Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) The Problem With Fox News Goes Way, Way Back
Die heutige US-Kabelnachrichtenbranche ist ein warnendes Beispiel dafür, was passiert, wenn Demokratie auf Konsumismus trifft. CNN, MSNBC und Fox News erzielten jahrelang Gewinne, während sie auf unterschiedliche Weise parteiische Zwietracht schürten. CNN setzte ab 2015 auf Donald Trump, dessen Präsidentschaft alle drei Sender unterstützte. Nun erlebt CNN eine Krise nach einem Besitzerwechsel und dem Abgang von Präsident Chris Licht. Fox News verstärkte nach der Wahl 2020 falsche Behauptungen über Wahlunregelmäßigkeiten und beglich eine Verleumdungsklage von Dominion Voting Systems über 700 Millionen Dollar. Mit dem Anstieg von Kabelfernsehabonnenten entfällt die Einnahmequelle der Kabelunternehmen für die Sender. Die Suche nach Geld gefährdet die Investition in tiefgründigen, faktischen Journalismus. Die Krise der Kabelnachrichten ist nicht neu. Bereits vor Gründung von Fox News oder CNN gab es Entscheidungen zur Medienentwicklung: Sollte die Regierung strikte Regulierung zur Förderung informierter Bürger verfolgen oder Kabel als profitgetriebene Industrie gestalten? Richard Nixon entschied sich für Letzteres. Die Medienlandschaft unterlag stets den Vorgaben der Regulierer. Nixon förderte Kabel, um Netzwerk-Nachrichten zu unterminieren. Sein Motiv war neben freiem Wettbewerb die Kontrolle seines Medienimages. Kabellobbyisten beeinflussten die Gesetzgebung wenig zugunsten der Gemeinschaftsbildung. Technologien wie C-SPAN und Fox News zeigten unterschiedliche Auswirkungen. C-SPAN ermöglichte Bürgern Einblick in die Politik, während Fox News auf Unterhaltung und Konservatismus setzte. Trotz Rückschlägen behält Fox eine zahlungskräftige Zuschauerschaft. C-SPAN hingegen steht durch sinkende Kabelfernsehabonnenten vor einer Krise. Die Geschichte der Kabelindustrie verdeutlicht die Folgen fehlender demokratischer Aufsicht über mächtige Medien. Gewinnstreben führte zu parteiischen Nachrichten und untergrub Bemühungen zur Bildung guter Bürger. Die Technologie und öffentliche Politik schufen die Medienumgebung und können sie auch zum Besseren verändern. (Kathrin Cramer Brownell, The Atlantic)
Letztlich präsentiert Brownell ein nicht uninteressantes „Was wäre wenn“. Tatsächlich wäre ja vorstellbar gewesen, eine wesentliche strengere Regulierung auf der Inhaltsebene bei den Fernsehsendern durchzubringen. Ich muss ehrlich sagen, der sich sehr unsicher bin, inwieweit das geholfen hätte. Die Abschaffung der sogenannten fairnes doctrine unter Reagan war die Grundvoraussetzung für den Aufstieg von Talk Radio und später FOX News, aber ich bin genuin im Unklaren darüber, ob die Abschaffung der Doktrin kausal oder nur korrelierend zu diesem Aufstieg ist, sprich, ob diese Polarisierung nicht ohnehin stattgefunden hätte, weil ein Weg gefunden worden wäre. Ich neige zwar zu nein, aber sicher bin ich mir darin nicht.
Was mir ebenfalls unklar ist, ist, inwieweit die mythische Vergangenheit der öffentlich-rechtlichen Sender tatsächlich jemals existiert hat. es wird gerne betont, wieviel höher die Qualität der Informationssendungen gewesen sei, aber ich bin bei solcher Nostalgie immer sehr skeptisch. Natürlich gibt es die eine oder andere beeindruckende Sendung mit Günter Gaus, aber auch heute produzieren die ÖRR immer wieder irgendwelche Perlen. Man erinnert sich nur an den ganzen anderen Mist normalerweise nicht.
Auffällig ist zuletzt, dass die Privatisierung des Fernsehens sowohl in den USA als auch hier in Deutschland von konservativen Regierungen betrieben wurde, die sich davon explizit einen politischen Vorteil erhofften, weil sie davon ausgingen, eine private Medienlandschaft besser zu ihrem Vorteil nutzen zu können als eine öffentlich-rechtliche. In Deutschland ging diese Rechnung überhaupt nicht auf, weil die Privaten hier völlig entpolitisiert sind. In den USA ist das Bild etwas gemischter, und es scheint, als ob wir mit über 20 Jahren Verspätung mit dem Aufstieg von MSNBC tatsächlich ein linkes kommerzielles Gegenstück zu FOX bekommen könnten. So oder so allerdings scheint mir der Aufstieg des Kabelfernsehens ein Nettoverlust zu sein.
2) Eine Frau mobbt andere Frauen? Warum sein kann, was nicht sein darf
Die Sängerin Lizzo, eine Ikone des modernen Feminismus und der Body-Positivity-Bewegung, wird von Ex-Tänzerinnen beschuldigt, sie gemobbt und diskriminiert zu haben. Lizzo weist die Vorwürfe zurück, doch die Klage weitet sich aus. Der Fall wirft Fragen zur Beziehung zwischen Frauen auf und thematisiert internalisierte weibliche Misogynie. Die Autorin betont, dass Frauen trotz Bemühungen um Gleichberechtigung ebenfalls Konkurrenz und Abwertung untereinander praktizieren können. Sie erklärt, dass Frauen in einer von männlicher Dominanz geprägten Gesellschaft gelernt haben, Männer ernster zu nehmen und andere Frauen abzuwerten. Sie betont die Bedeutung weiblicher Solidarität und plädiert dafür, die Bruchstellen dieser Solidarität anzuerkennen, um sie zu überwinden. Der Fall Lizzo zeigt, dass solche Verhaltensweisen möglicherweise vorhanden sind, auch wenn sie überraschend und empörend sind. Die Autorin betont, dass bewusste Auseinandersetzung mit diesen Mustern notwendig ist, um einen Wandel zu ermöglichen. (Susanne Beyer, Spiegel)
Ich verstehe diese Art von Artikeln einfach überhaupt nicht. Frauen sind keine besseren Menschen. Selbstverständlich können auch Sie diskriminieren, unterdrücken und andere schlimme Dinge tun. Daher ist die Überschrift von „nicht sein dürfen“ auch so fehl am Platz. Dieses Verhalten darf nicht sein, weil es schlecht ist und schädliches Verhalten ist, nicht, weil es irgendeiner Ideologie widersprechen würde. Was wir hier sehen ist eher der typische Effekt von Machtgefällen und Hierarchien. In diesen Kategorien muss das diskutiert werden. Natürlich gibt es Dimensionen in diesem Kontext, die spezifische Genderdynamiken aufweisen. Aber die schlechte Behandlung prekär beschäftigten Hilfspersonals gehört sicher nicht dazu, sondern ist universell.
3) The Looming Supreme Court Nullification Crisis
In seiner Antrittsrede 1963 erklärte der Gouverneur von Alabama, George Wallace, seine Entschlossenheit zur Aufrechterhaltung der Rassentrennung. Später versuchte er, den Zutritt von schwarzen Studenten zur Universität Alabama zu verhindern, was jedoch scheiterte. Trotzdem wurde Wallace beliebt und war mehrfach Gouverneur sowie Präsidentschaftskandidat. In jüngerer Zeit weigert sich der Staat Alabama, einem Gerichtsbeschluss zur Wahlkreisneugliederung zu folgen. Andere Staaten zeigen ebenfalls Widerstand gegen Supreme-Court-Entscheidungen. Die politische Einflussnahme auf das Gericht hat es verändert, und Widerstand kommt nun sowohl von links als auch von rechts. Dies könnte zu einer Konfrontation mit dem Präsidenten führen. Texas hat bereits Gerichtsentscheidungen ignoriert und konservative Staatsanwälte könnten künftig mehr Widerstand leisten. Dies könnte zu einem Machtverlust des Obersten Gerichtshofs führen. Die Geschichte zeigt ähnliche Fälle von Staatsunabhängigkeit. Die Spannungen könnten zunehmen, wenn der Oberste Gerichtshof unpopuläre Entscheidungen trifft. Es ist möglich, dass Präsidenten in der Zukunft auf Konfrontationskurs gehen. Die gegenwärtige politische Umgebung ermutigt solche Tendenzen. Staatsanwälte könnten sich mehr Widerstand entgegenstellen, um eigene Interessen zu schützen. Die Möglichkeit einer Konfrontation mit dem Gericht bleibt bestehen. (Garrett Epps, Washington Monthly)
Das Gespenst der Nullification geistert immer wieder durch den amerikanischen Diskurs. Es ist eine Doktrin, die von erbitterten Sklavenhaltern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entworfen wurde. Die Idee war, dass die Bundesstaaten das Recht hätten, Bundesgesetzgebung, mit der sie nicht übereinstimmten, für ihren Bundesstaat außer Kraft zu setzen („nullifizieren“). Diese Idee war letztlich eine Art Staatsstreich, dessen permanente Drohung eines der vielen Mittel war, mit denen die Rassisten des Südens das bestehende System trotz der unvorteilhaften Demographie und politischen Machtverhältnisse zu bewahren versuchten. Den Höhepunkt fand diese Idee mit der Sezession von South Carolina 1860. Der Ausgang des amerikanischen Bürgerkrieges beschloss die Frage der Rechtmäßigkeit von Nullification auch endgültig: genauso wie Sezession war sie verfassungswidrig.
Wenn also radikale Republicans heute wieder mit ihr drohen, drohen sie damit mit dem Bürgerkrieg, ohne dies laut auszusprechen. Es ist letztlich Code und sollte auch als solcher verstanden werden. Gleichzeitig haben diese Extremist*innen aber mittlerweile so viel Macht und Einfluss, dass es durchaus vorstellbar ist, dass sie sich an einer Neuauflage versuchen werden. Wie das dann ausgeht ist völlig offen: beim letzten Versuch, als George Wallace in Alabama versuchte, afroamerikanischen Studierenden den Zugang zur Universität zu verwehren, erzwangen Bundestruppen die Durchsetzung des geltenden Rechts und stand die Nationalgarde beiseite. Bei den aktuellen Spinnern in dieser Partei ist bei weitem nicht sicher, wie das bei einer Wiederholung laufen würde.
4) Germany Might Soon Have a Far-Left Version of the AfD
Die zunehmende Unterstützung für die rechtsextreme AfD und die mögliche Entstehung einer populistischen Bewegung um Sahra Wagenknecht von der Linkspartei werfen Bedenken über die deutsche Demokratie auf. Wagenknecht’s Mischung aus nationalem Konservatismus und Anti-Kapitalismus könnte unzufriedene Wähler ansprechen. Die Linkspartei hat jedoch interne Konflikte, hauptsächlich über ihre Haltung zu Migration und kulturellen Werten. Die AfD gewinnt in Ostdeutschland an Boden, indem sie anti-migrant, anti-LGBTQ+ und anti-EU/NATO Positionen vertritt. Beide Bewegungen nutzen Erinnerungslücken an autoritäre Regime, um ihre Botschaften zu verbreiten. Wenn Wagenknecht und die AfD um dieselben Wähler konkurrieren, könnten sie zusammen mehr als 30 Prozent der Stimmen erhalten und Deutschlands politische Landschaft destabilisieren. Die Verteidigung der Demokratie erfordert aktives Handeln, da ein zunehmendes Misstrauen gegenüber etablierten Parteien und autoritäre Stimmungen die deutsche politische Szene prägen. (Alexander Clarkson, World Politics Review)
Clarkson Hat hier den wichtigen Hinweis, das eine linkspopulistische Partei nicht nur der AfD und LINKEn Konkurrenz machen würde, sondern auch der SPD und den Grünen. Ich bin überzeugt, dass eine solche Parteigründung das Ende der LINKEn bedeuten würde. Es wäre allerdings tatsächlich nur wenig damit gewonnen, wenn wir zwei populistische Parteien hätten, die letztlich regierungsunfähig sind, aber genügend Stimmen auf sich vereinen, um letztlich Allparteienkoalitionen der etablierten Parteien zu erzwingen. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass die Schwäche der LINKEn den Linkspopulismus effektiv unbesetzt gelassen hat. Wer also stets argumentierte, dass das Gute an der AfD die offene Debatte und der politische Meinungsstreit sei und dass man sich politisch mit ihr und ihren Positionen auseinandersetzen müsse, müsste sich konsequenterweise auch auf diese Aussicht freuen. Irgendetwas sagte mir, dass die Weltwoche und Springerpresse (pars pro toto) das nicht zu sehen werden.
5) Germany is becoming expert at defeating itself
Wolfram Axthelm, Leiter des Bundesverbandes WindEnergie, kritisiert die übermäßige Bürokratie und die über 150 Genehmigungen, die von staatlichen Stellen wie der Autobahn GmbH für den Transport von Windturbinenkomponenten gefordert werden. Die frustrierende deutsche Bürokratie wird mit den Herausforderungen aus dem Film „Asterix erobert Rom“ verglichen. Die Folge sind Verzögerungen und Rückstände in Genehmigungsverfahren. Deutschland neige dazu, sich selbst zu behindern. Die Schuldenbremse, die die Bundesregierung daran hinderte, in Zeiten niedrigeer Zinsen von 2012-2019 zu investieren, hat zu überfüllten Straßen, schlechter Pünktlichkeit bei der Bahn und niedriger Breitbandpenetration geführt. Dies hat auch die Reaktion auf die COVID-19-Krise, den Verteidigungsaufbau und die Klimaziele beeinflusst. Deutsche Beamte handeln nicht immer falsch, aber politische Rücksichtnahmen und eine überbordende Bürokratie führen oft zu ineffizienten Entscheidungen. Trotzdem investiert die aktuelle Regierung unter Olaf Scholz in Energie, Transport und Informationstechnologie und plant, die Bürokratie zu reduzieren. Die Tendenz zur Selbstsabotage bleibt jedoch bestehen.(The Economist)
Dieser Grundsatz Artikel aus dem Economist hat in der letzten Zeit für viel Aufsehen gesorgt, weil er eine bewusste Hommage an den berühmten Titel über den „Sick Man of Europe“ von 1999 ist. Auffällig finde ich, wie alle Seiten die Teile des Artikels rezipieren, die in ihr jeweiliges ideologisches Weltbild passen, und den Rest ignorieren. Das passiert auf der Linken wie rechten Seite. Während die linken, eher keynesianischen Ökonom*innen gerne betonen, dass der Economist die Schuldenbremse kritisiert, höhere Investitionen fordert und für einen Wandel der deutschen Volkswirtschaft von ihrer übermäßigen Exportorientierung zu stärkerer Binnennachfrage argumentiert, betonen die rechten, eher ordnungspolitischen Ökonom*innen (wie etwa Alexander Dilger hier) die demografischen Probleme und die Belastung durch Transferzahlungen. Das war im Übrigen beim Artikel von 1999 auch schon der Fall, bei dem die deutsche Rezeption nur die Teile des Artikels besprach, die in den damaligen Reformdiskurs passten.
Resterampe
a) Englisch in Grundschulen ja oder nein? Ich habe keine Ahnung, aber wen’s interessiert, hier eine Zusammenfassung.
b) Ich poste hier ja öfter über Clarence Thomas, ich will euch das Gegenbeispiel nicht vorenthalten.
c) Spannender Thread zu Steuern und öffentlicher Meinung.
d) Spannender Artikel zu den strukturellen Problemen Chinas in zwei Teilen.
e) Wer sich für die Details der grünen Steuertaxonomie in der EU interessiert.
f) Es gibt jemand bei den Grünen, die versteht, wie Politik funktioniert! Streicht euch den Tag rot grün im Kalender an! Lasst die Sektkorken knallen! Kommt so schnell nicht wieder. Benedikt Becker sieht das übrigens anders.
g) Zumindest manche in der CDU nutzen die Opposition.
h) Die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen arm und reich in den USA und Großbritannien sind jenseits aller Absurdität.
i) Russia and China are reinvigorating global democracy. Let’s hope that’s right.
k) 2,2 Millionen Kinder sind armutsgefährdet. Ein Glück haben wir die Kindergrundsicherung gekürzt.
l) Einfach nur noch crazy.
