Gini Thomas und Lisa Fitz senken die ukrainischen Einkommenssteuern und kaufen Sprit bei den Taliban – Vermischtes 31.05.2022

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.

Fundstücke

1) Nach dem Fall Lisa Fitz

Die Eskalationen verlaufen nicht alle nach dem gleichen Muster. Aber gemein ist den Kritikern daran oft eine problematische Interpretation des Begriffs der Meinungsfreiheit und einer Satire, die ja angeblich „alles“ darf. Es sind allesamt Fälle, die das Spannungsverhältnis zwischen Fake News, falscher Ausgewogenheit und Meinungsfreiheit berühren. Rassismus beispielsweise ist keine Meinung. Und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hat – egal ob es nun um israelbezogenen Antisemitismus oder den Antisemitismus etwa der „Querdenker“-Bewegung geht – ebenfalls zu Recht betont: „Antisemitismus ist keine Meinung.“ […] Doch darum geht es längst nicht mehr. Lisa Fitz ist, ein schleichender Prozess, in ihrer Empörung über „die da oben“ abgedriftet. Der Spiegel schreibt: „Sie spaltet selbst: Sie will differenzierte Kritikerin sein und bedient doch immer wieder ganz simpel die Radikalisierten.“ Beifall bekomme sie von den ganz Rechten, den ganz Linken und den ganz Verwirrten. […] Zum Teil rekrutiert Lisa Fitz ihre Verteidiger auch selbst. 2019 gaben die Linken-Politiker Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine eine Ehrenerklärung für Fitz ab, nachdem diese wegen antisemitischer Äußerungen in der Kritik stand. Zum Streit mit dem SWR veröffentlichte sie auf ihrer Homepage eine Solidaritätsadresse von Klaus Hartmann, einem Funktionär des Freidenker-Verbands, der in anderen Texten für Solidarität mit Ken Jebsen plädierte und Massenmedien „Volksverdummung“ vorwirft. Als Anwalt in der Auseinandersetzung mit dem SWR beauftragte sie Ralf Höcker aus Köln, der unter anderem wegen seines AfD-Mandats bekannt ist. […] Nach der Sendung sagte Kazim dem journalist, er halte die Vorgehensweise des SWR für richtig. Zu oft werde Meinungsfreiheit mit Widerspruchsfreiheit durcheinandergebracht. „Wer Falsches, Verleumderisches, Beleidigendes, Menschenverachtendes oder wer Lügen verbreitet, muss damit rechnen, dass dies kritisiert und ihm oder ihr keine Bühne geboten wird. Mit Einschränkung von Meinungsfreiheit hat das nichts zu tun.“ Über Lisa Fitz sagt Hasnain Kazim: „Ich fand sie nie komisch. Aber das tut nichts zur Sache, Humor ist Geschmackssache. Sie hat sich allerdings in eine Ecke verrannt, aus der sie nicht mehr rauskommt. Sie ist in einer Trotzhaltung gefangen.“ (Matthias Meisner, Journalist.de)

Fitz ging einen Weg, den wir in der letzten Zeit oft gesehen haben. Durch den Doppelschlag von Flüchtlings- und/oder Coronakrise radikalisiert erfolgte eine Annäherung an die Querdenker und andere Hufeisenkrieger*innen. Der Beifall Oskar Lafontaines und Sahra Wagenknechts ist dafür typisch, genauso dass sie danach bei den NachDenkSeiten unterkam. Das Gegenstück dazu, das sich dieser Tage vom Duktus her ohnehin nicht mehr unterschiedet, wäre Compact. Irgendjemand müsste mal eine Studie mit diesen Leuten machen – Guérot und Homburg gehören ja beispielsweise auch in dieses Spektrum.

Gleichzeitig sehen wir auch immer wieder das gleiche Problem mit der Verteidigung von wegen „ist ja nur Satire“. Denn tatsächlich darf Satire zwar alles, aber das macht sie halt noch nicht gut. Die Verwechslung von Meinungs- und Widerspruchsfreiheit nervt mich bereits seit Monaten; das ist nicht dasselbe. Das Label „Satire“ drüberzukleben ist nur der letzte Hit. Gerade die Rechtsradikalen in den USA sind da super drin. „It’s just a joke.“ Nur, das tut halt nichts zur Sache. Ob ich Grütze in Witz- oder Prosaform erzähle, es bleibt Grütze, und es gibt keinen Grund für die Gesellschaft, dem eine Bühne zu bieten. Dass man es sagen darf, ist dem unbenommen.

2) «Wie bekommen wir alle diese Krisen bloss unter einen Hut?» (Interview mit Adam Tooze)

Warum scheuen Sie den Begriff der Inflation?
Bei einer Inflation steigen die Preise und Löhne umfassend. Natürlich gab es in der Geschichte noch nie eine Inflation, die zu einem völlig gleichmässigen Anstieg führte, aber derzeit entwickeln sich die Preise über die verschiedenen Waren­kategorien und Dienst­leistungen extrem unterschiedlich. Ein Grund dafür ist auch der enorme Nachfrage­schub – und zwar weg vom Dienstleistungs­sektor hin zu jenen Gütern, deren Herstellung immer weniger menschliche Arbeit erfordert. Deshalb steigen in den USA bestimmte Güterpreise. Die Löhne steigen auch, aber nicht im gleichen Masse. Die Reallöhne fallen sogar auf beiden Seiten des Atlantiks. Konservative fordern nun, dass Unter­nehmen die Löhne tief halten sollen, um die Inflation zu dämmen. Das ist entlarvend: Sie zeigen, dass Inflation nur in Güter­kategorien gedacht wird, während eine Inflation im wahren volks­wirtschaftlichen Sinne alles umfasst – auch die Löhne. […]

Der Wirtschaftskrieg droht vor allem auch, die notwendige Dekarbonisierung zu verzögern. Für die Energie­wende braucht es China.
China ist der Leitmarkt. Das gilt in einem generellen Sinn, aber es gilt auch in einem sehr konkreten Sinn – zum Beispiel für die Autofirma VW, weil der entscheidende Markt für Elektro­fahrzeuge in China entsteht. Tesla ist gut und recht, aber das Durchschnitts-Elektroauto wird ein No-Name-Billig­produkt sein, das in China rumfährt. Eine Grossfirma wie VW hat keinen Plan B, falls das Geschäft in China stillsteht. Der VW-Vorstands­vorsitzende, Herbert Diess, spricht das ganz offen aus. Er sagt: Wir müssen mit China im Geschäft bleiben, anders geht es gar nicht. Die Vernetzung mit China ist heute so intensiv, dass eine Abkoppelung für eine ganze Reihe von westlichen Gross­firmen eine existenzielle Frage wäre. (Daniel Binswanger, Elia Blülle, Republic.ch)

Das ganze Interview ist sehr lang und in dieser Gänze lesenswert, ich habe hier nur einen Auszug genommen. Die Polikrise macht diese Länge notwendig. Aber zum Thema. Etwas, das mich an der Inflationsdebatte nervt, ist die Unbestimmtheit, mit der diese oft geführt wird. Es entsteht gerne der Eindruck, als sei sie allgemein und nicht wirklich zuweisbar. Aber die Preise steigen ja extrem uneinheitlich, einerseits, und andererseits wissen wir sehr gut, warum sie steigen. Weder treiben die Löhne die Inflation noch ist es die Geldpolitik der EZB; es sind die Lieferkettenschocks durch China und seine Coronapolitik einerseits und der Ukrainekrieg andererseits. Aber die Linken haben effektiv keine Antwort auf die Inflation, und die Rechten hauen mit demselben ideologischen Hammer, egal welcher Nagel gerade da scheint.

Was Tooze bezüglich der Vernetzung mit China anspricht, kann meines Erachtens nach auch nicht genug betont werden: zwischen der Wirtschaft des Westens und der der Sowjetunion gab es praktisch keine Verflechtungen; was es an Beziehungen gab, lief fast nur in eine Richtung (Importe in den Ostblock, der immer stärker abhängig wurde, ein viel zu unterschätzter Faktor beim Untergang der UdSSR und des Ostblocks). Mit China dagegen gibt es ein riesiges Netz an gegenseitigen Abhänigkeiten und Verflechtungen, das eher dem der europäischen Großmächte am Anfang des 20. Jahrhunderts entspricht. Nicht, dass das Frieden garantiert hätte, aber es bedeutet, dass die Rezepte des Kalten Krieges, wie sie gerade gegen Russland wieder ausgegraben werden, gegen China wesentlich weniger anwendungsfähig sind.

3) The novelty of technologically regressive import substitution

To further complicate the matters of technologically retrograde import substation, we need to take into account the labour force. In past import substitution episodes, workers were relatively low-skilled and import substitution policies were supported by policies of improved education in order to have workers able to “man” the new and more sophisticated machinery. In the Russian case now, the problem is exactly the reverse. Russia has a labor force that is highly educated and tends to move towards post-industrial areas, like in other advanced economies. But here it would have to go down in its skills levels to be adequate for the operation or (re)creation of the technologically regressive import substitution. To put it in graphical terms: while the original import substitution required that semi-literate peasants learn a bit of arithmetic in order to “service” the machines, here we would expect software engineers to become metal-bashing workers or foremen in large factories. This is because the demand for their (advanced) kind of skills will be reduced as Russian economy is cut off from the global market, and domestically there will be few similarly advanced sectors that would employ them. There will be thus a mismatch between the skill level of the laboür force and the skill level technologically needed. Suppose that workers of high skill level (HW) are needed to work with highly sophisticated machines, say robots (HM). But if HM are unavailable because previously they were all imported and they cannot be produced at home, the technological level of home-produced machines will be medium, call it MM. For MM however, one does not need HW workers but medium skilled workers MW. Thus, one needs to proceed to the deskilling of high-skill workers or just simply to ignore their level of education and “allocate” them to the jobs for which they are over-qualified. It is hard to believe that workers would find such repositioning attractive whether in terms of income, or challenge of, or interest in, the work they do. From the economic point of view this forced experiment will be interesting to observe since, as I mentioned, nothing similar in modern history has ever happened, but I do not think that it will be very much fun for the participants. (Branko Milanovic, Brave New Europe)

Das Beispiel Russland aus Fundstück 2 können wir hier gleich fortführen. Die von Milanovic angesprochene Regression ist überhaupt nur möglich, weil das Land so wenig Verflechtung mit der Weltwirtschaft hat. Für den Diktator im Kreml mag das positiv sein, aber für die russische Bevölkerung, vor allem die ohnehin schmale Mittelschicht des Landes, ist es nicht gerade sonderlich ansprechend.

