Oral History: Corona [Gesamtartikel]

Einer der faszinierenden (und ehrlich gesagt auch milde erschreckenden) Bestandteile des Älterwerdens ist die Feststellung, dass der eigene Referenzrahmen von einer jüngeren Generation nicht mehr geteilt wird und diese bei zunehmend mehr Aspekten nicht mehr weiß, wovon man eigentlich spricht. Meine Elterngeneration (spätestens) dürfte ein Leben ohne Elektrizität und fließend Wasser nicht nachvollzogen haben können, während ich selbst mir nicht vorstellen konnte, dass es einmal Familien ohne Farbfernseher gab. Ich habe mich deswegen entschlossen, diese unregelmäßige Artikelserie zu beginnen und über Dinge zu schreiben, die sich in den letzten etwa zehn Jahren radikal geändert haben. Das ist notwendig subjektiv und wird sicher ein bisschen den Tonfall „Opa erzählt vom Krieg“ annehmen, aber ich hoffe, dass es trotzdem interessant ist. Als Referenz: ich bin Jahrgang 1984, und meine prägenden Jahre sind die 1990er und frühen 2000er. Was das bedeutet, werden wir in dieser Serie erkunden. In dieser Folge geht es um die Corona-Pandemie 2020-2023, die einem kollektiven Verdrängungsprozess zum Opfer zu fallen scheint. In diesem Teil betrachten wir die Anfangszeit bis zum Herbst 2020.

Ich erinnere mich, dass ich irgendwann im Dezember 2019 zum ersten Mal von Corona gehört habe. In den Nachrichten kam es als beginnende Pandemie in Asien vor. Ich heftete es in derselben Rubrik ab, in der auch die Vogel- und Schweinegrippeepidemien liegen: Ereignisse, die in anderen, weit entfernten Ländern stattfanden und trotz mehrfacher Warnungen und Befürchtungen nie in Deutschland durchschlugen. Die Bilder von Asiat*innen mit Gesichtsmasken gehörten zu dieser Entwicklung dazu. Das änderte sich auch im Januar und Februar 2020 für mich nicht großartig. Die Pandemie breitete sich zwar aus, aber die Nachrichtenlage war immer noch eine, die über ein weit entferntes Ereignis berichtete – und entsprechend, wie alle internationalen Neuigkeiten, ging das größtenteils im allgemeinen Rauschen unter, auch bei mir.

Das alles änderte sich in der zweiten Märzwoche. Am Dienstag, dem 10.03.2020, war ich zum Kindergeburtstag meiner Tochter in einem Indoorspielplatz. Während die Kids tobten, unterhielt ich mich per Whatsapp (Papa-des-Jahres-Award, absolutes Vorbild) mit einem britischen Freund, der durch seinen Beruf als Politikberater deutlich näher am Puls aktueller Entwicklungen ist, über die Lage. Ich hatte in den Tagen zuvor wesentlich mehr Nachrichten zum Thema konsumiert und konnte seine Frage „How worried are you?“ mit „very“ beantworten. Er fügte mich einer Gruppe hinzu, die News zur Pandemie teilte und besprach und in der diverse Leute waren, die nah an den Schaltstellen der Macht sind – Kongressmitarbeitende, Berater*innen, etc. Entsprechend hatten diese Kontext und Informationen, die noch gar nicht in den Nachrichten rezipiert wurden.

Die nächsten Tage waren für mich merkwürdig unwirklich. Ich war der aktuellen Nachrichtenlage immer ungefähr anderthalb Tage voraus. Was wir in der Gruppe am Dienstag diskutierten, schaffte es Mittwoch abend in die allgemeinen Nachrichten. Als ich am Mittwoch Nachmittag, dem 11.03.2020, mit meiner Frau über das Thema redete, war sie noch auf dem Stand, auf dem ich Montag gewesen war: eine Kuriosität aus Asien, weiter nichts. Am Donnerstagmorgen, dem 12.03.2020, schrieb ich eine Mail an meine Schulleitung, dass ich der Überzeugung sei, dass wir die Schule schließen sollten, weil die Gefahr so hoch war (die Antwort war, auf eine offizielle Anweisung des Kultusministeriums zu warten). Meinen Schüler*innen wünschte ich vorsorglich schöne Ferien (Osterferien begannen am 06.04.2020), weil ich nicht davon ausging, sie vorher wiederzusehen. Ungläubiges Gelächter antwortete mir. Ich sollte Recht behalten. Bereits am Donnerstnachmittag begann die aufgeregte Debatte über Schließungen.

Am Freitag, dem 13.03.2020, war die Aufregung groß. In den meisten Bundesländern verkündeten die Ministerpräsident*innen zwischen 8 und 9 Uhr morgens die Schließung der Schulen. In Baden-Württemberg ließ sich die grün-schwarze Landesregierung bis nachmittags Zeit, um dann (wenig überraschend) zum selben Ergebnis zu kommen wie alle anderen Bundesländer. Mich machte das unglaublich wütend, weil es so absehbar war. Denn durch die Verzögerung war es unmöglich, die Schulschließung logistisch noch am Freitag zu machen. Wir mussten deswegen am Montag alle noch kommen und verloren bereits einen Tag. Unsere Schule selbst war auf die Situation gut eingestellt: da wir bei der Digitalisierung Trendsetter waren, konnten wir direkt in den Fernunterricht wechseln: alle Schüler*innen hatten einen Laptop mit der kompletten Office-Suite, darunter das mittlerweile wesentlich bekanntere (als damals) Microsoft Teams. Ich experimentierte zuerst mit Discord, weil die Schüler*innen das überwiegend kannten, wechselte aber bald ebenfalls auf Teams.

