ Fortschrittskonzept vor, das sich nicht auf die Annäherung an ein bestimmtes gesellschaftliches Ziel konzentriert, sondern auf die Lösung von Problemen.

    Das halte ich für eine kluge Sicht. Wäre etwas, was ich mir gerne mal in der Praxis anschauen würde.

    „Ohne Sozialstaat kein florierender Kapitalismus“

    Dummes Zeug. Die USA sind ohne Sozialstaat zur stärksten Wirtschaftsmacht der Welt aufgestiegen, bevor sie von China (auch kein Leuchtturm in dieser Disziplin) überholt wurden.

    Der Sozialstaat trägt zur Stabilisierung der Erwartungen bei und mindert die Angst vor Zukunftssorgen, was wiederum eine positive Auswirkung auf die Demokratie hat.

    Hier kann ich zustimmen.

    Kritiker werfen dem Sozialstaat oft vor, er würde die Wirtschaft belasten und eine „soziale Hängematte“ schaffen. Doch solche Argumente verkennen die stabilisierende und aktivierende Rolle des Sozialstaats in der modernen Marktwirtschaft. Zudem reflektieren sie ein Menschenbild, das von Misstrauen und der Annahme genereller Faulheit geprägt ist – im Gegensatz zu einem positiveren Bild des Menschen, das auf Partizipation, Kooperation und gegenseitiger Unterstützung beruht.

    Zu schwarz-weiß gezeichnet. Sozialstaat ist wie Nahrungsaufnahme: Man kann an zu viel und an zu wenig sterben. Schraube die staatliche Versorgung der Menschen auf ein Niveau, dass jeder in einer großen Wohnung bequem leben und zweimal im Jahr nach Mallorca oder in die Türkei fliegen kann, und 90 Prozent der Menschen hören auf zu arbeiten.
    Mein Menschenbild ist, dass Belohnungen funktionieren; wer durch mehr Arbeit oder mehr Einsatz sein leben verbessern kann, wird das tun. Wie sich Menschen verhalten, wenn es einen Sozialstaat, aber keine individuellen Belohnungen gibt, konnte ich in der alten DDR sehen.

    Empathielosigkeit für Malträtierte

    Er kritisiert die Entwicklung hin zu einem Essentialismus, der behauptet, nur direkt Betroffene könnten unterdrückerische Realitäten verstehen, während anderen die Legitimation abgesprochen wird, dazu Stellung zu beziehen. Mounk illustriert, wie diese Theorien in eine Logik münden können, die jede Kritik als moralisch verwerflich brandmarkt und damit Diskussionen unterbindet.

    Zustimmung!

    • Tim 15. März 2024, 13:44

      Dummes Zeug. Die USA sind ohne Sozialstaat zur stärksten Wirtschaftsmacht der Welt aufgestiegen,

      Auch in den USA beträgt der Anteil der Sozialausgaben an den Staatsausgaben ungefähr 40 %, das muss man immer wieder betonen. Das ist extrem weit weg von „ohne Sozialstaat“. Und soweit ich weiß, begann der Aufstieg der Sozialquote schon in den 30er Jahren. Um 1900 sah die Situation sicher noch anders aus. Bei uns aber ebenfalls. 🙂

      • Stefan Sasse 15. März 2024, 19:08

        Richtig.

      • Erwin Gabriel 17. März 2024, 10:36

        @ Tim

        Hallo Tim,

        Ich kann folgen, sehe aber auch keine Einwände gegen meine Annahme. Ich habe mich nicht auf die Jetzt-Zeit bezogen. Der Kapitalismus begann doch ganz grob Mitte des 19. Jahrhunderts so richtig zu florieren. In den USA formten sich zwischen 1850 und dem ersten Weltkrieg die großen Stahl-, Eisenbahn-, Auto-, Öl- oder Elektrokonzerne. Mit den Waffenlieferungen an England im Rahmen des ersten Weltkriegs lösten die USA England als stärkste Nation ab. Auch in England und Deutschland sind viele Konzerne in dieser Zeit zu Größe und Bedeutung erlangt; Krupp, Siemens, Bosch, um nur die bekanntesten zu nennen.

        Sicher, schon Bismarck hat bei uns die allerersten zarten Fundamente für den Sozialstaat gelegt, aber nicht das war es, was den Unternehmen zu Größe und Erfolg verhalf.

    • Stefan Sasse 15. März 2024, 19:03

      True.

      True.

      Zum Woke-Ding: Weitgehend Zustimmung, ich glaube wir sind uns in den Punkten einig und unterscheiden uns vor allem in den Folgen.

      Sozialstaat: Kann ich mitgehen.

  • Erwin Gabriel 15. März 2024, 13:14

    Robert:
    … aber sozusagen seit den 80er Jahren permanent über Linke gesprochen worden ist oder Linke insbesondere über sich selbst gesprochen hat.

    Oh ja 🙂

    Stefan:
    … also diese Hoffnung, dass die Progressiven immer … diesen Retter, diesen Messias sich erhoffen, …

    Das ist wohl so. Was mich daran so irritiert, ist, dass man auf der einen Seite die Gleichheit aller Menschen anstrebt, und sich auf der anderen Seite einen Messias, einen Führer, eine Lichtgestalt erhofft – also eine Person, die vor allen anderen steht, die nicht gleich ist. Und dann kommt eine Sahra Wagenknecht …

    Und ich habe das Gefühl, die befinden sich gerade wieder in so einer ähnlichen Phase von so einer gewissen Ideenlosigkeit, in der die alten Rezepte nicht mehr so wirklich funktionieren.

