Rezension: Uwe Ebbinghaus/Jan Wiele (Hrsg.) – Drop it like it’s hot. 33 (fast) perfekte Popsongs
Popkultur hat keinen sonderlich guten Ruf. Zu seicht, zu beliebig, zu kommerziell ist sie oft, und Intellektuellen ist ihr Wesensmerkmal – die Popularität – ohnehin suspekt, gilt doch allzuoft nur das der Beschäftigung wert, was eben nicht populär ist. Per aspera ad astra, sozusagen. Ich habe von dieser Sichtweise noch nie viel gehalten (und sie hat mir wie nichts sonst das Germanistik-Studium vergällt), weswegen es mich froh macht, ausgerechnet vom Reclam-Verlag (den Gralshütern der Hochkultur!) eine Sammlung von in der FAZ (den Gralshütern des Bürgertums!) erschienenen Essays zu Popsongs in Händen halten zu können (herzlichen Dank an den Reclam-Verlag für das Rezensionsexemplar übrigens). Die verschiedensten Autor*innen kommen hier mit völlig individuellen Zugängen zu den größten Popsongs aller Zeiten zu Wort, die nie ganz perfekt sind – denn sonst wären es ja keine Popsongs. Zumindest ist das eine Kernthese von Wiele und Ebbinghaus, die ich an der Stelle einfach mal so stehen lasse. In dem Band kommen zahlreiche Autor*innen zu Wort, die anhand eines Songs eine vertiefte Untersuchung durchführen. Dadurch lernt man jede Menge neuer Popsongs kennen. Mein Echo gehörte jedenfalls zur Rezension dieses Buches dazu, und Alexa dürfte sich über meine plötzlichen Geschmackssprünge wundern. Es ist allerdings schwierig, irgendeine Struktur herausarbeiten zu wollen, die darüber hinausgeht; der essayistisch-individuelle Ansatz ist ja gerade, was den Band ausmacht.
So befasst sich Kai Sina anhand Fiona Apples „Container“ mit der schon fast esoterischen Kombination des Auf und Ab, das Ton und Text im Lied eingehen und damit die Wellen und Meeresrauschen, die Apple besingt, untermalen. Dieses Zusammenwirken von Text und Form bereitet meinen Schüler*innen bei Lyrik schon immer Kopfzerbrechen, aber es gehört zu den schönsten Dingen, die man mit Sprache machen kann – auch wenn mir, wie ich zugeben muss, das Resultat nicht sonderlich zusagt.
Anette Humpe erschließt sich „Sympathy with the Devil“ dagegen aus ihrer eigenen Biografie. Im Aufbegehren gegen die Elterngeneration der 1960er waren die Rolling Stones besser geeignet; der Song drückte ein Lebensgefühl aus, ein Protestieren, ein sich Wehren, ein etwas anderes sein. Mir haben die Stones noch nie etwas gegeben (ich war immer eher der brave Beatles-Typ), aber das ist einer der Songs der Band, den ich auch kenne und auch laufen lassen kann.
Uwe Ebbinghaus analysiert Snoop Doggs „Drop it like it’s hot“, das dem Band auch den Namen gegeben hat. Er wirft sich für den gehobenen Rap, den er von Snoop Dogg repräsentiert sieht, in die Bresche, der es an lyrischer Qualität durchaus in den Deutschunterricht schaffen könnte. Das mag zwar durchaus sein, aber Rap ist und bleibt das Genre, das mir neben der Volksmusik wohl am fremdesten bleibt.
Meine eigene Biografie spiegelt sich vielmehr in Leonard Cohens „Halleluja“, das Rose-Maria Gropp analysiert und durchaus passend mit Klopstock vergleicht. Der Song war der Hintergrund zu meinem Antrag an meine Frau; klischeebeladen, sicherlich, aber er erschien mir in dem Moment passend. Gropp gelingt es in ihrem Essay, nicht nur verschiedene Bedeutungsebenen aus den religiösen Bezügen herauszukitzeln (die mir Plebejer seinerzeit völlig entgingen), sondern auch die verschiedenen Fassungen aus den Abschnitten künsterlischen Schaffens Cohens zu vergleichen.
