Jedes Jahr wiederholt sich ein schulischer Verwaltungsvorgang aufs Neue: das Vergeben und Empfangen der so genannten Kopfnoten, in den Bundesländern jedenfalls, die an diesem archaischen Ritual noch festhalten. Im heimischen Ländle Baden-Württemberg, wo der Zeitgeist immer ein wenig konservativer ist als im Durchschnitt der Republik, wird an den Kopfnoten eisern festgehalten, ob das Kultusministerium nun von der CDU, der SPD oder den Grünen geführt wird. Dabei gibt es gute Gründe, mit dem Unfug aufzuhören, und das nicht, weil es irgendwie falsch wäre, den Schüler*innen und ihren Eltern Rückmeldung über das Verhalten und die Mitarbeit der jeweiligen Sprösslinge zu geben, sondern weil die Kopfnoten dafür singulär ungeeignet sind. Aber der Reihe nach.
In Baden-Württemberg gibt es zwei Kopfnoten, die in Zeugnissen vergeben werden. Das geschieht von Klasse 5-11 einmal jährlich, wenn das Jahresabschlusszeugnis Ende Juli vor den Sommerferien ausgegeben wird, und in Klasse 12 halbjährlich mit den Jahrgangsstufenzeugnissen. In Klasse 13 gibt es keine Kopfnoten mehr; warum, das weiß der liebe Gott allein. Die beiden Kopfnoten tragen die Namen „Verhalten“ und „Mitarbeit“. Auf die Frage, was genau hier benotet werden soll, gibt das Landesrecht folgende präzise Antwort:
Verhalten bezeichnet sowohl das Betragen im allgemeinen als auch die Fähigkeit und tätige Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Mitarbeit bezieht sich vor allem auf den Arbeitswillen, der sich in Beiträgen zu den selbständig oder gemeinsam mit anderen zu lösenden Aufgaben äußert.
Und wer glaubt, das Ganze sei ein bisschen schwammig und könnte mehr Präzisierung vertragen, braucht nicht zu zittern und zu fürchten, denn auch hier weiß die Prüfungsordnung Rat:
1. Die Note »sehr gut« soll erteilt werden, wenn das Verhalten bzw. die Mitarbeit des Schülers besondere Anerkennung verdienen.
2. Die Note »gut« soll erteilt werden, wenn das Verhalten bzw. die Mitarbeit des Schülers den an ihn zu stellenden Erwartungen entspricht.
3. Die Note »befriedigend« soll erteilt werden, wenn das Verhalten bzw. die Mitarbeit des Schülers den an ihn zu stellenden Erwartungen im ganzen ohne wesentliche Einschränkung entspricht.
4. Die Note »unbefriedigend« soll erteilt werden, wenn das Verhalten bzw. die Mitarbeit des Schülers den an ihn zu stellenden Erwartungen nicht entspricht.
Ich versuche meine Ironie im Zaum zu halten, aber das einen Gummiparagraphen zu nennen ist eine Beleidigung für jedes anständige Kautschuk-Produkt. Wenig überraschend daher, dass die Vergabe von Kopfnoten oft durch ein System der Krücke funktioniert. Wie das berühmte Bonmot sagt: bei zwei Dingen will man nicht wissen, wie sie entstehen, Würste und Kopfnoten. Wer sich für Würste interessiert, findet hier was, wer wissen will, wie das bei Kopfnoten läuft, lese einfach weiter.
