Die Ostpolitik und die Wiedervereinigung – Versuch einer Bilanz

Mit dem Regierungswechsel 1969 brach eine neue Periode der deutschen Außenpolitik an. Unter dem Motto „Wandel durch Annäherung“ wurde die Hallstein-Doktrin auch formal ad acta gelegt. Man wollte auf die Staaten des Ostblocks zugehen, in der Hoffnung, dass in Zusammenarbeit und Entspannung die Chance läge, mittelfristig positiv auf diese einwirken und „menschliche Erleichterungen“ erreichen zu können; als Fernziel wurde weiterhin (wenngleich ohne viel Überzeugung) die Wiedervereinigung ausgegeben. Als diese dann 1989/90 kam, waren die Vertreter der Ostpolitik schnell dabei, ihr eine maßgebliche Rolle zuzusprechen. Ich möchte im Folgenden beurteilen, inwieweit dies eine gerechtfertigte Behauptung darstellt.

Der Untergang der DDR 1989/90 wurde durch eine Reihe von Faktoren verursacht. Ein einzelner lässt sich hier nicht isolieren, wohl aber eine Gewichtung durchführen. Zentrale Gründe sind die Öffnungspolitik der Sowjetunion unter Gorbatschow (Glasnost/Perestroika), die katastrophale wirtschaftliche Lage der DDR, der Legitimationsverlust der DDR-Regierung und ihre internen Machtkämpfe. Inwiefern sich die Ostpolitik maßgeblich auf diese Faktoren ausgewirkt hat, wird nun zu untersuchen sein.

Ausgeschlossen werden kann ein positiver Einfluss auf die Ernennung Gorbatschows und dessen Reformkurs ab 1985. Gleichwohl ist dieser entscheidend. Ohne die „Sinatra-Doktrin“, die offiziell das Interventionsgebot der Breschnew-Doktrin aufhob und effektiv die sowjetische Kontrolle über den Ostblock aufhob, wäre die friedliche Revolution in Osteuropa undenkbar gewesen. Das Vorbild dieser Reformen hat zudem eine entscheidende Rolle für die Proteste in der DDR im Sommer 1989 gespielt, in denen Gorbatschow zunehmend zu einer Idealfigur wurde, die mit dem realen Politiker kaum noch etwas gemein hatte, aber die Sehnsüchte des reformorientierten Teils der DDR-Bevölkerung auf sich vereinen konnte. Die scharfe Abgrenzungsreaktion der DDR-Führung unter Honecker spricht hier eine deutliche Sprache.

Es ist allerdings nicht ersichtlich, inwieweit die Ostpolitik hierzu beigetragen haben könnte. Die Vorgänger Gorbatschows hatten eher einen verschärfenden Kurs gefahren, und der Erste Sekretär selbst war vor allem durch die marode Lage der sowjetischen Wirtschaft und die zunehmende Aussichtslosigkeit des Wettstreits mit den USA getrieben als durch irgendwelche deutschen Annäherungssignale. Für diesen Faktor kann also ein maßgeblicher Einfluss der Ostpolitik ausgeschlossen werden. Gleichwohl sei noch einmal betont, dass es sich um den entscheidendsten Faktor handelt. Wie wir gleich noch sehen werden, konnte die DDR ohne den sowjetischen Rückhalt nicht bestehen. Dieser wurde durch Gorbatschow einseitig aufgekündigt.

Ein weiterer entscheidender Faktor ist die wirtschaftliche Situation der DDR. Ähnlich wie im restlichen Ostblock befand sich diese in den 1980er Jahren in einer ständigen Abwärtsspirale: die Ausgaben überstiegen deutlich die Einnahmen, die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft nahm ab und Reformen waren im bestehenden System unmöglich. Gleichzeitig bedeuteten solche Reformen einen grundlegenden Systemwandel, der den Machterhalt des SED-Regimes in seinen Grundfesten gefährdete, von seinen ideologischen Implikationen einmal ganz abgesehen. Diese Wirtschaftskrise beruhte neben den inhärenten Schwächen des planwirtschaftlichen Systems mit seiner Innovationsaversion, den weitgehend reale Bedarfe ignorierenden Planungen, der unflexiblen Betriebsstruktur, den negativen Wechseleffekten des RGW und der mangelnden Informationslage durch die ständigen Anreize zu gefälschten Kennzahlen und propagandistisch motivierten Anforderungen vor allem auf zwei Faktoren: den Ölkrisen 1973 und 1979 sowie der wirtschaftspolitischen Wende der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“.

Die Ölkrisen hatten die Energie stark verteuert, aber anders als in der BRD gelang weder eine Transformation noch eine deutliche Reduktion des Bedarfs, was die Konkurrenzfähigkeit der DDR-Wirtschaft stetig verschlechterte. Der Wandel der Wirtschaft unter Honecker weg vom Stalinistischen Primat der Schwerindustrie hin zu einer konsumentenorientierten Wirtschaft basierte auf realen und nicht mehr zu ignorierenden Wünschen der Bevölkerung, fachte dieser aber gleichzeitig weiter an und konnte sie niemals erfüllen, vor allem im Vergleich zur BRD nicht. Stattdessen wurde der Sozialstaat massiv ausgebaut, vor allem durch die Subventionen von Wohnraum, Energie und Gütern des täglichen Bedarfs. Der Staat geriet durch die in den 1980er Jahren sprunghaft ansteigenden, unproduktiven Subventionen in eine Abwärtsspiral.

Hier hat die Ostpolitik einen gewissen Anteil. Der zweite „Korb“ der KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975 hatte dem Ostblock einen größeren Zugang zu weltweiten Wirtschaftskreisläufen, vor allem dem Import westlicher Güter, gegeben. Hoffnungen auf einen ausgleichenden Export östlicher Produkte erfüllten sich dank dessen mangelhafter Qualität nie. Stattdessen entstanden Abhängigkeiten von den westlichen Volkswirtschaften, die auch nach dem Ende der Ostpolitik mit dem Regierungswechsel zu Helmut Kohl 1982 fortgeführt wurden. Besonders prominent sind die durch den CSU-Vorsitzenden und bayrischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß vermittelten Milliardenkredite an die DDR zu nennen, die diese an den Tropf des Westens hängten und einen Reformkurs noch weiter erschwerten. Inwieweit man dies allerdings als Früchte von Epplers und Brandts Ostpolitik betrachten möchte, sei einmal dahingestellt; die Beziehung ist eher flüchtig.