Wesentlich schlimmer waren die Schulschließungen für die Kinder. Die örtliche Grundschule, deren zweite Klasse mein Sohn besuchte, hatte damals keine Mailadressen für die Lehrkräfte und eine GMX-Adresse (!) für die Schule. Die Aufgaben wurden von der Klassenlehrerin per Fahrrad ausgefahren und an die Türen der Familien gehängt, als ein riesiger Stapel Kopien für die ganze Woche. Während meine Tochter (Kindergartenkind) ohne jede Beschäftigung zuhause war und wir im Fernunterricht arbeiten mussten, sollte mein Zweitklässler sechs Stunden konzentriert am Stück Aufgaben abarbeiten. Ha. Ha. Ha. Die Klassenlehrerin war super engagiert und tat ihr Möglichstes, aber das war sehr wenig. Für meinen Sohn war die Schulschließung ein massiver Knick, unter dem er bis heute leidet – genauso wie viele seiner mittlerweile ehemaligen Klassenkamerad*innen.

Diese frühen Tage der Pandemie waren wild. Bereits am Samstag, dem 14.03.2020, wurden nach den Schulen auch die Spielplätze geschlossen. Ausgangssperren wurden erlassen, die selbst das Spaziergehen in der freien Natur betrafen. Die aus der Rückschau geradezu groteske Überreaktion jener Tage führte zu einer Isolation, die monatelang anhalten sollte. Besonders für die Kinder war das brutal; für die Eltern quasi als Kollateralschaden. Sie gingen nach zwei Wochen die Wände hoch. Das Muster, dass die Familien und jungen Menschen die größten Belastungen zu tragen hatten (neben den Selbstständigen) setzte sich leider durch die gesamte Pandemiezeit fort.

Wir wissen heute, dass der Infektionsgrad damals gering war; nur ein niedriger einstelliger Prozentwert infizierte sich. Das lag mit Sicherheit an den harten Maßnahmen, die zwar auch keinen Lockdown darstellten, die sich aber wie einer anfühlten. Die weitere Verwendung des Wortes in den folgenden zwei Jahren hölte den Begriff bis zur Unkenntlichkeit aus. Was die Maßnahmen gebracht haben, ist bis heute sehr umstritten. Ich bin aber ziemlich zuversichtlich, dass die Maßnahmen diese erste Welle ziemlich abbrachen. Das deckt sich jedenfalls mit den meisten Expert*innen, wenngleich es abweichende (und sicher auch gut begründete) Ansichten gibt. Dass hier keine Klarheit zu erzielen war, war damals bereits völlig offensichtlich. Ich schrieb bereits am 21.04.2020 einen Beitrag mit der Forderung, nach der Pandemie einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, da es während der Pandemie unmöglich war, in Echtzeit die Sache zu verhandeln. Der Artikel gehört in meinen Augen zu den belastbarsten und hellsichtigsten Prognosen, die ich je gemacht habe (anders als manche andere).

Eine Kuriosität der Lockdown-Zeit ist sicherlich der Mangel an Klopapier, der in keiner ordentlichen Rückschau auf die Pandemie fehlen darf. Die Leute kauften in der Lockdown-Panik in einem völlig irrationalen Ausmaß Vorräte, so dass etwa Mehl, Nudeln und Dosennahrung großflächig ausverkauft war, genauso wie Handseife und Desinfektionsmittel (der Irrtum, dass sich Corona als Schmierinfektion verbreiten könnte, wurde zwar schnell widerlegt, aber bis 2023 hielten sich überall die Hinweise zum Desinfizieren der Hände und entsprechenden Spender, obwohl sie zwar für die Hygiene toll, für die Pandemie aber völlig irrelevant waren). Zum Symbol dieses Mangels brachte es aber das Klopapier. Warum es überhaupt zu einem Mangel kam, ist bis heute nicht völlig geklärt; die beste Theorie, die ich kenne, ist, dass durch die viele Fernarbeit und den Fernunterricht die öffentlichen Toiletten nicht mehr benutzt wurden, das Klopapier für diese aber nur im Großhandel zu beziehen war, weswegen die haushaltsüblichen Verpackungsgrößen nicht mehr verfügbar waren. Im Ergebnis gab es zwei oder drei Wochen kein Klopapier; das Zeug ist heute noch wesentlich teurer als vor der Pandemie. Jedenfalls gefühlt, und gefühlte Wahrheiten dieser Art gibt es viele.

