Im 20. Jahrhundert fanden zwei große Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik statt. Von der goldstandardbasierten Laissez-Faire-Politik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts führten der Bruch mit der Weltwirtschaftskrise, der Herausforderung durch totalitäre Regime und der Zweite Weltkrieg zur keynesianischen Globalsteuerung. Die Stagflationskrise der 1970er Jahre dann läutete das Ende dieser Epoche ein und machte den Weg für die neoliberale, monetaristische Revolution frei, die mit Reagan, Milton Friedman und dem Washington Consensus verbunden ist. Ich bin der Überzeugung, dass die 2020er Jahre das Potenzial für einen erneuten Paradigmenwechsel haben.
Doch bevor wir uns der Frage zuwenden können, warum das so ist, möchte ich die beiden vorhergehenden Paradigmenwechsel etwas genauer beleuchten. Ich glaube nämlich, dass beide zwei zentrale Zutaten besaßen, ohne die ein solcher Wechsel nicht möglich ist. Die erste Zutat ist eine Krise, die durchgreifende Reaktionen erzwingt, Unsicherheit schafft und alte Weisheiten in Frage stellt. Und das zweite ist eine Erschöpfung des aktuellen Mainstreams. Sehen wir uns das kurz an den beiden vergangenen Beispielen an.
Als die Weltwirtschaftskrise ab dem Herbst 1929 über den Globus fegte, reagierten die westlichen Staaten wie auf jede andere Krise auch: sie versuchten, den Wert ihrer Währung, der an den Goldpreis gekoppelt war, zu stützen, indem sie ein Austeritätsprogramm fuhren, und gleichzeitig durch interne Abwertung – sprich, deflationäre Politik und damit vor allem Lohnkürzungen – ihre internationale Wettbewerbsposition zu verbessern. Ob Hoover oder Brüning, diese Maßnahmen schufen unermessliches Leid.
Gleichzeitig kamen die totalitären Regime, vor allem die Sowjetunion und Italien, augenscheinlich wesentlich besser durch die Krise und dienten dem linken wie rechten Rand als Vorbild für eine andere Politik (das sowjetische Vorbild war besonders in Großbritannien und Frankreich heiß diskutiert, während Abgesandte aus Italien in den USA gewaltige Aufmerksamkeit erfuhren). Mit der „Machtergreifung“ 1933 reihte sich auch Deutschland in die Gruppe totalitärer Staaten, die besser als ihre demokratischen Nachbarn die Krise zu bewältigen schienen, ein.
Ich schreibe bewusst „schienen“ und „augenscheinlich“, denn die totalitären Regime waren tatsächlich nicht in der Lage, besser auf die Weltwirtschaftskrise zu reagieren. Die UdSSR war wirtschaftlich völlig isoliert und in ihrem mörderischen Aufholprozess durch forcierte Industrialisierung, der sie vom Weltmarkt völlig unabhängig machte, während Italien und Deutschland auf inflationäre Rüstung und Raubkrieg setzten, was, wie sich bald zeigte, keine sonderlich tragfähige Basis war.
Das Gegenmodell kam stattdessen ausgerechnet aus den USA und Großbritannien, den Mutterländern des Kapitalismus. Frankreich gelang ebenfalls eine vergleichsweise ordentliche Abwicklung der Krise, in dem Sinne, dass die Folgen weitgehend abgedämpft wurden, weil hier eine breite Koalition unter Einbeziehung der linken Kräfte Austeritätspolitik verhinderte; neues Wirtschaftswachstum geschaffen wurde hier aber auch nicht in nennenswertem Umfang. Es war die Entfesselung der Wirtschaft durch massive Nachfragepolitik, vor allem im Krieg, und der Wiederaufbau in Europa, der zu einer Stärkung der Arbeitnehmenden, einer Reduktion der Ungleichheit und einem beispiellosen Wirtschaftsaufschwung führte.
Ab den späten 1960er Jahren, endgültig jedoch in den 1970er Jahren, kam dieses Modell an sein Ende. Die Wachstumsraten betrugen „nur“ noch 3-5%, die Inflation allerdings kletterte gleichzeitig auf Raten zwischen 3-9%. Dieses Phänomen war weder mit der Neoklassik noch mit dem Keynesianismus erklärbar – Stagnation und Inflation, die man zusammen als „Stagflation“ bezeichnete, sollten eigentlich nicht zusammen auftreten, sondern nur entweder das eine oder das andere.
