Bohrleute 38: Die Betreuungskatastrophe, mit Maria Tiede

Die Betreuungssituation in den deutschen Kitas ist eine Katastrophe – und das nicht erst seit heute. Stefan spricht mit der baden-württembergischen Elternvertreterin Maria Tiede über die Situation, ihre Ursachen, mögliche Lösungsansätze – und warum das alles so unendlich ärgerlich ist und kaum richtig anerkannt und eingeordnet wird.

Shownotes:

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  • Ralf 25. Februar 2023, 01:17

    Im Podcast kommt die Frage auf, wer an der Betreuungskatastrophe – die wiederum eine Folge des Fachkräftemangels ist – schuld ist. Auf wen sollte man also wütend sein? Ich empfehle als Antwort nicht Boris Palmer, sondern Dich selbst und Deine Eltern. Die (und ihre Generation) haben halt nicht mehr die Zahl an Kindern in die Welt gesetzt, die es uns jetzt erlauben würde, die benötigten Stellen zu besetzen.

    Daher ist auch der ständige Ruf nach dem Staat, dass der doch endlich etwas gegen den Fachkräftemangel tun solle, ein bisschen naiv. Was bitte soll der Staat denn tun? Klar – er kann die Gehälter der Kitabetreuerinnen signifikant erhöhen. Dann aber werden Kitas deutlich teurer und die Bürger können sie sich nicht mehr leisten (siehe USA). Und wenn Du tatsächlich erfolgreich bist, mit höheren Gehältern mehr Fachkräfte in die Kitas zu locken, dann kommen die garantiert aus anderen Bereichen, in denen ebenfalls händeringend Arbeitskräfte gesucht werden – z.B. Krankenschwestern und Altenpfleger. Um die dort frei werdenden Stellen dann wieder zu füllen, kannst Du natürlich die Gehälter von Krankenschwestern und Altenpflegern ebenfalls signifikant erhöhen. Dann verteuern sich aber die Gesundheitskosten deutlich und Altenheime werden unbezahlbar (siehe USA). Und wenn Du erfolgreich bist mit höheren Gehältern tatsächliche mehr Fachkräfte in diese Bereiche zu locken, dann kommen die garantiert aus anderen Bereichen, in denen ebenfalls händeringend Arbeitskräfte gesucht werden – z.B. aus dem Handwerk. Und so kannst Du immer weiter machen. Letztlich spielst Du die Reise nach Jerusalem. Die Frage ist nur, wo der Mangel an Personal noch am ehesten erträglich ist. Und darauf hat erwartungsgemäß jeder die Antwort „nicht dort, wo ich betroffen bin“.

    Die im Podcast vorgeschlagenen Lösungen „Rentner mobilisieren“, „Hausfrauen mobilisieren“ und „Ehrenamtliche mobilisieren“, ebenso wie die in der öffentlichen Debatte immer wieder auftauchende Lösung Immigration beißt sich übrigens fundamental mit der Forderung nach Professionalisierung, hochschuläquivalenter Ausbildung und Bildungsfachspezialistentum bei Kitabetreuerinnen …

    • Thorsten Haupts 25. Februar 2023, 13:55

      Merci, das erspart mir einen eigenen Kommentar.

      Die Frage ist nur, wo der Mangel an Personal noch am ehesten erträglich ist. Und darauf hat erwartungsgemäß jeder die Antwort „nicht dort, wo ich betroffen bin“.

      Oh, auf die Frage gibt es schon eine halbwegs objektive Antwort. Dazu muss man sich nur fragen, mit welchem Personalmangel eine Gesellschaft überlebensfähig ist – und mit welchem nicht. Ohne Kindergärtner, Krankenpfleger, Sozialarbeiter, (ausgebildete) Lehrer und Literaturwissenschaftler wird das richtig unschön, aber man kann die Zivilisation aufrechterhalten.

      Ohne Polizisten, Elektriker, Mechaniker, Ingenieure und Kanalarbeiter bricht die Zivilisation wenige Tage später zusammen. Frage damit geklärt.

      Gruss,
      Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 25. Februar 2023, 19:43

      Auf diese Quadratur des Kreises verweise ich ja im Podcast explizit.

      • Kning4711 25. Februar 2023, 23:15

        Ich bin was das Thema Fachkräftemangel angeht skeptisch – ich denke das eigentliche Problem ist die Fehlallokation der Ressource menschlicher Arbeit – die Digitalisierung gäbe uns immense Möglichkeiten der Rationalisierung und Automatisierung von Arbeitsabläufen, die die Arbeit vieler Menschen erledigen würde. Die spannende Frage ist dann doch eher, wie bekomme ich den wegrationalisierten Buchhalter, die Supermarktkassiererin oder den Chemielaboranten dazu sich künftig als Erzieher, Pfleger oder ITler zu verdingen.
        Ferner bin ich der Überzeugung das die Entlohnung zwar in Dienstleistungsberufen häufig nicht optimal, jedoch der eigentliche Abtörner in den Arbeitsbedingungen liegt.
        Hinzu kommt, dass wir die Strukturen den personellen Möglichkeiten besser anpassen müssen. So ist im Klinik-Bereich ein großes Potenzial der Verschlankung und damit weniger aber bessere Krankenhäuser zu generieren.
        Firmen werden über kurz oder lang sich noch viel stärker im Bereich Kita und Schulen engagieren müssen, um ein wettbewerbsdifferenzierendes Argument im War for Talent aufbieten zu können.

        • Stefan Sasse 26. Februar 2023, 10:05

          Deine Idee setzt voraus, dass diese Berufe beliebig erlernbar sind. Ich bin da sehr skeptisch. Ich wäre ein grauenhafter Erzieher und ein richtig mieser Grundschullehrer.

          • Kning4711 26. Februar 2023, 19:01

            Das ist richtig, aber ich denke es wird zumindest noch zu wenig getan unter potentiell interessierten aus anderen Berufsgruppen für diese Jobs zu werben.

        • Stefan Pietsch 26. Februar 2023, 14:53

          Die spannende Frage ist dann doch eher, wie bekomme ich den wegrationalisierten Buchhalter, die Supermarktkassiererin oder den Chemielaboranten dazu sich künftig als Erzieher, Pfleger oder ITler zu verdingen.

          Wir suchen Fähigkeiten, nicht Arbeiter. Für den Job des Buchhalters sind völlig andere Fähigkeiten erforderlich als für den des Erziehers. Und ich finde diesen Glauben tatsächlich auch gefährlich, man könne Menschen beliebig umsortieren. Außerdem haben wir derzeit nicht wahnsinnig viele arbeitslose Buchhalter, die werden derzeit verzweifelt gesucht. Ich habe gerade Monate gebraucht, um eine Stelle für das Nebenbuch zu besetzen und einige Gespräche geführt. Wohlgemerkt, für eine Stelle, die mit relativ wenig Verantwortung verbunden ist, aber inzwischen die Gehaltserwartungen selbst bei radebrechenden Bewerbern bei 50.000 Euro p.a. liegt. Ende des Jahres hatte ich endlich meine Wunschkandidatin, die auch unterschrieben hat – für 55.000 Euro. Meine Wunschkandidatin für die Abschlusserstellung habe ich für das absurd hoch erscheinende Gehalt von 81.000 Euro bekommen. Also, ich zumindest habe gerade keinen Bedarf Buchhalter freizusetzen.

