Eine erste Nachlese zur Bundestagswahl, Teil 1: CDU und SPD

Nachdem die Bundestagswahl nun eine Woche gelaufen ist und sich der Staub etwas gelegt hat, können wir nach der Blitzanalyse zum Wahlmontag auf den Bohrleuten einen etwas distanziereren Blick auf die Geschehnisse werfen. Ich habe kein übergreifendes Narrativ anzubieten und bin auch noch nicht vermessen genug, eine Rundumanalyse der Situation anbieten zu wollen; zu sehr ist alles noch im Flux und durch den „Nebel des Krieges“ verschleiert. Stattdessen werde ich nach Parteien geordnet einerseits versuchen, etwas mehr Analyse in die Ergebnisse zu bringen, den Wahlkampf noch einmal betrachten und die strategische Situation verdeutlichen. Gleichzeitig möchte ich auch versuchen, gegen einige eher dümmliche Narrative vorzugehen, die sich leider in der qualitativ nicht eben berauschenden Berichterstattung finden lassen. Und nun genug der Vorrede, in medias res.

SPD

Am erklärungsbedürftigsten bleibt sicher das Ergebnis der SPD. Gemessen an den Umfragen vor einem halben Jahr hat die SPD fast zehn Prozent gewonnen, die Grünen dagegen fast zehn Prozent verloren. Diese Wählendenwanderung war aber nicht identisch; wir wissen, dass die SPD viele Wählende von der CDU gewonnen hat. Wie in allen Fällen ist nicht eine einzige Ursache entscheidend für den Sieg, aber ich denke grundsätzlich lassen sich einige Kernpunkte herausarbeiten:

  • der professionelle Wahlkampf, den ich bereits vor der Wahl analysiert habe, und die Geschlossenheit der Partei;
  • die Symbiose von linkem Parteiprogramm und moderaten Kandidaten (Robert Misik etwa vergleicht Scholz mit Biden und argumentiert für den Linkskurs als entscheidendem Merkmal, ein Argument, das ich vor dem Hintergrund des von mir beschriebenen Paradigmenwechsels für überzeugend halte);
  • die Fehler der Hauptgegner, der CDU und Grünen, die beide furchtbar schlechte Wahlkämpfe abgeliefert haben (ebenfalls hier analysiert);
  • die Wechselstimmung im Land, die gleichwohl durch eine Sehnsucht nach Beständigkeit und Stabilität flankiert wurde und damit dem Angebot des SPD-Programms und Kandidaten exakt entsprach.

Zu einem guten Teil also gewann die SPD wegen der Hilfe des aus den 1960er Jahre bekannten „Genossen Trend“, zu einem anderen guten Teil wegen der Fehler ihrer Gegner. Glück gehört eben auch dazu. Gegen Angela Merkel wäre dieses Paket nicht sonderlich hilfreich gewesen. Aber die SPD führte neben der FDP auch den professionellsten Wahlkampf. Zusätzlich zu den von mir bereits beschriebenen Faktoren ist mittlerweile die Social-Media-Strategie mit ins Bild gerückt. Für deren überrachenden Erfolg essenziell war die Verwendung von parteinahen, aber nicht parteiidentischen Influencer*innen, die die zahlreichen Fehler der Gegner in den Mittelpunkt rücken konnten, ohne dass die Partei selbst dafür verantwortlich schien (mit der Ausnahme des missratenen und schnell zurückgezogenen Clips über Laschets Verbindungen zum Opus Dei).

Die SPD inszenierte sich aber auch sehr erfolgreich als „Neue Mitte“, wie Mark Schieritz das beschreibt. Die überwältigende Botschaft, nie explizit ausgesprochen, aber stets implizit dabei, war die „Versöhnung“ von Klimaschutz und Arbeit. Der Löwenanteil der Wählenden betrachtet die Klimakrise inzwischen als eines der größten Probleme des Landes (wer das nicht tut wählt die Klimawandelleugnerpartei AfD). Aber gleichzeitig will niemand Einschnitte in den bisherigen Lebensstandard. Die Fähigkeit, dies zu vereinigen, war bisher das Erfolgsrezept Angela Merkels gewesen. Nun übernahm es direkt Scholz mit der SPD und etablierte sich in dem Vakuum der Mitte, das Merkels Abgang (nicht Merkel selbst!) hinterließ. Auf dieses Motiv kommen wir aber unten bei der CDU noch zu sprechen.

Die SPD ist aber nicht nur Profiteur guten Marketings. Die Partei ist definitiv programmatisch nach links gerückt, nur eben dort, wo sich Wahlen gewinnen lassen: auf ökonomischem Gebiet. Sie überließ es den Grünen (und absurderweise der CDU), den Fallout des backlashes gegen die gesellschaftliche Modernisierung abzubekommen, und vollzog diesen Wandel im Stillen. Der beruhigende alte, weiße Mann an der Spitze gefährdete anders als die junge Frau bei den Grünen nicht alteingesessene Reflexe – mindestens an dieser Stelle passt der Vergleich zu Joe Biden. Hinter Scholz aber steht eine signifikant junge und diverse Partei. Einerseits. Wir sehen das etwa beim Migrationshintergrund:

Die SPD ist beim Migrant*innenanteil weiter als selbst die Grünen! Diese punkten zwar beim Frauenanteil (58%, einsamer Spitzenreiter), aber die SPD braucht sich da zweitplatziert mit 42% auch nicht zu verstecken. Ich habe keine Statistik für das Alter der MdBs gefunden, aber allein 49 der 206 Abgeordneten sind JuSos! Die SPD hält mit dieser Zusammensetzung auch nicht hinter dem Berg; stattdessen sehen wir eine triumphale Selbstdarstellung:

Die Sozialdemokraten greifen mit beiden Händen nach dem Mantel der Führerschaft im progressiven Lager, der den Grünen bereits Ende April entglitten ist, aber sie tun es erst jetzt, nach der Wahl. Das ist sicher clever. Und bevor jemand angesichts der vielen JuSos schon Kevin Kühnert als neues Machtzentrum ausrufen will: ein großer Teil dieser MdB hat neben der Verbindungen zur Jugendorganisation auch starke Bindungen ins gewerkschaftliche Lager, und das ist noch immer der sicherste innerparteiliche Garant zur Verhinderung eines wie auch immer gearteten „Linksrutschs“. Überhaupt scheint mir die wiederstarkte Bindung der Gewerkschaften zur SPD ein deutlich unteranalysierter Faktor bei ihrem Wahlerfolg zu sein.

Aber die Partei hatte – auch hier Zeichen ihrer den Grünen und der CDU wesentlich überlegenen Strategie – auch von Anfang an einen Plan. Olaf Scholz‘ Bekenntnis noch in der Wahlnacht, nicht nur eine Ampel anzustreben, sondern auch mit dieser Koalition 2025 zur Wiederwahl antreten zu wollen, zeugt von großem Weitblick. Sie sollte auch die Wände im Adenauer-Haus beben lassen. Bereits in meinem 2018 erschienen Artikel zur strategischen Lage einer Ampel-Koalition hatte ich darauf hingewiesen, welche Folgen das für das Parteiensystem haben würde. Ich muss ehrlich zugeben, dass diese Erkenntnis bei mir erst Ende der letzten Woche wirklich einsank, aber wenn Scholz‘ Plan aufgeht, erreicht er damit den feuchten Traum aller SPD-Parteistrateg*innen seit 2005: die Isolierung der CDU.

Zeichnen wir zum Abschluss kurz das Szenario. Es ist 2025. SPD, Grüne und FDP schauen auf eine Legislaturperiode ohne größere Katastrophen zurück, die einige profilierte Reformprojekte hinbekommen hat. Sagen wir einfach: Aktienrente, Cannabislegalisierung und eine ordentliche CO2-Bepreisung. Nichts Spektakuläres, aber alles in allem solide Regierungsarbeit, für jeden Koalitionspartner etwas dabei. Im Frühjahr 2025 erklären Lindner, Habeck/Baerbock und Scholz, wie glücklich sie zusammen sind und dass sie sich um ein weiteres Mandat bewerben. Die Grünen erklären tapfer, dieses Mal stärkste Partei werden zu wollen, aber eigentlich ist allen Beteiligten klar, dass Scholz Kanzler bleibt. Möge der Bessere gewinnen, erklärt Lindner mit großzügigem Lächeln, kleiner Wettbewerb unter Freunden; die FDP bleibt so oder so die kleinste der beteiligten Fraktionen, aber das Finanzministerium ist sicher, damit die Veto-Macht und de facto mehr Einfluss im Kabinett als Habeck und Baerbock zusammen. Da kann man schon großzügig sein, wenn es um Wahlkampfrhetorik geht.

Aber was macht die CDU? Sie hat keine Koalitionspartner. Soll sie behaupten, die absolute Mehrheit anzustreben? Da müsste schon das eine oder andere politische Erdbeben vorübergezogen sein. Eine Koalition mit der AfD? Ausgeschlossen, auch wenn zwanzig bis dreißig Abgeordnete nicht müde werden, in Interviews zu betonen, dass man sich das schon vorstellen könnte, wenn die AfD eine formelle Erklärung abgibt, den Rechtsstaat achten zu wollen. Die LINKE ist ebenfalls raus. Die CDU hätte schlicht keine realistische Machtoption.

DAS ist der Heilige Gral für die SPD, und sie ist ihm zum Greifen nah. Es wäre dieselbe Situation für Scholz, wie Merkel sie für drei Legislaturperioden genoss: keine Regierung gegen uns. Es gibt wesentlich schlimmere Ergebnisse, und wenn das alles so kommt, kann man nur den Hut vor den Sozialdemokraten ziehen.

CDU

Im Gegensatz dazu steht die CDU vor einem Scherbenhaufen. Es bleibt meine Analyse, dass die CDU sich nun ziemlich exakt in der Position befindet, in der die SPD in der zweiten Hälfte der 2000er Jahre war. Die Partei besteht aus zwei Lagern, die einander spinnefeind sind und völlig unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft der Partei haben. Da sind einerseits die Modernisierer, die gerade einen Verteidigungskampf bestreiten, aber der Überzeugung sind, dass die Zukunft der CDU nur darin bestehen kann, diesen Kurs fortzusetzen – ähnlich den Agenda-Befürworter*innen anno 2005. Da sind andererseits die Konservativen, die das Grundübel der CDU als eine Abkehr von ihren Wurzeln und einer ideologischen Entkernung sehen und der Überzeugung sind, dass nur ein Rechtsruck die „verlorenen Stammwähler“ (Merz) wieder zurückholen könnte – ähnlich den SPD-Parteilinken, die die ganze Schröder-Ära als ideologische Entkernung der SPD betrachteten und in einem entschlossenen Linksschwenk zurück die Erlösung sahen.