Auch die Antwort auf diese Krise kam aus den USA und Großbritannien, in Form der neoliberalen, angebotsorientierten Wirtschaftspolitik und der Geldtheorie des Monetarismus. Durch einen Zinsschock (nach dem damaligen Fed-Präsidenten in den USA „Volcker-Schock“ genannt) der Zentralbanken wurde quasi eine künstliche Rezession geschaffen, der bewusst in Kauf genommene Preis zur Reduzierung der Inflation. Seit den frühen 1980er Jahren sehen die Zentralbanken ihre Funktion hauptsächlich in der Niedrighaltung der Inflationsrate. Diese Aufgabe ist ihnen mit Bravour gelungen. Seit nunmehr 50 Jahren kennen die westlichen Industriestaaten praktisch keine relevante Inflation mehr.
Das war die Bedingung für den Aufstieg der Finanzmärkte, die die regulierende Funktion übernahmen, die in der keynesianischen Ära der Staat und vor der keynesianischen Ära bereits einmal die Finanzmärkte, damals über den Goldstandard, innegehabt hatten (mehr zu diesem Thema in meinem Artikel zur „ersten liberalen Weltordnung„). Für nun fast fünfzig Jahre hat dieser neue Konsens Bestand gehabt. Infragestellt wurde er erstmals während der verdrängten Dekade durch die Finanzkrise, doch die größte Erschütterung brachte nun Covid-19 mit sich.
Und damit sind wir in der Gegenwart angekommen. Wir haben zwei Paradigmenwechsel in der Vergangenheit, die massiv dadurch befeuert wurden, dass die bisher vorherrshende Lehre keine Antworten mehr geben konnte – gleich, was man von den neuen Antworten hielt. Ich bin sicher kein Fan von Monetarismus, Volcker, Neoliberalismus und Reagan, aber es ist schwer zu leugnen dass sie ein Rezept hatten, wo die Keynesianer hauptsächlich ein „weiter so, wird schon“ boten. Und wieder steht der herrschende Konsens vor einer Krise, und wieder kann er keine vernünftigen Antworten mehr geben. Um das zu verstehen, müssen wir über Inflation sprechen.
Die Inflation spielt deswegen so eine große Rolle, weil sie der umstrittenste und prominenteste Gegenstand des jeweiligen Paradigmenwechsels ist. Als die Regierungen in den 1930er Jahren eine nach der anderen den Goldstandard aufgaben, der Jahrzehnte als Garant für stabile Währungen (und stabile Volkswirtschaften) gegolten hatte, war das möglich, weil Inflation nicht mehr das zentrale Schreckgespenst war. Stattdessen lebte man in einer Deflationskrise, und der Goldstandard wurde (zu Recht) als Mühlstein um den Hals empfunden.
In den 1970er Jahren aber kehrte die Inflation zurück, wie beschrieben im Gefolge einer gleichzeitigen Stagnation. Bis dahin hatte die Regel gegolten, dass staatliche Wirtschaftspolitik Wachstum durch eine Ausweitung der Geldmenge anheizen und Inflation durch eine Eingrenzung der Geldmenge begrenzen könne – man wählte quasi zwischen Wachstum oder Inflation und suchte den goldenen Mittelweg. Diese scheinbare Gewissheit wurde durch die Stagflation zerstört, und die Monetaristen erhoben demgegenüber die Geldwertstabilität zum höchsten Gut. Die Verhinderung von Inflation, nicht die Herstellung von Vollbeschäftigung, war nunmehr das Gebot der Stunde.
Entsprechend wurde jede staatliche Ausgabenpolitik, gleich zu welchem Zweck – Krankenversicherung in den USA, Green New Deal, Infrastruktur, you name it – immer wenigstens kritisch, oft ablehnend beäugt, weil die Befürchtung im Raum stand, dass die Inflation zurückkehren könnte. Stattdessen galt die Selbstbeschränkung staatlicher Ausgabenpolitik, von Maastricht über die Schwarze Null hin zum debt ceiling.