    Wohl wahr.

    Robert:
    Etwas, was sich durchzieht in der Geschichte der Linken, man kann es aber natürlich auch sagen, eine Art von Krankheit der Linken, dass man immer jeweils anderen abspricht, überhaupt Linke zu sein. Es geht nicht nur darum, dass man sagt, ich habe diese Linie und der andere hat die andere Linie, sondern dass man sagt, die Linie, die ich präferiere, ist die einzig Linke und die anderen, die sich vielleicht auch als Linke ansehen, sind gar keine Linken.

    Ein bisschen flapsig formuliert (spiegelt aber meine Erfahrungen wieder): Wenn 5 Linke beieinander stehen, hast Du 5 – 6 unterschiedliche Wege, wie sich alle anderen Menschen verändern müssten, um die Welt zu retten. Und falls wirklich mal eine Lichtgestalt daherkommt, findet man sie so lange toll, bis man feststellt, dass sie ideologisch auf der zweiten Nachkommastelle abweicht.

    … man hat eine große Unzufriedenheit in der gesamten Bevölkerung, sowohl mit den ökonomischen Ergebnissen unseres ökonomischen Systems, … weil … der ökonomische Stress, der ins Leben der Menschen einzieht, sowohl von den Lebenshaltungskosten, aber auch von Arbeitsmarktinstabilität, Respektabilität, also sozusagen welchen Respekt man genießt als jemand, der seinen Job macht … im Sinne von „der Mensch zählt nicht mehr“, man ist eigentlich nur mal eine Kostenstelle auf zwei Beinen und das bei immer mehr ökonomischen Stress bis hin, dass das Leben eigentlich nicht mehr leistbar ist, wenn man jetzt alles zusammenzählt, sozusagen stagnierende Reallöhne und steigende Mieten, steigende Lebenshaltungskosten und so weiter.

    Ja, das ist mal ein aussagekräftiger linker Standpunkt. Um hier mal mit Helmut Schmidt zu kontern: „Was heute als Armut gilt, war in meiner Jugend gehobener Mittelstand“. Hier in Deutschland sind wir – bei allen Schwächen des Systems – so weit oben in der Wohlstandspyramide, dass ich den größten Teil dieses Gejammers als Arroganz wahrnehme. Es gibt auf der Welt kein einziges Beispiel einer Gesellschaft, in der es für alle immer nur bergauf geht.

    Nachvollziehbar, dass jeder sein Niveau verbessern möchte; nicht nachvollziehbar, dass so viele glauben, im Rahmen ihrer Tätigkeit Anspruch darauf zu haben, und vom Staat erwarten und verlangen, diesen Anspruch zu erfüllen. Selbstverständlich werden steigende Ansprüche an diese Menschen selbst nicht akzeptiert.

    Als Boomer Jahrgang 1958 mit einem Vater, der eine Führungsposition in der Schwerindustrie innehatte, habe ich viele Gespräche über Wirtschaftsflauten, Krisen, etc. und die damit verbundenen existenziellen Sorgen mitbekommen; eine der Krisen kostete ihn den Job, und mit Mitte 50 musste er sich in einer anderen Branche einen Job suchen. Er fand ihn, etwa 300 km von seinem Wohnort entfernt, und er fuhr jede Woche ins Sauerland und zurück.

    Zu Beginn meiner Lehre bei den vereinigten Aluminium-Werken in Hannover hatte die VAW Leichtmetall 2.200 Mitarbeiter; 2 Jahre später waren es gerade mal die Hälfte. Auch ich habe mir mit 55 Jahren einen neuen Job suchen müssen, und fand ihn fürs halbe Gehalt (zuzüglich der Kosten für die Fahrerei und der Wohnung) auch in der Ferne. Ich erinnere mich an Werksschließungen von Nokia, von Opel, an das Sterben der Bergwerke, an große Baukrisen, die fast alle großen deutschen Bauunternehmen killten.

    Unsicherheiten gab es immer, und in keiner früheren Zeit hat der Staat so umfassend unter die Arme gegriffen, falls es kneift. Aber die unglaublich langen fünfzehn „guten“ Jahre, die Merkel dank der Schröderschen Reformen hinlegen konnte, die es ihr ermöglichten, ohne Zumutungen an die Wähler zu regieren, haben diesem Land eine überzogene Erwartungs- und Anspruchshaltung gebracht, die für mich nicht begründet oder nachvollziehbar ist.

    … der Aufstieg der Rechten ist nur eine Folge von Defiziten der Linken.

    Ja; gilt umgekehrt genauso.

    Die Rechten leben von der Angst und von der Pessimismus und dem Angst vor der Veränderung. Die Linken leben immer vom Optimismus, dass es verbessert werden kann.

    Da kam mir schon die Galle beim Lesen hoch. Der beschriebene Unterschied ist der zwischen Demokraten und Populisten, aber nicht zwischen links und rechts.

    Der Unterschied zwischen links und rechts ist, dass die Rechten auf die Kraft des Individuums setzen, die Linken auf die Kraft des Staates. Mag sein, dass die Rechten bei ihrer Betrachtung den Schwächeren nicht ausreichend gerecht werden, so wie die Linken den Stärkeren nicht gerecht werden. Aber Pessimismus und Optimismus haben nichts damit zu tun.

    Stefan:
    Wir haben stattdessen viel mehr dieses ebenfalls von dir schon angesprochene Problem der Volksfront von Judäa gegen die judäische Volksfront. Diese typische Spalterei, die das Pläsier jeder linken Bewegung ist, die feiert gerade wieder Urstände.

