Grüne Umfragriesen?

Ich bin über einen Tweet gestolpert:

Es ist eine Argumentation, die ich schon öfter gelesen habe. Das Narrativ ist, dass die Grünen in den Umfragen „immer stark“ seien und dann bei den Bundestagswahlen absaufen. Nur, stimmt das überhaupt? Diese Frage stelle ich nicht, weil ich irgendwie die Grünen verteidigen will, sondern weil diese unhinterfragte Geschichte in meinen Augen einer vernünftigen Analyse im Wege steht. Ich habe mich deswegen auf die Suche nach ein wenig Datenmaterial begegeben – und finde wenig Anhaltspunkte dafür, dass die Grünen „Umfrageriesen“ wären. Sie liegen in den Umfragen vielmehr da, wo sie auch bei den Wahlen landen – irgendwo zwischen 8 und 10%, meist als schwäche oder zweitschwächste Partei im Bundestag. Es ist aber offensichtlich, wo die Idee der „Umfrageriesen“ herkommt. Sehen wir uns zuerst Schaubild 1 an, eine Zusammenstellung der Sonntagsfrage für CDU, SPD und Grüne zwischen 2013 und 2018 (leider habe ich keine Gesamtübersicht gefunden, deswegen stückeln wir uns hier die Informationen etwas zusammen).

In den Umfragen vor der Bundestagswahl 2013 lagen die Grünen ziemlich dicht an ihrem (damals) enttäuschenden Ergebnis von 8,4%. Über die folgenden Jahre waren sie stets knapp zweistellig, ehe sie 2016 ein Umfragehoch von rund 15% und 2017 ein Umfragetief von rund 7% erreichten, nur um dann als schwächste Partei bei den Bundestagswahlen 2017 praktisch ihr Ergebnis von 2013 zu bestätigen. Seither sind sie in den Umfragen im Verlauf des Jahres 2018 nie aus dem einstelligen Bereich herausgefallen und erreichen seit 2019 konstant Werte um die 20%:

Bundestagswahl: Neueste Wahlumfrage von Kantar (Emnid) | Sonntagsfrage #btw21

Heißt das jetzt, dass die Umfragen 2016 ungenauer waren als 2017? Oder dass die Umfragen von 2015 die präzisesten waren, weil sie im Schnitt am nächsten am tatsächlichen Wahlergebnis 2017 waren? Das ist natürlich völliger Unsinn. Umfrageergebnisse sind immer Momentaufnahmen, und da sich die meisten Leute bis wenige Wochen vor dem Wahltag nicht für Politik interessieren, sind sie ohnehin mit großer Vorsicht zu genießen. Letztlich spiegeln sie zwangsläufig immer ihren eigenen Augenblick. Und wenn man das bedenkt, erklären sich auch die Umfragen recht schnell:

  • Das Hoch 2016 ist recht einfach aus der Stimmung des Jahres zu erklären: sowohl der Brexit als auch der Wahlkampf in den USA beförderten genauso wie 2020 einen Aufschwung in progressiven Haltungen, der den Grünen zugutekam. Zudem waren 2016 Landtagswahlen in Baden-Württemberg, bei denen der erste grüne Ministerpräsident im Amt bestätigt wurde und eine Koalition mit der CDU anführte.
  • 2017 dagegen stand ganz im Licht der völlig aus den Fugen geratenen Flüchtlingsdebatte, die auch den Wahlkampf dominierte und den triumphalen Einzug der AfD in den Bundestag als stärkste Oppositionspartei untermauerte. Die Grünen als migrant*innenfreundliche Partei litt darunter genauso wie die SPD. Gleichzeitig waren die rechten Bewegungen auf dem Höhepunkt.
  • 2018 begann dann wieder ein backlash einzusetzen, der etwa in den USA auch an der blauen Welle sichtbar war. Davon profitierten die Grünen; ich gehe aber davon aus, dass die meisten Zugewinne auf der Implosion der SPD beruhen dürften.
  • 2019 stand ganz im Fokus der Fridays-For-Future-Bewegung; der Klimawandel wurde zum zentralen Thema. Das half den Grünen genauso wie der Fokus auf die Flüchtlingspolitik der AfD 2017 geholfen hatte. Wenig überraschend im Übrigen, dass die AfD 2019 erstmals konstant wieder Umfrageergebnisse im einstelligen Bereich erzielte.
  • Das anhaltende Hoch seit 2020 hat sicherlich viel mit der Unzufriedenheit über die Corona-Politik zu tun. Der gleichzeitige Gewinn der FDP deutet jedenfalls deutlich darauf hin: Es gibt eine Wechselstimmung von SPD und CDU, die diesen beiden Parteien zugute kommt. Da AfD und LINKE nicht als potenzielle Regierungsparteien wahrgenommen werden, profitieren sie deutlich weniger, als dies in den großen Protestwahlen von 2005 (Anti-Agenda2010, die LINKE) und 2017 (Anti-Flüchtlinge, AfD) bemerkbar war.