Der Legitimationsverlust der DDR-Regierung bei ihrer eigenen Bevölkerung war eine beständige Begleiterscheinung des Regimes. Bereits 1953 war die Legitimation praktisch vollständig zusammengebrochen und konnte nur durch die Macht der sowjetischen Bajonette aufrechterhalten werden; erst 1961 stabilisierte sich das Regime mit dem Mauerbau, der zu einer Resignation weiter Bevölkerungsteile führte. In den 1970er Jahren erfolgte dann unter Honecker und der neuen Sozialpolitik ein vergleichsweise stabiler Status Quo, in dem die Regierung ihren totalitären Status insoweit verlor, als dass sie die realen Versuche, die Bevölkerung für den Sozialismus zu gewinnen, weitgehend aufgab und sich auf außenwirksame Propaganda-Symbole und Herrschaftssicherung beschränkte, während die Bevölkerung in den unpolitischen „Nischen“ weitgehend alleine gelassen wurde. Mangels Alternativen hielt dieser „Waffenstillstand“ lange an, schuf aber keine breite Verankerung des Regimes in der Bevölkerung. Entsprechend verwundbar war es für das sowjetische Vorbild und die Massenproteste 1989.

Hier lässt sich der größte Anteil der Ostpolitik ausmachen, findet sich hier doch auch der Kern des damals formulierten „Wandels durch Annäherung“. Die gestiegenen Kontakte mit dem Westen führten der DDR-Bevölkerung immer ein deutsches Positivbeispiel vor Augen (wenngleich meist durch eine rosarote Brille betrachtet und gänzlich unrealistisch), während der KSZE-Prozess mit dem dritten „Korb“ die Regierungen des Ostblocks auf die Einhaltung der Menschenrechte verpflichtete. Offene Unterdrückungsmaßnahmen im Stil von 1953 (oder 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei) sorgten durch diesen globalen Wertewandel für einen wesentlich größeren Prestige- und Legitimitätsverlust als ehedem, was in den kommunistischen Parteizentralen schmerzhaft gewahr wurde. Der „Fallout“ der Ausbürgerung Wolf Biermanns, in sich selbst bereits eine im Vergleich zu den 1950er und 1960er Jahren deutlich gedämpfte Reaktion auf Dissidententum, ist hierfür ein gutes Beispiel.

Der DDR fehlte bereits ab den 1970er Jahren der Wille, prominente Regimegegner wie die UdSSR in die Verbannung zu schicken oder gleich anderweitig aus dem Verkehr zu ziehen. Hierzu trug auch die oben diskutiuerte Abhängigkeit vom Westen bei: die Gefahr eines Boykotts (wie sie sich etwa nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan 1980 manifestierte) hing wie ein Damoklesschwert über der DDR-Wirtschaft, die zwar nach heutigen Maßstäben nicht sonderlich tief in die westlichen Wirtschaftskreisläufe integriert war, aber in Schlüsselgebieten in eine fatale Abhängigkeit geraten war, die sie deutlich verwundbarer gegenüber der öffentlichen Meinung des Westens machte und zu einer Art Wohlverhalten zwang. Eine ganze Generation von Politiker*innen war zudem mit dem Entspannungsprozess und der KSZE-Schlussakte im System großgeworden und hatte sich an seine spezifischen Dynamiken gewöhnt, deren Vereinbarkeit mit sowjetischen Herrschaftssicherungsmethoden gelinde gesagt tendenziös war.

Der letzte große Faktor beim Untergang der DDR war der interne Machtkampf der SED. Konfrontiert mit der miserablen wirtschaftlichen Lage kurz vor dem Staatsbankrott, dem außenpolitischen Kurswechsel der UdSSR und der Weigerung des Honecker-Flügels der SED, irgendwelche Reformschritte in Betracht zu ziehen, blockierte sich das Politbüro zunehmend selbst. Am Ende wurde der Machtkampf für einen Reformerflügel entschieden, der aber viel zu zaghaft vorging und zu spät an die Macht kam (auch, weil man den prestigeträchtigen 40. Jahrestag der DDR abwarten wollte, der dann von Gorbatschows Zurückweisung und den Protesten überschattet wurde). Der Reformflügel setzte natürlich Hoffnungen auf eine Zusammenarbeit mit dem Westen, die auch durch die Ostpolitik genährt worden waren.

Entscheidender in diesem Kontext aber war der Mangel an Ruchlosigkeit, der diesen Flügel auszeichnete. Die große Bedrohungsfolie jener Monate war der Geist der „Chinesischen Lösung“, der stets über allem schwebte: die brutale Niederschlagung der Tian’anmen-Proteste ik Frühjahr 1989. Die Hardliner aller kommunistischen Parteien forderten solche Maßnahmen, und wäre die Sowjetunion bereit gewesen, wie 1953 diese Forderungen zu unterstützen, kann wenig Zweifel daran bestehen, dass die Protestbewegung niedergeschlagen worden wäre. Gorbatschows Weigerung, diesen Kurs einzuschlagen, war einmal mehr entscheidend, aber auch innenpolitisch weigerte sich die DDR-Führung selbst unter Honecker, solche Maßnahmen zu ergreifen.