    Yepp

    Ein Narrativ, das man ganz häufig hört, ist ja quasi so diese Idee, dass die Linke aktuell in zwei Strömungen geteilt ist. Die eine ist so quasi dieses grüne Ding mit Frauenrechten und Rechten für Migrantinnen und Open Borders und Klimaschutz und der ganze Kram. Und das andere ist sozusagen das klassische mit Mindestlohn und höhere Sozialleistungen und Sicherung und dass diese beiden Bewegungen sich quasi voneinander entkoppelt hätten.

    Scheint mir schlüssig.

    Wir wissen quasi als Linke nicht, wer sind eigentlich die da oben. Weil der Kapitalismus – as funktioniert nicht mehr. Wenn da irgendjemand kommt, der Kapitalismus ist böse. Ja, hat Opa auch schon gesagt. Das scheint mir so ein ganz, ganz großes Problem zu sein.

    Zustimmung. Es profitieren viel zu viele Menschen vom Kapitalismus, als das man den noch als Gefahr für die Menschheit darstellen könnte.

    Robert:
    Ich glaube, heute kommen natürlich noch ein paar Probleme dazu, nämlich der Verlust an Bindungswirkungen der linken Organisationen.

    Nun ja; früher gab es Klassen, heute bei weitem nicht mehr so. Je individueller sich jemand fühlt bzw. je mehr der individuelle wirtschaftliche Erfolg den gewünschten Lebensstil möglich macht, umso weniger lässt sich dieser Jemand in klassische Links-Recht-Strukturen organisieren.

    Wenn wir 50 Prozent haben und wir unsere Ziele nicht verwirklichen, dann könnte sie es uns vorwerfen. Aber wenn sie uns sozusagen die Kraft nicht gibt, dann sei es irgendwie auch selber schuld.

    Gilt das nicht auch in jede andere Richtung genauso?

    … natürlich gibt es einen linken Antisemitismus. Man muss den einen linken Antisemitismus nennen, aber eine linke, überzogene Israel-Kritik, …
    Ich will gar nicht sagen so viele, aber es gibt diese Milieus, die relativ empathielos reagiert hat auf die Opfer des 7. Oktober., … dass die Bestialität dieses Blutbades gar nicht so richtig auf den Radar gekommen ist.

    Wahr.

    Das andere ist aber natürlich auch gleichzeitig, dass dieser Totschlagbegriff des linken Antisemitismus … auch Leute trifft, die eigentlich nichts anderes ausdrücken wollen, als dass sie entsetzt sind auch über die Todesopfer dieses Krieges und dass man einfach so billig in den Kauf nimmt, dass 30.000 Tote gibt, von denen mindestens 20.000 Zivilisten sind und dann so zynisch sagt, okay, die sind irgendwie selber schuld, weil sie haben halt die Hamas nicht gestürzt oder nicht abgewählt oder was auch immer.

    Auch wahr. Ich kriege es auch nicht richtig bzw. für mich zufriedenstellend eingeordnet.

    In jedem Fall danke für ein interessantes Gespräch.

    • Stefan Sasse 15. März 2024, 19:08

      Wenn du bei 5 Linken nur 6 Wege rauskriegst, bin ich beeindruckt 😉

      Defizit: ich glaube da stimmt das Transkript oder dein Quote nicht; wir sagen, der Aufstieg der Rechten ist NICHT nur das Defizit der Linken.

      Optimismus/Pessimismus: In der Pointiertheit ok, aber: die CDU ist schon eher eine Partei des Pessimismus als die Grünen.

      50%: Klar, gilt in jede Richtung, aber die Linken werfen ihren Führungskräften das viel mehr vor. Wobei die Rechten da gerade aufholen…

      Sehr gerne! Hörst du es eigentlich auch oder liest du nur? Aus Interesse gefragt.

      • Erwin Gabriel 17. März 2024, 10:06

        @ Stefan Sasse

        Bei 5 Linken höre ich nach 6 auf zu zählen 🙂

        Ah, Missverständnis meinerseits. Ich denke, dass die Masse der Gesellschaft eine gleiche politische Grundstimmung hat, mit nach links und rechts ausdünnenden Enden (Gauss’sche Verteilungskurve, wenn Du magst). Bewegen sich die Wahlergebnisse von der Mitte weg nach links oder rechts, hat die Mitte versagt bzw. Themen der Mitte nicht aufgenommen.

        Wenn die Linken das ihren Führern stärker vorwerfen, dann wegen Punkt 1: Jeder glaubt, es besser zu wissen.

        Ich habe früher zwei, drei ganz gehört, ein paar andere teilweise. Mir sind die Transkripte lieber, die lese ich ganz.

        • Stefan Sasse 17. März 2024, 10:31

          Gauss: richtig, nur: die Mitte verschiebt sich. Das ist kein Fixpunkt.

          Besser wissen: Ja!

          Danke für die Info! Solange ich sie habe, mache ich sie mit rein. Die erstellt mein normales Program – zencastr – automatisch, aber Zoom zB nicht. Wenn jemand – wie Horst Meier – technische Probleme mit Zencastr hat und ich Zoom verwenden muss, hab ich keins.

          • Erwin Gabriel 17. März 2024, 10:47

            @ Stefan Sasse

            Hallo Stefan,

            Ja, die Mitte verschiebt sich. Aber zum einen nur langsam, zum anderen nur wenig.

            Wenn alle Hunger haben, ist Essen wichtig. Wenn alle satt sind, kann man sich um Themen wie Umwelt oder Klimawandel kümmern. Und wenn man befürchtet, sozial/finanziell abzurutschen, ist die Toleranz, andere ins Land zu lassen, die einem Ressourcen streitig machen, geringer, als wenn man sich auf dem Weg nach oben wähnt.

