Das Gespenst der Inflation ist zurück. Die Jahre 2022 und 2023 sahen die höchsten Inflationsraten der bundesrepublikanischen Geschichte. Ich muss ehrlich sagen, dass ich von diesem plötzlichen zweistelligen Einbruch überrascht worden bin. Nach fast zwei Jahrzehnten permanent niedrigster Inflationsraten trotz massiver zentralbanklicher Interventionen schien die alte Theorie, nach der die Erhöhung der Geldmenge durch die Zentralbank automatisch in höherer Inflation resultieren müsse, tot zu sein. Und doch denke ich nicht, dass ich bezüglich der Thematik komplett falsch gelegen habe. Ich will versuchen, das Phänomen und meine eigene Position dazu neu einzuordnen.
Meine Position bezüglich der Politik der EZB war stets gewesen, dass die einseitige Fixierung auf das Niedrighalten der Inflationsrate und ignorieren der realwirtschaftlichen Situation ein Fehler war. an dieser Position halte ich auch weiterhin fest. Die Inflationsrate in der Eurozone war lange Jahre schlichtweg zu niedrig und wachstumshemmend. Wenn ich früher für eine Aufgabe dieser strikten Politik plädiert habe, so hatte ich Inflationsraten von 2% bis 3%, vielleicht 4% im Sinn. Ich möchte das zu Anfang klarmachen, damit mir nicht jemand vorwirft, 10-15% Inflation gewollt oder verharmlost zu haben.
Das ist deswegen wichtig, weil der massive Einbruch hohe Inflationsraten ab 2022 ungeheuer schädlich war. Die Auswirkungen der Inflation selbst sind potentiell zerstörerischer als die der Arbeitslosigkeit. Das habe ich früher definitiv nicht so gesehen und in geradezu leichtfertiger Weise als Möglichkeit verworfen. Inflation in der Höhe, wie wir sie nun erlebt haben, bedroht viele Menschen im Land existenziell und ist auch eine gigantische Gefahr für den Erhalt der Demokratie.
Meine vorsichtige Formulierung hier dürfte bereits deutlich machen, dass ich nicht der Überzeugung bin, dass alle meine früheren Positionen falsch waren. denn die entscheidende Frage bei der Bewertung scheint mir zu sein, welche Ursachen die Inflation hat. Und ich bleibe nicht überzeugt davon, dass die EZB der Haupttreiber ist, wenngleich ich ihre Politik mittlerweile (aus anderen Gründen) wesentlich kritischer sehe als früher. Um es vereinfachend darzustellen, sehe ich zwei große Lager in dieser Debatte. Einerseits das Lager, dass die Inflation vorrangig auf ein Überangebot von Geld zurückführt, das weitgehend politisch gewollt von den Zentralbanken bereitgestellt wurde, und andererseits das Lager, dass die Inflation vor allem auf exogene Schocks zurückführt.
Regelmäßige Lesende dieses Blogs werden nicht überrascht sein, dass ich mich dem zweiten Lager zuordne. Die Frage, woher die Inflation stammt, was ist von mehr als nur akademischer Wichtigkeit, weil die Konsequenzen, die ergriffen werden müssen, direkt von dieser Ursprungsanalyse abhängen. Entstammt die Inflation einem Überangebot an Geld, das zu einer Überhitzung der Wirtschaft geführt hat, so muss die Zentralbank die Zinsen erhöhen und zu einer Kontraktion der Wirtschaft führen. Eine solche Forderung erhebt etwa Martin Wolf in der Financial Times; kritisiert wird sie hier von Stephan Schulmeister. Tut sie das allerdings nicht, so wäre diese Reaktion in höchstem Maße verheerend, weil sie dann zu den furchtbaren wirtschaftlichen Folgen einer hohen Inflation noch zusätzlich eine künstliche Rezession hinzufügen würde.
Wenn allerdings nicht die freigiebigere Geldpolitik der EZB die Ursache für die Inflation ist, was ist es dann? Die Antwort ist in Teilen ziemlich offensichtlich: der Beginn der Inflation korreliert einerseits mit dem russischen Überfall auf die Ukraine und ist andererseits hauptsächlich durch eine Inflation der Energiepreise getrieben. Und Energie ist genau das Gut, das durch die russische Invasion schlagartig deutlich teurer wurde. Allein, diese Erklärung funktioniert zwar sehr gut für Deutschland, wo die Abhängigkeit von russischem Gas den Ukraine-Schock besonders harsch ausfallen ließ. sie erklärt praktisch nicht, wie ein von russischem Gas komplett unabhängiges Land wie die USA ebenfalls in eine hohe Inflation geriet. Ein monokausaler Erklärungsansatz taugt also offensichtlich nicht.
Dass allerdings der russische Angriffskrieg ein Treiber der Inflation war, wird von niemandem bezweifelt. Dieser Teil der Inflation allerdings war stets ein Übergangsphänomen. Die Sicherung alternativer Energiequellen und die Einstellung auf einen neuen Status quo brachten perspektivisch eine deutliche Absenkung der Energiepreisinflation wenn nicht auf das Vorkriegsniveau, so doch wenigstens auf ein deutlich niedrigeres als im Winter 2022. Damit bleibt die Frage, ob die restliche Inflation ebenfalls ein Übergangsphänomen ist oder strukturelle Ursachen hat. Es wäre unsinnig, strukturelle Ursachen völlig in Abrede zu stellen. Ich bin allerdings der Überzeugung, dass ein anderes exogenes Phänomen der hauptsächliche Treiber der Inflation und, und das ist die gute Nachricht, ein Übergangsphänomen ist: die Corona-Pandemie.