Inwiefern dafür die Furcht vor einem Imageschaden, der Unkontrollierbarkeit der Reaktion auf eine solche Niederschlagung oder ein genuiner Wertewandel in der Führungsriege verantwortlich war, ist schwer auszumachen. Wenn man der Ostpolitik aber einen Effekt zuschreiben möchte, dann ließe sich dieser am ehesten hier finden, in einer Furcht, gegen das (westliche) Menschenrechtskonzept zu verstoßen, das im Ostblock erst durch den Entspannungs- und KSZE-Prozess verankert worden war. Allerdings bleibt dieser Zusammenhang unbewiesen und eher tendenziös.

Demgegenüber steht auf der anderen Seite die unvorteilhafte Wirkung der Ostpolitik, die bereits ab 1969 von der Opposition scharf kritisiert worden war. Sie besaß eine unzweifelhaft systemstabilisierende Wirkung für die DDR und ließ die Rolle des Westens als klaren Gegenpol und Antagonisten deutlich verschwimmen. Auch unter der CDU/FDP-Regierung Kohls blieb diese Grundcharakteristik erhalten. Die deutsche Politik richtete sich an den kommunistischen Regimen aus; das Ziel der Entspannung, verstanden als Friedenssicherung, trat vor dem der „menschlichen Erleichterungen“ und dem „Wandel“ deutlich in den Vordergrund, gerne auch – besonders von Helmut Schmidt – als Zeichen realpolitischen Realismus‘ verbrämt. Die Ostpolitik hatte daher auch eine stabilisierende Wirkung auf das kommunistische Regime.

Insgesamt ist die Bilanz der Ostpolitik im Hinblick auf die Wiedervereinigung daher mehr als zwiespältig. Die These, sie habe maßgeblich dazu beigetragen, muss vor diesem Hintergrund eher abschlägig beschieden werden. Gorbatschows Außenpolitik, die Wirtschafts- und Legitimitätskrise der DDR und die Weigerung der DDR-Führung, Gewalt anzuwenden, waren die entscheidenden Faktoren, die von der Ostpolitik bestenfalls marginal positiv beeinflusst wurden.

Anmerkung: Dieser Artikel entstand als Musterlösung für eine Klausuraufgabe meines Leistungsfachs. Die Aufgabenstellung war: „“Die deutsche Ostpolitik trug maßgeblich dazu bei, das Ende der DDR herbeizuführen.“ Beurteile diese These.“ Der Operator verlangt dabei eine Definition der relevanten Begriffe und das Aufstellen von Kategorien.

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  • Kning4711 25. Januar 2024, 07:32

    Danke für die spannende Darstellung.

    Ist die Wirkung der Ostpolitik nicht auch, dass wir Deutschen sehr viel Vertrauen und diplomatisches Kapital erwerben konnten. Mit dem deutsch-polnischen Grenzvertrag Anfang der 70er wurde die Bevölkerung bereits auf die Oder/Neiße Grenze verpflichtet und zeigte Europa, dass Deutschland nicht Revisions- und Grossmachtswünsche trieben. Die Entspannung sorgte für Handelsbeziehungen und Vertrauen, dass Helmut Kohl und Hand Dietrich Genscher letztlich in den Wendejahren 89/90 in Osteuropa für eine Zustimmung für die Wiedervereinigung einlösen konnte. Deutschland hatte sich als verlässlicher Partner erwiesen, also konnte man auch die Deals machen.
    Stell dir vor, das Thema der Ostgebiete wäre vorher nicht vorher behandelt worden, sondern erst im Zuge der 2+4 Verhandlungen? Ich glaube es hätte gesellschaftlich dann viel mehr Störfeuer gegeben und der Prozess hätte sich deutlich in die Länge gezogen.

    • Stefan Sasse 25. Januar 2024, 15:35

      Absolut! Das ist noch ein sehr guter Punkt; wenn man die Grenzfrage, Gewaltverzicht etc. bis 1989/90 geschleppt hätte, mit all dem revanchistischen Gedankengut dazu, dann wäre das ein echtes Problem gewesen. Allerdings kein unlösbares, da wir zu dem Zeitpunkt trotzdem eine CDU-Regierung gehabt hätten (all else being equal) und das von der SPD aus ja nicht das Problem war. Eine SPD-Regierung 1990 würde sich mit deutlich revanchistischeren Tönen, Vorwürfen von Vaterlandsverrat und richtig viel Hass herumschlagen müssen.

      • Thorsten Haupts 25. Januar 2024, 17:52

        Die SPD-Regierung von 1990 wäre (all else being equal) nicht in die Vereinigung gegangen …

        • Stefan Sasse 26. Januar 2024, 14:03

          Jepp, zumindest nicht nach GG23. Die SPD war diesbezüglich in einer totalen Sackgasse.

    • Erwin Gabriel 25. Januar 2024, 21:05

      @ Kning4711 25. Januar 2024, 07:32

      Zustimmung.

      Ergänzend: Wenn die Ostpolitik (bzw. das Angeber-Getue von Franz-Josef Strauß mit dem Milliardenkredit) die alte DDR stabilisiert haben, wäre ohne sie die DDR früher zusammengebrochen, wären demokratische Bewegungen vielleicht zu einem Zeitpunkt gekommen, zu dem Sowjet-Panzer noch als adäquate Antwort akzeptiert worden wären?

      • Kning4711 26. Januar 2024, 11:32

        Vermutlich: Wir sprechen über die späten 70er und frühen 80er – Breschnew ließ den Prager Frühling niederschlagen, Andropov und Tschernenko waren Appartischicks alter Schule und hätten wahrscheinlich ähnlich reagiert um das Sowjet-Imperium zu schützen.

        Es war eine glückliche Fügung der Geschichte, dass die Wende in ein genau passender Zeitfenster fiel, dass die Wiedervereinigung ermöglichte. Anfang bis Mitte der 80er wäre es sehr wahrscheinlich ein zweites 1953 geworden und nach Gorbatschows Sturz 1991 hätten wir wahrscheinlich zwei deutsche Staaten für längere Zeit gehabt.

      • Stefan Sasse 26. Januar 2024, 14:05

        Schwer zu sagen. Ich denke, die DDR wäre eher einen Pfad gegangen mit rapide sinkendem Lebensstandard und ggf. Militärrecht, wie etwa in Polen.