Bisher hatten Masken zur Folklore der Pandemieberichterstattung über Asien gehört. Nun brauchten wir sie plötzlich selbst – aber es gab keine. Die bestehenden Vorräte waren in weiser Voraussicht staatlicherseits für das Gesundheitssystem reserviert worden, um nicht die Klopapiersituation zu wiederholen. In den frühen Tagen wurden deswegen Masken handgenäht; ich bekam mein erstes Paket liebevoll genähter Masken von Ariane (nochmal danke dafür!). Später wurden dann langsam die OP-Masken verfügbar, deren Schutzwirkung aber – wie man bald erfuhr – eher zweifelhaft war. Hier zeigte sich aber ein besorgniserregender Trend der Pandemiebewältigung: dass die OP-Masken nicht sonderlich hilfreich waren, war von Anfang an klar. Da aber FFP2-Masken nicht verfügbar waren, wurde hier gezielt eine Desinformationskampagne betrieben, um wenigstens die halbgare Lösung zu verbreiten. Dem allgemeinen Vertrauen half das wenig. Zudem weigerte sich der Staat, Maskenmandate zu veranlassen, weil es keine Masken gab. Das hätte man so begründen können – man begründete es aber mit deren geringer Schutzwirkung, was die bald folgende 180°-Grad-Wende umso unverständlicher machte. Aber dieses Problem wird uns später mit Macht begegnen.

Das wohl prägnanteste Phänomen jener Tage war der kometenhafte Aufstieg des Virologen Christian Drosten zum Superstar der Pandemie. Der NDR hatte ihn gebeten, in einem Podcast die Pandemie zu erklären. Das Produkt „Coronavirus-Update“ brachte es trotz (oder wegen?) des sperrigen Namens, der trockenen Gestaltung des NDR und dem wissenschaftlich belastbaren und korrekt agierenden Drosten zu einer unglaublichen Popularität und entwickelte sich zu einer Sternstunde des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Gleichzeitig zeigten sich aber bereits erste Symptome der Spaltung, die ab dem Herbst immer mehr durchschlagen würde. Die noch recht kleine Fraktion der Kritiker*innen brachte eigene Experten in Stellung (vor allem Alexander Kekulé, der dann im MDR (natürlich) einen eigenen Podcast erhielt und Hendrick Streeck, der mit steilen Thesen für Aufmerksamkeit sorgte); Drosten wurde zum Feindbild der bald unter dem Namen „Querdenker“ agierenden Kritiker*innen.

Der Sommer brachte eine spürbare Entlastung. Dieses Muster sollte sich in den kommenden Jahren wiederholen: deutlich sinkende Inzidenzen im Frühjahr und Sommer, entstehende Sorglosigkeit, massiv steigende Fallzahlen in Herbst und Winter, Einschnitte und mehr Vorsicht, wieder Entlastung. Im Sommer 2020 erschien es, als sei das schlimmste bereits überwunden. Die Fallzahlen blieben verschwindend gering, und die Pandemie und der Lockdown schienen überstanden – ganz egal, wie sehr Christian Drosten bereits davor warnte, dass die Zahlen ab September rapide steigen würden und die Politik und Gesellschaft sich vorbereiten sollten. Die Vorbereitung unterblieb auf allen Ebenen.

Als dann die Fallzahlen im September wieder wie prognostiziert anstiegen, fanden wieder Schließungen statt. Dieses Mal aber waren sie weit weniger strikt als im Frühjahr, was natürlich niemanden davon abhielt davon zu reden, dass man „wieder in den Lockdown“ gehe. Die Schulen schlossen wieder, öffneten dann, schlossen wieder, ohne System, ohne Rhythmus. Die Entscheidungen wurden von den Landkreisen einzeln getroffen, Kriterien im Tagestakt aufgestellt und wieder verworfen, während die Politik den Entwicklungen einerseits und dem sich wandelnden wissenschaftlichen Forschungsstand andererseits hinterherrannte. Das Ergebnis war ein überall greifbarer Vertrauensverlust und eine Erschöpfung mit den Maßnahmen. Noch überwog ersteres; die Querdenker dominierten noch nicht.

Die Debatte war aber mittlerweile von einem Modus des Berichtens über und Unterstützens von Maßnahmen zu einem „Für oder Wider“ gewandelt. Abgesehen von Wissenschaftler*innen wie Drosten, die ein zunehmend hoffnungsloses Rückzugsgefecht für wissenschaftliche Betrachtungen führten, setzte ein allgemeines Cherry-Picking ein. Andere Länder mussten für den Beleg der eigenen Position herhalten, ohne dass die dortigen Umstände sonderlich bekannt wären. Man denke nur an die Dauerdebatte zu Schweden, das zu einer Chiffre der Querdenker wurde (und von dem wir bis heute nicht wirklich wissen, ob der Ansatz besser oder schlechter war oder woraus er eigentlich bestand, siehe etwa hier und hier).

Als dann die Fallzahlen im September wieder wie prognostiziert anstiegen, fanden wieder Schließungen statt. Dieses Mal aber waren sie weit weniger strikt als im Frühjahr, was natürlich niemanden davon abhielt davon zu reden, dass man „wieder in den Lockdown“ gehe. Die Schulen schlossen wieder, öffneten dann, schlossen wieder, ohne System, ohne Rhythmus. Die Entscheidungen wurden von den Landkreisen einzeln getroffen, Kriterien im Tagestakt aufgestellt und wieder verworfen, während die Politik den Entwicklungen einerseits und dem sich wandelnden wissenschaftlichen Forschungsstand andererseits hinterherrannte. Das Ergebnis war ein überall greifbarer Vertrauensverlust und eine Erschöpfung mit den Maßnahmen. Noch überwog ersteres; die Querdenker dominierten noch nicht.