Eher humoristisch zu verstehen ist dagegen Jürgen Kaubes „Analyse“ zu Miley Cyrus‘ „Wrecking Ball“. Im Kontrast zeigt sich für Kaube eindrücklich, wo Popkultur eben keine Kunst ist, nämlich dort, wo Texte mit der Subtilität einer sprichwörtlichen Abrissbirne in die Ohren der Zuhörenden gedrückt werden. In meinen Augen ist Reinhard May jetzt auch nicht eben hohe Kunst, aber da würde Tilman Sprecklsen widersprechen, der „Die Zeit des Gauklers ist vorbei“ analysiert; eine These, der ich unbenommen des eigentlichen Songs sofort zustimmen kann.
Christina Dongowski entführt die Lesenden wieder in die Bereiche hoher Kunst, wenn sie die Schichten von Kate Bushs „Wuthering Heights“ analysiert, das auf dem gleichnamigen Roman von Emily Brontë basiert. Dongowski schält den Song wie eine literarische Zwiebel, was angesichts der unerwarteten Popularität Bushs, die dank der Netflix-Serie „Stranger Things“ im Sommer 2022 auf Platz 1 der Charts sprang, mehr als zeitlich passend ist.
Auch deutsche Popsongs kommen nicht zu kurz. Die Ärzte sind mit „Ich, am Strand“ vertreten, einem eher kontemplativen Lied, das so gar nicht zu der eher frechen Oevre der Band passen will, während Udo Lindenberg „Bis ans Ende der Welt“ singt. Der Barde mag sich „Forever young“ fühlen, aber der Song ist von Alphaville. Ich muss zugeben, dass mir bisher nicht bekannt war, dass es sich dabei um eine deutsche Band handelte, noch kannte ich die Eigensinnigeiten in ihrem Auftreten. Peter Fox hat mich auch noch nie abholen können, aber vielleicht hat er genügend Fans, um doch seinen bürgerlichen Traum vom „Haus am See“ zu erfüllen, das er im gleichnamigen Song imaginiert.
Deutlich exotischer wird es mit Jürgen Kaubes anderem Aufsatz zu Adriano Celentanos „Svulation“, der sich mit der Wirtschaftskrise in Italien beschäftigt. Es ist der wohl einzige Inflationssong in dieser Liste. Musikalisch allerdings konnte mich Celentano nicht abholen. Das gilt im gleichen Maße für den Nazi-Schlager „Davon geht die Welt nicht unter“, dessen geradezu perverse Fröhlichkeit angesichts von Totalem Krieg und Bombenhagel Nicola Rost treffend herausarbeitet. Mein Historikerherz schlägt dafür umso lauter. Dass diesem Lied ein so langes Nachleben in der BRD beschieden war, sagt auch einiges über die Nachkriegsgesellschaft aus.
Ebenfalls aussagekräftig ist „America“, Simon and Garfunkels Ode an das Hippie-Lebensgefühl der 1968er. Hilfreich erklärt Cornelius Dieckmann, dass die „Immobilie in der Tasche“ eine Slang-Umschreibung für Marijuana war; auch eine Metapher, die ohne Fußnote für zeitgenössische Hörer*innen nicht mehr unbedingt einleuchtend klingt.
Richtig politisch wird es dagegen im Song „Meat is Murder“ von The Smiths, der sich in der Analyse von Oliver Jungen durch seine absolute Kompromisslosigkeit auszeichnet – sowohl im Text als auch im Auftreten der Band selbst. Es sei schwierig, so Jungen, Kompromisse einzugehen, wenn man die Prämisse des Songtitels für sich akzeptiert habe. Das ist auf einem intellektuellen Level sicher richtig, aber als praktizierender Flexitarier kann ich attestieren, dass es im Alltag ganz gut funktioniert.
Ich breche meine Überblicksdarstellung ausgewählter Essays an dieser Stelle ab; die geneigten Lesenden werden erkannt haben, was der Band ist und wie er funktioniert – und ob er etwas für sie ist. Mir fällt die Beantwortung dieser Frage erstaunlich schwer. Einerseits bin ich schon qua Fach interessiert daran, zu analysieren und zu interpretieren. Gleichwohl fällt mir auf, dass ich bezüglich Musik einfach ein Barbar ohne jede Bildung bin. Wenn die Autor*innen von Akkorden reden, von Synthesizer-Stufen, von Genremischungen und vielem mehr ist das für mich allzu oft ein Buch mit Sieben Siegeln. Vereinfach gesagt: an mich ist der Band verschwendet, Perlen vor die Säue. Ich sehe das Potenzial, die intellektuelle Stimulierung, die einschlägig gebildetere Zeitgenoss*innen daraus ziehen können, aber für mich bleiben viele der Essays stumm, nicht, weil die Autor*innen ihr Handwerk nicht verstünden, sondern wegen meiner eigenen Wissenslücken.