Ein weiterer Gedanke hierzu: je länger wir warten, um den Klimawandel zu bekämpfen, und je radikaler deswegen die Maßnahmen werden, die wir ultimativ werden ergreifen müssen, desto eher dräut uns dieses Szenario auch. Ich habe mich direkt an „World War Z“ (hier rezensiert) erinnert gefühlt, wo Max Brooks diese technologische Regression anhand der Zombieapokalypse durchdekliniert: die früheren Topjobs in Verwaltung, Finanzwesen, Bildung etc. werden nicht mehr gebraucht, die Leute umgeschult um in Fabriken das Notwendigste herzustellen. Wenn eine Zombieapokalypse der naheliegendste Vergleichsmaßstab ist, dann spricht das nicht eben für das Szenario.

4) George W. Bush Stumbles Into a Moment of Truth

Two striking and contradictory facts are true: there is a wide consensus across the political spectrum that the Iraq War was a mistake—possibly a crime. Yet there is no realistic possibility of punishment for those who perpetrated this disaster. Donald Rumsfeld died a free man, as in time will Dick Cheney and Bush himself.  […] The refurbishing of Bush’s reputation was a travesty of history that helps obscure the current crisis. The dichotomy of the respectable Bush versus the unsavory Trump ignores the ways in which Trumpism was an outgrowth of Bushism. The ginned-up hysteria and threat inflation of the global war on terror, followed by an interminable military intervention was the seedbed where the surly nationalism of Trumpism took root. Combine this with the anger over the 2008 economic collapse (for which Bush surely also bears a considerable share of blame) and the elite impunity that made sure no one was punished for either the foreign policy or the economic failure. That is the concoction that gives you the current polarized America and the rise of anti-system demagogues. (Jeet Heer, The Nation)

Ich bleibe dabei: es war richtig von Obama, die Bush-Administration rechtlich nicht zu verfolgen. Hätte sie es verdient gehabt? Ohne Zweifel. Aber die Folgen sind potenziell verheerend. Egal, wie berechtigt es im Falle von Bush, Rice, Rumsfeld und Konsorten auch gewesen wäre – die Republicans hätten ohne Zweifel zurückgeschlagen und ihrerseits ab 2017 die Obama-Administration vor Gericht gezerrt. Aus so etwas entsteht schnell ein Teufelskreis, der die Demokratie in den Abgrund zieht. Mich erinnert dieses Szenario immer an Cäsar, der den Rubikon vor allem deswegen überschritt, weil er in Rom mit Anklage zu rechnen hatte. Der Bürgerkrieg war der einzige Ausweg aus dem persönlichen Ruin.

5) „Schlafwandeln“ wir gerade in den 3. Weltkrieg? (Interview mit Christopher Clarke)

Und Olaf Scholz?
Was Olaf Scholz angeht: Ich finde diese Zögerlichkeit absolut richtig, und sie geziemt sich auch für den Staatsmann einer friedliebenden Nation. Ich finde, Olaf Scholz hat den richtigen Ton getroffen. Ich denke da auch an seine Rede in Düsseldorf, als er vom Gejohle der Menge übertönt wurde, da hat er gesagt: Es muss einem Staatsbürger der Ukraine zynisch vorkommen, wenn man ihm sagt, er soll sein Land ohne Waffen verteidigen. Das war ein toller Augenblick. […]

Erleben wir mit dem Ukraine-Krieg einen Epochenbruch und treten jetzt in eine andere Zeit ein?
Interessant ist der Epochenbruch, der nicht eintritt. Der russische Außenminister Lawrow und auch einige chinesische Politiker haben in den letzten Jahren oft vom Ende des westlichen Zeitalters gesprochen. Aber es sieht nicht so aus, als würden wir in den nächsten Jahren in ein nachwestliches Zeitalter eintreten. Ganz im Gegenteil. Der Westen steht eher stärker da. Die NATO ist noch vollkommen funktionsfähig, und auch die EU hält, trotz einiger Spannungen, insbesondere durch Ungarn. Die apokalyptischen Träume von einem Übergang in ein anderes Zeitalter haben sich wie Seifenblasen verdünnisiert. Es ist noch nicht vorbei mit dem Westen. Aber es ist auch nicht vorbei mit Russland. Man darf Russland nicht abschreiben. Egal, was bei dieser Sache herauskommt, man muss für Russland eine ihm gebührende Rolle für die Zukunft einbauen. (dpa, Krone.at)

Ich habe an dieser Stelle schon öfter darüber geschrieben, dass die Churchill-Verehrung der Briten völlig überzogen ist. Dass ausgerechnet Boris Johnson diesen Vergleich bemüht setzt dem Ganzen nur noch die Krone auf. Aber das ist eben das was passiert, wenn man eine völlige Fantasieversion der eigenen Geschichte permanent reproduziert und damit identity politics in landesweitem Maßstab betreibt. Gleichzeitig stimme ich Clarke auch bezüglich Scholz zu: ich teile die maßlose Kritik an ihm und seinem Stil, die derzeit en vogue ist, nicht. Ich würde mir auch mehr deutsches Engagement wünschen, aber es ist nicht eben so, als hätte Scholz keine Strategie, die er verfolgen würde.

Auch wichtig scheint mir Clarkes Hinweis darauf, dass der Abgesang auf den Westen offensichtlich sehr verfrüht war. Den Untergang des Westens zu prognostizieren hat ja eine gewisse Tradition, und was dran war bisher noch nie. Die liberale Demokratie ist wesentlich widerstandsfähiger, als es bisweilen scheint, und sie stellt immer noch das beste bisher erprobte Regierungssystem dar, das auf der ganzen Welt Strahlwirkung besitzt, wenngleich nicht in dem Ausmaß, in dem manche amerikanische Kulturkrieger*innen sich das Anfang der 2000er Jahre gedacht haben mögen. Aber man sollte nicht von den Neocons auf den ganzen Westen schließen, das hieße, die Lektion zu überlernen.

6) Die Dummheit der Reichen

Die Vorstellung, dass man sich vor Hunderten Millionen Klimaflüchtlingen in einer Festung auf Neuseeland oder, noch abwegiger, in den österreichischen Alpen wird verstecken können, ist fast schon rührend absurd. Übrigens auch die Vorstellung, dass man als Reicher in so einer Post-Crash-Welt auch weiterhin reich ist. Warum sollte das eigene Sicherheitspersonal einen noch beschützen, wenn Geld nichts mehr wert ist und es ums nackte Überleben geht? Die Vorstellung, dass man eine globale Katastrophe nicht am besten verhindert, sondern eine Position anstrebt, in der sie einen nicht so hart trifft wie die anderen, ist so egozentrisch wie dämlich. Aber auch eine absolut folgerichtige, apokalyptische Fortschreibung neoliberaler Ideologie. Ich, ich, ich, bis das Licht ausgeht. Die Reichen der Welt täten gut daran, lieber an der Rettung der Menschheit mitzuarbeiten – in ihrem eigenen Interesse. (Christian Stöcker, SpiegelOnline)

Bei diesem Fundstück hab ich mich gleich noch mal an „World War Z“ erinnert gefühlt (siehe Fundstück 3). Da gab es auch ein Kapitel, in dem es darum ging, dass einige Reiche sich so private Festungen gebaut hatten, mit eigenem Sicherheitsdienst und allem drum und dran. Als die Apokalypse dann da war kam es für alle überraschend, dass der private Sicherheitsdienst gar nicht mehr dermaßen an Bezahlung in wertlosem Geld interessiert war, aber sehr an der Übernahme (und Plünderung) der privaten Festungen. Die Vorstellung, dass der aktuelle Zustand, in dem der liberale Staat Sicherheit und Wohlstand garantiert, in der Apokalypse auch noch Bestand haben könnte, ist völlig absurd. Elon Musk ist mit seinen Plänen, auf dem Mars eine eigene Kolonie zu gründen, noch der Realist in dem Haufen, und er hat wohl auch nie Bioshock gespielt.

7) Welche Folgen Long Covid für Deutschland hat

Wie vielen Menschen es so geht wie Marie-Louise Wagner, ist ungewiss. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass jeder zehnte Covid-19-Patient Long Covid bekommt. Über 25 Millionen Menschen haben sich bereits in Deutschland mit Corona infiziert. Umso fataler ist die Tatsache, dass diese neue Krankheit inzwischen zwar eine offizielle Diagnose ist, jedoch immer noch nicht genügend erforscht. […] Es würde also nur versucht, die Schmerzen und auftauchenden Probleme zu behandeln, jedoch nicht die Ursache bekämpft, so Daniel Vilser. Bestimmte Probleme lassen sich eindeutig auf Organschädigungen von Lunge, Muskeln, Gehirn oder Herz zurückführen. Erschöpfung ist das häufigste Symptom, gefolgt von Kurzatmigkeit, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Muskelschmerzen, Gedächtnisproblemen, Herzrhythmusstörungen und Gelenkschmerzen. „Es trifft auch junge Leute, aktive Leute, die gut trainiert sind, die gesund sind“, sagt der Arbeitsmediziner Arne Drews. „Was mich besonders erschreckt hat, ist so etwa 20 bis 25 Prozent von den Leuten, die das durchgemacht haben, die berichten über Minderleistung vom Gehirn“, so der Pneumologe aus Grimma. Das sieht er auch als wirtschaftliches Problem. Denn viele könnten, einfach nicht zurück in ihren Beruf kommen. „Viele Leute sind noch nicht wieder arbeitsfähig mit diesem Post-Covid-Syndrom und die müssen alle lange kämpfen, wieder ihren Zustand von vorher zu erhalten.“ „Wir werden die Debatten haben, was ist eine Berufsunfähigkeit?“, sagt Prof. Joachim Kugler, Gesundheitswissenschaftler an der Technischen Universität Dresden. Es werden einige Fälle vor Gericht landen. „Denn wie will ich nachweisen, dass ich mir ausgerechnet bei der Arbeit Covid-19 geholt habe? Das könnte bei Krankenpflegeberufen so sein. Aber das werden wir alles erleben, wie unser Sozialstaat darauf reagieren wird.“ (MDR)

Angesichts der Masse von Long-Covid-Fällen ist es wahrlich ernüchternd sich auszumalen, welche Folgekosten das für das Gesundheitssystem noch haben wird (mal abgesehen von der Belegung von Kapazitäten, die an anderer Stelle dringend fehlen; das System war ja schon vor Covid auf Kante genäht). Bezieht man Long-Covid in die Kalkulation ein (was viel zu wenig geschieht), so wird so manche Kosten-Nutzen-Rechnung fragwürdiger und auch viele der Freiheitsnarrative zumindest schwammiger. Denn die Beeinträchtigungen sind massiv und weit verbreitet. Angesichts der Zahlen vor allem erscheinen diverse Aufrechnungen da viel weniger eindeutig als wenn man nur Mortalität und Grundrechtseinschränkungen vergleicht (auch wenn das teilweise schon pervers ist).