  • Thorsten Haupts 25. Januar 2024, 10:00

    Summa sumnmarum kommst Du zu demselben Schluss, den ich als junger politischer Mensch 89/90 zog – die Ostpolitik war für die deutsche Einheit weitgehend bedeutungslos.

    Völlig unwichtige Nebeninformation: Ein Freund und ich waren Anfang 1989 auf einem Seminar der Konrad Adenauer Stiftung zum Thema Perspektiven Deutsche Einheit. Referenten waren u.a. hochrangige Beamte aus mehreren Ministerien. Ergebnis intensiver Befragungen – es gab für die Wiedervereinigung überhaupt keine Pläne oder Konzepte, nirgendwo in der Bundesregierung. Ich war selten in meinem Leben so überrascht über die hundertprozentige Nichtvorbereitung auf eine sich bereits abzeichnende historisch-politische Frage (das war damals unsere Einschätzung). Für die Beamten und den ehemaligen Botschafter in diesem Seminar stellte sich die Frage nicht …

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Tim 25. Januar 2024, 10:22

      Helmut Kohl, Scrum-Master.

      • Thorsten Haupts 25. Januar 2024, 10:59

        Angesichts der völligen Planlosigkeit, als die Wiedervereinigung möglich wurde, ist seine Leistung umso bemerkenswerter. Der wahrscheinlich grösste deutsche Kanzler (ich war bis 1990 ein Kohl-Verächter).

        • Stefan Sasse 25. Januar 2024, 15:37

          Der Mann hat im Endeffekt 15 ziemlich miese Jahre und dann eine Jahrhundertleistung. Aber die ist Wahnsinn. Das muss man ihm neidlos lassen, hab ich in meiner Kanzler*innenserie ja auch diskutiert: https://www.deliberationdaily.de/2020/05/das-grosse-kanzlerranking/

          • Stefan Pietsch 25. Januar 2024, 16:50

            Das ist nicht richtig.

            Kohl schrammte 1976 knapp an der absoluten Mehrheit vorbei. Zur damaligen Zeit hatte er einen sehr guten Ruf als Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und Reformer in der CDU. Nach 1982 konsolidierte seine Regierung die ausufernde Staatsverschuldung. Sein Finanzminister schuf 1989 eine der größten Steuerreformen der Geschichte. Das gelang in den letzten 60 Jahren nur noch Gerhard Schröder.

            Ohne Kohl wäre auch die gemeinsame Währungsunion nicht vorstellbar gewesen. Auch dies kann als Jahrhundertwerk bezeichnet werden. Also, dass Helmut Kohl nur ein gutes Jahr gehabt habe, ist Geschichtsfälschung.

            Sein schlechtes Image in den Achtzigern rührte maßgeblich aus dem Sturz des äußerst beliebten Helmut Schmidt und der sonstigen Umstände. Die Menschen lieben nicht den Verräter. Außerdem wirkte er öffentlich behäbig und jahrelang auf dem außenpolitischen Parkett dilettantisch. Aber nie wieder war das deutsch-französische Verhältnis so gut wie unter seiner Kanzlerschaft.

            Ich war Kohl immer in politischer Gegnerschaft höchst ablehnend verbunden. Aber der Mann hat historisch schon eine ganze Menge geleistet.

            • Stefan Sasse 26. Januar 2024, 14:02

              Ok, geb ich dir Recht, da war ich wesentlich zu pointiert/polemisch.

            • Erwin Gabriel 27. Januar 2024, 08:13

              @ Stefan Pietsch 25. Januar 2024, 16:50

              Ich war Kohl immer in politischer Gegnerschaft höchst ablehnend verbunden. Aber der Mann hat historisch schon eine ganze Menge geleistet.

              Unterschreibe ich sofort – nie zuvor oder danach sind Herz und Kopf bei mir so weit auseinander gewesen.

          • Thorsten Haupts 26. Januar 2024, 14:52

            Der Mann hat im Endeffekt 15 ziemlich miese Jahre …

            Das habe ich selbst in der Zeit meiner Gegnerschaft nicht unterschrieben. Aussen- und sicherheitspolitisch war seine Politik immer wirklich gut und genau richtig für Deutschland, nur den immer grösser werdenden Reformstau im Inneren habe ich ihm angekreidet.

    • Stefan Sasse 25. Januar 2024, 15:36

      Ja, komme ich.

      Generell werden so Pläne nicht erstellt, habe ich das Gefühl. Das wird ja gerade für eine mögliche Trumppräsidentschaft 2025 auch wieder diskutiert. Ich bin mir aber nicht 100% sicher, ob es sinnvoll ist, solche Pläne zu machen. Das bindet enorme Ressourcen und muss ständig aktualisiert werden. Wie gesagt, keine Ahnung, da müsste man mal mit Expert*innen drüber sprechen.

      • Kning4711 25. Januar 2024, 16:45

        Die DDR hatte Pläne in der Schublade, wäre die BRD der DDR angeschlossen worden.

        Ich bin aber der Meinung, dass man für ein solches Szenario keinen Plan fassen kann. Es war ja lange unklar, welchen Preis man für die Wiedervereinigung bereit gewesen wäre zu zahlen. Hätte Moskau auf eine Neutralität Deutschlands (ergo NATO-Austritt) bestanden und Deutschland hätte in der EG verbleiben dürfen, ich bin sicher den Deal hätte Kohl ebenfalls gemacht…

        • Thorsten Haupts 25. Januar 2024, 17:27

          Nein, hätte er nicht. Ja, da bin ich ganz sicher – ich hatte zu der Zeit tatsächlich (politische) Bekannte in Kohls unmittelbarer Nähe.

        • Stefan Sasse 26. Januar 2024, 14:01

          Da bin ich sehr skeptisch. Die NATO-Mitgliedschaft stand für D nicht zur Debatte. Hätte sich aber auch erledigt: in dem Fall wären die Verhandlungen länger gewesen und hätten letztlich durch den Zusammenbruch der UdSSR ein Ende gefunden.

