Oral History: Noch nicht soweit – Giants: Citizen Kabuto

Einer der faszinierenden (und ehrlich gesagt auch milde erschreckenden) Bestandteile des Älterwerdens ist die Feststellung, dass der eigene Referenzrahmen von einer jüngeren Generation nicht mehr geteilt wird und diese bei zunehmend mehr Aspekten nicht mehr weiß, wovon man eigentlich spricht. Meine Elterngeneration (spätestens) dürfte ein Leben ohne Elektrizität und fließend Wasser nicht nachvollzogen haben können, während ich selbst mir nicht vorstellen konnte, dass es einmal Familien ohne Farbfernseher gab. Ich habe mich deswegen entschlossen, diese unregelmäßige Artikelserie zu beginnen und über Dinge zu schreiben, die sich in den letzten etwa zehn Jahren radikal geändert haben. Das ist notwendig subjektiv und wird sicher ein bisschen den Tonfall „Opa erzählt vom Krieg“ annehmen, aber ich hoffe, dass es trotzdem interessant ist. Als Referenz: ich bin Jahrgang 1984, und meine prägenden Jahre sind die 1990er und frühen 2000er. Was das bedeutet, werden wir in dieser Serie erkunden. In dieser Folge geht es um ein Videospiel, das viel versucht hat und konzeptionell ambitioniert war: „Giants: Citizen Kabuto“.

Wir schreiben das Jahr 2000. Die Planet Moon Studios veröffentlichen ihr erstes Spiel, „Giants: Citizen Kabuto“. Es war nicht das erste Spiel für die Entwickler. Der Grund, warum sie als brandneues Studio vier Jahre lang ein Spiel entwickeln durften, war, dass ihr vorheriges Projekt im Jahr 1997 „MDK“ war, der visionäre Third-Person-Shooter. Sie kamen also mit einigen Vorschusslobeeren, will ich damit sagen.

Das Spiel, das sie herausbrachten, war visionär. Es enthielt drei verschiedene Einzelspieler-Kampagnen, die mit einer verwobenen und epischen Geschichte verbunden waren und in denen die Spieler die Kontrolle über ganz unterschiedliche Fraktionen übernahmen. Im Mehrspielermodus konnten diese Fraktionen in riesigen Kämpfen gegeneinander antreten, einschließlich des Aufbaus von Basen.

Der Umfang war atemberaubend. Die erste Fraktion, die Meccaryns, waren humanoide Space Marines, die mit Jetpacks durch die Gegend flogen, witzige Sprüche klopften und alles Mögliche abfeuerten. Man spielte in einem Trupp von fünf Spielern, und die hohe Mobilität und die tödlichen Waffen entschädigten für die Verletzlichkeit und die Tatsache, dass man nur zu fünft war.
Im Einzelspielermodus wurden vier dieser Marines von der KI gespielt, und man musste sie auf einer fremden Welt mit vielen tödlichen Bewohnern, freundlichen, aber einfachen Eingeborenen, die man beschützen musste, und vielen anderen Dingen finden. Die Meccaryn-Kampagne war eine Mordsgaudi, mit vielen verschiedenen Missionen, tollen Charakteren und jeder Menge Spaß.

Dann wechselten man zu ihrem ehemaligen Erzfeind, dem Sea Reaper Delphi. Diese Rasse von Meerjungfrauen war an den Boden gebunden, konnte nicht fliegen, war aber mit mächtiger Magie und einem weitreichenden Bogen ausgestattet. In der Geschichte hat man sich gegen seine böse Königin aufgelehnt und mit den Meccaryns gemeinsame Sache gemacht.

Gemeinsame Sache war angesagt, da die letzte Fraktion nur aus einer einzigen Kreatur bestand, die aber so groß wie Godzilla war und obendrein auch noch so schlau. Der titelgebende Kabuto spielte sich wie ein Kind auf dem Spielplatz, stampfte herum, fraß die Eingeborenen und wuchs an Größe und Kraft. Kaum etwas war so befriedigend, wie einen dieser lästigen Meccaryns vom Himmel zu holen und ihn zu verspeisen.