            Ist kein Hexenwerk; um so mehr wundert mich die Fähigkeit der (ehemals) großen Parteien, auf solch einfache bzw. leicht erkennbare Entwicklungen zu reagieren.

            Zum Transkript: Transkribieren kann Word auch, wenn Du eine Audiodatei einlädst.

            Viele Grüße
            E.G.

            • Stefan Sasse 18. März 2024, 11:55

              Schon, aber das sind ja keine Mitte-Themen. „Ich will nicht hungern“ ist selbst im radikalen und extremestischen Umfeld anschlussfähig.

              Probier ich mal, danke!

  • cimourdain 16. März 2024, 08:58

    Es ist schade, dass Herr Misik nicht die Überraschungserfolge der KPÖ auf lokaler Ebene in letzter Zeit (aktuell Salzburg in knapeer Stichwahl gegen einen SPD-Kandidaten verloren; in Graz stellen sie seit zwei Jahren die Bürgermeisterin) erwähnt hat.

    Ein wesentlich gravierenderes Versäumnis ist, dass ihr die mangelnde Distanz der modernen Linken zu Machtstrukturen nicht thematisiert habt.

    Das betrifft zum einen die Macht der Konzerne: Diese werden gerne als Allies im Kulturkampf begriffen, (Stichwort Pinkwashing-PR). Dadurch sinkt die Kritikbereitschaft.
    Ein spezieller Punkt diesbezüglich sind die Medienoligarchien und -oligopole. Den ÖR schließe ich hier ausdrücklich ein. Auch hier: Scheinbar nützliche Verbündete (woke Disney), deswegen Beißhemmung.

    Das andere ist die Macht eines zunehmend autoritären Staates. Zensur, digitale Massenüberwachung, Gesinnungsprüfung etc.. ist alles im Instrumentarium der Ministerinnen Faeser (SPD) und Paus (Grüne).

    Die neue Liebe von Spd und Grünen zum Militarismus brauche ich nicht ansprechen, tu es aber trotzdem. [Aber bekanntlich waren das ja noch nie pazifistische Parteien, so wie Ozeanien schon immer im Krieg mit Eurasien war]

    Internationale Elitennetzwerke zu kritisieren, geht auch nicht – das wäre ja rechte Verschwörungstheorie. Lieber lässt man sich gerne von diesen unterstützen.

    Insgesamt gesehen ist es also richtig, dass den linken Parteien ein Feindbild fehlt – deshalb weil sie sich viel lieber mit den Mächtigen arrangieren als sie zu kritisieren.

    • Stefan Sasse 16. März 2024, 09:37

      Zu spezifisch österreichisch und wenig verallgemeinbar.

      Ich kaufe das Argument mit den Konzernen nicht, sorry. Ja sicher, Woke Disney ist gelegentlich ein Verbündeter. Aber der Großteil der Konzerne ist alles, aber nicht woke oder verbündet. Und trotzdem sind die kein Feindbild.

      „Liebe zum Militarismus“, jeez.

      Klar kannst du auch als Linker – oder Liberaler oder Konservativer – internationale Elitennetzwerke unterstützen. Wäre halt gut, dabei auf antisemitische Stereotype zu verzichten.

      In der Konsequenz bin ich durchaus bei dir.

    • Dennis 16. März 2024, 13:56

      Zitat cimourdain :
      „(aktuell Salzburg in knapper Stichwahl gegen einen SPD-Kandidaten verloren;“

      ???

      Die Stichwahl kommt doch noch. Am 24.3. Mal sehn, ob das gemütlich-behäbige Salzburg (Stadt) so richtig fett marxistisch-leninistisch wird^. Aber Kommunismus à la Austria war ja schon immer was sehr Spezielles. Offenbar wird in Ö das K-Etikett eher locker und unaufgeregt und nitt so orthodox interpretiert. Man denke nur an die Frau Kommerzialrätin Rudolfine Steindling, die rote Fini, und deren Liebe zum Luxus.

      https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/millionen-mit-ost-west-handel-die-gucci-kommunistin-9903110.html

      Zitat:
      „Ein wesentlich gravierenderes Versäumnis ist, dass ihr die mangelnde Distanz der modernen Linken zu Machtstrukturen nicht thematisiert habt.“

      Die Machtstrukturen müssen eigentlich nur links sein (vermeintlich oder tatsächlich) und alles ist gut. Machtstrukturen an sich sind ja nicht unlinks.

      Zitat:
      „gerne als Allies im Kulturkampf begriffen, (Stichwort Pinkwashing-PR).“

      ja, aber nicht nur das. Es ist auch ganz allgemein das Anywhere-Prinzip, das als „fortschrittlich“ gilt. Die ganze Welt gilt als Reservearmee für billige Arbeit einerseits und als Absatzmärkte andererseits; altmodische Grenzen stören da ganz erheblich. Auf links gedreht: Migrationen aller Art zu bejubeln kann nie falsch sein, weil vermeintlich irgendwas mit „bunt“ bei rauskommt und das ist immer gut.

      Als „links“ noch neu war, also in der Assemblée nationale anno 1789 ff , hießen die links Sitzenden „Patrioten“, die transnationale Denke (Aristokraten) war rechts. Da hat sich was geändert^.