8) »Die Taliban verschicken keine Mahnung, bevor sie dich abknallen«

Die Geschichte der Familie M. zeigt, wie Unterstützern der Deutschen immer noch Hilfe verwehrt wird – und wie sich auch die aktuelle Bundesregierung aus der Verantwortung windet, trotz anders klingender Versprechen. In den Häusern der Familie M. hätten 400 bis 500 Afghaninnen und Afghanen Zuflucht gefunden, schätzt Sabur M., der die Hilfe für seine Verwandten koordinierte. Die meisten Schutzsuchenden hatten für die Deutschen gearbeitet, sie waren Köche, Übersetzer, langjährige Mitarbeiterinnen. Nachdem die Sicherheitslage über Monate immer gefährlicher geworden war, fürchteten viele spätestens im vergangenen Sommer um ihr Leben. Die Deutschen konnten wenig Schutz anbieten. Familie M. schon. Pro Haus nahmen sie bis zu hundert Menschen auf – geplant waren ursprünglich 30. Teilweise schickten die Deutschen ihre ehemaligen Mitarbeiter gleich selbst in die privaten Verstecke. […] Inzwischen sind die Safe Houses womöglich erneut zu einer Todesfalle geworden – für ihre früheren Betreiber. […] Seitdem warten die Sabur M.s Angehörige auf Rettung. Er selbst ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, doch nach der Machtübernahme der Taliban konnte auch er nur noch über Umwege zurückkehren. […] »Dass ich meine Familie damals überredet habe, den Deutschen zu helfen, war der größte Fehler meines Lebens«, sagt Sabur M. heute. Wie viele Afghanen, die derzeit noch auf Ausreise warten, hatten die Angehörigen von Familie M. das Pech, auf keiner offiziellen Evakuierungsliste zu stehen. (Jan Petter, SpiegelOnline)

Die Verantwortung lässt sich in diesem Falle leicht zuweisen: die Bremse ist Faesers Ministerium. Das BMI bremste unter Seehofer so weit es nur irgendwie konnte die Rettung der Ortskräfte, und das scheint sich unter der SPD nicht wesentlich geändert zu haben. Ich habe es bereits in meinem Artikel „Der große Verrat“ beschrieben: es ist ein Totalversagen Deutschlands, das uns noch Jahrzehnte nachhängen wird. Warum sollte angesichts solcher Geschichten bei irgendeinem Auslandseinsatz jemand den deutschen Truppen helfen wollen? Die toten afghanischen Ortskräfte von heute sind tote Bundeswehrsoldat*innen von morgen, die keine Verbündeten haben, schlechte Aufklärung und die in Fallen von Verrätern laufen. Von den Kosten, weil man externes Personal braucht wenn niemand vor Ort zur Kollaboration bereit ist gar nicht zu sprechen. Es ist so unglaublich kurzsichtig. Anstatt die paar Tausend Leute großzügig reinzuholen, lässt man sie von den Taliban abschlachten. Man schämt sich für diese Regierenden.

9) Für billigen Sprit zahlen alle

Der kleinste Koalitionspartner führt damit nicht nur einen seiner zentralen Glaubenssätze ad absurdum, er liefert auch ein hervorragendes Beispiel für die Verzerrungen, die ein solcher Eingriff bewirken kann. Ein Tankrabatt setzt falsche Anreize. Das ist offensichtlich – politisch alternativlos ist es allerdings keineswegs. […] Die Kosten fallen trotzdem an, sie werden allerdings von der Allgemeinheit getragen, und der oder die Einzelne bezieht sie deshalb nicht in die persönliche Entscheidung ein. Die Steuersenkung verfälscht also das Signal, das der Preisanstieg gibt, nämlich dass Öl knapp ist und wir weniger davon konsumieren müssen. Noch schlimmer: Wer von der Subvention profitieren will, muss tanken. Der Tankrabatt befördert also etwas, das eigentlich reduziert werden sollte. […] Das Entlastungspaket gibt mit seiner Energiekostenpauschale sogar einen Hinweis, wie ein Mittelweg in diesem Konflikt aussehen könnte: Zuschüsse, die nicht an irgendeinen Ausgabezweck gebunden sind. So können die Menschen sich wieder mehr leisten, aber haben trotzdem das ganze Ausmaß der Verteuerung vor Augen. Sie entscheiden nun auf Grundlage von Preisen, die die reale Verfügbarkeit widerspiegeln. (Josa Zeitlinger, taz)

Die FDP wählt verlässlich immer die bürokratischste und ineffizienteste Methode zur Subventionierung. Entweder verteilen sie die Kohle wie hier über zig Filter, setzen widersinnige Subventionen durch, fordern eine Senkung der Einkommenssteuer oder will wie mit Hubertus Heils geplantem Klimageld gerade mit der Gießkanne verteilen anstatt zielgerichtet. Immer geht es darum, die Kohle möglichst weit oben in der Verteilungspyramide zu lassen. Einkommenssteuersenkungen helfen den niedrigen Einkommen am wenigsten, die zahlen eh kaum welche. Die Subventionen helfen vor allem den dicken Autos. Und genau da, wo sie unbürokratisch eine Kopfprämie wollen, geht es darum zu verhindern, dass das Geld vor allem bei Niedrigempfängern landet. Die machen das so gewohnheitsmäßig dass Johannes Vogel im gleichen Satz erklärt wie toll eine Kopf-Prämie ist und dass „vor allem Geringverdienende profitieren“, was angesichts des Konzepts einer KOPFPRÄMIE so offensichtlich hanebüchener Unsinn ist, dass ich Hirnzellen beim Sterben zuhören kann.

10) How dangerous is Justice Clarence Thomas‘ wife?

Slate’s Dahlia Lithwick and Mark Joseph Stern aren’t buying Ginni Thomas‘ assertion that she doesn’t talk about her conservative activism with Justice Thomas. In an article titled „Clarence and Ginni Thomas are Telling Us Exactly How the 2024 Coup Will Go Down,“ Lithwick and Stern write that the „symmetry between Ginni and Clarence Thomas‘ work has never been more obvious. While Clarence fought to give state legislatures the constitutional authority to reject election results, Ginni lobbied state legislators to do exactly that.“ A person with a passing interest in the matter „might assume they were working in tandem, with Clarence handling the law and Ginni working on the political side,“ Lithwick and Stern said. „They aren’t particularly subtle about it.“ […] Conservative Washington Post columnist Kathleen Parker is focusing on how Ginni Thomas‘ actions reflect on her husband. She believes Ginni Thomas „deserves the media fire“ now coming her way because „she has asked for it — time and time again — by being outrageous, by nurturing conspiracies, by being Stephen K. Bannon’s acolyte, and encouraging the MAGA fringe.“ While Ginni Thomas is an activist known in conservative D.C. circles, Parker said there’s one thing she clearly doesn’t grasp. „[H]er biggest mistake is that she thinks she’s important,“ Parker wrote. „She is not. Her husband is. By her words and actions, she has brought doubt to her husband’s judicial integrity. She has diminished his hard-won gravitas.“ One lesson that has been learned by „wiser spouses of important men and women“ is that „it isn’t about you,“ Parker added. „Stand down and let your better half do the job.“ (Catherine Garcia, The Week)

Ich finde bei aller berechtigten Kritik an Gini Thomas die Argumentationslinie hier super problematisch. Dieses aggressive „her biggest mistake is that she thinks she’s important“ ist so wahnsinnig misogynistisch, genauso diese Betonung dass sie allein eine Ergänzung ihres viel wichtigeren Ehemanns ist. Und klar, Clarence Thomas hat das wesentlich höherrangige Amt inne, aber die Vorstellung, dass sie irgendwie irrelevant sei ist kompletter Unfug. Dadurch, dass Parker sie dermaßen herunterzieht, versucht er gleichzeitig, den Skandal kleinzureden. Aber Gini Thomas ist seit 2000 Mitglied der Federalist Society, die wohl wichtigste und einflussreichste rechtsradikale Lobbyorganisation in den USA. Seither arbeitet sie in weiteren Thinktanks. Die Frau ist nicht Verfassungsrichterin, aber sie ist alles andere als unwichtig.

Resterampe

a) Unilevers sexistische Werbekampagne in Uganda ist schon auf einem ganz eigenen Level.

b) Hervorragender Artikel zum Aufheben der student debt.

c) Die Obsession der amerikanischen politischen Rechten mit Hillary Clinton ist schon echt faszinierend.

d) Wenig überraschend: die hohe Inflation wird den Democrats voraussichtlich massiv schaden. No surprise there. Und nicht, dass sie noch zusätzlich Schaden gebraucht hätten…

e) Mehr solche Bürgermeister bitte.

f) Solche Binsenweisheiten braucht kein Mensch.

g) Der Spiegel macht Erkenntnisfortschritte, aber leider nur kleine.

h) Diese Zahlen zu Alkoholerkrankungen sind faszinierend.

i) Döpfner…untragbar

j) Autobahnfans sind echt unbelehrbar, was die Forschung der letzten 60 Jahre angeht.

k) Zur Geschichte der CDU und ihres Umgangs mit Homosexualität ein Thread.

l) Entgegen ständig anderslautender Behauptungen ist Deutschland bei Ungleichheit ziemlich weit oben dabei.

m) Reichelt hetzt gegen Migrant*innen. Untragbar, der Typ.

n) Immer ganz wichtig, dass es den Republicans um Meinungsfreiheit geht.

o) Deutschland mal wieder vorne dabei beim Moralisieren.

p) Nachtrag zur Debatte um die französischen Atomkraftwerke.

q) Worüber man in Deutschland bei der Inflation gar nicht so gerne spricht.

p) Guter Artikel zur Frage, ob der 23. Mai ein Feiertag sein sollte. Ich meine: ja.