Die Debatte war aber mittlerweile von einem Modus des Berichtens über und Unterstützens von Maßnahmen zu einem „Für oder Wider“ gewandelt. Abgesehen von Wissenschaftler*innen wie Drosten, die ein zunehmend hoffnungsloses Rückzugsgefecht für wissenschaftliche Betrachtungen führten, setzte ein allgemeines Cherry-Picking ein. Andere Länder mussten für den Beleg der eigenen Position herhalten, ohne dass die dortigen Umstände sonderlich bekannt wären. Man denke nur an die Dauerdebatte zu Schweden, das zu einer Chiffre der Querdenker wurde (und von dem wir bis heute nicht wirklich wissen, ob der Ansatz besser oder schlechter war oder woraus er eigentlich bestand, siehe etwa hier und hier).

Inzwischen waren auch FFP2-Masken weithin verfügbar. Es war grundsätzlich bekannt, wie sich die Infektion verbreitete und welche Maßnahmen dagegen halfen. Dass Masken nicht überragend vor einer Ansteckung schützten, aber das Risiko wesentlich senkten, eine Infektion weiterzugeben, war das erste allgemeine Versagen der gesellschaftlichen Wissenstransfusion. Es ging nicht in die Köpfe der Leute. Masken nicht zu tragen wurde als persönliche Entscheidung betrachtet, wie das Anlegen eines Sicherheitsgurts, und nicht als eine Verantwortung gegenüber den Mitmenschen. Dieser Trend, die Pandemie zu individualisieren und dem blanken Egoismus Vorschub zu leisten, sollte zu einem bestimmenden Merkmal der Pandemie werden.

Auch das Lüften war ein wunder Punkt. An und für sich wurde schnell klar, dass Lüftungssysteme den besten Schutz boten. Nur besaß kaum ein öffentliches Gebäude diese, und auch in vielen Firmen waren sie nicht verbreitet. Besonders auffällig war dies einmal mehr in den Schulen: nirgendwo sonst sitzen so viele Menschen auf so engem Raum in so schlecht belüfteten Räumen. Die Reaktion der Landesregierungen war, zu ständigem Lüften zu ermahnen: alle 10 Minuten sollte gelüftet werden. Im Winter bei stundenlangem Sitzen eine groteske Zumutung. Wenig überraschend wurden solche an und für sich sinnvollen Maßnahmen wenn nur widerstrebend umgesetzt.

In dieser Zeit begann auch der Trend, sich ärztliche Atteste geben zu lassen, keine Maske tragen zu müssen. Viel zu viele Ärzt*innen gaben diese Bescheinigungen freigiebig heraus, manche sogar aus ideologischen Motiven. Zahlreiche Menschen nutzten das medizinische Argument als transparente Ausrede für ihren verantwortungslosen Egoismus und untergruben damit weiter das Vertrauen in die Wirksamkeit der Maßnahmen, die stattdessen immer mehr zu einem identitätspolitischen Marker wurden: das ostentative Nicht-Tragen oder Falsch-Tragen der Maske wurde en vogue.

Unterstützt wurde das durch das zweite große Wissenstransfusionsversagen: Masken unter der Nase zu tragen war ein verbreiteter Anblick und machte die Übung völlig sinnlos. Dieses falsche Tragen war weit verbreitet und nicht totzukriegen. Die Gesellschaft versagte auch völlig darin, einen Konsens darin zu finden, dass dieses Falschtragen verwerflich war, weil das grundsätzliche Missverständnis nicht zu beseitigen war, dass es sich dabei um eine rein persönliche Entscheidung handle.

Inzwischen war auch ein zuverlässiger Corona-Test in Massenproduktion gegangen. Waren im Sommer die Tests noch aufwändig und teuer und auf wenige Testzentren beschränkt, wurden die Tests nun weithin verfügbar. Durch eine massive Überbezahlung wurde es zu einem einträglichen Geschäftsmodell, Tests anzubieten, und überall schossen die Teststationen aus dem Boden. Die Verbreitung von Tests in Supermärkten würde dem 2021 ein langsames Ende bereiten, aber Jens Spahn schaufelte zig Millionen an Subventionen für diese improvisierten Teststationen in den Wirtschaftskreislauf (und verdiente nebenbei an Masken, wie auch andere CDU-Abgeordnete, was dem Vertrauen nicht eben weiterhalf).