Festgelegt werden Kopfnoten von der Klassenkonferenz, einem sehr fancy Namen für „alle Lehrkräfte, die in der Klasse unterrichten“. Üblicherweise wird der Klassenlehrkraft ein Vorschlagsrecht eingeräumt oder einfach von einer „gut“ als Standard ausgegangen. Möchte eine Lehrkraft entweder vom Vorschlag der Klassenlehrkraft oder der Standard-gut abweichen, stellt diese einen Antrag. Da man nach Möglichkeit irgendwann fertig werden möchte – Zeugniskonferenzen, auf denen das entschieden wird, sind eng getaktet und es werden ja hunderte von Kopfnoten bestimmt! – geschieht das meist auf Zuruf. Steht also bei Max Mustermann eine 2 in Verhalten, ich finde aber, er hat eine 1 verdient, hebe ich meinen Arm und rufe „1“, woraufhin die Leitung der Konferenz (Schulleitung oder stellvertretende Schulleitung) eine kurze Abstimmung durchführt. Wofür sich eine Mehrheit findet, die Note ist es. Die Details mögen von Schule zu Schule abweichen, aber ein deliberativer Prozess ist es in keinem Fall.
Und damit sind wir beim ersten Problem der Kopfnoten: niemand weiß genau, was sie eigentlich aussagen sollen. Und das betrifft vor allem jene, die sie geben.
Wir hatten die Diskussion auf viel zu vielen Notenkonferenzen. Bei Mitarbeit ist wenigstens die Theorie klar. An und für sich ist hiermit gemeint, wie oft die Schüler*innen sich melden, ob sie ihre Aufgaben erledigen, Hausaufgaben machen, der Kram. Nur: die meisten Leute bilden das bereits in den mündlichen Noten (bei denen auch keiner weiß, was da eigentlich rein soll, aber das ist ein ganz eigenes Thema) ab, und ich bin da keine Ausnahme. Theoretisch sollen diese nur die fachliche Leistung abbilden, während die Häufigkeit in „Mitarbeit“ ausgedrückt wird. Aber in der Praxis ist das überhaupt nicht zu trennen (weil die Stunde nur 45 Minuten hat und die Klasse zu viele Schüler*innen zu unterschiedlicheren Charakters) und wenn es das wäre, wäre es eine pädagogische Katastrophe, weil ich dann gegebenenfalls jemandem bescheinige, dass die Person zwar arbeitet wie ein Hund, aber leider doof ist (mündlich mangelhaft, Mitarbeit sehr gut, yay…?).
Viel schlimmer aber ist es für Verhalten. Und das zeigt auch die obige Definition. „Betragen im Allgemeinen“ ist so hart an der Grenze zur Tautologie zu „Verhalten“, dass ich es als Praxisbeispiel für meine Unterrichtseinheit zu Stilmitteln gebrauchen könnte. „Verhalten ist Betragen im Allgemeinen“ würde ich jedenfalls in jedem Aufsatz anstreichen. Fragt man zwei Lehrkräfte, kriegt man mindestens drei Meinungen dazu, was alles in Verhalten eingehen soll und was nicht. Das Ausfüllen von Ämtern wie Klassensprecher*in oder Schülersprecher*in? Macht eigentlich keinen Sinn, weil ich Klassensprecher UND Arschloch sein kann. Natürlich geht das oft zusammen, aber als Automatismus taugt das sicher nicht. Lehrkräfte auf dem Gang grüßen? Lehrkräften die Tür aufhalten? (Habe ich beides schon als ernsthafte Kategorien gehört.) Damit benote ich eine bestimmte soziale Norm, die so zu verabsolutieren ich als absolute Anmaßung empfinde. Schon alleine, weil ich nicht will, dass mir jemand grundsätzlich die Tür aufhält als ob ich gebrechlich wäre. Super engagiertes und soziales Verhalten gegenüber den Mitschüler*innen ist grundsätzlich eine tolle Kategorie, findet aber meistens dann statt, wenn ich es als Lehrkraft nicht mitbekomme – in Pausen und „unter der Schulbank“.