Es wird in meinen Augen immer noch unterschätzt, in welchem Ausmaß die Corona-Pandemie mittelfristig die weltweiten Wertschöpfungsketten durcheinandergebracht hat. Genauso wie Zinsänderungen der Zentralbanken wirkten diese Wertschöpfungskettenstörungen nicht sofort, sondern mit Verzögerung. Erst 2021 wurden die Effekte langsam sichtbar, die hierzulande durch eine insgesamt vergleichsweise gut gelungene Folgenabschwächung etwa durch das Kurzarbeitergeld Abgedämpft und weiter verzögert wurden. Bis all diese Änderungen sich durch das volkswirtschaftliche System hindurch gearbeitet hatten, war es letztlich 2022 – wo die Auswirkungen dann mit dem Ukrainekrieg zusammenfielen und den perfekten Sturm ergaben. Da die Pandemie allerdings 2022 de facto für beendet erklärt und sämtliche Störungsmaßnahmen mit einer entscheidenden Ausnahme – China – herausgenommen wurden, ist damit zu rechnen, dass die Inflationseffekte, die durch sie hervorgerufen wurden, mit derselben Verzögerung auch wieder aufhören werden. Das zumindest wäre die Hoffnung.
Dafür gibt es auch Anzeichen. Betrachtet man nämlich die Inflation in den USA, die ohne einen Russland-Schock auskommt und wesentlich von der Coronapandemie was getrieben war (und sicherlich auch von den beherzten und hochvernünftigen Stützmaßnahmen sowohl der Trump- als auch der Biden-Regierung, die bereits komplett ausgelaufen sind), so fällt auf, dass die Inflation bereits wieder absank, bevor die ähnlich wie in Europa durchgeführten Zinserhöhungen der Zentralbank Zeit zugreifen hatten. Mittlerweile ist die US-Inflation auf dem offiziell angestrebten 2%-Ziel.
Ein letzter Inflationstreiber wird in Deutschland praktisch überhaupt nicht diskutiert – die Gewinninflation. Während es besonders 2022 eine ganze Menge Hände Wringen und Bedenkenträgerei über eine mögliche Lohnpreisspirale gab, die von Anfang an nur den Fiebertraum neoliberaler Ordnungspolitiker*innen entspringen konnte, die geistig einfach nicht aus den 1970er Jahren herauskommen, ich fand in der Zwischenzeit eine sehr reale Inflation der Unternehmensgewinne statt. In den USA hat dieses Phänomen den treffenden Namen der Greedflation erhalten (das Gegenstück wäre die Wageflation). Auch das ist weitgehend unkontrovers (selbst die ifo bestätigt es): zu den gefährlichen Aspekten von Inflation gehört ja auch, dass es den Verbraucher*innen schwerer fällt als sonst schon, Preiserhöhungen wahrzunehmen und einzuordnen.
Davon machten sehr viele Unternehmen weidlich Gebrauch. Das gelingt besonders gut, weil die Menschen keine Ahnung haben, wie hoch die Inflation tatsächlich ist. Sie wissen zwar, DASS es Inflation gibt, sind aber furchtbar schlecht darin abzuschätzen, wie hoch sie konkret ist. Das ist auf der einen Seite natürlich politisch gefährlich, weil es einerseits zu einer Unterschätzung des Falls der Inflationsraten Wunsch zu einer Überschätzung der übriggebliebenen Gefahr führen kann. Auf der anderen Seite ist es wirtschaftlich gefährlich, weil die ohnehin nicht besonders hoch ausgeprägte Rationalität ökonomischer Entscheidungen dadurch überhaupt nicht mehr möglich ist. Wenig überraschend steigen zwar die Preise und Gewinne weiterhin, verharren die Löhne allerdings immer noch unter dem Niveau, das sie vor der Pandemie hatten.
Es bleibt allerdings für mich kein Zweifel daran, dass die Pandemie der mit Abstand größte Inflationstreiber bleibt. Der Grund dafür ist einfach: die Inflationsraten bewegen sich weltweit praktisch in Tandem. Die Geldpolitik der EZB betrifft aber nur den Euroraum, der Stimulus betrifft nur die USA, und so weiter. Jede Inflationstheorie muss daher zwingend weltweit gültig sein, solange die Inflationsraten so synchron sind.
Doch damit genug der Ursachenforschung. Die viel relevantere Frage ist ja, wie mit der Inflation umzugehen ist. Hier in Deutschland haben wir uns für eine Reihe ziemlich teurer Dämpfungsmaßnahmen entschieden. Diese zeigen auch, dass die Bundesregierung ein insgesamt relativ gutes Bild der Ursachen hatte, das sich mit meiner Analyse durchaus deckt. Was nämlich waren die beiden größten Maßnahmen? Einerseits der sogenannte Tankrabatt, eine Preisobergrenze auf Benzin und das brainchild der FDP, andererseits die sogenannte Gaspreisbremse, die aus Habecks Ministerium stammte.