Der Herbst 2020 war aber auch aus anderen Gründen frustrierend. Um einen „Lockdown“ wie im Frühjahr zu vermeiden und den Bedenken wegen des Föderalismus und exekutiver Machtüberschreitung entgegenzukommen, wurde so viel Entscheidungsmacht wie möglich so weit nach unten wie möglich verlagert. Grenzwerte wurden festgelegt und permanent angepasst, vor allem auf Basis politischer, nicht virologischer Überlegungen. Schulen wurden im einen Landkreis geschlossen und im anderen nicht. Im einen Landkreis gab es eine Testapp, die aber nur in diesem Landkreis akzeptiert wurde (dafür aber einen zweistelligen Millionenbetrag kostete). Zunehmend machte sich Müdigkeit über die Maßnahmen breit, wurden die Konflikte schärfer. Wer die Maßnahmen als rein private, eigenverantwortliche Handlungen begriff, glitt immer mehr ins Lager der Maßnahmengegner*innen ab; die Radikalversion davon waren die Corona-Leugner*innen, die immer mehr Zulauf erhielten und die Gefahr der Pandemie komplett abstritten. Die Einigkeit der Bevölkerung aus dem Frühjahr 2020, als der Lockdown und die Maßnahmen von allen getragen wurden, evaporierte.

Doch es gab auch gute Nachrichten. Im Frühjahr 2021 wurde bekannt, dass ein Impfstoff entwickelt worden war. Dieses Wunder ist bis heute nicht hinreichend anerkannt. Die drastisch beschleunigten Zulassungsprozesse und die Unterstützung der Forschungslabore stellen ein Musterbeispiel der Zusammenarbeit von Staat und freier Wirtschaft dar. Die Impfstoffe gingen zuerst an medizinisches Personal und ältere Menschen in Risikogruppen, wurden aber schnell auf Gruppen ausgeweitet, die ebenfalls ein hohes Risiko trugen – dazu gehörten auch Lehrkräfte, weswegen ich schnell eine grundsätzliche Berechtigung hatte. Das Erhalten eines Impftermins stellte eine größere Operation dar: man musste eine Hotline anrufen, die permanent besetzt war, und erhielt dann (mit Glück und Berechtigungsnachweis) einen Impftermin in einem der neuen Impfzentren.

In unserem Fall wurde das in der örtlichen Sporthalle aufgebaut. Der Aufbau dieser Impfzentren war ein weiteres Beispiel überraschender staatlicher Leistungsfähigkeit (die während der Pandemie so oft Seite an Seite mit Komplettversagen lag). Es gab ein Leitsystem, gut geschultes Personal, einen klaren und eng getakteten, funktionierenden Zeitplan, Informationen und Einverständniserklärungen – der ganze Prozess ist ein herausragendes Beispiel dafür, wie staatliches Handeln in einer Krise funktionieren muss. Perfekt war er natürlich nicht, aber den Umständen entsprechend – und auch im internationalen Vergleich – war es doch erstaunlich.

Frühjahr und Sommer 2021 folgten abgesehen von dem Roll-Out der Impfungen, die – wesentlich schneller als alle Prognosen es vorhergesehen hatten – demselben Schema wie der 2020. Die Inzidenzen nahmen ab, die Pandemie rückte in den Hintergrund. Die bekannten Dynamiken waren nun vertraut, was das allgemeine Gefühl der Erschöpfung weiter verstärkte. Die Konflikte um das richtige Tragen von Masken und das Ausmaß gegenseitiger Rücksichtsnahme nahmen an Schärfe zu und fanden endgültig ihren Weg in die Politik, wo sie zwar weitgehend entlang parteipolitischer Grenzen verliefen (die FDP versuchte sich teilweise als Anti-Corona-Partei zu profilieren, verlor aber vorhersagbar gegen die Populisten-Partei AfD scheitern musste, während die Grünen die Maßnahmen am stärksten unterstützten, obwohl sie nicht einmal an der Regierung waren), aber letztlich keinen Niederschlag in Parteiprogrammen fanden. Der je nach persönlicher Wertung pragmatische oder chaotische Ansatz der Regierung zu den Maßnahmen verhinderte im Guten wie im Schlechten jede Konsistenz.

Die Frage, wie lange die Pandemie dauern würde, wurde immer drängender. Die allgemeine Erschöpfung bedeutete, dass sie gefühlt zu Ende sein musste; die Impfungen schienen zudem zu bedeuten, dass das Ende in Sicht war. Die Warnungen etwa Christian Drostens, dass dies ein gefährlicher Irrtum war, drangen erstmals nicht durch. Auch in den Medien wurde das kaum mehr rezipiert; der kurze Frühling der Expert*innen machte wieder den gefühlten Wirklichkeiten Platz. Es würde einen weiteren Infektionsherbst geben – während gleichzeitig Politik, Medien und Öffentlichkeit in seltener Einigkeit erklärten, dass es keinesfalls zu irgendwelchen Schließungen von irgendetwas kommen würde.

Das passte zur rapiden Politisierung der Impfungen. 2021 war das Jahr der „Querdenker“, die in zahlreichen Demonstrationen den Eindruck einer Massenbewegung zu erwecken versuchten, was angesichts der Heterogenität der Bewegung auch ein Einfallstor für die AfD bot, der es recht erfolgreich gelang (erfolgreicher jedenfalls als bei vergleichbaren Protesten wie denen der Landwirte 2023/24), sich an die Querdenker anzudocken. Die Impfquoten blieben deutlich unter den Erwartungen und reichten nicht aus, um der Pandemie den Garaus zu machen. Sie garantierten praktisch eine Fortsetzung der Krankheit über 2021 hinaus.