      Zitat:
      „Das andere ist die Macht eines zunehmend autoritären Staates. Zensur, digitale Massenüberwachung, Gesinnungsprüfung etc.. ist alles im Instrumentarium der Ministerinnen Faeser (SPD) und Paus (Grüne).“

      Nun, mit solchen Sachen können sich wohl Rechte und Linke gleichermaßen anfreunden^. Es kommt halt darauf an, dass die Obrigkeit das „Richtige“ vertritt und schon ist die Obrigkeit gut. Alle wollen am Ende des Tages, dass die jeweils als „gut“ und „gerecht“ und all so was geltende Politik, die zufälligerweise mit meinen privaten Interessen übereinstimmt, von jemanden da oben geschützt und verteidigt wird. Auch so genannte Liberale wollen das.

      Zitat:
      „Insgesamt gesehen ist es also richtig, dass den linken Parteien ein Feindbild fehlt“

      Kann sein. Was noch viel mehr fehlt ist die Konzentration auf Bread-and-butter-Themen, für die sich die „einfachen“ Leute wirklich interessieren. Das ist alles, was mit der materiellen Versorgung zu tun hat. Mit liberalistischen Gedöns-Themen erreicht man immer nur eine bürgerliche, arg kleine Minderheit, der es piep-egal sein kann, ob der Liter Milch beim Edeka ein Euro oder einsfuffzig kostet.

      Zitat:
      „Die neue Liebe von Spd und Grünen zum Militarismus brauche ich nicht ansprechen…..“

      Die Gleichung links = Pazifismus hat noch nie gestimmt. Würde mal so sagen: Die Krieg-und-Frieden-Fragen passen kategorial gar nicht ins LinksRechts-Schema.

      Aber was in Letzteres, also in das jeweilige Paket, jetzt eigentlich alles so reingehört oder nicht reingehört bzw. was jetzt ganz genau und sauber „links“ und dagegen „rechts“ ist….nun ja…wird vermutlich nie zur allseitigen Befriedigung geklärt werden 🙁 . Im Podcast wurde das ja hin- und hergewälzt, aber letztlich nicht geklärt; geht auch nicht. Die Grenzen sind einfach jeweils zu weich und zu durchlässig. Im Übrigen sind die Links/Rechts-Pakete auf der Zeitachse Wanderdünen.

      • cimourdain 18. März 2024, 11:13

        Danke für die Korrektur zur KPÖ (Kurzmeldung schlampig gelesen) und eine schöne Freunderlgeschichte, die mich in der Vermutung bestätigt, dass im Nachbarland die Einkommensquelle „Piefkes abziehen“ als honorig gilt…

    • cimourdain 18. März 2024, 11:00

      @ stefan, Dennis

      Mir geht es darum, dass die Punkte, die ich anspreche, den urlinken Anspruch auf eine humanere Gesellschaft konterkarieren und deshalb eher mit historischen Fehlentwicklungen auf der linken Seite vergleichbar sind. Typisch ist hier der Rückgriff von Dennis auf die Montagnards der französischen Revolution: Deren Utopie einer besseren Gesellschaft tritt eindeutig in der historischen Rückschau hinter ihrer Begeisterung fürs Kopfabhacken zurück. Um im Leitmotiv des Podcasts zu bleiben: Hier soll niemanden das Linkssein abgesprochen werden, sondern nur das ‚gute‘ Linkssein. 😉

      Konzerne/Kapitalismus: Simple Sache: Stefan hat die Parole „Der Kapitalismus ist schuld“ als zu ‚altbacken‘ zurückgewiesen, obwohl das kapitalistische Denken zweifelsfrei mit der Ressourcenfehlallokation bei mehreren globalen Problemen ursächlich zusammenhängt (Stichwort Bitcoin)

      „autoritärer Staat“: Interessant ist doch, dass die ersten Ziel von linkem Staatsautoritarismus andere Linke sind. Grüße an dieser Stelle an Gustav Noske, Lawrenti Berija und Willi Stoph.

      „Militarismus1“ hier gilt ähnliches: Natürlich waren Sowjetunion und DDR hochmilitaristische Staaten, die den Pazifismus brutal unterdrückten.

      „Militarismus2“ Dennis, selbst ich erkenne an, dass es zwischen Pazifismus und Militarismus noch eine Mittelposition gibt (wo etwa die SPD versucht zu balancieren). Aber für die Diagnose von letzterem kann ich ein paar Symptome anführen – auch wenn Stefan Sasse angesichts des Wortes und seiner Implikationen ganz furchtbar die Augen verdreht.
      – Begeisterung für Kriegsgerät (‚Leo‘-Kult 22/23) und Uniformen (Reserveleutnant Özdemir)
      – keine Bereitschaft, Kriege mit etwas anderem als dem kompletten Sieg einer Seite zu beenden
      – persönliche Angriffe gegen Andersdenkende in dieser Frage. Wenn eine Person das Wort „Defätismus“ verwendet, sagt das eine Menge über den Sender.

      • Stefan Sasse 18. März 2024, 11:59

        Als politische Formel ist „der Kapitalismus ist schuld“ altbacken. Das lockt keinen Hund hinter dem Ofen hervor.

        Autoritärer Staat: Jepp.

        Militarismus1: Total!

        Militarismus2: Wo zur Hölle siehst du eine Begeisterung für Uniformen und Kriegsgerät? Was den Diskurs angeht: den kritisiere ich auch, da kommt im Vermischten am 26. was dazu.

        • cimourdain 18. März 2024, 13:10

          „altbacken“ ist eine ungünstige Kategorie. Die binomischen Formeln sind auch „altbacken“. Die Fragen sind doch: In welchem Maß trifft es zu? In welchem Maß ist es relevant? und Was kann man anders machen? Die letzte Frage wäre genau ein Aufhängpunkt im Angesicht eines „So geht es nicht weiter“ Konsens. Und erstaunlich viele suchen nach Alternativen. Zum Beispiel ist Gemeinwohlökonomie ein ziemlich aktuell diskutiertes Thema.

