Reiche Linke spalten mit ihrem falschen Sparkurs den Rechtsstaat der Pragmatiker – Vermischtes 22.08.2023

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) „Reiche Menschen unterschätzen, wie gut es ihnen geht“ (Interview mit Marius Busemeyer)

Eine repräsentative Studie zeigt, dass viele Menschen, einschließlich reicher, sich fälschlicherweise der Mittelschicht zugehörig fühlen, was zu einer verzerrten Wahrnehmung der sozialen Schichtung führt. Sowohl Reiche als auch Geringverdiener unterschätzen die tatsächliche Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen. Gutverdienende vergleichen sich oft mit Wohlhabenderen und fühlen sich weniger wohlhabend, während Geringverdiener sich mit ähnlich Gestellten vergleichen und ihre eigene finanzielle Situation überschätzen. Diese Fehleinschätzungen haben Auswirkungen auf politische Einstellungen, da Menschen gegen ihre eigenen Interessen wählen können. Die Studie betont die Notwendigkeit offener Diskussionen über Ungleichheit und finanzielle Themen, um das Bewusstsein zu schärfen und realistische Wahrnehmungen zu fördern. Die Politik wird aufgefordert, Maßnahmen zur sozialen Gerechtigkeit zu ergreifen und den sozialen Aufstieg zu fördern. (David Gutensohn, ZEIT)

Ich habe diese Beobachtung selbst schon oft gemacht, sowohl im Bekannten- und Verwandtenkreis also auch an mir selbst: Man vergleicht sich grundsätzlich nach oben und möchte die eigene Identität auf eine solche Art konstruieren, wie sie als sozial wünschenswert wahrgenommen wird. Entsprechend wird sich niemand in einer Gesellschaft, deren Ideal immer noch die „nivellierte Mittelschicht“ ist, als Teil der Unterschicht betrachten wollen (das war, als das Arbeitermilieu noch existierte, durchaus anders). Genauso ist es in dieser Gesellschaft nicht mehr akzeptabel, reich zu sein. wir haben in den Kommentaren die geradezu aggressive Abwehr dieses Begriffes schon oft gesehen, wo sechsstellige Jahresgehälter quasi nur knapp über Hartz-IV zu liegen scheinen.

Ich kenne das auch aus dem Unterricht, wo mir immer wieder auffällt, dass die Schüler*innen keinerlei Bezug zu den Größen von Gehältern haben. Sie haben keine Vorstellung, was wenig, viel oder durchschnittlich ist und schätzen sowohl die Verteilung in der Gesellschaft als auch ihre eigenen Möglichkeiten häufig grotesk falsch ein. Während die eigene Einschätzung mit der Erfahrung erster Erwerbsarbeit üblicherweise zielgenauer wird, bleibt die grotesk falsche Einschätzung der gesellschaftlichen Verteilung erhalten.

Siehe zu dem Thema auch die unsägliche Elterngelddebatte.

2) Linksdraußen

Es deutet sich an, dass die Partei „Die Linke“ in eine mögliche Spaltung gerät. Amira Mohamed Ali hat angekündigt, nicht erneut für den Vorsitz der Bundestagsfraktion zu kandidieren, da sie mit der Ausgrenzung von Sahra Wagenknecht nicht einverstanden ist. Die Geschichte der Partei hatte verschiedene Phasen: Als PDS wurde die ehemalige SED in die Demokratie eingeführt, später trat die Linke dem neoliberalen Mainstream entgegen und hielt Angela Merkel an der Macht. Die Linke war jedoch in der Außenpolitik umstritten, insbesondere aufgrund ihres pro-russischen Standpunkts. Die russische Invasion in die Ukraine im Jahr 2022 hat die Partei moralisch geschwächt und orientierungslos gemacht. Die Abspaltung von Wagenknecht, die am pro-russischen Kurs festhält, spiegelt diese Uneinigkeit wider. Die Auswahl von Carola Rackete als Spitzenkandidatin für die Europawahl wird ebenfalls kritisiert, da sie als privilegiert wahrgenommen wird und nicht die ostdeutsche Landbevölkerung anspricht. Es bleibt abzuwarten, wie die Partei mit diesen Herausforderungen umgehen wird. (Bernd Ulrich, ZEIT)

In seinem Artikel Geheimoperation Parteineugründung geht Harald Dauber in der Telepolis sogar noch weiter als Ulrich. Er erklärt, dass die Parteineugründung rechtzeitig zur Europawahl und nach der Sommerpause bereits beschlossene Sache und ein offenes Geheimnis in der Partei sei. Ich bleibe bei diesen Geschichten unglaublich skeptisch. Wagenknecht ist für mich das ultimative Beispiel eines politischen Hundes, der bellt, aber nicht beißt. Ich halte sie für fundamental ungeeignet, Führungspositionen zu übernehmen und gehe davon aus, dass sie komplett uninteressiert an organisatorischer Arbeit ist. Das Debakel um #Aufstehen hat das eigentlich zu Genüge demonstriert. Davon abgesehen wäre mir diese Parteineugründung durchaus recht. Einerseits würde sie den Untergang der Linken besiegeln, die ihre Daseinsberechtigung völlig verspielt hat, andererseits würde sie mit Sicherheit der AfD schaden, besonders in den neuen Bundesländern. Ich habe jedenfalls lieber zwei populistische Parteien mit 10% als eine mit 20%, noch dazu, wenn diese sich untereinander nicht einig sind und um dasselbe Wählendensegment konkurrieren.

3) »Ich halte den Sparkurs grundsätzlich für falsch« (Interview mit Katharina Beck)

Die Grünen-Finanzpolitikerin Katharina Beck äußert in einem Interview mit dem „Spiegel“ Bedenken über den Sparkurs der deutschen Regierung. Sie betont, dass in Zeiten politischer Herausforderungen und globaler Konkurrenz die Ausgaben nicht weiter gekürzt werden sollten. Beck kritisiert die geplanten Mittelkürzungen für politische Bildung, ländlichen Raum und Freiwilligendienste sowie die fehlende Prioritätensetzung. Sie sieht den Sparkurs als ökonomisch falsch und fordert Investitionen in Demokratie, Wirtschaft, Klimaschutz und Zukunftstechnologien. Beck unterstützt einen Industriestrompreis, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Sie spricht sich auch für gezielte steuerliche Anreize im Rahmen des EU-Beihilferechts aus. Die Schuldenbremse sollte laut ihr für langfristig sinnvolle Investitionen überdacht werden. Sie fordert einen umfassenderen Ansatz für Wirtschaftsförderung und Klimaschutz. (Jonas Schaible, Spiegel)

Ich finde das Interview mit Beck sehr lesenswert, weil es so vernünftig und moderat gehalten ist. Innerhalb der Ampelkoalition markiert Beck sicherlich eine Linksaußenposition, aber es ist keine, die komplett unrealistisch oder radikal wäre. Sie ist aktuell nicht mehrheitsfähig, ist aber als Regierungspolitik grundsätzlich vorstellbar. In der Sache halte ich die vorgeschlagene Trennung von Ausgaben für sinnvoll. Die Schuldenbremse hat durchaus eine Daseinsberechtigung, wo es um Konsumausgaben geht. Ich habe noch nie für die Finanzierung sozialstaatlicher Leistungen aus höheren Staatsschulden plädiert und werde dies auch in Zukunft nicht tun. Da es sich hier um dauerhafte Leistungen handelt, macht nur eine stabile, gesicherte Finanzierung Sinn. Die Sache liegt aber bei Investitionen komplett anders. Hier ist die Schuldenbremse eine katastrophale Fehlentscheidung, die uns bereits seit vielen Jahren teuer zu stehen kommt und in Zukunft noch viel teurer zu stehen kommen wird. Mit der Konstruktion des sogenannten Sondervermögens ist ja hier aber bereits ein Pfad gelegt, der dieses Problem umgehen könnte.

4) Der Zerfall

Die Studie von „More in Common“ offenbart das gestiegene Ungerechtigkeitsempfinden in Deutschland. Die Gesellschaft spaltet sich in verschiedene Gruppen, von den „Involvierten“ bis zu den „Enttäuschten“. Etwa 80 % empfinden die Zustände im Land als ungerecht, und dieses Gefühl hat seit 2019 zugenommen. Misstrauen breitet sich aus – nicht nur horizontal zwischen Menschen, sondern auch vertikal gegenüber Politikern. Sorgen über Vereinzelung und egoistisches Verhalten werden verstärkt durch eine Wahrnehmungslücke zwischen Selbst- und Fremdbild. Die Studie mahnt, dass politische Alternativen und echte Weichenstellungen nötig sind, um das Vertrauen in die Demokratie wiederherzustellen. Während private Beziehungen noch Vertrauen genießen, sinkt das Vertrauen in politische Institutionen und Vertreter, was auf eine weitreichende Demokratiekrise hinweist. (Lenz Jacobsen/Mia Janzen, ZEIT)

Die Spaltung der Gesellschaft einerseits und das Misstrauen in sämtliche Institutionen andererseits sind absolut besorgniserregend. Ich halte allerdings die hier vorgeschlagenen Lösungen, die in der oft wiederholten Phrase von politischen Alternativen und klare Meinungsstreit bestehen, für wenig zielführend. Es scheint mir aus der Empirie her einfach nicht ableitbar. Die Forderung nach mehr Streit und klarere Abgrenzung begleitet uns durch einen Großteil der Merkel-Ära. Seit Beginn der Ampel-Koalition haben wir unzweifelhaft wesentlich mehr Streit und eine deutlich klarere Zuspitzung von Positionen. Die Entwicklung hat sich aber im Gleichschritt dramatisch verschlimmert.

Man kann es noch eine Spur deutlicher machen und einfach in die USA hinüber sehen: dort gibt es extrem klare Alternativen und Weichenstellungen, ohne dass dies dem Vertrauen oder der Einigkeit der Gesellschaft in irgendeiner Art und Weise zuträglich wäre. Ich habe natürlich auch keine Lösung für dieses Problem, und ich glaube auch nicht, dass es eine monokausale Erklärung dafür gibt.