          Was ich partout nicht verstehe: wir sind wieder irrwitzig erfolglos darin, Migranten in besser qualifizierte Jobs zu bringen. Offensichtlich mangelt es auch an Potential. Warum schaffen wir es nicht, Menschen mit Potential („High Potentials“) nach Deutschland zu bringen? Vielleicht liegt es daran, dass von 667 Euro Gehaltserhöhung (plus Arbeitsgeberanteil) bei dem talentierten jungen Menschen nur 200 Euro ankommen und sich das in der Welt herumgesprochen hat? Bezeichnend ist ja, dass Stefan bis heute über diese Frage grübelt, ob das fair sei. Muss man tatsächlich nachdenken …. *Ironie off*

          • Ralf 26. Februar 2023, 16:04

            Gehalt ist sicher ein Faktor. Aber es ist nicht der einzige und, zumindest meiner Beobachtung nach, auch nicht der wichtigste.

            Ich habe z.B. lange an einer amerikanischen Universität gearbeitet und beobachtet, dass westeuropäische Doktoranden und Postdocs fast alle nach Ablauf ihrer Zeit in die Heimat zurückkehrten, während sehr viele (und zum Teil fast alle) osteuropäischen, sowie chinesischen und indischen Doktoranden und Postdocs alles versuchten, in den USA zu bleiben. Da West- und Osteuropäer dasselbe (nominal höhere) Gehalt in den USA erwarten könnten, ist die absolute Höhe dieses Gehalts wohl nicht der entscheidende Faktor. Vielmehr zählt die Abwesenheit von Arbeitschancen im Heimatland. Die englische Sprache ist ein Riesenvorteil für die USA. Und die schlichte Tatsache, dass man in den USA eben bereits vor Ort ist und das Land kennt, spielt ebenfalls eine große Rolle.

            In deutschen Großkonzernen wird mittlerweile ab einer gewissen Ebene fast nur noch Englisch gesprochen, aber unter den „einfacheren“ Jobs findet man das noch eher selten. Der Anteil steigt auch da – vornehmlich wegen EU-Immigration – aber er ist eben gering. Und in einem kleinen Familienbetrieb in der Pampa Baden-Württembergs wird ganz sicher kein Englisch gesprochen. Vermutlich noch nichtmal Hochdeutsch. Für Einwanderer ist das extrem unattraktiv. Wie soll man sich da einen Freundeskreis, ein Leben aufbauen?

            Dazu kommt die massive Xenophobie in Europa. Im Wahlkampf hängen rechtsextreme Parteien z.B. auf meinem Weg zur Arbeit riesige Plakatwände mit ausländerfeindlichen Parolen auf. Die ganze Stadt ist voll davon. Man kann den Botschaften garnicht aus dem Weg gehen. Dazu laufend Fernsehdebatten über die Gefahren von Einwanderung. Und eine konsequent abweisende Haltung der Bevölkerung, insbesondere sobald man ein paar Meter aus der Großstadt herausläuft. Wenn ich das damit vergleiche, mit welchem Enthusiasmus ich in den USA mit offenen Armen empfangen wurde, wie mir vom ersten Tag an das Gefühl gegeben wurde dazuzugehören, wundert mich kein Stück, dass Deutschland nicht das Ziel Nummer 1 ist für die, die es sich aussuchen können.

            Dazu kommt eine erschreckend absurde Bürokratie, die Einwanderung von High-Potentials verhindert. Ich habe gerade den Fall eines europäischen Nicht-EU-Ausländers, der hier studiert hat, fließend und akzentfrei deutsch spricht, seinen Master an einer amerikanischen Ivy League-Universität gemacht hat, bereits hier wohnt und der ein konkretes Angebot von uns hat. Und wir zahlen gegenwärtig mehrere tausend Euro für eine Agentur, die den Arbeitsvisumsprozess beschleunigen soll. Dennoch wurden wir informiert, dass wir mindestens 2-3 Monate warten müssen. Und weil der Kandidat jetzt auch noch umgezogen ist (im Inland 50 km vom vorherigen Wohnort entfernt), müssen wir nochmal anderthalb Monate länger warten. Weil das Visumsantragsverfahren unfähig ist mit einer Wohnortänderung (wohlgemerkt 50 km im selben Land) klar zu kommen. Wir dürfen jetzt also 4 Monate warten. Auf einen High Potential-Kandidaten. Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Leute von der Stange gehen …

            Am Rande sei erwähnt, dass für die Attraktivität eines Arbeitsplatzes nicht das rohe Netto-Gehalt, sondern das Verhältnis dieses Netto-Gehalts zu den allgemeinen lokalen Lebenshaltungskosten zählt. Außerdem spielen Community-Serviceleistungen eine große Rolle (z.B. Zugang zu bezahlbarer Kinderbetreuung – in den USA können etwa die Kosten für Day Care locker ein komplettes Gehalt eines Zweiverdienerhaushalts verschlingen). Nicht zuletzt zählen auch Sicherheit, Kultur etc.

            • Stefan Sasse 26. Februar 2023, 16:14

              Würde ich so unterschreiben.

            • Stefan Pietsch 26. Februar 2023, 19:05

              Das Gehalt ist wie der Preis das entscheidende Kriterium. Das hat gerade wieder eine Studie bei Arbeitnehmern erbracht (Quelle allerdings nicht bei der Hand). Das zeigt sich aber gerade auch in meinem Unternehmen sehr deutlich, wo wir intensiv mit IT-Experten und Freelancern arbeiten.

              Es ist bemerkenswert, dass Sie Kriterien, wo Deutschland inzwischen gut oder zumindest durchschnittlich abschneidet, als Kriterium sehen, warum High Potentials nicht den Weg hierher finden, aber solche, wo wir besonders schlecht dastehen, maximal relativieren. Das klingt mir nicht nach einer objektiven Bewertung.

              Deutschland hat seit 15 Jahren einen negativen Saldo bei der Ab- und Zuwanderung von Deutschen, wobei bei der Abwanderung eine hohe Dunkelziffer herrscht. Das passt also nicht zu Ihrer persönlichen Beobachtung.

              Keine Frage, englischsprachige Länder haben einen großen Vorteil. Aber Deutschland schneidet eben bei der Arbeitsmigration besonders schlecht ab. Wir sind in der EU das Land, das mit Abstand die meisten Migranten aufnimmt. Allerdings schaffen es je nach Herkunft nur 10 Prozent in den Arbeitsmarkt.

              Deutschland ist keineswegs unattraktiv für Ausländer, ganz im Gegenteil. Wir haben besonders viele von jenen aufgenommen, die hier vermeintlich diskriminiert werden. Wir haben auch während der Eurokrise hauptsächlich EU-Zuwanderer aufgenommen. So abschreckend kann Deutschland nicht sein.