    • Erwin Gabriel 26. Januar 2024, 10:08

      @ Thorsten Haupts 25. Januar 2024, 10:00

      … die Ostpolitik war für die deutsche Einheit weitgehend bedeutungslos.

      Sie war sicherlich nicht der Grund, warum die DDR kollabierte, bestenfalls ein Teilaspekt, um den Montags-Demonstranten etwas mehr Mut zu geben. Immer schwierig zu urteilen, wenn so viele Komponenten beteiligt sind.

      Völlig unwichtige Nebeninformation: Ein Freund und ich waren Anfang 1989 auf einem Seminar der Konrad Adenauer Stiftung zum Thema Perspektiven Deutsche Einheit. Referenten waren u.a. hochrangige Beamte aus mehreren Ministerien. Ergebnis intensiver Befragungen – es gab für die Wiedervereinigung überhaupt keine Pläne oder Konzepte, nirgendwo in der Bundesregierung.

      Ächz …

      • Kning4711 26. Januar 2024, 11:42

        An der Konzeptlosigkeit unserer Beamten bei schwerwiegenden Ereignissen hat sich doch nichts geändert: Glaubt wirklich jemand es gäbe ein Konzept für den Fall, dass Trump Präsident wird und die NATO implodiert?

        • Stefan Sasse 26. Januar 2024, 14:14

          Es gibt keines. Wie sollte das auch aussehen?

          • Kning4711 27. Januar 2024, 16:08

            Naja, gibt ja was analoges zu NATO Artikel 5 in den EU Verträgen, aber es gibt da keine koordinierenden Strukturen / Stäbe.

            • Stefan Sasse 28. Januar 2024, 10:18

              Der Verteidigungsfall ist aber auch etwas überschaubarer planbar.

              • Thorsten Haupts 31. Januar 2024, 10:17

                Aber die Strukturen für militärische Zusammenarbeit wären plan- und organisierbar. Die stampft man im V-Fall auch nicht aus dem Boden.

                • Stefan Sasse 31. Januar 2024, 14:14

                  True. Aber da besteht ja auch Null Einigkeit, wie das aussehen sollte. Das fängt ja ganz grundlegend bei nuklearer Abschreckung an.

                  • Thorsten Haupts 31. Januar 2024, 16:11

                    Schön, wie Du „Planlosigkeit angesichts eines wahrscheinlichen, grundlegenden, politischen Ereignisses“ selbst ausbuchstabierst.

  • Kirkd 25. Januar 2024, 11:40

    Ich stimme Dir zu. Die Ostpolitik war zu aller erst eine realpolitische Wende Weg von der Dogmatik der Hallstein-Doktrin, die die aussenpolitischen Optionen der Bundesrepublik zunehmend einschränkte.

    Zweitens war sie ein wichtiger Bestandteil der Ausssöhnung mit den mitteleuropäischen Nachbarstaaten. Sie war ein bedeutender Schritt weg vom Grenzrevisionismus im Osten. Hier liegt wahrscheinlich die bedeutendste Auswirkung auf die Wiedervereinigung. Der Paradigmenwechsel von Wiedervereiningung = Rückgewinnung der Ostgebiete zu Aussöhnung mit Polen erleichterte es Helmut Kohl 1990, die Vertriebenenverbände eiskalt zu übergehen.

    Der dritte wichtige Punkt bezüglich der Ostpolitik sind die Erleichterungen für die Bevölkerung bzgl innerdeutscher Besuche. Man sollte das für das konkrete Leben von Millionen Deutschen nicht unterschätzen. Mein Grossvater musste 1952 zur Beerdigung seines Vaters illegal in die DDR ein und wieder ausreisen. Zur Beerdigung seiner Mutter 1957 konnte er nicht mehr reisen.

    Die Ostpolitk war aus diesen drei Gründen eine sehr wichtige politische Weichenstellung. Man sollte nun nicht den Fehler machen, sie nachträglich zu diskreditieren weil „Sie war nicht massgeblich für die Wiedervereinigung“.

    • Stefan Sasse 25. Januar 2024, 15:39

      Ja, wobei die Hallsteindoktrin schon 1969 weitgehend Makulatur war. Die CDU bewegte sich bereits unter Kiesinger langsam von weg, aber natürlich bei weitem nicht in dem Ausmaß.

      Exakt, siehe mein anderer Kommentar.

      Richtig, aber das war für die Wiedervereinigung egal.

      Ich diskreditiere sie auch nicht; wie geschrieben war das die Aufgabenstellung.

  • cimourdain 25. Januar 2024, 12:10

    Danke für das interessante Thesenpapier zu einer aktuellen Diskussion, aber einige Stichworte kommen in meinen Augen zu kurz:

    1) Ohne Ostpolitik hätte es keine völkerrechtlichen Subjekte gegeben, die sich vereinigen hätten können. Sowohl BRD als auch DDR sind erst in den 70ern Mitglieder der UNO geworden, weil sie sich gegenseitig blockiert haben. Das ging bis in den Sportbereich, wo in den 60ern Spiele lieber verloren wurden als gegeneinander antreten zu müssen.

    2) Die „Ostverträge“, die überhaupt einen gegenseitigen Austausch zwischen Ost- und Westdeutschland ermöglichten.

    3) Die bilateralen Verträge mit den Warschauer-Pakt-Staaten, vor allem der Verzicht auf die „Ostgebiete“

    4) Die Basis für Rüstungskontrollabkommen zwischen NATO und Warschauer Pakt. Vor allem der westdeutsche Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag spielt eine zentrale Rolle.

    5) Die Auswirkungen des KSZE-Protokolls auf die Dissidenten im Warschauer Pakt. Charta 77, Solidarnosc und DDR-Bürgerrechtler beriefen sich auf das Menschenrechtsprotokoll.

    6) Die „Westkontakte“, die die DDR-Bürgerrechtsbewegung erheblich unterstützten – vor allem durch Informationen von außen (und geschmuggelte Taschenrechner).