Dass Letztere falsch liegen steht eigentlich außer Frage. Der Politikwissenschaftler Constatin Wurthmann schreibt zutreffend, dass die Vorstellung, die CDU müsse sich nach rechts profilieren, sämtliche Erkenntnisse der Wissenschaft ignoriert. Auch die Wahl selbst zeigt das deutlich. Philipp Amthor und Hans-Georg Maaßen verloren beide ihr Direktmandat, Friedrich Merz behauptete seines mit Verlusten, gegenüber denen Anna-Lena Baerbock eine erfolgreiche Wahlkämpfende war (gemessen an den Werten, die zu Jahresbeginn erhoben wurden). Umso lauter schreien diese Leute nun.

Ich gehe davon aus, dass die CDU denselben Prozess wie die SPD wird durchlaufen müssen und am Ende eine neue Politik, eine neue Botschaft finden müssen. Auch für die SPD brachte weder die 2005-2009 betriebene Vertiefung des Agenda-Kurses noch die darauffolgende halbgare Abkehr die Erlösung; erst die Kombination 2021 zeigte sich als tragfähig. Die CDU muss hoffen, dass sie dieses Neue (was auch immer es sein wird) schneller findet als die SPD. Ich wünsche ihr jedenfalls viel interne Streits und Konflikte, verschlissene Parteivorsitzende und verlorene Wahlen. Sie hat es sich redlich verdient.

Diese Probleme gehen auch über den Spitzenkandidaten hinaus. Vielleicht hätte Markus Söder besser abgeschnitten, aber seine charakterlichen Probleme erlaubten theoretisch einen radikalen Umschwung in der Wählendengunst, der ihn am Ende auf dasselbe Niveau gebracht hätte. Klar, gegen Laschet schnitt er super ab, aber das Gras ist auf der anderen Seite immer grüner. Stoiber schien auch die bessere Wahl als Merkel zu sein. Aber dollar to doughnuts, dass der Republik schnell wieder aufgefallen wäre, die wenig sie eigentlich Bayern und die CSU mag, wenn Söder erst einmal im Zentrum des Wahlkampfs gestanden hätte. Und was für Skelette man aus den fränkischen Kellern hätte ziehen können, will man sich gar nicht ausmalen (bei der CSU gleicht JEDER Keller einer politischen Katakombe).

Das größte Problem aber ist die Partei selbst. Der Frauen- und Migrant*innenanteil ist erbärmlich, wie etwa Tobias Bringmann wütend bemerkt:

Die Verweigerung der CDU, die gesellschaftliche Modernisierung nachzuvollziehen und sich endlich eine Quote zu geben, ist nur ein Teil des Problems, aber es ist symptomatisch. Leute wie Maik Beermann, die sich lautstark darüber beschwerten, dass die Quote dafür sorge, dass unqualifizierte Frauen in Spitzenpositionen kämen – nachdem er sein Bundestagsmandat gegen eine Frau verlor, und damit alle Vorurteile bestätigte, die gerade Progressive gegenüber dieser Kritik hegen. Im Gegensatz zur FDP, die grundsätzlich dasselbe Problem hat, gibt es bei der CDU aber nicht das ausgleichende Element einer Ideologie der Individualität und der Meritokratie, der Jugend und Offenheit. Was bei der FDP wie ein bedauerlicher Umstand wirkt, wirkt bei der CDU wie Absicht.

Anders als bei allen anderen Parteien fällt bei ihr der Unterschied zwischen Selbst- und Fremdbild am weitesten auseinander, kurz: Die CDU ist in ihrer Selbstwahrnehmung wesentlich „mittiger“ als in ihrer Fremdwahrnehmung. Das ist ein Problem, denn es erlaubt der CDU nicht ehrlich zu sehen, wie rechts sie tatsächlich oft bereits ist (eine Dynamik, die wir hier in den Kommentaren ja auch öfter sehen). Sie ist überzeugt, total unideologisch in der Mitte zu stehen, was kein Problem wäre, wenn das sich wie bei Merkel mit der Meinung der Wählendenschaft decken würde. Aber das ist nicht der Fall; die Wählenden verorten die Partei deutlich rechts. Die Botschaft passt deswegen nicht zum Adressaten, das Produkt nicht zum Kunden. Und im Streit darüber zerreißt sich die Partei.

Dass Laschet noch Vorsitzender ist, ist dagegen nicht sonderlich überraschend. Die Wahl ist gerade einmal eine Woche her; die Rufe nach seinem Rücktritt sind in ihrer erbarmungslosen Härte völlig maßlos. Sie kommen nicht nur aus der eigenen Partei; was ich in meinem Twitter-Feed an wütenden Aufrufen gelesen habe, er solle als klarer Wahlverlierer politischen Selbstmord begehen, geht auf keine Kuhhaut. Mir scheint das eine uralte Regung zu sein, die Suche nach einem rituellen Opfer. Wenn man nur Laschet auf dem politischen Altar schlachtet und sein blutiges Herz gen Sonne hebt, dann werden die Götter besänftigt sein, oder etwas in der Art. Es ist menschlich widerlich, einerseits.

Es ist auch nicht gerechtfertigt, andererseits. Der Spiegel hat eine sehr gelungene Analyse der innerparteilichen Dynamik der CDU in den ersten 72 Stunden nach der Wahl, in der man gut erkennen kann, wie unklar die Verhältnisse in jenen Tagen waren. Sie sind es auch immer noch. Klar, die Chance auf ein Jamaika-Bündnis ist ziemlich gering. Aber sie ist bei weitem nicht Null. Dazu kommt, dass der Rücktritt Laschets in dieser Situation ehrlich gesagt auch ein Verrat an der Partei wäre. Laschet ist nicht Lafontaine; in dieser verwundbaren Situation den ganzen Apparat völlig kopflos dastehen zu lassen wäre der Gipfel der Verantwortungslosigkeit. Zumindest die Abwicklung der Wahl und die geschäftsmäßige Führung des Ladens muss man von ihm erwarten, wie auch von Annegret Kramp-Karrenbauer nach ihrem Rücktritt.

Dazu kommt, dass die Nachfolge ziemlich unklar ist. Wie immer bei der CDU (und jeder anderen Partei, aber ganz besonders der CDU) ist nichts so tödlich für die eigenen Ambitionen wie als Killer dazustehen. Deswegen verlangt kein potenzieller Nachfolger (und natürlich sind es alles Männer) derzeit den Rücktritt Laschets. Wozu auch? Der Mann ist dead man walking, und wenn er zufällig doch noch Kanzler wird, wäre es ziemlich doof, vorher seinen Rücktritt verlangt zu haben. Es ist diese offensichtliche Dynamik, die in den Medien überhaupt keine Beachtung findet. Stattdessen werden irgendwelche Durchstechereien aus der dritten Reihe unreflektiert als „die Union“ oder „die CDU“ berichtet. Das ist schon fast aktive Desinformation.

Was man stattdessen lesen sollte ist etwas anderes. Schauen wir uns zwei Beispiele dafür an. Das ist Norbert Röttgens erster Tweet nach der Wahl:


Liest man da irgendwelche Kritik an Laschet? Nein, natürlich nicht. Heißt das, dass Röttgen in unverbrüchlicher Treue zu Laschet steht? Auch nicht, natürlich. Denn gleichzeitig twitterte die enge Röttgenvertraute Ellen Demuth:

Röttgen sagte dazu – nichts. Ich bin sicher, er war genauso überrascht wie Laschet, das zu lesen. Bestimmt zitierte er sie in sein Büro und maßregelte sie. – Sarkasmus aus. – Auf diese Art und Weise findet in der Politik Kommunikation statt. Genauso musste man nur in der Elefantenrunde Laschets Antworten zuhören, wenn er auf Koalitionsoptionen angesprochen wurde. Deutlicher konnte er Scholz nicht um eine rot-schwarze Koalition und den Posten des Vizekanzlers bitten, aber es ist nicht so, als ob das so zu lesen gewesen wäre. Stattdessen nahmen die Medien ihn wörtlich und berichteten nur, dass er sich weigere, zurückzutreten oder einen Wahlsieg offen anzuerkennen. Wo es nichts anzuerkennen gab! Wer die meisten Stimmen hat ist nicht automatisch Wahlsieger. Fragt mal, ob Baerbock oder Lindner glücklicher mit ihrem jeweiligen Ergebnis sind! Aber solche grundsätzlichen Erkenntnisse fehlen im Diskurs völlig und machen ihn so frustrierend, weil er sich um irgendwelche dummen Gerüchte und Durchstechereien dreht, die eigentlich nur politische Kommunikation sind. Man muss sie nur lesen wollen.

Röttgen hat also seine erneute Bewerbung um den CDU-Vorsitz ziemlich deutlich gemacht. Jens Spahn stellt sich an seine Seite. Hat er das offen gesagt? Natürlich nicht, er spricht von „Rundumerneuerung“ und „personeller Neuaufstellung“, die nötig ist. Hm, wer wäre wohl neu? Welches Personal könnte man wie neu aufstellen? Leute mit Regierungserfahrung wären gut, was, Jens? Gleichzeitig vielleicht nicht solche Leute aus dem Sauerland, die über 60 sind? Ich höre dich schon klar und deutlich, Jens.

Dank der klaren Niederlage der Parteirechten – Stichwort Maaßen – ist Friedrich Merz der letzte große Unsicherheitsblock im aktuellen Spiel. Merz ist der große Zerstörer der Union als Partei. Seine „Nachwahlanalyse“ ist eine einzige Kampfansage. Als erster gab er bekannt, er stehe als Parteivorsitzender zur Verfügung (zum dritten Mal!), nur um danach schwach zurückzurudern und zu erklären, dass er natürlich nicht Laschet absägen wolle. Auf welchen Posten er sich dann genau bewirbt, war leider nicht klar, aber nachgefragt hat auch keiner. Merz‘ Strategie ist über den CDU-Parteivorsitz zu reden, als wäre er vakant. Das kann aufgehen, sicherlich. Er greift auch gleich nach der ganzen Macht, wenn er „empfiehlt“, den Partei- und Fraktionsvorsitz zusammenzulegen. Das ist ein Abwehrmanöver gegen den innerparteilichen Konkurrenten Brinkhaus, der halb-kommisarisch den Fraktionsvorsitz innehat (und sich nicht durchsetzen konnte, den Posten für das ganze Jahr gewählt zu bekommen). Und ein Griff nach der ganzen Macht in Zukunft.