              Unsere Infrastruktur ist durchschnittlich, in Punkto Bürokratie fallen wir ständig zurück. Wir leisten uns eine völlig dysfunktionale Hauptstadt, wir brauchen 5 Jahre, um eine Toilette aufzustellen und Jahrzehnte um Flughäfen, Straßen und Bahnhöfe zu bauen. Aber das soll nicht abschreckend wirken?

              Im Gegenzug erheben wir die höchsten Abgaben auf Einkommen. Menschen arbeiten, um sich etwas aufbauen zu können. Das fällt ihnen umso leichter, je mehr sie von ihrem Erwirtschafteten selbst behalten dürfen. Deswegen ist die Schweiz für Arbeitsmigranten besonders attraktiv – und die ist auch nicht englischsprachig.

              Fazit: wir haben einen hohen Anteil an Migration in die Sozialsysteme und wenig Migration in den Hochlohnbereich (besser: kaum messbar). Das hat nichts mit dem Sozial- und Steuersystem zu tun?

              • Ralf 26. Februar 2023, 22:47

                Dass es in Deutschland 5 Jahre braucht, um eine Toilette aufzustellen und mehrere Jahrzehnte, um einen Flughafen zu bauen, ist bedauerlich. Aber ich sehe nicht, weshalb das ein Schlüsselargument für einen hochqualifizierten Inder oder Chinesen sein sollte, nicht nach Deutschland zu kommen. Als ich in die USA gezogen bin, hat mich auch herzlich wenig interessiert, dass die Straßen-, Schienen- und Brückeninfrastruktur dort seit Jahren marode ist und erschreckend zerfällt.

                Und dass die Integration in den Arbeitsmarkt teilweise bei nur 10% der Migranten gelingt, halte ich für eine arge Übertreibung. Selbst bei den zugewanderten Syrern aus der 2015er Welle, habe ich letztens die Zahl 50% gehört. Und unser Thema ist ja eigentlich eine ganz andere Art von Migration, nämlich die von Hochqualifizierten. Und da dürfte die Integrationsquote in den Arbeitsmarkt bei annähernd 100% liegen. Das liegt schon daran, dass man ohne konkretes Angebot in der Regel gar kein Arbeitsvisum bekommt …

                Was Deutschland (und der EU) fehlt, ist die Reputation Einwanderungsregion für Hochqualifizierte zu sein. Bitten Sie mal in einer beliebigen Runde das erste Einwanderungsland zu nennen, das in den Sinn kommt. Die Antwort wird in den allermeisten Fällen “USA” sein. Weil die USA eine 200jährige Tradition der Einwanderung tüchtiger Aufsteiger haben. In Deutschland hingegen wurde noch Ende der 90er wider alle Realität abgestritten Einwanderungsland zu sein. Wahlkampfkampagnen gegen den Doppelpass wurden geführt. Pegida marschierte – Galgen in Hand – jede Woche. Asylunterkünfte brannten. Die CDU tönte noch im Jahr 2000 “Kinder statt Inder”. Können Sie sich vorstellen, wie das bei einem indischen Studenten in der BRD wohl angekommen sein mag?

                Deutsche Universitäten haben überhaupt erst in den frühen 2000er Jahren angefangen internationale Studenten gezielt in ihre PhD-Programme zu locken. Die Organisation war miserabel. An meiner Heimuniversität wurde zwei Jahre in Folge (!) “vergessen” die zugesicherten Unterkünfte für die Ankömmlinge zu besorgen. Mitunter wurden die Armen bei Diplomstudenten untergebracht, die Mitleid hatten. Einer musste beim Professor schlafen. Zwei Kollegen von mir wurde ein Einbettzimmer im Studentenwohnheim zur Verfügung gestellt. Drei Monate lang schlief abwechselnd einer im Bett und einer auf dem Boden. Auf 10 Quadratmetern. Und es gab nur einen Schlüssel, weshalb beide nur gemeinsam die Wohnung verlassen und betreten konnten. Willkommen in Deutschland …

                Es gibt hier außerdem auch keine Tradition asiatischer Communities. Menschen wandern gerne dorthin aus, wo es bereits Anknüpfungspunkte gibt. Chinesen und Inder haben hier aber meist keine Anknüpfungspunkte. Deshalb benutzen gerade an den Universitäten die meisten internationalen Studenten Deutschland lediglich als Sprungbrett, um erstmal weg von zuhause und später weiter nach Amerika zu kommen. In den Jahren, in denen ich in Deutschland an der Universität gearbeitet habe, kannte ich einen einzigen internationalen Studenten, der deutsch gelernt hat. Die erdrückende Mehrheit sprach auch nach 4-5 Jahren kein Wort deutsch. Nur fließend Englisch. In Gelsenkirchen oder Osnabrück ein Riesenhindernis. In Boston oder New York kein Problem. Integrationsbemühungen vonseiten der Universität gab es keine. Bei uns im Betrieb werden z.B. kostenlos hochklassige Sprachkurse angeboten für jeden, der interessiert ist. Könnte die Universität sowas nicht auch anbieten? Es wurden auch null Bemühungen unternommen, die Studenten mit Unternehmen zusammenzubringen. In den USA hingegen gab es jedes Jahr eine Job Fair, wo Firmen sich vorstellten und um Arbeitskräfte warben. Es gab Vorträge, bei denen verschiedene Jobfelder von Biotech-Branche über Publikationswesen bis hin zum Consulting-Sektor vorgestellt wurden. Bei unseren Department-Retreats stellten die fördernden Unternehmen Informationszelte auf, wo man seinen Lebenslauf abgeben konnte. In Deutschland hingegen: Gähnende Leere.

                Gehalt mag, wie gesagt, ein Faktor sein. Aber es gibt unzählige Dinge, die wir tun könnten abseits des Gehalts. Wir tun sie halt nur nicht …

                • Stefan Sasse 27. Februar 2023, 08:39

                  Ja, so sehe ich das auch.

                • Stefan Pietsch 27. Februar 2023, 09:37

                  Das ist praktisch, jetzt widerlegen Sie bereits Ihre eigenen Argumente. 🙂

                  Sie hatten angeführt, dass nicht nur das Gehalt an sich zähle, sondern auch staatliche Leistungen wie Infrastruktur und der Grad der Bürokratie. Aber anscheinend ist das absolut zweitrangig.

                  Ich habe noch nicht gehört, dass sich Zuwanderer in die USA von dem Vorgehen an der mexikanischen Grenze abschrecken ließen. Und Australien bleibt Sehnsuchtsort von vielen, auch wenn sie Schiffeversenken im Indischen Ozean spielen. Vielleicht ist es ja ganz anders wie Sie meinen, dass nämlich Menschen mit Potential und Talent es eher begrüßen, wenn Staaten jene abschrecken, die keinen größeren Beitrag zum Gemeinwesen leisten können. Und haben Sie sich mal Gedanken gemacht, was in den USA los wäre, wenn 45-55 Prozent der schweren Gewalttaten wie Mord, Vergewaltigung und Raub auf das Konto von illegalen Mexikanern ginge?