    [persönliche Wertung] Wie eingangs gesagt ist die (im wesentlichen) lineare Argumentation für ein Thesenpapier völlig ok, aber da das eine Klausur-Musterlösung sein soll und die Auslassungen alle in eine Richtung gehen, kratzt das am Beutelsbacher Konsens (Kontroversität).
    [Giftspritze]Eher projiziert es einen Cold-War-2.0-Zeitgeist in die Vergangenheit zurück, der geprägt ist von der Verachtung für Diplomatie (Baerbock-Doktrin), Waffen-Proliferation (Strazi-Doktrin) und Virtue-signaling (Faeser-Doktrin).

    • Thorsten Haupts 25. Januar 2024, 12:51

      Zu 1)
      Die Eigenschaft „völkerrechtliches Subjekt“ hat überhaupt keinen Zusammenhang mit der Eigenschaft „UN-Mitglied“.

      Zu 2 bis 6)
      Nichts davon war für die Wiedervereinigung wesentlich. Und nur um die ging es, nicht um eine Wertung der Ostpolitik insgesamt.

      Spezifisch zu 6)
      Es war schon ziemlich bezeichnend, dass die SPD (nur) sehr freundliche Kontakte zur SED und SED-Jugend ungterhielt, während die Union (über exakt meinen Studentenverband) Kontakt zu den wenigen „oppositionellen“ Gruppen in der DDR unterhielt.

      Gruss,
      Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 25. Januar 2024, 15:42

      1) Das scheint mir nun allerdings kein großes Hindernis.

      2) Korrekt, aber auch hier für Wiedervereinigung egal.

      3) Ja!

      4) Siehe 2.

      5) Ja, aber die KSZE =/ Ostpolitik.

      6) True, die hab ich unterschlagen.

      Sorry, aber ne, daran kratzt es nicht mal so ein bisschen. Und an deinen Giftspritzen widerspreche ich komplett.

    • cimourdain 26. Januar 2024, 09:26

      @Thorsten Haupts und Stefan Sasse
      Der Irrelevanz möchte ich widersprechen: Es geht nicht nur darum, dass eine Wiedervereinigung stattfand, sondern auch darum, dass sie friedlich und nicht in Form einer Annexion war.
      Wir haben in meinen Augen da fünf kritische Punkte beim Vereinigungsprozess:

      a) Die „Abstimmen mit den Füßen“ ab August 1989. Die Aufnahme der DDR-Flüchtlinge über die deutschen Botschaften in Ungarn und Tschechoslowakei wäre ohne 3) nicht denkbar gewesen

      b) Die friedliche Revolution in der DDR. Betonung auf friedlich, mit einer Opposition, die auch nur im Mindesten gewalttätig gewesen wäre, hätte die DDR-Führung (immer noch ein militarisierter Polizeistaat) kurzen Prozess gemacht. Gegen Friedensgebete war sie wehrlos. Deswegen sind 5) und 6) relevant.

      c) Der Staatsvertrag und die Integration der Institutionen und Parteien der DDR in Ihre West-Äquivalente – ohne die Vorarbeit aus 2), resultierend aus der Grundanerkennung (Punkt1) nicht denkbar

      d) Die „Zuckerl“ Begrüßungsgeld (wurde übrigens schon 1970 eingeführt) und gemeinsame Fußballmannschaft – auch hier spielt die Grundanerkennung (1) eine Rolle.

      e) Der 2+4 Vertrag, bei dem Frankreich und die Sowjetunion Vorbehalte hatten. Frankreich aus Sorge um ein revanchistisches „Großdeutschland“ (deshalb ist Punkt 3 wichtig) und die Sowjetunion wegen der Westbindung (deswegen sind die Sicherheitsabkommen aus Punkt 4 und 5 relevant)

      Kurz, es hätte an genug Punkten auch ganz anders laufen können. Und bei der falschen Grundhaltung wäre womöglich eine Wiedervereinigung geschehen in dem Sinne, dass man ohne Grenzkontrolle von Schewenborn nach Meiningen laufen hätte können (weswegen [Giftspritze] relevant ist).

      • Stefan Sasse 26. Januar 2024, 14:08

        a) Yes. Das war auch das westdeutsche Horrorszenario, daher die schnelle WWU.

        b) Bezweifle ich ja nicht? Aber wo ist da der Bezug zur Ostpolitik?

        c) Wie meinen?

        d) Ok.

        e) Richtig, kein Widerspruch.

    • Thorsten Haupts 26. Januar 2024, 12:18

      … der geprägt ist von der Verachtung für Diplomatie (Baerbock-Doktrin), Waffen-Proliferation (Strazi-Doktrin) …

      Ach, nur der Klarheit willen: Für die Ukraine existiert keine diplomatische Option, weil sowohl Russland wie auch die Ukraine nicht verhandeln wollen. Und Waffenlieferungen in die Ukraine dienen unserem originären Eigeninteresse.

      • R.A. 26. Januar 2024, 12:38

        Verhandeln würden die Ukrainer schon. Aber nicht solange Putin am Ruder ist – sein Zusagen und Vertragsversprechen sind schlicht wertlos.

  • R.A. 25. Januar 2024, 12:22

    „die Ostpolitik war für die deutsche Einheit weitgehend bedeutungslos.“
    Das entnehme ich dem Text nicht.
    Sie war nicht entscheidend (das waren die Vorgänge in Rußland), hat aber die Verhältnisse innerhalb der DDR-Elite so aufgeweicht, daß es keine harte Abwehrhaltung mehr gab.

    Und Kning4711 hat m. E. völlig recht, daß die Ostpolitik wesentliche Problempunkte schon beseitigt hatte und die Bundesrepublik in eine gute Verhandlungsposition gebracht hatte.
    Denn das eigentlich zu erwartende Szenario war ja, daß die DDR sich demokratisiert wie andere Ostblockstaaten – aber selbständig bleibt. Das hätten viele Staaten in Europa und viele Akteure in Deutschland bevorzugt.