Doch in den letzten beiden Jahren ist ein merkwürdiger Wandel eingetreten. Sowohl in den USA als auch in der EU hat die Corona-Krise zu einer Staatsverschuldung in nie dagewesenem Ausmaß geführt. Die Konsequenzen für die Inflation einerseits und die volkswirtschaftliche Stabilität andererseits waren nicht existent beziehungsweise sehr positiv. Dem herrschenden Paradigma zufolge sollte das eigentlich nicht passieren. Dieses Paradigma hat letztlich keine Antwort. Stattdessen werden gebetsmühlenartig dieselben Inflationswarnungen ausgegeben – genauso, wie in den 1970er Jahren das nächste Investitionsprogramm sicher den selbstragenden Aufschwung starten würde.
Dieses Fernbleiben der Inflation überrascht mich nicht großartig. Viel der Furcht ist pathologisch. Mark Blyth erklärt im Guardian die Ursprünge der rechten Inflationspanik, die sich in praktisch allen westlichen Volkswirtschaften auf dieser Seite des politischen Spektrums findet. Unter dem Eindruck der Stagflation hatten die linken Akteure kein eigenes Narrativ gehabt. Sie grummelten zwar über das herrschende Paradigma, wie die Rechten unter dem keynesianischen Paradigma der Nachkriegszeit gegrummelt hatten, aber eine echte Alternative besaßen sie nicht.
Doch unter der Oberfläche hat sich ein neues Verständnis von Zentralbanken und Geldpolitik breit gemacht. Anstatt die mythisierte und verzerrte Darstellung in der populären Erzählung des herrschenden Paradigmas – die heilige unabhängige Zentralbank, an die unverantwortliche Verteilungspolitiker*innen (gerne aus West- und Südeuropa) die Axt legen wollen – weiter zu erzählen, schauten sie genauer hin. Ich möchte nur kurz zwei Beispiele anführen.
Stefan Eich etwa fragt in seinem Aufsatz zurecht „Unabhängigkeit wovon?„. Er fragt sich, warum die Zentralbank eine so undemokratische Institution ist und warum sie nicht unabhängig von den Finanzmärkten ist, wie das doch eigentlich angeblich der Fall sein sollte. Ist diese Unabhängigkeit als Mythos aber erst einmal in Frage gestellt, folgt der Rest wie ein Kartenhaus. Denn wenn die Notenbank eine weitere Institution, ein weiterer Akteur ist, dann darf sie plötzlich auch kritisiert werden.
Christian Odendahl indessen erklärt in seinem Artikel, dass die europäischen Regierungen völlig zu Recht keine Angst vor der Inflation haben. Es ist auffällig, wie wenig er in den beiden vorangegangenen Paradigmen verhaftet ist. Anders als etwa viele Kritiker*innen der herrschenden monetaristisch-neoliberalen Lehre von links findet sich bei ihm wenig Blick zurück auf die goldene Nachkriegszeit, von der die Wende mit Reagan und Thatcher als Sündenfall empfunden wird. Stattdessen finden wir eine rein ökonomische Betrachtung des Ist-Zustands.
Diese Analyse der aktuellen Umstände ist in Deutschland aus den von Blythe beschriebenen psychologischen Gründen nicht weit verbreitet, aber in Ländern, die diesbezüglich keine nationalen Traumata aufzuarbeiten haben, wesentlich weiter gediehen. Diese haben entsprechend in den Jahren seit der Finanzkrise, wenngleich gegen erbitterten (und letztlich sinnlosen, weil unhaltbaren) deutschen Widerstand, den langsamen Umbau der Euro-Zone betrieben. Es gehört zu den großen Ironien der Geschichte, dass die AfD, die FDP und der rechte CDU-Flügel ja durchaus Recht damit haben, dass Draghi und Co den Euro umbauen; nur, sie retten ihn, während das Festhalten an überkommenen Ideologien durch die Genannten ihn in den Abgrund gerissen hätte.
Und damit sind wir im Bundestagswahlkampf. Es ist auffällig, wie schwach das herrschende Paradigma ist. Nirgendwo sieht man das so deutlich wie an der Figur Friedrich Merz. Merz war in den späten 1990er und den 2000er Jahren so etwas wie das Poster-Child des deutschen Reformdiskurses. Niemand im politischen Mainstream forderte entschlossenere, radikalere Reformen als er. Vermutlich hat nie ein CDU-Politiker das Paradigma so sehr verkörpert wie er. Seine erstaunliche Renaissance seit 2018 ist vor allem Nostalgie für die Sicherheit dieser vergangenen Tage; sein Unvermögen, eine Mehrheit der Partei hinter sich zu scharen, selbst gegen einen Kandidaten wie Armin Laschet, legt dagegen beredtes Zeugnis ab. Als er allerdings vergangene Woche in einer Art Mini-TV-Duell auf Hubertus Heil traf, fiel selbst dem eher konservativen Beobachter Frank Lübberding von der FAZ Merz‘ verblüffende Ideenlosigkeit auf. Ich halte diese für symptomatisch.