Nur, ob die Umfrageergebnisse der Grünen um die 20% real sind oder nicht wissen wir nicht, weil die Bundestagswahl erst im September 2021 sein wird. Woher also kommt die Idee, dass die Partei in den Umfragen „immer“ größer erscheint, als sie es am Wahltag ist? Aus den Umfragen seit 2013 jedenfalls lässt sich die These nicht ableiten. Ihr Ursprung wird aber klar, wenn man die Umfrageergebnisse der Zeit vorher ansieht:

Ich denke, dieses Narrativ kommt aus den Jahren 2011 und 2012, als die Grünen das erste Mal Umfrageergebnisse um die 20% erzielten – um danach auf nicht einmal die Hälfte bei den Bundestagswahlen 2013 abzustürzen. Abgesehen von diesem krassen Ausschlag performte die Partei 2005 um ca. 1-2% schlechter als die Umfragen angaben, aber das liegt im margin of error und kann kaum als „Umfrageriese“ beurteilt werden. 2009 erzielten die Grünen 10,1% und lagen damit ziemlich genau auf der Linie der Umfragen.

Damit ergibt sich ein einmaliges Umfragehoch, das danach nicht gehalten werden konnte. Der Grund dafür ist nicht schwer zu finden; er spülte die Grünen seinerzeit in Baden-Württemberg an die Macht. Es war der Reaktorunfall von Fukushima, der das grüne Kernthema des Atomausstiegs wieder auf die Agenda brachte und Angela Merkel zum überhasteten Atomausstiegsausstiegausstieg brachte, mit dem sie das Thema politisch erledigte.

Was aber sagt uns das? Letztlich nicht, dass die Grünen (oder irgendeine andere Partei!) in Umfragen generell immer stärker oder schwächer wären, als sie es sind. Sondern eben, dass Umfragen Momentaufnahmen sind. Es ist durchaus realistisch anzunehmen, dass, wenn 2011 der Bundestag gewählt worden wäre, die Grünen mit 15-20% eingezogen wären. Bei einer Bundestagswahl 2007 hätte die SPD auch noch um die 30% erzielt. Bei einer Bundestagswahl 2019 wäre die AfD nicht stärkste Oppositionspartei geworden. Im Frühjahr 2002 wäre Edmund Stoiber Bundeskanzler geworden. Wahlen sind genauso Momentaufnahmen wie Umfragen. Aber sie schreiben eben, anders als Umfragen, einen Stand für die nächste Legislaturperiode fest. Das ist nichts Neues, aber man sollte sich nicht von falschen Narrativen leiten lassen.

Das ist, nebenbei bemerkt, auch der Grund, warum ich den Umfragen zur aktuellen Schwäche sowohl Laschets als auch der CDU misstrauisch gegenüberstehe. Klar, jetzt sind sie so beliebt wie Fußpilz. Aber die Wahl ist im September. Wenn die Impfzahlen sich so weiterentwickeln wie gerade, haben wir im Sommer 75% der Menschen geimpft und die Corona-Pandemie wird als weitgehend überstanden betrachtet werden. Wer glaubt, dass das keinen Einfluss auf die Sicht der Regierungsparteien und besonders der Partei einer dann scheidenden, sich die Meriten dafür auf die Fahnen schreibenden Kanzlerin haben wird, die ohnehin immer noch über starke Beliebtheitswerte verfügt, macht sich etwas vor.

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  • R.A. 15. April 2021, 09:01

    Mein Eindruck über die Jahre (auch bei Landtagswahlen) war ein etwas anderer: Die Grünen (und abgeschwächt auch die SPD) haben die besten Umfragewerte, wenn eine Wahl noch weit weg ist. Aber in den letzten Monaten vor einer Wahl, wenn die Leute sich konkret damit beschäftigen, was sie an Optionen haben, dann gegen die Umfragewerte allmählich runter, um dann kurz vor dem Wahltag ziemlich dicht beim Ergebnis zu liegen.

    D.h. die Umfragen sind für den Zeitraum halbwegs brauchbar, der auch abgefragt wird: „Wenn am nächsten Sonntag Wahl wäre …“.
    Wenn aber am nächsten Sonntag gar keine Wahl ist, sondern erst in einigen Jahren, dann sind die Umfragewerte fast unbrauchbar.

    In der aktuellen Situation ist es ja auch so, daß die Union in diversen Bereichen heftig Negativschlagzeilen macht (Corona, Korruption, interner Streit) und damit die Umfragen im Keller sind. Es ist realistisch zu erwarten daß sich das im nächsten halben Jahr wieder teilweise vergißt (Corona nicht, die anderen Effekte schon) und das Ergebnis besser wird als die derzeitigen Umfragewerte.

    • Stefan Sasse 15. April 2021, 11:27

      Ja, aber dieser Eindruck lässt sich durch die Zahlen ja offensichtlich nicht belegen. Ich meine, schau mal die Schaubilder an die ich eingebaut habe. Da ist einfach kein solcher Trend erkennbar.