5) Intervention zur unsäglichen Umdeutung des Rechtsstaatsbegriffs

In einem Repetitorium zum Strafprozessrecht wurde die fehlerhafte Verwendung des Rechtsstaatsbegriffs diskutiert. Eine Kommilitonin begründete weitreichende Ermittlungsbefugnisse der Behörden damit, dass Strafgesetze im Rechtsstaat durchgesetzt werden müssten. Dieser Beitrag zeigt, dass der Begriff des Rechtsstaats genau das Gegenteil bedeutet – nämlich eine Begrenzung staatlicher Befugnisse. Politiker wie der Justizminister setzen den Begriff falsch ein, um repressives Vorgehen zu rechtfertigen. Ein Rechtsstaat begrenzt staatliche Macht durch Gesetze und schützt vor Willkür. Diese Verwechslung gefährdet den eigentlichen Sinn des Rechtsstaats und kann zu Missverständnissen führen. Der Artikel betont die Bedeutung des korrekten Gebrauchs des Rechtsstaatsbegriffs, da er die Grundlage unserer demokratischen Ordnung bildet. Forderungen nach stärkerem Vorgehen sollten nicht im Namen des Rechtsstaats erfolgen. (Joel Sadek Bella, Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht)

Mir scheint diese unsägliche Umdeutung des Rechtsstaatsbegriffs schon länger zu existieren. Die Forderung, möglichst hart durchzugreifen, ist eine Grundforderung auf dem rechteren Teil des Spektrums seit jeher. Auch an der Rhetorik hat sich in meinen Augen wenig geändert. Ohne eine große Recherche durchführen zu wollen bin ich ziemlich zuversichtlich, dass man spätestens aus den 1990er Jahren genug Beispiele finden wird, in denen unter Rechtsstaatsrhetorik genau das verstanden wird.

Gleichzeitig ist dieser Missbrauch beziehungsweise die Umdeutung des Rechtsstaatsbegriffs zwar ein Leitmotiv auf der Rechten. Aber es ist ja nicht eben so, als wäre das die einzige Umdeutung von Begrifflichkeiten. Was auf der politischen Linken etwa gerne alles unter dem Schlagwort „Sozialstaat“ subsumiert wird, hat auch nur sehr eingeschränkt mit dem zu tun, was der Begriff grundgesetzlich gesehen eigentlich einmal beschrieben hat. So sehe ich daher politisch den Quatsch mit einem Zähne zeigenden Rechtsstaat und was der dummen Metaphern nicht noch mehr ist ablehne, so wenig kann ich darin eine grundsätzlich unzulässige politische Taktik erkennen.

Resterampe

a) Rechtliche Analyse, ob die AfD ein Anrecht hat, im ÖRR aufzutreten.

b) Als es noch Republicans mit Rückgrat gab.

c) Spannende Perspektive auf den IRA.

d) Zum Wall Street Journal (siehe letztes Vermischtes) siehe dieser Post.

e) Ich hatte vor einiger Zeit mal meine Vorausplanung an Posts gezeigt, wen es interessiert.

f) Nettes FAZ-Interview mit einem Taxifahrer.

g) So sehr ich Kubicki nicht leiden kann, manchmal hat er echt Stil.

{ 75 comments… add one }
  • Tim 22. August 2023, 10:01

    (1 – Reiche Menschen)

    Viele Menschen schätzen generell viele Wirtschaftsindikatoren in teilweise bizarrer Weise falsch ein. Nur wenige haben z.B. eine halbwegs zutreffende Vorstellung vom deutschen Bruttosozialprodukt. Auch einfache wirtschaftliche Zusammenhänge werden oft nicht verstanden, von mittelschweren ganz zu schweigen.

    Mitreden wollen trotzdem alle. Und wählen tun sie ja auch, man merkt es dann an der Politik.

    • Stefan Sasse 22. August 2023, 16:22

      wohl wahr, aber lässt sich kaum verhindern.

    • Johnson 22. August 2023, 19:38

      @1:

      I find it fascinating how many Germans are apparently convinced they live in a non-egalitarian society that is much closer to the US than it is to Scandinavia. Allow me to introduce some perspectives, in part based on my of course highly subjective and somewhat dated personal experiences:

      I can’t really comment on income and personal wealth distribution in Germany but when it comes to the “big ticket” items in daily life beyond income and personal wealth German society is imo more egalitarian than most other comparable nations and especially the Anglo-American hemisphere, i.e. the US, Canada, the UK, Australia etc. What I mean by that are health care, education (secondary and post-secondary), guaranteed old age security and participation in social activities such as organized sports (for kids) etc.
      1) Health care: World class health care is available to everyone in Germany independent of income and personal wealth. And while there may be tiers in that health care system (don’t know enough about the details of it), the bottom tier is still miles ahead of the top levels of health care in many other places in the world.
      2) Free secondary and post-secondary education: Need I say more?
      3) Guaranteed old age security: See point 2. No discussion necessary.
      4) Organized sports, summer camps, etc.: My understanding is that all this is heavily subsidized in Germany and available to everyone. Do yourself a favor and look up club fees for competitive levels in the US or Canada if you feel you’re being treated unfairly in Germany here.

      Summary: All this looks a lot more like Scandianvia than the US, or even Canada or Australia.

      @c):
      This post mainly shows how little Mr Suedekum seems to understand about industry and the economy in the US. Current and previous employer(s) of mine have generated direct and indirect employment in remote and economically disadvantaged regions in the US for decades: North Dakota, southern Pennsylvania, western Texas, Wyoming, southern Arkansas, Louisiana, Oklahoma, Alaska etc. And those were and are, at least in the case of direct employment, qualified and well paid jobs c/w extended health care insurance/benefits, education scholarships/grants and 401(k) contributions. Of course, that’s the evil oil and gas industry so it doesn’t really count. The industries Biden and the Democrats are much more interested in meanwhile created, via concentration on a few already urban and privileged areas, some of the most unaffordable living situations in the US.

      • derwaechter 22. August 2023, 21:15

        „Sowohl Reiche als auch Geringverdiener unterschätzen die tatsächliche Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen. “

        That means they underestimate inequality. In other words they think it is more egalitarian than it actually is.

      • Stefan Sasse 23. August 2023, 11:04

        1) Absolutely correct.

        c) Thanks.

  • Tim 22. August 2023, 10:07

    (3 – Sparkurs)

    Sparkurs? Hat sie ernsthaft „Sparkurs“ gesagt?

    Die Bundesregierung investiert seit Jahrzehnten zu wenig, das hat mit der aktuellen Situation nicht das Geringste zu tun. Grund dafür sind Figuren wie Katharina Beck (in allen relevanten Parteien), die für immer mehr Sozialausgaben kämpfen und letztlich Wählerbestechung betreiben.

    Solange Politiker wie Beck dermaßen großen Einfluss haben, wird Deutschland die Wende nicht schaffen.

  • Tim 22. August 2023, 10:20

    (4 – Der Zerfall)

    Die Spaltung der Gesellschaft einerseits und das Misstrauen in sämtliche Institutionen andererseits sind absolut besorgniserregend.

    Es gibt immer weniger „Gesellschaft“. Die staatlichen Institutionen gaukeln dieses Konstrukt zunehmend nur noch vor, vor allem in großen politischen Entitäten. Die größte Chance für gesellschaftlichen Zusammenhalt gibt es auf der lokalen Ebene, allenfalls noch im supra-lokalen Bereich. Gleichzeitig wollen Politiker (und ein Teil der Wähler) immer mehr Kompetenz auf höhere politische Ebenen verschieben. Das wird immer mehr Hass und Ablehnung produzieren.

  • Stefan Pietsch 22. August 2023, 10:29

    1) „Reiche Menschen unterschätzen, wie gut es ihnen geht“ (Interview mit Marius Busemeyer)

    Sowohl Reiche als auch Geringverdiener unterschätzen die tatsächliche Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen.

    Studien haben gezeigt, dass die Deutschen die hiesige Ungleichheit maßlos überschätzen. Sie meinen sich in einem sehr ungleichen Land wie in den USA, wo sie sich doch in einem sehr gleichen Land wie Skandinavien befinden.

    Weil die Deutschen ein solches Fehlempfinden haben, plädieren sie so stark für Umverteilung.
    https://www.econstor.eu/bitstream/10419/141367/1/852710518.pdf

    • CitizenK 22. August 2023, 16:53

      Für Deutschland kommen die meisten Studien zu einem anderen Ergebnis: Dass vor allem die Ungleichheit bei den Vermögen unterschätzt wird. Zum Beispiel:
      „Dabei wird Ungleichheit in der deutschen Bevölkerung vielfach falsch wahrgenommen: Sie wird zwar durchaus als Problem betrachtet; ihr Ausmaß wird aber in wichtigen Aspekten unterschätzt“.
      https://kops.uni-konstanz.de/entities/publication/29181fcf-b877-499f-9c77-ef1428245846

      • Stefan Pietsch 22. August 2023, 17:20

        Nochmal: das beruhte auf einer Umfrageschätzung. Sie verlinken das Gleiche wie Stefan. Ich schätze mich auch zur Mittelschicht, statistisch bin ich Oberschicht.

        Und das macht sich die Politik zunutze, erklärt die Besteuerung der Reichen und schwups, meint mich mit einem Auto und bescheidenem Vermögen.

        Vermögen: niemand zählt seine Anwartschaften aus Renten zum Vermögen und sieht wie Sie die Yachten. Nur macht das eben nicht die Vermögensungleichheit aus.

        • Stefan Sasse 22. August 2023, 17:32

          die vermögensungleichheit (die real existierende) besteht auch nicht aus rentenanwartschaften.

          • Stefan Pietsch 22. August 2023, 20:59

            Du wirfst alles durcheinander: Einkommensungleichheit, Vermögensungleichheit. Bei Deinem Artikel ging es um ersteres und auch bei jemanden wie Friedrich Merz streiten wir (nicht), ob er mit einem Millioneneinkommen zu Oberschicht gehört. Über seine Vermögensverhältnisse wissen wir nämlich wenig bis gar nichts.

            Halten wir das also durchaus fest: Die Deutschen überschätzen irrwitzig die realen Einkommensverhältnisse in Deutschland. Um den Tenor Deines Artikels aufzunehmen: Diese Fehleinschätzung beeinflusst negativ ihr Wahlverhalten, in dem sie zum Ausgleich zu stark Umverteilungsparteien wählen als als volkswirtschaftlich sinnvoll wäre.

            Kommen wir zur Vermögensungleichheit. Es wäre sinnvoll die Regel einzuführen, dass Kommentatoren (wie Du z.B.) erst die wichtigsten 2-3 Argumente des Opponenten wiederholen müssen, bevor sie selbst argumentieren.

            Denn ich bin vor kurzem ausführlich auf den Aspekt eingegangen. Du willst die Ungleichheit bekämpfen? Schön. Eins ist verboten: eine Vermögensteuer. Ich könnte jetzt 10 Gründe für dieses Argumentationsverbot anführen, aber die interessieren Dich ja ohnehin nicht.

            Könnte es sein, dass ich Dich jetzt schon völlig entwaffnet habe? Wahrscheinlich. Dann helfe ich Dir. Falls Du noch die Gründe für die Vermögensungleichheit in Deutschland parat hast, gehen wir sie durch:

            1. Möchtest Du mehr private Vorsorge (z.B. in Immobilien und Aktien) zulasten der gesetzlichen Rente? Aus irgendwelchen Gründen nehmen die Deutschen die Umlagerente nicht als Vermögenswert wahr, obwohl sie sich bei der Altersvorsorge anders als die Menschen in den USA oder Südeuropa wesentlich mehr auf den Staat als Bewahrer ihres Wohlstandes (sic!) im Alter verlassen.