Wesentlich leichter ist festzustellen, wenn jemand von der Norm abweicht, also eine befriedigende Leistung attestiert bekommen soll. Kommt jemand grundsätzlich zu spät, ist das kein gutes Verhalten; beleidigt jemand permanent (und nachgewiesen, eine rechtliche Hürde, die alles andere als leicht zu nehmen ist!), so ist das kein gutes Verhalten. Die Grenzen zur Mitarbeit sind aber fließend. Jemand, der seine Hausaufgaben ständig nicht macht, verhält sich nicht gut, aber arbeitet halt auch nicht mit. Ich kann aber das gleiche Verhalten nicht zweimal sanktionieren. Sobald ich also die Verteilung von Kopfnoten auch nur ein klitzekleines Bisschen ernst nehme, renne ich in einen Wulst von Definitionsproblemen, die direkt unter der Oberfläche lauern und üblicherweise im Kollegium keinen Konsens finden.
Aber nehmen wir an, als diese technischen Probleme werden gelöst. Das ist ja letztlich nur Lehrkräftegejammer; würden wir uns ein paar Nachmittage im Schuljahr Zeit nehmen und alles ordentlich diskutieren und durcharbeiten, dann wäre ja das zumindest erledigt. Das enthebt uns aber nicht der restlichen Probleme.
Eines davon ist, dass die Verhaltensnote zusätzlich zu den bereits besprochenen Unklarheiten dazu neigt, Konformität zu belohnen. Es ist wenig überraschend, dass Jungen überproportional zu den Empfängern von schlechten Verhaltens- und Mitarbeitsnoten neigen: die erlernten Geschlechterrollen drängen Mädchen eher in konforme Verhaltensweisen: lächeln, nicht auffallen, sich entschuldigen und den Kopf einziehen, was dann leider oft vorschnell als „gutes Verhalten“ wahrgenommen wird, während alterstypische Konflikte unter Jungen auffälliger ausgelebt werden (von der Lautstärke bis zu Raufereien).
Das gibt sich umso mehr, je sensibler Schulen auf diese Thematik eingehen, aber das Grundproblem als solches bleibt: gutes Verhalten wird mit Konformität gleichgesetzt. Schüler*innen, die sich etwa offensiv für ihre oder die Interessen ihrer Mitschüler*innen einsetzen, werden gerne als aufmüpfig, frech und damit sich schlecht verhaltend wahrgenommen. Das aber sind pädagogische Vorstellungen aus dem letzten Jahrhundert, die heutzutage keinen Platz mehr haben. Und das kritische, offene Bewusstsein, das wir laut den Bildungsplänen auch fördern sollen (und das als Bildungsziel somit einen Konflikt darstellt), ist als zu benotende Kategorie ohnehin widersinnig.
Doch all das ließe sich in meinen Augen noch verkraften. Das größte Argument gegen die Kopfnoten in ihrer heutigen Form ist, dass sie ihre Kernfunktion nicht erfüllen. Gegenüber der realen Situation der Noten – die als höchstes Ziel völlig überhöht und in ihrer Objektivität grotesk überschätzt werden – gerät ihre offizielle Funktion meist völlig in Vergessenheit. Eigentlich haben Noten vor allem eine Rückmeldungsfunktion: sie teilen Schüler*innen (und ihren Eltern) mit, ob die Leistungen aktuell dem Standard entsprechen. Wenn das nicht der Fall ist, soll das der Anlass für vertiefte Wiederholung und Übung sein. – Das passiert in der Realität so nicht, weil die Note üblicherweise als abschließendes Verdikt gesehen wird, das dann jede weitere Beschäftigung überflüssig macht – man hat die Note ja schon.
Aber bei den Kopfnoten bricht diese Vorstellung komplett zusammen. Denn die Vorgänge innerhalb der Klassenkonferenz unterliegen der Geheimhaltungspflicht. Wenn ein*e Schüler*in zu mir kommt und fragt „Warum habe ich eine 5 in dem Aufsatz?“, kann ich das gegebenenfalls ausführlich und mehrfach begründen. Wenn dieselbe Person zu mir kommt und fragt „Warum habe ich eine 3 in Verhalten?“, kann ich nur antworten: „Weil die Klassenkonferenz das so beschlossen hat.“ Diese tautologische Antwort ist nicht nur unbefriedigend, sondern auch nutzlos.