{ 64 comments… add one }
  • Tim 31. Mai 2022, 09:27

    (Inflation)

    Weder treiben die Löhne die Inflation noch ist es die Geldpolitik der EZB; es sind die Lieferkettenschocks durch China und seine Coronapolitik einerseits und der Ukrainekrieg andererseits.

    Man muss hier sorgfältig trennen. Du übersiehst, dass wir schon seit vielen Jahren eine Partikularinflation an den Börsen und am Immobilienmarkt haben. Die wurde durchaus von den Zentralbanken angeheizt, vor allem auch durch die EZB und ihren unsäglichen Anleihenankauf. Wo sollte denn all die Liquidität auch sonst hin?

    Richtig ist, dass uns die günstigen Importe aus Asien (nicht nur China) lange Zeit vor steigenden Preisen auf vielen Produktmärkten bewahrt haben. Dass diese Preise jetzt steigen, ist natürlich – noch – keine klassische Inflation. Die wird sich erst ergeben, wenn Politik und/oder EZB mit den falschen Mitteln auf steigende Preise reagieren.

    Beispiel: Wenn energetische Sanierungen an Häusern gleichzeitig verpflichtend wären und finanziell gefördert würden, wäre das idiotisch und ein klares Signal an Unternehmen, Preise weiter zu erhöhen. Huch, das ist ja genau die aktuelle Situation! 🙂

    • Stefan Sasse 31. Mai 2022, 12:24

      Ich bin immer noch nicht überzeugt, dass die EZB den Immobilienmarkt angeheizt hat, weil die Liquidität ja nicht in privaten Händen landete, die Preise aber überall krass hochgehen.

      • Tim 31. Mai 2022, 14:54

        Was glaubst Du denn, was passiert, wenn die EZB Anlegern ihre Staatsanleihen abkauft? Dass die das Geld unterm Kopfkissen bunkern? Das Geld fließt natürlich in andere Anlageformen, wahrscheinlich in Anlageformen mit ähnlichem Risikoprofil.

        Gäbe es die EZB-Ankaufprogramme nicht, hätten die Anleger die Anleihen, aber nicht mehr das Geld. So kommt es in den Markt und lässt die Preise steigen.

  • Tim 31. Mai 2022, 09:44

    q) Worüber man in Deutschland bei der Inflation gar nicht so gerne spricht.
    Sehr schönes Beispiel für Cherrypicking. Dir ist schon klar, dass und warum gerade die Schweiz und Frankreich weniger abhängig von Gasimporten sind, oder? 🙂

  • Stefan Pietsch 31. Mai 2022, 12:33

    Schon interessant, zwei Bugs der Grünen, aber zweimal auf die FDP geschlagen. Das ist die tendenziöse Betrachtung, die Konservative an den linken Medien oft kritisieren. Doch dazu später mehr.

    2) «Wie bekommen wir alle diese Krisen bloss unter einen Hut?» (Interview mit Adam Tooze)

    Adam Tooze beweist immer wieder erneut, dass er von Marktwirtschaft so gar keine Ahnung hat. Die generellen Fragen, die zu derzeitigen Preisentwicklung im Raum stehen, bleiben unbeantwortet:

    a) Wenn die Probleme gebrochener Lieferketten, Corona und Rohstoffknappheit alle Länder betrifft und die großen Räume Nordamerika, Japan, Europa ein Jahrzehnt lang eine abgestimmte Geldpolitik gemacht haben, warum ist nur die EZB so schlau, nicht auf die hohen Inflationsraten zu reagieren?

    b) Wenn Globalisierung und Rohstoffpreise hauptsächlich die Preise beeinflussen, warum glaubte die EZB eine Dekade lang, die Inflation mittels Minuszinsen und Staatsfinanzierung heben zu können?

    In der naiven Sicht ist Inflation ein sehr praktisches Instrument: A rising tide lifts all boats. So kamen die Amerikaner die meiste Zeit mit höheren Inflationsraten zurecht als Deutschland. Jeder weiß, die Preise steigen jährlich um 3, 4, 5 Prozent und alle machen mit. Alles kein Problem. Nur ist das nicht, was Ökonomen im engeren Sinne unter Inflation verstehen.

    Bei steigenden Inflationsraten verschieben sich die Preisrelationen. Der eine Bereich erhöht viel stärker, der andere sehr wenig. Dabei, Lektion 1 der Preislehre, haben Preise in einer Marktwirtschaft den Zweck, Knappheiten zu signalisieren und Wertigkeiten (Prioritäten) der Marktteilnehmer anzuzeigen. In einer Welt, in der Preise wild steigen und dauernd, verlieren die Marktteilnehmer den Überblick, vor allem die Nachfrageseite. Das Gefühl, was ist günstig, was ist normal, was ist teuer, geht verloren.

    Solche Phasen gibt es immer wieder und sie werden von den Anbietern weidlich genutzt. Gravierend war dies z.B. vor zwanzig Jahren, als der Euro eingeführt wurde. Ich arbeitete damals im spezialisierten Wholesale Market. Zum 1.1. wurden mit der Währungsumstellung die Preise deutlich erhöht, nicht gleichmäßig, sondern nach Ermessen. Produkte im Fokus des Kunden verteuerten sich moderat, andere gravierend. So wurde über 3 Monate stark Marge gemacht. Jede Intervention des Staates löst Preisturbulenzen aus. Das Problem bei ausufernden Inflationsraten: die Preiserhöhungsrunden werden tägliche Übung.

    In einer Zeit, wo die Inflationen deutlich anziehen, sollte sich der Staat zurückhalten. Doch die Politik verhält sich gerade als großer Preistreiber. Sie weitet ihre Nachfrage aus und zuckert die Bürger an. Sie verknappt Angebote wie bei Öl und Gas und treibt die Preise durch Auflagen, Steuern und Umweltgebühren. Der Staat ist der größte einzelne Wirtschaftsakteur. Er ist gleichzeitig der größte Schädiger. Das lässt Tooze wie so vieles unter den Tisch fallen.

    Löhne, gerade in den unteren Marktsegmenten, steigen nie so schnell wie eine galoppierende Inflation. Und: Preise fallen auch wieder, sie sind meist sehr volatil. Löhne und Gehälter nicht, sie zementieren ein einmal gefundenes neues Preisniveau. Genau deswegen ist vor starken Lohnrunden zu warnen, Deutschland hat da seine schlechten Erfahrungen gemacht. Andererseits: Die Gehälter in den oberen Etagen ziehen derzeit stark an, in den Führungsetagen hat man die Entwicklungen längst antizipiert. Und auch hier: Unternehmen wissen bei Neueinstellungen und in den Gehaltsrunden mit ihren Leistungsträgern nicht mehr, was die neuen Marktpreise sind. Die allgemeinen Preissteigerungen wirbeln alles durcheinander.

    • Tim 31. Mai 2022, 15:01

      Wie schön wäre es, eine starke Partei mit starker marktwirtschaftlicher Überzeugung im Bundestag zu haben. Statt dessen überall: Politiker, die das Konzept der Preissignale nicht verstehen und das Geld anderer mit Händen zum Fenster rauswerfen.

      Wie weit könnten wir beispielsweise bei der Energiewende sein, wenn wir konsequent mit marktwirtschaftlichen Anreizen arbeiten würden!

      • Stefan Pietsch 31. Mai 2022, 17:21

        So sind die Europäer nicht gestrickt. In Deutschland verteilen sich 15% Leistungsorientierte auf zwei Parteien. Das Gros der Freiheitsliebenden ist mit der Besiedelung Nordamerikas ausgewandert.

        Sehr weit, was allerdings die meisten Staatsfetischisten und Planwirtschaftler vehement bestreiten. Man kann den Menschen nicht trauen…

    • Stefan Sasse 31. Mai 2022, 16:49

      Am Ende haben die Superreichen auf jeden Fall immer Recht, sich einen Schluck aus der Pulle zu genehmigen, darauf kann man sich bei dir verlassen.

      Ich stimme dir grundsätzlich zu, dass der Staat gerade preistreibend wirkt. Teilweise ist das unvermeidbar (Ukraine), teilweise wäre es SEHR vermeidbar (Stichwort Tankrabatt).

      • Stefan Pietsch 31. Mai 2022, 17:18

        Das war nicht der Punkt, sondern nur Mittel, Dir die drastischen Wirkungen von hohen Inflationsraten aufzuzeigen, die Du noch vor Monaten noncharlant weggewischt hast. Damals hast Du hier geschrieben, das wäre ja alles kein Problem, so lange die Gehälter eben auch steigen.

        Tankrabatt und 9-Euro-Ticket sind keine Preistreiber. Im Prinzip (bitte das Wort beachten) sind sie okay zur Bekämpfung von Inflationstendenzen. Preislehre: Um gegen Inflation vorzugehen, muss entweder das Angebot ausgeweitet oder die Nachfrage reduziert werden. Lernt man in den ersten Stunden Studium der Wirtschaftswissenschaften. Für die meisten aber ein Buch mit sieben Siegeln.

        • Stefan Sasse 31. Mai 2022, 22:16

          Der Tankrabatt treibt sehr wohl die Preise. Und zwar massiv.

          • Stefan Pietsch 1. Juni 2022, 12:32

            Wie das? Rabatte haben üblicherweise die Funktion, Preise zu senken. Ist das bei Euch in BW anders? Und natürlich wird der Steuererlass in der Tendenz zu nachgebenden Preisen führen.

            Üblicherweise gelten in Europa für Benzin und Diesel die gleichen Nettopreise. Unterschiede ergeben sich – anders als bei anderen Produkten – fast ausschließlich durch die unterschiedliche Besteuerung.

            • Stefan Sasse 1. Juni 2022, 13:11

              Weil die Konzerne, wie Lindner ja auch schon gesagt hat, die Preise vor dem Rabatt erhöht haben, um den mitzunehmen.

              • Stefan Pietsch 1. Juni 2022, 13:45

                Zum Einen: Wir diskutieren das nur unter dem Aspekt: Im Prinzip (siehe oben). Kurzinterventionen wie der Tankrabatt oder das 9-Euro-Ticket sind blühender politischer Unsinn, richten großen Schaden an und verbrennen unnötig Geld. Unter Aussparung dessen diskutiere ich.