(1 – Fox News)
So oder so allerdings scheint mir der Aufstieg des Kabelfernsehens ein Nettoverlust zu sein.
Die politischen Wirkungen des Fernsehens werden meist falsch eingeschätzt. Fernsehen ist vor allem ein Unterhaltungsmedien. Es lebt davon, dass man im Fernsehen Dinge als sehr einfach darstellen kann – dass sie also angenehm bequem konsumiert werden können. Schreib einen Text über Quantenmechanik und niemand wird es begreifen. Mach einen Film drüber und die Leute glauben, sie haben es kapiert (haben sie natürlich nicht wirklich :-).
Das führt dazu, dass populistische Inhalte es im Fernsehen tendeziell leichter haben – und zwar in alle politischen Richtungen. Fox News ist nicht deshalb erfolgreich, weil Fernsehen nicht irgendwie einen eingebauten conservative basis hat, sondern weil Fox News auf populistische Verkürzung setzt und das im Fernsehen besonders gut funktioniert.
Aus diesem Grund bin ich übrigens der Meinung, dass politische Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nichts zu suchen haben, wenn die Teilnehmer Politprofis sind.
Eben nicht in alle Richtungen.
Doch, klar.
(3 – Nullification)
Wenn also radikale Republicans heute wieder mit ihr drohen, drohen sie damit mit dem Bürgerkrieg, ohne dies laut auszusprechen.
Du unterschlägst elegant, dass seit Jahrzehnten ebenso radikale Personen (übrigens aus beiden Parteien) die USA stetig zu einem Bundesstaat machen, in dem die Bundesregierung auf Kosten der Einzelstaaten immer mehr Befugnisse und Geld bekommt. Gedacht waren die USA allerdings mal als Staatenbund mit einer durchaus potenten, aber sehr eingeschränkten Zentralregierung.
Die Gegenbewegung ist und war unvermeidlich. Für Dich als Europäer mag es völlig einleuchtend sein, dass die Zentralregierung alles erdrückt, für viele Amerikaner ist das aber eine Horrorvorstellung. Du nennst solche Leute sehr leichtfertig und abschätzig „Spinner“. Eine falsche und arrogante Deutung.
Ich nenne die LEute Spinner, die Bürgerkriegsfantasien hegen.
(5 – Economist)
Auffällig ist, dass der Economist massive Neuschulden jetzt wieder befürwortet, nachdem er im letzten Jahr den Eindruck erweckt hatte, zur Vernunft gekommen zu sein. 🙂
Die Zinserhöhungen und die erheblichen Finanzierungsschwierigkeiten vieler Staaten scheint er wieder vergessen zu haben. Die Ausgabenstruktur Deutschlands mit einem völlig aus dem Ruder gelaufenen Sozialstaat ebenso. Sie sprechen die Sozialausgaben ja durchaus an, scheinen aber zu glauben, dass sie eine gottgegebene Konstante sind.
Für mich völlig unbegreiflich, wie hart an der Realität geschulte Journalisten in einem derartigen Ausmaß an Schuldenmagie glauben können.
zu k)
Ich finde es immer wieder faszinierend wie einfach es sich die Politik macht: als wäre das Problem Kinderarmut mit der Kindergrundsicherung aus der Welt zu schaffen. Der Kampf gegen Kinderarmut (das zeigen uns erfolgreiche Maßnahmen aus den Niederlanden oder Dänemark ist eine querschnittliche Aufgabe und erfordert ein ineinandergreifendes Gesamtmaßnahmenpaket. Die finanzielle Kindergrundsicherung ist ein erster Schritt, aber weitere müssten folgen.
1. Den Arbeitsmarkt für Eltern umgestalten
2. Die pädagogische Kompetenz der Eltern fördern
3. Die soziale Infrastruktur für Familien mit Kindern verbessern – insb. Frühkindliche Bildung und Betreuung
4. Das Bildungssystem auf gezielte Förderung umstellen
5. Die rechtliche Stellung von Kindern sollte gestärkt werden
Details erspare ich mir, gerne hier nachlesen:
https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/kinderarmut-diese-sechs-massnahmen-muss-eine-neue-bundesregierung-beschliessen-a-1185499.html
Yes.
Sollte die Regierung strikte Regulierung zur Förderung informierter Bürger verfolgen oder Kabel als profitgetriebene Industrie gestalten?
Auf welcher Seite dieser Debatte ich stehe, ist ja hinreichend bekannt. Aber mir fällt auf, dass immer wieder gerade diejenigen, die sich auch hier im Blog mit besonderer Verve für das Modell der unregulierten profitgetriebenen, quotengeilen Sensationsmedien einsetzen, dieselben sind, die sich am lautstärksten über verantwortungslose Berichterstattung wie in den Fällen Aiwanger oder Lindemann beschweren. Ich meine, was ist denn meine Erwartung an Medien, deren einziger Sinn und Zweck das Geldverdienen ist und die auf die Neuigkeit stoßen, dass ein rechtsextremes Flugblatt des amtierenden bayrischen Vizeministerpräsidenten im KZ Dachau als Negativbeispiel für Deutschland ausliegt? Sollen die da “journalistische Ethik” zeigen? Wofür denn? Ethik kostet Geld, steht dem Profit im Weg. Wie so oft im Leben, kriegt man halt das, was man bestellt hat …
Nur kurz für die Faktenhygiene:
Es gibt keine unregulierten Medien. Nirgendwo.
das ist zugegeben nicht falsch.
Hört sich echt an, wie ein gutes Argument. Bis man realisiert, dass die Treiber der Aiwanger-Story die deutschen, liberalen „Qualitäts“medien sind. SZ und ZEIT. Und nicht RTL plus oder AchGut. Also die Medien, deren „Standard“ Sie behördlich überwacht für alle etabliert sehen wollen.
Was ich an dieser Affäre richtig gut finde, ist, wie sie die Bigotterie der „Qualitätsmedien“ offenlegt. Wir sind jetzt in der Debatte übrigens bei Hitlergrüssen eines Schülers der fünften bis siebten Klassen, also bei max. 12 Jahren, gelandet. Leider gibt es in diesem Blog keine Möglichkeit, meinen Ekel angemessen zu zeigen …
Gruss,
Thorsten Haupts
Also ich habe nie behauptet Medien wie SZ und Zeit zu wollen – beide privat und damit auf den zahlenden Kunden bzw. auf Werbeeinnahmen angewiesen. Wer allein zum Zwecke des wirtschaftlichen Profits agiert, wird notwendigerweise diesen wirtschaftlichen Profit priorisieren und nicht den ethischen Journalismus, den Du Dir im Zusammenhang mit der Aiwanger/Lindemann-Berichterstattung wünschst.
Ich – in fundamentalem Kontrast zu den profitgetriebenen Medien – wünsche mir öffentlich finanzierte, der Sachlichkeit und Inhalten verpflichtete Medien, die nach hohen journalistischen Standards arbeiten und ziehe als positives Beispiel die öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme ARD und ZDF vor Beginn der Neunziger Jahre heran, als die von uns allen finanzierten Sender – zumindest im Fernsehen – noch ein Monopol hatten und nicht gegen die private Konkurrenz – mit deren Mitteln – ankämpfen mussten.
Noch mal Faktenhygien:
ARD & ZDF müssen nicht gegen die private Konkurrenz mit deren Mitteln kämpfen. Sie tun es aus eigenem Entschluss.
Klar, sie können alternativ natürlich auch Selbstmord begehen. Das Publikum sammelt sich immer dort, wo das Niveau am niedrigsten ist. Würdest Du heute wieder das Kolosseum eröffnen und dort Verurteilte in aller Öffentlichkeit von wilden Tieren zerreißen lassen, würden die Menschen dorthin ebenfalls strömen und sich das Spektakel anschauen. Sie würden ihre Familien mitbringen. Sie würden beim Anblick der Sterbenden johlen, feiern, jubeln. Sie würden Bratwurst und Pommes dazu essen. Und anschließend gut gelaunt nach Hause gehen. Es gibt überhaupt keinen Grund anzunehmen, dass sich die Menschheit seit den Tagen des alten Rom irgendwie biologisch verändert hätte. Was damals funktionierte, funktionierte auch im Mittelalter (Hinrichtungen durch Folter waren auch damals frohe volksfestartige Spektakel) und würde selbstverständlich auch heute funktionieren.
Weil wir besser sein wollen als das, haben wir uns als Gesellschaft selbsteinschränkende Leitplanken gegeben: Kinderarbeit verboten. Sklaverei verboten. Todesstrafe verboten. Würde des Menschen mit Ewigkeitsanspruch ins Grundgesetz geschrieben.
Journalistische Ethik haben wir nicht ins Grundgesetz geschrieben. Der dauerlügenden BILD-Zeitung, deren Unehrlichkeit zur sprichwörtlichen Phrase geworden ist, haben wir einfach zugeschaut. Konnten wir uns auch leisten. Solange im Fernsehen, wo die überwiegende Zahl der Bürger ihre News bezogen, solide und anständig gearbeitet wurde. Die Minute, in der das private Fernsehen auf der Bühne erschien und Niveau, Ethik und Journalismus zerstörte, blieben den Öffentlich-Rechtlichen nur noch zwei Alternativen. An alten Grundsätzen und Qualität festhalten und in Ehre sterben. Oder im Kampf um Quoten und Zuschauer auf immer tieferes Niveau hinabzusteigen. Man hat sich offensichtlich für letzteres entschieden. Das Internet hat allem dann noch die Krone aufgesetzt.
Dein Menschenbild ist mir da zu negativ – natürlich gibt es eine voyeuristische Ader in vielen Menschen, aber ich würde zumindest unterstellen, dass wir inzwischen weiter sind und eben nicht den niedersten Instinkten fröhnen – man sieht das ja an den Einschaltquoten der Trash-Sendungen, die zwar ihr Publikum finden, aber eben doch eine Nischenerscheinung sind.
Was die journalistische Ethik angeht, ich finde es nicht nur ein Zeichen der Bild – der ökonomische Druck den die Medien ausgesetzt sind, erlaubt eben nicht mehr die Zeit für eine seriöse Recherche. Clickbaiting und die ungeprüfte Übernahme von Agenturmeldungen leisten sich auch zunehmend sogn. Qualitätsmedien. Auch die Lust daran erst jemanden zum Helden zu schreiben, nur um ihn noch stärker abzuservieren ist ein Trend der in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat.
Zwar soll der deutsche Presserat die gröbsten Schnitzer rügen, jedoch in Zeiten allgemeiner Niveauverflachung steigt hier eben auch die Schmerzgrenze und die Kapazitäten sind begrenzt.
In meinen Augen müssten hier Medien komplett neue Wege gehen – eine Lösungsmöglichkeit könnte der konstruktive Journalismus sein- vgl. https://de.ejo-online.eu/qualitaet-ethik/wie-der-konstruktive-journalismus-gegen-die-nachrichtenmuedigkeit-wirken-kann
Hier sehe ich insb. Potenzial beim ÖRR, da er eben nicht sofort ökonomischen Zwängen folgen muss, und es sich leisten könnte Testformate in dieser Richtung zu pushen.
Das Publikum sammelt sich immer dort, wo das Niveau am niedrigsten ist.
Das liegt daran, dass seit 2.500 Jahren alles den Bach runtergeht und die Jugend zu nichts mehr taugt.
😀 😀 😀
aber ich würde zumindest unterstellen, dass wir inzwischen weiter sind und eben nicht den niedersten Instinkten fröhnen – man sieht das ja an den Einschaltquoten der Trash-Sendungen, die zwar ihr Publikum finden, aber eben doch eine Nischenerscheinung sind.
Du sagst, wir sind “weiter”. Wir frönen nicht mehr den niedersten Instinkten. Aber warum ist das so? Hat sich das Genom der Menschen dahingehend geändert? Hat sich biologisch was verschoben? Vermutlich doch eher nicht. Wir werden einfach in einem anderen Umfeld erzogen, als die Menschen im alten Rom. Anders als Caesar und Tiberius wachsen wir in einem Milieu auf, das uns von Kindesbeinen an lehrt, dass es nicht in Ordnung ist, andere zu verletzen oder sich am Leid anderer zu belustigen. Dieses Milieu macht den Unterschied. Nur dieses Milieu. Alles andere ist gleich geblieben. Das bedeutet, dass wenn sich das Milieu wieder ändert, wir wieder ganz genauso sein werden, wie die Menschen im Mittelalter und im alten Rom. Bedauerlicher Newsflash: Privatfernsehen und Internet haben genau damit begonnen -> das Milieu zu verändern.
Das mit den Einschaltquoten bei Trash-Sendungen stimmt so übrigens nicht. Das Dschungelcamp war noch vor wenigen Jahren eine der erfolgreichsten deutschen Sendungen, mit sehr stabilem Marktanteil, der erst in diesem und im letzten Jahr leicht gesunken ist. Der Spiegel widmete in seinem Online-Magazin noch 2020 jeder Folge einen ausgiebigen Artikel mit Zusammenfassung der Geschehnisse. Diese Ehre wurde praktisch keiner anderen TV-Sendung zuteil. Und ich nehme mal an, dass das klassische Unterschichten-Publikum wohl eher nicht die Stammklientel von Spiegel-Online ist. Der Wunsch Trash zu sehen und dabei zuzuschauen, wie Pseudo-Prominente gequält werden, zieht sich scheinbar tief ins deutsche Bürgertum. Von “Nische” kann überhaupt keine Rede sein. Und was für das Dschungelcamp gilt, galt zuvor in selbem Maße für Big Brother, die Fussbroichs und Hans Meiser – um nur einige Formate zu nennen.
Das Publikum sammelt sich immer dort, wo das Niveau am niedrigsten ist.
Ich habe ja schon ein ziemlich skeptisches Menschenbild – Ihres halte ich trotzdem für grauenhaft. Und darüberhinaus für demonstrierbar falsch.
Ich verkneife mir ein paar Spitzen, von wem solche Aussagen auch kommen könnten. Aber damit sind wir exakt da, wo wir in Diskussionen schon mehrfach waren. Wenn Der Mensch im allgemeinen so ist, wie Sie sich ihn vorstellen, macht die Etablierung oder Weiterführung liberaler Demokratie nicht nur überhaupt keinen Sinn, sie ist völlig unmöglich.
Gruss,
Thorsten Haupts
Da halte ich Dich jetzt wiederum für zu pessimistisch. Die Menschheit hat es geschafft sich zu zivilisieren, indem sie sich Grenzen auferlegt hat: Verfassungen und Gesetze, religiöse Vorschriften, gesellschaftliche Normen und Anstand. Manche davon sind verbindlicher. Manche werden unter gesellschaftlichem Druck, ohne strafrechtliche Drohung aufrechterhalten. Insgesamt hat das ein funktionierendes Gesellschaftsleben möglich gemacht, inklusive liberaler Demokratie. Eine Inkompatibilität von liberaler Demokratie auf der einen Seite und den Menschen, so wie sie halt sind, auf der anderen Seite, vermag ich nicht auszumachen.
ja, ich teile dieses bild auch nicht.
Die Kommerz-TV-Fans tun so, als ob es die Abhängigkeit von den Geldgebern nicht gäbe, ob Investoren oder Werbekunden.
Und wenn über die Skandale bei den ÖR geredet wird, sollte man an solche auch erinnern:
https://netzpolitik.org/2018/danke-helmut-kohl-kabelfernsehen-statt-glasfaserausbau/
@ CitizenK.