Denn diese Ideenlosigkeit ist nicht auf Merz beschränkt. Nach fünf Jahrzehnten unangefochtener Herrschaft ist das Paradigma am Ende. Es kann keine Antworten mehr auf die Fragen der Gegenwart geben. Wenn es Merz nicht einmal mehr schafft, überzeugend gegen eine Mindestlohnerhöhung zu argumentieren, wer dann?
Was anstelle des alten Paradigmas treten wird, ist aktuell noch völlig unklar. Die besten sichtbaren Chancen hat gerade irgendeine Form von MMT. Nicht, weil MMT eine besonders brillante ökonomische Theorie wäre (das kann ich nicht beurteilen), sondern weil sie zwei Eigenschaften hat, die gerade stark nachgefragt sind. Einerseits bietet sie ein eingängiges Narrativ, das mit der Laffer-Kurve der 1980er Jahre konkurrieren kann; diese politisch-narrative Dimension habe ich bereits vor zwei Jahren in einer Analyse vorhergesagt. Andererseits gibt sie Antworten auf die drängenden Fragen. Man kann darüber streiten, ob diese Antworten gut sind – das passiert hier in den Kommentarspalten ja auch – aber die MMT hat derzeit auf ihrer Seite, dass sie das einzige Paradigma ist, das überhaupt Antworten bietet. Allein deswegen ist sie gerade im Aufwind.
Es ist gut möglich, dass sich andere Alternativen etablieren und MMT den Rang ablaufen werden; die Theorie ist bisher nur am linken Rand verbreitet und findet innerhalb des progressiven Spektrums viele Kritikter*innen. Aber ich bin ziemlich zuversichtlich, dass das nächste Paradigma aus dem progressiven Spektrum kommen wird. Das ist schlichtweg normale politische Dynamik. Die konservativ-liberalen Kräfte sind zu sehr mit dem alten Paradigma verhaftet, als dass sie es zugunsten eines neuen einfach aufgeben könnten. Die Progressiven dagegen hungern seit fünf Jahrzehnten danach, wieder der Mainstream zu sein. Allein dieser Hunger ist ein großer Treiber, ganz egal, wie ausgefeilt und tragfähig das neue Konzept sein wird (Reagonomics war ja auch mehr Narrativ als konkrete ökonomische Theorie, und die Vulgärversion der heutigen Konservativen würde Milton Friedman im Grab rotieren lassen, genauso wie Maynard Keynes sicher keine freundlichen Worte für die Wirtschaftspolitiker der 1970er Jahre hätte).
Dies ist jedenfalls meine reichlich unspezifische Überblicksprognose für das kommende Jahrzehnt, was den Wandel des Wirtschaftsparadigmas angeht. In meinen Augen sehen wir das bereits seit der Finanzkrise in der EZB, seit Corona im Finanzministerium und auch in den USA, vor allem seit der Amtsübernahme Bidens (aber auch schon in der Covid-Krisenreaktion unter Trump!). Ich mag mich natürlich täuschen. Aber die strukturellen Faktoren scheinen mir doch ziemlich deutlich in diese Richtung zu zeigen.
Der Paradigmenwechsel bezieht sich auf die Bundesrepublik? In den USA, UK und Frankreich wurde das ja nie so dogmatisch gesehen wie in der Bundesbank.
Ich würde auch nicht auf das Framing reinfallen, dass die Zentralbank die Inflation steuert. SIe ist einer von mehreren Faktoren. Ende der 70er haben sie tatsächlich hohe Inflation aggressiv eingehegt. Aber das generelle Verschwinden der Inlation hatte seine Hauptursache im Lohndumping und Überkapazitäten durch Globalisierung.
Bezieht sich auf die BRD, ja.
Exakt. Darauf will ich raus: das Framing verliert seine Macht.