Die Kampagne der Reaper war nicht ganz so gut wie die der Meccaryn. Die Geschichte war in Ordnung, aber das Gameplay war sehr repetitiv. Es lehnte sich stark an das Basebuilding an, was ein sehr cooler Aspekt des Spiels war, aber wie bei Süßigkeiten kann es ein zu viel des Guten geben.

Leider war die von Kabuto noch schlimmer. Godzilla kann nicht wirklich eine Charakterentwicklung haben, und die Entwickler haben es eindeutig zu eilig gehabt, das Spiel zu veröffentlichen. Jede Mission bestand aus denselben Zielen: Gehe von A nach B und zerschlage C. Das war so allgegenwärtig, dass in der letzten Mission, in der man ein Tor erreichen musste, die Missionsbeschreibung (kein Dialog mehr wie in den vorherigen Kampagnen, die Designer haben einfach aufgegeben) tatsächlich lautete: „Zerschlage das Tor (nur ein Scherz! gehe hindurch)“. Es ist kein Zeichen von Qualität, wenn man seinen eigenen Text parodiert. Trotzdem hat das Spiel eine Menge Spaß gemacht. Wir haben damals auch eine Menge Multiplayer gespielt. All die Mängel, die man im Einzelspielermodus ignorieren konnte (weitgehend leere Karten, Glitching-Fehler und so weiter), kamen hier mit voller Wucht zurück, und es war sehr schwierig, die Stärke der Meccaryns – das Teamplay – in einer LAN-Party-Umgebung einzusetzen.

Der Versuch, mit der damals verfügbaren KI eine Basis aufzubauen und zu halten, und die Grenzen der 3rd-Person-Perspektive in 3D-Umgebungen, die aus heutiger Sicht aussehen, als hätte jemand auf den Bildschirm gekotzt, waren auch nicht gerade hilfreich. Aber dieses Spiel kam dem, was es mit seinen äußerst ehrgeizigen Zielen zu erreichen versuchte, näher als viele andere.
Asymmetrisches Gameplay zwischen drei verschiedenen Fraktionen bleibt ein Ziel, das oft versucht und selten erreicht wird. „Giants: Citizen Kabuto“ kam diesem Ziel näher als die meisten anderen. Das ist lobenswert und sollte in Erinnerung bleiben.

{ 9 comments… add one }
  • schejtan 5. Januar 2023, 12:41

    An den Single Player kann ich mich kaum erinnern, mein aber dass ich waehrend der Reaper Kampagne aufgehoert habe. Aber LAN Multiplayer mit einem Kabuto und mehreren Meccarysn war schon sehr spassig…ach ja LAN Partys. Sich mit 5 Leuten mit Roehrenmonitoren in ein Zimmer quetschen. Was waren das noch fuer Zeiten.

  • Thorsten Haupts 5. Januar 2023, 21:24

    … Roehrenmonitoren …

    Gäbs die heute noch, würde ich sie immer noch kaufen. Das Hochskalieren alter VGA oder VGA Spiele auf modernen Flachbildschirmen ist eine Qual für die Augen …

    • Dobkeratops 6. Januar 2023, 09:14

      Gäbs die heute noch, würde ich sie immer noch kaufen.

      Ich auch. Als zweitbeste Lösung empfehle ich den OSSC, der wurde zwar in erster Linie für RGB-Signale konzipiert, hat aber auch einen VGA-Eingang. Ich benutze den für alle meiner alten Konsolen und Computer (ein gutes Dutzend) und er verarbeitet brav und lag-frei jede noch so exotische Auflösung und skaliert sie zu einem einwandfreien, scharfen Bild.

    • schejtan 6. Januar 2023, 10:55

      Groesster Vorteil von Flachbildschirmen ist fuer mich dass sie einfacher weniger Platz brauchen; bei unsern LAN Partys war es immer sehr interessant, 5 Roehrenmonitore oder so unterzubringen. Da gab es schon einige abenteuerliche Konstruktionen.

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