Aber warum „Zerstörer der Partei CDU“? Ist der Titel nicht Rezo vorbehalten? Merz fordert, dass die Wahl des nächsten Vorsitzenden (entgegen der CDU-Satzung übrigens, da ist Merz flexibel) eine Mitgliederwahl ist. Offen spricht er davon, gegen das „Establishment“ der Partei anzutreten. Es ist eine Kampfansage an die halbe Partei, vor allem aber an ihre Funktionärsstrukturen, so wie die Wahl Eskens und Walter-Borjans eine an die der SPD war. Ich habe nur das Gefühl, Merz wäre dann doch etwas effektiver als Vorsitzender als diese beiden. Er inszeniert sich als Populist, als Mann von unten, der die Partei von Grund auf umbaut. Diese Strategie hat er mit einem Sebastian Kurz und, ja, einem Donald Trump gemein (wenngleich hinter dem flexiblen Umgang mit der Wahrheit die Gemeinsamkeiten besonders zu letzterem auch schon wieder enden). Auch die weitere Konzentration auf identitätspolitischen Kulturkampf, der der CDU bereits im Wahlkampf so geschadet hat, geht ungebrochen weiter.

Der CDU stehen damit turbulente Wochen und Monate bevor. So oder so wird ein großer Teil der Partei unzufrieden mit dem Ergebnis sein. Am Ende könnte sogar Laschet als lachender Dritter aus dem Spektakel auftauchen – einfach von den Beharrungskräften ans Amt gehalten, weil er immer noch den größten Konsens verkörpert. Es gibt aber keinen Anlass anzunehmen, dass Sieg oder Niederlage Merz‘ den Konflikt um die Zukunft der CDU (und die Deutung über die jüngere Vergangenheit) irgendwie beilegen. Die große Gefahr für die Partei ist, ähnlich der SPD in eine permanente innerparteiliche Nabelschau abzurutschen, mit Formelkompromissen zum Wahltag, die niemanden befriedigen oder begeistern, und ohne eine Machtoption.

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  • Ant_ 4. Oktober 2021, 09:37

    Kurze Anmerkung:
    Mein Eindruck ist dass die Unfähigkeit der CDU, den Laden jetzt ruhig zu halten nachdem alle Panik haben und auch nicht mehr mit der Aussicht auf Posten ruhig zu bekommen sind auch ganz massive Auswirkungen auf deren Attraktivität als Koalitionspartner hat. Ich finde ein Szenario, wo Söder konstant aus Bayern stichelt und der Konflikt mittiger oder rechter Kurs auch personal durch die Partei geht – Brinkhaus Fraktion, Merz Vorsitz? als Horrorszenario für die Fraktionsdisziplin noch nicht einmal komplett abwägig. Dazu sind die Emotionen in dieser Partei (angekratzte Egos und krasser Narzismus überall) zu stark. Die FDP hat dazu in der Woche ja 2-3 mal etwas angedeutet, wie wird das denn hier gesehen?

  • Kirkd 4. Oktober 2021, 10:09

    Ich teile Deine Analyse der Gründe für den Erfolg der SPD. Der Wählerbindung an Parteien ist im progressiven Lager seit mindestens 15 Jahren im Fluss. Zum Einen gelang es 2009 und 1013 Angela Merkel schrittweise einen Anteil an Wählern an sich zu binden. Es scheint als sei ein Teil dieser Wähler nun zurückgekehrt. Eine ungeeinte oder eine Merz CDU werden diese nicht zurückgewinnen können. Die SPD hat auch wie zu Schröder Zeiten wieder eine Hegemonie nördlich von Bawü, Bayern, Sachsen und Thüringen. Das wird auch ein Problem für einen Kanzlerkandidaten Söder.

    Die Wähler sind auch innerhalb des progressiven Lagers zunehmend flexibel, was den Grünen immer wieder gute Umfrageergebnisse und Landtagswahlerergebnisse verschafft. Dadurch dass die Groko im Wahlkampf nicht mehr als Koalitionsoption vorkam, war letztlich eine Stimme für die SPD die beste Option für eine progressive Regierung.

    Das bekam auch die Linkspartei zu spüren. Möglicherweise hat die SPD endlich die Strategie zur Marginalisierung der Linkspartei gefunden: Kandidat mit Kanzlerchancen aber mit ausreichend linkem Flügel an den Fersen.

    Sollte Scholz Kanzler werden, kann die SPD mit dem Amtsbonus die oben genannten Vorteile verstetigen: Wählermagnet in der Mitte und Führerschaft im progressiven Lager, wer den Kanzler wählt verhindert eine rechte, uneinige oder bayerische Union.

  • Kirkd 4. Oktober 2021, 10:22

    Du triffst sehr gut auf den Punkt, dass die Union sich nicht mehr bewusst ist, wie wenig Mitte sie noch ist. Es gibt seit etwa 5 Jahren eine klare Verschiebung in den Vorstellungen in der Bevölkerung zu vielen Themen. Bedeutung des Autos nimmt drastisch ab, weg vom Statussymbol hin zum reinen Mittle zum Zweck, gerade die konservative Landbevölkerung nimmt die Veränderung in der Natur und im Klima immer deutlicher war, das honoratiorenartige Auftreten (bei Laschet oft onkelig genannt) befremdet immer mehr Bürger, usw

    Problem der CDU ist, dass die peer groups ihrer Führungsgremien hier hinterher hinken. Der deutsche Mittelstand hat wenig Konsumentenkontakt weil er hauptsächlich Vorprodukte herstellt, ist nicht börsennotiert und bekommt daher keine ESG Fragebögen von Investoren … Man redet zuviel mit sich selbst.

    Es stehen heftige Führungskämpfe in der Union an. Da Merkel solange die Zügel in der Hand hielt, sind noch viele Alphatiere übrig, die es jetzt aber wissen wollen, die aber die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben. Selbst Norbert Röttgen, sicherlich der modernste Konservative an der Spitze der CDU, verkörpert letztlich die alte CDU. Söder hingegen hat die Zeichen der Zeit erkannt aber wird, wenn es hart auf hart kommt im sozialdemokraitschen norden gegen einen SPD Kanzler keinen Stich mahchen. Zudem hat er sich mit seinen ständigen Querschlägern möglicherweise sein Image nachhaltig ruiiniert. Es könnte schwierig werden für die Union.

    Die Union hat aber auch Potenziale. Möglicherweise kann sie der FDP Wähler abtrotzen, denn die Union wird jeden Euro Schulden den ein FDP Finanzminister aufnimmt, melken. Gleiches gilt für den CO2 Preis. Die Blaupausen von 1999 sind sicherlich im Konrad Adenauer Haus vorrätig.

    • Stefan Sasse 4. Oktober 2021, 13:44

      Klar, die Union hat weiterhin das Potenzial zur größten Partei, sie ist die natürliche größte Partei Deutschlands. Aber es ist halt kein Automatismus.

  • R.A. 4. Oktober 2021, 10:37

    Es gibt nicht den geringsten Beleg für die Vermutungen, Migrantenanteil oder Frauenquote hätten für das Wahlergebnis eine Rolle gespielt.
    Und schon gar nicht war das linke SPD-Programm hilfreich – sonst hätte die SPD nicht dieses Programm und seine Exponenten den ganzen Wahlkampf hindurch im Keller versteckt.

    Der komplette SPD-Wahlzugewinn geht auf das Konto Scholz, und damit auch auf die Verweigerung der Medien, sein wiederholtes Regierungsversagen zum Thema zu machen.
    Aber diese Wahlzugewinn wird nicht von Dauer sein, die SPD-Linken sind ja schon wieder aus dem Keller aufgetaucht und werden die Regierungsagenda der Partei dominieren.

    Daß umgekehrt die Union an ihren internen Problemen gescheitert ist dürfte unstrittig sein. Und diese Probleme haben nur wenig damit zu tun, daß Laschet mal unpassend gelacht hat – diese Probleme hat die Union schon seit Jahren. Schon 2017 gab es ja eine Wahlklatsche in ähnlicher Größenordnung, dazu sehr viele katastrophale Landtagswahlen.
    Und natürlich haben diese Problem auch damit zu tun, daß Merkel den traditionellen konservativen Flügel ausgegrenzt hat und damit die AfD sich zweistellig etablieren konnte. Mit einem als „Modernisierung“ getarnten weiteren Linksrutsch würde sie sich dieses Potential nicht zurückholen können und damit langfristig auf den Regierungsanspruch in Berlin verzichten.

    • Stefan Sasse 4. Oktober 2021, 13:45

      Wie beschrieben kannst du gerne deine persönlichen Präferenzen als Analyse tarnen, allein, Wählendenstimmen wird das nicht gewinnen.

      • sol1 4. Oktober 2021, 18:53

        Ich weiß auch nicht, wer da im Keller versteckt gewesen sein soll.

        Esken, Nowabo und Kühnert waren nicht nur auf Wahlkampfbühnen, sondern auch in Talkshows und Interviews präsent.

        • Stefan Sasse 4. Oktober 2021, 19:10

          Das war auch nur so ein Narrativ der Bürgerlichen. Die wurden nicht eben betont, aber auch nicht versteckt. Man hat sie clever benutzt, zum Signalisieren an die Basis, und die Breite Scholz machen lassen.

        • Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 19:47

          Lustig ist noch die Geschichte, als Saskia Esken eine Einladung zu Anne Will ausschlug, weil sie beschäftigt sei, tatsächlich aber nur wenige Meter weiter an einer Würstchenbude gesichtet wurde.

          Tatsächlich reagierte die SPD erst nach Monaten, als der Spott um die unsichtbaren Parteispitzen von der Union längst thematisiert worden waren. Dann folgten Auftritte vor kleinem Publikum. Trotzdem blieben die Auftritte zum sonstigen Gehabe der Saskia E. überschaubar.

          • sol1 4. Oktober 2021, 20:44

            „Lustig ist noch die Geschichte, als Saskia Esken eine Einladung zu Anne Will ausschlug, weil sie beschäftigt sei, tatsächlich aber nur wenige Meter weiter an einer Würstchenbude gesichtet wurde.“

            …woraus Spahn kein Kapital schlagen konnte:

            https://www.rnd.de/politik/anne-will-zoff-um-esken-absage-bei-ard-talk-nach-tv-triell-5LJNKL4VJBG3JNNK33J3I5T4RQ.html

            Und – tusch! – eine Woche später trat Esken in der letzten Anne-Will-Sendung vor der Wahl auf:

            https://daserste.ndr.de/annewill/archiv/Noch-eine-Woche-bis-zur-Wahl-was-ist-uns-Klima-wert,erste11602.html

            • Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 21:14

              Und – tusch! – eine Woche später trat Esken in der letzten Anne-Will-Sendung vor der Wahl auf:

              Sehr witzig, nachdem sie zuvor zur Lachnummer geworden war. Auch Alice Weidel wurde in ihrer Partei lange kritisiert, weil sie sich nicht zu Markus Lanz traute. Bis sie letztendlich eine Einladung annahm. Sehr überzeugend finde ich solches Verhalten nicht, weder bei Weidel (die immerhin gegrillt wurde) noch bei Saskia Esken. Die Frau ist zweifellos meinungsstark. Allerdings in einer Form meinungsstark, dass man unmittelbar fragen möchte, was man stattdessen wählen kann.