1 Jahr mit 8% Inflation und Du wirst anders reden.
Wird aber sowieso nicht passieren.
Exakt. 8% Inflation wären ziemlich ungeil.
Es gibt natuerlich einen Paradigmenwechsel, aber liegt nicht in der Inflation. Er liegt in der Erkenntnis, dass Marktwirtschaft Investitionen braucht und die stetige Rückführung staatlicher Investitionen nicht zu einem Anstieg privater Investitionen und einem Anstieg des Wachstums geführt hat, sondern zu einem kontinuierlichen Abflachen des Wachstums bei nicht berauschenden privaten Investitionen. Staatliche Investition auf Kredit ist zurück.
Ja, aber die Inflation wurde stets als das große Gegenargument ins Feld geführt. Ohne dieses Gegenargument gibt es aktuell praktisch keines mehr gegen mehr Investitionen. Vulgo, Paradigmenwechsel.
@ Stefan Sasse 27. September 2021, 13:10
Ja, aber die Inflation wurde stets als das große Gegenargument ins Feld geführt.
Inflation? Werden wir kriegen.
Ja, aber keine hohe.
@ Stefan Sasse 27. September 2021, 17:53
Ja, aber keine hohe.
Ja, nee, is‘ klar 🙂
We’ll see.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1048/umfrage/preissteigerung-fuer-ausgewaehlte-waren-und-dienstleistungen/
Behalte den Link im Auge
Will do!
Keine Angst mehr, weil
a) es keine Inflation mehr gibt
Oder
b) Sie uns egal sein kann?
b)
Ein Fest für die Leute mit den langen Kreditlaufzeiten mit 20 Jahre oder so Garantie-Zins für Immobilien in kostspieligen citynahen Standorten beliebter Großstädte. Bin da direkt mit zwein verwandt (Berlin, Frankfurt).
Ja, eine massive Umverteilung von Sparern (Altersvorsorge) zu Kreditnehmern und Immobilienkäufern. Was ist das anderes als Geldentwertung? So wird Inflation ja auch verstanden
Eine Regierung, die eine solche Verschiebung von einer Gruppe zu einer anderen per (Steuer-) Gesetz versuchen würde, wäre sofort weg.
Die Immobilienpreise und die Auswirkungen auf die Wohnkosten sind auch „Inflation“. Wird aber nur als „Mangel an bezahlbarem Wohnraum“ diskutiert.
@ CitizenK 28. September 2021, 09:00
Ja, eine massive Umverteilung von Sparern (Altersvorsorge) zu Kreditnehmern und Immobilienkäufern. Was ist das anderes als Geldentwertung?
Volle Zustimmung
@CitizenK
Ja, eine massive Umverteilung von Sparern (Altersvorsorge) [..]
Nur bei kapitalgedeckter Altersvorsorge, umlagefinanzierte Altersvorsorge ist davon unberührt solange die Löhne die Inflation mitgehen.
@ Marc
Das ist mir klar. Aber alle Selbständigen und auch die Angestellten, die auf die Versprechungen der Banken und Finanzinstitute vertraut haben. Und da wundere ich mich schon, dass das möglich ist und hingenommen wird. Auch wenn ich persönlich nicht davon betroffen bin.
Wieso? Deppen wie ich, die auf die Versprechungen meiner Rürup-Versicherung geglaubt haben und in den letzten 3 Jahren pro Jahr im Schnitt knapp über 20% Rendite-Erträge eingestrichen haben, sind mit ihren Ersparnissen in Aktien-Fonds investiert, die natürlich mitinflationären würden.
Ich kann mich irren, aber ich halte das inzwischen für unsozial zu Gunsten gutverdienender Freiberufler und Angestellter.
Ich glaube übrigens an allenfalls sehr moderate Haushaltsdefizite und Inflation für die nächsten Jahre.
Kapitalgedeckte Rente funktioniert super… für Leute, die da viel Geld reinhauen, weil sie das so an der Einkommenssteuer vorbei bekommen.
Dass der Kapitalmarkt für Leute mit Kapital gut funktioniert ist allerdings eine Erkenntnis, der sich auch Linke nie verschlossen haben. Die Kritik ist ja immer gewesen, dass das für 75% der Bevölkerung nichts bringt.