In der Debatte um die Impfungen wiederholten sich die Fehler des Vorjahres: sie wurden als rein individuelle Entscheidung geframed, nicht als Schutzmaßnahme für andere. Es wurde zu einer identitätspolitischen Frage, ob man an Impfungen glaubte oder nicht; die Politik verdrehte sich in Knoten, um den Impfgegner*innen entgegenzukommen (die gleichwohl in hysterischen Tönen vor der Impfdiktatur warnten). Dabei waren Personen unter 18 Jahren noch weitgehend von den Impfungen ausgeschlossen und die Risikogruppen immer noch genau das – Risikogruppen. Aber Empathie und Rücksichtnahme waren weitgehend erschöpft. Die Appelle verhallten ungehört.

Das Schlagwort jener Tage war „Mit Corona leben“. Es wurde die Phrase, mit der das Ignorieren der Pandemie und die Forderung nach einer Aufhebung sämtlicher Maßnahmen legitimiert wurden. Die Idee war, dass die Pandemie endemisch werden würde und dass über kurz oder lang ohnehin alle sie bekommen würden. Das war natürlich auch von Anfang an die Vorhersage aller Expert*innen und der langfristige Plan der Politik gewesen; die Frage war lediglich, wie schnell und mit welchen Schutzwirkungen dieser Prozess durchgeführt werden können würde. Jeder Versuch, das konstruktiv und pragmatisch zu lösen, wurde schnell zwischen den immer schärferen Fronten zerrieben: auf der einen Seite jene, die unbedingt alle Maßnahmen am besten gestern abschaffen wollten, und auf der anderen Seite jene, die am liebsten eine Verschärfung sehen würden.

Indessen waren immerhin Impfungen für Kinder verfügbar geworden. In diesem Zusammenhang ist es an der Zeit, auf die unrühmliche Rolle der StIKo hinzuweisen, der „Ständigen Impfkomission“ – einem weiteren dieser vielen Gremien, die vor der Pandemie außer den Profis niemandem bekanntgewesen waren und die völlig unvermittelt ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gerieten. Ihre Rolle war es, Empfehlungen auszugeben, welche Impfstoffe für welche Bevölkerungsgruppen ausgegeben werden sollten. Diese „Empfehlungen“ wurden de facto von sämtlichen Arztpraxen befolgt, weswegen sie einer allgemeinen Regel gleichkamen. Durch die gesamte Pandemie hindurch war die StIKo wesentlich zurückhaltender und vorsichtiger als der internationale Durchschnitt. Während andere Länder ganze Bevölkerungsgruppen bereits impften, empfahl die StIKo noch, abzuwarten und zu testen und die Empirie zu vergrößern. Dasselbe Prozedere galt auch für die Impfungen für Kinder.

Der Grund lag darin, dass die Chancen, einen schweren Covid-Verlauf zu haben, umso geringer waren, je jünger die Erkrankten waren. Das war auch richtig; allein, bei einer Pandemie werden so viele Menschen infiziert, dass das immer noch zehntausende von Kindern betrag. Ich zumindest war nicht bereit, meine eigenen Kinder darunter zu sehen – besonders, weil das Risiko der Impfung selbst, das immer als Argument vorgebracht wurde, um mehrere Faktoren niedriger war. Zum Glück funktionierte die Impfstruktur des Staates einmal mehr hervorragend: die schon beinahe stillgelegten Impfzentren sprangen wieder in Aktion, man konnte Termine buchen und die Kinder auf eigene Gefahr impfen lassen. Dabei fiel mir direkt auf, wie viel kleiner der Andrang als im Jahr vorher bei den ersten Impfungen. Die Desinformationskampagnen hatten ihre Wirkung getan. Zahllose Menschen hatten völlig überzogene Angstvorstellungen bezüglich der Impfungen.

Wie viel die Impfungen denn halfen, ist immer schwer zusagen. Vor einer Ansteckung bewahren können sie kaum, aber die Verläufe mindern können sie. Da wir keine Wiederholung ohne machen können und weil alles andere der geistigen Gesundheit kaum zuträglich wäre nehme ich an, dass sie bei uns diese Wirkung taten, als im März 2022 das Schicksal zuschlug. Zuerst wurde mein Sohn krank. Unsere halbherzigen Versuche, zuhause eine Isolation hinzubekommen, scheiterten schnell an der Realität eines kranken 9jährigen. Zwei Tage später zeigte der Test meiner Frau positiv, zwei weitere Tage später meiner. Mein Sohn hatte Glück; er hatte den für Kinder typischen milden Verlauf. Drei Tage lag er waidwund darnieder und litt an den Symptomen einer Grippe, dann war er auf dem Weg der Erholung. Meine Tochter entging mysteriöserweise einer Erkrankung völlig; die Tests blieben negativ (bis zum heutigen Tag).