          • Stefan Sasse 18. März 2024, 17:27

            „Altbacken“ ist politisch eine sehr relevante Kategorie. Wenn etwas altbacken wahrgenommen wird, ist es unattraktiv.

        • cimourdain 18. März 2024, 14:24

          „Militarismus2“: Ich habe ja zwei Beispiele angeführt. Gerne diskutabel, aber vorhanden.

          • Stefan Sasse 18. März 2024, 17:31

            Du sagst mir halt dass Özdemir Reserveleutnant ist. Ok, so what? Das ist ein (!) Politiker, der ein (!) Event in Uniform gemacht hat. Eine Schwalbe macht keinen Sommer, und eine viertägige Übung keinen Militarismus. Die Leo2-Diskussion war davon bestimmt,dass Leos besser sind als T-72, und…duh.

            • cimourdain 19. März 2024, 08:17

              Fangen wir damit an, dass es zwei waren: Niklas Wagener (MdB die Grünen) war ebenfalls bei der Cosplay-Aktion dabei.

              Aber hier habe ich ein noch interessanteres Beispiel (weil es auch politisches „Wahrnehmungs-Management“ betrifft):
              https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/512140/Mit-Stahlhelm-und-Schutzweste-Gruenen-Chef-Habeck-fordert-Waffen-fuer-die-Ukraine
              Beachte das Bild – das fehlende Bild, aber ursprünglich war da genau das, was Überschrift und Rollover-Bildbeschreibung sagen: Robert Habeck in Tarnweste und Stahlhelm. 2021 wollte er aber nicht gerade als Stahlhelm-Robert in die Wahl reingehen, deshalb wurde dieses Bild zurückgezogen. Heute hätte er keine solchen Hemmungen mehr.

      • Thorsten Haupts 18. März 2024, 20:04

        – Begeisterung für Kriegsgerät (‚Leo‘-Kult 22/23) und Uniformen (Reserveleutnant Özdemir)
        – keine Bereitschaft, Kriege mit etwas anderem als dem kompletten Sieg einer Seite zu beenden

        Jetzt habe ich doch mal laut gelacht. Da gibt es einen (1) der 700 deutschen Abgeordneten, der als Grüner Reserveoffizier (per Handauflegen, nicht durch Wehrdienst) wurde. Klarer Beweis für Militarismus … Sonst sitzen im Parlament von 700 Leuten noch so ein knappes Dutzend. Maximal.

        Und der zweite Satz ist schlicht Begriffsmissbrauch. Der „komplette“ Sieg der Ukraine besteht ausschliesslich in dem Ziel, die Russen von eindeutig ukrainischem Boden zu vertreiben und sie an weiteren Greueltaten an der Zivilbevölkerung zu hindern. Und in sonst nichts. Nein, das ist kein kompletter Sieg – ein kompletter Sieg endet mit der Kapitulation der Gegenseite, vorher ist er nicht komplett (Deutschland 1945, Frankreich 1871).

        Wer für einen „inkompletten“ Sieg in cimourdains Sinne argumentiert, möchte übrigens den Angreifer in einem Krieg belohnen – er darf einen Teil der Kriegsbeute behalten. In der Ukraine heisst das Land und Leute.

        Gruss,
        Thorsten Haupts

  • Thorsten Haupts 16. März 2024, 20:55

    Ich habe das Transkript nur überflogen und den Podcast nicht gehört, aber ich vermisse einige Gedanken zur aktuellen „Krise“ von links (vielleicht überlesen?):

    1) Die demokratische Linke hat die Masse ihrer fundamentalen Kämpfe der Vergangenheit bereits gewonnen. Im Kern sind alle westeuropäischen Staaten kapitalistisch UND zugleich sozialdemokratisch. Ein europäischer Arbeiter von 1910 würde sich wirklich die Augen reiben. Und freudig staunen.

    2) Wo die Linke erfolgreich war (und ist?), verfolgte sie die Interessen von Mehrheiten oder zumindest ansehnlichen Minderheiten. Der linke Transaktivismus von heute (als Beispiel) verfolgt das Interesse einer 0,1% Minderheit …

    3) Ein Grossteil des heutigen linken (sprich: progressiven) Jargons verstehen selbst akademisch Vorgebildete nur dann, wenn sie sich tief in die Themen einarbeiten. Sonst tatsächlich gar nicht mehr – als mir vor ca. 10 Jahren die ersten intersektionalen, antikolonialistischen Radikalfeministinnen unterkamen (wegen einigen Nebenbemerkungen in einem FAZ-Blog zur „Mädchenmannschaft“), war meine erste Reaktion ein „Häh? Wovon zur Hölle reden die da eigentlich?“. Man vergleiche mit dem kommunistischen Manifest, der wohl wirkungsvollsten allgemeinverständlichen Kampfschrift des 19. Jahrhunderts.

    Mir scheint, die demokratische Linke wird sich solange mit einer Minderheitenposition abfinden müssen, wie sich linksdemokratische Politik (durch die Umstände) darauf beschränkt sieht, bereits existierende sozialdemokratische Systeme in Nuancen zu verbessern bzw. an veränderte Lebensgewohnheiten anzupassen. Denn selbst bei grossem Wohlwollen (nicht meines 🙂 ) – Radikalfeminismus, Critical Whiteness, Transrechte oder Degrowth werden niemals die gleiche Bedeutung haben, wie die Einführung von Rente, Arbeitslosengeld, allgemeiner Krankenversorgung und Sozialwohnungen. Das wird sich wahrscheinlich erst in einer fundamentalen Krise ändern?