Kupfer statt Glasfaser war die Entscheidung von Schwarz-Schilling, nicht von Kohl
Buck stops with him.
???
Kohl war der Chef.
Genau das meinte ich.
@ CitizenK 3. September 2023, 18:56
Kohl war der Chef.
Das ist sicherlich richtig. Kohl hat sich für das Thema „Infrastruktur“ halt nicht interessiert. Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling hatte als Miteigentümer des Akku-Herstellers Sonnenschein „Interessen“ im Bereich Metalle und sehr stark in Richtung Kupferkabel interveniert.
Vergleichbar etwa mit Angela Merkel und Bundeswehr. Die Kanzlerin hat sich einfach nicht für das interessiert, was da passierte, und hat Theodor zu Guttenberg, Thomas de Maizére und Ursula von der Leyen machen lassen. Entbindet sie nicht von der Verantwortung, aber die schädlichen Entscheidungen hat sie – etwa im Gegensatz zur Politik zum Arabischen Frühling, den Hilfe-Anforderungen des UN-Flüchtlingshilfswerks und zu der Grenzöffnung – nicht selbst getroffen, sondern nur uninformiert und desinteressiert abgenickt.
PS: Wenn Du mal selbst „Chef“ bist oder warst, wirst Du verstehen, dass Du nicht alles selbst machen kannst. Du musst das eine oder andere delegieren und mit dem Ergebnis leben.
Klar, aber das ändert ja nichts dran, dass der chef die verantwortung trägt.
@ Stefan Sasse 7. September 2023, 13:10
Klar, aber das ändert ja nichts dran, dass der Chef die Verantwortung trägt.
Ächz, wie anstrengend. Hatte ich ja nicht bestritten. Ist nur eine Ergänzung, dass die faktische Entscheidung für die (im Rückblick) schlechtere von zwei Alternativen vom zuständigen Bundesminister getroffen wurde. Und die beiden Alternativen hießen damals nicht „machen“ oder „lassen“, sondern „bewährte Technik“ gegen „theoretisch bessere, aber im Flächeneinsatz nicht erprobte Technik“; schließlich sollte die Umsetzung durch das Bürokratie-Monster „Post“ erfolgen).
Zur Erinnerung: Die ersten tastenden Schritte ins Internet durch halbwegs normale Menschen erfolgten etwa 15 Jahre später – mit einer anfänglichen Geschwindigkeitsbegrenzung von 2.400 Bit / Sekunde, die durch die Elektronik und nicht durch das „langsame“ Kupfernetz verursacht wurden.
Jetzt – immerhin 40 (!) Jahre später – daraus abzuleiten, dass Kanzler Kohl die digitale Zukunft unseres Landes versemmelt hat, ist angesichts einer Kanzlerin, die noch 31 Jahre nach dem Entscheid für ein deutschlandweites Kupferkabelnetz das Internet für Neuland hielt, schon eine zumindest intellektuell mutige Aussage.
Das leite ich daraus auch nicht ab. Die digitale Zukunft wurde unter Merkel versemmelt.
und das sollten sie IMHO auch nicht. ich würde bei ard und zdf komplett das unterhaltungsprogramm streichen, wenn ich könnte.
Dann kannst Du ARD und ZDF auch gleich schließen. Ohne Unterhaltung hast Du einen Eliten-Spartensender wie Phoenix mit dreistelligen Zuschauerzahlen. Die Zuschauer gehen dann einfach dahin, wo die Unterhaltung ist. Die Beliebtheit der Tagesschau um 20:00 Uhr resultierte z.B. direkt aus der Tatsache, dass um 20:15 Uhr der Spielfilm anfing. Die Öffentlich-Rechtlichen wurden nicht geschaut, weil das Publikum nach Niveau, Information und Qualität verlangte, sondern Niveau, Information und Qualität wurden als “Kollateralgewinn” mitgenommen, während man auf der Suche nach Unterhaltung war …
aber das trifft doch heute eh nicht mehr zu. wenn das deine argumentation ist, sorry, aber dann sind die ÖRR tot und gehören geschlossen. weil unterhaltung gibt es anderswo auch.
Ok, dann setz Dich halt für die Schließung des ÖRR ein. Aber wunder Dich am Ende nicht, dass das Absägen einer tragenden Säule unserer Demokratie am Ende das Kollabieren derselben zur Folge hat.
tu ich ja nicht. ich mag teile der ÖRR. aber ARD und ZDF in ihrer jetztigen form sind schweineteuer und tun nichts für das tragen der demokratie, IMHO.
Ohne ARD und ZDF wärst Du in der Covidkrise mit Facebook, Twitter, RTL und Pro7 alleine gewesen. In den USA konntest Du sehen, wie das Messaging aussieht, wenn es den Privaten und dem Internet überlassen wird. Und auch in Zeiten ohne akute Krise liefern die Öffentlich-Rechtlichen in der Regel solide, relevante Information. Über die Qualität von Polit-Talkshows kann man streiten. Aber ARD und ZDF bieten zumindest einen Kanal, über den unsere Regierungsvertreter mit den Bürgern kommunizieren können. Du betonst immer, die privaten Sender in Deutschland seien apolitisch. Wenn ARD und ZDF irgendwann nicht mehr sind, woher bekommen die Wähler dann die Möglichkeit die Ideen und Konzepte der Parteien aus dem Mund der beteiligten Politiker zu hören?
Du schriebst oben, dass wir die Öffentlich-Rechtlichen nicht für die Unterhaltung brauchen, weil Unterhaltung gäbe es ja auch anderswo. Dasselbe gilt für Information. Auch Information gibt es anderswo. Irgendwo im Internet. Man muss sie halt nur finden. Leider scheitern die meisten Menschen genau daran. Selbst hier in Deinem eigenen Blog irrlichtern Verschwörungstheoretiker herum, was letztens zur Frage eines Lesers führte, ob entsprechende Beiträge hier zur Belustigung des Publikums stehengelassen werden. Newsflash: Viele gerade ältere Bürger können Lügen und sachliche Inhalte nicht voneinander unterscheiden. Meine über 80-jährige Tante sagte mir z.B. gestern, dass sie noch mit sich hadere, ob sie diesen Monat die neue Covid-Impfung bekommen soll, weil sie sich so vor den Impfschäden fürchtet, von denen sie im Internet gelesen hat. Eine kleine Erinnerung daran, dass all die Schaumschläger und Wichtigtuer, die im Internet ihr Unwissen verbreiten und die so mancher als Quelle der Belustigung verlacht, auch heute noch mit vermutlich hohem Durchsatz den Tod von Menschen bewirken. Und es zeigt auch, dass Menschen, wenn es um etwas so Gefährliches wie Nachrichten und Information geht, einen Leuchtturm benötigen, dem sie vertrauen können. Ein solcher Leuchtturm kann aber nur etabliert werden, wenn er ausreichend populär und bekannt ist. Und ohne Unterhaltung wird ein TV-Sender (oder Internetformat) weder bekannt noch populär.
Ich muss da mehr drüber nachdenken. danke für den anstoß!
„Die Beliebtheit der Tagesschau um 20:00 Uhr resultierte z.B. direkt aus der Tatsache, dass um 20:15 Uhr der Spielfilm anfing.“ historisch widerlegt. In den 90ern haben SAT1 und PRO7 versucht, ihre Filme schon um 20:00 zu starten, darauf sind ihnen die Einschaltquoten weggebrochen, weil sie nicht gegen die Gewohnheit 20-Uhr Nachrichten und dann der Film ankamen.
Interessantes Argument. Denke ich drüber nach. “Historisch widerlegt” geht mir allerdings ein bisschen zu weit. SAT1 und Pro7 kamen laut Deiner These ja nicht gegen die Tagesschau an, weil sich eine Gewohnheit etabliert hatte. Über die Bedingungen, unter denen sich eine solche Gewohnheit etablieren konnte, z.B. die Kopplung von Nachrichten und anschließendem Spielfilm. sagt das aber erstmal nichts. Hier würde ich nach wie vor behaupten, dass diese Kopplung essentiell war. Das Scheitern von SAT1 und Pro7 zeigt dann lediglich, dass wenn die Gewohnheit einmal da ist, diese nur sehr schwierig aufgebrochen werden kann.
inzwischen ist das doch recht egal, weil streaming immer mehr übernimmt.
Aber er hat damit recht, dass die gewinndruck unterworfen sind. im übrigen kannst du letztlich alle reinwerfen, auch welt und faz.
Ich bin seit Jahrzehnten Abonnent des Economists, eines der besten und zugleich profitabelsten Magazine der Welt.
Bitte erklär mir doch mal in einfachen Worten, was an Gewinndruck im Mediengeschäft schlecht ist und warum das zwangsläufig zu niedrigem Niveau führt?
Tut er gar nicht. Aber die meisten Medien sind halt nicht so komfortabel aufgestellt und müssen den 24/7 Cycle bestehen, das führt halt dazu.
Weil das ein Fachmagazin für ein zahlungskräftiges Publikum ist. Die Wirtschafts-Informationen einer Tageszeitung können da nicht mithalten. Nicht mal die FTD konnte sich halten.
Für Tageszeitungen hast Du vollkommen recht, aber wir sprachen von Medien ganz allgemein. Je besser ein Medium ist, desto höhere Preise kann es in seiner Zielgruppe aufrufen. Probleme haben Medien, die überhaupt nicht wissen, was sie anbieten sollen, weil sie keine Ahnung von ihrer Zielgruppe haben. Darunter fallen (inzwischen) fast alle Tageszeitungen in Deutschland.
Aber ihr Problem ist nicht „Gewinndruck“, sondern unfähiges Management.
Fachmagazin???? In welchem Jahrhundert haben Sie die letzte Ausgabe gelesen?
Economist – dito. Absolut saubere Berichterstattung, in den Reportagen gibt es einen Hauch von Wertung (aber nicht mehr), keinerlei Unterhaltung ausser einem kurzen Literaturteil, saftiger Preis (9,50 Euro einzeln) für einen Umfang der Hälfte des SPEGEL.
Und trotzdem seit vielen Jahren stetig steigende Verkaufsauflagen, weltweit. Die zur Zeit wahrscheinlich beste, vor allem journalistisch sauberste, Wochenzeitung der Erde. So sollte Journalismus aussehen.
Gruss,
Thorsten Haupts
hm, du machst nen guten case für ein abo…
Er kriegt sicher Verkaufsprovision.
Ich denke drüber nach, gab hier nur meinem angeborenen Altruismus nach. Bin halt ein Guter …
Nur bei Fanatikern und Ideologen bestimmt ein einziges Motiv das Handeln.
Im Bereich des Normalen sind es immer mehrere Motive. Glaubst Du im Ernst, die SZ hat das allein wegen des Profits gemacht?
Mich erstaunt die Frage. Warum steht der Bäcker um 3:00 Uhr morgens auf und fängt an Brot zu backen? Weil er so gerne Brot backt? Weil er so ungern schläft? Wohl eher, weil er weiß, dass die Menschen in der Früh ihr frisches Brot haben wollen. Wenn er seins dann nicht fertig hat, gehen die Kunden zur nächsten Bäckerei. Der einzige Grund, dass der Bäcker morgens so früh aufsteht, ist der Profit. Oder wenn Du es weniger kalt klingen lassen willst -> er möchte seine Familie ernähren, die Miete zahlen, sein Auto finanzieren, Geld für einen kleinen Urlaub haben. Hoffentlich macht ihm das Backen überdies noch Spaß. Wenn das so ist, dann ist es super. Aber der Bäcker steht nicht für den Spaß um 3:00 Uhr morgens auf, sondern für das andere …
Für den Journalisten gilt das gleiche, das für den Bäcker gilt …
nein. der vergleich hinkt auf so vielen ebenen…aber schon allein da, dass es nicht ums aufstehen geht, sondern welches brot gebacken wird.
Welches Brot gebacken wird, bestimmt der Kunde. Wenn der Kunde Weißbrot will, dann wird der Bäcker Weißbrot backen – auch wenn er selber dunkles Brot präferiert. Verkauft wird immer das, was Umsatz generiert. Was Profite macht.
Wobei wir wieder beim Journalisten sind, der das genauso macht.
Jein: ich kann beim Bäcker nur kaufen, was es beim Bäcker gibt. „Der Kunde“ funktioniert ja nur als Aggregat
Das ist richtig. Wenn sich alle Bäcker standhaft verschwören und dem Kunden nur Schwarzbrot anbieten, obwohl der eigentlich Weißbrot will, bleibt dem Kunden nichts anderes übrig als das zu kaufen, was im Laden ist – also Schwarzbrot. In einer Marktwirtschaft ist das aber realitätsfremd. Wenn der Kunde Weißbrot will, wird irgendein Bäcker anfangen Weißbrot zu backen. Beziehungsweise, in einer globalisierten Welt wird sich der Kunde Weißbrot notfalls über das Internet aus der Nachbarstadt bestellen. Die Bäcker haben dann zwei Möglichkeiten: Weiter am Markt vorbei nur Schwarzbrot anbieten … und bankrott gehen. Oder auf den Kundenwunsch umschwenken und in Zukunft das ungeliebte Weißbrot backen.
Für die Medien, von denen manche möglicherweise gerne Qualität (Schwarzbrot) anbieten würden, gilt das gleiche. Am Ende senden und/oder drucken sie Berichterstattung über Skandale, Sensationen, Sex und Promis (Weißbrot).
das halte ich für eine sehr naive sicht auf die dinge. es braucht eine kritische masse leute, die, um im bild zu bleiben, das weißbrot wollen. in meinem ort gibt es zwei bäcker. wenn die nur schwarzbrot machen für die rund 4,5k einwohner*innen, und ich will weißbrot: als würde einer von denen deswegen sein geschäftsgebahren ändern!
Klar – wenn von 4500 Einwohnern in der Stadt nur einer dezidiert Weißbrot will, aber alle anderen happy sind, wird keiner der zwei Bäcker sein Geschäftsmodell ändern. Warum auch?
Ich aber gehe von einem Fall aus, wo die Mehrheit, und vermutlich die erdrückende Mehrheit, Weißbrot präferiert. In dem Fall wird fast zwangsläufig einer der beiden Bäcker umschwenken.
Schwarzbrot steht in unserer Debatte ja für sachlichen soliden Qualitätsjournalismus. Dafür dass die Bürger den präferieren, gibt es nicht allzu viele Hinweise. Sender wie ARTE, Phoenix oder 3Sat werden praktisch nicht angesehen. Und Medien werden von Geschichten über Skandale, Sensationen, Sex und Promis dominiert. Wenn eine Nachricht viral geht, ist sie fast nie aus dem Genre “unaufgeregt sachlich”. Selbst die dezidiert bürgerlichen Medien, die sich angebliche “Qualität” auf die Fahnen schreiben, sind voll von Sensationsstories und schlüpfrigen Geschichten. In der “Bäckerei-Analogie” scheint es also viele Weißbrotfans zu geben, die zwar vorgeben nur Schwarzbrot zu essen. Aber wenn sie alleine sind und keiner hinschaut, dann schlagen sie sich doch den Bauch mit Weißbrot voll.
Alleine der wirtschaftliche Erfolg von Trash und das wirtschaftliche Versagen von Qualität in Fernsehen, Internet und Printmedien müsste klar machen, welche Genres hier die Gewinner sind und was die Menschen wirklich wollen. Qualität in den ÖRR konnte sich früher nur durchsetzen, weil das Fernsehen das eindeutige Leitmedium war und ARD und ZDF gut ausgestattet waren und ein Monopol besaßen. Als das Monopol aufgebrochen wurde, blieb den ÖRR nichts anderes übrig als nach unten hin zu konkurrieren. Man hat den Spagat versucht zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Erhalt von zumindest ein bisschen Qualität. Das unbefriedigende Ergebnis macht uns vermutlich beide nicht glücklich.
mir ist etwas unklar, was jetzt das argument ist: die leute wollen nur schrott, und deswegen müssen die ÖRR unterhaltung anbieten in der hoffnung, dass die leute aus versehen was halbwegs brauchbares konsumieren? oder wie? also ich sehe einfach nicht wirklich, wie genau die argumentationslinie eigentlich ist. dass es keine große nachfrage nach komplexem journalismus mit schwierigen themen gibt – duh, das war noch nie anders.