Meine Frau erwischte es heftiger: über zwei Wochen war sie bettlägerig. Das war schlimm genug, aber da nach nur zwei Tagen ich ebenfalls flach lag waren in der Eltern nur zu bekannten Situation, schwer krank zu sein, aber trotzdem für die Kinder da sein zu müssen (die teilweise ebenfalls noch pflegebedürftig waren). Es war die Hölle. Ich erlitt nicht das in der Anfangszeit von Corona viel diskutierte Symptom des Geschmacksverlusts (an der Stelle bitte allfälligen Wortwitz über den kulturellen und stilistischen Geschmack einbringen), sondern wurde stattdessen von einer nie erlebten Erschöpfung niedergestreckt. Ich lag den ganzen Tag nur herum, unfähig, mich zu etwas zu motivieren oder zu schlafen. Aufstehen oder Treppen steigen war eine schier unüberwindbare Aufgabe und laugte mich völlig aus. Das ging drei Wochen so, bevor ich soweit genesen war, dass ich wieder zur Arbeit gehen konnte.

Dachte ich jedenfalls. Im April fanden – wie alljährlich – die Abiturprüfungen statt, und natürlich war ich (wie immer) der Überzeugung, dass man auf mich in dieser schweren Zeit nicht verzichten könne und fühlte mich vom Pflichtgefühl zurück an den Arbeitsplatz gedrängt. Es war katastrophal. Mit Mühe leistete ich die Arbeit des Vormittags ab, um dann völlig kaputt nach Hause zu kommen um den Rest des Nachmittags zu schlafen. Hätte ich nicht mehrere Jahre Berufserfahrung und damit einen Vorrat an Material gehabt wäre selbst diese Grundleistung unmöglich gewesen.

Auch so ging nicht viel. Ich konnte kaum mehr als anwesend sein und die notwendigsten Funktionen ausführen. Immer wieder trafen mich Erschöpfungsattacken. Mein Tiefpunkt war, als ich in eine Abituraufsicht nur noch liegend absolvieren konnte und alle meine Kraft darauf verwendete, nicht einfach einzuschlafen. An diesem Punkt zog ich die Reißleine, meldete mich wieder krank und informierte meine Schulleitung und den Vorstand über meinen Zustand und bat um Verständnis, wenn Funktionen nicht so erledigt würden, wie sie sollten. Ich war nicht mehr in der Lage zu erkennen, wann ich überhaupt diese Funktionen nicht mehr erfüllte. Filmrisse, Aussetzer, Konzentrationsprobleme bestimmten den Alltag. Ich schrieb auch allen Schüler*innen und den Eltern und informierte sie über meinen Zustand, um Gerüchtebildung oder Unmut zu verärgern. Glücklicherweise brachten alle Seiten viel Verständnis entgegen. So ging es in den Mai, den zweiten Monat nach der Erkrankung.

Eine Besserung trat nur sehr langsam ein. Die Erschöpfungsattacken, Filmrisse und Unzulänglichkeiten kamen in etwa größeren Abständen, aber sie kamen weiter. Ich begann, alle möglichen Ärzt*innen abzuklappern. Ich hatte in meinem Leben noch nie Fachärzt*innen besucht, immer nur Allgemeinmedizin und fertig. Nun war ich bei Lungenärztin, Kardiologen und Neurologin. Der Befund war überall derselbe: nichts festzustellen. Einerseits war das eine gute Nachricht – schließlich hätte auch ein Hirn-, Herz- oder Lungenschaden verantwortlich sein können, der entweder zeitgleich oder sogar durch Corona entstanden war. Gleichzeitig zeigte sich aber auch die Hilflosigkeit einer ganzen Zunft gegenüber der Krankheit. Es gab nichts, was man tun konnte. Dass ich die ganzen Untersuchungen überhaupt machen und diese Aufmerksamkeit bekommen konnte erfüllt mich – wie übrigens im Alltag immer noch – ständig mit Schuldgefühlen. Ohne die private Krankenversicherung hätte das sicher anders ausgesehen.

Das galt immerhin nicht für den nächsten Heilungsversuch. Meine Allgemeinärztin verschrieb mir eine Kur, etwas, das in meinem Kopf für die Generation 55+ reserviert gewesen war. Das bezahlen (kurioserweise) die gesetzlichen Krankenversicherungen als einzige Leistung besser als die privaten. Der Antrag ging aber problemlos durch, und – einmal mehr vom Pflichtbewusstsein getrieben – zu Beginn der Ferien nahm ich eine dreiwöchige Auszeit von allem und ging in Kur. Ich war nicht der einzige; Covid-Kuren waren der Grund für sicherlich ein Drittel aller Kurgäste.

Die Kur selbst war eine sehr zwiespältige Erfahrung. In den drei Wochen fühlte ich mich zunehmend einsam, da ich nur wenig Kontakte knüpfen konnte. Das Essen war so mies, dass die Gags aus „Asterix und der Avernerschild“ sich wie eine Doku ausnahmen. Das Programm war generisch: Sport, ein bisschen Untersuchungen, viel frische Luft. Ein echtes Kozept hatte die Klinik nicht, die einfach nur Standardprogramme fuhr und abrechnete. Was es an dedizierten Covid-Behandlungen gab betraf die harten Fälle, die grundlegende Hirnfunktionen wieder lernen mussten. Das zeigte drastisch, welch harschen Wirkungen Covid auf allzuviele Betroffene haben konnte, und machte mich demütig dankbar dafür, „nur“ mit den Long-Covid-Symptomen geschlagen zu sein, die ich hatte. Ich glaube nicht, dass die Kur viel zu meiner Heilung beitrug; der Zeitfaktor dürfte hier der entscheidende gewesen sein. Die miese Qualität von Kost und Logis tat zusammen mit den über 1500 Euro, die ich aus eigener Tasche zuschießen musste, ein Übriges, ein sehr zwiespältiges Gefühl zu hinterlassen. Umgekehrt war die volle sportliche Betätigung sehr angenehm, und ich fühlte mich zumindest wieder fit.