            2. Möchtest Du die Mauer wiederhaben? Ein gewichtiger Faktor für die Ungleichheit sind die unterschiedlichen Besitzverhältnisse in Ost und West. Ein Einfamilienhaus in Dresden hat einen wesentlich niedrigeren Wert als das gleiche Haus in Hamburg oder Düsseldorf.

            3. Möchtest Du die Millionen Flüchtlinge, die seit 2012 ein Heim in Deutschland gefunden haben, wieder aus dem Land jagen? Die meisten Flüchtlinge kommen mit relativ wenig Vermögen. Damit verschärfen sie die statistische Ungleichheit.

            4. Bist Du dafür, die risikoscheue Jugend endlich vor die Tür zu setzen und ihrer Sicherheiten zu berauben, damit sie mal ihren Allerwertesten hochbekommen? Deutschlands junge Leute gründen wesentlich seltener ein eigenes Unternehmen als ihre Altersgenossen in den USA, GB oder auch Skandinavien. Erfolgreiche Unternehmensgründungen sind der wesentliche Treiber für überdurchschnittliche Vermögensbildung.

            Nun lieber Stefan, musst Du Dich entscheiden: Wer soll Dein Herzblatt sein? Und vergiss nicht: die Vermögensteuer ist bereits vergeben.

            • Stefan Sasse 23. August 2023, 11:12

              ok, dröseln wir auf, guter punkt.

              einkommen: gezahlte einkommen, auf die einkommenssteuer erhoben wird, sind ein nullproblem. deswegen finde ich auch diese diskussionen über einkommenssteuersätze so bescheuert. „reichensteuer“, my ass. echte reiche lachen doch da drüber und sind gar nicht betroffen. niemand wird reich, indem er ein einkommen mit arbeitsvertrag und sozialabgaben und so bezieht. das können wir direkt abhaken. ich habe schon oft dafür argumentiert, die steuerlevel deutlich anzuheben (spitzensteuersatz erst bei einigen 10k mehr als jetzt, etc.) und dafür alle einkommen einzubeziehen, nur als beispiel.

              vermögen: da fängst du direkt mit einer verzerrung an. die vermögenssteuer ist überhaupt nicht verboten, explizit nicht. sie wurde in ihrer FORM von 1997 verboten. aber das weißt du natürlich und framst es nur geschickt. entwaffnet bin ich keineswegs. du sprichst überhaupt nicht über erben; die erbschaftssteuer ist effektiv ein witz. jetzt kommt gleich das argument mit den familienunternehmen; ich kenne es, brauchst es nicht aufschreiben. ich stimme völlig zu, dass das geregelt werden muss, aber das ist ein technisches problem, kein grundsätzliches.

              1) ich sage es erneut, natürlich ist vorsorge „vermögen“, aber das ist ja kein relevanter betrag. gerade das sieht man an 401ks in den usa ja.

              2) auch hier: das ist nur für leute mit mehreren immobilien interessant. wie viel mein selbst genutztes haus auf dem papier wert ist, interessiert allenfalls meine erben und die steuerbehörden. für mich ist es wumpe. mein eigenes haus hat vermutlich seit unserem kauf um die 50% an wert zugelegt, inflation sei dank. Was bringt mir das? Nix.

              3) die polemische forderung des „aus dem land jagen“ ist mal wieder so ein blödsinn, dass ich gar nicht weiß, ob du diskutieren willst. die statistische ungleichheit lässt sich feiner bestimmen als mit dem kruden durchschnitt, den du hier als strohmann vorschiebst.

              4) genau, deswegen sind ja so viele jugendliche aus benachteiligten schichten in den usa auch so erfolgreich und nicht sprösslinge aus gutem haus.

              erneut, ist sie nicht.

              • Stefan Pietsch 23. August 2023, 15:39

                Gut, da kommen wir in eine seriöse Diskussion, freut mich.

                Echte Reiche lachen doch da [über den Spitzensteuersatz] und sind gar nicht betroffen. niemand wird reich, indem er ein einkommen mit Arbeitsvertrag und Sozialabgaben und so bezieht.

                Das ist falsch und richtig. Falsch ist, dass Reiche über die Reichensteuer lachen würden. Wir sprechen über die sogenannte Grenzbelastung – wie hoch wird die zusätzliche Million besteuert. Das ist gerade im Spitzenbereich stärker spürbar als im mittleren Bereich. Zudem markiert die Grenzbelastung bei sehr hohen Einkommen typischerweise auch die Durchschnittsbelastung.

                Ein Unternehmer zahlt auf seinen Gewinn, den er bezieht, 48% Ertragsteuern. Punkt. Da lässt sich auch wenig tricksen, wenn die BMW-Eigner eine Auszahlung auf den festgestellten Gewinn erhalten.

                Warum habe ich gesagt Eins ist verboten: eine Vermögensteuer.? Das war nicht verfassungsrechtlich gemeint, sondern zum Abschneiden der Debatte, die an der Stelle unergiebig wäre. Aus den pauschal 10 Gründen.

                Erben: Wie schon in mehreren Artikeln von mir aufgearbeitet, würde eine andere Erbschaftsteuer wenig bis nichts an der Vermögensverteilung ändern. Eine Auswertung der Deutschen Bundesbank (oder DIW?) hatte ergeben, dass Erbschaften bei mittleren Einkommen 34 Prozent zur Vermögensbildung beitragen, bei den oberen Vermögen jedoch nur so 25-30 Prozent. Eine Erbschaftsbesteuerung, die signifikant hier Einfluss ausüben wollte, müsste die Abgabe sehr einseitig gestalten, so dass sie Probleme mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes bekäme, bei dem es auch eine vertikale Betrachtung gibt.

                1) Der Betrag ist so relevant, dass Deutschland bei der Vermögensverteilung von einem sehr ungleichen Land zu einem durchschnittlichen Land herunterrutscht, werden die Anwartschaften mit in die Betrachtung gezogen.

                2) Dein Haus ist relevant für die gemessene Vermögensverteilung, mit der Du schließlich hantierst. Schließt Du das aus, haben wir keine Diskussionsgrundlage mehr.

                3) 2015 / 2016 hatte ich in den Debatten hier im Blog darauf hingewiesen, dass durch die massenhafte Zuwanderung von Flüchtlingen die Einkommens- und Vermögensungleichheit messbar zunehmen würde. Wenig überraschend ist es so gekommen. Die Antwort der Linken damals: Dann sei das so, aber natürlich müsse das in die Umverteilung einbezogen werden. Zugespitzt gesagt: Der Immobilien- und Aktienbesitzer muss eben sein Eigentum mit Flüchtlingen teilen, damit es mit der Gleichverteilung passt. Es gibt also nur zwei Strategien: die durch die Migration verursachte Verschärfung der Verteilung zu akzeptieren oder die Flüchtlinge außer Landes zu bringen. Die Polemik entsteht durch den Anspruch, das außer Ansatz zu lassen.

                4) Falsch. Deswegen sind andere Gesellschaften in den Schichten durchlässiger. Kennst Du hier einen Milliardär, der Studienabbrecher war? Nein. In den USA gibt es das häufiger.

                Wie gesagt, Vermögensteuer akzeptiere ich als Argument nicht. Elfter Grund: es ist nicht überliefert, dass die Vermögensteuer irgendwo die Vermögensverteilung signifikant beeinflusst hätte.

                • Stefan Sasse 23. August 2023, 18:54

                  Ich liebe dein vergiftetes Lob immer, das kannst du echt gut. 😉

                  Klar zahlst du eine fixe gewinnsteuer, aber du unterschlägst natürlich, dass das ausweisen des gewinns SEHR viel spielraum ermöglicht. je reicher und größer, umso mehr.

                  mir war nicht ersichtlich, dass „verboten“ hier „eine sinnlose debatte“ meint, und du kannst das natürlich wegdefinieren, aber ich bin mir nicht sicher, warum das in einer rein hypothetischen debatte seriös sein soll.

                  1) korrekt, aber das habe ich nie bezweifelt. meine argumentation ist, dass deutschland sicherlich gleicher als die usa ist, aber immer noch ein problem mit stark angestiegener ungleichheit hat.

                  2) ja, aber erneut, das bringt mir nix. das sind zahlenspiele im luftleeren raum.

                  3) ich verstehe nicht, wieso du als prämisse davon ausgehst, dass ich eine spezifische zahl als ultimative zielvorstellung habe. du bemerkst richtig, dass die durch reale entwicklungen verzerrt sind, und bestehst dann drauf, dass ich genau diese zahlen absolut setzen müsse.

                  4) wie eine bald erscheinende rezension zeigen wird, wird das phänomen studienabbrecher*innen maßlos überschätzt.

                  • Stefan Pietsch 23. August 2023, 20:07

                    Ich liebe dein vergiftetes Lob immer, das kannst du echt gut.

                    Überhaupt nicht vergiftet, ich liebe solche Debatten wo echte Argumente und Positionen ausgetauscht werden. Das war ein seltenes Kompliment und kein vergiftetes Lob.

                    Klar zahlst du eine fixe Gewinnsteuer, aber du unterschlägst natürlich, dass das ausweisen des Gewinns SEHR viel Spielraum ermöglicht. je reicher und größer, umso mehr.

                    Hm, nein. Die meisten Menschen – zu denen Du offensichtlich auch zählst – haben viele Vorurteile und wenig Wissen über die Besteuerung von Kapitalgesellschaften.Nach 35 Jahren Berufspraxis ist meine Erfahrung, das Thema wird in der Breite der Wirtschaft völlig überschätzt. Wer seine betriebswirtschaftliche Kalkulation auf den Nachsteuergewinn anlegt, verlagert seine Gesellschaft in Niedrigsteuergebiete. Das deutsche Problem: Das sind inzwischen die meisten OECD-Staaten aus deutscher Sicht.

                    Ansonsten bringt eine solche Policy nur bedingt etwas. Kapitalmarktnahe Gesellschaften werden von institutionellen Anlegern – diese sind hauptverantwortlich für die Kapitalausstattung großer Konzerne – nach dem operativen Ergebnis (sogenannte EBITDA) gemessen. Das ist das Ergebnis vor Abschreibungen, Zinsen und Steuern.

                    Für Unternehmen im Besitz von großen Kapitalsammelstellen (z.B. BlackRock) ist nicht der steuerliche Sitz der der Kapitalbeteiligung relevant, sondern der Sitz ihrer Anleger. Wegen der international üblichen Verfahren der Abgeltungsteuern fällt das Gros der Kapitalbesteuerung ohnehin im Wohnsitzland des Anlegers statt.