Da schreibt jemand, der sich eingegraben hat. Sowohl RTL als auch ProSiebenSat1 graben ARD und ZDF in größerem Stil Journalisten und Moderatoren ab und setzen auf eigene seriöse Sendungen und Reportagen. Und wir wissen ja auch, dass National Geographic (Sky) voller Sex & Crime ist.
mir ist etwas unklar, was jetzt das argument ist: die leute wollen nur schrott, und deswegen müssen die ÖRR unterhaltung anbieten in der hoffnung, dass die leute aus versehen was halbwegs brauchbares konsumieren? oder wie?
Nein, zumindest der aufrecht gehende Teil der Menschheit will nicht nur Schrott, wird aber zu Schrottkonsum verführt, wenn Schrott im Angebot ist. Viele Menschen haben auch den Anspruch gesund zu leben, greifen aber trotzdem zu Junkfood, wenn Junkfood angeboten wird. Oder ein anderes Beispiel: Ich habe im Freundeskreis viele ehemalige Raucher. Die haben jahrelang verzweifelt versucht aufzuhören – stets vergebens. Erst die ausgiebigen Rauchverbote im Büro, im Club, im Restaurant, in der Bar, im Zug, auf dem Bahnsteig etc. haben ihnen ermöglicht das Laster aufzugeben. Zumindest in meinem Freundeskreis haben die Raucher Rauchverbote deshalb vielmehr willkommen geheißen als die Nichtraucher, denen das Thema eher egal war.
Menschen sind nunmal darauf gepolt Sensationsgeschichten, Negativnachrichten und Sex besondere Aufmerksamkeit einzuräumen. Warum, ist aus der Perspektive der Evolution nicht schwer zu verstehen. Wenn man das laufend anbietet, dann wird das folglich auch laufend genommen – auch wenn vielen ihr eigenes Verhalten vermutlich selber peinlich ist. Bevor das Privatfernsehen in die Haushalte kam, und lange vor dem Internet, dominierten die Öffentlich-Rechtlichen mit einem Programm, das Unterhaltung und Information angemessen balancierte. Weil es keinen Wettbewerb mit Sensations- und Skandalmedien gab, zumindest nicht im Fernsehen, gab es keinen Kampf um Quoten und folglich kein Überbordwerfen von journalistischer Ethik. Komplexer Journalismus mit schwierigen Themen war auch damals nicht die Regel. Aber es lief eben auch nicht dauernd Trash. Es war ruhiger. Es war sachlicher. Es ging nicht nur darum “Gotcha-Momente” zu produzieren. Gewählte Politiker wurden mit mehr Respekt behandelt. Und obwohl das Fernsehen relativ sauber und qualitätsorientiert war, war die Gesellschaft trotzdem nicht prüde oder langweilig. Wer Sensationen und Skandale oder Nachrichten von Royals und Promis wollte, konnte sich die BILD-Zeitung kaufen oder die Neue Post. Wer Sex wollte, wurde in jeder Videothek, an jeder Tankstelle fündig. Es wurde einem halt nur nicht per Anschaltknopf automatisch 24/7 ins Wohnzimmer gesendet. Und auf “Aufregendes” wurde ja auch im Öffentlich-Rechtlichen nicht völlig verzichtet. Schließlich liefen Krimis. Es liefen Actionserien. Es liefen Spielfilme. Es liefen Shows.
Die Gesellschaft hat aus meiner Sicht von der Ruhe, der Sachlichkeit und der Qualität damals profitiert. Es hat dazu geführt, dass man sich in der Regel auf das verlassen konnte, was im Fernsehen gesagt wurde. Es schuf Vertrauen. Wenn man heute, gerade mit älteren Menschen, spricht, hört man immer wieder den Satz “Wem soll man noch vertrauen?”. Oder “Was kann man noch glauben?”. Die Menschen werden erdrückt von einer Flut von widersprüchlichen Informationen. Armeen von Bots drängen in Debatten. Trollfarmen streuen Missmut. China und Russland sähen seit Jahren Zwietracht. Extremisten aller Couleur schreiben eifrig. Und irgendwo geht daneben die Wahrheit im Rauschen unter. Die Menschen kommen nicht mehr mit, fangen an, an allem und jedem zu zweifeln. Institutionen verlieren Rückhalt. Selbst die Demokratie wird von immer mehr Menschen abgelehnt. Die Vorstellung, das alles besser würde, wenn man das gesamte System niederbrännte, wird immer populärer. Und es ist kristallklar, wer die Player sind, die ein Interesse an einem solchen Brand haben.
Aus meiner Sicht müssen wir wieder in eine Welt zurück, in der private Unternehmen aus der dominierenden Mediensphäre verschwinden, zumindest soweit das möglich ist. Damit wieder Ruhe, Gelassenheit, Sachlichkeit einkehren kann. Das heißt z.B. soziale Netzwerke ab einer gewissen Nutzerzahl blockieren (China macht das z.B. mit Twitter und Facebook) oder massiv regulieren. Das heißt Anbieter von Nachrichten und Informationen massiv regulieren. Man könnte z.B. die Beachtung von Netiquette, inhaltlicher Qualität, Sachlichkeit und unaufgeregter Sprache bei allen Posts, Beiträgen und Artikeln im Internet gesetzlich vorschreiben, aktiv und automatisiert nachprüfen und die Betreiber mit hohen Strafen haftbar machen. Gleichzeitig könnte man den Betreibern die Möglichkeit anbieten jedwede Posts, Beiträge und Artikel vor Veröffentlichung durch eine AI zu prüfen und so zertifizieren zu lassen. Ein Blogbetreiber wie Du hätte dann die Wahl auf eigenes Risiko ungeprüfte Posts von Nutzern zu veröffentlichen und haftbar zu sein, wenn die polemisch, beleidigend, von niedriger Qualität oder unsachlich sind. Oder aber Du würdest jeden neuen Beitrag automatisiert erstmal durch die AI prüfen lassen und nur das veröffentlichen, was als unbedenklich validiert wurde. Damit wäre Deiner gesetzlichen Verantwortung als Betreiber Genüge getan. Gleichzeitig würde dieselbe AI das Internet systematisch durchsuchen, unpassende Beiträge blockieren und entsprechende Bußgeldbescheide ausstellen. Die Performance der AI könnte von einem Gremium von Experten und Gesellschaftsvertretern laufend transparent geprüft, bewertet und – wo nötig – nachoptimiert werden. Ein solches Modell würde erlauben das Internet und seine Kommunikationsmöglichkeiten zu erhalten, Bad Player ausschließen und ein Minimum an Stil und Anstand erzwingen. Die AI würde ähnlich einem “Editor” einen Rahmen vorgeben, für die Informationen, die man über das Internet austauschen kann. Für Informationen und Inhalte außerhalb dieses Rahmens stünde das Internet halt nicht mehr zur Verfügung. Die meisten dieser Informationen und Inhalte wären natürlich trotzdem noch legal. Aber eben nicht im Internet, sondern beim persönlichen Gespräch am Arbeitsplatz, am Stammtisch, im Fußballclub oder auf dem Marktplatz.
interessantes argument pro rauchverbot, danke! Soweit gehe ich halbwegs mit.
ich bleibe aber dabei, dass du ein zu rosiges Bild von der vergangenheit malst. der respekt vor politiker*innen betrifft ja nicht nur medien. wir haben gesamtgesellschaftlich eine unglaubliche nivellierung und ein misstrauen, das diese deferenzielle behandlung völlig anachronistisch macht. dasselbe gilt für den paternalismus damals: da lief halt, was man dachte, dass die leute wollen. und wenn du schaust, was damals lief, ist es nicht besser als heute. an den schrott erinnert sich nur niemand mehr.
ruhig und sachlich war es deswegen auch früher nicht. der zyklus war nicht so schnell, das ist richtig, aber streits waren hitziger und unsachlicher als heute. die leute haben sich mit vorwürfen des landesverrats überzogen!
Die Gesellschaft hat aus meiner Sicht von der Ruhe, der Sachlichkeit und der Qualität damals profitiert. Es hat dazu geführt, dass man sich in der Regel auf das verlassen konnte, was im Fernsehen gesagt wurde. Es schuf Vertrauen.
Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie aufhören würden, eine Zeit zu glorifizieren, die Sie nicht als politisch aktiver Erwachsener erlebt haben. Ich schon.
Selbstverständlich hat man dem Fernsehen damals mehr „vertraut“. Aber nicht etwa, weil es stärker vertrauenswürdig war, sondern, weil es kaum alternative Erzählungen zu den Schwerpunktsetzungen, Einschätzungen und Wertungen von ARD und ZDF gab.
Man hat den Spagat versucht zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Erhalt von zumindest ein bisschen Qualität.
Der Economist beweist, dass man diesen Spagat absolut nicht machen muss und trotzdem sagenhaften Erfolg haben kann. Der „Spagat“ wurde NICHT durch den Markt erzwungen, er ist das Ergebnis unfähigen Managements.
Dafür dass die Bürger den präferieren, gibt es nicht allzu viele Hinweise.
Na also, sach ich doch: Zurück zu Adelsrepubliken oder Monarchien! Die Menschen sind ohne aufgeklärte, geniale, Führung völlig unfähig, ihre eigenen Interessen zu erkennen. Diese luzide Einsicht hat Faschisten wie Marxisten des letzten Jahrhunderts förmlich zum Handeln gezwungen!
Gruss,
Thorsten Haupts
Aber nicht etwa, weil es stärker vertrauenswürdig war, sondern, weil es kaum alternative Erzählungen zu den Schwerpunktsetzungen, Einschätzungen und Wertungen von ARD und ZDF gab.
Ich würde argumentieren, dass guter Journalismus alternative Erzählungen damals weitgehend obsolet gemacht hat. Auch heute sind alternative Erzählungen – eine Trump-Repräsentantin sprach mal von “Alternative Facts” – meist nichts anderes als Fake News.
das halte ich für sowohl historisch inakkurat als auch wirklichkeitsfremd.
Ich würde argumentieren, dass guter Journalismus alternative Erzählungen damals weitgehend obsolet gemacht hat.
Sorry, aber das ist offensichtlicher Unsinn. Man kann jede Handlung und jedes Reden sehr unterschiedlich einordnen, ohne dass die Einordnung unplausibel wird. Welche (wirkliche) Absicht, welches Ziel, auf wessen Veranlassung etc. Vor dem Aufkommen der Indernetmedien haben sich die ÖRR Journalisten sehr schnell auf eine Lesart einer Information geeinigt, die sich damit reichweitentechnisch automatisch als einzig gültige durchsetzte.
Genau das ist vorbei und das endgültig. Das zu unterbinden machte weit mehr effektive Zensur notwendig, als selbst Sie üblicherweise vorschlagen. Und diese Einordnung hat mit „alternativen Fakten“ überhaupt nichts zu tun.
Gruss,
Thorsten Haupts
Richtig.
Das sehe ich völlig anders. Bei den meisten Ereignissen gibt es eine Lesart, der etwa 70-80% der Experten zustimmen würden. Dann gibt es vielleicht noch einen weniger populären, alternativen Minderheitenstandpunkt, den so 10-20% der Experten teilen. Und der Rest sind Dutzende Splittermeinungen, die jede für sich so 0,5-2% der Experten vertreten. Der normale Bürger hat weder das Hintergrundwissen, noch das Interesse, noch die Aufmerksamkeit diese Komplexität nachzuvollziehen. In der Covid-Pandemie wurde das z.B. auf ganz besonders schmerzhafte Weise deutlich, als – sicher in vielen Fällen wohlmeinende – Bürger, die “kritisch hinterfragen wollten” Publikationen zitierten, die sie nicht verstanden; Wissenschaftsmeinungen aus dem Kontext rissen und damit nicht selten im Inhalt in ihr Gegenteil verkehrten; oder Daten zitierten, die bereits überholt waren. Im typischen Fall fährt der Bürger am erfolgreichsten, wenn er der Lesart des Konsensus im Feld folgt – und in der kleinen Zahl von Fällen, in denen der Konsensus daneben lag, eben seine Einschätzung später nochmal revidiert. Die Alternative ist selber Experte zu werden -> dann kann man die volle Komplexität selber erfassen. Aber dafür muss man dann eben fünf Jahre studieren und 10-15 Jahre aktive Erfahrung im Feld sammeln.
Corona ist – wirklich – ein gaaaanz schlechtes Beispiel.
Erstens gab es hier nie einen Konsens von 70 bis 80% der relevanten Experten. Die Expertise z.B. von Epidemologen hätte für einen luftübertragbaren Virus unter freiem Himmel gegenüber den Aerosolforschern klar zurücktreten müssen, tat das aber nicht, wie die völlig sinnlosen deutschen Freiluftaufenthaltseinschränkungen bewiesen.
Zweitens hat die Pandemie zumindest mir einmal mehr deutlich gemacht, was für eine Herde von gehirnlosen Hammeln die deutschen Journalisten sind, die – genau wie der damals populär werdende Superexperte Lauterbach – jede neue Studie oder Modell-Hochrechnung zum Nennwert nahmen und als angeblichen wissenschaftlichen „Fakt“ in die Landschaft bliesen. Ich rede hier ausschliesslich über Journalisten von allen „Qualitäts“medien inklusive ÖRR.
Ich hatte hier im Forum einen Streit mit Marcel Weiss, der um eine Zehnerpotenz informierter war, als ic. Und trotzdem sehr klar verlor, als er eine Vorhersage machte und ich eine gegenteilige. Er stützte sich übrigens ausschliesslich auf Expertenstudien und -modelle.
Drittens ist Corona überhaupt nicht, wovon ich spreche: Ich spreche von Politik – Gesetzen, Verordnungen, Haushaltsentscheidungen. Und da ist völlig wurscht, worauf sich 80% der Experten bei der Interpretation verständigen, weil es für die Interpretation schlicht keine Experten gibt und geben kann! Sondern nur miteinander konkurrierende, mehr oder weniger plausible Erklärungen. Ich bin aber ganz bei Ihnen, dass es auch und genau hier einen „Experten“- (aka Polit-Astrologen) Konsens gab, den es hier nie hätte geben dürfen.
Gruss,
Thorsten Haupts
Corona war nur ein Beispiel und, Deiner These widersprechend, war der Konsensus unter Experten – nenn sie “relevant” oder nicht – unglaublich hoch. Das zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass die Reaktionen und Maßnahmen auf die Pandemie in ihren breiten Linien fast überall gleich waren – in Demokratien und Diktaturen, in großen und in kleinen Ländern, in armen und in reichen Ländern, in Asien, Nordamerika oder Europa.
Auch auf anderen Themenfeldern gibt es selten tatsächlich mehrere konkurrierende, etwa “gleich gute” Lösungen. Und wenn man sich mal mit guten Argumenten für eine Lösung entschieden hat, ist es meist sinnvoller den begonnenen Weg fortzusetzen und erst wieder zu evaluieren und “infrage zu stellen”, wenn in signifikantem Ausmaß neue relevante Informationen zur Verfügung stehen oder wenn sich die Rahmenbedingungen erheblich geändert haben. Auch hier verlässt man sich am besten auf den Konsensus der Experten.
An der Stelle darf nicht in Vergessenheit geraten, dass Sie zu den NoCovid-Anhängern gehörten, die das Land in rote und grüne Zonen einteilen wollten mit Passierscheinen.