Da die Energiekosten durch den kurzfristigen Schock des Ukrainekriegs die größten Inflationstreiber waren, machte die Konzentration auf diese beiden Teilbereiche am meisten Sinn. Der Tankrabatt befriedigte dabei vor allem die politische Lage der Konsumierenden im Land, während die Gaspreisbremse zwar einen ähnlichen Effekt verfolgte, aber in der Wahrnehmung weitgehend verpuffte (auch dank der völlig fehlgeschlagene Kommunikation um das Heizungsgesetz) und ihre größte Wirkung eher in der Industrie entfaltete, wo ja auch der Großteil der Mittel eingesetzt wurde. Beide Effekte zusammen reduzierten die Inflation in Deutschland spürbar und über dem Niveau von Nachbarstaaten, die auf solche Maßnahmen verzichtet hatten.
Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass der schlimmste Teil der Inflation hinter uns liegt und die Herausforderungen strukturbedingter Wachstumshemmnisse und des Klimawandels nun wieder erste Geige spielen werden. Wenn die Kritiker*innen der geldpolitischen Falken Recht behalten, rauschen wir nun allerdings in eine durch die Zentralbanken hervorgerufene Rezession. Die hohe Arbeitslosigkeit jedenfalls ist ein besorgniserregender Indikator in diese Richtung.
Ich befürchte, dass aus den Erfahrungen der vergangenen beiden Jahre die falschen Schlüsse gezogen werden werden. Die politische Debatte kapriziert sich zu sehr auf den Versuch einer Rückkehr zu einer Normalität, die letztlich nur als der Status quo ante definiert wird. Diese Fixierung auf die Vergangenheit, die sich etwa bei den Ordnungspolitikern*innen in besonderer Art und Weise feststellen lässt, ist allerdings angesichts der großen Herausforderungen, vor denen wir in Zukunft stehen, nicht sonderlich zeitgemäß. Genauso wie bei anderen liebgewonnenen Glaubenssätzen ist deswegen zu fragen, wie sinnvoll eine Rückkehr zum 2%-Ziel überhaupt sein kann und ob es nicht Sinn macht, neue wirtschaftspolitische Paradigmen zu entwickeln.
Weitere Links:
- Quantian: Der Zusammenhang von Inflation und Einschätzung der wirtschaftlichen Lage
- Marco Herack: Transportkosten aus China sind wieder auf Vorpandemie-Niveau
- Oliver Picek: Der fehlende Zusammenhang von Inflation und Lohnsteigerungen
- Jabberwocky: Why is inflation down?
- Jabberwocky: Food prices have dropped since the start of the year
- Jabberwocky: I wouldn’t count on a soft landing, folks
- Jabberwocky: Conventional wisdom finally agrees we’re going to have a soft landing. That’s why you should remain doubtful.
- Jabberwocky: Another look at interest rates and recession
- The Atlantic: With inflation on the mend, what will the Fed do next?
- Maurice Höfgen: Erzeugerpreise weiter gesunken, Richtung klar
- Chartbook: Now is a time of tough choices — including on the 2% inflation target
- Deliberation Daily: Der kommende Paradigmenwechsel – keine Angst mehr vor der Inflation
Der Warenkorb zur Inflationsberechnung enthält vieles, aber nicht:
– Immobilien
– Aktien und Fonds
Während des Runs in diese Märkte in den Jahren vor Corona & Ukraine (u.a. aufgrund der haarsträubenden EZB-Politik) war die reale Inflation viel höher als die gemessene. Inflationsmessung ist zu weiten Teilen eine Definitionsfrage. Geldanlagen nicht zu berücksichtigen ist heute halt common sense, aber gerade wenn man Zentralbanken bewerten möchte, ist das meiner Meinung nach der falsche Weg.
korrekt, ja.
Immobilienpreise gehen indirekt in den Verbraucherpreisindex und damit Inflation ein, da die (Kalt-)Mieten mit ca. 20% berücksichtigt werden.
So schwierig ist das mit der Inflation nicht. Es ist das Verhältnis von Geld zu allen Gütern. Da in der klassischen Inflation, die Assets, wie z.B. Immobilien und Aktien etc. nicht drin ist, ist diese nicht gestiegen.
Aktien und Immobilien hatten hingegen eine starke Preisinflation. Weshalb ich das Argument, die EZB habe die Sparer enteignet falsch finde. Wer Geld zum sparen übrig hatte, konnte mit Aktien sehr gute Renditen oberhalb der Inflation erzielen. Wer im Sparbuch sparte hatte schon immer selber schuld. Die EZB hat mit ihrer Niedrigzinspolitikaber den Immobilienerwerb für Menschen ohne Vermögen sehr erschwert, da die Löhne nicht mit der Inflation der Imobilienpreise mitgezogen sind.
Da Inflation das Verhältnis ist aus Gütern zu Geld ist, kann sie natürlich durch eine Verknappung der Güter oder eine Erhöhung der Geldmege ausgelöst worden sein. Die Frage ist so oder so, was kann man machen. Da die EZB die Gütermenge nicht erhöhen kann, kann sie nur die Geldmenge reduzieren. Genau genommen den Zuwachs der Geldmenge. Andere Optionen haben wir nicht.
Die Frage ist, warum wurde die ganze Zeit die Inflation bei den Assets toleriert. Und da sind wir bei den strukturellen Problemen der Euro Zone, den unterschiedlichen Produktivitästzuwächsen und Lohnsteigerungen in den EU Ländern und den unterschiedlich hohen Staatsschulden. Weswegen ich auch bei meinem Statement bleibe, der Euro ist ein Mühlstein am Hals der EU und wird diese noch mit in den Abgrund ziehen.