Nur: vielleicht ist die Person bei mir völlig unauffällig, und ich hätte eine 2 gegeben. Ich darf das aber nicht sagen. Weil die Note in einer geheimzuhaltenden Klassenkonferenz beschlossen wurde. Das heißt, dass selbst wenn die Person gerne aufrichtig etwas verbessern will, es kaum möglich ist, dafür klares Feedback zu bekommen (natürlich kann ich das allgemein halten, aber das ist schwierig, wenn ich nicht hinter der Note stehe, die halt eine Mehrheitsentscheidung ist).
Dazu kommt, dass Kopfnoten ganz am Ende des Schuljahrs vergeben werden: die Schüler*innen erhalten diese am allerletzten Schultag. Verbesserungen könnten dann erst nach sechseinhalb Wochen, möglicherweise mit komplett neuen Lehrkräften und in neuem Setting, anwenden. Das ist völlig illusorisch. Warum aber vergebe ich Noten, die keinerlei Konsequenz in dem Sinne haben, dass eine Verbesserung von Defiziten stattfindet?
All diese Gründe führen zu meinem Plädoyer: schafft diese unsinnigen Kopfnoten ab. Andere Bundesländer haben es auch gemacht, und es sind weder positive noch negative Effekte zu beobachten. Ähnlich wird das auch in Baden-Württemberg sein – und anderen Bundesländern, die die Dinger noch haben. Stattdessen sollten vernünftige Rückmeldungen und pädagogische Maßnahmen durchgeführt werden. Das erfordert natürlich entsprechend Zeit, und diese Zeit muss irgendwo geschaffen werden. Und daran scheitert es eben oft, weil die pädagogische Arbeit in Kooperation entstehen muss und Zeiträume hierfür sind Mangelware. Wie so oft scheitert es am System.
Spannend, wir hatten die damals noch. Obwohl ich entweder sehr brav war oder wir ein Standard-Sehr gut hatten.
Wurde das in anderen Bundesländern denn ersatzlos gestrichen oder durch irgendwas ersetzt? So wie es jetzt ist, finde ich es auch nutzlos. Die Idee an sich aber eigentlich nicht. Ich glaube, ein individuelles Gespräch mit Rückmeldung vom Klassenlehrer wäre besser, damit die SchülerInnen eben auch ihr Verhalten/Beteiligung reflektieren können.
Aber a) wäre das wieder sehr sehr viel mehr Arbeit für die Lehrer und b. weiß ich nicht, inwieweit Klassenlehrer ihre SchülerInnen kennen, um das wirklich für jeden zu bestimmen.
Wir haben es wie gesagt auch, aber eben nicht alle Bundesländer.
Diese Gespräche gibt es halt üblicherweise anlassbezogen – wenn jemand auffällt. Das ist ja so ein bisschen das Problem. Wir arbeiten da mittlerweile gegen, aber das kostet alles enorm Zeit. Das Tolle ist, dass meine Schule diese Zeit bezahlt. Aber das ist extrem selten und geht effektiv nur, weil wir a) eine Privatschule und b) eine gute Privatschule sind (die meisten sind Rotz).
wenn jemand auffällt. Das ist ja so ein bisschen das Problem.
Jep, das ist ja generell ein Problem ob mit Kopfnoten oder anderem Feedback. Ist natürlich super, wenn ihr da gegen arbeitet, aber das hilft der Masse ja nicht und dann würde ich es auch lieber ganz abschaffen, wenn gute Leistung (bzw Verhalten) nicht belohnt werden kann.
Ich komme aus NRW wo ich als Schüler, wie auch heute als Vater eines schulpflichtigen Kindes keinen Kontakt mit Kopfnoten hatte. Ich finde deine Ausführungen nachvollziehbar und die Form wie sie in BaWü angewendet wird, ist ein Modell, dass wir in NRW nicht adaptieren sollten (gibt aber trotz CDU geführten Kultusministerium keine Anzeichen dafür).