                  Deutschland hat längst eine außerordentlich heterogene Gesellschaft. Hier wandern Menschen aus allen Herren Ländern zu, nur halt kaum jemand, der bereits Top-Abschlüsse und einen 1a-Job in der Tasche hat. Amerikaner schicken auch nicht mehr ihre Leute hierher, aus zwei Gründen: Sie fahren ihre Investments in Europa deutlich zurück und sie müssen ihren Leuten zu hohe Ausgleichszahlungen wegen der Steuern zahlen. Wir kennen das Spiel vom Fußball: Topspieler lassen sich längst Nettogehälter garantieren und laden damit die Steuerlast ihren Arbeitgebern auf. Und das gibt es eben auch in Unternehmen.

                  Sie sollten mal Gehaltsverhandlungen in Unternehmen führen, Sie wären erstaunt: Ich habe noch keinen getroffen, der sich von dem wunderbaren Wetter in Deutschland überzeugen ließ. Die meisten rechnen ihre Gehaltserhöhung in Netto und richten danach ihre Forderungen und Erwartungen danach aus, was unter dem Strich bleibt.

                  Und ansonsten halte ich Ihren Wissensstand für deutlich überholt. Wenn Sie derzeit einen Job in Deutschland haben wollen, bekommen Sie den problemlos, so groß ist die Not.

                  Zu einigem wie der Integration in den Arbeitsmarkt halte ich etwas zurück, da bietet sich ein Artikel an.

                  • Ralf 27. Februar 2023, 13:17

                    Sie hatten angeführt, dass nicht nur das Gehalt an sich zähle, sondern auch staatliche Leistungen wie Infrastruktur und der Grad der Bürokratie. Aber anscheinend ist das absolut zweitrangig.

                    Ich habe gesagt, dass es bei der Entscheidung von Einwanderern bezüglich der Frage, wo sie sich Arbeit suchen, auf einen Komplex von Faktoren ankommt, nicht auf einen einzelnen Faktor. Dementsprechend sind alle Faktoren individuell für sich alleine genommen zweitrangig – inklusive das Gehalt.

                    Ich persönlich hätte z.B. in den USA das doppelte meines jetzigen Gehaltes haben können – keine Vermutung, sondern ein konkretes Angebot – und ich habe mich trotzdem für Europa entschieden, weil mich die Aufgabe hier mehr gereizt hat und weil mir das Leben in Europa besser gefällt.

                    • Stefan Pietsch 27. Februar 2023, 16:31

                      Ich habe gesagt, dass es bei der Entscheidung von Einwanderern bezüglich der Frage, wo sie sich Arbeit suchen, auf einen Komplex von Faktoren ankommt, nicht auf einen einzelnen Faktor.

                      Ja, und dann haben Sie Faktoren genannt, die Sie entweder wieder als Begründung zurückgenommen haben (Bürokratie, Infrastruktur) oder die anscheinend Asylbewerber und Flüchtlinge nicht abhalten, wohl aber hochwillkommene High Flyer. Da finde ich die Argumentation nicht konsistent.

                      Ich bezweifle nicht, dass es Altruisten gibt und Menschen, die Materielles hintenan sortieren. In meiner Ehe bin ich derjenige, der auf den hohen Verdienst achtet. Für die große Mehrheit der Erwerbstätigen gilt das Gleiche: Erst kommt das Einkommen, dann alles andere.

                      Doch selbst wenn man das „alles andere“ mit berücksichtigt, so kann man Menschen außerhalb Deutschlands nicht begreiflich machen, warum die Aufteilung einer Gehaltserhöhung in 1:2 zwischen Arbeitnehmer und Staat fair sein soll. Da erscheint vielen die Mafia gerechter, die ja für ihr Schutzgeld noch echt etwas bietet.

                      Es bleibt vor allem das Fehlen jeder Erklärung, warum Deutschland für Asylbewerber, Flüchtlinge und geringqualifizierte Arbeitsmigranten hoch attraktiv ist, nicht jedoch für Menschen mit einer Einkommenserwartung von 80.000 Euro plus. Und das ist doch offensichtlich.

                    • Ralf 27. Februar 2023, 19:54

                      so kann man Menschen außerhalb Deutschlands nicht begreiflich machen, warum die Aufteilung einer Gehaltserhöhung in 1:2 zwischen Arbeitnehmer und Staat fair sein soll.

                      Ich bezweifele stark, dass ein indischer Uniabsolvent, der seinen ersten Job sucht, informiert ist über das deutsche Steuersystem. Der weiß über Deutschland vermutlich soviel wie ich über Indien. Und das ist dann wohl auch einer der Hauptgründe, weshalb der nie auf die Idee kommt, sich überhaupt hier zu bewerben.

                      Und ich hab mal nachgezählt. In den vergangenen fünf Jahren habe ich 34 Vorstellungsgespräche durchgeführt, etwa die Hälfte mit internationalen Kandidaten und für verschiedene Ebenen (vom frisch gebackenen Master-Absolventen bis hin zur Führungskraft mit Postdoc-Erfahrung). Ich bin genau null mal nach dem Gehalt gefragt worden. Kann natürlich sein, dass alle Kandidaten diese Frage ganz professionell für das Interview mit der HR-Vertreterin aufgespart haben. Aber für die weit überwiegende Mehrheit der Bewerber ist dies der erste Job in der Industrie. Entsprechend unerfahren sind die Leute. Wenn das Gehalt der dominante, alles andere in den Schatten stellende Antriebsfaktor wäre, würden dann nicht wenigstens ein oder zwei Kandidaten das mal bei mir ansprechen? Stattdessen kriegt man viele Fragen zu Entwicklungsmöglichkeiten, zur Unternehmenskultur, dazu wie man als Fremdsprachiger im Labor zurechtkommt, zum Aufgabenfeld, dazu welche Unterstützung die Firma bei Umzug und Wohnungssuche leistet etc..

                      Es kommt übrigens auch sehr selten vor, dass ein von uns vorgeschlagenes Angebot noch mal nachverhandelt wird. Obwohl das ja das Recht der Kandidaten wäre und jemand, der gerade ein Angebot bekommen hat, in einer starken Verhandlungsposition ist. Trotzdem wird dieser Verhandlungsspielraum nur in vielleicht 10-20% der Fälle genutzt. Die Mehrheit unterschreibt einfach. Auch das lässt mich nicht gerade glauben, dass das Gehalt der primäre Faktor bei der Arbeitsplatzsuche ist.

                    • Stefan Pietsch 27. Februar 2023, 22:56

                      Das verstehe ich nicht. Sie sind ja der Meinung, dass der indische Uni-Absolvent hervorragend über die Parteisituation in Regionalparlamenten informiert ist. Aber er soll nicht fähig sein, mit 2 Clicks sich über die allgemeinen Besteuerungsverhältnisse in Deutschland über OECD und KPMG zu informieren?