Wieder was gelernt. Obwohl: Dass die Gutverdienenden ihre Interessen zu wahren wissen, habe ich eigentlich gewusst.
Jepp. Gewinner und Verlierer.
Ein Teil der Renten sind aber schon kapitalgedeckt: Rürup, Riester und letztlich auch die Betriebsrenten.
@ Marc 28. September 2021, 15:08
… solange die Löhne die Inflation mitgehen.
nur mit zeitlichem Versatz und leichtem Abstand
Geschichtsvergessen. Wo ist das gelungen? Lohnerhöhungen müssen erst ausgehandelt und durchgesetzt werden, die Inflation kommt ohne diese Umwege aus.
Es sei denn, die Lohnerhöhungen sind, was die Inflation überhaupt treibt.
Dazu müssen die Lohnerhöhungen nur größtenteils in den Konsum fließen und das Angebot nahezu konstant bleiben.
Da gibt es natürlich keinen Automatismus, aber aktuell ist die Lücke so groß, dass da genug in den Konsum gehen sollte. Und die Binnennachfrage ist ja notorisch zu niedrig.
Es ist zum Haareraufen: Importe und Exporte (nicht saldiert) tangieren zu Zweidrittel das Bruttoinlandsprodukt. Und die meisten diskutieren volkswirtschaftliche Verhältnisse als hätten wir Nationalökonomien wie in den Fünfzigerjahren.
Wir haben seit 1990 nachfrageorientierte Märkte, wo es zuvor angebotsorientierte Märkte waren. Da kann nicht die nationale Lohnentwicklung die nationalen Preise treiben. Wenn in der Metall- und Elektroindustrie die Löhne um 20% steigen würden, wäre die Auswirkung auf die deutsche Inflationsrate kaum messbar. Was messbar wäre, wäre der Einfluss auf die Arbeitslosenquote. In der wichtigsten Industrie des Landes sitzen die Kunden nämlich weitgehend im Ausland und hiermit sind nicht EU-Partner, sondern Drittländer gemeint.
Es ist also viel komplizierter. Eigentlich sollte das jedem im Jahr 2021 längst klar sein: einfach mal in den nächsten Elektronikmarkt oder Baumarkt, willkürlich ein paar Artikel greifen und forschen, wo der Hersteller sitzt (nicht die deutsche Vertriebsgesellschaft). Leider überfordert selbst das die meisten.
Wenn wir also als Reflex auf gestiegene Preise fürs iPhone zum Chef des CEVA-Logistikers gehen, könnte der einem einfach mal den Vogel zeigen zur Forderung nach größeren Lohnerhöhungen.
Die genannten Branchen sind auch die bestorganisierten und die mit den besten Löhnen. Dienstleistungen sind das Problem.
Die Metallindustrie ist eine der bestverdienenden Branchen, Logistik eine der schlecht verdienenden. Das war ausgewogen. Aber Du hast nicht erfasst, was der Punkt ist. Die Verkäuferin im Einzelhandel wird auch schwer durchdringen, wenn die Einkaufspreise stark steigen. Zumal ihre Branche unter enormen Wettbewerbsdruck mit dem Onlinehandel steht.
Wie gesagt, nationalökonomisch gedacht und argumentiert, geht völlig an den Verhältnissen vorbei. Mehr denn je entwickeln sich Löhne in Deutschland wie die Preise anderer Güter: nach der Wettbewerbslage. Deswegen sind die Löhne von Pflegekräften und Erziehern in den Nullerjahren deutlich angezogen, andere dagegen nicht.
Oh, solange mein Gehalt auch 8% hat kein Problem. Ich hab nen 20jährigen Immokredit. Wenn mein Gehalt mitgeht, nehme ich gerne deutlich zweistellige Inflationsraten für eine Weile 😀
@ Stefan Sasse 28. September 2021, 12:14
Oh, solange mein Gehalt auch 8% hat kein Problem. Ich hab nen 20jährigen Immokredit. Wenn mein Gehalt mitgeht, nehme ich gerne deutlich zweistellige Inflationsraten für eine Weile
Oh Mann.
Was?
@ Stefan Sasse 28. September 2021, 14:25
Was?
Was, glaubst Du, passiert mit Deinem Gehalt, wenn durch Inflation die Kosten steigen? Auch in Eurem Unternehmen steigen erst mal die Kosten, bevor man die Einnahmen nachziehen kann. Wenn nun die Kosten steigen, die Einnahmen aber nicht, hat Dein Arbeitgeber weniger Geld in der Tasche.