Ich finde es aber schon gut, wenn die Schüler eine Rückmeldung zum Verhalten bekommen. In der Grundschule meines Sohnes ist es so, dass sich die Klasse untereinander einmal in der Woche untereinander altersgerecht Feedback gibt. Die Kinder lernen so früh Feedback zu formulieren, aber auch Feedback zu empfangen. Die Lehrer unterstützen hier die Kinder bei der Formulierung, sind aber eben auch Empfänger und Geber von Feedback. Gleichsam werden auch Maßnahmen definiert, die helfen sollen gute Dinge zu verstärken und auffällige abzubauen (man erkennt hier deutliche Parallelen zur Retrospektive aus dem agilen Arbeiten). Jetzt ist das aber auch eine Peter Petersen Schule in der jeweils 2 Lehrer unterrichten und von den Erziehern unterstützt werden. Insofern sind die Ergebnisse auf Schule in der Sekunderstufe nicht ohne weiteres Übertragbar – ich könnte mir aber dennoch Möglichkeiten vorstellen, wie das zu adaptieren wäre.
Unsere Holländischen Nachbarn haben da wohl ganz spannende Ansätze für die Schule konzipiert, die auch gut funktionieren. Ist aber natürlich auch ein Land, dass in Sachen Bildung bereit ist mehr auszugeben, als Deutschland und damit die notwendigen Rahmenbedingungen schafft.
Versteh mich nicht falsch, Feedback ist super und wichtig! Nur leisten die Kopfnoten halt genau das nicht.
Ich weiß nicht, ob ich mehr schockiert oder mehr erstaunt bin, dass es so einen Quatsch wie Kopfnoten in Deutschland gibt. Bin in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen, wo es sowas nicht gab – also zumindest nicht, als ich noch zur Schule ging. Ansonsten klingen Kopfnoten extrem deutsch. Kaum vorstellbar, dass es so ein System anderswo gäbe …
Vermutlich. Wobei ich natürlich die Absurditäten des amerikanischen Schulsystems mit seinen drakonischen Strafen, Cops auf den Gängen und so Zeug gar nicht erst erwähnen will. Oder das institutionalisierte Mobben im UK. Ich meine, wir meckern immer auf hohem Niveau, das deutsche Schulsystem ist by and large ziemlich gut und progressiv.
Keine Ahnung, ob drakonische Strafen ein Hallmark des amerikanischen Schulsystems sind. Zumindest im “zivilisierten” Teil der USA, im Nordosten, hab ich Eltern nie klagen gehört. Auch ob überall Cops auf den Gängen sind, bezweifele ich. Zumindest an einer Schule, weiß ich, dass es zu Meinungsverschiedenheiten in der Elternschaft kam, ob man einen Cop in der Schule haben möchte und es kam zur Abstimmung. Hängt also – zumindest lokal – von den Beteiligten ab.
Den Metalldetektor, einer wie am Flughafen, der am Eingang der Highschool stand, an der ich jeden Morgen vorbeilief, fand ich allerdings in der Tat irritierend. Einfach traurig, wenn sowas nötig ist …
Klar, das ist bei denen alles lokal unterschiedlich. Aber in der Tendenz bin ich in der Einschätzung ziemlich zuversichtlich.
Treffend dargestellt. Die Schüler wissen nicht mal, welche/r Lehrer/in ihm die Drei verpasst hat (aktuelle Erfahrung). Manche Schulen handhaben das so: Wenn auch nur eine/r nicht für die Zwei stimmt, gibt’s die nicht.
Sondern…?
Danke für diesen Einblick über die „Massenabfertigung“ von Personenbeurteilungen. Dass da nichts sinnvolles rauskommt, verstehe ich gut. Aber du sprichst es eingangs auch an: „Eltern haben einen (berechtigten) Wunsch zu erfahren, wie der Nachwuchs sich so außerhalb der heimischen Umgebung verhält. Eine Textbewertung führt auch nur zu „Arbeitszeugnis-Codes“ a la „hat sich bemüht, den Anforderungen gerecht zu werden“.