Diese zutiefst menschenverachtende Theorie scheiterte in der Umsetzung überall und trug auch in demokratischen Ländern diktatorische Züge.
In Summe erwiesen sich die Empfehlungen der Wissenschaft alle als falsch. Selbst die relativ harmlose Maskenempfehlung überstand die Metaanalyse nicht unbeschadet. Das ist ein Desaster für die Virologie. Zuletzt wollte man Deutschland in eine Impfpflicht hineindiktieren, was nur dank der FDP verhindert wurde.
Gerade die Pandemie zeigte, dass die Politik eben nur sehr bedingt auf zunehmend eitlere Wissenschaftler hören sollte. Anders als sie müssen Politiker Abwägungen zwischen konkurrierenden Interessen, Rechten und Werten treffen.
Und die ÖRR? Wie immer versagten sie dabei, divergierende Positionen abzubilden. Da saß man dann in den Talkshows zusammen und bestätigte sich gegenseitig.
Nur war das meiste tatsächlich falsch.
Corona war nur ein Beispiel …
Schön. Und da ich in der Debatte nicht emotional beschädigt wurde muss ich sie auch nicht weiterführen. Vergangenheit, fertig.
Sie allerdings drücken sich darum, Stellung zu meinem Kernargument zu nehmen. Das war zur Erinnerung: Alles politische Reden und alles politische Handeln ist Subjekt von Interpretation (wer was warum). Und diese Interpretation war, solange es keine Konkurrenz zu den ÖRR gab, häufig sehr eindimensional – es gab nur das „wer was warum“ des „Experten“(Journalisten)konsenses des ÖRR. Dahin will ich auf keinen Fall zurück, de facto war das paternalistischer Journalismus. Ich habe nicht per se etwas gegen Paternalismus, nur gegen den vollkommen unberechtigten von Leuten, die weder besser wissen, weder besser handeln noch besser denken können, als ich.
Gruss,
Thorsten Haupts
Die Journalisten einer Redaktion sind ein Team – nicht eine einzige Person, mit einer einzigen Meinung. Dazu konstituieren sich die ÖRR aus Länderanstalten, die wiederum unterschiedliche Hintergründe mitbringen – politisch wie gesellschaftlich – und folglich unterschiedliche Sichtweisen bieten. Darüberhinaus sind ARD und ZDF zwei unterschiedliche Sender, mit jeweils unabhängiger Führung. Von “Eindimensionalität” kann also keine Rede sein.
Dass Fachjournalisten mehr vom Fach verstehen als Du – zumindest in den Gebieten, in denen Du kein Experte bist – ist wenig überraschend. Sie verstehen auch mehr als ich. Allerdings erschaffen Journalisten selten Wissen. Sie bereiten vielmehr das Wissen, das von den Fachexperten kommt, auf und formen daraus ein Narrativ, das der Normalbürger verstehen kann.
Ich stelle mal diese Deutung zur Diskussion: Die SZ-Redakteure wurden von Aichwangers Erdinger Rede aufgeschreckt. Die Sympathien von Teilen der CSU für die illiberale Demokratie à la Orban und De Santis sind auch kein Geheimnis.
Wenn dies die Art von Demokratie sein könnte, die A. „zurückholen“ will, dann ist ein Test auf seinen Charakter vor einer Wahl in Krisenzeiten nicht verwerflich. Der Umgang mit einer problematischen Vergangenheit ist ein solcher Test, siehe Fischer und Kretschmann. Das sehe nicht nur ich so.
Das Vorgehen der SZ ist diskussions- und kritikwürdig. Einen Abgrund an Journalismusverrat kann ich allerdings nicht erkennen.
ist ja nicht so, als wären etwa die irrungen mancher Grünen in den 2000er Jahren vor dem Visa-Skandal untersucht worden. einen anlass braucht es meist halt.
Noch ein Hinweis zu MSNBC. Hier im Blog ist MSNBC nun mehrfach als “linkes Gegenstück” zu FOX News präsentiert worden. Das ist schlicht so nicht wahr. FOX News lügt wie gedruckt und manipuliert aggressiv durch absichtliches “Aus-dem-Kontext-Reißen” oder strategisches Weglassen von Informationen. MSNBC steht für deutsche Verhältnisse mitte-links, etwa da wo hier die Grünen und Teile der SPD stehen und beleuchtet die Geschehnisse aus dieser Perspektive. Aber MSNBC erfindet nicht neue “Wahrheiten”. MSNBC setzt sich auch mit Fehlern der eigenen Seite, also beispielsweise Fehlverhalten von Politikern der Demokraten auseinander. Und auch die Sprache ist eine völlig andere. Die Entmenschlichung des politischen Gegners, die FOX News betreibt, ist bei MSNBC so nicht vorhanden. Zu behaupten MSNBC sei das linke Gegenstück zu FOX News ist in etwa so, als wenn Du behaupten würdest, die Grünen seien das linke Gegenstück zur AfD. Einfach Quatsch.
MSNBC ist das Gegenstück zu FOX nur als „eine ideologische Richtung bedienend“, und es ist der einzige dezidiert linke Sender. Nur da besteht Äquivalenz. Weder im wirtschaftlichen Erfolg noch in der Niedertracht ist MSNBC mit FOX vergleichbar.
1) The Problem With Fox News Goes Way, Way Back
Die meisten, und gerade junge Menschen bis 45, nutzen hauptsächlich das Internet, um sich zu informieren und eine Meinung zu bilden. Da ist der Bohei um das Fernsehen völlig überzogen. Auf mich bezogen: wenn ich um 19 oder 20 Uhr den Rechner (vorläufig) zuklappe, eventuell eine knappe Stunde nach Hause fahre, ist mein erster Impuls nicht, im heute journal oder der Tageschau Nachrichten in Häppchen zu sehen, die ich den Tag über längst als Pop-ups nachlesen konnte.
Der Nachrichtenkonsum hat sich radikal verändert, inzwischen sind mehr und mehr Menschen bereit für guten Journalismus zu zahlen. Ich habe dazu WELT und Economist abonniert. Wo die Veränderungen noch nicht angekommen sind, sind anscheinend lineare Medien und Blogs.
2) Eine Frau mobbt andere Frauen? Warum sein kann, was nicht sein darf
Was wir hier sehen ist eher der typische Effekt von Machtgefällen und Hierarchien. In diesen Kategorien muss das diskutiert werden. Natürlich gibt es Dimensionen in diesem Kontext, die spezifische Genderdynamiken aufweisen. Aber die schlechte Behandlung prekär beschäftigten Hilfspersonals gehört sicher nicht dazu, sondern ist universell.
Auch hier gilt: In der Neuzeit anzukommen, wäre auch mal Zeit. Es gibt gute und schlechte Menschen, geeignete und ungeeignete, Choleriker und Stoiker. Ein fauler Mensch wird nicht dadurch fleißig, dass er durch Nachrichtensendungen erfährt, wie wichtig Fleiß sei. Er camoufliert sich, wenn er negative Folgen seiner Faulheit spürt.
Wer 200.000 Euro für ein Auto ausgibt, wird genauer hinschauen und weniger Macken in Kauf nehmen als jemand, der 5.000 auf den Tisch blättert. In Deutschland werden 1,9 Millionen Menschen benötigt, die andere Menschen führen, sie organisieren, leiten, kontrollieren und für ihre Wehwehchen da sind. Das ist mehr als es geeignete Menschen gibt. Weit mehr. Also werden einige Unternehmen und Branchen gute Führungskräfte haben, weil sie leichter die schlechten aussondern können, und andere schlechte, weil sie sonst vor der Alternative stehen, gar nichts organisieren zu können.
Manchmal wäre es nützlich, das Menschliche anzuerkennen.
1) Es gibt wissenschaftliche studien zu dem thema.
… die vor allem sagen, der Konsum von Nachrichten habe sich extrem geändert.
4) Germany Might Soon Have a Far-Left Version of the AfD
Clarkson Hat hier den wichtigen Hinweis, das eine linkspopulistische Partei nicht nur der AfD und LINKEn Konkurrenz machen würde, sondern auch der SPD und den Grünen.
Da spricht die Empirie dagegen. Die LINKE versucht seit mindestens 8 Jahren, eine Alternative für die Grünen zu werden. Die Versuche waren nicht erfolgreich.
Wer also stets argumentierte, dass das Gute an der AfD die offene Debatte und der politische Meinungsstreit sei und dass man sich politisch mit ihr und ihren Positionen auseinandersetzen müsse
Wüsste nicht, wer bisher so argumentiert hätte.
c) Spannender Thread zu Steuern und öffentlicher Meinung.
Fratzscher hat einen originellen Gedanken eingebracht, wer die Kosten der demographischen Auswirkungen auf die Rentenzahlungen kompensieren könnte. Trommelwirbel! Die Reichen! Wenn man mal in einer Woche die Gedanken sammelt, was mehr verdienende Menschen alles zusätzlich finanzieren könnten, wenn der Staat es nur machen würde, käme man auf echt beindruckende Maßnahmen:
– Rente für Ärmere
– Folgewirkungen des Klimawandels finanzieren bei gleichzeitiger spartanischer Lebensweise
– Schulung von Kindern aus bildungsfernen Schichten
– Verkehrstransformation
– Soziale Kosten der Inflation auffangen
Ich habe sicher noch einiges vergessen. Nicht vergessen habe zumindest ich, dass Deutschland nicht nur an der Spitze steht was die Einwanderung nicht- und geringqualifizierter Einwanderer betrifft, sondern auch bei der Auswanderung von überdurchschnittlich gebildeten Ureinwohnern (ist an dieser Stelle der bessere Begriff) und wohlhabenden Bürgern.
Aber da besteht ganz sicher kein Zusammenhang…
4) es geht ja auch mehr um so 1-2%. keine alternative, aber schädlich.
Das gab es massig?
4) Die LINKE ist politisch tot. So oder so. Du kannst Dir aussuchen sie ist tot wegen so. Oder so.
Ich kann damit nichts anfangen.
Ich hoffe doch sehr, dass sie das ist.
k) 2,2 Millionen Kinder sind armutsgefährdet. Ein Glück haben wir die Kindergrundsicherung gekürzt.
Tja, auch Lehrer sind nicht davor gefeit, Falschbehauptungen zu verbreiten. Laut der Familienministerin Lisa Paus sollen Kinder bis zu 636 Euro pro Monat erhalten, verwaltet natürlich durch die Eltern. Für eine Alleinerziehende mit 2 Kindern bedeutet das ein Netto von 2.500 – 2.700 Euro inklusive Miete.
Dafür müsste ein Single schon ein Brutto von 4.000 Euro beziehen, um sich das leisten zu können. Da ist es eher verwunderlich, dass in Deutschland „nur“ 2 Millionen erwerbsfähige Menschen bei leergefegten Arbeitsmärkten Bürgergeld beziehen. Aber die Ampel arbeitet ehrgeizig daran, dass es bald deutlich mehr werden.
Was wäre Ihr Gegenvorschlag?: Die Kinder in der Armut belassen, so dass Sie wiederum die nächste Generation von Bürgergeldempfängern werden?
Ich bin ja bei Ihnen, dass der Anreiz für diejenigen die arbeiten deutlich größer sein müssen, als diejenigen die es eben nicht tun.
Aber insb. bei Alleinerziehenden, würde ich mir wünschen, dass wir die Erziehungsarbeit auch als Arbeit begreifen – würden wir bessere Vereinbarkeit von Beruf und Kindern schaffen, könnten diese Frauen, sobald die Kinder ein gewisses Alter erreicht haben deutlich besser in den Beruf zurückkehren. Aber hier fehlen flächendeckend einfach die Angebote. bzw. die die es gibt sind zu teuer für einen Alleinerziehenden.
Paus ist eine typische Populistin, die wie alle Linken nur im Geldausgeben politischen Sinn sieht. Strukturell wirksame Politik ist ihr wahrscheinlich zu anstrengend.
Um Kinderarmut zu bekämpfen, sind jahrzehntelange Anstrengungen und vor allem zielgerichtete Konzepte in der Bildungspolitik (dazu gehört natürlich auch frühkindliche Erziehung) nötig. Das ist wirklich keine neue Erkenntnis.
Warum akzeptieren wir nicht einfach mal, dass Bildungspolitik wichtig ist?
das akzeptiert jeder. was schwieriger zu akzeptieren ist: bildungspolitik kostet geld. das will nämlich keiner investieren. und paus macht halt mehr als die anderen. ist das unzureichend? Aber ja. ist es besser als nichts? hundertpro.
Warum akzeptieren wir nicht einfach mal, dass Bildungspolitik wichtig ist?
Ich war ein paar Jahre auf dem Gebiet tätig, deshalb hier meine Einschätzung: Weil diese Wichtigkeit nur und ausschliesslich in Sonntagsreden existiert. Nirgendwo sonst.
Politik manifestiert sich in Haushalten, Gesetzen, Verordnungen und Personalentscheidungen. Es gab in den letzten 40 Jahren keinen Spitzenpolitiker der CDU/CSU oder SPD, der aus der Bildungspolitik kam. Case closed.
Gruss,
Thorsten Haupts
genau das! ist auch ein absolutes loserthema.
vor allem ist es Länderthema. Diese Politiker hängen in der Landespolitik fest.
Aber ihr in BW hattet mit Annette Schavan zumindest eine Bildungspolitikerin, die beinahe in Berlin weitergekommen wäre, wenn sie nicht weggedoktorarbeitet worden wäre. [Außerdem hattet ihr in den 80ern den hochgradig bildungsprofilierten Kultusminister Mayer-Vorfelder 😉 ]
ja, aber schavan war eher trotz, nicht weil.
Bitte den unionsinternen Spitznamen verwenden: Mayer-Vorfluter 🙂 .
Lösen wir uns von dem Ansatz, der bisher maximal erfolglos war. Die meisten der hier publizierenden Kommentatoren haben ein Studium absolviert, da kann man eigentlich die Fähigkeit erwarten, Lösungen intelligent zu erarbeiten.
Was ist die Realität? Zu Beginn halte ich die These, dass Eltern ein eigenes Budget für die Ausgaben der Kinder vorhalten, für absolut realitätsfern. Ich kenne keine Familie, die nur annähernd so zusammenlebt. Irgendwo gibt es keinen gemeinsamen Topf, aus dem gemeinsame Ausgaben inklusive der notwendigen Auslagen für die Kinder (Kleidung, Spielzeug, Bücher) bezahlt werden. Auch Urlaube gehen vom gemeinsamen Haushaltsbudget ab.
Ein gewichtiger Prozentsatz lebt von der Hand in den Mund, das gilt nicht nur für Bürgergeldempfänger. Was wäre eine realitätsnahe Annahme, wenn die Einnahmen eines solchen Haushalts steigen? Sie wandern meistenteils in den gemeinsamen Topf. Linke sagen an der Stelle: Ist ja nur fair (und notwendig), wenn die Eltern das Kind beim Schlittschuhlaufen begleiten oder gemeinsam Eisessen.
Doch die Idee der Kindergrundsicherung vermittelt einen anderen Ansatz und ein anderes Bild. Und um die Ziele geht es doch, oder? Bürgergeldempfänger unterscheiden sich vom Rest der Bevölkerung: Sie besitzen weniger Bildung, weniger soziale Bindungen und bewegen sich in einem kleineren Radius. Sie konsumieren weit häufiger billige Produkte und Dienstleistungen, haben einen erhöhten Fernsehkonsum und ernähren sich fett- und zuckerhaltiger.
Ist die Annahme realitätsnah, dass sie ihre Gewohnheiten wesentlich verändern, wenn sie monatlich 100 oder 300 Euro mehr im Portemonnaie haben? Anders gefragt: Ändern Sie ihre Prioritäten, wenn Sie monatlich 800 Euro mehr zur Verfügung haben? Also nein. Warum legen wir aber eine solch realitätsferne Annahme unserer Politik zugrunde?