    Daß Kohl/Genscher so entschlossen die sich umstrukturierende DDR in eine international abgesicherte Einheit führen konnten hatte m. E. sehr viel mit der Vorarbeit der Ostpolitik zu tun.

    Und ihre Leistung ist auch deswegen so bemerkenswert, weil es in der Tat einen peinlichen Mangel an Vorbereitung gab.
    Wir hatten uns ja vor 1990 über Jahrzehnte ein komplettes Bundesministerium für deutsche Einheit geleistet – und die haben schlicht NICHTS für ihren Job getan.

    • Stefan Sasse 25. Januar 2024, 15:43

      Das ist zumindest ein Argument; ich halte das für schwer zu beweusen.

      Jepp!

      Hm, hast du da mehr Argumentation dazu?

      Ach schau mal, das hatte ich gar nicht mehr auf dem Radar, danke!

    • Erwin Gabriel 26. Januar 2024, 10:12

      @ R.A. 25. Januar 2024, 12:22

      Daß Kohl/Genscher so entschlossen die sich umstrukturierende DDR in eine international abgesicherte Einheit führen konnten hatte m. E. sehr viel mit der Vorarbeit der Ostpolitik zu tun.

      Für mich nachvollziehbar. Hätte die BRD über die Jahrzehnte den harten Hund gegeben, wäre vermutlich die Bereitschaft der DDR-Bürger, sich einfach an die BRD anzuschließen, vermutlich kleiner gewesen.

    • Kning4711 26. Januar 2024, 11:56

      Wir hatten uns ja vor 1990 über Jahrzehnte ein komplettes Bundesministerium für deutsche Einheit geleistet – und die haben schlicht NICHTS für ihren Job getan.

      Du meinst das Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen, bzw, innerdeutsche Beziehungen? Ich hab den Auftrag anders verstanden: Am Anfang sollte das Ministerium dazu dienen den Kommunismus ausgehend von der DDR einzudämmen und Oppositionelle Kräfte in der DDR zu stützen. Später, im Rahmen der Ostpolitik, gingt es darum das Zusammenleben zwischen den Menschen in West- und Ostdeutschland zu erleichtern, z.B. durch die Organisation von Familienbegegnungen und Reiseerleichterungen.
      Das Ministerium spielte im Rahmend der Wiedervereinigung kaum eine Rolle, da in der Bonner Republik die Deutschlandpolitik stets Chefsache (also im Kanzleramt verortet) war. Zumal die Fragestellungen im Zuge der Wiedervereinigung insb. das Auswärtige Amt, sowie das Bundesinnenmisterium beschäftigten.
      Mehr findet sich hier:
      https://ome-lexikon.uni-oldenburg.de/begriffe/bundesministerium-fuer-gesamtdeutsche-fragen-bmg

  • Thorsten Haupts 25. Januar 2024, 12:53

    … hat aber die Verhältnisse innerhalb der DDR-Elite so aufgeweicht, daß es keine harte Abwehrhaltung mehr gab.

    Steile These, nur leider ohne Belege, also eine Glaubensfrage?

    • R.A. 26. Januar 2024, 09:55

      „Steile These, nur leider ohne Belege, also eine Glaubensfrage?“
      Wir reden hier letztlich über ein „what-if“-Szenario. D.h. messen die reale Entwicklung an einer denkbaren Entwicklung ohne Ostpolitik – da kann es nicht wirklich Belege geben.
      Ist also tatsächlich Glaubensfrage. Und ich glaube, daß eine Kalte-Kriegs-DDR-Führung wie in den 50ern nicht so schnell nachgegeben hätte wie die aufgeweichten Politbürokraten 1989.

      M. W. hat Gorbatschow ja auch nur klar gemacht, daß er keine russischen Panzer schicken wird. Aber den Einsatz der eigenen Sicherheitskräfte hätte die DDR-Führung wohl ohne Veto aus dem Kreml befehlen können – die standen ja bei der großen Leipziger Montagsdemo reichlich bereit.
      Aber der Einsatzbefehl aus Berlin kam nicht.

      • Stefan Sasse 26. Januar 2024, 14:10

        Ich denke, wir können gesichert annehmen, dass Ulbricht nicht nachgegeben hätte.

        Richtig!

      • Thorsten Haupts 26. Januar 2024, 14:44

        Ich habe keine Zweifel daran, dass die deutsche Einheit mit Ulbricht nicht zu machen gewesen wäre. Aber erhebliche daran, dass es die Westkontakte waren, die die DDR-Elite „aufgeweicht“ haben.

        • Stefan Sasse 26. Januar 2024, 17:40

          Was ist deine Theorie?

          • Thorsten Haupts 26. Januar 2024, 18:11

            Eine wirkliche Theorie habe ich nicht. Ich schreibe das „weicherwerden“ der osteuropäischen Eliten inkl. SU denselben Faktoren zu, die drei für mich wesentlichen:

            1) Wachsender materieller Wohlstand (der stieg ja auch im Osten, nur eben weit langsamer, als im Westen) verweichlicht automatisch und unabwendbar
            2) Der für intelligente Menschen unübersehbare Graben zwischen der sozialistischen Theorie (Paradies der Werktätigen) und der gelebten Praxis eines totalitären Unterdrückungssystems
            3) Die wachsende Einsicht darin, dass man die Systemkonkurrenz krachend verlor und diese Niederlage täglich grösser wurde

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • Stefan Sasse 28. Januar 2024, 10:09

              Alles stichhaltig – aber letztlich auch nicht mehr oder weniger als der Einfluss der Entspannungspolitik. Ich denke aber, DASS es einen Mentalitätswandel gab ist unbestreitbar. Man sieht das ja auch total krass bei den sowjetischen Putschisten 1991!

