Die Frage, warum Weimar scheiterte, beschäftigt die Geschichtswissenschaft seit Jahrzehnten und nimmt eine prominente Rolle in den Bildungsplänen der Schulen ein. Auch in der öffentlichen Diskussion kommt die Frage, vor allem angesichts der Lehren, die sich daraus ziehen lassen, spätestens seit dem Aufstieg der AfD mit neuer Wucht aufs Tablett. Um aber sehen zu können, ob und welche Lehren sich ziehen lassen, muss zuerst einmal geklärt werden, warum sie tatsächlich scheiterte. Und das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Stefan Sasse spricht mit dem Geschichtslehrer Julian Wagner über dieses Thema.
Show Notes:
- Stefan: auf Twitter, Deliberation Daily
Die Konstruktionsfehler der Verfassung erwähnt ihr mit keinem Wort. Noch nicht mal, warum ihr die für irrelevant haltet.
Hat der Parlamentarische Rat also umsonst gearbeitet?
Ist mir im Nachhinein auch aufgefallen 😀 Aber ich halte die tatsächlich für den Untergang Weimars für faktisch irrelevant.
Und nein, natürlich nicht.
Die Konstruktionsfehler der Verfassung erwähnt ihr mit keinem Wort.
Die haben den Untergang der WR vielleicht ein wenig erleichtert, ermöglicht haben sie ihn ebensowenig, wie erst eingeleitet.
Weimar ist mangels überzeugter Demokraten an vielen entscheidenden Schaltstellen gescheitert. Und an völlig verantwortungslosen, drittklassigen, Möchtergernkonservativen. Nicht an seiner Verfassung. Die bei all ihren Schwächen bei verantwortungsvollem Umgang mit ihr durchaus eine lebendigen Demokratie ermöglicht hätte.
Wer ernsthaft glaubt, das Grundgesetz an und für sich schütze uns vor oder gegen irgendwas, den vermittle ich gerne an einen nigerianischen Prinzen 🙂 .
Gruss,
Thorsten Haupts
Exakt das.
„Demokratie ohne Demokraten“. Auch das steht ja in den Schulbüchern. Ohne überzeugte Demokraten schützt der Verfassungstext nicht. Diese kann aber entscheidend dafür sein, dass nicht die falschen Leute an die Schalthebel kommen.
Ohne die Reichstagsbrand-Verordnung (Art. 48 WRV) hätten die Nazis ihre Gegner nicht so schnell ausschalten können. Und nach dem GG hätte das Ermächtigungsgesetz gar nicht erst vorgelegt werden können. Die Liberalen und die Skeptiker in der Zentrumsfraktion (da ging es ja hoch her) wären gar nicht in die Verlegenheit gekommen, sich entscheiden zu müssen.
Auch mal spekuliert: Ohne den Anschein der Legalität durch ein „Gesetz“ hätte mancher (preussisch sozialisierte) Beamte vielleicht nicht so willig mitgemacht.
Ja, das ist alles korrekt. Aber es gäbe problemlos auch Wege im GG, wenn die Leute bereit wären. Kennst du Steinbeis‘ „Dritter Senat des BVerfG“?
Vielen Dank für den Hinweis. Kannte ich tatsächlich noch nicht. Bin noch am Grübeln.
Für die „ Mütter und Väter“ des Grundgesetzes kommt dein Angebot zu spät
Welches Angebot?
Die Vermittlung an den nigerianischeenn Prinzen von Thorsten H.
Spannender Podcast. Im Gegensatz zu einigen Episoden zuvor, wo zwei oder drei Diskutanten mit im wesentlichen deckungsgleichen Meinungen aufeinandertrafen, die sich dann ständig wechselseitig zustimmten, hier durchaus Meinungsverschiedenheiten. Im Gegensatz zu unserem unseligen Fernsehprogramm, wo jeden „Pro“ auf Teufel komm raus immer ein „Contra“ gegenübergestellt werden muss, auch wenn es sachlich keinerlei Sinn macht, trafen hier aber zwei intelligente Experten aufeinander, die beide nachvollziehbare, inhaltlich logische Ansichten vertraten und offensichtlich an den Argumenten des Gegenüber interessiert waren. Es ging beiden Seiten hörbar um Erkenntnisgewinn. Davon profitiert auch das Publikum. Ich habe im Zuge der Debatte meine Meinung, dass der Versailler Vertrag ein wichtiger Grund für das Scheitern der Weimarer Republik war überdacht …
Danke! Zum Thema Versailles vielleicht für dich spannend:
http://geschichts-blog.blogspot.com/2011/02/der-vertrag-von-versailles.html
Ich fand eure Diskussion auch spannend, der Pendelschlag geht mir aber zu schnell zu weit in die Gegenrichtung.
Nur ein Punkt: Keynes‘ Warnungen. Ohne Versailles kein Ruhrkampf und nicht diese irre Mega-Inflation. Deren Nachwirkungen trotz Rentenmark bis in die Gegenwart reichen.
Ja, das ist fair.
Ich teile Deine Einschätzung des Versailler Vertrages aus dem Blogbeitrag weitgehend (sie ist, soweit ich das beurteilen kann, sozusagen Stand der Historikerzunft). Nur sehe ich nicht die notwendige Konsequenz, aus dieser nüchtern rationalen Vogelperspektive zu schliessen, der Versailler Vertrag sei KEIN wichtiger Baustein auf dem Weg zum Scheitern der Weimarer Republik gewesen. Das eine ist völlig unabhängig vom anderen. Nur als Beispiel – propagandistisch war er für die radikale und nationalistische Rechte ein Gottesgeschenk.
Dass es sich um einen der dümmsten, wenn nicht sogar den dümmsten, Friedenverträge der Menschheitsgeschichte handelt, steht auch bei Dir zwischen den Zeilen. Ein solcher „Friedens“vertrag liest sich wie der Startschuss zum nächsten Krieg, den man in diesem Fall nur mit ausserordentlicher Anstrengung hätte verhindern können! Die Akzeptanz der Nazis im deutschen Adel wie im gehobenen Bürgertum beruht ganz wesentlich darauf.
Gruss,
Thorsten Haupts
Mein Artikel ist ja schon 11 Jahre alt, aber grundsätzlich: den dümmsten aller Zeiten würde ich nicht (mehr) unterschreiben, nein.
War er ein Gottesgeschenk? Ja. Aber mein Punkt im Podcast ist ja ein anderer: JEDER Vertrag wäre von der Rechten für Agitation verwendet worden, ganz egal, wie er aussieht.
… den dümmsten aller Zeiten würde ich nicht (mehr) unterschreiben, nein.
Wirst Deine Gründe haben. Ich schon. Ein „Vertrag“, der ein ganzes Volk einseitig und explizit als alleinigen Kriegsschuldigen verdammt, ist kein Friedensvertrag, sondern eine Kriegserklärung, case closed.
Gruss,
Thorsten Haupts
Nein, das hat völlig andere Hintergründe und wurde von der deutschen Propaganda aufgebauscht. Das Ding ist nicht ohne Grund Artikel 231 und nicht Artikel 1.
Sorry, Stefan, praktisch irrelevant. Es stand explizit im Vertrag, aus welchen Gründen auch immer ist völlig Banane. Und absolut jeder Nichtspezialist (also 99,9999% der Bevölkerung) wird das genauso verstehen, wie es damals verstanden wurde und wie ich es lese.