Wenigsten hier kündigt sich eine gewisse Entspannung an, denn derzeitige deutsche Politik sorgt dafür, dass sich die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft an die der Südländer annähert.
Und die Aussage, die Inflationsraten bewegen sich weltweit im Tandem ist in meinen Augen falsch. Die Probleme im Euroraum bis hin zur Griechenlandkrise kamen durch unterschiedliche Inflationsraten in den Euroländern -> Prof. Sinn in meinem ersten Artikel. Ein weiteres aktuelles Beispiel ist die Schweiz. Sie hat die gleichen Lieferkettenprobleme wie wir, hat aber trotzdem eine sehr niedrige Inflation.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/289222/umfrage/inflationsrate-in-der-schweiz-nach-monaten/
Die Gewinninflation der Unternehmen hat in meinen Augen nichts der Inflation zu tun. Gewinne werden auch ausgeschüttet, investiert oder „gespart“. Sie sind damit nicht raus aus dem Verhältnis von Geld zu Gütern. Von einer eventuell reduzierten Umlaufgeschwindigkeit durch das „sparen“ mal abgesehen, die aber die Inflation dämpfen würde.
Gruß Jens
Die Gewinnsteigerungen resultieren doch überwiegend aus Preis-Steigerungen (= Inflation) bei den Unternehmen, die weniger von den Energiepreisen tangiert waren. Einzelhandel?
inwiefern wäre der immobilienerwerb ohne niedrigzinsen für menschen ohne Vermögen leichter gewesen…?
Das tandem bezog sich auf den inflationsschock, also ab 2020.
Ich bin auch für die Abschaffung des Euros, aber:
Inflation ist Verhältnis Gütern zu Geld.
Aber was ist Geld?
Beispiel:
Ich überweise meinem Vermieter 1000 Euro.
Option a) Vermieter kauft sich am nächsten für die 1000 Euro einen neuen Laptop
Option b) Laptop Verkäufer lässt sein Geld auf seinem Girokonto
Option a1) Vermieter läßt das Geld auf seinem Girokonto
Option a2) Laptop Verkäufer nutzt die 1000 Euro, um eine Reise zu bezahlen
… usw
Wenn das Geld den Besitzer wechselt, kann es unterschiedlich schnell für neue Käufe genutzt werden. Entscheidend für das Volumen der Gesamtnachfrage ist nicht die Geldmenge sondern
Geldmenge * Umsatzgeschwindigkeit des Geldes
Der Staat hat auch die Möglichkeit, seine die Fiskalpolitik expansiv oder restriktiv zu gestalten. Eine restriktive Fiskalpolitik nimmt Güternachfrage aus dem Markt und erhöht die Unsicherheit der Konsumenten und Unternehmen, was wiederum die Umsatzgeschwindigkeit des Geldes verringert.
@ Jens Happel 29. August 2023, 15:09
Aktien und Immobilien hatten hingegen eine starke Preisinflation. Weshalb ich das Argument, die EZB habe die Sparer enteignet falsch finde. Wer Geld zum sparen übrig hatte, konnte mit Aktien sehr gute Renditen oberhalb der Inflation erzielen.
Hhm. Die klassischen deutschen Formen der Geldanlage für Otto Normalverbraucher waren Sparbuch, Rentenversicherung, Staatsanleihen. Wer seine Spargroschen hier angelegt hatte, wurde „enteignet“. Da außerdem das primäre Ziel der Null-Zins-Politik war, den südlichen EU-Staaten die Schuldenfinanzierung zu ermöglichen, möchte ich den Begriff doch aufrechterhalten. Wer nicht genug verdiente, um hohe bzw. relevante Sparleistungen zu erbringen, verlor.
Wer sich von den Normalverdienern nach dem Motto „jetzt ist der richtige Moment“ in das Abenteuer „Immobilienerwerb“ stürzte, stellt gerade mit Schrecken fest, dass alles, was nicht hochmodern und in guter Stadtlage angeschafft wurde, nun an Wert verliert und mit unabsehbaren Risiken behaftet ist.
Zum Thema Aktien: Waren mal eine Geldanlage, sind inzwischen nur noch Jetons mit großen Chancen und hohem Risiko. Wer sich nicht wirklich in der Wirtschaft, mit Unternehmen, Rohstoffen etc. auskennt, sollte tunlichst die Finger davon lassen. Denn die Beratungsqualität in Banken und Sparkassen ist einfach grauenhaft (und auch nicht gerade umsonst).
Nein, die EZB wusste, was sie mit ihrer Zinspolitik tat, und hat die schleichende Enteignung der Normalverdiener als kleineres Übel in Kauf genommen.
Hier übrigens eine schöne Visualisierung der Häuserpreise in Deutschland:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/70265/umfrage/haeuserpreisindex-in-deutschland-seit-2000/
Der Anstieg ab 2008 ist sehr auffällig. Wenn man das Ganze rein als Inflation deutet, kommt man auf einen Wert von jährlich etwa 5 % seit 2008. Für die Aktienmärkte ist der Wert deutlich schwieriger zu bestimmen, ich würde aber etwa 7-8 % schätzen.
So sieht das aus, wenn massiv Zentralbankgeld in die Märkte drückt.
mir ist noch unklar, warum das zentralbankgeld ausschließlich immobilien betrifft.