                      Ich bin genau null mal nach dem Gehalt gefragt worden.

                      Sie Glücklicher! Das war in allen Gesprächen die Knackfrage. Allerdings, wenn bei Ihnen HR das letzte Wort bei Gehaltsfragen hat, verstehe ich das. Ist nur seltsam, denn eigentlich fällt so etwas in Unternehmen in die Verantwortung des Budgetverantwortlichen. Und das ist nie HR.

                      Glauben Sie ernsthaft, ich gebe einer Sachbuchhalterin freiwillig 55.000 Euro und einer Bilanzbuchhalterin 81.000 Euro, wo vor zwei Jahren für solche Positionen 45.000 bzw. 65.000 Euro angemessen waren? Darüber nicht zu verhandeln, wäre verantwortungslos.

                    • Ralf 27. Februar 2023, 23:24

                      Sie sind ja der Meinung, dass der indische Uni-Absolvent hervorragend über die Parteisituation in Regionalparlamenten informiert ist.

                      Ich bezog mich dabei auf die, die z.B. als Student/Doktorand bereits hier im Land sind. Oder auf die, die beim Besuch in Deutschland Bekanntschaft mit Rechtsextremen machen. Ich erinnere mich z.B. an ein Interview mit dem Leiter eines Max Planck-Instituts in Dresden. Der hatte einen Wunschkandidaten für eine Stelle gefunden und es war beim Vorstellungsgespräch auch schon fast alles in trockenen Tüchern. Auf dem Weg zum Abendessen fuhren sie im Taxi an der wöchentlichen Pegida-Demonstration vorbei. Der Kandidat fragte verwirrt, was das für Leute seien und der Leiter musste erklären. Das Gesicht des Kandidaten versteinerte sich und er wurde still. Eine Woche später hatte der Leiter die Absage auf dem Tisch.

                    • Stefan Pietsch 1. März 2023, 12:33

                      Ja, aber Sie konstruieren Ungleiches. Auf der einen Seite führen Sie an, Bewerber würden durch solche Demos vor Ort abgeschreckt. Aber sie werden nach Ihrer Einschätzung nicht von der Aussicht abgeschreckt, nur einen relativ geringen Teil ihres Verdienstes in der Tasche zu behalten. Das kann sich ja jeder leicht ausrechnen.

                      Die zentrale Schwachstelle in Ihrer Argumentation und der Dreh- und Angelpunkt unserer Debatte bleibt unbeantwortet: Warum fühlen sich potentielle Zuwanderer mit der Aussicht auf ein hohes Einkommen abgeschreckt, nicht jedoch Millionen Zuwanderer, die oft direkte Ablehnung erfahren – im Gegensatz zu dem Hochqualifizierten?

                      Und es bleibt: Wer Sorge vor Diskriminierung in einem fremden Land hat, darf nicht auswandern. Wissen Sie, wenn ich in Nord- oder Südamerika oder in Osteuropa unterwegs war, war meine Sorge nicht, dass ich wegen meines fremdländischen Aussehens als Fremder zu identifizieren wäre. Das lässt sich nicht verhindern.

                      So lange mir ein Land Sicherheit garantiert, ist das völlig egal. GIs mussten Jahrzehnte damit leben, dass hier „Ami go Home“ plakatiert wurde. Dennoch haben die meisten ein positives Deutschland-Bild.

                      Was ich jedoch für absolut schädlich halte, sind Bücher wie die von Don Winslow „Germany“, in der er Deutschland als ein Land zeichnet, das in den Fängen verschiedener Mafia-Gruppen ist oder Filme wie „The Contractor“ mit Chris Pine, wo Berlin als heruntergekommene Hauptstadt, voll mit Graffiti erscheint. Wer will in einem solchen Land leben?

                      In Australien wurden 30% der dort lebenden Menschen in Übersee geboren. Warum ist dieses Land so attraktiv, wo sie doch angeblich so schäbig mit den Ureinwohnern umgehen, gegen bestimmte Migrantengruppen wie Flüchtlinge rabiat vorgehen und es gehen Zuwanderer Ablehnung gibt.

                      Deutschland hat einen vergleichsweise geringen Anteil ausländerfeindlicher Parteien. Wer sich hier schlecht behandelt fühlt, wird das auch in Bordeaux, Manchester, Turin, Detroit. Also, das Argument steht, Deutschland ist wesentlich offener für die Aufnahme von Migranten als die meisten Länder. Wir haben dafür ja sogar einen weltweit bekannten Begriff geprägt: „Willkommenskultur“, der im Economist zitiert wird. Aber wir haben auch ein nahezu enteignendes Einkommensteuerrecht, wir haben vergleichsweise wenig Millionäre und erst recht Milliardäre, wir haben breite Enteignungsdebatten.

                      Ich verstehe nicht, warum für Sie das so vernachlässigenswerte Aspekte für Menschen sein sollen, die ein Salär von 100.000 Euro plus erwarten, die hier gerne dauerhaft eine Immobilie erwerben möchten und in der Überlegung sind, wo sie ihr wachsendes Vermögen investieren.

                      Würden Sie da ernsthaft nach Deutschland gehen?

                    • Ralf 1. März 2023, 22:54

                      Warum fühlen sich potentielle Zuwanderer mit der Aussicht auf ein hohes Einkommen abgeschreckt, nicht jedoch Millionen Zuwanderer, die oft direkte Ablehnung erfahren – im Gegensatz zu dem Hochqualifizierten?

                      Weil erstere eine Wahl haben, wohin sie gehen möchten (-> sie bekommen legale Einreise- und Arbeitsvisa) und letztere nicht.

                      Abgesehen davon reiten Sie viel zu sehr auf einen einzelnen Faktor herum. Die Wahl des Wohn- und Arbeitsortes ist fast immer multikausal. Das gesellschaftliche Klima ist ein Faktor, so wie das Gehalt ein Faktor ist und vieles andere ebenfalls ein Faktor ist. Kein Faktor entscheidet alleine.

                      Und Sie übersehen, dass für viele Hochqualifizierte die Immigration nach Deutschland nicht gerade naheliegend ist. Weshalb sollte ich als Inder oder Chinese in ein kleines unbedeutendes Land im zersplitterten Europa ziehen, über das ich nichts weiß und wo man nicht mal Englisch spricht? Sie sehen sich ja wahrscheinlich auch nicht als erstes nach Jobs in Südkorea um, wenn Sie auf Arbeitssuche sind. Und das, obwohl Südkorea ein wohlhabendes, modernes Land ist und man dort sicher einen vernünftigen Arbeitsplatz finden kann. Südkorea ist halt nicht gerade naheliegend. Es gibt andere Orte, wo man zuerst schauen würde. Und so ist das für den Inder und den Chinesen auch. Amerika ist schlicht naheliegender mit seiner offenen, englischsprachigen Gesellschaft, seiner Einwanderertradition, seinen Eliteuniversitäten (im Gegensatz zu Deutschland nicht nur dem Namen nach) und seiner wachsenden asiatischen Community, die einen wichtigen Anknüpfungspunkt darstellt.