              Esken hatte kurzfristig die eine Einladung ausgeschlagen. Sie hatte ja keine weitere in petto. Die kam erst danach. Und nachdem sie verspottet worden war („Würstchenbude“), hatte sie ja keine echte Alternative.

              • sol1 4. Oktober 2021, 21:47

                „Sehr witzig, nachdem sie zuvor zur Lachnummer geworden war.“

                Wirklich stümperhaft, sie dann eine Woche später in die nächste und dann allerletzte Anne-Will-Sendung vor der Wahl zu schicken.

                Du hättest den SPD-Wahlkampf organisieren sollen – dann hätte Olaf Scholz nicht so schmählich gegen Armin Laschet verloren.

                • Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 22:55

                  Ich glaube nicht, dass man in einer Demokratie einer Parteivorsitzenden verwehren kann, sich öffentlich zu äußern. Dass eine Parteivorsitzende irgendwohin geschickt wird, passt mit meinem Verständnis von innerparteilicher Demokratie auch nicht zusammen.

                  Ich glaube, ich habe mich für gar nichts beworben. Ich habe angeführt, was nach meinem Verständnis erforderlich ist, damit Politiker in Demokratien Funktionen übernehmen können. Muss Sie nicht interessieren. Aber was ich überhaupt nicht leiden kann, ist Sarkasmus.

      • Erwin Gabriel 6. Oktober 2021, 00:19

        @ Stefan Sasse 4. Oktober 2021, 13:45

        Wie beschrieben kannst du gerne deine persönlichen Präferenzen als Analyse tarnen, allein, Wählendenstimmen wird das nicht gewinnen.

        Ob man die SPD-Führung „versteckt“ hat oder ob sie praktisch nicht zum Zuge kam (bzw. nur sehr selektiert), ist nur eine Formulierung.

        Es gibt auch nicht nur eine Wahrheit, nur eine Sichtweise. Was Du da schreibst, kannst Du genauso gut über Dich selber formulieren.

        • Stefan Sasse 6. Oktober 2021, 07:46

          Klar. Ich hab nur einfach genug davon dass der erste Satz im ersten Kommentar immer ist „du kannst nicht analysieren“ statt „ich habe eine andere Ansicht“. Und deswegen hab ich zurückgeschnappt. Der Ton macht die Musik.

          • Erwin Gabriel 9. Oktober 2021, 12:47

            @ Stefan Sasse 6. Oktober 2021, 07:46

            OK, verstehe

  • CitizenK 4. Oktober 2021, 10:39

    Interessanter Überblick. Beim 2025er Szenario bin ich allerdings skeptisch. Es könnte auch sein, dass die FDP dann die „Fesseln abstreifen“ will, die ihr SPD und Grüne 4 Jahre lang angelegt hatten. Mich überrascht jedenfalls, wie sehr die Gelben die Schnittmengen mit einer Union betonen, deren Probleme doch allen bekannt sind. Nur Drohkulisse, wie man überall lesen kann?

    P.S. Die politische Kommunikation derzeit ist übrigens wieder ein Lehrstück, was die Forderung nach „ehrlichen Politikern“ angeht.

    • Stefan Sasse 4. Oktober 2021, 13:46

      Ich dachte Lindner hätte sich auch schon so geäußert, dass man grundlegend an längerer Kooperation interessiert ist.

      Inwiefern?

      • CitizenK 4. Oktober 2021, 14:04

        Söders „Unterstützung“ für Laschet, Röttgen bei Anne Will zum Beispiel. Aber offen sagen können sie es auch nicht.

        • Stefan Sasse 4. Oktober 2021, 17:21

          Hah. Der war schon ziemlich ehrlich. Ich meine, wie viel klarer konnte er noch sagen, dass er Laschet nur zu gerne verlieren sehen würde?

    • Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 15:44

      Die Union fürchtet nicht zu Unrecht, dass die FDP sich in der Ampel als Stimme der wirtschafts- und finanzpolitischen Vernunft profilieren könnte, während Konservativen sich in der Opposition von der AfD abgrenzen müssen. Dazu neigen die Deutschen nicht dazu, ihre Regierungen abzuwählen, schon gar nicht nach einer Legislaturperiode. Es hängt vor allem an der SPD, ob 2025 die Wiederwahl von Olaf Scholz klappt.

      Dabei ist zweitrangig, ob die FDP dann mit einer Koalitionsaussage in den Wahlkampf zieht. Meine Prognose: eher nein, genauso wenig wie die Grünen. Das passt nicht zu einem System von zwei nicht mehr großen Parteien und zwei gar nicht so kleinen Parteien. Ich erwarte eher, dass alle im Bundestag vertretenen Parteien Kanzlerkandidaten aufstellen werden. Denn die Strategie, mit der Idee den Spitzenkandidaten auch Kanzlerkandidaten zu nennen, bekamen die Grünen eine Dauerwerbesendung im Öffentlich-Rechtlichen geschenkt.

      Das Konzept der Kanzlerkandidaten hat sich damit überlebt, die Medien haben es in diesem Wahlkampf selbst zerstört, in dem sie es ad absurdum führten. Nebenbei haben sie ihre eigene Argumentation von 2002 vor dem Bundesverfassungsgericht zertrümmert, sie werden also mit keinem Argument mehr die Bewerber der anderen Parteien ablehnen können.

  • Dennis 4. Oktober 2021, 11:36

    Gute Analyse. Die FDP kommt ja wahrscheinlich noch. Ich kann’s gar nicht abwarten^, aber ampelmäßig wurde selbige hier zwangsläufig ja schon mal mitgedacht, wenngleich zu wenig, IMHO, denn die Fragilität dieses neumodischen Dreiers (bekannt aus Rheinland-Pfalz, wo die FDP bei der letzten Landtagswahl ins Minus ging und sich mit Ach und Krach noch über 5 % halten konnte und wo auch die SPD ländlich-sittlich daherkommt) ist wohl der zentrale Punkt, der die neue Welt des Burgfriedens zwischen Seeheimern und den PL’lern (Parlamentarische Linke) bei den Genossen noch schweren Proben aussetzen wird. Es nutzt ja nichts, wenn Scholz unser Biden ist (erinnert mich an Willy Brandt, der weiland als unser Kennedy aufgebaut wurde), der Biden ist kein parlamentarischer Koalitions-Kanzler.

    Die viel besungenen urbanen Hipster (habituell bei Grünens anschlussfähig, aber das nutzt nicht viel), die Lindner gewonnen hat, wiegen das national-liberale Lager bei Weitem nicht auf. Lindner muss also höllisch aufpassen, sprich: Mit Zugeständnissen sehr, sehr sparsam sein. Das Lebenselixier der FDP (CDU-Leihstimmen) wird versiegen, die allfällige Oppositions-CDU wird für die älteren Herrschaften unter den FDP-Wählern (die Mehrheit) wieder attraktiv. Die Cannabis-Legalisierung ist für den bräsigen Mittelständler aus Reutlingen oder Backnang vermutlich nicht unbedingt das Thema Nr. 1 ^ und von den Hipstern und fetzigen Internet-Kampagnen alleine kann die FDP nicht leben. Mein Glaube an die schöne, neue Ampel-Welt ist noch nicht sehr gefestigt 🙁

    Zitat Stefan Sasse:
    „Aber was macht die CDU? Sie hat keine Koalitionspartner.“

    So wurde in der Endphase der sozial-liberalen Zeit, also Ende 70er/Anfang 80er auch argumentiert. Strauß wollte aus lauter Verzweiflung eine „Vierte Partei“ künstlich in die Welt setzen. Das war dann nicht nötig^. Panta rhei.

    Zitat:
    „DAS ist der Heilige Gral für die SPD“

    Kann sein. Den Gral gibt’s ja nicht tatsächlich, Suchaktionen waren bisher vergeblich.

    Betreffend CDU heißt es (Zitat):
    „Der Frauen- und Migrant*innenanteil ist erbärmlich“

    Ähm…wieso ist das bei der FDP eigentlich nicht erbärmlich ?

    Zitat:
    „Im Gegensatz zur FDP, die grundsätzlich dasselbe Problem hat, gibt es bei der CDU aber nicht das ausgleichende Element einer Ideologie der Individualität und der Meritokratie, der Jugend und Offenheit.“

    Wieso soll diese Fata Morgana ein ausgleichendes Element sei ? Der Vergleich zwischen Soll und Haben weist doch eher darauf hin, dass besagte Ideologie kalter Kaffee ist.

    • Stefan Sasse 4. Oktober 2021, 13:47

      Nichts von dem was ich beschreibe ist unausweichlich oder unumkehrbar. Nur dass die CDU überhaupt das Problem HAT, einen Koalitionspartner zu finden, ist neu und bemerkenswert.

      Die FDP beschreibe ich im nächsten Teil des Artikels.

    • Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 15:35

      Was sind für Sie „Leihstimmen“? Nach allgemeiner Definition sind das Wähler, die eigentlich einer Partei zuneigen, aber für ein politisches Ziel einmal eine andere Partei wählen. Für Sie sind die Stimmen des linken Lagers volatil, aber selbstverständlich keine Leihstimmen. Warum aber im rechten Lager? Zahlreiche Unionspolitiker haben in diesem Wahlkampf davor gewarnt, die FDP zu wählen. Stattdessen warb Markus Söder mit einer umgekehrten Leistimmenkampagne: Im Herzen FDP, aber mit beiden Stimmen CSU.

      Es hat nichts genützt, wie wir wissen. Die Liberalen verbesserten noch ihren Zweitstimmenanteil. Dennoch meinen Sie, es handele sich bei dabei vor allem um Leihstimmen. Betrachten wir uns mal die Gewichte seit 2005. Damals erreichten die Mannen um Guido Westerwelle knapp 10%. 12 Jahre später schaffte man mit 10,7% ein fast identisches Ergebnis. 2021 konnte dies leicht ausgebaut werden.

      Jetzt frage ich mich: wo sind die Leihstimmen der Union?
      2005: 4,1 Mio. Zweitstimmen
      2009: 6,3 Mio.
      2013: 2,1 Mio.
      2017: 5,0 Mio.
      2021: 5,3 Mio.

      Es scheint also eher, dass die Union 2013 Millionen Leihstimmen der FDP erhielt als umgekehrt die FDP ihre zweistelligen Ergebnisse Leihstimmen der Union verdankt.