Es lässt sich nicht vermeiden, dass es immer eine Unterschicht gibt. Sie ist durch Lebensweise wie Einkommen (beides!) definiert. Wer Sorge hat, dass sich der soziale Status der Eltern auf die Kinder überträgt, dem bleiben zwei Wege:
I. Die Eltern entwachsen der Unterschicht. Dies gelingt, wenn sie durch Einkommenserwerb dem unteren Milieu entwachsen, Bildung nicht nur zum wirtschaftlichen, sondern auch kulturellen Aufstieg nutzen.
II. Eltern und Kinder werden von der unterstützenden Gemeinschaft getrennt behandelt. Staatliche Einrichtungen vermitteln den Kindern Einblicke und Möglichkeiten, die ihnen ihre Eltern nicht bieten können und wollen.
Unserer Politik ist seit Jahrzehnten, dass wir I und II dadurch verknüpfen wollen, in dem wir den Eltern durch Sozialtransfers mehr Geld in die Hand geben. Wenn sich dann Leute auf den Standpunkt stellen, der soziale Status würde vererbt, dann räumen sie das Scheitern dieses Politikansatzes ein. Allerdings ändern sie nicht das offensichtlich Falsche.
Die vorschulische Kinderbetreuung ist seit Jahren in Deutschland weitgehend kostenlos. Gleichzeitig hat der Staat hohe Milliardenbeträge in den Ausbau der flächendeckenden Betreuung investiert. Doch erstaunlicherweise wächst überall nur der Mangel. Mangel an Quantität (Erzieher und Plätze) ebenso wie Mangel an Qualität. Der Fehler ist nicht Geld. Die Milliarden wurden genutzt, die Gehälter der Erzieher deutlich anzuheben. Das freut die Beschäftigten. Doch damit bekommt man noch längst nicht bessere Erzieher, zumal gleichzeitig die Ausbildungszeit verkürzt wurde.
Kann prinzipiell jeder Software-Entwickler werden, wenn er es nur will? Oder Fußballprofi? Das halten wir für absurd. Doch wir halten seltsamerweise den Talentpool für Erzieher für unerschöpflich, alles eine Frage des Geldes. Menschen wenden sich aus einer Reihe von Gründen einem bestimmten Beruf zu. Neben Talent sind Werte und Überzeugungen deutlich bessere Gründe als die Aussicht auf 100 Euro mehr Gehalt. Eigentlich einfache Einsichten, oder? Trotzdem sind wir Deutschen zu einfältig, sie ins Kalkül zu ziehen.
Deutschlands Erwerbsbevölkerung, aus der Erzieher rekrutiert werden müssen, wird in den kommenden 15 Jahren rasant schrumpfen. Das ist unvermeidlich. Wer in dem Job arbeitet, hat ein überproportional großes Interesse an Teilzeitarbeit (vormittags) und unbezahlter Familienarbeit, weshalb über 80 Prozent vor dem 40. Lebensjahr aus dem Beruf ausscheidet. Wer Qualität und Menge in dem Bereich ausweiten will, muss sich mit diesen Determinanten auseinandersetzen. Doch dafür ist jeder (!), der über das Thema debattieren will, intellektuell zu bequem.
Meine Frau hat ein Jahrzehnt für einen Kindergarten der EZB gearbeitet. Die Mitarbeiter in Frankfurt sind außerordentlich privilegiert. Neben überdurchschnittlichen Gehältern beziehen sie diese weitgehend steuer- und sozialabgabenfrei. Für den Kita-Platz zahlen sie einen symbolischen Preis von 100 Euro, die Bank finanziert die Einrichtungen weitgehend und ermöglicht den günstigsten Verteilungsschlüssel Erzieher pro Kind. Die Eltern sind durch die Bank (Redewendung) hoch gebildet, international unterwegs und oft mehrsprachig. Ihre Kinder sind das Ebenbild.
Finden Sie den Fehler.
Was ist die Realität? Zu Beginn halte ich die These, dass Eltern ein eigenes Budget für die Ausgaben der Kinder vorhalten, für absolut realitätsfern. Ich kenne keine Familie, die nur annähernd so zusammenlebt
Behauptet ja auch niemand. Die meisten Eltern, so zeigen Studien, verzichten bei Ihren Bedürfnissen um den Kindern mehr zu ermöglichen. Insofern würde die Grundsicherung ein Stück weit der materiellen Teilhabe beitragen.
Ist die Annahme realitätsnah, dass sie ihre Gewohnheiten wesentlich verändern, wenn sie monatlich 100 oder 300 Euro mehr im Portemonnaie haben? Anders gefragt: Ändern Sie ihre Prioritäten, wenn Sie monatlich 800 Euro mehr zur Verfügung haben? Also nein. Warum legen wir aber eine solch realitätsferne Annahme unserer Politik zugrunde?
Die Kindergrundsicherung ist ja wie beschrieben nur ein Baustein. Transferleistungen zu erhöhen, wird das Problem, nicht lösen. Großbritannien hat bspw. gute Erfahrungen gemacht in Familienzentren pädagogische Beratungen gepaart mit Familienhilfen bereitzustellen. Neben Erziehungshilfe gibt es eben auch Haushaltsführungsberatung, Sprachkurse und Ernährungsberatung.
Der Fehler ist nicht Geld. Die Milliarden wurden genutzt, die Gehälter der Erzieher deutlich anzuheben. Das freut die Beschäftigten. Doch damit bekommt man noch längst nicht bessere Erzieher, zumal gleichzeitig die Ausbildungszeit verkürzt wurde.
Naja, wie in vielen Jobs hat auch hier der demographische Wandel zugeschlagen. Es gibt überproportional viele Erzieher, die in den altersbedingten Ruhestand Wechseln und die. Neueinstellungen fangen die Abgänge Nichtraucher. Darüber hinaus hat sich der Anspruch an die erzieherische Arbeit verändert, so dass Erziehende deutlich besser qualifiziert werden müssen, was eben auch Lohnsteigernd wirkt.
Wer Qualität und Menge in dem Bereich ausweiten will, muss sich mit diesen Determinanten auseinandersetzen. Doch dafür ist jeder (!), der über das Thema debattieren will, intellektuell zu bequem.
Sehr guter Punkt und eine absolut nicht zu unterschätzende Gefahr. Insofern wäre es wichtig zu klären, welche Modelle es braucht um die Kinderbetreuung auf langfristig sichere Füße zu stellen.
Behauptet ja auch niemand. Die meisten Eltern, so zeigen Studien, verzichten bei Ihren Bedürfnissen um den Kindern mehr zu ermöglichen.
Hm, wie soll das gehen? Das ist eine Theorie, dergemäß Menschen in Umfragen antworten. Aber so ist es nicht, auch ich hätte das nicht für mich in Anspruch genommen.
Wie die GuV eines Unternehmens besteht auch das Haushaltsbudget aus fixen und variablen Kosten. Man kann schlechterdings nicht die Miete zugunsten eines neuen Pullis des Sohnemanns kürzen. Die Kosten für die Kinder sind weitgehend „Gemeinkosten“ oder entstehen nur in Zusammenhang mit den Eltern. Und an Eisdielen erlebe ich es selten, dass ein Vater nur ein Eisbällchen nimmt, damit die Tochter 4 muffeln kann.
Tatsächlich fahren die Eltern, die ich über die Jahrzehnte kennengelernt habe (auch meine eigenen Anfang der Siebzigerjahre) auch mal allein in den Urlaub. Und damals war das durchaus auch so, weil man sich nicht für alle eine Flugreise leisten konnte. Und bei meinen habe ich das auch so gemacht. Streng geurteilt würde ich sagen, es gibt keine Eltern, wo sie nicht selbst an erster Stelle stehen und den größeren Teil vom Budget konsumieren. Also hören wir auf, uns an der Stelle vermeintliche Ideale um die Ohren zu hauen.
Anders als Linke meinen bestimmt der Staat über den Anreiz zur Arbeit. Er entscheidet im modernen Staatswesen, wie groß der Abstand zwischen Markteinkommen, verfügbarem Einkommen und Transfereinkommen ausfällt. Es liegt eigentlich auf der Hand, dass Transfereinkommen, welche das verfügbare Einkommen übersteigen, den Arbeitsanreiz auf Null setzen. Das ist dann politisch gewollt. Und damit führen wir die gleichen Debatten wir vor 20 Jahren, obwohl die politische Linke spätestens seit Beginn des Jahrtausends in ihren Ansichten widerlegt ist.
Naja, wie in vielen Jobs hat auch hier der demographische Wandel zugeschlagen. Es gibt überproportional viele Erzieher, die in den altersbedingten Ruhestand Wechseln
Nein. Die Ansicht ist originell, aber falsch. Zum einen gibt es praktisch keine Erzieher über 50, meine Frau ist die Ausnahme. Meines Wissens nach liegt das Renteneintrittsalter derzeit aber bei 66 Jahren. Wie soll da der demographische Wandel zugeschlagen haben?
Zum anderen hat die Zahl der im Erzieherwesen Beschäftigten zugenommen. Und es tummelt sich enorm viel fachfremdes Personal, das nicht die Ausbildung durchlaufen hat. Apropos:
Darüber hinaus hat sich der Anspruch an die erzieherische Arbeit verändert, so dass Erziehende deutlich besser qualifiziert werden müssen, was eben auch lohnsteigernd wirkt.
Wie bereits geschrieben wurde die Ausbildungszeit deutlich verkürzt, um 1-2 Jahre. Höhere Qualifikation durch verkürzte Ausbildungszeiten? Originell. Nochmal zur Realität: Jemand, der sich heute für die Ausbildung anmeldet, hat praktisch keine Chance, dem Abschluss zu entkommen. Der kann abschreiben, ganze Arbeiten fremdkopieren mit Wissen der Lehrerin, er besteht. So ist es meiner Frau widerfahren, die von ihrer Praktikantin kopiert wurde. Es kam zur Anzeige bei der Schule, anschließend wurde die junge Frau umbesetzt, das war’s. Ihren Abschluss hat sie planmäßig bekommen. Ich hätte in einem vergleichbaren Fall mein gesamtes Studium schmeißen können.
Erzieher werden streng nach Tarif bezahlt. Die Entgeltstufen wurden gravierend angehoben, das ist der Punkt. Da sind wir wieder an meinem Anfangspunkt: Wir müssen uns bei der Betrachtung von Problemen erst ehrlich machen und nicht mit schönen Annahmen beginnen.
Sehr guter Punkt und eine absolut nicht zu unterschätzende Gefahr. Insofern wäre es wichtig zu klären, welche Modelle es braucht um die Kinderbetreuung auf langfristig sichere Füße zu stellen.
Die Fakten habe ich aufgezählt. Daraus folgt eine Knappheit von Ressourcen, vor allem an Menschen. In bisher jeder Diskussion darüber meinten die Linken von Stefan bis CitizenK, die Knappheit durch mehr Geld überwinden zu können. Was machen Sie, wenn Sie sich nicht alles leisten und nicht alles erledigen können? Das, was jeder Mensch macht und was uns politisch so unmöglich erscheint: Prioritäten setzen.
Ich fragte Sie nach dem Fehler. Haben Sie ihn gefunden? Ich finde, die umfangreiche Betreuung eines Mädchens aus einer Migrantenfamilie aus Syrien ist wichtiger als die Tochter einer EZB-Angestellten. Stefan und CitizenK finden das nicht. Das ist der Unterschied. Sie finden, dass die Eltern des syrischen Mädchens nicht durch den Sonderbedarf an Betreuung diskriminiert werden dürften, weshalb wir nun einmal allen Kleinkindern eine besondere Betreuung angedeihen lassen müssten. Sonst könnte noch jemand auf den Gedanken kommen, das Mädchen würde im Elternhaus benachteiligt!
Auf die Art werden wir immer um die Probleme herumdiskutieren, aber nichts lösen. Und schauen dem Land beim Niedergang zu.
Und an Eisdielen erlebe ich es selten, dass ein Vater nur ein Eisbällchen nimmt, damit die Tochter 4 muffeln kann.
Ich denke, das ist eher auf die größeren Ausgabenposten bezogen – ich kenne Beispiele wo die Mutter der Vater auf neue Schuhe verzichtet hat, um dem Kind einen Schulranzen zu kaufen.
Natürlich geht die KIndergrundsicherung auch im Gemeinkostentopf einer Familie auf – die Familie erlebt so gemeinsame Teilhabe – aber dass die Eltern das Geld, versaufen, verspielen oder verrauchen ist ein Vorurteil – ich kann es nur für die Stadt Köln sagen, da ich hier über einige Bekannte Einblicke in die Jugendhilfe habe. Aber hier ist es so, dass mehr Geld für Kinder auch bei diesen ankommt. Wohlgemerkt sind direkte finazielle Transfers allein, nicht die Lösung für das Armutsproblem, darin sind wir uns wohl einig.
Nein. Die Ansicht ist originell, aber falsch. Zum einen gibt es praktisch keine Erzieher über 50,
Ich habe jetzt nicht lange gesucht, und nur Zahlen aus 2018 / 2017 gefunden. 2017 waren 173.000 Kita-Fachkräfte 50 Jahre oder älter – das entspricht einem Durchschnittsalter von über 50 – vgl. erzieherin-ausbildung.de/praxis/aktuelles/ueberalterung-des-kita-personals-als-folge-des-fachkraeftemangels
Das deckt sich zumindest (wie gesagt, ich hab nur ein Bild für die Stadt Köln), mit meinen Endrücken.
Wie bereits geschrieben wurde die Ausbildungszeit deutlich verkürzt, um 1-2 Jahre.
Von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich – nach wie vor dauert die Ausbildung (je nach Vorwissen und BUndesland 3 bis 5 Jahre). Das Thema Prüfungsbetrug ist nichts neues und sicherlich nicht nur auf Erzieher beschränkt. Und tut in dem Zusammenhang eigentlich auch nichts zur Sache, da der überwiegende Teil der Aspiranten sich an die Regeln hält und vernünftige Abschlüsse zu erzielen. Die Zahl der Quereinsteiger musste zunehmen, da die Kommunen es nicht geschafft hätten den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung zu erfüllen.
Ich bin bei Ihnen, das geht zur Lasten der Qualität und wurde in den vergangenen Jahrzehnten komplett vergurkt, weil (hier kann ich nur für NRW sprechen) bis vor wenigen Jahren bei der Personalplanung im Bildungsbereich die Bevölkerungsentwicklung überhaupt nicht in den Blick genommen wurde. Daher kämpfen hier viele Kommunen die Rechstansprüche zu erfüllen. Hinzu kommt die AUfnahme der Migtratenwellen aus Syrien und der Ukraine die vielerorts die Systeme an die Belastungsgrenze bringen.
Was machen Sie, wenn Sie sich nicht alles leisten und nicht alles erledigen können? Das, was jeder Mensch macht und was uns politisch so unmöglich erscheint: Prioritäten setzen.
Absolut und man muss feststellen, dass die Prioritätensetzung für Kinder und Familien in diesem Land nicht funktioniert. Für eine Gesellschaft, die ihr ganzes soziales Sicherungssystem auf dem Konzept Generationenvertrag aufgebaut hat, ist das sehr kurzsichtig. Wir haben nur eine Ressource: gut ausgebildete Menschen – leider lassen wir diese Ressource brach liegen und daher geht es stetig bergab.
Aber es wundert mich auch nicht:
Schauen sie sich den Anteil der Spitzenpolitiker mit Kindern an. Die werden gerne mal zur Parlamentseröffnung mitgenommen, aber ich habe noch nie gelesen, dass bspw. Ministerpräsident Wüst einen Teams-Call machen musste mit seinem Kind an der Seite, oder eben einen Termin schieben musste, weil auf sein krankes Kind aufpassen musste. Von diesen Realitäten, die viele Eltern jeden Tag beschäftigen ist unsere Spitzenpolitik meilenweilt entfernt. Dieses Land ist strukturell Kinderfeindlich, obwohl diese Basis für seinen Wohlstand ist – finde den Fehler.