  • cimourdain 25. Januar 2024, 14:12

    noch zwei kleinere Unrichtigkeiten zur 80er-DDR, die mir aufgefallen sind:
    „Der DDR fehlte bereits ab den 1970er Jahren der Wille, prominente Regimegegner […] in die Verbannung zu schicken […]“ hat sie besonders bei Künstlern getan – in Richtung Westen, Beispiele Wolf Biermann, Bettina Wegner. Zeitzeugen-Aphorismus von einem alten DDR-ler: „Unsere Liedermacher waren wie die Sonne: Im Osten gingen sie auf, im Westen gingen sie unter“

    „[…] und der Weigerung des Honecker-Flügels der SED, irgendwelche Reformschritte in Betracht zu ziehen […]“ Trippelschritte gab es, wie die Abschaffung der Todesstrafe 1987 (kurz vor dem Honecker Besuch im Westen).

    • Stefan Sasse 25. Januar 2024, 15:45

      Das meine ich dezidiert nicht, sondern das Kaltstellen im Land.

      • cimourdain 26. Januar 2024, 09:28

        Ah, ich habe Verbannung im Sinne von Exil gelesen; du meintest, dass die DDR keine psychiatrischen Kliniken in Sibirien hatte.

        • Stefan Sasse 26. Januar 2024, 14:10

          Quasi jemand im Erzgebirge parken. Out of sight, out of mind. Sacharow quasi.

  • CitizenK 25. Januar 2024, 15:43

    Ergänzend vielleicht noch die Rolle der Kirche(n) für die Oppostion in der DDR. Diese ist mMn nicht gänzlich unabhängig von der Ostpolitik zu sehen.

  • Thorsten Haupts 26. Januar 2024, 21:22

    Nachtrag zu einem Beitrag der letzten Wochen:

    Da war doch die Spitzenbeamtin, die Steuertips gegen Geld an Superreiche verteilte:

    https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bundesfinanzministerium-steuern-korruption-christian-lindner-1.6339571

    Persönlicher Kommentar zu der Ursprungs“berichterstattung“: Drecksmedien.

  • Dennis 27. Januar 2024, 10:09

    Erstmal danke für den Beitrag. Unterschreibe eigentlich alles^.

    Es gab im Übrigen keine Ostpolitik aus einem Guss; auch bezüglich der bundesrepublikanischen Parteien intern nicht. Das wird namentlich von der SPD heutzutage nicht so gerne thematisiert. Die Metapher SPD-Ostpolitik soll insgesamt als edel erscheinen, Differenzierungen stören da nur.

    Der berühmte Zitat „Wandel durch Annäherung“ (im ersten Absatz erwähnt) stammt von 1963. Egon Bahr im Rahmen einer längeren Ansprache in Tutzing, noch zu Adenauers Zeiten. Der Vortrag bezog sich auf die „Friedensrede“ Kennedys, war im Grunde eine Paraphrase darauf. Die Zusammenhänge sind völlig vergessen. Der Begriff hat alsbald Flügel bekommen, was nie gut ist, und Brandt fand den Begriff wohl eher mißlungen, weil mißverständlich. Eigentlich, meiner Meinung nach, war 1963 (nach Mauer ’61 und Kuba ’62) das – noch zaghafte – Startjahr der später sehr wechselhaften Détente – bezüglich Europa, muss man betonen.

    Im Bild: Kennedy unterschreibt vier Wochen vor seiner Ermordung die Ratifizierungsurkunde des Teststoppabkommens betreffend Nuklearwaffen.

    https://www.bpb.de/cache/images/5/166085_original.jpg?25950

    Dass die Amerikaner den Taktstock in der Hand hatten, ist nicht weiter verwunderlich und alles was deutscherseits z.B zur Causa „Oder-Neiße“ so verkündet wurde, war eigentlich wurscht, weil diese Sache schon seit der frühen Nachkriegszeit im „Westen“ als erledigt angesehen wurde. Die Mauer war abgehakt, nachdem Kennedy in Wien im frühem Jahr ’61 Chruschtschow signalisiert hat, mit einer großzügigen Auslegung des Vier-Mächte-Status einverstanden zu sein, d.h: Wechselseitige Anerkennung der je eigenen Berliner Beritte (Sektoren). Die Papierform „Für Berlin als Ganzes“ wurde großzügig runterinterpretiert. Da hatten sich die Deutschen zu fügen und ihre Schlüsse zu ziehen und Brandt zog nach dem 21.8.61 anfänglich mal die falschen Schlüsse, also „hawkish“, wie in diesem robusten Brief an Kennedy (eigenmächtig und mit Bonn, also Adenauer, nicht abgesprochen) zum Ausdruck kommt:

    https://www.ndr.de/geschichte/koepfe/Der-Mauerbau-Brandts-Brief-an-US-Praesident-Kennedy,briefankennedy101.html

    Damit lief man allerdings gegen eine Mauer^, es mussten also neue Ideen her, während die Unionsparteien Schwierigkeiten hatten, aus den 50-er-Jahre Schützengräben rauszukommen. In den späten 70ern dann der Wechsel von Détente zu Appeasement bei der SPD; als Schmidt weggemobbt war hatte man freie Fahrt für den blühenden Unsinn der 80er, während Kohl gleichzeitig da anschloss, wo die Sozalliberalen Ende 7o-er aufgehört hatten mit Genscher als Garant der Kontinuität. Das war CDU-seitig wiederum neu, die etlichen alten Kram vom Tisch geräumt hat.

    Am Ende hat Kohl in seinen berühmten 10 Punkten die Oder-Neiße-Frage noch „vergessen“, um seinen rechten Flügel zu schonen, der sich aber später doch fügen musste bezüglich dieser bereits seit Jahrzehnten erledigten Frage.

    • Stefan Sasse 28. Januar 2024, 10:13

      Richtig, aber „Politik aus einem Guss“ ist ein Oxymoron 😀

      Danke für den Kontext!

    • Dennis 28. Januar 2024, 20:23

      Selbstkorrektur: Der Bau der Mauer war nicht am 21.8., wie oben steht, sondern am 13.8. 61.

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