Geldanlagen allgemein. Abgesehen von Staatsanleihen. 🙂
Unzweifelhaft haben die Notenbanken Billionenbeträge in die Märkte gepumpt, abzulesen an den Bilanzsummen. Diese Mengen an Liquidität müssen irgendwie verarbeitet werden. Das ist das schwarze Loch in Deinen Annahmen.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Verarbeitung: Produktmenge, Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, Finanzmärkte. Da die drastisch erhöhte Geldmenge in den Zehnerjahren nicht in den Konsumgütermärkten aufgetaucht ist und sich auch nicht in einer höheren Umlaufgeschwindigkeit des Geldes widergespiegelt hat, jubelten die geldpolitischen Tauben, Erhöhungen der Zentralbankgeldmenge hätten keine negativen Auswirkungen auf das Wirtschaftsgeschehen.
Aber diese Geldmengen sind doch wirklich nie inflationstreibend an den Gütermärkten angekommen. Selbst wenn es die liberale Fraktion hier noch 100 mal wiederholt, wird das nicht wahrer.
Warum *muss* Liquidität zwangsläufig verarbeitet werden?
Lemmy stellt Milton Friedman ein Bein und der fällt von den Füßen auf den Kopf, oder umgekehrt:
„There ain’t no such a thing as an *automatic* transmission from amount of money to inflation.“
Wie Stefan Sasse schon oben geschrieben hat: Die hohe Inflation in den USA und Europa hatte ihre Ursachen in den zu auf knapp genähten Wertschöpfungsketten, der gestiegenen Energiepreise sowie weiterer Preistreiber auf den Nahrungsmittelmärkten.
Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes hat sich übrigens vermindert.
Die Quantitätsgleichung stimmt ja. Sie ist eine Definition.
G= Geldmenge
U= Umsatzgeschwindigkeit des Geldes
H = Gesamte Menge an Gütern und Dienstleistungen
P = Preisindex, also Inflation
G×U = H×P
https://thinkaboutgeny.com/quantitaetsgleichung-2455
An welchen Gütermärkten? Deutschland hat eine stark auf Export ausgerichtete Wirtschaft. Das bedeutet, die hiesige Industrie schafft vor allem Investitionsgüter für den Weltmarkt. Umgekehrt importiert Deutschland einen wesentlichen Teil seiner Konsumgüter, von Elektronikprodukten bis Touristik. Das kannst Du genau ablesen beim Statistischen Bundesamt, dass für Deutschland nicht nur eine sehr hohe Exportquote, sondern mit über 30% auch eine sehr hohe Importquote zeigt. Die hohe Abhängigkeit von den Konsumgüterindustrien in Südostasien hielt die Inflationsraten stets niedrig – was von den Tauben fehlgedeutet wurde.
Die deutsche Güterindustrie ist für den Weltmarkt, nicht für den nationalen Markt. Und wesentlicher Kostenpunkt für das produzierende Gewerbe sind die Finanzierungskosten. Da die meisten Maschinen heute finanziert, also geleast werden, sind die Zinsen maßgeblich für die Produktionskosten. Diese waren im letzten Jahrzehnt besonders günstig und stehen derzeit ebenfalls unter einem Kostenschock.
Warum *muss* Liquidität zwangsläufig verarbeitet werden?
Gut, sie kann auch in die Tonne gestopft werden. Ist auch eine Verwendungsart.
you are right (alte indische Weisheit)
Ich geh mit, dass der Prozess der Abhängigmachung von insbesondere China die Kräfte der Inflation in den letzten 30 Jahren verminderte. Ein damit zusammenhängender Grund war die geringe Investitionsneigung wg der dynamischen Entwicklung in Ostasien und Osteuropa.
Nur sehe ich nach wie vor nicht, dass sich ein Angebot an Liquität automatisch seine Nachfrage schafft.
(Anlehnung an Saysches Gesetz) oder anders ausgedrückt: Eine Geldmengenausweitung führt nicht automatisch zu Inflation.
nitpicker:
1) Die meisten unserer Exporte gehen nach Europa. Welt ist da ein leicht irreführender Begriff -> https://de.statista.com/statistik/daten/studie/158303/umfrage/deutsche-exporte-und-importe-2010-nach-laendergruppen/
2) Bezüglich der Warengruppen haben die deutschen Exporte einen außergewöhnlich hohen Anteil an langlebigen Konsumgütern (Autos) und Investitionsgütern -> https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/globalisierung/52848/deutschland-export-und-import-nach-waren/
Zustimmung!!
@ Stefan Sasse 29. August 2023, 09:44
Mir ist noch unklar, warum das Zentralbankgeld ausschließlich Immobilien betrifft.
Wer hat das behauptet?
Die Immobilienpreise stiegen rasant (@ Tim: Danke für den Link). Die Preise für bestimmte klassische Autos (z.B. alte Porsche in sehr gutem Zustand) oder auch Kunst stiegen enorm. Alles, was irgendwie als Geldanlage taugte (was Seltenheit, guten Zustand etc. und damit gehobene Preise voraussetzte) und kein Geld war, wurde teurer.
Verstehe.
Warum ist es für Aktienmärkte schwieriger Wertsteigerungen zu bestimmen?
Es gibt ja wirklich genug Indexe wie den Dax.
Eben. 🙂 Der DAX ist aber sicher schon mal ein guter Näherungswert.
Immobilienpreise haben sich seit 2008 ca. verdoppelt, das entspricht knapp 5% / Jahr, da liegen Sie exakt richtig.