Ja, aber genau das fällt doch in die Kategorie „Schönrechnen“. Der Schulranzen gehört zu den Gemeinkosten des Familienbudgets. Der ist fällig bei Schuleintritt und ggf. bei Schulwechsel. Da können Eltern nicht sagen: machen wir nicht. Allerdings habe ich es öfters in Mittelverdienerfamilien erlebt, dass nicht die Eltern, sondern Großeltern und Onkel den Schulranzen finanziert haben. Bürgergeldbezieher haben natürlich keine Großeltern…
Und gehen Sie davon aus, dass der Vater keine Schuhe mehr gekauft hat? Nein, der Kauf wurde nur aufgeschoben, was bei Schuhen nicht so problematisch ist. Wo ist da der (echte) Verzicht? Machen wir uns nichts vor.
Echter Verzicht wäre, wenn die Familie auf ein Auto verzichten würde, um dem Kind das Studium zu ermöglichen. Oder wenn die Eltern nicht in Urlaub fahren, damit das Mädel eine London-Tour machen kann. Doch solchen Verzicht von Eltern gibt es praktisch nicht. Also erzählen wir uns nicht gegenseitig Märchen.
Ein solches ist, dass die Kindergrundsicherung 1:1 den Kindern zugute kommt. Sie kommt ihnen anteilig zum Familienbudget zugute – nicht mehr und nicht weniger. Und das wird immer nur ein Bruchteil sein. Die Streuverluste der Maßnahme sind immens. Und dabei sind noch nicht die Folgeschäden berücksichtigt, die beispielsweise Alleinerziehende und Geringverdiener noch mehr vom eigenen Einkommenserwerb abhalten und damit die Kinder sozialpolitisch weiter runterziehen.
Ich habe jetzt nicht lange gesucht, und nur Zahlen aus 2018 / 2017 gefunden. 2017 waren 173.000 Kita-Fachkräfte 50 Jahre oder älter – das entspricht einem Durchschnittsalter von über 50
Super! Nur, Zahlen sind nichts wert, wenn sie nicht in Relation gesetzt werden. Derzeit gibt es 730.000 pädagogische Kräfte, die 173.000 sind also 23 Prozent. Zum Vergleich: bundesweit sind 37% der Erwerbsbevölkerung 50 und älter.
Was noch sichtbar ist: die Anzahl des Kita-Personals ist kräftig gestiegen.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1011406/umfrage/fachkraefte-in-der-kinderbetreuung-in-deutschland/
Das Thema Prüfungsbetrug ist nichts neues und sicherlich nicht nur auf Erzieher beschränkt.
Das war nicht die Behauptung, sondern die Folgen. Wenn selbst offener Betrug keine Konsequenzen nach sich zieht, werden eben Aspiranten nur noch durchgewunken und die Qualität ist dahin. Das Gegenteil ihrer These zur Begründung von Gehaltssteigerungen in der Branche.
Die Zahl der Quereinsteiger musste zunehmen, da die Kommunen es nicht geschafft hätten den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung zu erfüllen.
Der nächste Irrtum: Fachfremdes Personal zählt für den Verteilerschlüssel nicht. Sie sind Türhalter. Sind 20 Fachfremde um 17 Uhr in der Kita mit 3 Kindern, so muss immer noch eine Erzieherin dabei sein. Sie können die Zahl übrigens auch auf 100 erhöhen. Mit anderen Worten: Das fachfremde Personal nützt den Erzieherinnen in der täglichen Arbeit gar nichts, da gibt es aufgrund der gesetzlichen Vorgaben nicht den Hauch einer Entlastung. Abgesehen davon ist das eingestellte Personal nach intensiver Beobachtung in zwei Vorzeigeeinrichtungen (kein Dorfkindergarten) tatsächlich geringqualifiziert.
Es bleibt dabei: Der Staat kann unmöglich den Rechtsanspruch erfüllen, den er selbst geschaffen hat. Das ist mein Punkt. Und die Konsequenzen dieser Politik, Unmögliches in Gesetze zu packen, müssen die Erzieher vor Ort durch Arbeitsüberlastung ausbaden. Und es wird schlimmer durch die Regeln des Tarifvertrags, der den Trägern nicht die Möglichkeit gibt, das Personal unterschiedlich nach Qualität zu vergüten. So ist in der Branche am Ende hauptsächlich die Fluktuation gestiegen. Chapeau!
Für eine Gesellschaft, die ihr ganzes soziales Sicherungssystem auf dem Konzept Generationenvertrag aufgebaut hat, ist das sehr kurzsichtig. Wir haben nur eine Ressource: gut ausgebildete Menschen – leider lassen wir diese Ressource brach liegen und daher geht es stetig bergab.
Schönes Statement, aber nur ein politisches, kein sachliches, aus dem ein Leitfaden für das Problem entwickelt werden könnte. Aber ich will Probleme lösen.
Über die Kinderfeindlichkeit Deutschlands habe ich lang und breit geschrieben. Wer etwas nicht erfährt, bekommt keine Beziehung dazu:
Als ich 1967 geboren wurde, war das ein geburtenreicher Jahrgang. Über eine Million taten es meinen Eltern gleich und setzten Kinder in die Welt. Damals waren 30% der Gesellschaft Kind, also 23 Millionen Bewohner waren unter 20 Jahren. Diese Relation hatte bis Mitte der 1970er Jahre Bestand, was unser Bild von Kindheit erklärt. Wir hatten viele Spielkameraden, volle Klassenzimmer und waren auf Familienfesten nie den Erwachsenen ausgeliefert. Helicopter-Eltern wurden gar nicht benötigt, weil wir auf uns selbst aufpassen konnten. (..)
eit inzwischen 15 Jahren werden jährlich gerade mal 700.000 Kinder geboren, meist weniger, manchmal mehr. Obwohl die Bevölkerung zwischenzeitlich um 10% gewachsen ist, schrumpfte die Anzahl der unter 20jährigen auf 15 Millionen. In relativen Zahlen sind das am Ende rund 40% weniger als zu unserer eigenen Kindheit. (..) Wenn ein Junge oder ein Mädchen 1970 noch 5 Spielkameraden hatte, sind es heute damit weniger als 2.
https://www.deliberationdaily.de/2016/10/die-ego-no-kids-gesellschaft/
Dass Amerikaner und Franzosen wesentlich kinder- und familienfreundlicher sind, hat schlicht damit zu tun, dass Amerikaner und Franzosen Kinder kennen. Olaf Scholz kennt sie nur aus Büchern.
Es bleibt dabei: Der Staat kann unmöglich den Rechtsanspruch erfüllen, den er selbst geschaffen hat.
Ich folge Ihrer grundsätzlichen Argumentation durchaus. Aber die Behauptung geht zu weit.
Doch, könnte er. Wenn er wollte. Er könnte mehr Anstrengungen zur Ausbildung und Anwerbung unternehmen, er könnte die Anforderungen senken, er könnte mehr ausländisches Personal nach Deutschland holen.
Nur hätte all das jeweils einen – hohen – Preis. Und den würden dann eben wir alle und/oder andere Branchen bezahlen. Aber „er kann unmöglich“ ist schlicht übertrieben.
Gruss,
Thorsten Haupts
Nach dem, was ich – oder besser: meine Frau – über Jahrzehnte in dem Bereich gesehen habe, gibt es nur eine begrenzte Zahl an geeigneten Personen. Und schon heute arbeiten in dem Bereich sehr, sehr viele junge Frauen, die nicht wirklich geeignet sind und wo Eltern – so sie denn wüssten – fragen würden, ob sie ihr Kind wirklich von so einem Menschen betreuen lassen wollen.
Nein, ich denke mehr geht nicht. Es sei denn wir backen uns einfach Menschen. CitizenK ist dabei.
„die umfangreiche Betreuung eines Mädchens aus einer Migrantenfamilie aus Syrien ist wichtiger als die Tochter einer EZB-Angestellten.
Stefan und CitizenK finden das nicht.“ Worauf stützt sich diese Aussage? Das Gegenteil ist richtig.
Dass die Qualität durchaus mit Geld zu tun hat, demonstrieren Sie selbst eindrucksvoll mit dem EZB-Beispiel.
Übrigens: Die skandinavischen Länder geben (2022) 1,3 bis 1,5 % des BIP für frühkindliche Bildung aus, Deutschland 0,6 %.
Wir hatten vor drei Monaten die Diskussion. Ihre Position: Eine allgemeine Kita-Pflicht für alle Kinder und kostenlose Betreuung im Vorschulalter. Damit machen Sie eben nicht den Unterschied.
Sie verstehen nicht, weil Sie sich Ihre Welt malen. Die EZB-Kindergärten saugen Erzieher vom Markt auf, die anderen Einrichtungen fehlen. Sie verstehen nicht, dass Erzieher eine knappe Ressource sind. Sie sind ja im Malverein. Ansonsten dienen die Zahlungen der EZB nur dazu, den gutverdienenden Eltern die Fremdbetreuung noch günstiger zu machen. Der Vorteil ist absolut nicht zu erkennen.
Wieso nehmen Sie an dieser Stelle Skandinavien? Seit einiger Zeit lehnen Sie ja Schweden und Dänemark als Vorbilder für die Migrationspolitik ab. Und Sie können sich auch nicht mit dem dänischen Prinzip bei Arbeitslosen des Förderns und Forderns anfreunden. Ich habe für Rosinenpickerei nicht viel übrig, auch nicht wenn Sie zur Argumentationssuche erfolgt. Mache ich das in Bezug auf Steuern? Halte ich Ihnen die USA oder Singapur unter die Nase? Nein? Warum wohl nicht?
Die Kinderbetreuung in DK hat sich durch den neuen Kurs in der Migrationspolitik doch nicht geändert.
Warum ist die Resource so knapp? Die Fehler der Vergangenheit: Mangelnde Anerkennung, Schulgeld statt Ausbildungsvergütung. Die paar Erzieher bei der EZB fallen bundesweit nicht ins Gewicht. Und die überzogenen Privilegien bei den EU-Institutionen sind ohnehin in diesem Maße nicht gerechtfertigt.
Sie picken sich raus, was Ihnen gefällt, weisen aber sonst alles zurück, was im Zusammenhang mit einem Land oder Bereich steht. Das nennt man gemeinhin Cherry Picking.
Ich führe die USA nicht als Beispiel ein, weil ich das dortige Steuerniveau zwar toll finde, vieles andere aber nicht, was auch mit Staatsausgaben zu tun hat. Also wäre es von mir unseriös, anhand des Beispiels zu diskutieren. Ist halt mein Standard.
Wir haben auch zu wenig ITler, zu wenig Führungskräfte, zu wenig Frauen, die für Top-Positionen in Frage kommen, zu wenig Ingenieure etc. Fehler der Vergangenheit *Augenroll*
Warum sind seit Jahrzehnten Frauen mit durchschnittlichem Schulabschluss in den Erzieherberuf gegangen statt in besser bezahlte Verwaltungsjobs? Das Image der Erzieherin war immer besser als das anderer Berufe. Was Sie behaupten, ist das schlichtweg Quatsch. Das Erzieherwesen litt nie unter einem Imageproblem.
Der Punkt ist die Verteilungswirkung. In Frankfurt sind die Eliteeinrichtungen BVZ und pme sehr wohl relevant im Markt. Sie versorgen die großen Arbeitgeber EZB, Deutsche Bundesbank, Commerzbank u.ä. Die Verteilungswirkung ist die, dass die Kinder aus besserem Elternhaus mit guten Schlüsseln versorgt sind, in Bornheim aber wesentlich mehr Kinder auf eine Erzieherin kommen.
Nochmal: Das finden Sie gut. Sonst müssten Sie Ihre Position vom Frühjahr berichtigen.
Die deutsche Version vom „Les Douze Travaux d’Astérix“ ist „Asterix erobert Rom“, nicht „Asterix – Sieg über Cäsar“.
danke, korrigiere ich.
Die Kinder in der Armut belassen, so dass Sie wiederum die nächste Generation von Bürgergeldempfängern werden?
Was missfällt mir daran? Alles. Wenn der Eigentümer eine Investition untersagt, lässt er sich auch nicht anheischen, ob er gar keinen Umsatz mehr machen wolle. Wir sollten diesen Ton absolut unterlassen, so gehen seriöse Menschen nicht miteinander um.
Wir haben in der deutschen Politik – und das gilt auch für die Diskussion von politischen Problemen – einen schrecklich eindimensionalen Blick. Wo gibt es das sonst? „Unser Geschäft schwächelt!“ Zu wenig Geld investiert! „Mein Kind hat Magenschmerzen!“ Kein Geld für den Arzt! „Mein Verein verliert nur noch!“ Halt zu wenig in Spieler investiert!
Da verwundert es nicht, dass wir im Sport – und nicht nur dort (Eurovision Song Contest!) – nur noch eine Nullnummer sind. Wenn Leute glauben, mit Geld alles kaufen zu können, bekommen sie all das nicht, was man mit Geld nicht kaufen kann.
Ich setze in einem gesonderten Kommentar fort.
1) a) NBC gibt es schon aus der Vor-Fernsehzeit, Mitte der 90er ist Microsoft (MS) eingestiegen. Zudem gibt es auch noch CNN seit den 80ern. Wo siehst du die 20-jährige Verspätung?
b) Zur Frage nach der abnehmenden Qualität des ÖR zwei Überlegungen von mir:
b1) Der häufige Vorwurf der politisch einseitigen Agenda : Das war früher eigentlich noch deutlicher, aber dadurch, dass es zwei Grundhaltungen (moderat links und moderat rechts) gab, ließen sich die nach Proporz repräsentieren (Das Magazin „frontal“ hatte das zum Geschäftsmodell gemacht). Heute mit vielen Ausrichtungen und einem politischen Grundkonflikt „Eliten vs Populisten“ liegt die Situation anders.
b2) Der ÖR ist an einigen Punkten in den letzten Jahren nicht besser geworden, obwohl das nötig wäre. Beispiel: komplettes Ignorieren von 90% der Welt, wenn dort nicht gerade ein „wichtiger“ Konflikt stattfindet – „unwichtig“ ist für die Tagesschau zum Beispiel der Bürgerkrieg in Tigray.
3) Ich glaube du wirfst drei „Brown vs. Board of Education Vorfälle“ in einen Topf:
– In Little Rock 1957 wollte der Gouverneur die Nationalgarde nutzen um Schüler an der Koedukation zu hindern. Eisenhower setzte Bundestruppen dagegen ein, es gab keine Gewalt, die Nationalgarde stand beiseite.
– In Mississippi gab es gegen den Universitätsbesuch schwarzer Studenten so schwere Unruhen, dass Kennedy die Army in beträchtlicher Zahl und echter Gewaltanwendung eingesetzt hat. Ich habe dazu den Begriff „letzte Schlacht des Bürgerkriegs“ gelesen.
– In Alabama wollte der Wallace den Universitätszugang durch persönliche Anwesenheit blockieren. Kennedy hatte „vorsorglich“ die Nationalgarde vorher unter Bundeskontrolle gesetzt.
5) Ich nehme das mal als Aufforderung, meine eigene Deutung hineinzuwerfen:
Konkreter Aufhänger ist die Autobahn GmbH (und das Problem dort Schwerlasttransporte genehmigt zu bekommen). Das ist eines der „staatskapitalistischen“ Semiprivatisierungsunternehmen, die immer wieder durch schlechte Leistung und Geldverschwendung auffallen: Tollcollect, gematik, DB, ausgelagerte Bundeswehrlogistik (Fuhrpark, Bekleidung) etc…
b1) Sehr guter Punkt!
b2) richtig, aber das interessiert halt auch schlicht keinen.
3) mea culpa, danke.