Hier ein nicht ernstgemeinter Pitch, wie das funktionieren könnte: Jeder Fachlehrer darf die Note (die den objektiven Leistungsstand wiederspiegelt) mit subjektiven Emojis ergänzen, etwa
Bizeps und Daumen hoch für jemanden, der sich echt angestrengt hat; Eine Eins mit ‚augenroll‘ für einen Besserwisser; ‚Crazyface‘ für den Klassenclown; ‚drei Affen‘ für jemanden, der nicht teilnimmt; und so weiter.
Natürlich sollte es dann kurz nach der Zeugnisvergabe einen Elternsprechtag geben…
Und falls du Zweifel hast, dass ich eigentlich die Welt brennen sehen möchte: Schülys, die leckeres Moussaka mitgebracht haben, sollten bei dieser Gelegenheit mit einem Auberginen-Symbol honoriert werden.
Für den Vorschlag bekommst Du von mir ein Herz-Emoji … ^^
Mein (ernst gemeinter aber nicht ernst zu nehmender) Vorschlag: Kopfnoten für Lehrer.
Die wer vergibt.
Die Schüler, anonym, in einem noch zu entwickelnden Verfahren. Als Rückmeldung, darum geht es ja.
Ich halte gar nichts von solchen Schüler*innenevaluationen, ehrlich gesagt.
Da, verehrter Stefan, bin ich gar nicht so sicher. Schüler zwischen 13 und 17 sind ziemlich grausam, aber auch ziemlich gerecht.
Persönliche Anekdote:
Wir waren an unserem Gymnasium für mehrere Jahre die Referendar-Testklasse, insbesondere in Zweifelsfällen. Das hatten wir schon vermutet, es wurde uns bei der Abi-Feier vom Rektorat bestätigt.
Vor jedem Lehrtest für Referendare gab´s eine Klassenkonferenz, in der wir beschlossen, ob wir den Referendar als Lehrer würden haben wollen oder nicht. Und wer denkt, wir hätten (nur) die weichen, netten, nachgiebigen Referendare durchgelassen, der irrt gewaltig. Kotzbrocken, Luschis, Einschmeichler und andere Ungeeignete haben wir unnachgiebig vertrieben, die Lehrtests für diese Leute wurden nach jeweils +/-15 Minuten vom Lehrer-Beurteilungstrio abgebrochen, weil sie für den Referendar die Hölle waren (und umgekehrt für Leute, die wir als Lehrer haben wollten). Und ich bin noch heute davon überzeugt, dass wir uns grosso modo NICHT irrten, bei Leuten zwischen 25 und 30 ist die Persönlichkeit schon ziemlich ausgeprägt.
Ich kenne übrigens den Einwand „Von Betroffenenevaluation halte ich nicht viel“ als den Haupteinwand der Studentenwerke gegen flächendeckende Mensa-Evaluationen, die das deutsche Studentenwerk Ende der achtziger deshalb für mehrere Jahre nicht machen konnte. Also haben wir sie als RCDS per „Strassen“-Umfrage an 50 deutschen Hochschulen gemacht. Die Ergebnisse, veröffentlicht in der WELT, waren durch die Bank nicht nur fair, sondern wirkungsvoll – die Wiederholungsaktion ein Jahr später ergab häufig drastische Verbesserungen der besonders abwertend beurteilten Mensen.
Gruss,
Thorsten Haupts
Wir führen bei uns an der Schule Evaluationen der Lehrkräfte durch Schüler*innen durch. Und die Ergebnisse sind nicht so der Burner. Also nicht in der Bewertung, sondern in der Brauchbarkeit. Das lässt sich sicher besser machen. Und ich bin auch ein großer Fan von Evaluation, wie du sie etwa auch für die Uni beschreibst. Aber ich bin gar kein Fan davon, an Schüler*innenevaluationen irgendwelche arbeitsrechtlichen Folgen zu hängen.