                Eine Vergleichsstudie zeigt, dass der Benzinpreis Ende Mai 18 Cent höher lag als er nach üblichen Marktverhältnissen sollte (Vergleich zum Vorjahr unter Berücksichtigung der Saison). Die Entlastung bei der Energiesteuer macht meines Wissens rund 30 Cent aus. Das ergibt also sehr wohl einen signifikanten preissenkenden Effekt, anders als Deine Darstellung. Die Preise haben sich erst in der zweiten Mai-Hälfte vom üblichen Marktniveau abgekoppelt, aufs Jahr fällt der Effekt nicht ins Gewicht, sehr wohl aber die Steuersenkung.

                Es bleibt aber dabei: Dass sich der Benzinpreis auch nur für Monate von dem allgemeinen Preisniveau abkoppeln könnte, wäre ein Unikum des Marktes. Die Benzinpreise sind in Europa auf Nettobasis sehr einheitlich.

  • Stefan Pietsch 31. Mai 2022, 12:33

    3) The novelty of technologically regressive import substitution

    Je länger wir warten, um den Klimawandel zu bekämpfen, und je radikaler deswegen die Maßnahmen werden, die wir ultimativ werden ergreifen müssen, desto eher dräut uns dieses Szenario auch.

    Eine These, die inzwischen nervig wiedergekäut wird. Zum einen: wir haben ja längst Maßnahmen gegen den Klimawandel ergriffen, die Dinge sind im Fluss. Der Klimawandel führt aber nicht zu einem „To Live or Die“. Die Effekte sind ja nicht nur negativ, sondern für die Menschheit auch sehr positiv: weit weniger Menschen sterben an Kälte (Hitzetote kann man statistisch vergessen), weniger Menschen sterben durch Wetterkatastrophen. Auch wenn die Erderwärmung bis Ende des Jahrtausends um 4°C steigt, werden 8 Milliarden Menschen auf diesem Planeten leben. Bei der Frage der Altersvorsorge ist solche Alarmstimmung nicht im Ansatz zu sehen, obwohl sie da viel eher angezeigt wäre. Denn sie hängt tatsächlich von dem Willen und Vermögen von Menschen ab, für andere immer mehr vom eigenen Einkommen abzugeben. Solch eine Bereitschaft ist in keiner Gesellschaft unbegrenzt vorhanden, die Ressourcen der Natur sind weit weniger erschöpflich.

    6) Die Dummheit der Reichen

    Wie wär’s mal mit einer Überschrift: Die Dummheit der Armen? Wäre so etwas nicht eher angezeigt? Viele Menschen sind arm, weil sie dumm sind. Aber Stöcker ist Populist, das käme gar nicht gut. Reiche Menschen sind, anders als das die linke Agenda sagt, nicht reich, weil sie dumm wären, sondern clever und smart. Sie sind fähiger, das Verhalten ihrer Mitmenschen und Entwicklungen zu antizipieren als der gemeine Blogger.

    7) Welche Folgen Long Covid für Deutschland hat

    Warum fürchten sich nur die Spanier, die Niederländer, die Skandinavier, die Amerikaner, die Welt nicht so vor Long Covid wie die Deutschen? Wahrscheinlich gibt es das in anderen Regionen einfach weniger, so muss es sein. Oder wir Deutschen sind einfach mal wieder klüger. Das ist noch näherliegend.

    • Stefan Sasse 31. Mai 2022, 16:51

      3) Die Worte „Hitzetote kann man statistisch vergessen“ werden dir in den kommenden zwei Jahrzehnten glaube ich noch im Hals stecken bleiben. Und sie sind auch eher für unsere Breiten wahr. Schau mal nach Indien!

      6) Viele Menschen sind arm, weil sie dumm sind? Puh, bin ich froh, dass ich hier immer der bin, der total fies auf und pauschal auf ganze Gesellschaftsgruppen haut und wir dich als mäßigenden Ausgleich haben. Wäre echt blöd, so populistische Thesen unwidersprochen zu lassen, nicht?

      7) Deine Überheblichkeit ist deine Schwäche. Leider hat sie gravierende Folgen.

      • Stefan Pietsch 31. Mai 2022, 17:11

        3) Welt, nicht Zugspitze, junger Mann.
        https://www.welt.de/debatte/kommentare/article154608396/Irritierende-Konkurrenz-zwischen-Hitze-und-Kaeltetod.html#:~:text=Weltweit%20sterben%20nur%200%2C5%20Prozent%20an%20Hitze.%20Die,Prozent%20der%20Todesf%C3%A4lle%20ist%20jedoch%20K%C3%A4lte%20die%20Ursache.

        6) Lies noch einmal Deinen Link, vor allem die Überschrift. Welcher Kretin haut so einen Schlager raus, die Dummheit der Reichen? Das ist einfach übelst. Aber Du scheinst es zu mögen.

        7) Ich verstehe einfach nicht, warum Du alle außer Deutschland zu Freiheitsfetischisten erklärst. Hast Du mal über das Thema mit Niederländern oder Dänen gesprochen?

        • Stefan Sasse 31. Mai 2022, 22:15

          3) Lass mich raten: die meisten der Kältetode sind Obdachlose.

          • Stefan Pietsch 1. Juni 2022, 12:52

            Oh, ein Sozial-Elitärer! Obdachlose können ruhig krepieren, oder was?

            Und nein: Gerade für ältere Menschen mit angeschlagenem Herz-Kreislauf-System sind Temperaturen um die Null Grad und darunter wesentlich schlimmer als 30°C Sonnenschein. Kann man im Süden Europas erfahren. Die meisten wissen das übrigens, warum sonst siedeln alte Menschen in den warmen Zonen, in Südspanien, Italien, Florida? Weil die Temperaturen schon in Deutschland, Großbritannien, New York für sie zu anstrengend sind.

          • Detlef Schulze 1. Juni 2022, 12:56

            @Sasse
            zu 3) Die Kältetoden sind keine Obdachlosen. Zumindest die erwänte Studie in Lancet hat Todesfälle mit der Tagestemperatur korreliert. Da werden also die Winterlichen Grippewellen miterfasst . Im Welt-Artikel heisst es ja auch:
            In den USA sterben jedes Jahr 12.000 Menschen an extremer Kälte, aber 132.000 an moderater Kälte.
            Das können unmöglich Obdachlose sein.

            • Stefan Sasse 1. Juni 2022, 13:15

              Danke. Warum sterben denn so viele an Kälte? Also was ist da los?

              Unbenommen der Frage: der Trade-off macht den Klimawandel trotzdem nicht weniger bekämpfenswert.

              • Detlef Schulze 1. Juni 2022, 21:40

                @Sasse
                Warum sterben denn so viele an Kälte? Also was ist da los?

                Die sterben nicht an der Kälte, sondern an der Grippe, oder Ähnlichem, was mit der kalten Jahreszeit irgendwie korreliert. Vielleicht hängt es auch mit dem fettigen Weihnachtsbraten zusammen.

            • Stefan Pietsch 2. Juni 2022, 08:52

              Das ist natürlich Quatsch. In den USA sterben laut Link jährlich 144.000 an Kälte und 9.000 an Hitze. Es starben aber beispielsweise zwischen 2018 und 2019 lediglich 35.000 an Influenza. Sie sehen den zahlenmäßigen Unterschied?

              • Detlef Schulze 2. Juni 2022, 13:03

                Ok. Mein Punkt war, dass in den Untersuchungen quasi herausgekommen ist, dass im Winter mehr Menschen sterben, als im Sommer. Warum das so ist, bleibt unklar und wurde auch nicht untersucht.

                Uebrigens, es gibt eine ganz ähnliche Studie vom letzten Jahr, mit wesentlich mehr Daten, die Ihre Behauptung unterstützt. Allerdings kommen da sehr merkwürdige Dinge raus, wie „Eastern Europe had the highest heat-related excess death rate and Sub-Saharan Africa had the highest cold-related excess death rate.“
                Der Grund hierfür scheint, dass man die Nord-Süd-Variationen herausgerechnet hat, und dann Todesraten mit den (saisonal schwankenden) Temperaturen korreliert. Würde man es andersherum machen, käme vermutlich das Gegenteil raus.

                Selbst die staatlichen Behörden in den USA sind sich völlig uneins, ob es mehr Tode durch hohe oder niedrige Temperaturen, je nachdem wie man misst.

                • Stefan Sasse 2. Juni 2022, 14:39

                  Deswegen frage ich die ganze Zeit woher diese Toten kommen.

  • Stefan Pietsch 31. Mai 2022, 12:34

    9) Für billigen Sprit zahlen alle

    Vorangestellt: Der Tankrabatt ist eine dumme und nicht-marktwirtschaftliche Idee. Die Entstehungsgeschichte gründete jedoch darauf, dass die Koalitionspartner von der SPD und den Grünen gleich in den ersten Monaten mit dickem Portemonnaie herumliefen, während die FDP das noch supporten musste. Da kam die Idee mit dem Tankrabatt gerade recht.

    Aber eine dumme Idee kommt gerade in Deutschland selten allein. Die Grünen meinten, in Kriegszeiten den Deutschen die marode Bahn schmackhaft machen zu müssen und verlangten das 9-Euro-Ticket zur Anheizung der Nachfrage. Wenn es größere marktwirtschaftliche Analphabeten als Adam Tooze gibt, dann die Grünen. Die Nachfrage ausgerechnet in einen Bereich zu lenken, der ohnehin schon unter Kapazitätsbegrenzungen und Überlastung leidet, hat etwas von Schildbürgern. Ausgerechnet in der Sommerzeit kann jetzt auch der letzte Fan der Bahn in überhitzten Zügen und totaler Enge (Stichwort: Long Covid 😉 ) erfahren, wie völlig unfähig der Deutschen liebstes Staatsunternehmen ist.

    Fünf Monate sind eine lange Zeit, schon gar für das Gedächtnis von Bloggern. Seit Jahren schöpft der Staat über den CO2-Zertifikatehandel hohe Milliardenbeträge von den Bürgern ab. Der Entzug ist politisch, so die Behauptung, nicht beabsichtigt. Das Geld soll anlog zu anderen Ländern linear zu den Bürgern zurückverteilt werden. Die Grünen haben dafür im Wahlkampf die Trommel sehr laut geschlagen und schlugen eine Kopfpauschale vor.

    Seit 2020 wurden den Bürgern allein auf dem Weg der CO2-Bepreisung über 30 Milliarden Euro entzogen, Tendenz schnell steigend. Die Entgelte an den Staat müssen von allen Bürgern aufgebracht werden. Nun kommt der Bundesumverteilungsminister Hubertus Heil – vertrauend auf die Vergesslichkeit der Öffentlichkeit – auf den Gedanken, das Geld für Sozialpolitik zu verwenden. Das Projekt hat einige Vorbilder, eines lautet: Rasen für die Rente, Ältere werden sich erinnern.