    • cimourdain 4. Oktober 2021, 21:36

      „Den Gral gibt’s ja nicht tatsächlich, Suchaktionen waren bisher vergeblich. “
      Du Gralsleugner! Den Gral gibt es und seine Echtheit wurde wissenschaftlich (99,9%!) bestätigt:
      https://de.wikipedia.org/wiki/Heiliger_Kelch

  • Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 14:58

    Eine wenig zutreffende Analyse, da sie einige wichtige Aspekte einfach ausblendet. Dazu: Zählt es zu den Aufgaben von Bloggern, einzelnen demokratischen Parteien dauerhaften Misserfolg und Personalquerelen zu wünschen, weil man selbst nicht mit der Programmatik übereinstimmt? Das ist doch eigentlich Aktivisten vorbehalten. So viel Häme gegenüber dem politischen Gegner haben sich Konservative und Liberale zusammen nicht geleistet.

    SPD
    Der Unterschied zwischen der programmatisch abgehalfterten 14%-SPD und dem „strahlenden“ 26%-Wahlsieger-SPD hat einen Namen: Olaf Scholz. Viele bornierte Gestalten in der Partei haben das wieder nicht begriffen, sie meinen ernsthaft, die SPD sei auch wegen ihres Programms gewählt worden. Nein, liebe Willy-Wähler. Das Programm war herzlich egal, außer 12 Euro Mindestlohn steht da auch nicht viel drin.

    Tatsächlich vollzogen sich Aufstiege und Abstiege der Kandidaten Baerbock, Laschet und Scholz im synchronen Zusammenspiel wie kommunizierende Röhren. Die Veränderung von Scholz‘ Persönlichkeitswerten seit den Sommermonaten ist nicht ohne das Verhalten der Konkurrenten erklärlich. Das ist übrigens ein Unterschied zu den Nicht-Kandidaten Söder und Habeck. Die SPD hat gewonnen, weil sie Last Man Standing spielte.

    Oder die Schröder-Nummer. Schon der Niedersachse wusste: Niemand ist in diesem Land so käuflich wie die Alten. 1998 gewann Schröder mit dem Swing bei den über 55jährigen deutlich die Bundestagswahl. Er versprach etwas Absurdes, gegen alle Ökonomie: die Abschaffung des gerade eingeführten demographischen Faktors in der Rentenversicherung, welcher die Alten an den Folgen des Schwundes der Erwerbsbevölkerung beteiligt hätte. Scholz führte die Debatte, die er schon als Arbeitsminister so erfolgreich initiiert hatte, 2021 fort. Gegen jede wirtschaftliche Vernunft versprach er im Wahlkampf das scheinbar Unmögliche: das Rentenniveau wird nicht weiter sinken, die Beiträge nicht weiter steigen und niemand braucht länger zu arbeiten. Ohne den Schub der Alten hätte die SPD nicht vor der Union gelegen. Alte sind käuflich.

    Social Media wird total überschätzt, sonst hätte die AfD Wahlsieger sein müssen. Das haben viele führende Politiker längst begriffen. Wenn die Wählerschaft mehrheitlich über 50 ist, dann nutzen Kampagnen auf Twitter und Facebook wenig.

    Mit Schmidt, Schröder und Scholz haben Politiker des rechten Flügels der SPD Bundestagswahlen gewonnen. Die Partei steht da, wo sie 1998 schon einmal stand, allerdings ein ganzes Stück weiter zerzaust. Der Kandidat an der Spitze überstrahlt die Mittelmäßigkeit (O-Ton Gerhard Schröder) der Funktionärsschicht. Scholz, so die Meinung von SPIEGEL und Handelsblatt übereinstimmend, steht vor seiner eigenen Agenda-Reform. Ob die mit diesem Haufen aus versprengten Alt-68ern und lebensunerfahrenen Jusos zu machen ist, steht auf einem anderen Blatt.

    Das Problem der neuen Fraktion ist nicht, dass in ihr so viele Ex-Jusos vertreten sind. Viele spätere Partei-Konservative waren mal rabiate Enteignungsfetischisten. Das Problem ist, das ein Viertel der Fraktion aus Nachwuchspolitikern besteht, die gerade frisch von der Uni kommen und viele nicht einmal ihr Studium beendet haben. Es ist ein politischer Witz, dass solche Grünschnäbel hart arbeitenden, im Leben stehenden Bürgern erklären wollen, wie die Welt funktioniert.

    • CitizenK 4. Oktober 2021, 17:02

      Zur Erinnerung: Die gewaltigen Probleme, vor denen wir stehen, wurden nicht von den Grünschnäbeln verursacht, sondern von den „im Leben stehenden Bürgern“.

      Wenn die Politik die eigene Klientel bedient, dann reagiert sie auf die berechtigten Erwartungen der Wähler – im anderen Fall sind diese „käuflich“?

      • Stefan Sasse 4. Oktober 2021, 17:25

        Lass den alten Mann die Wolken anschreien.

      • Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 17:26

        Auf Eigentor-Tour? Da habe ich was für Sie:
        https://www.sportschau.de/fussball/bundesliga2/spielbericht-zweite-liga-fc-erzgebirge-aue-hamburger-sv-100.html

        Zwei Fragen zu Beginn:
        1. Kennen Sie eine Generation, die eine völlig problemlose Welt hinterlassen hätte?
        2. Gehen Sie mit, dass professionelles Arbeiten mit (fertiger) Ausbildung und Erfahrung einhergeht?

        Zur Erinnerung: Die Generation, die ihre gesamte Altersvorsorge in zwei Weltkriegen zerschossen hat, nötigte die nachfolgenden Generationen, sie dennoch schadlos zu halten. Das Leben ist manchmal ungerecht.

        Die SPD schickt sich an, die Probleme lösen zu wollen, die sie in den Regierungsjahren seit 1998 verursacht hat. Ein origineller Ansatz, die Union meint das von sich auch.

        Bekanntlich startete ich meine Karriere in der Wirtschaftsprüfung (nicht bei Ernst & Young), wo ich schon als Praktikant gearbeitet hatte. Das war schon ein seltsames Geschäft, als 26jähriger Grünschnabel 50, 60jährigen erzählen zu wollen, wie richtig bilanziert wird. Als ich später die Seiten wechselte, wusste ich zumindest, wie man mit den Prüfern ordentlich Schlitten fährt.

        Immerhin erreichte ich bei der AEG, damals publizitätspflichtig innerhalb des Daimler-Konzerns an der New Yorker Börse Wallstreet, ein eingeschränktes Testat. Der Grünschnabel killte damit zwei Geschäftsführer. Allerdings basierte mein Erfolg auf ein paar Jahren Berufserfahrung und einem abgeschlossenen Fachstudium. Mit 20 Semestern Politologie wäre das etwas schwieriger gewesen.

        Wenn allerdings Ahnungslose und Lebensunerfahrene Macht über andere Menschen bekommen, wird’s gefährlich. Angeblich ist ja der derzeitige Fraktionsvorsitzende Mützenich als Bundestagspräsident im Gespräch. Einer der letzten, der die Fraktion führen könnte, verließe damit das Schiff. Keine guten Aussichten.

    • Stefan Sasse 4. Oktober 2021, 17:24

      Lol, zu meinen Aufgaben zählt, was auch immer ich zu meinen Aufgaben mache. Das ist hier mein Hobby, nicht mein Beruf. Und „ich mag das nicht“ und „trifft nicht zu“ sind zwei Paar Stiefel.

      Wie oft soll ich denn noch schreiben, dass die SPD-Strategie und Scholz voll aufging? Dieser Artikel sollte explizit Sachen abdecken, die ich noch NICHT geschrieben habe. Ein bisschen wie auf Netflix: Kenntnis der vorangegangenen Episoden wird vorausgesetzt.

      Klar wird Social Media gerne überschätzt, aber diesen Wahlkampf hatte ich eher das Gefühl, es wurde UNTERschätzt. Wie die meisten Wahlkampfmaßnahmen bewegt es maximal ein, zwei Prozent, aber wie wir gesehen haben, können die entscheidend sind.

      • Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 17:38

        Die heutige SPD ist nur Scholz. SPD minus Scholz sind 14%.

        Die Sozialdemokraten haben ihre Probleme nicht gelöst, im Gegenteil. Sie jagen einer Wählerschicht nach, die es nicht mehr gibt. Hat nur niemand den Kühnert, Esken und sonstigen gesichtslosen Sozialdemokraten gesagt.

        Die Arbeiter gibt es demoskopisch praktisch nicht. Für die Beschäftigten bei den Großkonzernen, bei SAP, Siemens macht die SPD kein Politikangebot, genauso wenig den jungen Erzieherinnen, den vielen in Handwerksberufen, den Enthusiasten, die sich in Berlin, Leipzig, München und Frankfurt in die Start-up-Szene ziehen lassen. Das sind Millionen Wähler, die nicht automatisch Grüne wählen. Noch eher FDP. Nicht zufällig kommen die Liberalen in der größten Start-up-Metropole Europas auf Ergebnisse, die sie Jahrzehnte nicht mehr in der Hauptstadt erzielen konnte.

        Von der Sozialisation her eigentlich SPD-Wähler. Nur hat die Sozialdemokratie den Wandel verschlafen.

        • sol1 4. Oktober 2021, 19:06

          „Nicht zufällig kommen die Liberalen in der größten Start-up-Metropole Europas auf Ergebnisse, die sie Jahrzehnte nicht mehr in der Hauptstadt erzielen konnte.“

          Bundestagswahl in Berlin 2009: FDP 11,5 %

          Bundestagswahl in Berlin 2021: FDP 9,1 %

          • Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 19:42

            Der Unterschied zwischen Bundestagswahlen und Wahlen zum Abgeordnetenhaus sind Ihnen nicht so geläufig? So erreichte die FDP 2011 grandiose 1,8%.

            • sol1 4. Oktober 2021, 20:37

              „…Wahlen zum Abgeordnetenhaus…“

              Welche Relevanz haben die für eine Diskussion des Bundestagswahlergebnisses?

              • Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 20:55

                Interessiert Sie, was ich meine oder wie Sie mich am besten beschimpfen können.

                Ende der Debatte.

                • sol1 4. Oktober 2021, 21:39

                  „…oder wie Sie mich am besten beschimpfen können. “

                  Wo war hier eine Beschimpfung?

        • Stefan Sasse 4. Oktober 2021, 19:07

          Ich kann mich erinnern, genau das vor Wochen geschrieben zu haben, woraufhin du im Brustton der Überzeugung verkündet hast, dass die SPD in Wirklichkeit ein trojanisches Pferd von Esken und Kühnert ist, die Scholz nur als Front benutzen.

          • Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 19:44

            Du kannst Dich anscheinend nur an Deine Aussage erinnern. Das ist halbes Erinnerungsvermögen. Ich setze solche Aussagen bestenfalls in den Konjunktiv. Gleichzeitig habe ich es für möglich gehalten, dass die Seeheimer mit einem Wahlsieg Scholz‘ eine Renaissance erleben.

  • Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 15:24

    Union
    Die Fehlanalyse beginnt mit der falschen Wertung der Wahlen zum Parteivorsitz 2018 und 2021. Die CDU besteht heute nicht aus zwei, sondern aus drei Fraktionen. Deswegen gelang es weder AKK noch Armin Laschet im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit zu erreichen. Die Ergebnisse für die unterschiedlichen Kandidaten wiesen genügend Gemeinsamkeiten auf, um diese politisch werten zu können.

    Da ist zum einen das Lager der Merkelianer, fälschlicherweise als „Modernisierer“ bezeichnet werden. Tatsächlich sind sie Verwalter, die Truppen um Peter Altmaier, Wolfgang Bouffier, Gröhe, Volker Kauder und jenen, die sich in Merkels Küchenkabinett tummelten. Sie scheiterten zweimal beim Versuch, das Erbe der ewigen Kanzlerin in die Neuzeit zu überführen.

    Die stärkste Fraktion bilden die Konservativ-Liberalen, deren Gallionsfigur noch Friedrich Merz heißt. Aber auch sie waren nicht fähig, eine Mehrheit in der Partei zu erreichen. Das sind Leute, die die Merkel-Ära als Irrtum der Geschichte begreifen. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass sie in der Lage sein werden, Truppen zu gewinnen und die Partei zukünftig (allein) anzuführen. Nicht ohne Grund wird seit längerem der Chef der Mittelstandsvereinigung, dem größten Zusammenschluss im Bundestag, Carsten Linnemann, Chancen eingeräumt, zur Führungspersönlichkeit in der Partei aufzusteigen. Er hat sich aus den Intrigenspielen der Vergangenheit weitgehend herausgehalten.

    Damit ist er anschlussfähig an das Lager, das das Zünglein an der Waage spielt. Diejenigen, die die Partei neu aufstellen wollen, scharen sich eher um Norbert Röttgen. Sie wollen keinen Bruch mit der Merkel-Zeit, aber etwas Neues. Wie es heißt, soll der CSU-Chef Söder sowohl Linnemann als auch Röttgen zugeneigt sein. Das könnte entscheidend sein, schließlich hat die bayrische Schwester ein Vetorecht in der Fraktion und ist gestärkt aus der Wahl hervorgegangen.

    Die Union wird Mittel finden müssen, die AfD zu dezimieren. Wenn ihr das nicht gelingt, wird sie im Osten keine entscheidende Rolle mehr spielen können und auf Bundesebene Schwierigkeiten haben, Mehrheiten zu bilden.

    Baerbock eine erfolgreiche Wahlkämpferin? Was für ein Witz. Die Grünen-Vorsitzende blieb mit 14,8% unter jedem gesteckten Ziel, selbst die als Untermarke ausgegebenen 15% wurden gerissen.

    Hans Georg Maaßen und der AfD-Kandidat erreichten über 50% der Stimmen. Davon zu philosophieren, man könne den Aufstieg der Rechtspopulisten durch grüne Politik (oder nur Merkel 2.0) verhindern, ist irrwitzig.

    Es ist darüber hinaus immer mehr irritierend, dass viele im linken Spektrum mehr zu einer Ständerepublik wollen. Seit wann sind mehr Frauen als Männer eine bessere Kombination als mehr Männer als Frauen? Die Grünen führten mit ihrer Frauendominanz einen desaströsen Wahlkampf, der von einer Lernenden an der Spitze verantwortet wurde statt von einem Politprofi.
    Omid Nouripour
    Wie wenig die Sprüche der Grünen von Diversity gelten, lässt sich an der Zusammenstellung der Sondierungsteams ablesen. Und wieder war es die maga-peinliche Kartin Göring-Eckardt, die nach Festlegung des Personenkreises wie im Kindergarten herumfragte, ob jemand einen Migrationshintergrund habe. Hatte keiner, denn die eigentlich erfolgreichen Politiker mit Migrationshintergrund, Cem Özdemir und Omid Nouripour, wurden ausgespart. Erfolg ist in der Partei Annalena Baerbocks verpönt. Stattdessen wurde die unvermeidliche Claudia Roth nominiert, die kaum als Fachpolitikerin durchgeht.

    Es ist wie bei der SPD: kaum ist der Wahlkampf vorbei, kriechen die Bürgerschrecke wieder hervor. Statt 40%-Direktkandidat Cem Özdemir 8%-Grüne Roth.

    • sol1 4. Oktober 2021, 19:20

      „Hans Georg Maaßen und der AfD-Kandidat erreichten über 50% der Stimmen.“

      Tomaten auf den Augen? Die beiden kamen zusammen auf 43,5 %.

      Noch relevanter ist der Absturz der CDU bei den Zweitstimmen von 13,8 %, während die SPD dort um 11,5 % zulegte und die AfD den bundesweit größten Zuwachs um 3,4 % erzielte.

      Die Taktik von HGM ist katastrophalmöglichst gescheitert.

      „Wie wenig die Sprüche der Grünen von Diversity gelten, lässt sich an der Zusammenstellung der Sondierungsteams ablesen. Und wieder war es die maga-peinliche Kartin Göring-Eckardt, die nach Festlegung des Personenkreises wie im Kindergarten herumfragte, ob jemand einen Migrationshintergrund habe. Hatte keiner, denn die eigentlich erfolgreichen Politiker mit Migrationshintergrund, Cem Özdemir und Omid Nouripour, wurden ausgespart. Erfolg ist in der Partei Annalena Baerbocks verpönt. Stattdessen wurde die unvermeidliche Claudia Roth nominiert, die kaum als Fachpolitikerin durchgeht.“

      Den Quatsch habe ich heute fast wortwörtlich anderswo gelesen, weswegen ich annehmen muß, daß du ihn dort abgepinselt hast:

      https://taz.de/Gruenes-Sondierungsteam/!5804961/

      Dabei reichen rudimentäre Politikkenntnise, um die Zusammensetzung des grünen Sondierungsteams zu erklären. Partei- und Fraktionsspitze stellen je drei Mitglieder, hinzu kommen als weiteres Mitglied des Parteivorstands die frauenpolitische Sprecherin Ricarda Lang, Winfried Kretschmann als einziger grüner Ministerpräsident, Claudia Roth, die wohl die meiste Erfahrung in Koalitionsverhandlungen von den Bundespolitikern hat, und Finanzpolitiker Sven Giegold aus dem Europaparlament, was darauf hindeutet, wo man bei den Grünen die größten Knackpunkte sieht.

      • sol1 4. Oktober 2021, 19:25

        „Statt 40%-Direktkandidat Cem Özdemir 8%-Grüne Roth.“

        Auch das ist Quatsch.

        Claudia Roth hatte in ihrem Wahlkreis 20,6 % der Erststimmen, was, soweit ich sehe, das sechstbeste Ergebnis in Bayern ist.

        • Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 20:04

          Mit 8%-Grüne Roth meinte ich, dass die Bundestags-Vize für die Partei steht, die bei den letzten Wahlen zuverlässig in dem Bereich endete. Sie ist keine Politikerin für die große Masse, eher abschreckend.

          • sol1 4. Oktober 2021, 20:22

            „… dass die Bundestags-Vize für die Partei steht, die bei den letzten Wahlen zuverlässig in dem Bereich endete…“

            Wie z. B. auch…

            …Cem Özdemir 2017?

            „Sie ist keine Politikerin für die große Masse, eher abschreckend.“

            Das ist ja nun wirklich nicht das Kriterium, mit dem man Sondierungsteams zusammenstellt.

            • Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 21:09

              Cem Özdemir war 2017 (und danach) der viertbeliebteste Politiker laut ZDF-Politbarometer. Claudia Roth hat es nie in solche Sphären geschafft.

              Darüber hinaus habe ich ein altmodisches demokratisches Verständnis. Macht sollten nur jene Politiker ausüben dürfen, die ein irgendwie direktes Mandat haben. Bevor der Einwand kommt: Der Bundeskanzler ist direkt von der Repräsentanz des Bürgers gewählt. Das lasse ich zählen. Unmöglich finde ich es, wenn Politiker sich im Wahlkampf dünne machen, weil sie die Chancen ihrer Partei nicht beschädigen wollen (die Bürger also eher eine ablehnende Einstellung zu dem Politiker haben), und nach gewonnener Wahl durch den populären Vormann wieder hervorkriechen.

              Cem Özdemir wie Omid Nouripour waren in den Medien stark präsent. Sie standen auch dann für die Grünen, als die Partei ob zahlreicher Fehltritte in schweres Fahrwasser geriet. Roth habe ich nirgends gesehen.

              Bei der FDP sind meines Durchzählens nach (fast) ausschließlich Politiker im Sondierungsteam, die sich in den letzten Wochen in die Debatten geworfen haben. Sondierungen sind darauf gerichtet, den vermuteten Volkswillen zu einer Regierung zu verhelfen. Zumindest wenn ich (so wie ich) politisch interessiert bin, möchte ich mir vor der Wahl ein Bild von den Protagonisten machen, die nach der Wahl Vereinbarungen und Regierungen verhandeln.

              Ich wäre genauso irritiert, würde die FDP jetzt einen Herrn X und die Union eine Frau Y nach vorne schieben, die für ihre Partei sprechen sollen.

              • sol1 4. Oktober 2021, 21:38

                „Bei der FDP sind meines Durchzählens nach (fast) ausschließlich Politiker im Sondierungsteam, die sich in den letzten Wochen in die Debatten geworfen haben.“

                Ach was!

                Das FDP-Sondierungsteam rekrutiert sich schlichtweg aus dem Präsidium (abzüglich Wolfgang Kubicki, der krankheitsbedingt fehlt).

                In welche Debatten sollten sich auch Harald Christ, Bettina Stark-Watzinger und Moritz Körner geworfen haben?

                • Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 23:15

                  Harald Christ ist von der SPD zur FDP gewechselt. Stimmt, von ihm habe ich wie von den anderen beiden vernommen.

                  Nur, es geht ja um etwas anderes. Saskia Esken ist qua Amt die wichtigste Person in der SPD. Von allen Parteivorsitzenden – die der extremistischen Parteien einbezogen – fand sie im Wahlkampf am wenigsten statt. Das hat Gründe und die Gründe sind thematisiert worden.

                  Auf der anderen Seite betonen die Grünen, wie wichtig ihnen Quoten sind. Und sie betonen, wie wichtig es sei, gerade Mitbürger mit Migrationshintergrund einzubeziehen. Dann ist erstaunlich, dass prominent im Wahlkampf vertretene Repräsentanten – das sind ja keine Lokalcolorit-Größen – vom engeren Zirkel ausgeschlossen sind, aber eine Politikerin berücksichtigt wird, die in der aktiven Politik lange nicht mehr stattgefunden hat – und nicht gerade hochpopulär ist. Können die Grünen natürlich machen – aber warum diskutieren sie dann intern überhaupt über Inklusionsquoten?