                    • Stefan Pietsch 2. März 2023, 22:33

                      Zwei Aspekte sind widersprüchlich in Ihrer Argumentation:

                      a) Sie behaupten, es gäbe für Zuwanderer eine Reihe von Aspekten für ihre Entscheidung. Allerdings ließen Sie sich diese torpedieren, in dem Sie zuerkennen mussten, dass z.B. Bürokratie und Infrastruktur keine Assets sind, die für Deutschland sprechen. Und in Ihrer gesamten Argumentation legen Sie den Fokus sehr stark auf eine angebliche Abneigung in der Bevölkerung, ignorieren aber Vergleiche. Gefühlt 85-90 Prozent Ihrer Texte beschäftigen sich hiermit, aber nur insgesamt 2-3 kurze Absätze streifen die steuerliche Belastung der Einkommen, die Sie pauschal als nicht relevant abtun.

                      b) Wissenschaftler suchen nach Kontrollgruppen, um ihre Thesen zu überprüfen. Sie sind Wissenschaftler, aber Sie sträuben sich, Kontrollgruppen für Ihre Thesen zu bilden oder zuzulassen.

                      Weil erstere eine Wahl haben, wohin sie gehen möchten (-> sie bekommen legale Einreise- und Arbeitsvisa) und letztere nicht.

                      Beide Gruppen – Topverdiener und Flüchtlinge – besitzen Wahlmöglichkeiten. Ein Asylbewerber kann auch in die skandinavischen Länder, in die Niederlande, in die Schweiz, Frankreich oder Spanien. Sie ziehen zu einem weit überproportionalen Teil Deutschland vor. Bei hoch qualifizierten Arbeitsmigranten ist es umgekehrt, sie gehen weit überproportional in die Schweiz, nach Luxemburg, Niederlande und sogar Skandinavien. Wie erklären Sie sich diese offensichtlichen Anomalien?

                      Ich habe in meinem Berufsleben nicht nur gut Qualifizierte kennengelernt, die in die USA wollten. Auch Singapur, ein Ministaat, und Luxemburg waren sehr beliebt. Ich habe französische Top-Manager kennengelernt, die sich international besteuern lassen wollten.

                      Wie passt Ihre Argumentation überhaupt zu Klagen über Steuerdumping und Unternehmenssteuerwettbewerb? Gar nicht, oder? Mindestens genauso wie Auswanderer müssen sich Unternehmen die Umsiedlung genau überlegen und werden zahlreiche Aspekte als das Steuerniveau berücksichtigen, das, so habe ich von Ihnen gelernt, keine wichtige Determinante ist.

                      Und das ist die Zwickmühle für Ihre Argumentation. 😉

                    • Ralf 2. März 2023, 23:05

                      die steuerliche Belastung der Einkommen, die Sie pauschal als nicht relevant abtun.

                      Wie Sie aus meiner Aussage, das Gehalt sei ein Faktor schließen, ich hätte behauptet, das Gehalt sei irrelevant, bleibt Ihr Geheimnis.

                      Beide Gruppen – Topverdiener und Flüchtlinge – besitzen Wahlmöglichkeiten. Ein Asylbewerber kann auch in die skandinavischen Länder, in die Niederlande, in die Schweiz, Frankreich oder Spanien. Sie ziehen zu einem weit überproportionalen Teil Deutschland vor.

                      Aber die Asylbewerber ziehen doch auch nach Skandinavien und in die Schweiz. Schweden hat relativ zu seiner Bevölkerungszahl mehr Asylsuchende aufgenommen als Deutschland und die Schweiz liegt ziemlich genau auf demselben Niveau wie wir:

                      https://www.derstandard.at/story/2000115372396/welche-laender-global-die-meisten-fluechtlinge-aufgenommen-haben

                    • Stefan Pietsch 3. März 2023, 09:18

                      Sie messen dem Aspekt keine kommentierende Bedeutung bei, aber ausländerfeindlichen Parolen sehr wohl. Sie haben ein Pegida-Erweckungserlebnis zur Hand, aber kein steuerliches.

                      Sehr alte Zahlen und kumuliert, Stand 2019. Sie stimmen längst nicht mehr. Das schließt, zumindest für Wissenschaftler, die Frage an: warum nicht mehr? Was hat sich geändert dass die Flüchtlingsströme in Europa anders fließen?

                      Und auch hier zeigt sich, wie könnten mehr Hochqualifizierte anlocken, würden wir unsere Steuertarife senken.

                      Q.e.d. 🙂

                    • Ralf 3. März 2023, 10:38

                      Ich habe kein steuerliches Erweckungserlebnis zur Hand, weil mir keines bekannt ist. Als jemand, der über ein Jahrzehnt in den USA und weitere fünf Jahre im EU-Ausland gelebt hat, habe ich unzählige Gespräche mit Expats und hochqualifizierten Immigranten geführt, die Freunde, Kollegen, Nachbarn, arbeitssuchende Stellenbewerber waren. Der “nächste Job” war eines der häufigsten Gesprächsthemen. Bei diesen Gesprächen wurde das Thema “Steuer”, genauso wie das Thema “Gehalt” in insgesamt 17 Jahren exakt null mal genannt. Stattdessen drehten sich die Gespräche um andere Faktoren (Forschungsumfeld, solide Forschungsförderung, Zugang zu Arbeitsvisa, Sicherheit des Arbeitsplatzes, Aufstiegschancen, Attraktivität der Stadt, Wohnort in der Nähe zu Verwandten, Familienfreundlichkeit etc.). Dass das so ist, tut mir ganz ehrlich leid für Sie … 😉

                      Was die Immigrationszahlen angeht, ist 2019 nun wirklich nicht komplett veraltet. In den gegenwärtig ganz aktuellen Zahlen dürfte sich darüber hinaus insbesondere die Flucht von Millionen Ukrainern widerspiegeln. Der Grad der Qualifikation für den Arbeitsmarkt unter dieser Population dürfte sich sehr von dem, bei der Flüchtlingswelle 2015 unterscheiden und verkompliziert das Bild enorm. Auch das Muster der Zielorte ist dramatisch anders, etwa – wenig überraschend – mit hohen Flüchtlingskonzentrationen in Osteuropa.

            • Thorsten Haupts 26. Februar 2023, 22:45

              Ich arbeite jetzt seit 17 Jahren im Kraftwerks-Anlagenbau. Mit einem sehr, sehr hohen Anteil von ausländischen Fachkräften (Ingenieure und Projektingenieure) aus wirklich aller Herren Länder in jedem Projekt. Ich halte die „massive Xenophobie“ für eine Urban Legend oder sie spielt sich wirklich nur ausserhalb meines Gesichtskreises ab.

              Auch die Wahlergebnisse sprechen nicht für diese These. Wäre Deutschland „massiv xenophob“, würde die AfD längst die Bundesregierung stellen – sie ist die einzige klar ausländerfeindliche Partei Deutschlands.