    Das Klimageld war nie für sozialpolitische Zwecke gedacht. Bereits eine Pro-Kopf-Rückverteilung hat starke Verteilungswirkungen, wie nicht zuletzt die Grünen stets bereit waren zu betonen (die jetzt besonders still sind). Für Verteilungsfragen ist das Steuer- und Sozialsystem zuständig, nicht die Umweltpolitik. Würde das Klimageld nun rein nach Einkommensverhältnissen verteilt, verlöre die CO2-Bepreisung jede klimapolitische Berechtigung und würde die gesellschaftliche Akzeptanz verlieren. Umweltbelastung nur für Reiche, so denken sich Linke Klimapolitik. Die Lehre wird gelernt werden.

    • Stefan Sasse 31. Mai 2022, 16:52

      Mir fällt vor allem auf, wie du verzweifelst versuchst, die Schuld den Grünen zuzuschieben. Der Tankrabatt ist ein FDP-Produkt. Wären die nicht an der Regierung, würde es den nicht geben. Punkt.

      • Stefan Pietsch 31. Mai 2022, 17:14

        Ich zitiere mich hier mal selber, da ich anscheinend nicht nur deutlichl älter und lebenserfahrener als Du zu sein scheinst, sondern auch wesentlich klüger: 🙂

        Vorangestellt: Der Tankrabatt ist eine dumme und nicht-marktwirtschaftliche Idee.

        Der Tankrabatt ist eine original FDP-Idee, besser gesagt, Lindner-Idee. Nur ist das eben nicht alles, aber Du siehst die Dinge sehr einseitig. Du siehst den Tankrabatt, aber nicht das 9-Euro-Ticket. Mit Sicherheit ist das weit dämlicher.

        • Stefan Sasse 31. Mai 2022, 22:16

          „Mit Sicherheit“ – warum? Also ich hab keine Meinung zum Ticket, ich bin interessiert an deinem Argument.

          • Stefan Pietsch 1. Juni 2022, 12:47

            Generell: Unternehmen rabattieren Leistungen dort, wo ein Überangebot besteht oder Kapazitäten unterausgelastet sind. Das gilt auch im Transportgewerbe. Die Tarife der Lufthansa sind dergestalt, dass weniger frequentierte Strecken / Zeiten preislich günstiger angeboten werden.

            Das Ziel ist klar: Kapazitäten sollen optimal genutzt werden.

            Die Bahn ist bis Oberkante auf vielen Strecken ausgelastet, gerade im Nah- und Regionalverkehr. Nach der Pandemie besteht zudem bei vielen ein Nachholbedarf. Wie andere Anbieter auch gibt es bei den Schienenparkanbietern derzeit ein Nadelöhr, hohe Neubestellungen stehen weltweit aus und müssen von Siemens & Co. abgearbeitet werden. Die Bahn hat schon jetzt nicht genügend Züge, um Ausfälle für Wartung und Reparaturen aufzufangen. Dazu besteht in diesem Jahr eine rekordhohe Zahl an Baustellen, über 1000 pro Tag, die Strecken verknappen.

            Verknappungen und Engpässe, das sind im Jahr 2022 die zentralen Probleme der Bahn. Und der Sommer steht vor der Tür, die Urlauber pushen das Geschäft mehr als die geringeren Geschäftskundenzahlen. Die Bahn steht laut internen Berichten vor einem Katastrophensommer.

            Und nun kommt das 9-Euro-Ticket, das zusätzliche Kunden zur Bahn ziehen wird. Laufkundschaft und Mitnehmer. Der Preis ist so niedrig, dass er in den meisten Haushaltskassen nicht auffallen wird. Das wiederum verleitet Kunden dazu, mehr zu fahren als sie es sonst tun würden: Jetzt haben wir schon das Ticket, dann können wir es für eine (zusätzliche) Wochenendfahrt nutzen.

            Die Nachfrage gerade auf den hoch frequentierten Regionalstrecken wird, dazu braucht es keine Glaskugel, in den ohnehin hoch ausgelasteten Sommermonaten nochmal anziehen, sehr stark.

            Und das Tolle: Ausgerechnet in den Regionalzügen sind noch Maske und Abstand vorgeschrieben. Ich kenne das jedoch aus den Zügen zu Bundesligaspielen: in dichtem Gedränge wird keiner mehr kontrolliert. Das gibt weitere schöne Spannungen: Bahnfahrer ohne Mundschutz (Abstand kann sowieso nicht eingehalten werden, siehe oben) treffen auf vorsichtige Gesetzestreue. Wenn da kein Stress im Gedränge entsteht, weiß ich auch nicht.

            Nach dem Sommer werden viele sagen: gut das es vorbei ist. Und gut, dass wir unsere Familienkutsche haben. Mit der Bahn fahren wir so schnell nicht mehr.

            • Stefan Sasse 1. Juni 2022, 13:13

              Wird spannend, welchen Effekt das auf die Attraktivität der Bahn längerfristig hat. Ich glaube insgesamt keinen sonderlich großen, aber wir werden sehen. Danke einstweilen für die Erläuterungen; dass die Bahn viel zu wenig investiert hat und das Netz wie auch die Bahnen auf einem unterirdischen Niveau sind ist ja hinreichend bekannt.

              • Stefan Pietsch 1. Juni 2022, 14:25

                Da ist nichts spannend dran. Mit ziemlicher Sicherheit wird die Enttäuschung, schlimmstenfalls Wut, sehr groß sein. Es ist ja nicht so,dass die Bahn und die Öffentlichkeit nicht wüssten, was Kunden von dem Verkehrsunternehmen erwarten: Pünktlichkeit, Erreichbarkeit, Sicherheit, Komfort. Das alles kann die Bahn insbesondere 2022 nicht bieten. In diesem Jahr muss ein Rekordbetrag vom Management investiert werden und dabei ist einer der wichtigsten Posten für Infrast (der des zurückgetretenen Pofalla) noch unbesetzt und wird vom Vorstandsvorsitzenden kommissarisch ausgeübt.

                Wenn da das Ergebnis wäre, dass die Kunden begeistert sind, dann haben Politik und Bahnmanagement 10 Jahre etwas falsch gemacht.

              • Tim 1. Juni 2022, 16:53

                Ich kann mir gut vorstellen, wie die Quatschidee des 9-Euro-Tickets zustande kam. Einige Politikergehirne haben sich wie üblich 5 Minuten mit dem Thema befasst und entdeckt, dass während Corona die Fahrgastzahlen überall gesunken sind. Was macht man also? Klar, eine subventionierte Marketingaktion! Zugunsten unserer Umwelt! Bewährter Aktionismus, den man auch noch sozial anpinseln kann. Besser geht es aus Sicht eines Symbolpolitikers doch nicht.

                Was Nah- und Fernverkehr hingegen wirklich brauchen, sind Verlässlichkeit, Kapazität und Frequenz. Alles Dinge, die gute Planung und viel Geld erfordern und vom Wähler erst in 5-10 Jahren gewürdigt werden können. Also lieber nicht die Finger dran verbrennen.

                Sehr ungrün und unliberal, dieser Bullshit.

                • Stefan Pietsch 1. Juni 2022, 19:28

                  Falsch und richtig. Sehr schnell, nachdem der Krieg ausgebrochen und die Benzinpreise nach oben geschnellt waren, sah Christian Lindner die Chance, für die immer wählerwirksame Klientel der Autofahrer etwas zu tun und propagierte den Tankrabatt. Robert Habeck, man erinnere sich, wies das bei Anne Will als unausgegoren und unabgesprochen zurück. In der Woche danach kamen die Grünen mit dem Vorschlag des 9-Euro-Tickets, wohlwissend, dass erstens man den bisher zurückgestandenen Liberalen die Subvention nicht abschlagen konnte und zweitens: irgendwas mit Umwelt und Klima und der eigenen bahnfahrenden Klientel musste es sein.

                  So war der typisch deutsche Kompromiss geboren. Wir setzen nicht eine dumme Idee um, nein, wir machen zwei draus. Mindestens. Maximal teuer, maximal unsinnig, maximal schädlich. Typisch deutsch eben seit Merkels Zeiten.

                  Die Bahn wird mehr als ein Jahrzehnt blrauchen, um ihre Fahrgastzahlen zu verdoppeln.Da sie – wir sollten nicht vergessen, das ist ein Staatsunternehmen – Komfort und Verlässlichkeit nur in der Geschwindigkeit einer beamteten Schneckenpost steigern kann, wird es nicht gehen ohne den Leuten das Auto zu verladen.

                  Zwar weisen alle Studien nach, dass die Bürger wenig an einem kostenlosen Nah- und Regionalverkehr interessiert sind, mehr aber an dem von Ihnen aufgeführten Dreisatz, aber dennoch kann man ja immer das Free Riding ins Schaufenster stellen.

                  Wie schrieb ich: Maximal blöd, maximal unsinnig, maximal schädlich. Typisch deutsch eben.

                  • Stefan Sasse 2. Juni 2022, 07:27

                    Ich halte es nicht für ganz so schlimm, aber grundsätzlich bin ich in der politischen Dynamik völlig bei dir. Die ist ziemlich offenkundig.

  • Marc 31. Mai 2022, 13:41

    Weder treiben die Löhne die Inflation noch ist es die Geldpolitik der EZB; es sind die Lieferkettenschocks durch China und seine Coronapolitik einerseits und der Ukrainekrieg andererseits.

    Da gibt es doch diese tolle neue Theorie namens MMT, die sagt ganz eindeutig: Der Wert der Währung hängt direkt von den Steuern ab, also auch eine Inflation! Fall geklärt!

    Natürlich kann eine Inflation mehrere Ursachen haben: Währungspolitik, Finanzmarktturbulenzen, Löhne, Rohstoffkosten, … Aber meistens ist es ein Konglomerat aus mehreren Faktoren. Wäre die Ökonomie eine Wissenschaft, könnte sie anhand von nachprüfbaren [sic!] Parametern sagen, welche Inflationsquelle welchen Anteil an der herrschenden Inflation hätte! Aber es ist und bleibt ein ideologisches Gelaber.

    Bezieht man Long-Covid in die Kalkulation ein (was viel zu wenig geschieht), so wird so manche Kosten-Nutzen-Rechnung fragwürdiger und auch viele der Freiheitsnarrative zumindest schwammiger.