Die Referendare waren bei uns für mehrere Monate im praktischen Lehreinsatz als reguläre Lehrer für bestimmte Fächer. Warum traust Du Schülern – von 14/15 Jahren – nicht zu, beurteilen zu können, ob ein Referendar als zukünftige Lehrkraft ausreichend taugt? Und von arbeitsrechtlichen Konsequenzen redet hier keiner, die nicht gewollten Referendare haben an anderen Schulen weitergemacht. Nur eben nicht an unserem Gymnasium.
Gruss,
Thorsten Haupts
die nicht gewollten Referendare haben an anderen Schulen weitergemacht. Nur eben nicht an unserem Gymnasium
Also entweder diese Referendare sind wirklich unfähig gewesen. Dann ist nichts dadurch gelöst, dass die an anderen Schulen weitermachen. Das verlagert schließlich lediglich das Problem an einen anderen Ort. Oder diese Referendare waren tatsächlich garnicht so schlecht. Dann ist das “Ausleseverfahren” ungeeignet. Beides zusammen geht nicht …
Ich stehe zu dem, was ich damals gedacht habe – die Referendare, die wir ablehnten und konsequent durchfallen liessen, waren zum Lehrberuf ungeeignet! Aber was ich dachte und was das relevante Arbeitsrecht hergab (plus was die Entscheider wollten), sind zwei völlig unterschiedliche Dinge.
Ich weiß nicht, wie das bei euch lief, aber wenn ich durch eine Lehrprobe gefallen wäre, hätte ich nicht an einer anderen Schule weitergemacht. Das von dir beschriebene Szenario hätte das Ende bedeutet. Kein Lehramt, niemals, an keiner Schule Deutschlands, ever. Ob das 14jährigen klar ist?
Tschuldigung Stefan, aber selbst wenn es uns klar gewesen wäre, hätte das nichts an unserer damaligen Entscheidung geändert.
Wir bekamen ohnehin nur die Zweifelsfälle, von denen wir etwa 50% aussiebten. Summa summarum (von allen Referendaren) vielleicht 20%. Ein Fünftel Ungeeignete kriegtest Du damals in einigen populären Berufen (Lehrer wollte in den siebzigern jeder Dritte werden – gutes Gehalt, wenig Arbeit, Verbeamtung, Vorruhestand war das Image) jederzeit. Ich kannte alleine an der Uni mindestens 20% Profs, die ihrem Job in jeder Hinsischt nicht gewachsen waren.
Unsere Referendare wurden nicht entlassen, nur versetzt. Wie das arbeitsrechtlich geregelt wurde, hat uns damals nicht interessiert.
@cimourdain: Wir vergraulten damal nicht aus Freude am Nihilismus Referendare, dazu war die Mehrheit von uns schlicht zu gut erzogen und etwa ein Fünftel von uns kam ohnehin aus Lehrerhaushalten. Für die einzige gemischte alt- und neusprachliche Klasse des Gymnasiums der Normalfall. Was den Gebrauch von „Luschis“ unter Erwachsenen angeht, empfehle ich einen Ausflug in die Bau- und angrenzende Branchen 🙂 .
Gruss,
Thorsten Haupts
Ich kann nicht beurteilen, wie das in den 70ern war – ich kann dir nur sagen, wie es heute ist. Weswegen ich die Idee auch für rattig halte ^^
vor ca 10 Jahren gab es das Portal spickmich, das genau das angeboten hat. Soviel ich weiss, ist das ganze dann in einer Flut von z.T. strafrechtlich relevanten Beleidigungen versunken. Schüler können, wie Thorsten Haupts geschildert hat, unglaublich bösartige Mobber sein, der Gerechtigkeitssinn mag da überwiegen, muss aber garantiert nicht. Dass er noch mit Jahrzenten Abstand das selbe kompromisslose Vokabular zur Personen(dis)quailfizierung verwendet wie damals ( „Luschis“), klingt jedenfalls nach verklärter Vergangenheit.