Der Dax ist in der Zeit etwa auf das 2,5-fache gestiegen (6.400 zu 15.500) . Das entsprich 6,2% / Jahr
Der Verbraucherpreisindex ist in der Zeit etwa um 1/3 gestiegen, was durchschnittlich die 2% Inflation ergibt.
Damit haben Sie Stefan P, dem ich in dieser Frage 100% zustimme, eindeutig bestätigt. Es GAB eine geldmengengetriebene, massive Inflation seit 2008, nur eben nicht in den Konsumgütermärkten. Und ich habe bisher – auch von Schieritz et al, mit denen ich mich 2009/10 heftig zankte – keine halbwegs einleuchtende alternative Erklärung dafür gesehen, warum die Immobilienpreise 2008 ff auf einmal in die Höhe schossen. Die beste Erklärung ist immer dann die einfachste, wenn es einen leicht verständlichen Wirkmechanismus gibt. In diesem Falle: Viel sehr günstig zu habendes Geld, das nach einer Anlage suchgte.
Bin durchaus bereit, Stefan S Erklärungen für die weltweite Inflation zu berücksichtigen, aber zu behaupten, es habe vor 2021 keine Inflation gegeben, ist einfach falsch. Sie wurde nur in den gängigen Inflationsindizes unzureichend berücksichtigt.
Gruss,
Thorsten Haupts
geldmengengetriebene Inflation bei den Kapitalmärkten gehe ich d’accord, nur möchte ich die These in den Raum werfen, dass diese Geldmenge nicht vom Zentralbankgeld herrührt sondern vom Giralgeld der Geschäftsbanken.
Immobilienpreise seit 2008: Da sollten Sie die diverseren Portfolios institutioneller Anleger berücksichtigen, die aus 2008 gelernt haben – bei rechtem Licht genau das was Sie schreiben: „günstiges Geld sucht Anlageform“
Die Zentralbank beeinflußt aber natürlich über den Leitzins die Kreditvolumen der Banken und damit dem Volumen der Giralgeldschöpfung.
Hmmm … Nichts von dem, was Du hier schreibst, sollte in irgendeiner Weise kontrovers sein. Also außer bei einer Handvoll deutscher Wirtschaftswissenschaftler (z.B. “Deutschlands klügster Professor” (BILD)), die international eher belächelt werden. Mein einziges Problem habe ich mit dieser Stelle:
Die Auswirkungen der Inflation selbst sind potentiell zerstörerischer als die der Arbeitslosigkeit. […] Inflation in der Höhe, wie wir sie nun erlebt haben, bedroht viele Menschen im Land existenziell und ist auch eine gigantische Gefahr für den Erhalt der Demokratie.
Arbeitslosigkeit bedroht ebenfalls Menschen existentiell und zwar in wesentlich heftiger Weise als Inflation. Wer Inflation erdulden muss, muss sich in der Regel mehr oder weniger einschränken. Die erdrückende Mehrheit im Land hat ausreichend Puffer hierfür. Arbeitslosigkeit hingegen lässt Dich einfach so ins Nichts abstürzen. Nachdem Dein Arbeitslosengeld ausläuft, bist Du ein gesellschaftlicher Outcast mit hoher Wahrscheinlichkeit permanent den Anschluss zu verlieren.
Und in punkto Demokratie: Wahlergebnisse der Rechtsextremen pflegten in der Vergangenheit meines Wissens nach ziemlich gut mit der Arbeitslosenrate zu korrelieren. Ist das ein falscher Eindruck?
Und eine Beobachtung noch nebenbei. Dieses und letztes Jahr war der Urlaub so teuer wie niemals zuvor. Urlaubsressorts sind überlaufen. Ich habe spät gebucht und kaum noch ein Hotel gefunden. Vor Ort habe ich mit Reiseleitern gesprochen, die mir gesagt haben, dass das Niveau der Vor-Coronajahre fast wieder erreicht ist. Alle atmen auf. Nichts von dem ist natürlich kompatibel mit der Theorie der breiten Wohlstandsverluste durch die Inflation, mit der Theorie der überforderten, verzweifelten Haushalte. Wenn man wirklich kein Geld mehr hat, streicht man als erstes den überflüssigen Luxus. Kenne ich aus der Kindheit. Als mein Vater sich ein neues Auto kaufen musste, weil das alte nicht mehr durch den TÜV gekommen war, fiel bei uns als erstes der Urlaub ins Wasser.
Worauf die ganze Lage aus meiner Sicht tatsächlich hindeutet ist eher, dass die breite Mittelschicht ganz gut klarkommt und in keinster Weise existentiell bedroht ist. Stattdessen muss sie sich halt ein bisschen einschränken – und ist auch noch selber schuld am eigenen Leid -> schließlich ist es ja exakt diese Mittelschicht, die 16 Jahre lang Merkel gewählt (oder garnicht gewählt) hat und damit unsere Energieabhängigkeit von Russland aktiv unterstützt (und durch billige Energie selbst enorm von dieser Hochrisiko-Politik profitiert) hat. Jetzt ist dieses Business-Modell zusammengebrochen und den Menschen auf die eigenen Füße gefallen. Aber zahlen soll dafür wie immer jemand anderes: Der Staat, die Arbeitgeber, irgendwer halt. Tatsächlich sind wirtschaftliche Auf und Abs aber völlig normal. Und insbesondere bei selbstverschuldetem Schaden muss man dann eben zahlen, sonst entsteht ein gefährlicher Moral Hazard. Wahlentscheidungen haben Konsequenzen. Das scheint irgendwie komplett aus dem gesellschaftlichen Gedächtnis verdrängt worden zu sein.