    Die Corona-Maßnahmen waren überwiegend verhältnismäßig, nur wenige wurden von Gerichten einkassiert. Also wo ist bitte schön der freiheitliche Schaden?
    Die Schäden entstanden durch den Wegfall der Maßnahmen und der folgenden Durchseuchung, die Pandemie ist ursächlich für die Kosten. Wenn wir eine ungeimpfte unkontrollierte Delta-Durchseuchung gehabt hätten, wäre der Schaden astronomisch geworden, Impfungen und der Aufschub haben drastisch die Kosten gesenkt. Daran ist rein gar nichts schwammig.

  • Thorsten Haupts 31. Mai 2022, 14:03

    Zu 1) … es bleibt Grütze, und es gibt keinen Grund für die Gesellschaft, dem eine Bühne zu bieten …

    Und das giessen wir jetzt mal in Gesetzesform. Was soll dabei schon schiefgehen?

    Zu 2)
    Man muss die Methoden des Kalten Krieges gar nicht ausgraben – China schneidet sich grad selbst (langsam aber beständig) vom Weltmarkt ab. Das wird ein Supererfolg für die KPChi!

    Zu 4)
    Bush zum direkten Vorläufer von Trump zu machen entspricht dem Versuch einiger linker Geschichtsrevisionisten vor vielen Jahren, Bismarck zum direkten Vorläufer von Hitler zu machen. Lässt in beiden Fällen auf einen Mangel an Bildung und Verstand schliessen.

    Zu 7)
    Und schon wieder ein bekanntes Corona-Problem – nichts genaues weiss man nicht und bevor ich WHO-„Schätzungen“ traue, befrage ich lieber meine Glaskugel. Wären die Zahlen in Deutschland massiv, hätte das übrigens unmittelbar sichtbare Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft, also sind sie zumindest nicht massiv.

    Zu 8)
    Im Prinzip richtig. Ignoriert nur, dass die Hilfskräfte in Afghanistan Deutschland vermutlich NICHT geholfen haben, weil es den Helfern um Menschenrechte oder Demokratie ging. Geld und Clan-Verbindungen sind viel wahrscheinlicher, was den Impuls doch abschwächt, diese Leute zu uns zu holen.

    Ich zumindest habe nicht vergessen, dass sich die Afghanen nach dem US-Abzug nahezu widerstandslos den Taliban ergeben haben, trotz einer absolut ausreichenden Zahl an Waffen zur Selbstverteidigung.

    Zu b)
    Yup, ein deja-vu der deutschen Studiengebürendebatten. Die zukünftigen Akademiker lassen sich ihre Ausbildung zu oberhalb des Median bezahlten Jobs eben gerne von Facharbeitern und Krankenschwestern finanzieren – verstehe ich gut. Das gesellschaftliche Interesse daran weniger.

    Zu e)
    Wenn sie wiedergewählt werden, wird das eine self fulfilling prophecy. Ansonsten ein politischer Selbstmordwunsch für andere.

    Zu g)
    Neid und Habsucht (auf das Eigentum anderer gerichtet) gehörten schon immer zur menschlichen Grundausstattung. Die historischen Beispiele ihrer praktischen Anwendung in der Politik seit Beginn schriftlicher Aufzeichnungen überzeugen mich allerdings nicht davon, dass es eine nutzbringende „Erkenntnis“ ist, Reiche zu dämonisieren.

    Zu n)
    Yup. So richtig scheisse, wenn cancel culture und Sprachverbote wegen „schädlicher Sprache“ sich auf einmal gegen einen selbst richten. Mir kommen die Tränen.

    Zu p)
    Im Tal der Ahnungslosen. Französische Atommeiler werden seit ca. 15 Jahren nur noch mit dem Unumgänglichen nachgerüstst, weil ihr Betreiber (EDF) darauf wartete, das klare politische Signal zum Weiterbetrieb bzw. zu Erneuerung und Ersatz zu bekommen. Exakt deshalb sind sie in dem Zustand, in dem sie heute sind – Politikversagen. Und natürlich darf man gerne ein Politikversagen (Wartung und Erneuerung AKW) für ein zweites (Gleichzeitiger Ausstieg aus Kohle und Kernkraft ohne Ersatz) benutzen, das macht die Begründungen für geistig Beschränkte und Uninformierte leichter (Disclaimer: Budget und Terminplan für das Kernkraftwerk Taishan liefen über den Schreibtisch des Autors dieser Zeilen).

    zu q)
    Womöglich spricht man zu Recht nicht so „gerne“ davon:
    https://www.derstandard.at/story/2000135921825/sonderweg-warum-die-schweiz-so-eine-niedrige-inflation-hat?ref=article

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 31. Mai 2022, 16:55

      1) Ich sehe keinen Grund, das in Gesetzesform zu gießen, noch wird das verlangt.

      2) Hoffen wir es.

      4) Tu ich doch gar nicht…?

      7) Ich brauch keine Glaskugel befragen, ich muss nur in den Spiegel schauen.

      8) Völlig egal aus welchem Motiv. Wir waren ja auch nicht aus Menschenfreundlichkeit da.

      • Thorsten Haupts 31. Mai 2022, 19:12

        Zu 1)
        Dann ist es als Prinzip untauglich :-).

        zu 4)
        Du nicht, der Artikelschreiber schon.

        zu 7)
        Ich muss meine Glaskugel nicht zu der Frage heranziehen, OB es Corona-Langzeitfolgen gibt (unstreitig). Sondern zu der Frage, wieviele x Menschen wie lange welche y Langzeitfolgen haben und wo der Wirkungsmechanismus steckt.

        zu 8)
        Nicht völlig egal. Ich hole mir Gegner auch dann nicht ins Haus, wenn sie mir gegen einen vergangenen Feind aus Eigeninteresse zeitweise geholfen haben.

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • Stefan Sasse 31. Mai 2022, 22:18

          1) Häh?

          7) Das weiß doch keiner. Woher auch? Langzeit haben wir ja noch nicht. Nur sind sie bereits jetzt wesentlich höher als von den Querdenkern immer behauptet („weniger schlimm als Grippe“).

          8) Wieso den Gegner?

  • CitizenK 31. Mai 2022, 17:36

    9) „dass „vor allem Geringverdienende profitieren““

    Bei solchen FDP-Verlautbarungen frage ich mich – wie seinerzeit bei denen der SED – ob die selber glauben, was sie sagen. Oder ob das schlicht eine Propaganda-Lüge ist. Für Honecker halte ich es für erwiesen, für Lindner/Vogel für wahrscheinlich.

    Krasser als die FDP mit dem Tankrabatt kann man gegen die eigenen Prinzipien kaum verstoßen. Liberale, die „Prinzipien“ sonst so hochhalten (auch hier im Forum), müssten doch eigentlich Sturm laufen. Die Subventionen werden dadruch ja über viele Bereiche gestreut. Für wen kann ein genuier Subventionsgegner jetzt eigentlich noch arbeiten?

    • Thorsten Haupts 31. Mai 2022, 19:08

      Als grundsätzlicher, ernsthafter und überzeugter Subventionsgegner in allen Fällen sind Sie auf dieser Welt mehr oder weniger alleine. Zu allen Zeiten und überall, fürchte ich :-).

  • Stefan Pietsch 31. Mai 2022, 19:35

    g) Der Spiegel macht Erkenntnisfortschritte, aber leider nur kleine.

    Den Artikel gelesen? Übelste Neidkampagne. Reiche sind dumm und wissen nicht wohin mit ihrem Geld. Sie verbringen ihre nicht effektive Zeit in viel zu großen Häusern. Charmanter findet man das bei der Bunten.

    l) Entgegen ständig anderslautender Behauptungen ist Deutschland bei Ungleichheit ziemlich weit oben dabei.

    Linke werden in diesem Leben den Unterschied zwischen Vermögens- und Einkommensungleichheit nicht mehr lernen. Ansonsten ist ein guter Weg, die Vermögensungleichheit zu verringern, den Staat ärmer zu machen. Let’s go!

    o) Deutschland mal wieder vorne dabei beim Moralisieren.

    Ja, total unangenehm und unangemessen, dass sich nur ein Politiker an den übergeordneten Rechtsrahmen der Verfassung hält. Lieber Politiker, die sich nicht an Gesetze halten.

    q) Worüber man in Deutschland bei der Inflation gar nicht so gerne spricht.

    Irgendjemand hat da unterschlagen, dass 90% der französischen Energieerzeugung beim Staat stattfindet (der damit auch den Preis festlegt) und wenig auf fossilen Brennstoffen aufbaut. Aber hey, Atomstrom ist ja so teuer!

  • cimourdain 1. Juni 2022, 09:20

    1) Es sind zu viele Leute aus zu vielen unterschiedlichen Richtungen, die vom medialen Konsens wegbrechen, als dass man es allein auf diese selbst zurückführen könnte. Da spielt eindeutig die ‚Wagenburgmentalität‘ der Massenmedien eine entscheidende Rolle, die Abweichler diszipliniert – oder abdrängt. Der verlinkte Artikel ist mit seinem ‚Doxxing-Abschnitt‘, in dem die Kontakte zu anderen ‚Abgedrängten‘ ausgebreitet werden, ein gutes Beispiel.
    Und was Satire betrifft: Da ist für mich die Stoßrichtung (geht es gegen ‚die Mächtigen‘ oder tritt sie ’nach unten‘) entscheidender für deren Berechtigung ( dass ich diese abspreche, muss viel passieren) , als meine Zustimmung zum Inhalt.

    2) Meines Wissens nach hatte die COMECON eine relative ausgeglichene Gesamtaußenhandelsbilanz. Den Defiziten gegenüber Industrieländern (v.A. Japan) standen Überschüsse gegenüber Entwicklungsländern entgegen (die allerdings nicht realisiert werden konnten).

    7) Der Artikel vernebelt mehr, als er klärt: Mal ist von Patienten (hospitalisiert) die Rede, dann wieder von COVID-Fällen. Dann werden die Zuständigkeitsfragen von Kranken-, Unfall- und Berufsunfähigkeitsversicherung hineingebracht. Und am Schluss steht kein Erkenntnisgewinn, wie weit Long-COVID über die Spätfolgen einer ’normalen‘ ggf. sehr schweren Erkrankung (PICS/CFS) hinaus wirkt.