                    Die meisten Steuersparmöglichkeiten für normale Kapitalgesellschaften beziehen sich ohnehin auf Gewinnverlagerungen auf der Zeitschiene. Und sie werden dauerhaft lückenlos geprüft.

                    mir war nicht ersichtlich, dass „verboten“ hier „eine sinnlose debatte“ meint

                    Wie gesagt, 10 +1 Grund. Mir macht es definitiv keinen Spaß, über absolut theoretische Konstruktionen ohne Realitätsbezug zu diskutieren. Abgesehen davon, dass eine Vermögensteuer aller Voraussicht nach nichts (!) an dem hier debattierten Sachverhalt der Vermögensverteilung ändern würde, gibt es weder erkennbare politische Mehrheiten für die Wiederaktivierung (für die der Staat umfangreiche gesetzgeberische Vorarbeiten leisten müsste) noch die Unterstützung der nicht unbedeutenden Finanzverwaltung bei dem Thema. Außer ein paar Linken will niemand diese Steuer.

                    ad 1) Die Ungleichheit hat in der letzten Dekade nur (!) aufgrund der Migration zugenommen, welche den nivellierenden Effekt aufgrund der gestiegenen Erwerbstätigkeit nivelliert hat. Hier hast Du den entscheidenden Trigger.

                    ad 2) Die Zahlenspiele sind die Basis Deiner Argumentation. Wie denkst Du denn, wie die Vermögensungleichheit gemessen wird? In dem ein paar Wissenschaftler die Zahl der deutschen Yachten auf Mallorca zählt? Das Eigenheim ist immer Teil – ein sehr wichtiger (!) – der Vermögensmessung von DIW, Bundesbank und anderer Stellen. Du behauptest, das sei nicht relevant. Dann kommt Dir die Ungleichheit tatsächlich viel, viel größer vor als sie tatsächlich ist. Folglich ist für das Vermögen von Herrn X und Frau Y relevant, ob ihre Immobilie in München oder Rostock steht. Die Vermögensungleichheit wächst automatisch, wenn Frankfurt boomt und Dresden hinten runterfällt. Ist Dir der Effekt klar?

                    ad 3) Es würde schon helfen, wenn Du Dich zu dem Thema „Auswirkungen der Migration auf die Einkommens- und Vermögensverteilung“ klar und umfangreich positionieren würdest. Dann könnten wir ggf. das Thema abhaken und zukünftig aus den Debatten eliminieren. Denn es holt uns z.B. bei Debatten über die Kindergrundsicherung ein.

                    ad 4) Studienabbrecher im Staatsdienst bringen für die Vermögensverteilung gar nischt. Wir reden davon, dass eine Erhöhung der Selbständigenquote einen positiven Effekt auf die Vermögensverteilung hätte. Und darum geht es doch letztendlich, oder?

                    • Stefan Sasse 24. August 2023, 10:27

                      1) ich bezweifle das gar nicht, aber ich weiß auch nicht, woher dieses kaprizieren auf die letzte dekade herkommt…? ich habe diesen zeitraum nicht genannt oder gesetzt.

                      2) ja, selbstverständlich. ich glaube, wir reden über zwei unterschiedliche dinge. dir geht es um gesamtvermögen, mir geht es um exzeptionelle vermögen. dazu kommt, dass immobilienbesitz in deutschland nicht die regel ist.

                      3) wir können das gerne abhaken, das ist selbstverständlich ein wichtiger faktor.

                      4) studienabbrecher im staatsdienst…? und nix gegen selbstständige, ich sage ja immer wieder, dass der staat hier knüppel zwischen die beine wirft. aber der offensichtliche widerspruch von den usa als selbstständigenparadies und gleichzeitig wesentlich höherer und krasserer ungleichheit hast du nicht aufgelöst. die meisten selbstständigen sind zudem alles andere als wohlhabend und werden es auch nie sein; dir geht es ja bei dem thema nur um den kleinen kreis der unternehmensgründenden, deren unternehmen riesiges wachstumspotenzial haben, klassische startups also. handwerksbetriebe, friseurbetriebe etc. helfen da ja wenig.

                    • Stefan Pietsch 24. August 2023, 11:49

                      1) Nun, die Frage ist, welches Ziel verfolgst Du? Willst Du einfach nett über die Ungerechtigkeiten der Welt plauschen oder Dir ein Problem in seinem Umfange erarbeiten und darüber diskutieren? Mein Ziel ist immer das Zweite.

                      Wenn wir ein Problem analysieren wollen, müssen wir es in seinen Ursachen und Auswirkungen strukturieren. Die Struktur wird dabei bei der Analyse ersichtlich.

                      Die Einkommensverteilung erlebte in den vergangenen 30 Jahren drei Brüche. In der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre nahm sie deutlich zu. Diese Phase dauerte bis 2005. Als die Wirkung der Arbeitsmarktreformen einsetzte, stabilisierte sich der Gini bei knapp 0,3, was bis 2013 währte. Seitdem Deutschland jährlich in großer Zahl Flüchtlinge aufnimmt, wächst die Einkommensungleichheit wieder.

                      Die Vermögensungleichheit ist wie in allen Ländern eine stabile Angelegenheit. Dennoch verzeichnet sich in Deutschland erstaunlicherweise Brüche. 1990 stieg der Gini gravierend an, Ursache war die Zusammenführung der beiden deutschen Staaten, die auch statistisch erfolgte. Der zweite Bruch erfolgte in den Zehnerjahren. Lag der Koeffizient im Jahr 2000 noch bei 0,66, stieg er 2016 auf 0,816 an. In der Pandemie verzeichneten wir dann einen Rückgang, was ganz offensichtlich mit Bewertungsfragen zusammenhängt. Ein solchen gravierenden Anstieg verzeichnete kein anderes EU-Land, die meisten hatten sogar einen Rückgang der Ungleichheit oder stabile Verhältnisse. Selbst die USA legten bei der Ungleichheit nur von 0,8 auf 0,85 zu.
                      https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Verm%C3%B6gensverteilung

                      Es ist also sinnvoll sich auf die Zehnerjahre zu konzentrieren. Was ist da passiert und was unterscheidet da Deutschland von anderen Ländern? Die Antwort lautet: Die Migrationsbewegungen.

                      2) Mit „exzeptionellem“ Vermögen meinst Du wahrscheinlich besonders Reiche. Nun, erstens ragt da Deutschland eben nicht besonders heraus, wenn wir die Zahl der Millionäre und Milliardäre auf die Gesamtbevölkerung beziehen. Sie gehören dazu, auch wenn Du das anders sehen magst. Zum anderen haben diese ihr Vermögen durch ihr Unternehmen erworben. Die einzige Möglichkeit, dies deutlich zu reduzieren wäre, es ihnen wegzunehmen. Doch angesichts dessen, wie schlecht bis unfähig der Staat Unternehmen managen kann, musst Du Dich fragen, ob es nicht besser ist, hier die Ungleichheit hinzunehmen als den wirtschaftlichen Schaden, den eine Staatswirtschaft anrichtet. Letzter Punkt: Der Staat entscheidet maßgeblich über den Immobilienbesitz. Mit seiner Baulandpolitik, mit seinen Bauauflagen und mit seinen Steuern. Das wird doch auch in den Jahren der Ampel ganz offensichtlich. So verweigerte die linke Regierung in Berlin die Umwandlung des Parks Tempelhof in Bauland. Solch umfangreiche Baugrundstücke im Herzen der Hauptstadt hätten die Wohnungsnot und Bodenpreise verringern können. Die Politik entschied sich anders.

                      3) Okay, ist notiert.

                      4) Wiederholt: Ungleichheit verringert sich, wenn mehr Menschen Einkommen und Vermögen beziehen – so klein dies auch jeweils sein mag. Und: zu einem gewissen Prozentsatz wird aus kleinem Einkommen großes Einkommen, aus kleinem Vermögen großes Vermögen. Doch gar nicht anzufangen verschärft immer die Ungleichheit.

                      Wie jetzt bereits ausführlicher besprochen, setzt sich Vermögen aus einer Reihe von Komponenten zusammen: Historische Verhältnisse, Immobilienbesitz und Politik des Staates, Migration, Selbständigenquote und Bildungsstand. Das bedeutet aber auch, die eine Policy macht Gesellschaften nicht gleicher. Solches Vorgehen ist nicht lösungsorientiert. Grund 10 + 2, warum eine Debatte über die Vermögensteuer keinen Sinn macht. 😉

                • Thorsten Haupts 24. August 2023, 21:48

                  Das ist ja eine akademisch durchaus interessante Debatte, aber … Wenige kurze Anmerkungen dazu:

                  1) Will man wirklich an die Vermögen ran, die die Ungleichheit treiben, reden wir über Multimillionäre und Milliardäre, eine maximal vierstellige Anzahl von Menschen in Deutschland. Das ist gleichzeitig exakt die Schicht, die sich einer nationalen Vermögensvernichtungs-Besteuerung am leichtesten entziehen kann und wird. Ich täte es in dieser Situation, >90% der anderen Menschen ebenso, wären sie in der Situation.
                  2) Die komplette Debatte wird solange geführt, wie ich politisch zurückdenken kann. Mit bisher exakt zero praktischer Relevanz, vulgo Gesetzesänderungen. Daran wird auch der laufende Versuch nichts ändern, Stefan P oder mich zu „Reichen“ umzudefinieren, dafür ist der Versuch zu durchsichtig.

                  Das ist der Grund dafür, warum ich diese Debatte nicht mehr führe. Ich höre seit vielen Jahren kein neues Argment und ich sehe seit ebenso vielen Jahren die gesellschaftlichen Mehrheiten nicht, die man bräuchte, um an der Ungleichverteilung von Vermögen spürbar etwas zu ändern. Wenn es sie gäbe, siehe unter 1)

                  Gruss,
                  Thorsten Haupts

                  • Stefan Pietsch 25. August 2023, 00:37

                    1) Das ist so nicht ganz richtig. Der Gini misst sich ja auch der Kombination von Menge an Bürgern zu ihrem Anteil am Vermögen. Ein Milliardär, der für 0,1% der Bevölkerung steht und 2% des gesamten Vermögens auf sich vereint, ist kein relevanter Aspekt für die Verteilungswirkung. 10 Prozent, die als Millionäre und Milliardäre 90 Prozent des Vermögens auf sich vereinen, sind ein Problem.

                    Was heißt das? Wer die Vermögensverteilung in einer Gesellschaft breiter allokieren will, erzielt wenig Wirkung, wenn er ein paar hundert oder tausend Vermögende enteignet. Die Wirkung ist wesentlich größer, wenn es gelingt, die 40-50 Prozent unter den Top-Vermögen liegenden Bürger beim Vermögensaufbau zu unterstützen. Da bin ich ganz klar bei Erwin Gabriel.