Mit „Luschis“ als „kompromisslos“ lassen Sie mich fassungslos zurück 🙂 . Was in Ihrer Welt wäre denn eine nicht „kompromisslose“, also akzeptable, negative Wertung für jemanden diesen Typs in einer der absolut forderndsten Führungspositionen, die ich mir vorstellen kann?
Da habe ich mich missverständlich ausgedrückt: Mir geht es darum, dass ich seit Jahrzehnten weder im Beruf noch privat diesen Begriff von Erwachsenen verwendet gehört habe (vielleicht bin ich in der falschen Branche). In meinen Ohren ist das Schülersprache direkt aus der subjektiven Erinnerung. Wenn aber schon die Sprache aus subjektiver Prägung herrührt, kann das auch für Werturteile gelten. Ich persönlich bin mir sicher, dass ich aus meiner Alte-Männer-Sicht die Methoden wie wir damals Referendare vergrault haben, nicht als hart aber gerecht qualifizieren würde.
Ich schäme mich für meine Schulzeit da auch 🙁 Ich kann zum Glück nur Positives über die Schüler*innen aus meinem Ref berichten.
. Dieses „Verfahren“ ist gewiss nicht gemeint. Deshalb das Paradox in meinem Statement. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht: Rückmeldungen freiwillig, formlos, während ich rausging. Mit oder ohne Namen. Am nächsten Tag Besprechung. Vielleicht könnte man Lehrer dazu verpflichten? Schüler sind in der Situation, ständig bewertet zu werden – und das gar nicht so selten von Personen, die ihre eigenen Standards nicht einhalten. Es reicht nicht, wenn der Schulleiter sich einmal im Jahr hinten rein setzt. Peer Review unter Lehrern gibt es erst in zarten Ansätzen.
Korrekt. Da braucht es viel mehr.
Peer Review scheitert übrigens an der Zeit. Wir haben versucht, das bei uns einzuführen. Aber ohne Unterrichtsausfall ist das fast unmöglich – und da liegen die Prioritäten klar.
Ein solches „Kummerkasten“-System ist sehr sinnvoll, weil es ein „Reden mit“ statt eines „Reden über“ anwirft, keine Frage.
Vor allem ist es ja überhaupt nicht belastbar. Vielleicht wären die Leute, deren Zukunft ihr zu zerstören beschlossen habt, schlecht gewesen. Vielleicht nicht. Die Vorstellung, ein solches Tribunal wie von dir beschrieben zum Standard zu erheben, ist völlig dystopisch.
So, so, >6 Monate aktiver, fast täglicher, Erfahrung mit der Lehrpraxis von Leuten ist „nicht belastbar“. Na dann …
Ich bin auch kein Experte für Einzelhandelslogistik, nur weil ich fünfmal die Woche im Discounter einkaufe.
Für die Logistik nicht, für Präsentation, Warenangebot, Preisauszeichnung, Kassenwege und -geschwindigkeit etc. schon. Und daraus liesse sich locker beurteilen, ob das Management des Discounters was taugt.
Dein Vorschlag zeigt halt gleichzeitig das grundsätzliche Problem: es ist unmöglich, das so in Noten, Smileys oder was auch immer auszudrücken.
Hallo Stefan, Frage aus aktuellem Anlass:Weißt Du, ob Verhalten außerhalb der Schule (hier: privater Chat) in die Verhaltensnote einfließen darf?
Danke !
super schwierig. ich bin kein experte für schulrecht; daher alles cum grano salis. vorrede aus dem Weg: es kommt drauf an. wenn es die schule betrifft ja. also etwa klassenchat, in dem mobbing stattfindet: ja. wenn es tatsächlich ein privater chat ist, finde ich es super schwierig.