                  Stefan hat im Artikel an die Union den Vorwurf gemacht:
                  Das größte Problem aber ist die Partei selbst. Der Frauen- und Migrant*innenanteil ist erbärmlich.

                  Das ist völlig daneben. Als erstes messe ich eine Person / Organisation / Partei an den Maßstäben, die sie sich selbst gibt. Die Grünen, siehe oben.

                  Und ich frage mich, was es mit Frauenförderung zu tun hat, wenn die Grünen knapp 60% Frauen in den Bundestag schicken, obwohl nur 40% der Mitglieder weiblichen Geschlechts sind. Wenn wir davon überzeugt sind, dass Fähigkeiten und Können zwischen den Geschlechtern grob gleich verteilt sind, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Grünen überproportional viele Geringqualifizierte ins Parlament geschickt haben zugunsten der Ideologie. Das halte ich für erbärmlich. Das Gleiche gilt übrigens für die Linkspartei.

                  Der Anteil der weiblichen Abgeordneten in der Unionsfraktion ist spürbar geringer als in der Mitgliederschaft. Das hätte ich als Argument akzeptieren können. Die FDP dagegen hat mehr Frauen im Parlament, als es ihrer innerparteilichen Vertretung entspricht. Wo ist da der Vorwurf?

                  Man sollte mit solch einer Wortwahl wirklich vorsichtiger umgehen. Unternehmen sind da ehrlicher. Sie tun sich ernsthaft schwer, den Frauenanteil in der Führung deutlich auszuweiten, weil Qualifikation nicht beliebig verfügbar ist. Ideologisch operierende Parteien finden Qualifikation offensichtlich viel zu hoch gehängt.

                  • sol1 4. Oktober 2021, 23:58

                    „Stimmt, von ihm habe ich wie von den anderen beiden vernommen.“

                    Weil du der FDP nahestehst (ebenso wie mir die Namen des Sondierungsteams meiner Partei vertraut sind). Otto Normalwähler wird von ihnen im Wahlkampf nichts mitbekommen haben, aber das ist ja nicht ein relevantes Kriterium für die Teilnahme an Koalitionsverhandlungen.

                    Jedenfalls genügt ein kurzer Blick auf die beiden Teams von FDP und Grüne, um zu erkennen, daß sie nach ähnlichen Kriterien zusammengestellt wurden, und das ist ein positives Zeichen.

                    Die Frage, warum Cem Özdemir nicht dabei ist, ist dagegen so irrelevant, daß sie besser in Klatschmagazinen wie dem von Steingart aufgehoben ist.

                    „Nur, es geht ja um etwas anderes. Saskia Esken ist qua Amt die wichtigste Person in der SPD.“

                    Was hat die jetzt mit der Zusammensetzung der Sondierungsteams von FDP und Grünen zu tun?

                    • Stefan Sasse 5. Oktober 2021, 06:42

                      Nichts. Aber kein Kommentar zur SPD ohne Holzen gegen Esken, erste Pietsch-Regel.

              • Stefan Sasse 5. Oktober 2021, 06:39

                Ich bin völlig irritiert wegen dieser Konzentration auf Roth. Die spielt doch überhaupt keine Rolle…?

      • Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 20:02

        Stimmt, nicht nachgeschaut, sondern aus dem Gedächtnis geschrieben. Bleibt aber dabei, dass rechtskonservative bis rechtsextremistische Kandidaten insgesamt das Gros abräumten. So einfach ist es nicht.

        Ich lese nicht die taz.

        Seltsamerweise sind die Geschlechter, Moderate und Linke, im Gleichgewicht. Reiner Zufall natürlich. Nicht im Gleichgewicht ist die Relation zu den Politikern mit Migrationshintergrund. Und man kann annehmen, dass Cem Özdemir nicht nur ein beliebterer Politiker, sondern vor allem ein moderaterer als Claudia Roth ist. Im Gegensatz zur schrillen Grünen-Ikone ist er zu allen Parteien vernetzt. Und Roth eine gute Verhandlerin? Nun ja.

        Natürlich gibt es für alle Mitglieder Begründungen. Wäre ja auch seltsam wenn nicht. Gilt übrigens für die anderen Parteien genauso. Nur, die Grünen haben sich eben die Quoten auf die Fahnen geschrieben. Und die Kritik ist ja nicht neu, zu Beginn des Wahlkampfs wurde ein Foto gerügt, wo eben auch die Geschlechter schön austariert waren. Die Herkunft nicht. Die Grünen gelobten Besserung. Irgendwann 2050.

        Übrigens erreichte Claudia Roth mit 20,6% gerade das Ergebnis ihrer Partei (19%). Zum Vergleich: Özdemir schaffte 40%, seine Partei aber nur 28%. Auch Omid Nouripour schnitt fast 5% über dem Parteiergebnis ab. Das finde ich dann doch beeindruckender.

        • sol1 4. Oktober 2021, 20:28

          „Ich lese nicht die taz.“

          Aber vielleicht die WELT, wo der sonst von mir eigentlich geschätzte Deniz Yücel denselben Quark breittrat?

          https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus234118078/Sondierungsgespraeche-Gruene-Kartoffeln-vereint-gegen-Cem-Oezdemir.html

          „Im Gegensatz zur schrillen Grünen-Ikone ist er zu allen Parteien vernetzt.“

          Besser in andere Parteien vernetzt als auf dem Posten der Bundestagsvizepräsidentin kann man eigentlich nicht sein.

          „Natürlich gibt es für alle Mitglieder Begründungen.“

          Und wenn man mal eine Minute darüber nachdenkt, sind sie einleuchtender als der Boulevardquatsch von Mertens und Yücel.

          • Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 20:58

            Kann sein, hätte aber auch Steingarts Morning Briefing sein können. War kein origineller Gedanke von mir, aber das gilt hier meistenteils.

    • Erwin Gabriel 4. Oktober 2021, 20:40

      @ Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 15:24

      Die CDU besteht heute nicht aus zwei, sondern aus drei Fraktionen.
      Wenn das reicht …

      Tatsächlich sind sie Verwalter, die Truppen um Peter Altmaier, Wolfgang Bouffier, Gröhe, Volker Kauder und jenen, die sich in Merkels Küchenkabinett tummelten.

      Die stärkste Fraktion bilden die Konservativ-Liberalen, deren Gallionsfigur noch Friedrich Merz heißt. Aber auch sie waren nicht fähig, eine Mehrheit in der Partei zu erreichen.

      Zustimmung. Einseitig funktioniert die CDU halt nicht.
      Zustimmung auch zur Einschätzung von Frau Roth und Herrn Özdemir.

      • Stefan Pietsch 4. Oktober 2021, 20:59

        Die Fraktionen zeigten sich bei den Wahlen zum Parteivorsitz. Ich fand das spannend. Anscheinend hat es aber nicht jeder bemerkt…

  • Erwin Gabriel 4. Oktober 2021, 20:29

    @ Stefan Sasse on 4. Oktober 2021

    Zur SPD halte ich mich mal zurück. Zur Union ein paar Bemerkungen:

    Da sind einerseits die Modernisierer, die gerade einen Verteidigungskampf bestreiten, aber der Überzeugung sind, dass die Zukunft der CDU nur darin bestehen kann, diesen Kurs fortzusetzen …
    Da sind andererseits die Konservativen, die das Grundübel der CDU als eine Abkehr von ihren Wurzeln und einer ideologischen Entkernung sehen und der Überzeugung sind, dass nur ein Rechtsruck die „verlorenen Stammwähler“ (Merz) wieder zurückholen könnte …

    Diese „entweder – oder“-Sichtweise ist natürlich falsch. Das mögen die extremen Gegenpole innerhalb der Union sein, aber diese Extreme bilden bei weitem nicht die gesamte Partei ab. Weißt Du aber selbst, wenn Du ein bisschen darüber nachdenkst.

    Dass Letztere falsch liegen steht eigentlich außer Frage.
    Warum?

    Der Politikwissenschaftler Constatin Wurthmann schreibt zutreffend, dass die Vorstellung, die CDU müsse sich nach rechts profilieren, sämtliche Erkenntnisse der Wissenschaft ignoriert.

    Auch hier wieder: Schmerzen beim Lesen deiner Interpretation. Die Stärke von CDU und SPD war in früheren Jahrzehnten stets, die Flügel einzubinden. Bei der SPD wurde irgendwann der konservative Flügen von der CDU geschluckt, der progressive wanderte erst zur Linken und dann zu den Grünen ab. Bei der CDU war es ein wenig anders, da hat Angela Merkel ihre Flügel aktiv aus dem Haus getrieben.

    Die Frage darf also nicht lauten: „Muss die CDU nach links ODER nach rechts rücken?“, sondern „Wie kann die Union eine Politik der Mitte finden, die weder rechts noch links ausgrenzt?“; im Moment grenzt die CDU links UND rechts aus.

    Ich wünsche ihr jedenfalls viel interne Streits und Konflikte, verschlissene Parteivorsitzende und verlorene Wahlen. Sie hat es sich redlich verdient.

    Da kann ich nicht widersprechen.

    Vielleicht hätte Markus Söder besser abgeschnitten, aber seine charakterlichen Probleme erlaubten theoretisch einen radikalen Umschwung in der Wählendengunst, der ihn am Ende auf dasselbe Niveau gebracht hätte.

    Oh Mann, wie kann man nur solch ein Zeug schreiben. Klar ist Markus Söder ein Egomane, dessen fehlende Charakterstärke Flexibilität ein zweischneidiges Schwert sein kann. Aber zwei, drei Prozentpunkte mehr für die Union, und ein, zwei Prozentpunkte weniger für die SPD, und wir hätten eine ganz andere Diskussion zur Regierungsbildung.

    23%. Der #Frauenanteil von @cducsubt im neuen Bundestag ist blamabel! Trans*? Fehlanzeige. Liebe Parteifreunde, #Diversität hat ja super auch ohne #Quote geklappt!

    Die Verweigerung der CDU, die gesellschaftliche Modernisierung nachzuvollziehen und sich endlich eine Quote zu geben, ist nur ein Teil des Problems, aber es ist symptomatisch.

    Au weia, das verbuche ich mal als typisch linkes Statement. Für mich ist das Ergebnis ein Super-Beleg dafür, dass wir keine Frauen-/Divers-etc.-Quote brauchen. So haben die Grünen und Linken nicht nur einen höheren Frauenanteil (der bei 50:50-Quote ja heruntergebuchst werden müsste), sondern man sieht auch, wie die Parteien sich aufgestellt haben. Das ist ein doch ein offensichtliches Ergebnis, das Politik widerspiegelt, ein klares Unterscheidungskriterium zwischen bzw. Argument für bestimmte Parteien (nicht, dass ich mich besser fühlen würde, wenn mich statt eines Mannes eine Frau an die Wand regiert oder umgekehrt).