                    Erstens glaube ich, dass den meisten Linken dieser statistische Effekt nicht klar ist. Was mit der wissenschaftlichen Bewertung übereinstimmt, dass gerade Grüne Probleme mit der Mathematik haben. Zweitens fehlt mir die Überzeugung, dass Linke tatsächlich etwas an der Vermögensverteilung ändern wollen. Zu deutlich und einseitig zielen sie auf den Neidkomplex.

                    Noch ein Aspekt, der den meisten nicht klar ist: Die unteren 10 – 20 Prozent einer Gesellschaft sind immer verschuldet. Das fließt zwar verschärfend in die Vermögensverteilung ein, weil es das untere Spektrum mit „negativen“ Vermögen erweitert. Allerdings ist immer ein Teil der Schuldner überschuldet. Sie können ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen. Die westlichen Gesellschaften haben für diese Fälle meistens Regeln geschaffen, die solchen Bürgern die Entschuldung erleichtern – auf Kosten der Vermögenden.

                    Das ist eine Form der Vermögensumverteilung. In Summe und auf die Lebensspanne gerechnet können sich die Überschuldeten mehr leisten als es ihrem Einkommen und ihrer Fähigkeit zum Sparen entspricht. Nur will das niemand in der Politik thematisieren, im Gegenteil, die Entschuldung wurde über die Jahrzehnte stetig erleichtert.

                    2) Die Sache ist ja, dass die Linken mit imaginären „Superreichen“ hantieren, die angeblich zu viel Reichtum auf sich vereinen würden. Doch zur Bekämpfung zielen sie dann nicht zufällig auf die breiten Vermögensschichten darunter, weil nur das dem Staat wirklich Steuereinnahmen verschafft.

                    So, ich hoffe ich konnte neue Aspekte beitragen. 😉

                    • Thorsten Haupts 25. August 2023, 11:16

                      Akademisch interessante ja 🙂 .

  • Martin 22. August 2023, 10:39

    Zu e) Hier interessiert mich ja schon seit langem Dein Zeitmanagment. Ich bin froh, wenn ich nach 20:30 Uhr noch eine Serienfolge schauen kann, bevor ich ins Bett gehe. Und da werden meine Frau und ich auch noch öfters von den Kindern unterbrochen.

    Und vorher ist der Tag mit Erwerbsarbeit, Haushalt, Kinder und Papierkram voll.

    • Stefan Sasse 22. August 2023, 16:26

      as vermischte sammle ich an, also wenn ich was lese, füge ich es in den beitrag ein. wenn der „voll“ ist, schreibe ich ihn üblicherweise. zeitlich mache ich das vor der arbeit, in pausen oder am WE. Jetzt gerade habe ich Urlaub, da geht einiges mehr.

      die rezensionen schreibe ich laufend, also immer wenn ich ein bisschen im buch weiter bin, mache ich mir notizen, meist formuliere ich es auch gleich aus. diese posts „wachsen“ also, und bei ca. 1500 Wörtern mache ich einen cut und öffne den nächsten post. das geht alles immer in kleinen stückchen und ist deswegen zeitökonomisch ganz gut verteilt unterzubringen.

  • Stefan Pietsch 22. August 2023, 10:46

    3) »Ich halte den Sparkurs grundsätzlich für falsch« (Interview mit Katharina Beck)

    Es gibt hierzu zwei grundsätzliche Anmerkungen.

    1. Die Schuldenbremse ist intelligent konstruiert. Derzeit darf sich der Staat nicht nur in Höhe von 16 Milliarden Euro zusätzlich verschulden. Er darf sogar in Notsituationen die Schuldenbremse ganz aussetzen. Das Sondervermögen Bundeswehr zeigt darüber hinaus, dass der Staat derzeit gar nicht die Fähigkeit besitzt, einen dreistelligen Milliardenbetrag sinnvoll innerhalb kurzer Zeit zu investieren. Dann führt mehr Geld aber nur zu mehr Verschwendung.

    2. Bisherige und aktuelle Debatten zeigen, dass die Gegner der Schuldenbremse keineswegs Investitionen im Sinn haben. Sie versuchen den Begriff so weit zu fassen, dass selbst alle möglichen Konsumausgaben als „Zukunftsinvestitionen“ zählen sollen. Die aktuellen Haushaltsdiskussionen sind Beleg, dass die Grünen die Aufhebung der Schuldenbremse wollen, um ihre sozialen Wohltaten finanzieren zu können.

    Auch die Vergangenheit hat gezeigt: Schulden werden in Deutschland überproportional zur Finanzierung von Konsum aufgenommen. So zeigen Studien, dass mehr als die Hälfte der Kredite für die Deutsche Einheit in den Konsum wie Arbeitslosengeld gewandert sind.

    Außerdem bieten die Gegner keine seriöse Langfristfinanzierung. Wenn, wie die Befürworter von mehr Staatsverschuldung behaupten, Investitionen finanziert werden sollen, die späteres Wachstum erzeugen, dann ließe sich daraus ein Business Case aufstellen mit klar ausgewiesenen und überprüfbaren Erträgen und Rückführungen.

    Nur: das funktioniert nicht. Auch Hannelore Kraft trat mit eben diesem Versprechen an. Nach zwei Legislaturperioden hatte NRW vor allem mehr Schulden. Auch die Flüchtlingskrise wurde hergenommen, den Profit der Zuwanderung zu betonen. Tatsächlich kamen hauptsächlich langfristige Belastungen der Gesellschaft und der sozialen Sicherungssysteme. Nur weniger Flüchtlinge sind in der Lage, der Gesellschaft einen echten Mehrwert zu bieten. Doch auch hier gilt: Bitte mehr von dem Falschen!

    So lange die Gegner der Schuldenbremse außer Theorien nichts anzubieten haben, sind solche Debatten einfach sinnlos.

    • Stefan Sasse 22. August 2023, 16:28

      ich sehe das problem durchaus, eine lösung habe ich zugegebenermaßen auch nicht.

      idealerweise würden wir aber konstanter investieren und nicht etwas dermaßen verrotten lassen, dass so ein „sondervermögen“ überhaupt notwendig ist. da schiebst du sehr bequem verantwortung ab. gleiches gilt ja für bahn, straßen oder bildungssystem auch: wenn du 30 jahre lang verrotten lässt, kann man das natürlich nicht auf einen schlag machen, aber das ist nicht die schuld der ausgabenbefürwortenden.

      • Erwin Gabriel 22. August 2023, 18:00

        @ Stefan Sasse 22. August 2023, 16:28

        idealerweise würden wir aber konstanter investieren und nicht etwas dermaßen verrotten lassen, dass so ein „sondervermögen“ überhaupt notwendig ist.

        Zustimmung. Das kommt halt davon, wenn man, statt sich um die anstehenden Aufgaben zu kümmern, dem Wählerstimmenkauf widmet.

        • CitizenK 23. August 2023, 07:29

          „Wählerstimmenkauf“

          Der „Souverän“ lässt sich nicht kaufen. Oder doch? Aber ist er dann noch der Souverän?

          • Stefan Pietsch 23. August 2023, 11:07

            Doch, natürlich.

            Wenn Sie einen Dienstleister beauftragen wollen, sind Sie der Souverän. Sie bestimmen Ausführung und Kosten/Nutzen. Manche Dienstleister versuchen, Ihnen Zusatzleistungen / Upgrades aufzuschwatzen, versehen mit dem Siegel „kostenlos“. Sie merken nicht, dass der Dienstleister bei der Vereinbarung sicherstellt, dass Sie langfristig gebunden sind, der Preis innerhalb der Laufzeit angehoben werden kann und Sie Daten liefern müssen.

            Kommt Ihnen bekannt vor? Mir auch…

          • Stefan Sasse 23. August 2023, 11:13

            das ist ein antidemokratischer dauerbrenner, der wenig belastbarkeit hat und empirisch auch nicht nachweisbar ist.

        • Stefan Sasse 23. August 2023, 11:03

          Boah, ich finde diese Formulierung vom „Wählendenstimmenkauf“ super problematisch. Einerseits spricht sie den leuten jede souveränität ab, andererseits ist sie herablassend gegenüber einer masse von menschen, von der man sich ostentativ als unkäuflich abhebt.

          • schejtan 23. August 2023, 12:30

            Zumal das seltsamerweise auch nur fuer sozialleistungen, aber nicht fuer steuersenkungen gilt.

          • Thorsten Haupts 23. August 2023, 13:05

            Stimmt beides, nur völlig irrelevant.

            Die einzig interessanten Fragen wären, ob
            a) der Effekt irgendwie belastbar ist – haben Parteien im Schnitt der letzten Wahlen zugelegt, die Sozialleistungen erhöhen oder ausweiten wollten oder das getan haben? Nach meiner Beobachtung eher nicht – aber das wird hier schwierig, weil sich dabei CDU und SPD die Lorbeeren des „getan“ seit langem geschwisterlich teilen, wir also de facto zwei sozialdemokratische Parteien haben, die Deutschlands Regierungen tragen.
            Und b) ob Parteien Sozialleistungen erhöhen oder ausweiten wollen, um Wähler anzuziehen und nicht, weil es in ihre ideologischen Schemata passt. Für mich nicht entscheidbar.

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • Stefan Sasse 23. August 2023, 18:41

              Ein Paradebeispiel ist die wahl 1971 in BaWü. Damals lieferten sich cdu und spd auf bundesebene einen überbietungswettbewerb, wer die großzügigere rentenreform raushaut (das berühmt-berüchtigte gesetz von 1972), um die wahl zu kaufen. die spd schickte damals sogar briefe an alle haushalte, in denen sie erklärte, was sie dolles gemacht hat. effekt: null.

              • Stefan Pietsch 23. August 2023, 20:09

                Warum 52 Jahre zurückblicken? Von den damaligen Wählern lebt doch kaum noch jemand. 2013 landete die CDU mit der Mütterrente einen großen Hit. Und 1998 entschied das Versprechen der Abschaffung des demographischen Faktors in der Rentenversicherung die Wahl.

                • Stefan Sasse 24. August 2023, 10:27

                  good point 1998, mit 2013 bin ich mir sehr unsicher.

                • Thorsten Haupts 24. August 2023, 13:23

                  Und 1998 entschied das Versprechen der Abschaffung des demographischen Faktors in der Rentenversicherung die Wahl …

                  Das ist einfach Quatsch. 1998 wollten die Deutschen eine abgewirtschaftete Regierung loswerden, im Grunde war es dafür ziemlich egal, was die Oppositionsparteien anboten.

                  Gruss,
                  Thorsten Haupts

                  • Stefan Pietsch 24. August 2023, 15:06

                    Solche Einwendungen erinnern mich immer an meine Kindheit mit dem Schachbrett. Beim Königsspiel verliert derjenige, der am wenigsten Züge vorausdenken kann. Sehr nützlich ist dabei Wissen über den Stil des Gegners.