Das änderte nichts daran, dass die Rückschläge immer wieder kamen. Ich sage immer, dass ich inzwischen eine Ahnung habe, wie sich Demenz anfühlt. Denn das schlimme ist, dass ich mich überhaupt nicht erinnern kann, was während der „Ausfälle“ passiert ist. Ein besonders drastisches Beispiel: ich musste meine Tochter auf 7.30 Uhr in die Schule bringen. Um 8.20 Uhr rief meine Frau aufgelöst an; die Schule hatte sie angerufen, weil die Tochter noch nicht da war. Ich war gerade am Anziehen mit ihr – um sie auf 8.30 Uhr hinzubringen. Mir war völlig unklar, warum ich von 8.30 Uhr ausgegangen war – oder was mit der einen Stunde passiert war. Es war ein erschreckender Moment, der einen auf eine Art hilflos, unzureichend und defekt erscheinen lässt, der sich tief ins Bewusstsein gräbt.

Aber die Zeit heilte, langsam, aber stetig. Die Episoden wurden weniger, die Abstände größer. Noch immer war meine Leistungsfähigkeit eingeschränkt, aber im November 2022 erklärte meine Frau, dass sie zum ersten Mal das Gefühl habe, ich sei wieder ich selbst. Dieser Winter war auch der erste, in dem alle offiziell so taten, als sei die Pandemie vorüber. Ich konnte das Gefühl nicht teilen. Für mich ist sie das bis heute nicht. Immer noch leide ich manchmal unter Erschöpfungsattacken und Konzentrationsproblemen. Gerade erst (Janurar/Februar 2024) hat mich eine Grippe für mehr als zwei Wochen ausgeknockt. Ich bin anfälliger für solche Krankheiten als früher.

Es sind diese Erfahrungen, die mich wütend machen, wenn Leute, die weitgehend ungeschoren durch die Pandemie kamen, große Töne von ihrer Harmlosigkeit spucken oder mir gar Egoismus vorwerfen. Oder zu erklären, es sei „diktatorisch“, wenn man zum Schutz anderer in der Bahn eine Maske tragen soll. Selbst das absolute Minimum an Anstand und Rücksicht wurde als Zumutung der individuellen Freiheit gedreht.Dass gerade versucht wird, die Ereignisse umzudeuten oder sogar zu verdrehen, macht das alles nicht gerade besser. Auch das Kopf-in-den-Sand-Stecken von Politik und Gesellschaft, die geradezu aggressive Weigerung, aus der Pandemie zu lernen oder die nächste vorzubereiten, macht mich wütend, weil es sich anfühlt, als wären Opfer und Leiden vergebens gewesen. Dabei ist es ja nicht so, als gäbe es keine Schlüsse zu ziehen. Auf eine perverse Art weigern wir uns nur, das zu tun. Stattdessen leben wir alle mit Corona.

{ 4 comments… add one }
  • cimourdain 21. Februar 2024, 16:42

    Danke, dass dein „Zeitzeugenbericht“ so persönlich ist und versucht, so „unpolitisch“ zu sein. So viel kommt mir (in Variationen) bekannt vor.

    In meinem Bekanntenkreis hatten fast alle irgendwann in den letzten Jahren eine „richtige“ COVID-Erkrankung und jemanden im direkten Bekanntenkreis mit einer schweren Erkrankung oder Spätfolgen, die meisten kennen über maximal zwei Ecken auch einen Coronatoten.

    Auch haben fast alle unter der einen oder anderen „Maßnahme“ ehrlich gelitten. Schulschließungen, Betriebsschließungen, Verwandtenbesuche im Altenheim… etc. Und die meisten sind zu einem Modus des „Durchwurstelns“ zwischen Alltagspragmatismus/Bequemlichkeit und Vorsicht/Rücksichtnahme gekommen. Wohlgemerkt die meisten, manche sind auch im Alltag in eine Verabsolutierung der eigenen politischen Position abgeglitten.

    Und das halte ich (jetzt wird es doch politisch) für eine sehr grundlegende Dysfunktionalität der derzeitigen Politikmethodik, dass sie Verabsolutierung begünstigt. Die Diskussion unter der Replik von Herrn Pietsch zeigt, was ich meine. Ich möchte gar nicht Schuld in irgendwelche Richtungen zuweisen (wenn überhaupt, dann in alle gleichermaßen), aber eine „Anschreigesellschaft“ wird keine Lösungen für irgendwelche Probleme liefern.

  • Thorsten Haupts 21. Februar 2024, 17:19

    Ich empfehle zu dem im letzten Absatz angesprochenen Problem Nicolas Talebs Essay „The most intolerant wins“.

    https://medium.com/incerto/the-most-intolerant-wins-the-dictatorship-of-the-small-minority-3f1f83ce4e15

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