              Gruss,
              Thorsten Haupts

              • Ralf 26. Februar 2023, 23:54

                Die AfD kontrolliert ein Viertel der Sitze im thüringischen Parlament und ein Drittel der Sitze im sächsischen Parlament. Ihre Themen spielen bundesweit eine drastisch größere Rolle, als es die Größe der Partei rechtfertigen würde, weil sie laut, krawallig und skandal-affin ist, was den Medien Quote bringt.

                • Stefan Pietsch 27. Februar 2023, 09:39

                  Who cares? Kennen Sie eine westliche Demokratie, wo nicht ausländerfeindliche Parteien in den Parlamenten sitzen? Der Schweiz tut das keinen Abbruch, den USA auch nicht. Zuwanderer waren immer gewahr, dass ihnen in den Aufnahmeländern nicht nur Zuneigung entgegen schlägt. In Südamerika heißen Leute wie wir übrigens Langnasen – auch nicht nett.

              • Stefan Sasse 27. Februar 2023, 08:33

                Das ist so nicht korrekt. Zumindest Teile der CDU fallen da auch rein. Dazu kommt, dass die ganze Idee von Alltagsrassismus ja ist, dass er eben NICHT offen ist.

                • Thorsten Haupts 27. Februar 2023, 14:59

                  … dass die ganze Idee von Alltagsrassismus ja ist, dass er eben NICHT offen ist.

                  Äh ja. Weshalb wir dann progressive Experten brauchen, die uns erklären, woran wir Dumpfbacken „versteckten Alltagsrassismus“ erkennen? Ich habe die Bewerbung um öffentlich geförderte Laberposten für selbsternannte „Rassismusexperten“ schon verstanden, keine Sorge.

                  Gruss,
                  Thorsten Haupts

          • Stefan Sasse 26. Februar 2023, 16:13

            Wir haben ja so Leute teilweise da und erlauben ihnen nicht zu arbeiten! Erst letzthin sah ich wieder eine Geschichte über eine studierte Syrerin, deren Zertifikate nicht anerkannt werden:https://twitter.com/MeredithHaaf/status/1628712837752266752

            Wir leisten uns eine bürokratische Verschwendung in einem Ausmaß…

            • Stefan Pietsch 26. Februar 2023, 19:09

              Dein Argument funktionierte vor 20 Jahren. Heute ist die Anerkennung von Abschlüssen innerhalb der EU weitgehend harmonisiert.

              Dass nur ein sehr geringer Teil der geflüchteten Syrer hier arbeitet, aber ein sehr hoher Anteil von Amerikanern, ist aus Deiner Sicht nur Zufall?

              Übrigens ist der Einwand von jemanden bemerkenswert, der für mittelständische Unternehmen eine ausführliche Dokumentation der Lieferketten befürwortet oder die stetige Erweiterung von Compliance-Vorschriften. Siehst Du da keinen Widerspruch?

              • Stefan Sasse 27. Februar 2023, 08:32

                Ja und nein. Ich sage es immer wieder, ich bin für viel mehr Evaluation und Kosten-Nutzen-Abschätzungen. Manche Bereiche sind über-, manche sind unterreguliert. Ich wehre mich da gegen eine pauschale One-Size-Fits-All-Lösung.

                • Stefan Pietsch 27. Februar 2023, 09:20

                  Das ist eine so allgemein wie möglich gehaltene Antwort. Nicht angreifbar, nicht kritisierbar, aber auch nicht zustimmungsfähig.

          • Kning4711 26. Februar 2023, 18:58

            Natürlich ist in erster Linie die Fähigkeit entscheidend und ich kann sicherlich nicht Menschen beliebig zwischen Jobprofilen verschieben. Notgedrungen werden wir alle flexibler werden müssen, denn nur die richtig Guten werden sich ihre Jobs aussuchen können. Sie wissen selbst wie teuer eine schlechte Personalentscheidung sein kann, insofern werden Unternehmer ihr Heil in standardisierten Lösungen und zunehmender Automatisierung suchen müssen.

            Was die Attraktivität des Einwanderungslands Deutschland angeht: ich hätte zwei Vermutungen: 1. latenter Alltagsrassismus, 2. Bürokratische Hürden.

            • Johnson 1. März 2023, 21:01

              @ Kning4711

              Let me counter your suppositions with facts:

              1. Racism, whether latent, overt or otherwise is hardly more prevalent in Germany than it is in „classic“ immigration destinations such as the US, Canada, Australia or the UK.

              2. Bureaucracy, as in the process to obtain a visa, employment authorization, temporary or permanent residency status, is not only less diffcult in Germany but also generally a lot smoother than in the countries mentioned above. Especially in the US and Canada the immigration bureaucracy is something that even Franz Kafka could not have imagined in his most feverish nightmare.

              • Stefan Sasse 2. März 2023, 08:04

                So, where does the bad rep come from?

                • Johnson 2. März 2023, 16:30

                  I don’t think there is any. Not among university educated professionals anyway. The only real obstacle imo is language. I think it’s still pretty difficult to navigate Germany in every day life without being able to speak and understand German.

                  • Thorsten Haupts 2. März 2023, 17:20

                    Not among university educated professionals anyway.

                    Entirely correct, but Stefan really does not know that. From the people that he regularly quotes – like Meredith Haaf in this thread – it is clear that his bubble consists of people, for whom the „Germany is deeply racist and xenophobe“ is not up for debate, but an integral part of their beleif system. If you predominantly take your information about the world from religious zealots, the results are not always convincing.

                    Regards,
                    Thorsten Haupts

                  • Stefan Sasse 2. März 2023, 18:34

                    Likely easier than in France without French, though. But yeah, English speaking countries have a SLIGHT advantage there.

    • Detlef Schulze 25. Februar 2023, 22:00

      Eine niedrige Geburtenrate würde keinen direkten Mangel an Kita -erziehern erzeugen, weil ja der Bedarf an Erziehern schneller sinkt, als das Angebot. Höchstens indirekt, weil der Bedarf an Altenpflegern steigt und potentielle Erzieher stattdessen Altenpfleger werden.

      • Ralf 25. Februar 2023, 22:19

        Bin da kein Experte, aber dass der Bedarf an Kitabetreuung sinkt, stelle ich infrage. Durch massive Einwanderungs- und Fluchtbewegungen haben wir wieder sehr viele Kinder im Land (denk z.B. mal an die ukrainischen Flüchtlinge – überwiegend Frauen, viele mit Kindern). Und gerade diese Kinder würden besonders von der Kita profitieren, z.B. zur Ausbildung von deutscher Sprachkompetenz. Außerdem müssen wir als Gesellschaft dringend den Anteil von Frauen an der Erwerbsquote erhöhen, um jedes denkbare Potential an Arbeitskräften zu mobilisieren, damit die Folgen des demographischen Wandels zumindest halbwegs abgedämpft werden. Aber je mehr Frauen arbeiten gehen, desto mehr Kitaplätze werden benötigt (selbst wenn die absolute Zahl an Kindern sinkt, steigt also die relative Zahl derer, die nicht mehr zuhause betreut werden).