    9) Man kann das auch zynisch sehen: Da das vorgezogene Klimageld vor allem Zustimmungskauf für eine Politik, die die wirtschaftlichen Bedingungen hierzulande verschlechtern wird, darstellt, ist es nur konsequent, dass jede Wählerstimme gleich viel wert ist.

    a) First-World-Problems at its best: In Uganda sind christliche Fundamentalisten sehr stark (vor ein paar Jahren gab es eine Gesetzesinitiative, die Homosexualität unter Todesstrafe stellt. Das wurde auf bis zu 14 Jahre Haft abgemildert) und die Lords Resistance Army ist immer noch aktiv. Aber eine Werbekampagne a la 60er Jahre ist das Problem.

    g) Ohne den Inhalt zu diskutieren: Das Titelbild ist ein Paradebeispiel für Demagogie durch optische Gestaltung.

    i) Mein üblicher Whataboutism: What about Christine Strobl ?

    k) Detailkorrektur: Geht v.a. um die CSU

    p) und ich hätte gerne den 8. November. Weil wir alle stattdessen den ‚Tag der Annexion unerlöster Gebiete‘ haben, hier ist eine breitere Angebotspalette:
    https://www.kuriose-feiertage.de/

    • Stefan Sasse 1. Juni 2022, 13:08

      1) Da bin ich bei dir. Satire tritt nach oben, nicht nach unten (weswegen ich auch Nuhr nie als Satire sehen konnte…).

      2) Auf dem Papier ja, aber auf dem Papier wurden auch alle Pläne übererfüllt.

      7) Worum es mir ging ist ja auch eher die Größe und Ungewissheit über das Problem.

      9) Häh?

      a) Jepp, weil das im Framing von „betrifft uns“ (in dem Fall: westlicher Konzern) gelesen werden kann. Ätzend.

      i) What about her?

      k) Korrekt.

      • Thorsten Haupts 1. Juni 2022, 15:13

        1) Da bin ich bei dir. Satire tritt nach oben, nicht nach unten …

        Was oder wer genau ist in einer modernen egalitären Demokratie „oben“? Und was oder wer „unten“? Diese Begrifflichkeiten aus den Zeiten absolutistischer Monarchien sind doch heute sinnlos – selbst im Vergleich mit einem lokalen Baron von 1400 hat ein moderner Premierminister eines grossen Staates keine wirkliche Macht mehr?

        Und nein, ich kaufe nicht, dass z.B. ein schwuler, transsexueller oder lesbischer Akademiker in einer einflussreichen Funktion (Redakteur ZEIT oder wissenschaftlicher Mitarbeiter Uni/Stiftung bspw.) noch irgendwie „unten“ ist.

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • Stefan Sasse 2. Juni 2022, 07:21

          Einigen wir uns erstmal darauf, dass Erwerbslose, Obdachlose, Flüchtlinge oder so unten sind? Da finde ich es ein No-Go. Bei Treten auf „gleicher Ebene“, sprich: sozioökonomische Mittelschicht, aber ohne direkte Macht, etwa die von dir genannten Redakteur*innen oder Professor*innen finde ich es nicht besonders interessant, aber wenn es dir liegt, bitte. Und oben ist alles, was Macht hat, vor allem Politik, aber auch Spitzenämter in Wirtschaft oder Organisationen (Kirchen, Greenpeace, Prominente, etc.). Letztlich alles, was ein Megafon hat. Es ist ein bisschen wie bei Twitter: wenn du zwei Millionen Follower hast, ist es ziemlich unsportlich, negativ jemanden mit 200 zu quote-tweeten.

          • Thorsten Haupts 2. Juni 2022, 13:48

            Und oben ist alles, was Macht hat, vor allem Politik, aber auch Spitzenämter in Wirtschaft oder Organisationen (Kirchen, Greenpeace, Prominente, etc.). Letztlich alles, was ein Megafon hat.

            Auf einmal ist das Megaphon wichtig? In der Diskussion über die linksdominierten Bildungs-, Medien- und Kultureinrichtungen „gestern“ war das noch völlig wirkungslos und damit unwichtig. Ach so, gestern wäre das „wichtig“ ja noch inkriminierend gewesen.

            Und mehr generalisiert – die Machtunterschiede sind heute so gering und nivelliert, dass ich ein „oben“ und „unten“ generell nicht mehr akzeptiere. Es wird von Linken auch nur aus der Tasche gezogen, wenn sie mal beissende, herablassende oder spöttische Kritik abbekommen – wie man sich als Hegemon halt so verhält, seit Jahrtausenden.

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • Stefan Sasse 2. Juni 2022, 14:47

              Wenn es um öffentlichen Austausch und Schlagabtausch geht, ist das Megafon natürlich wichtig. Wenn jemand keines hat, ist auf ihm oder ihr rumzuprügeln billig. Ein Universitätsprofessor hat vielleicht keine gewaltige Macht, aber ein Megafon (sehr unterschiedlicher Größe, sicherlich, aber trotzdem). Jemand wie Münkler, Zimmerer oder Marsala würde ich sofort sagen dass die eines haben, und die müssen dann halt auch mit mehr Kritik leben als ein*e eher unbekannte Professor*in. Genauso muss Bob Blume mehr aushalten als ich, und ich mehr als meine Kolleg*innen ohne Blog und Twitter.

              • Thorsten Haupts 2. Juni 2022, 16:45

                Wenn jemand keines hat, ist auf ihm oder ihr rumzuprügeln billig.

                Huh? Wenn jemand keines hat, fällt er öffentlich nicht auf und es wird auch nicht auf ihm rumgeprügelt. Und beim exakten Vergleich der Megaphongrösse steige ich aus – wer sich öffentlich äussert, kann entweder mit dem Echo leben oder zieht sich besser ins Privatleben zurück, unabhängig von seiner „Follower“zahl. Alles „sozialen“ Medien sind öffentlich, case closed.

                Gruss,
                Thorsten Haupts

        • cimourdain 2. Juni 2022, 09:16

          apropos Monarchie: Können wir uns darauf einigen, dass eine Patin von Steueroasen weltweit, die gerade ihr Dienstjubiläum feiert, ‚oben‘ ist ?

          Ihr Beispiel mit dem Akademiker zeigt schön die Trennlinie: Wenn Sie sich einfach über seine sexuelle Orientierung lustig machen, geht das nach unten. Wenn er (ZEIT-Redakteur) dagegen seine Macht als Meinungsmultiplikator (‚oben‘) nutzt, z.B. um von der Mehrheit mehr Toleranz einzufordern, als er selber bereit ist, zu gewähren (Doppelmoral ist fast immer ein lohnendes Ziel), dann ist er ‚free game‘.

          • Thorsten Haupts 2. Juni 2022, 16:49

            Wenn Sie sich einfach über seine sexuelle Orientierung lustig machen, geht das nach unten.

            Nope. Dazu müssten Schwule oder Lesben noch benachteiligt sein – und dafür hätte ich dann gerne mal konkrete Belege gesehen. Wenn sie es nicht (oder kaum) mehr sind, sind sie nicht mehr „unten“, sondern Otto Normalverbraucher.

  • cimourdain 1. Juni 2022, 16:36

    1) Aber das ist der Punkt: Wir haben es bei all denen, die aus dem Konsens wegbrechen, um Leute zu tun, die die Weltdeutung der Mächtigen (Politik, Medien) angezweifelt haben.

    9) Du hast vor kurzem einmal beschrieben, dass sich keine Politik durchsetzen lässt, bei der nicht auch die oberen Einkommen profitieren…. also auch kein Stimmenkaufprogramm.

    i) Programmdirektorin ARD. Tochter von Wolfgang Schäuble. CDU-Mitglied.

    • Thorsten Haupts 1. Juni 2022, 17:56

      Zu i)
      Mit freundlichem Verlaub – aber das ist nun wirklich eine ganz andere Hausnummer als die Ehefrau eines der wenigen Letztentscheidern in einem mächtigen Land zu sein. Einige Zehnerpotenzen niedriger. Würde man auf dem Niveau anfangen, die gesamten Familien (!) von Politikern einzuschränken, hätte man bald keine mehr. Was für manche auch ein wünschenswertes Ziel sein mag :-).

      Gruss,
      Thorsten Haupts

      • Stefan Sasse 2. Juni 2022, 07:26

        Ich denke auch, die kann ja nichts für ihre Geburt. Die Family war sicher hilfreich bei der Karriere, aber nichtsdestotrotz…

        • cimourdain 2. Juni 2022, 08:06

          Dann muss ich noch drauflegen und ihren Ehemann erwähnen: Thomas Strobl (CDU), Innenminister, stellvertretender Ministerpräsident und CDU-Vorsitzender BW. Engere Verzahnung zwischen Partei- und Medienfunktionären (ÖR !) geht nicht.

          • Thorsten Haupts 2. Juni 2022, 13:51

            Reicht nicht :-).

    • Stefan Sasse 2. Juni 2022, 07:24

      1) Das bezog sich nicht spezifisch auf den Fall Fitz, sondern auf die Aussage „Satire darf alles“. Auf Bundeskanzler*innen und Minister*innen kannst verbal immer rumkacken, das gehört zu deren Job.

      9) Ja, das ist sicher richtig. Aber meckern kann ich ja trotzdem 😀

      i) ah!

      • Thorsten Haupts 2. Juni 2022, 14:01

        Satire durfte afair alles, als man sich noch daruaf verlassen konnte, dass ausschliesslich „Rechte“ ihr Ziel war. In den achtzigern beispielsweise. Mir fiel auf, dass die Linke – natürlich rein zufällig – entdeckte, dass Satire doch nicht alles darf, als Teile der progressiven Ideologie zum Ziel des Pottes wurden. Selbstverständlich würde ich aber nie die felsenfeste Grundsatztreue der „Satire darf doch nicht alles“ Leute in Frage stellen – die Heiligen haben sich seit dem Mittelalter halt progressiv vermehrt …

        Ganz persönlich will ich mir ein kaltes, aber freudiges, Grinsen nicht verkneifen – das heutige linke Bildungs-, Kultur- und Medienestablishment reagiert auf Kritik im Kern genau so, wie man es den Konservativen der sechziger nachsagt. Mit Forderungen nach Verboten, Zensur und Nichtpublikation. Begründet mit den exakten Gegenstücken pseudomoralischer Argumente von damals. Zeichen für den abgeschlossenen hegemonialen Elitenwechsel.

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • Stefan Sasse 2. Juni 2022, 14:55

          Ich war in den Achtzigern im Kindergarten, ich habe mich damals noch nicht zu Satire geäußert.

Leave a Comment

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.