5) ja
Der ÖR ist an einigen Punkten in den letzten Jahren nicht besser geworden, obwohl das nötig wäre. Beispiel: komplettes Ignorieren von 90% der Welt, wenn dort nicht gerade ein „wichtiger“ Konflikt stattfindet – „unwichtig“ ist für die Tagesschau zum Beispiel der Bürgerkrieg in Tigray.
Also “90%” halte ich für maßlos übertrieben. Früher fand in den Nachrichten primär Deutschland statt. Da hat in den letzten 20 Jahren eine dramatische Ausweitung auf unsere Europäische Union stattgefunden. Wahlkampf in Spanien, Waldbrände in Griechenland, Demonstrationen in Polen sind plötzlich Teil der deutschen News. Dazu kommen die USA, die traditionell – auch früher schon – berichterstattungsmäßig immer ganz gut abgedeckt waren. Über Russland und vor allem China hört man viel, weil sie unsere geostrategischen Konkurrenten sind. Unter unseren westlichen Partnern finden Australien, Kanada, Japan, Südkorea und Taiwan bei bedeutenden Ereignissen Erwähnung. Dasselbe gilt bei unseren Gegnern wie Nordkorea oder dem Iran. Der Nahe und Mittlere Osten sowie das arabische Nordafrika wird ebenfalls gut abgedeckt.
Wo aus meiner Sicht tatsächlich “Underreporting” stattfindet, zumindest im Vergleich zur Größe und globalen Bedeutung des Landes sind Indien, Pakistan, Brasilien, Argentinien, Mexiko und Südafrika. Und klar -> Der größte Teil des afrikanischen Kontinents findet kaum Erwähnung. Aber das hat eben auch damit zu tun, dass vieles dort keine unmittelbare Relevanz für uns hat. Ein relativ kurzer Bürgerkrieg wie in Tigray hat eben keine Effekte auf Deutschland – es sei denn, es setzt sich ein größerer Flüchtlingsstrom in Gang. Folglich ist es nicht erstaunlich, dass wenig Interesse an Berichterstattung besteht. Für Teile Südamerikas gilt das gleiche. Wer Nachrichten produziert, muss immer auch die Frage stellen “muss mein Publikum das wissen?”.
ja, da stimme ich ralf zu. das hat sich massiv zu einer internationalisierung verschoben – wenngleich natürlich auf geringem niveau.
Ich habe mir einfach mal die gestrige Tagesschau betrachtet:
10 Minuten Deutschlandthemen
2 Minuten EU-Ukraine-Werbeblock für Waffenhandel
2 Minuten Feuer in Johannesburg
Sport Wetter
Du sprichst zwei wichtige Punkte an:
„Über Russland und vor allem China hört man viel, weil sie unsere geostrategischen Konkurrenten sind. Unter unseren westlichen Partnern finden Australien, Kanada, Japan, Südkorea und Taiwan bei bedeutenden Ereignissen Erwähnung. Dasselbe gilt bei unseren Gegnern wie Nordkorea oder dem Iran.“ Berichterstattung (oder der Mangel daran) läuft bei sehr vielen Auslandsthemen entlang Freund-Feind Linien. Ein Beispiel: Über das Ablassen großer Mengen radioaktiven Abwassers ins Meer wird fast nicht berichtet – weil der Akteur Japan ist und der Protest aus China kommt. Stell dir vor, es wäre andersherum. Ich bin mir sicher, die Tagesschau würde deutlich Stellung beziehen.
„Folglich ist es nicht erstaunlich, dass wenig Interesse an Berichterstattung besteht.“ Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Was ist interessant ? Das, worüber berichtet wird. Und da sind die komplexen Themen mit einfacher Meinungsbildung attraktiv. Beispiel: Über das Rollerverbot in Paris wird berichtet, über die Bekämpfung der Tigermücke (Seuchenprävention) in der gleichen Stadt nicht.
Eine Empfehlung für einen sehr einfachen weiteren Selbsttest zum Thema habe ich noch: Schau hin und wieder bei Wiki (englisch) auf die Kategorie „In the news“ unter dem Aspekt, durch welche Medien du zu diesem Thema wie gut informiert wurdest. Heute wären das: Putsch in Gabun, Tod von Prigoshin, indische Mondlandung, neuer Premierminister in Thailand.
Aus einer einzigen Folge der Tagesschau auf ein grundsätzlich verzerrtes Berichterstattungsspektrum der Sendung im allgemeinen zu schließen, ist methodisch fehleranfällig. Im übrigen ist das Verhältnis Inland-zu-Ausland von etwa 67:33 beim Reporting nicht furchtbar unerwartet. Ist doch klar, dass in einer für das deutsche Publikum gemachten Nachrichtensendung deutsche Themen dominieren. Auch die Auswahl der internationalen Themen leuchten ein. Der Ukrainekrieg hat heftige wirtschaftliche und strategische Folgen für uns. Dass diesem Thema besonders viel Raum gegeben wird, ist folglich nicht überraschend.
Dass wegen eines Freund-Feind-Schemas absichtlich Informationen unterdrückt werden, kann ich so nicht bestätigen. Gerade über Dein Beispiel – das Einleiten radioaktiven Kühlwassers ins Meer durch Japan und der resultierende Konflikt mit China – habe ich einiges im Vorfeld gelesen (z.B. Spiegel Online und Guardian). Der Streit zieht sich ja schon über Monate hin. Auf der anderen Seite ist das Thema halt auch nur mittelmäßig relevant für den Durchschnittsdeutschen. Würde Tschechien Atommüll in die Elbe leiten, würdest Du sicher sehr viel mehr “Auslandsberichterstattung” zu den Ereignissen bekommen. Ist halt immer eine Frage, wie relevant das für die Bevölkerung ist.
Dass bei 15 Minuten Nachrichten immer auch Themen auf der Strecke bleiben – manchmal auch wichtige Themen – ist klar. Aber die Bekämpfung der Tigermücke in Paris ist jetzt kein mega komplexes Thema: Klimawandel -> es wird wärmer -> an warmes Klima gewöhnte Mücken breiten sich aus -> Mücken übertragen Krankheiten. Dass die Komplexität des Themas der Grund war, dass diese Nachricht es nicht in die Tagesschau geschafft hat, ist folglich eher unwahrscheinlich. Möglicherweise sind den Bürgern Roller einfach wichtiger. Bei Gesprächen in meinem Freundeskreis kommt das “Thema Roller” des Öfteren auf’s Tapet. Das “Thema Dengue-Virus” hat noch nie jemand erwähnt.
Zu Deinen Themen am Ende: Zum Tod von Prigoschin ist sehr, sehr viel berichtet worden. Das ist auch kein Wunder. Prigoschin ist ein Schlüssel-Player in einem Krieg, der ganz konkret unsere eigene Sicherheit und unseren eigenen Wohlstand bedroht. Dass da viel geschrieben wird, ist selbstverständlich. Der Putsch in Gabun kommt in den Medien nur sehr am Rande vor. Ich habe vorgestern einen Artikel dazu bei Spiegel Online gelesen. Ist also nicht so, dass der Putsch im Westen völlig ignoriert wird. Aber es ist aus meiner Sicht kein bedeutendes Großereignis, über das der Buchhalter in Wuppertal oder die Krankenschwester in Regensburg unbedingt Bescheid wissen müssen. Dass über die indische Mondlandung so wenig berichtet wird, bricht mir das Herz. Ich finde das immer super schade, dass solch epochale Leistungen der Menschheit, neben all den Kriegen und Bürgerkriegen und Verbrechen und Fehltritten und Skandalen, die unsere Medien dominieren, nicht stärker gewürdigt werden. Allerdings hat das hier nichts mit einem “Freund-Feind-Bias” der Nachrichten zu tun. Indien ist kein “Feind”. Eher hat es mit Desinteresse der Gesellschaft zu tun – sowohl was Indien betrifft, als auch was die Raumfahrt betrifft. Die ESA/NASA-Mission Rosetta, in deren Rahmen die erste Landung auf einem Kometen durch die Philae-Sonde gelang, wurde zum Beispiel in den Medien – zugegebenermaßen zu meinem Ärger – auch kaum erwähnt. Über den neuen thailändischen Premierminister weiß ich in der Tat nichts. Aber ist das eine signifikante Wissenlücke?
und da haben wir das grundproblem der tagesschau: was genau weiß ich, wenn da die nachricht durchtuckert dass thailand einen neuen PM hat?
Berichterstattung ist natürlich immer vom Medium und den Journalisten gefärbt. Das Netz der Auslandskorrespondenten wurde in den letzten 30 Jahren immer dünner und die Leute sind oft schlecht bezahlt. Aus meiner Sicht übrigens völlig zu Recht.
In Zeiten des Internets kann man über das Web einen großen Teil der Medien aus anderen Regionen konsumieren. Um wirklich zu verstehen, sind lokale Sprachkenntnisse sowieso extrem hilfreich.
Wofür brauchen wir dann deutsche Vermittler, die sowieso immer ihren bias haben?
Viele der für deutsche öffentlich rechtliche Medien arbeitenden deutschen Journalisten in Lateinamerika empfinde ich als entschieden viel zu progresista, aber ich toleriere das.
ich finde es so krass bei den US-korrespondent*innen, weil ich das halbwegs beurteilen kann. die sind echt grütze.
Tjerk Brühwiller (Brasilien) und Katharina Wojczenko (Kolumbien) sind zu Lateinamerika aus meiner Sicht ok. Den Rest verstehe ich oft nicht.
Jürgen Vogel hat seine guten Seiten. Aber hier hat der ein paar wichtige Dinge nicht auf dem Schirm. Glaub überhaupt nicht, dass er das bewußt wegblendete. Wenn du bestimmte Teile der aktuell wg katastrophalen Entwicklung sehr dunklen Medienwelt Argentiniens ignorierst… Mir tats dann nachher auch irgendwie Leid. Siehe Kommentar-Sektion. Taz hat übrigens bei meinem Kommentar hauptsächlich die Links entfernt, die meine Aussagen belegten.
https://taz.de/Vorwahlen-in-Argentinien/!5954117/
Auf der anderen Seite… ich krieg auf der Arbeit auch schon mal Breitseite und das ist manchmal auch berechtigt. Hab gerade in den letzten 5 Jahren viel über meine Reaktion auf Kritik nachgedacht und daran gearbeitet, das positiv zu verarbeiten.
Die Tagesschau-Schauer haben zu europäischen Ländern oder den USA und sogar Japan und China eine gewisse Kontext-Information.
Die fehlt ihnen zu vielen kleineren Ländern in Lateinamerika, Afrika und Asien.
Nachrichten zu Chile oder Argentinien werden in den Kommentaren von Zeit und Spiegel immer heiß diskutiert, aber 98% wissen echt nicht, worüber sie da eigentlich reden. Deshalb fallen die in eine emotionale Haltung zurück. So als würden sie gerade „Banana Joe“ mit Bud Spencer gucken.
In Brasilien wurde ein sympathisch aussehender ex-Gewerkschaftler gewählt. Der muss zu den Guten gehören.
In Argentinien scheint so ein Typ mit einem irren Blick und wirren Haaren gewählt, der radikal-libertäre Überzeugungen im wirtschaftlichen Bereich und sich gegen Abtreibung äußert. Der gehört wohl zu den Bösen.
Aus meiner Sicht ist das alles viel, viel, viel Komplexer und wenn einem die Kontext-Informationen fehlen, dann wird die Verarbeitung der Information komplizierter. Diese Leute sind auch viel leichter manipulierbar.
Man kann aber auch nicht erwarten, dass sich die Leute zu allen 180 Ländern der Welt hinreichend Kontext-Information beschaffen.
ja, aber das ist immer und bei jedem thema so. wer hatte schon ahnung von wärmepumpen?
Wärmepumpen sind vergleichsweise einfacher nachzuvollziehen als eine von der eigenen unterschiedlichen Kultur .
und schon das scheitert!
2) Die Autorin betont, dass Frauen trotz Bemühungen um Gleichberechtigung ebenfalls Konkurrenz und Abwertung untereinander praktizieren können.
Ja Mensch und Wasser ist nass^^
Hab mir jetzt die Mühe gemacht, den ganzen Artikel zu lesen und der ist ganz schön durcheinander und die gute Frau hat wohl bisher unter einem Stein gelebt. Und Misogynie mit Gruppendruck Schönheitsideale passt IMO hier auch nicht zusammen, der Druck geht da nämlich meist von den Geschlechtsgenossen/innen aus. Wenn ein Mann kein Pink/Handtasche/Rock whatever trägt, dann eher, damit die Männer sie nicht komisch angucken. Genau wie ich als Frau ziemlich sicher sein kann, dass eine neue Frisur oder Schuhe erstmal von einer Frau bewertet werden. (wie wir klischeemäßig alle wissen, fällt Männern das ja eh nicht auf, die müssen nachgucken, dass ihr Kumpel keine Handtasche gekauft hat 😉 )
Man könnte das noch weiterdrehen, und der guten Frau Beyer den nächsten Erkenntnisschock verschaffen, Frauen bekämpfen ja auch nicht automatisch das Patriarchat, sondern sind häufig aktiv dabei, es zu stützen und genauso gibt es Männer, die es kritisieren und bekämpfen. Das ist ebenfalls mehr eine Hierarchiesache als das es dabei ums Geschlecht geht.
3) Ist ja typisch, dass radikale Republicans erst den Surpreme Court übernehmen, dass Sorge besteht, dass noch weitere radikale Entscheidungen a la Zurücknahme von Roe vs Wade folgen und wenn wir diskutieren, wer einen Staatsstreich wegen ungenehmer Surpreme Court unternehmen könnte, schon wieder von radikalisierten republicans reden.
Ernsthaft, wer soll da eingreifen? Jemand von den republicans? Die finden das cool und normal. Und die democrats sind darauf nicht eingerichtet, weil sich in ihrem Staatsverständnis alle soweit an die Regeln halten, dass man nicht die Nationalgarde braucht, um Entscheidungen des Obersten Gerichts durchzusetzen (heutzutage).
Ich denke eher, es wäre wie in der EU. Wenn Orban fundamentale Regeln verletzt, schickt die EU ne Protestnote.
4) Go Sarah! Ich glaube, das wahrscheinlichste Szenario ist/wäre momentan, dass wir gar keine linkspopulistische Partei mehr hätten. Ich sehe nicht, dass Wagenknecht nennenswerte Zahlen zusammenbekommt und die LINKE wäre dann endgültig futsch. Und das wäre kein Verlust.
f) Ja, die Paus hats drauf. Bin immer noch schockiert, dass sich die völlig unbekannte Grüne mit dem „Gedönsministerium“ als größtes politisches Talent entpuppt. Und das Thema war sooooo dankbar! Musst ja gar nichts tun, die FDP redet sich da alleine um Kopf und Kragen.
Schade, dass sie damit alleine dastand, wäre mehr rauszuholen gewesen. A propos, wenns was gibt, was die Grünen noch schlechter können als politische Kommunikation ist es ja wohl verhandeln, am Ende hat die Paus 2 Millionen bekommen und Lindner nochmal ne Milliarde mehr für Unternehmen, (von den Kommunen bezahlt, der Fuchs!). Als weiteren Schadensersatz kein Piep von den Grünen, dass das Deutschland-Ticket in der Form nicht weiterläuft.
2) Jepp, das war so auch meine Reaktion.
3) 🙁
4) exakt
f) Hoffe, diese prognose bewahrheitet sich.
Dass Fachjournalisten mehr vom Fach verstehen als Du …
Das Vertrauen in Fachjournalisten ist rührend naiv. Alleine die deutsche Berichterstattung im Vorfeld des russischen Überfalls auf die Ukraine hätte allerdings genügen müssen, Sie davon zu kurieren. Nahezu alle Fachjournalisten haben nahezu alles falsch prognostiziert. Kein Unterschied zu meinem Friseur.
Gruss,
Thorsten Haupts