        • Stefan Sasse 26. Februar 2023, 10:05

          Ja, ich denke das ist ein wichtiger Faktor, der wichtigste sogar. Davon spreche ich ja im Podcast: das hat sich die letzten 20 Jahre massiv geändert.

      • Stefan Sasse 26. Februar 2023, 10:04

        Das läuft natürlich nicht im Gleichschritt, aber grundsätzlich gibt es eine Korrelation, ja. Wir sehen aber auch an der Schule, dass das nicht aufgeht.

  • Ralf 25. Februar 2023, 14:14

    Dass Krankenpfleger “optional” sind, halte ich für eine gewagte Aussage. Und ohne Lehrer hast Du irgendwann auch keine Elektriker, Ingenieure und Mechaniker mehr. Ohne Literaturwissenschaftler könnte die Gesellschaft hingegen notfalls vermutlich leben. Aber diejenigen Schichten der Gesellschaft, die Literaturwissenschaftler werden, sind nicht dieselben, die andernfalls eine Karriere als Kanalarbeiter oder Polizist anstreben würden. Und sie sind auch nicht ausreichend zahlreich, um das zugrundeliegende Fachkräfteproblem zu lösen. Selbst dann nicht, wenn 100% aller Literaturwissenschaftler zum Kanalarbeiter umschulen würden. Am Ende bleibt das Problem, dass es einfach nicht genug arbeitsfähige Menschen im Land gibt.

    • Thorsten Haupts 25. Februar 2023, 15:53

      Dass Krankenpfleger “optional” sind, halte ich für eine gewagte Aussage.

      Für das Überleben einer Gesellschaft/unserer Zivilisation? Nein, nicht gewagt. Sehr unschön, aber gesellschaftlich nicht existenzgefährdend.

      Und ohne Lehrer hast Du irgendwann auch keine …

      Irrtum. Direkte Weitergabe vom Meister an den Lehrling, Background über die ja weiter existente Fachliteratur.

      Meine Darstellung sollte auch nur vedeutlichen, dass es sehr wohl bessere Kriterien bei prinzipiellem Personalmangel gibt, als den Mangel da hinzunehmen, wo man „selbst nicht betroffen“ ist.

      Gruss,
      Thorsten Haupts

      • Ralf 25. Februar 2023, 16:44

        Die von Dir skizzierte Zivilisation ohne Verpflegung von Kranken, ohne Schule und mit direkter Weitergabe von Wissen durch den Meister an den Lehrling hat es schon mal gegeben. Im Mittelalter. Wenn das ein akzeptables Ziel ist, brauchst Du auch keine Elektriker mehr. Allerdings müsste die Position des Henkers und des Dorfschulzes besetzt werden …

      • Stefan Sasse 25. Februar 2023, 19:45

        Klar, aber er hat ja Recht, dass die Antwort von den meisten Leuten kommt. Oder hast du grade Kinder in der Schule? 🙂

  • Detlef Schulze 25. Februar 2023, 22:06

    Ja klar, der Polizist nimmt dann immer seinen Dreijährigen Sohn mit auf Verbrecherjagd.

    Ups . Bin im Kommentar verrutscht. Ich bezog mich auf Thorsten Haupts Aussage, Erzieher und Lehrer sind eher verzichtbar als Elektriker und Polizisten.

  • Maniac 27. Februar 2023, 16:39

    Es gibt hier keine Lösung auf Basis des Status Quo. Irgendwann wird sich ein Politiker hinstellen und allen möglichen Interessengruppen sagen müssen, dass es zu einstmals versprochenen Bedingungen nicht gehen wird. Daran ändern auch bessere Gehälter oder bessere Arbeitsbedingungen nichts. Wir haben uns – auch auf diesem Gebiet – gesamtgesellschaftlich übernommen. Das werden über kurz oder lang alle erkennen müssen. Für den einen oder anderen wird das ein bitteres Erwachen. Die Politiker:innen sind nur insoweit zu rügen, als dass sie nicht ehrlich genug sind, das früh genug zu sagen, sondern stattdessen Luftschlösser bauen.

    Gruß, M.

    • Stefan Sasse 28. Februar 2023, 12:41

      Was folgt da für dich draus?

      • Maniac 28. Februar 2023, 16:29

        Die Frage lässt sich vielschichtig beantworten:

        Für den Umgang mit Kinderbetreuung? Wir werden lernen müssen, dass alles Wünschenswerte nicht umsetzbar ist, in der Betreuung werden wir Abstriche machen müssen. Weniger Qualifikation beim Personal, weniger Betreuungszeiten, mind. weniger Flexibilität, häufigere Ausfälle.

        Für Bürger und Politik? Mehr Realismus bei den eigenen Forderungen auf der einen Seite und mehr Ehrlichkeit, welche wünschenswerten Dinge wirklich machbar sind, auf der anderen Seite. Hier haben wir sicher auch ein Demokratieproblem, da der Wähler es per se nicht honoriert, wenn man ihm unschöne Wahrheiten sagt.

        Nimm Deine Interviewpartnerin. Viele von ihr geäußerte Punkte sind ja nicht unrichtig, bewegen sich aber in einem Interessenwettbewerb, den sie schlichtweg nicht zur Kenntnis nimmt bzw. ihre Interessen absolut setzt. Die Politik soll eben einfach vor allem ihre Bedingungen erfüllen. Mehr Qualität, mehr und besseres Personal, mehr Flexibilität bei den Zeiten, breites Anbieterangebot („das bisschen mehr an Bürokratie ist ja nicht so schlimm“). Ein Landesqualitätsgesetz muss es dann auch schon mindestens sein, besser noch ein Bundesqualitätsgesetz. Da geht er wieder hin, der hehre Grundsatz von Subsidiarität, der in Sonntagsreden gerne eingefordert wird, spätestens beim eigenen Lobbying aber vergessen wird.

        Wir führen diese Diskussionen des Interessenwettbewerbs, der Wettstreits zwischen knappen Ressourcen, ja sonst schon regelmäßig beim Geld. Da haben wir die künstliche Grenze einer Verfassungsbeschränkung geschaffen, die ja schon wieder bröckelt. In diesem Fall haben wir die Hürde der Menschen, der Arbeitskräfte, der Fachkräfte. Und die lässt sich mit der Druckerpresse nicht beseitigen.

        Gruß, M.

        • Stefan Sasse 28. Februar 2023, 18:38

          Verstehe.

          • CitizenK 4. März 2023, 19:56

            Stefan hat die Frage im Podcast nur rhetorisch gestellt: Brauchen wir die hochqualifizierte quasi-wissenschaftliche frühkindliche Bildung, die Kitas mit „Forscherstation“?
            Woher kommt die Relation 1:14 für die Investition? Für die USA hab ich mal 1:7 gelesen – und dort ist die öffentliche Infrastruktur in diesem Bereich eher defizitär.

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