                    Aus meiner Art der Kommentierung sollten Sie längst herausgelesen haben, dass ich meine Positionen immer auf Studien, Umfragen oder andere faktenbasierte Quellen stütze. Dennoch stürmen Sie tölpelhaft mit Ihrer Dame nach vorne geradewegs ins Schach, statt sich vorsichtig mit Ihrem Bauern heranzutasten: „Wie kommen Sie darauf?“ oder „Wie meinen Sie das?“

                    Die naive Sicht, die Wähler wollten einfach den Wechsel, hing ich auch lange an. Um genau zu sein bis zum 27. September 23:32 Uhr. Denn mitnichten gab es im Frühherbst 1998 eine echte Wechselstimmung, selbst Gerhard Schröder ging fest davon aus, die Macht nur über eine große Koalition erringen zu können. Die Grünen machten sich gar keine Hoffnungen. Es war die Stimmungslage, die mich in der Woche vor der Wahl noch von der FDP zur SPD umschwenken ließ.

                    Umso größer war meine Freude, als Gerhard Schröder einen fulminanten Wahlsieg einfuhr. Schon um 18 Uhr bei der Prognose war die Sache klar. Die Ernüchterung kam in der Nacht, als ich mir auf Teletext (ja, Internet war damals noch nicht so entwickelt) die Wahlanalysen durchlas. In keiner Wählergruppe siegte die SPD so klar vor der Union wie bei den über 55jährigen. Da gab es als einzige Gruppe einen völligen Schwenk von der Union, die bisher von den Älteren bevorzugt worden war, zur SPD. Bereits vier Jahre später schwang das Pendel schon ein ganzes Stück wieder zurück.

                    Nun kann man der Ansicht anhängen, gerade ältere Wähler seien damals besonders progressiv gestimmt gewesen. Kann man. Wahrscheinlich ist das nicht. Aber die SPD hatte versprochen, den von Norbert Blüm gerade ins Gesetzesblatt gehievten demographischen Faktor in der Berechnung der Rentenansprüche wieder ersatzlos zu tilgen. Keine andere Wählergruppe hat damals (und heute) von dieser Maßnahme so profitiert wie jene, die kurz vor der Rente standen oder es vorhatten.

                    Auch 1998 war die Ü50-Fraktion die wichtigste Wählergruppe. Ohne diesen Schwing wäre die SPD tatsächlich in der Großen Koalition gelandet, möglicherweise sogar in der Opposition geblieben.

                    So, haben Sie noch mehr Züge als Gefühlsduselei?

                    • Thorsten Haupts 24. August 2023, 16:20

                      Ihr verdammt einziger Beleg ist ne Plausibiltätsüberlegung wegen einer Wahlanalyse, die zeigte, dass über 50jährige stärker als andere zur Opposition wechselten? Ihnen ist schon klar, dass alle 9/11 Verschwörungstheorien im Kern auf „Plausibilitäts“argumenten beruhen, ja? Ich will dann doch stark hoffen, dass Sie beruflich bessere Argumente parat haben? Sonst werden Sie berechtigt als Schaumschläger eingestuft.

                      Nebenbemerkung: Ich finde Ihren Versuch, mir mit Arroganz zu kommen, echt niedlich. Weiter so 🙂 .

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                    • Stefan Pietsch 24. August 2023, 16:49

                      Das ist doch keine Plausibilitätsüberlegung. Wir können uns gerne die Wahlanalyse 1998 im Netz ziehen (habe ich mir gespart).

                      Das Thema ist: lässt sich der Souverän bestechen? Dazu war als Beispiel 1998 genannt. Argument: Das Versprechen, den demographischen Faktor abzuschaffen, hat ältere Wähler in großer Zahl von der Union zur SPD gezogen.

                      Das wäre Beweis für die These der Käuflichkeit. Sind Sie damit d’accor? Dann können Sie sich das andere sparen nebst persönlicher (und das war ziemlich persönlich) Beleidigung. Echte Konservative bleiben immer ein Stück ruhig und gesittet – selbst wenn sie Spitzen verteilen.

                    • Thorsten Haupts 24. August 2023, 21:35

                      Eine Wahlanalyse habe ich für Sie:

                      https://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/systeme/empsoz/team/ehemalige/Publikationen/schriften/Arbeitshefte/arbeitshefte2.pdf

                      Das ist doch keine Plausibilitätsüberlegung.

                      Tschuldigung, aber wenn Ihre gesamte Argumentation darauf aufbaut, dass Ü50 stärker zur damaligen Opposition gewandert sind (von mir nicht geprüft), als andere Altersgruppen und Sie dafür einen bestimmten Grund vermuten, dann ist das mangels näheren Wissens eine absolut reine Plausibilitätsüberlegung und nicht mehr.

                      Das wäre Beweis für die These der Käuflichkeit.

                      Mitnichten, bewiesen haben Sie exakt nichts. Ihre persönliche Plausibilitätserwägung als Beweis zu verkaufen ist allerdings chapeau-würdig.

                      … nebst persönlicher (und das war ziemlich persönlich) Beleidigung.

                      Schaun Sie bei Gelegenheit mal in den Spiegel. Wer austeilen kann, muss auch einstecken können.

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                    • Stefan Pietsch 25. August 2023, 01:12

                      Die Abschaffung des demographischen Faktors spielte durchaus im Wahlkampf 1998 eine prominente Rolle. Wenn wir also davon überzeugt sind, dass Themen eines Wahlkampfes einen Einfluss auf das spätere Ergebnis haben, bedürfte das Wahlverhalten der Ü50jährigen 1998 einer Erklärung (die man hätte untersuchen können).

                      Allerdings haben Sie, so viel Selbstkritik sollten Sie schon üben, eben nur eine Behauptung ohne jedes Indiz angeführt und die andere Position pauschal als Quatsch abgetan.

                      Die SPD hat bei der Bundestagswahl 1998 2,5 Millionen Stimmen dazugewonnen, wovon das Gros, 1,7 Millionen Stimmen, von der Union kamen. Das ist ein sehr klarer und in dieser Form nicht alltägliche Seitenwechsel.

                      Im Jahr zuvor, 1997 als der Spitzenkandidat noch nicht feststand, lag Schröder über sämtliche Altersgruppen gegenüber Kohl in Front. Dennoch zeichnete sich damals noch nicht der deutliche Wahlsieg ab.
                      https://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/systeme/empsoz/team/ehemalige/Publikationen/schriften/Arbeitshefte/arbeitshefte2.pdf

                      Bei der Bundestagswahl 2002 erreichte die Union bei den Ü60jährigen wieder die absolute Mehrheit, die SPD sackte auf 36% (nur Westdeutschland). Zwischenzeitlich hatte die SPD den demographischen Faktor bekanntlich wieder einführen müssen. Die Stimmenverluste der SPD resultierten hauptsächlich daraus, dass CDU-Wähler wieder zurück zu den Konservativen gingen.
                      https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb3/prof/POL/VRR/Dokumente/stoess_wahl_2002.pdf

                      Schaut man sich die Stimmenanteile der Wahlen 1990 – 1998 an, so ist zu konstatieren, dass die SPD bei der Schröder-Wahl nirgends so stark zugewann wie bei den Ü45jährigen – und die CDU verlor hier am deutlichsten.
                      https://www.bundestag.de/resource/blob/196094/42cab2f8bdd37be8a56fb43447a27df8/Kapitel_01_10_Stimmabgabe_nach_Alter_und_Geschlecht-data.pdf

                      Wenn es um Veränderung ging – warum reüssierte die SPD dann umso stärker, je näher die Wähler altersmäßig ans Rentenalter heranrutschten?

                  • Stefan Sasse 25. August 2023, 11:06

                    das ist eine fatale fehleinschätzung. ja, kohl war nicht eben beliebt 1998, aber er hätte die wahl durchaus gewinnen können. die spd hat einen guten wahlkampf gemacht und mit ihrem schwerpunkt eine koalition bauen können, die ihr den sieg brachte. das war, siehe 1994, nicht selbstverständlich.

                    • Stefan Pietsch 25. August 2023, 11:34

                      Ja. Nein.

                      Kohl war die meiste Zeit seiner Kanzlerschaft mäßig populär. Im SPIEGEL-Ranking bewegte er sich mit Ausnahme 1990/1991 immer im (unteren) Mittelfeld zwischen Platz 9 und 13 (meine Erinnerung). Tatsächlich aber hatte sich bereits 1992 / 1993 eine Müdigkeit am ewigen Kanzler eingeschlichen. Wäre der Kandidat Björn Engholm (hallo Herr Habeck!) nicht so implodiert und hätten die Sozialdemokraten mit Rudolf Scharping nicht einen so schwachen Kandidaten – noch dazu einen politischen Klon des unpopulären Amtsinhabers – aufgestellt, wäre die schwarz-gelbe Koalition bereits 1994 abgelöst worden. Vier Jahre später hatte Kohl schlicht keine Chance mehr, zumal das Land unter anhaltender Wirtschaftsschwäche litt. Der einzige, der das nicht sah, war Helmut Kohl.

                    • Stefan Sasse 25. August 2023, 11:58

                      unterschätze niemals die fähigkeit der linken zur selbstsabotage!

              • Dennis 23. August 2023, 21:53

                Die Wahl in Ba-Wü war ’72 (war immerhin meine erste Wahl als Wähler^), im selben Jahr wie die Bu-Wahl, wobei letztere (außerplanmäßig) zum Zeitpunkt der Landtagswahl noch nicht anberaumt war. Die Union hatte die Landtagswahl abgewartet, um in Bonn den Antrag auf „konstruktives Mißtrauensvotum“, was dann den Stein ins Rollen brachte, zu stellen. Letzteres kam am Montag nach dem Wahlsonntag in Ba-Wü. An eine etwaige Bu-Wahl im Spätherbst dachten die Unionisten allerdings zunächst nicht^^.

                Aber egal, jedenfalls ist ganz richtig, dass die Rentengeschichten wahlkampfmäßig unbedeutend waren. Es waren ja noch die fetten Jahre (in der Endphase, das wußte man aber noch nicht^) und draufsatteln war eh klar und wurde als selbstverständlich erwartet und die rentenmäßigen Draufsattel-Gesetze 71/72 wurden zuvörderst von der Union „angeregt“. Die hatten damals noch mit Hans Katzer (Mitglied der ötv) und anderen (der Blüm wurde ca. ab ’72 allmählich präsent) einen nicht unbedeutenden Gewerkschaftsflügel.

                Inwieweit rein pekuniäre Themen wahlmäßig eine Rolle spielen, hängt natürlich an den jeweiligen Begleitumständen. Anno ’57 war das mit der Rente für den Adenauer schon ein fettes Ding.

                • Stefan Sasse 24. August 2023, 10:28

                  ja, aber das war ja ein kompletter systemwechsel. das finde ich schwer unter „bestechung“ abzuheften.