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • CitizenK 17. März 2024, 08:18

      Soweit stimmt der alte Sozialdemokrat dem alternden Reaktionär (Selbstbezeichnung) ja zu. Es tun sich aber jetzt bereits neue (soziale) Fragen auf: Wie werden die Lasten der sogenannten Transformation (Umwelt/Klima, Verteidigung, Demographie, AI) verteilt?

      • Stefan Pietsch 17. März 2024, 09:00

        Welche zusätzlichen Lasten?

        Landesverteidigung ist eine originäre Staatsaufgabe. Wesentlich ärmere Staaten als Deutschland bringen einen höheren Beitrag zur Verteidigung auf.

        Wir sind mitten in den demographischen Verwerfungen, meinen aber immer noch, weniger arbeiten zu müssen. Und KI ist so wenig eine Last wie es vor 25 Jahren das Internet war.

        Wir müssen uns nur angewöhnen, nicht immer weniger tun zu wollen, dann sind die angeblich hohen Lasten auch keine mehr.

        • Erwin Gabriel 17. März 2024, 10:20

          @ Stefan P.

          Wir müssen uns nur angewöhnen, nicht immer weniger tun zu wollen, dann sind die angeblich hohen Lasten auch keine mehr.

          Hallo Stefan,

          Ich kann sogar, selbst wenn es für die Gesellschaft schädlich ist, damit leben, dass der eine oder andere „weniger leisten“ will, also keinen Bock auf ausufernde, stressige Arbeit hat. Was mich ärgert, ist die Vorstellung, dass man das „weniger arbeiten“ nicht mit „weniger Geld“ oder geringerem Lebensstandard in Deckung bringen möchte. Aber weniger Arbeit bei gleichem Geld (ob durch vollen Lohnausgleich oder staatliche Unterstützung) bedeutet, dass man andere für sich arbeiten lassen möchte. Das ist, um gegen alle Gewohnheit mal einen linken Kampfbegriff zu bemühen, „ungerecht“.

          • CitizenK 18. März 2024, 09:17

            Linker Kampfbegriff?

            „Gerechtigkeit wird weltweit als Grundnorm menschlichen Zusammenlebens betrachtet; daher berufen sich in fast allen Staaten Gesetzgebung und Rechtsprechung auf sie. Sie ist in der Ethik, in der Rechts- und Sozialphilosophie sowie in der Moraltheologie ein zentrales Thema bei der Suche nach moralischen und rechtlichen Maßstäben und für die Bewertung sozialer Verhältnisse.“ (Wikipdia)
            Kürzere Arbeitszeiten bei gleichem Lohn – seit Jahrzehnten gelebte Realität. Stichwort Produktivität. Die GDL-Forderung erfüllt dieses Kriterium allerdings nicht. Sie ist überzogen und unzeitgemäß, vor allem aber die Art und Weise, wie sie durchgesetzt werden soll, ist „ungerecht“.

            • Thorsten Haupts 18. März 2024, 10:23

              Gerechtigkeit wird weltweit als Grundnorm menschlichen Zusammenlebens betrachtet …

              Stop, stop. Gemeint als „Bestrafung von Übeltätern und Freiheit für Nicht-Übeltäter in einem Rechtsstaat“ oder „Gleichbehandlung durch staatliche Institutionen“ natürlich richtig. Das sind von 90% der Leute und mehr geteilte Überzeugungen.

              Aber das ist noch lange nicht anwendbar auf die sogenannte „soziale Gerechtigkeit“ – denn da fehlt es genau an diesem 90% Grundkonsens, was das eigentlich sein soll. Erwin hat da völlig Recht – die „soziale Gerechtigkeit“ IST ein linker Kampfbegriff.

              Und beides bewusst zu vermischen, ist eine rhetorische Argumentationstaktik. Man kapert einen bei der grossen Mehrheit von Menschen positiv besetzten Begriff und nutzt ihn für einen völlig anderen Zweck.

              Gruss,
              Thorsten Haupts

              • CitizenK 18. März 2024, 14:08

                Der Begriff macht doch nur Sinn in seiner sozialen Dimension. Eine Person kann sich selbst gegenüber weder gerecht noch ungerecht sein. Das fängt schon in der Familie an: Wenn ein Kind – ohne Begründung – mehr Taschengeld kriegt, wird das als ungerecht empfunden. Kinder haben ein Gespür für diese soziale (!) Ungerechtigkeit.

                Natürlich gibt es keine objektiven, gar wissenschaftlichen, Maßstäbe und Kriterien. Es gibt aber Begründungen aufgrund von Werten: Leistung, Humanität, Menschenwürde, Leistung. Das gibt zumindest einen Korridor vor. Wie wollt ihr sonst gegen den Feudalismus und Nepotismus argumentieren. Oder wollt ihr das gar nicht?

                • Thorsten Haupts 18. März 2024, 14:58

                  Der Begriff macht doch nur Sinn in seiner sozialen Dimension.

                  Unsinn 🙂 . Den Begriff kann man sinnvoll anwenden auf rechtliche Tatbestände, auf Verwaltungshandeln etc. pp. In seiner sozialen Dimension allerdings ist er eben – anders, als in seiner rechtlichen – höchst umstritten. Praktisch jede/r ist für Bestrafung eines Schlägers, jeweils keine Mehrheiten sind für die Enteignung von Millionären oder den dauerhaften Unterstützungsentzug für Arbeitsverweigerer.