Natürlich gibt es am untersten Rand des Einkommensspektrums durchaus Menschen die fatal durch die Inflation betroffen sind und denen muss der Staat zweifellos helfen. Aber das ist aus meiner Sicht nicht die Mittelschicht.
Bedrohung: stimmt so nicht. die unteren einkommensschichten werden durch die inflationsraten, wie wir sie hatten, existenziell genauso wie durch arbeitslosigkeit bedroht, nur DASS SIE IMMER NOCH ARBEITEN. Den puffer haben eben nicht alle. wir reden hier von signifikanten größen, 30-40%. Und arbeitslosigkeit betrifft halt nur bestimmte schichten, so böse das ist.
Demokratie: Nein, kein falscher eindruck, zumindest wenn wir von 1930-1933 reden.
Urlaub: erneut: wer macht Urlaub? du sagst es ja selbst: mittelschicht und drüber.
Ich halte das für ein Gerücht, dass nur Mittelschicht und drüber in den Urlaub fährt. Ich bin z.B. in einem Viertel mit ziemlich hohem Arbeiteranteil aufgewachsen und die fuhren im Sommer alle in den Urlaub. Und auch heute – fahr mal im Juni/August auf einen normalen Campingplatz und sieh Dir die Urlauber dort an. Das ist alles, aber keine Mittelklasse …
Eurostat sagt, dass sich 2022 22% der Deutschen keine einwöchige Reise leisten konnten. Vor allem Alleinstehende mit Kindern und Rentner sind betroffen.
Also mit 22% sind wir ja schon mal sehr, sehr deutlich unter den 30-40%, die Stefan behauptet hatte. Wenn wir die Zahlen mal umdrehen, bedeutet das, dass selbst in einem Hochinflationsjahr, in dem angeblich breite Teile der Gesellschaft mit dem Rücken zur Wand stehen (bei Markus Lanz wurden z.B. in Sendungen kürzlich mehrfach Zahnärzte explizit genannt, die ihre Rechnungen nicht mehr begleichen können), knappe 80% nicht auf ihren Urlaub verzichten müssen. Also ich mache mir mit diesem neuen Wissen jetzt weniger Sorgen um Deutschland …
Auch wenn wir beide uns als Teil der 78% leicht reden, kann man es auch in eine andere Relation setzen: Die Zahl ist höher als in 2021, als sie (coronabedingt) knapp unter 20 % lag. In diesem Bereich wirkt sich die Teuerung schwerwiegender als die Pandemie aus.
Auf Talkshowbeispiele kannst du natürlich pfeifen, aber Zahnärzte sind ein interessantes Beispiel: Einige haben sich auf Zusatzleistungen wie bleaching spezialisiert. Das sind Dinge, die zuerst eingespart werden.
Ich kenne zugegebenermaßen die Datenlage nicht, deshalb hier lediglich mein Bauchgefühl:
In der Corona-Zeit standen massenweise Hotels leer. Die Branche war verzweifelt. Ich vermute stark, dass das einen dämpfenden Effekt auf die Preise für Reisen und Übernachtungen gehabt hat. Damit konnten sich dann theoretisch auch mehr Leute eine Reise leisten.
Ob die Corona-Zeit, mit diesem Druck auf die Preise in einer absoluten globalen Ausnahmesituation, aber ein guter Maßstab für die Bewertung der Finanzen der Reisenden in Normalzeiten ist, da bin ich eher skeptisch.
Ja, der Economist hat gerade einen Artikel über die messbaren Auswirkungen US-amerikanischer Geldzuweisungs-Programme. Das meiste des zusätzlich verfügbaren Geldes geht NICHT in Lebensnotwendigkeiten, sondern in Freizeitausgaben (Restaurants, Vergnügungsparks et al). Noch bedeutet hohe Inflation für die meisten in entwickelten Volkswirtschaften nicht mehr als Kürzungen bei nicht lebensnotwendigen Ausgaben aka Freizeit.
Das allerdings ist kein Argument für dauerhaft hohe Inflation und ich werde ganz sicher nicht dafür plädieren.
Gruss,
Thorsten Haupts
Inflation ist ein dynamischer Prozess. Die Republik Argentinien wird dieses Jahr mit einer jährlichen Inflation von 150% abschliessen. Da kommt man nicht von heute auf morgen wg eines externen Schocks oder Geldpolitik hin… das baut sich über Jahre auf. Auch die deutsche Hyperinflation hatte ja bekanntlich einen langen Vorlauf.
Wenn den Arbeitnehmern in den Tarifverhandlungen des letzten Jahres nominale Lohnerhöhungen in Höhe der Inflation zugebilligt worden wären, hätten die Unternehmer die Preise noch weiter erhöhen müssen. Das hätte zur Fortschreibung der Inflation geführt.
Ich halte dies wirklich für einen Teufelskreis. Reale Lohnsenkungen sind auch fair: Die Volkswirtschaft ist ja tatsächlich durch die starken externen Schocks insgesamt ärmer geworden und die höheren Energiepreise werden wir über einen längeren Zeitraum haben. Je später eine Volkswirtschaft durch reale Lohnsenkungen aus dem Teufelskreis aussteigt, desto höher sind diese Senkungen auf einen Schlag. Deshalb verabscheue ich das Schlagwort „Schocktherapie“: Oft beschreibt der Kampfbegriff diesen notwendigen Schritt, um die Inflation nicht immer weiter wachsen zu lassen.