  • Tim 22. August 2023, 10:52

    (a – AfD im ÖRR)

    Präsenzansprüche können nur von „Sachwaltenden des Allgemeininteresses“ erhoben werden.

    Und die sind ja schließlich, wie der Artikel fein säuberlich vermerkt, in den Kontrollgremien gesetzlich definiert. Wer noch ein unschlagbares Argument braucht, warum das Etikett „Staatsfunk“ zutreffend ist – hier ist es.

  • Stefan Pietsch 22. August 2023, 10:58

    5) Intervention zur unsäglichen Umdeutung des Rechtsstaatsbegriffs

    Das ist so etwas an der Sachlage vorbei. Der Staat verzichtet gerade oft auf den Strafanspruch. Und bei den Strafen liegt Deutschland im unteren Bereich der internationalen Strafen. Das vergessen Linke nur bei einem relativ harmlosen Bereich wie Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr.

    a) Rechtliche Analyse, ob die AfD ein Anrecht hat, im ÖRR aufzutreten.

    Ein sehr linker Journalist des ÖRR äußert sich da. Das kann nur als Witz durchgehen. Wäre noch die Frage zu klären, warum demokratisch gewählte Politiker systematisch nicht einzuladen sind, sehr wohl aber systematisch Kriminelle wie die Vertreter der Letzten Generation.

    • Stefan Sasse 22. August 2023, 16:29

      a) ich hab schon oft gesagt dass ich diese forderung überhaupt nicht teile. genausowenig wie deine radikalisierte sprache.

    • cimourdain 23. August 2023, 12:43

      „Und bei den Strafen liegt Deutschland im unteren Bereich der internationalen Strafen.“ haben Sie dazu mal einen europäischen Vergleich, ich habe (auf die Schnelle) nichts gefunden ? (Todesstrafen-Staaten wie Iran oder Russland sind hoffentlich für uns beide kein Vergleichsmaßstab)

      • Stefan Pietsch 23. August 2023, 13:38

        Ich habe keine Studie zur Hand, die gibt es natürlich. Ich kenne aber von ein paar Ländern den Strafrahmen in ausgewählten Bereichen und das liegt immer über den deutschen Verhältnissen (Mord, Vergewaltigung, Raub, Betrug). Es versteht sich selbstredend, dass ich nur rechtsstaatliche Demokratien (die Türkei fällt hier raus) und Industriestaaten (OECD) als zulässigen Vergleichsmaßstab akzeptiere. Ich hoffe das nicht immer betonen zu müssen.

        Wenn es Sie wirklich interessiert, können wir das vertiefen.

        • Stefan Sasse 23. August 2023, 18:42

          wenn du das tatsächlich nachforschst, schreib gerne was dazu, fände es auch spannend!

        • cimourdain 24. August 2023, 16:09

          Wenn Sie dazu was machen wollen, gerne und interessant.

          • Stefan Pietsch 24. August 2023, 16:51

            Wollen ist nicht der Punkt, schließlich steckt dahinter einiger Aufwand.

  • Masin Al-Dujaili 22. August 2023, 11:48

    Zu e)

    Ich habe die Intensivierung deines Outputs auch schon bemerkt, aber muss auch feststellen, dass er mit einer Verschlechterung deiner Textqualität einhergeht. Du benutzt automatische Übersetzer für die Zitate, was mir dann teilweise sehr komisch klingt, du lässt KI Artikelzusammenfassungen schreiben, die sich –für mich– unangenehm lesen, anstatt ein Zitat einzufügen und du scheinst deine Kommentare einer Spracherkennung zu diktieren, wo dann immer wieder Buchstaben fehlen, „Komma“ anstelle des Zeichens im Text steht, Wörter enthalten sind, die da nicht reingehören (im vorigen Vermischten ganz übel bei 4).

    Versteh das bitte nicht als Vorwurf, sondern als Beobachtung und als Wirkung auf mich. Ich lese ja selten die Kommentare, weswegen ich nicht weiß, ob das schon mal angesprochen wurde. Ich weiß auch nicht, ob deine anderen Artikel als die Vermischten unter ähnlichen Problemen des Speech-to-Text leiden, da ich zumindest die Rezensionen meist nur überfliege. Ich finde es nur schade, dass mein Lesevergnügen seit einiger Zeit so leidet, da ich deine Linksammlungen als wahre Highlights sehe. Nur deine leider viel zu seltenen Essays können mich ähnlich begeistern. Bei den Rezensionen hängt es stark vom Buch bzw. dessen Thema ab, ob ich sie lese.

    Ich sehe ja durchaus, dass du viel, viel Vorarbeit leisten musst, um die zahlreichen Texte zu lesen, die du dann im Vermischten verarbeitest, insofern will ich nicht unfair sein, dir die Verwendung von Hilfsmitteln vorzuwerfen. Ich will nur erwähnen, dass sie der Qualität deines Outputs nicht gut tun.

    • Stefan Sasse 22. August 2023, 16:30

      ich weiß, dass die Ki-zusammenfassungen nicht so der hit sind, aber ich musste von den zitaten weg, weil ich mir keine abmahnungen oder gar klagen wegen urheberrechtsverstößen leisten kann. ich hoffe, dass die qualität meiner kommentare wenigstens nicht zu sehr leidet.

  • Erwin Gabriel 22. August 2023, 13:30

    Zu 1)

    Da gibt es normale Menschen, die ihre finanzielle Situation zu gut einschätzen? Das ist ja die News des Tages. Ich dachte immer, dass es nur Menschen gäbe, die sich fälschlicherweise für hübsch, für schlau, für besonders witzig oder charmant, für besonders leistungsfähige Mitarbeiter, für gute Chefs oder für über die Maßen gute Autofahrer halten.

    Wieder was gelernt.

    Und die Welt ist ungerecht, was immer das sein soll …

  • Erwin Gabriel 22. August 2023, 13:33

    Zu 3

    Wir haben einen Sparkurs? Wer kommt denn auf das schmale Brett?

    Wer unsere Staatsausgaben in irgendeine Relation setzt, wer unsere enormen Schulden sieht, wird sehen, dass dem nicht so ist.

    Mag sein, dass wir das Geld falsch ausgeben, aber „sparen“ tun wir definitiv nicht.

    • Thorsten Haupts 22. August 2023, 16:05

      Yup, der Begriff ist bewusste Irreführung und wird zu ausschliesslich demagogischen Zwecken eingesetzt. Typisch Rechtspopulisten … oh, wait …

  • Thorsten Haupts 22. August 2023, 14:33

    Zu 1)
    Nichtreiche Besserverdiener halten sich nicht – wie von Medienaktivisten gewünscht – für reich und das ist ein Zeichen dafür, dass Menschen ihre finanzielle Situation falsch einschätzen? Staun …

    Zu3)
    Die simple Tatsache, dass man „wir müssen mit etwas weniger neuen Schulden auskommen, als wir uns wünschen“, als „Sparkurs“ labeln kann, ohne kollektiv ausgelacht zu werden, spricht sehr dafür, dass wir tatsächlich kollektiv verblöden.

    Zu 4)
    Ich habe mich zu verschiedenen Zeiten in meinem Leben sehr mit vielen verschiedenen Menschen aus allen Milieus und Schichten Deutschlands ausgetauscht. Und dabei mindestens eine Gemeinsamkeit festgestellt – nahezu alle hielten bestimmte Dinge im Bezug auf ihre wertvolle Person für ungerecht. Und das schon seit 1980.

    Zu 5)
    Zu einem vollständigen Rechtsstaatsbegriff gehört NICHT, die Regeln des Rechtsstaates unparteiisch gegen jedermann auch durchzusetzen? Da hat eine unsägliche Umdeutung des Rechtsstaatsbegriffes tatsächlich erfolgreich stattgefunden! Im Kopf des verlinkten Kommentators. Wer Selbstjustiz wieder etablieren möchte, ist hiermit herzlich aufgefordert, die Regeldurchsetzung durch den Staat weiter zu delegitimieren. Viel Vergnügen mit dem vorhersagbaren Ergebnis.

    Zu g)
    Chapeau für Kubickis berechtigte Arroganz, die Antwort hätte von mir sein können und ich hätte sie auch gerne so geschrieben. Allerhöchste Zeit, dass sich angegriffene Politiker gegen kenntnislose, polemische, wenig überlegte, aber weitreichende, Beschuldigungen endlich wieder robust zur Wehr setzen. Aber ich fürchte, ausser Kubicki und maximal 2, 3 anderen kann das niemand mehr, vom dafür notwendigen, minimalen, Mut gar nicht erst zu reden.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 22. August 2023, 16:32

      g) der ist ja auch in der „who gives a fuck“-phase seiner karriere. effektiv mit halbem bein in rente, sicherer wahlkreis, da kannst sowas natürlich machen…aber ja, stimme dir zu.

  • cimourdain 22. August 2023, 15:08

    a) Beobachtung 1) Der Artikel ist von 2021 kurz vor der Wahl „aus aktuellem Anlass“. Beobachtung 2) Co-Autor ist Georg Restle, ein WDR-Journalist, der sich für einen ‚engagierten‘ Journalismus einsetzt.
    Beobachtung 3) Dieses Fahrwasser ist gefährlich. Ein solcher Ansatz kann – wenn es dazu kommt – auch von einem AfD-nahen Rundfunkrat gegen Grüne eingesetzt werden. Ich kann mich noch erinnern, dass dies in den 80ern seitens der CSU der Fall war.

    b) Ich bin mir nicht sicher, ob du es genauso positiv sehen würdest, wenn sich z.B. Kevin Kühnert so deutlich zum skandalbelasteten Bundeskanzler Olaf Scholz äußern würde…

    g) Für die Freunde des gepflegten Beef hier das vollständige Hin- und Her:
    Interview von W.K. beim Deutschlandfunk (nur Mitteilung):
    https://www.deutschlandfunk.de/kubicki-fdp-gibt-ard-und-zdf-mitschuld-an-afd-erfolgen-100.html
    Offener Brief von OgR Kiel an W.K.:
    https://omasgegenrechts-kiel.de/2023/08/04/
    W.K.s vollständige Antwort darauf und OgRs Antwort auf die Antwort (die auch ganz ordentlich „giftig“ ist):
    https://omasgegenrechts-kiel.de/wolfgang-kubickis-antwort/

  • cimourdain 22. August 2023, 15:35

    h) Eigenes Fundstück zum Unterschied zwischen „links“ und „woke“. Das Kernargument „Universalität“ ist in meinen Augen relevant.
    https://unherd.com/2023/03/the-true-left-is-not-woke/

    • Thorsten Haupts 22. August 2023, 16:28

      Kann man mal sehen, wie unterschiedlich man Artikel lesen kann 🙂 . Für mich sind die beiden Kernargumente:

      a) Keine ethnische (oder irgendeine andere) Identität bestimmt das Denken und Handel eines Menschen überwiegend oder vollständig. Auf dem Axiom, dass ethnische Identität alles andere unvermeidbar und für jeden Menschen überwölbt, beruht der Grossteil der irren woken Theorien

      b) Gradueller Fortschritt ist erreichbar und wurde schon erreicht! Als historisch Interessierten würden mich die vielen woken Stimmen, die keinen Unterschied zwischen dem 15. Jahrhundert und heute, zwischen Saudi-Arabien und Grossbritannien, sehen wollen, einfach wahnsinnig machen, wenn ich den Haufen nicht eh schon für eine Gruppe von gefährlichen Quartalsirren hielte.