    Aber das ist nicht der Fall; die Wählenden verorten die Partei deutlich rechts.

    Wenn man von den extremen Ausschlägen der AfD in Richtung Ausländerfeindlichkeit absieht, steht die AfD bei vielen Themen politisch der CDU Helmut Kohls sehr nahe. Die heutige CDU unter diesen Umständen als „rechts“ zu verorten, ist für mich ein Beleg dafür, von welcher Seite die Diskussion geführt wird.

    Deswegen verlangt kein potenzieller Nachfolger (und natürlich sind es alles Männer) derzeit den Rücktritt Laschets.

    Was daran nur „natürlich“ sein mag, schließlich war es Angela Merkel, die Helmut Kohl den Todesstoß versetzte. Aber vielleicht zielst Du ja nur auf die geringe Frauenquote der CDU ab?

    Zu Friedrich Merz (aus dem verlinkten Artikel):
    Die Union hat das thematische Arbeiten verlernt. Das gilt für ihre inhaltliche Ausrichtung wie auch für ihre Präsenz bei den Themen und den Menschen.“

    „Ich habe mich zweimal um den Parteivorsitz beworben, jeweils mit Unterstützung einer überwältigenden Mehrheit der CDU-Mitglieder, die auch weiterhin ungebrochen ist. Trotzdem hat der Parteitag zweimal anders entschieden“

    Nun ja, da hat er (losgelöst von der Frage, wie klug es ist, immer rauszuholzen) einfach Recht. Wenn ich Olaf Scholz als Kandidaten will, und die SPD Saskia Eskens ins Rennen schickt, bin ich als Wähler draußen.

    Und noch einmal: Es geht/ging nicht darum, die ganze Union auf einen Rechtskurs zu führen, sondern ein Angebot zu machen, dass die Konservativen nicht ausgrenzt.

    Wie auch immer, Deine Betrachtung leidet meiner Einschätzung nach unter Deinen Vorstellungen. Die Situation ist bei weitem nicht so schwarzweiß, wie Du sie zeichnest.

    • Stefan Sasse 5. Oktober 2021, 06:38

      Klar, dass es mehr als die zwei Pole gibt. Auch in der SPD gibt es mehr Pole als Parteilinke und Seeheimer, und trotzdem wird das entlang dieser Linien diskutiert. Es sind nützliche Verkürzungen. Dass sie die Realität stark vereinfachen, steht außer Frage. Da brauch ich nicht mal viel nachzudenken, um da drauf zu kommen 😉 Aber wenn ich je irgendeinen Artikel abschließen will muss ich zwangsläufig vereinfachen.

      Die Anmerkung zur Quote verstehe ich nicht.

      Deine Aussage zu „Die AfD ist wie die CDU Kohls“ ist ein weiterer Beleg für meine These, dass die CDU gerade denselben Prozess wie die SPD durchmacht. Was haben wir die letzten 15 Jahre gehört und geschrieben, dass die LINKE doch nur die Positionen der 1980er Jahre SPD vertritt?

      In der CDU gibt es gerade einen backlash gegen weibliche Führungsfiguren, darauf zielte ich ab.

      Wie gesagt, die Situation ist nicht schwarzweiß, aber ich dachte eigentlich, das hinreichend klar gemacht zu haben. Es ist vieles offen. Ich zeichne Szenarien. Und erneut: ich kann nicht alles abdecken, weil der Artikel dann nie enden würde.

      • Erwin Gabriel 5. Oktober 2021, 14:28

        @ Stefan Sasse 5. Oktober 2021, 06:38

        Klar, dass es mehr als die zwei Pole gibt.

        Ja – modernisieren / nach rechts / weiter so.

        Und „weiter so“ ist keine kleine Fraktion, deswegen fand ich Deine Darstellung „unvollständig“.

        Die Anmerkung zur Quote verstehe ich nicht.

        Du sagtest sinngemäß „natürlich alles Männer“. Wenn Du damit auf typisch männliches Chauvi-Getue abheben wolltest, war mein Hinweis, dass das so typisch männlich nicht sei, wo doch beispielsweise Angela Merkel ihren Förderer Helmut Kohl abserviert hatte.

        Aber (Ironie an) wolltest Du mit Deiner „natürlich“-Aussage nur darauf abzielen, dass es in der Union so viele Männer und so wenig Frauen gibt, dass „natürlich“ Männer sich äußern, weil keine / zu wenige Frauen da sind, sich zu äußern (Ironie aus).

        In der CDU gibt es gerade einen Backlash gegen weibliche Führungsfiguren, darauf zielte ich ab.

        Nach 16 Jahren Merkel kein Wunder bzw. hoch verständlich. Irgendwie gab es nach Helmut Kohl auch einen Backlash gegen Männer, und man holte eine Frau. 🙂

  • cimourdain 4. Oktober 2021, 23:15

    Ein paar Fragen / anmerkungen habe ich auch:

    1) SPD/Scholz, hast du sicher, recht, dass einer der stärksten Erfolgsgründe war, dass es Veränderungen gibt, ohne dass es Belastungen für ‚die kleinen Leute‘ gibt. Angesicht einer Koalition mit FDP und Grünen (‚Besserverdienendenparteien‘) sowie der Verteilungskämpfe (Wer soll für die Coronakosten zahlen?) ist das zweifelhaft. Und dann wird aus der Traumkonstellation schnell eine neue Strophe des Liedes „Wer hat uns verraten“

    2) „Wahlkampf“ wichtig ist in meinen Augen, welche Themen in dem Wahlkampf überhaupt stark öffentlich diskutiert wurden. Da fällt ein starkes Mißverhältnis zwischen den skandalisierten „Affären“ (Lebenslauf, Grinsebild) und den stillschweigend beerdigten Skandalen um Korruption, Lobbyismus und Nepotismus ( Azerbeijan-Connection, Warburg-Bank, Maskenaffäre). Es wirkt fast als hätte es da einen ‚Burgfrieden‘ zwischen den Groko-Parteien und den Leitmedien gegeben, um „den Volkszorn zu demobilisieren“. Das gilt auch für das allseitige Nichtnutzen von kontroversen Themen im Wahlkampf.

    3) Weil du das Thema Frauen- und Migrantenanteile bei Abgeordneten angesprochen hast: Hat jemand Zahlen, ob diese Anteile zwischen Direkt- und Listenkandidaten abweichen ? Das würde Aufschluss geben, ob das tatsächlich ein Wählerthema ist oder nur ein Funktionärsthema.

    • Stefan Sasse 5. Oktober 2021, 06:41

      1) Möglich, aber ich glaube, das Thema ist einfach durch. Ich habe nicht das Gefühl, dass da riesige Erwartungen bestehen, die enttäuscht werden könnten, und umgekehrt wird die SPD keine Agenda 2030 auflegen.

      2) Simpler und weniger sinister: die Affären sind einfach keine guten Stories.

      3) Leider nicht, wäre aber spannend.

    • Erwin Gabriel 9. Oktober 2021, 12:46

      @ cimourdain 4. Oktober 2021, 23:15

      Weil du das Thema Frauen- und Migrantenanteile bei Abgeordneten angesprochen hast: Hat jemand Zahlen, ob diese Anteile zwischen Direkt- und Listenkandidaten abweichen ? Das würde Aufschluss geben, ob das tatsächlich ein Wählerthema ist oder nur ein Funktionärsthema.

      Vorab: Sehr kluge Frage.

      Ich habe keinen Beleg, nur einen sehr begrenzten, sehr subjektiven Eindruck von den aushängenden Wahlplakaten, das sich Stadt/progressiv und Land/konservativ voneinander unterscheiden.

  • Stefan Sasse 5. Oktober 2021, 06:33
    • sol1 5. Oktober 2021, 12:39

      /// «Wer macht Armin Laschet klar, dass es vorbei ist?», fragte die «Süddeutsche Zeitung» schon am Tag nach der Wahl – und fing sogleich an mit dem Klarmachen. Was am meisten verstöre an dessen Verhalten, sei dessen «Mangel an Selbstachtung», ja die Nonchalance, mit der er sein Versagen zu kaschieren versuche. ///

      Der Artikel ging allerdings auch viral und nahm somit die später in der Woche eintrudelnden Umfragen vorweg:

      https://www.zdf.de/nachrichten/politik/politbarometer-ampel-koalition-scholz-kanzler-100.html

      • CitizenK 5. Oktober 2021, 13:07

        Ich möchte Laschet auch nicht als Kanzler, aber wie medial mit ihm umgegangen wird ist einfach unanständig. Auf Fotos nehme ich ihn nur noch als gehetzt und ängstlich-guckend wahr. Geht das nur mir so?

        • Stefan Pietsch 5. Oktober 2021, 13:40

          Ja. Und?

          Es ist ja nicht so, dass Laschet zu irgendetwas gezwungen worden wäre. Das wurde ihm vielleicht eingeredet. So behauptete Wolfgang Schäuble ihm gegenüber im Frühjahr, wenn er nicht kandidiere, wäre auch der Parteivorsitz weg. Was der große, alte weise Mann nicht sagte: im Falle einer Niederlage aufgrund so desaströser Umfragewerte wäre alles weg: nicht nur der Parteivorsitz, sondern auch der Ministerpräsidentenposten in NRW.

          Laschet hat sämtliche Ausstiegspunkte verpasst, anständig aus der Geschichte herauszukommen. Als im April alles auf Söder hindeutete, hätte er verzichten können. Sein einer Kontrahent um den Parteivorsitz, Norbert Röttgen, hatte das ja frühzeitig für sich angedeutet. Bis Sommer hatte er Zeit, sich die Sache anders zu überlegen, denn die These vom Wahlsieg fußte auch immer auf der Annahme, dass sich seine desaströsen Popularitätswerte erholen würden.

          Letzter Exitpunkt war der Wahlabend. Als kluger Politiker hätte er da schon erkennen müssen, wohin die Geschichte läuft und dass seine Zukunft in Ämtern vorbei war. Tat er nicht. Dann wird man halt als Verlierer und Kandidat, der viele CDU-Politiker das Mandat gekostet hat, filletiert.

          Ich denke nicht, dass Mitleid angebracht ist. Hatte er im Falle Kramp-Karrenbauers übrigens auch nicht.

        • Stefan Sasse 5. Oktober 2021, 14:34

          Ich finde es auch extrem unanständig. Die Fotos werden ja auch bewusst ausgewählt, um ihn schlecht aussehen zu lassen.

      • Stefan Sasse 5. Oktober 2021, 14:34

        Welcher? Der der SZ oder der NZZ?

        • sol1 5. Oktober 2021, 16:53

          Der von der SZ.

          Der von der NZZ ist ja von gestern, weswegen es auch keine „später in der Woche eintrudelnden Umfragen“ geben kann.

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