„Bedeutungsebenen aus den religiösen Bezügen herauszukitzeln (die mir Plebejer seinerzeit völlig entgingen),“
Das Lied heißt „Halleluja“ und beginnt mit „David“ und „the Lord“ 🙂
Ja danke Sherlock, aber da sind ja in den Zeilen noch etwas exotischere. 🙂
Hehe 😉
in der zweiten Strophe : David/Bathseba und Samson/Delilah
Womöglich auch ‚holy dove‘ in der vorletzten Strophe. Davon bin ich aber nicht überzeugt. Zum einen passt es nicht so recht in den jüdischen Hintergrund Cohens, zum anderen sind wir an diesem Punkt bereits tief auf der Ebene sexueller Metaphern (Wobei die Synästhesie von Musik, Religion und Sex der eigentliche Bedeutungskern ist, und das was ihn zu einem großen Song macht).
„Popkultur hat keinen sonderlich guten Ruf. Zu seicht, zu beliebig, zu kommerziell ist sie oft, und Intellektuellen ist ihr Wesensmerkmal – die Popularität – ohnehin suspekt, gilt doch allzuoft nur das der Beschäftigung wert, was eben nicht populär ist. Per aspera ad astra, sozusagen. Ich habe von dieser Sichtweise noch nie viel gehalten (und sie hat mir wie nichts sonst das Germanistik-Studium vergällt), weswegen es mich froh macht, ausgerechnet vom Reclam-Verlag (den Gralshütern der Hochkultur!) eine Sammlung von in der FAZ (den Gralshütern des Bürgertums!)“
Ich habe mal wieder das Gefühl, dass Du in einer Klischeewelt von vor vielen Jahrzehnten geblieben bist.
Das Feuilleton hat sich nun wirklich nicht erst gestern auch für (guten) Pop geöffnet.
Die Essays von denen Du eine Auswahl gelesen hast, sind doch aus der Reihe „Pop-Anthologie“ der FAZ von der es mittlerweile 145 Essays gibt.
Und schau dir mal die Fülle der Artikel an die sich im Feuilleton unter der Kategorie „Pop“ befinden. Ja die gibt es. Online an fünfter Stelle, gleich hinter „Kino“ und noch vor „Bühne“ und „Kunst und Architektur“:
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/pop/
Und bereits um die Jahrtausendwende haben wir uns darüber gefreut, dass die FAZ aus Texten von Tocotronic und den Ärzten zitiert. Und davor gab es wohl die Donald-Duck-Phase des FAZ Feuilletons, von der ich ehrlicherweise aber auch gerade erst gelesen habe.
https://www.abendblatt.de/kultur-live/article106670015/Wenn-das-mal-alles-so-einfach-waer.html
Mit Reclam kenne ich mich weniger aus, aber in deren Katalog findet man leicht einige Bücher zu Pop.
Ich paraphrasiere aus dem Vorwort des Buchs 😀
Im Ernst?
Kleiner Nachtrag: Im 5.letzten Absatz schreibst du von ‚deutschen Popo(!)songs‘. Dieser (freudsche?) Verschreiber lenkt ab, um es vorsichtig zu formulieren.
Korrigiert, danke.
eine Nachbemerkung zur ‚perversen Fröhlichkeit‘ von „Davon geht die Welt nicht unter“: Das Lied ist 1941 entstanden, also vor ‚Totalem Krieg und Bombenhagel‘. Interessanter sind da die Umstände der Entstehung: Bruno Balz hat den Song (wie auch „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“) geschrieben unmittelbar nachdem er von der Gestapo wegen seiner Homosexualität gefangengenommen, mehrere Tage verhört und erst auf Intervention seines Produzenten freigelassen wurde. Wenn man das weiß, klingt der ‚Durchhalteschlager‘ doch etwas anders.
Ich weiß das, weil es im Buch beschrieben wird. Aber er hat den Song nicht als subversives Element geschrieben, obgleich er natürlich so gelesen werden kann, sondern als Teil der Unterhaltungsmaschinerie. Er schrieb gewissermaßen um sein Überleben; die Popularität seiner Songs rettete dasselbe. Das macht es eher doppelt pervers.