Treiber wirklich hoher Inflationsraten wie aktuell in Argentinien ist die Kombination von hohen Defiziten im Staatshaushalt mit einer geringen Kreditwürdigkeit des Staates. Letzteres ist natürlich für Deutschland aktuell undenkbar. Den nicht-so-kreditwürdigen Staaten bleibt dagegen nichts anderes mehr übrig als für die Deckung laufender Ausgaben die Notenpresse anzuwerfen, ohne dass es für diesen Geldmengen-Erhöhung einen Gegenwert in der Realwirtschaft gäbe. Wenn man dann immer noch nicht die Einnahmen/Ausgaben des Staates auf eine solide stellt, wirkt das Gelddrucken wie crack: Man braucht eine immer noch höhere Geldmengensteigerung, um das Haushaltsdefizit zu finanzieren.
Es erstaunt mich, dass du den Begriff Stagflation vermeidest. Wie in den 70ern haben wir einen externen Schock der Rohstoffpreise, daraus stark anziehende Verbraucherpreise während die Wirtschaft stagniert. Einzig – und das beunruhigt mich etwas – die Arbeitslosenzahlen sind bisher relativ stabil. Das könnte daran liegen, dass der Beschäftigungsrückgang während der Coronakrise noch nachwirkt, aber verlassen kann man sich darauf nicht.
Nach dem langen Nachkriegsboom in westlichen Industrieländern war in den 70ern Stagnation der Wirtschaft ein wiederentdecktes Phänomen. Stagflation war damals auch deshalb ein Thema, weil es der damaligen Mehrheitsmeinung, man könne jederzeit mit Inflation Wachstum herauskitzeln, widersprach.
Unsere Inflation sinkt ja auch wieder. Sie wäre dann ein eher flüchtiges, transitorisches Phänomen. Das war in den 70ern anders.
https://www.laenderdaten.info/Amerika/USA/inflationsraten.php
naja, die argumentation ist doch recht klar: inflation ist externer schock, der sich wieder abflauen wird. das war bei stagflation nicht so.
Stichwort Ölkrise….
Wegen des externen schocks, vermute ich. ja, sicher, das war ein auslöser. aber es war nicht das einzige problem der epoche, soweit ich richtig informiert bin. mir erschien die stagflation jedenfalls wegen ihrer langen dauer und institutionellen verankerung kein passender vergleich.
heute habe ich meinen kritischen Tag.
So einfach ist es vielleicht doch nicht.
Siehe hier Abschnitt „Die weltweite Inflation der 70er und 80er Jahre“
https://www.bundesbank.de/de/aufgaben/themen/inflation-lehren-aus-der-geschichte-614516
Mehrere Gründe:
– Niedrigzinspolitik der FED seit Mitte 60er wg Vietnam-Krieg. Deutschland folgte in Bretton Woods der USA, wechselte aber früher als USA in 1. Ölkrise 73 zu restriktiver Geldpolitik
– Ölkrisen 1973/74, 1979/80
– Aufgrund steigender Inflationserwartungen und hoher Lohnforderungen der Gewerkschaften führten die einzelnen Schocks zu einer anhaltenden Inflation -> Beharrungsinflation
– Glaube Regierungen durch expansive Geldpolitik Beschäftigungsziele zu erreichen. Stichwort https://de.wikipedia.org/wiki/Phillips-Kurve
Empirisch war es eben nicht so, dass man mit Inflation Beschäftigung kaufen konnte.
Abschnitt „Lehren aus der Geschichte“ auch absolut empfehlenswert.
Neoliberalismus schien aus Perspektive der 70er/80er plausibel. Man kannte damals die Nachteile nicht und die Welt war sowieso anders.
gerade das beharren starker gewerkschaften fehlt doch aber vollständig!
Heute. Aber mein Posting bezieht sich ja auf die 70er/80er Jahre. Da waren die noch kämpferischer unterwegs. Helmut Schmidt hatte am Ende seiner Kanzlerschaft Dauerstreit mit bestimmten Gewerkschaften.
So geht’s auch:
https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/verbraucherschuetzer-melden-neuen-rekord-von-versteckten-preiserhoehungen-a-64a4553f-2b0a-4ea5-8730-a985242ac4be
Nicht unbedingt nett, aber bei Lebensmitteln war es im letzten Jahr ja so, dass die Inflation der Einzelhandelspreise deutlich unter der Inflation der Großhandelspreise lag.
In Jung und Naiv Folge 640 war ja die Ökonomin Isabella Weber, die afaik im Kontext der Gier-Inflation ein wichtiges Paper geschrieben hat. Und die äußert sich vorsichtig.
Luxus Autos wurden übrigens 2022 wegen den Problemen in den Handelsketten zu Listenpreisen gekauft. Normalerweise werden da viele Rabatte eingeräumt. Da die Produktion stockte, war der Markt aber anbieterseitig leer gefegt. Deshalb machten die Autoproduzenten Rekordgewinne. Aber ist das Gier?
Off Topic, aber weil es hier schon Thema war:
Die sehr nüchterne und ernüchternde finale Bilanz zum Rammstein-„Skandal“ nach der Einstellung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen ausgerechnet in der taz
https://taz.de/Ermittlungen-gegen-Rammstein-Saenger/!5953339/
Gruss,
Thorsten Haupts
Ich hab in einem kommenden Vermischten auch schon ein paar Sachen verlinkt, aber danke!!