      Gruss,
      Thorsten Haupts

  • cimourdain 23. August 2023, 13:39

    1) Nochmal und immer wieder : Einkommensmedian 2.000 € Netto, 90%-Quantil 3.700 € Netto. Hilft gut bei der Einordnung.

    2) Weil du Aufstehen erwähnst: Den Verein gibt es noch, habe erst vor kurzem deren Logo auf einem Demonstrationsbild gesehen. Sind wohl über „Volksfront von Judäa“ Niveau, sie haben immerhin 70.000 Follower bei FB (Vergleichsmaßstab „Letzte Generation“: 15.000 Follower).

    3) Das Problem ist immer wieder, dass der Staatshaushalt (Bund) ein Gesamthaushalt ist, da kann man nicht säuberlich sagen, dieser Euro geht in Investition und dieser geht in Konsum (im übrigen würde ich eine Subvention in Industriestrom in diese Kategorie einordnen).

    4) Schau dir die Studie selbst an und nicht die Lesart der ZEIT:
    https://www.moreincommon.de/krisengesellschaft/
    Deren Rezepte sind: Bindekräfte stärken, konstruktive(!) Streitfähigkeit, Vertrauen in Institutionen, Bürgerwirksamkeit, Debatte über Zukunftsperspektiven.

    5) Auch wenn Bella den Rechtsstaat gut gegen Polizei- und Obrigkeitsstaat abgrenzt, übersieht er einen wichtigen Aspekt: Rechtswirksamkeit für alle gleichermaßen. Da sind die populistischen Einmischungen von außen a) schädlich und täuschen b) über die Tatsache hinweg, dass Staatsanwaltschaften mit 5 Millionen Strafanzeigen / Jahr einfach heillos überlastet sind, was Verfahren verzögert.

    • Stefan Sasse 23. August 2023, 18:46

      1) jepp

      2) lol

      3) ja und jein, weil einmalig. ich habe für meine argumentation die konsumausgaben als die fixen betrachtet, die quasi als verpflichtung anfallen.

      4) thx

      5) good point

  • Dennis 23. August 2023, 23:24

    zu 1)

    Zunächst mal braucht’s klare Begriffsbestimmungen, die die Frage beantworten: Was ist unten, die Mitte und wo genau fängt eigentlich oben an? Und wie viele Schubladen gibt’s eigentlich? Warum drei (unten/Mitte/oben)? Warum nicht nur zwei, unten und oben? Binär genügt doch für Vergleiche. Multiple Aufteilungen mit zunehmender Verfeinerung der Betrachtung mit – sagen wir mal – zum Beispiel 423 Schubladen ist natürlich auch immer möglich, macht die Sache aber nicht einfacher. In jedem Fall aber ist die Sortierung zuvor zu definieren. Geschieht natürlich eher nicht, weil man dann nicht mehr so schön leer daherlabern kann.

    Ferner sind Vermögen und Einkommen trennen, aber auch wieder zusammenzuführen. Da empfiehlt sich kaufmännisches Bilanzieren. Aus dem eigenem Häusle beispielsweise wird ja Einkommen in Form von Mietersparnis bezogen (war früher bis anno ’86 übrigens mal einkommensteuerpflichtig: Nutzungswertbesteuerung für selbstgenutzte Wohnungen). Ferner sind Wirtschaftsgemeinschaften (Familien oder familienähnliche Verhältnisse) anders zu betrachten als Personen im Singlehaushalt. Verbindlichkeiten sind natürlich gegenzurechnen. Bei kleinen Kindern könnte man ne Rückstellung einsetzen bis die aus dem Gröbsten raus sind. Das kann leicht zu ner Unterbilanz führen^. Andererseits wieder Transfers über den Familienlastenausgleich selbstverständlich nicht vergessen. Weitere gefühlt 2.757 Kriterien, die alle nicht unwichtig sind, lasse ich mal weg. Es hängt also stark davon ab, nach welchen Regeln man bilanziert und was man alles raus- und reinpackt. Da ist vieles möglich, worüber man aber lieber nicht sprechen sollte, denn das behindert das Rosinenpicken in Abhängigkeit von der gewünschten Aussage. Politisch halt^. Reich rechnen oder arm rechnen muss man zunächst mal festlegen und dann kommt die Expertise.

    Ich persönlich hab mir in meinem mittlerweile schon ziemlich langen Leben eigentlich immer nur die Frage gestellt: Fühl ich mich wohl und besteht Anlass zur Zufriedenheit? Wenn ja, ist alles in Ordnung, unabhängig von der gesellschaftlichen Schublade. Wird vermutlich als unwissenschaftlich und zu primitiv gedacht verworfen. Gleichwohl kann man das existenzphilosophisch begründen^^: Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit

    2) Geheimsache Neue Partei

    Das Rumgeeiere im Vorfeld könnte einerseits eine Strategie des gezielten Sichinteressantmachens sein. Andererseits könnte man vermuten , dass Frau W. von einem etwaigen Erfolg dieser präsumtiven „Neuen Linken“ selbst gar nicht sonderlich überzeugt ist. Ich übrigens auch nicht. Auch diese Partei würde oder wird ein Schlachtfeld für mehr oder weniger Verrückte, Querdenker und ähnliche Leute werden und rasch den Weg der Piraten gehen, vermute ich mal.

    Die AfD speist sich hauptsächlich aus dem CDU- und FDP-Milieu. Namentlich die AfD-Zuwächse in der Ostzonenpampa korrespondieren primär mit CDU-Verlusten. Dass da ggf. wirklich viele nach stramm-links rüberwechseln, glaub ich eher nicht (im Westen schon mal sowieso nicht). Theoretisch zeigt die Kombination sozialpolitisch links, gesellschaftspolitisch rechts und das Ganze abgerundet mit ganz viel „Frieden“ zwar durchaus eine heftige Marktlücke an. Solche Marktlücken effektiv mit einer Partei zu füllen ist aber was anderes als deren Entdeckung.

    Die Marktlücke publizistisch zu füllen ist wenig schwierig. Dieses Geschäft beherrscht momentan Frau W. an führender Stelle. Nett Geld verdienen kann man damit so ganz nebenbei^ auch noch:

    https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/sahra-wagenknecht/nebentaetigkeiten

    Die ganze Chose parteipolitisch zu übersetzen ist indes ein ganz anderes Ding. Langweilig, um nicht zu sagen spießig, und furchtbar mühselig und riskantes Geldausgeben ist mindestens zunächst mal angesagt. Alles so Sachen, die Frau W. gar nicht liebt. Zunächst mal gibt’s dann zwar draußen im Lande ne Hype mit Talks ohne Ende, aber wie lange? Und Wagenknecht wird als Königin womöglich alsbald von „unten“, also von Neidern, in Frage gestellt.

    • Stefan Sasse 24. August 2023, 10:29

      2) ich glaube vor allem nicht daran, dass wagenknecht die fähigkeiten und den charakter hat.

  • CitizenK 24. August 2023, 09:16

    „Zunächst mal braucht’s klare Begriffsbestimmungen“

    Nicht so einfach. Nach den üblichen Kriterien (Durchschnitt, Median) gehöre ich zur unteren Mittelschicht. Der IW-Rechner (unter Berücksichtigung der Kinder) weist mich als (relativ, natürlich) arm aus.

    Die philosophische Lebensweisheit „Vergleichen als Quelle des Unglücklichseins“ kenne ich seit Kindertagen aus Poesiealben:
    „Genieße, was dir Gott beschieden,
    entbehre gern, was du nicht hast,
    Ein jeder Stand hat seinen Frieden,
    ein jeder Stand hat seine Last.“

    Das Himmelreich auf Erden werden wir nicht errichten, aber a weng gerechter könnt’s schon zugehen.

    • cimourdain 24. August 2023, 13:06

      Poesie gegen Poesiealben 😉

      Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
      Ich kenn auch die Herren Verfasser;
      Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
      Und predigten öffentlich Wasser.

      Ein neues Lied, ein besseres Lied,
      O Freunde, will ich euch dichten!
      Wir wollen hier auf Erden schon
      Das Himmelreich errichten.

      (Heinrich Heine: Deutschland, ein Wintermärchen Caput I)

      • CitizenK 24. August 2023, 16:29

        … und weiter im Text:

        Wir wollen auf Erden glücklich seyn,
        Und wollen nicht mehr darben;
        Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
        Was fleißige Hände erwarben.

        Das ging zwar in erster Linie gegen den Klerus, kommt mir aber auch bei gesellschaftspolitischen Debatten immer wieder in den Kopf.

    • Dennis 24. August 2023, 13:28

      Zitat Citizen:
      „aber a wenig gerechter könnt’s schon zugehen.“

      Klar doch, aber weltweit betrachtet schwimmt auch der hiesige Bürgergeld-Empfänger so richtig fett oben. Vergleichsmäßig nach unten gucken, was dann zur Folge haben könnte, ich hätte zu viel auf dem Teller, kommt natürlich eh nicht in Frage. Nach unten betrachtet ist meine Portion natürlich stets „sachlich“ gerechtfertigt^.

      Zitat:
      „Die philosophische Lebensweisheit „Vergleichen als Quelle des Unglücklichseins“ kenne ich seit Kindertagen aus Poesiealben“

      Stammt, soviel ich weiß, von Kierkegaard. Okay, den könnte der eine oder andere tatsächlich unter „Poesiealbum“ abbuchen ^.

      https://de.wikipedia.org/wiki/Søren_Kierkegaard

      • CitizenK 24. August 2023, 16:17

        Kierkegaard und Poesiealbum passt definitiv nicht. Das Sprüchlein stammt von Christian Fürchtegott Gellert. (Man beachte die soziale Kategorie „Stand“) – soziale Mobilität ist da nicht vorgesehen.

        „Vergleichsmäßig nach unten gucken“ tun wir Sozis ständig. Aber Burkina Faso und Nordkorea sind nicht der Vergleichs-Maßstab.

  • Thorsten Haupts 24. August 2023, 13:20

    Völlig unlyrisch – aber jeder Versuch auf der Erde, ein Himmelreich zu errichten, führt automatisch in die Hölle.

Leave a Comment

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.