                  Und das nur nebenbei – ich spreche hier ausschliesslich für mich selbst und nicht als Vertreter irgendeines Kollektives. Das „wollt ihr“ ist deshalb einfach falsch.

                  Gegen Feudalismus wie Nepotismus argumentiere ich gerne, nachdrücklich und wirkungsvoll ohne jeden Rückgriff auf eine „soziale Dimension“. Bin mir nur nicht mehr sicher, ob ich beim Feudalismus nicht irre.

                  Gruss,
                  Thorsten Haupts

                • Erwin Gabriel 18. März 2024, 23:06

                  @ CitizenK

                  Wenn ein Kind – ohne Begründung – mehr Taschengeld kriegt, wird das als ungerecht empfunden. Kinder haben ein Gespür für diese soziale (!) Ungerechtigkeit.

                  Meine beiden jüngsten Töchter liegen altersmäßig zwei Jahre auseinander, beide waren in ihrer Kindheit etwa gleich groß. Als die 12jährige einen MP3-Spieler zu Weihnachten bekam, die 10jährige aber nicht, flippte diese komplett aus; sie hatte sich solch ein Teil so sehr gewünscht und kriegte es nicht, aber ihre Schwester schon. Das empfand sie als „ungerecht“.

                  Ein Jahr später, mit 11 Jahren, bekam sie auch einen. Jetzt flippte die inzwischen 13jährige aus, da ihre Schwester ihren MP3-Spieler mit 11 Jahren bekam, während sie selbst ein Jahr länger warten musste.

                  Soviel zu Deinem „Gespür“ …

            • Erwin Gabriel 18. März 2024, 23:15

              @ CitizenK

              Linker Kampfbegriff?

              So wie Du ihn in der Regel einsetzt – ja.

              Kürzere Arbeitszeiten bei gleichem Lohn – seit Jahrzehnten gelebte Realität. Stichwort Produktivität.

              Dass das am Leben vorbeizieht, weißt Du hoffentlich selbst. Solange die Löhne in guten Zeiten steigen sollen, weil der Arbeitgeber gut verdient, und in schlechten Zeiten hochgehen soll, weil es dem Arbeitnehmer schlechter geht, hinkt das „gerechte“ System.

    • Erwin Gabriel 17. März 2024, 10:22

      @ Thorsten Haupts

      Wieder mal unterhaltend zu lesen; weitgehende Zustimmung meinerseits.

    • Stefan Sasse 17. März 2024, 10:30

      1) Völlig richtig, ich habe nur das Gefühl, dass der Punkt auch schon wieder Verganhenheit ist: das erklärt eher die Probleme der 80er als der 2020er.

      2) Der spielt aber für die SPD praktisch keine Rolle und selbst bei den Grünen nur sehr wenig. Transrechte sind ein Kulturkampfthema der Rechten; ohne deren Aufmerksamkeit würde das praktisch nicht diskutiert werden.

      3) Auch hier: richtig, aber das ist kein neues Problem!

      Völlige Zustimmung zum Schluss, das thematisieren wie ja über Bande durchaus.

      • Thorsten Haupts 17. März 2024, 11:05

        Zu 2)
        Falsch! Das Selbstbestimmungsgesetz, mit dem man in Deutschland alle 12 Monate mit allen Rechtsfolgen sein Geschlecht wechseln darf, ist kaum Ausfluss von „praktisch überhaupt nicht diskutiert“. Bzw. wenn dann der Beweis dafür, dass das für demokratische Linke weitgehender Konsens ist – dann muss man das natürlich nicht diskutieren.

        • Stefan Sasse 18. März 2024, 11:56

          Dass da was verabschiedet wurde heißt ja nicht, dass es breit diskutiert wurde! 99,9% aller Gesetze werden nie breit diskutiert.

          • Thorsten Haupts 18. März 2024, 14:49

            Sach ma Stefan! Es ging um die Frage, wie wichtig der Trans-Aktivismus der demokratischen Linken ist. Du hast negiert, dass das dort irgendwie von Bedeutung ist. Mein Gegenbeweis dafür war die Verabschiedung eines ganzen Gesetzes ausschliesslich (!) zugunsten eines spezifischen Anliegens des Trans-Aktivismus. Ob mit oder ohne „Diskussion“.

            • Stefan Sasse 18. März 2024, 17:33

              Dann hab ich mich missverständlich ausgedrückt, mein Punkt sollte sein, dass das auf der Linken in der Diskussion und öffentlichen Kommunikation keine große Rolle spielt.

      • Thorsten Haupts 17. März 2024, 15:14

        Und zu 3)
        Den marxistisch-leninistischen Jargon hat auch in der jüngeren Vergangenheit kaum einer verstanden, richtig. Die Anliegen der Sozialdemokratie dagegen – und das ist der Vergleichsmasstab – sehr wohl.

        • Stefan Sasse 18. März 2024, 11:56

          Korrekt, aber der Jargon ist ja in der SPD nicht eben verbreitet, damals wie heute nicht.

  • cimourdain 18. März 2024, 17:08

    Meta:
    Ich persönlich finde es eine Bereicherung, dass das komplette Transkript als Text in die Shownotes gepackt ist. Das macht nachschlagen und zitieren einfacher.
    Ein wenig Wermut ist dabei, dass der Text wahnsinnig aufgebläht ist, was schnelles Suchen erschwert. Und die Spracherkennung ist nicht 100%, aber das ist eher Gemaule auf hohem Niveau.

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