Und dann kommst Du mit einer Forderung nach Gehaltserhöhung. Die wird erstens nicht die Höhe der Inflation haben können, weil Dein Arbeitgeber das Geld nicht hat. und zweitens wirst Du eine eventuelle Gehaltserhöhung nicht mit dem Einsetzen der Inflation bekommen, sondern mit dem Verzug von einem Jahr – wenn Du Glück hast.
Aber Deine Immokredite sind stabil, es sind nur Essen, Kleidung, Energie und alles andere die teuer werden. Toller Deal.
Dein Wunschsystem mag funktionieren, wenn es Jahr für Jahr 2 Prozent Inflation gibt. Dann ist das System eingeschwungen, und Du, der Arbeitgeber oder der Staat weiß, womit gerechnet werden muss. Aber diese Situation haben wir nicht.
Die Preise steigen (nicht überall, aber in wichtigen Segmenten heftig). Alle Baustoffe sind immens teuer geworden: Holz für den Häuserbau um über 80 Prozent, Stahl für den Betonbau um 40 Prozent – im Vergleich zum Vorjahr (scroll mal ein bisschen nach unten auf die Grafik). Auch die Frachtraten gehen durch die Decke. Wie die Wirtschaftswoche schreibt: Ein Container auf der wichtigen Exportroute von Schanghai nach Rotterdam kostet laut Drewry mittlerweile schon rund 12.000 Dollar. Die Zahl wirkt schon beinahe absurd. Noch vor einem Jahr hätte ein Containertransport von Asien nach Nordeuropa nicht mal 2000 Dollar gekostet.
Lieferengpässe allenthalben, Preise, die durch die Decke gehen, eine FED, die Geld nicht mehr für lau weggeben mag, eine EZB, die folgen wird, die folgen muss.
Und das in einer Situation, in der überall hoch gebildete Fachkräfte wie Techniker, Ingenieure fehlen, wo Lastwagenfahrer und Krankenschwestern, Ärzte, Pfleger und Lehrer fehlen, und allein der Mangel an Personal hier schon die Kosten treibt.
Und das in einer Situation, wo der Staat gerade richtig viel Geld braucht, um Überschwemmungskatastrophen abzufedern, wo dank Corona bankrotte Unternehmen ihren Bankrott verschleppen können. Keiner weiß genau, wie sehr die Wirtschaft hierzulande gelitten hat, wie viele Restaurants, wie viele Einzelhändler, wie viele mittelständische Unternehmen, wie viele Selbstständige es nicht geschafft haben und vielleicht schon kaputt sind, es aber noch nicht wissen.
Und das in einer Situation, in der wir uns um die Klimakrise kümmern müssen, mit erheblichen Umstellungen in der Wirtschaft, mit erheblichen Preissteigerungen im Energiesektor.
Oh, Mann …
Oh, das ist mir durchaus klar. In Kürze dazu zwei Punkte:
1) Die aktuelle Inflation ist nicht geldpolitisch bedingt, sondern realwirtschaftlich. Es sind die Lieferengpässe durch Covid, und damit ein temproräres Phänomen.
2) Ich argumentiere ganz bewusst für Inflation durch steigende Löhne.
@ Stefan Sasse 29. September 2021, 08:22
Du bist sooo ein Theoretiker …
@ Stefan Sasse 29. September 2021, 08:22
Ich argumentiere ganz bewusst für Inflation durch steigende Löhne.
https://dilbert.com/strip/2021-10-05
Es ist eben immer eine Verteilungsfrage. Irgendjemand gewinnt immer. Fragt sich nur, wer das ist.
@ Stefan Sasse 8. Oktober 2021, 18:15
Es ist eben immer eine Verteilungsfrage. Irgendjemand gewinnt immer. Fragt sich nur, wer das ist.
Jedenfalls nicht Du. Nicht der normale Arbeitnehmer. Nicht der normale Mieter. Nicht der Standard (ist vielleicht eine andere Sache, wenn man genug Zeit und Geld hat, um sinnvoll in den Aktienmarkt zu investieren).
Ich gewinne aber auch im aktuellen System nicht. das ist von Inflation unabhängig und eine Machtfrage im System.