  • Stefan Pietsch 15. April 2021, 09:43

    Das mit dem Umfrageriesen ist eine sehr lange Geschichte. Bemerkenswert an Deinem Artikel ist, was fehlt. Da steht ein Elefant im Raum und Du scheinst ihn nicht zu bemerken: der „Feel good factor“. Diesen gibt es bei allen Parteien.

    Umfragen sind für die Befragten harmlos und ohne Folgen. Überwiegt in einer solchen Situation wirklich der Impuls, ehrlich Auskunft zu geben oder beim Befrager – und sei es nur ein anonymer Computer – sympathisch rüberzukommen? Du ebnest die Dinge ganz schnell ein mit einer Zangenbewegung: Du betrachtest die Umfragen kurz vor dem Wahltag und erklärst Abweichungen mit der statistischen Fehlermarge. Das ist zwar korrekt, aber zu verengt um eine zuverlässige Aussage zu erhalten.

    Die wenigsten entscheiden sich erst in der Wahlkabine, wen sie denn nun ankreuzen. Wenn eine Partei mit Erwartung 9% in der Woche vor der Wahl am Ende 2% mehr oder weniger erhält, so ist das eine gravierende Abweichung. Um die Kernfrage näher zu untersuchen, hättest Du Dir mindestens einen 20-Jahreszeitraum und (zumindest ausgewählte) Landtagswahlen schnappen müssen.

    Gehen wir mal in ein paar wilkürlich ausgewählte Landtagswahlen in großen Ländern rein.

    Bayern
    2018 holten die Grünen 17,6%, alle Umfrageinstitute sahen sie jedoch sogar noch 3 Tage vor dem Urnengang mit bis zu 19% deutlich darüber. 2013 sah man die Grünen sogar deutlich im zweistelligen Bereich, sie endeten dann bei enttäuschenden 8,6%.

    Hessen
    Bei der letzten Landtagswahl erreichten die Grünen knapp 20%, was leicht unter der Erwartungshaltung war, die teilweise zwischen 21 und 22 Prozent lag. 2013 war die Differenz schon weit größer, erwartet wurden zwischen 12,5% und 15%, am Ende wurden es 11%.

    NRW
    2017 erlebten die Grünen dort ein Waterloo, mit 6,4%, das die Demoskopen mit Prognosen von um die 7% zwar kommen sahen, in ihrem Ausmaß aber nicht voll erfassten.

    Niedersachsen
    2017 holte die Partei dort 8,7%, aber auch das war eher eine Enttäuschung, wurden doch kurz zuvor Werte von 9-10 Prozent lanciert. Immerhin: 2013 landete sie mit 13,7% dort, wo sie gesehen worden war.

    Baden-Württemberg
    Vor wenigen Wochen holte die Partei Winfried Kretschmanns mit 32,6% ein sehr gutes Ergebnis. Nur: die Prognosen hatten ihn auch hier mit teilweise 34 – 35 spürbar darüber gesehen. 2016 war der Abstand noch klarer. Die 30,3% lagen spürbar unter der Erwartung von 32 – 33,5 Prozent.

    Bei den anderen Landtagswahlen zeigte sich in der Tendenz immer das gleiche Bild: die Grünen werden selbst Tage vor der Wahl eher zu hoch eingeschätzt. Ja, das kann man mit Fehlermarge abtun, aber 1-2 Prozentpunkte Unterschied machen häufig viel aus. Und immer zu hoch ist eben auch eine Tendenz.

    • Stefan Sasse 15. April 2021, 11:31

      Ich hab nur die Bundestagswahlen untersucht, von daher danke für die Einordnung.

      Mein Problem mit deinen Beispielen: Du wirfst Täuschungen um den Faktor 50% (wie in Bayern) mit 1-2% zusammen. Und sorry, das ist bei Umfragen einfach Margin of Error. Bis zu 3% Abweichung sind IMMER, bei JEDER Umfrage und Partei, drin. Das kannst einfach nicht rechnen. Deine Beispiele für BaWü, Niedersachsen, Hessen, NRW tragen damit alle nicht. Bleibt Bayern. Keine Ahnung was da los war. Aber dass die Umfragen MAL krass daneben liegen ist ja auch zu erwarten. Und du würdest solche Effekte für ALLE Parteien finden.

      • Stefan Pietsch 15. April 2021, 12:24

        Der statistische Fehler variiert mit der Größe eines Teilergebnisses (Umfrage einer Partei) und der Größe der Stichprobe. 3% Abweichung bei 10% der Stichprobe ist kein statistischer Fehler. Da bin ich sicher besser in Statistik als Du.

        Die Geschichte vom Umfrageriesen – der Du ja nachgehen wolltest – resultiert eben daraus: Die Grünen werden in Umfragen meist besser taxiert als sie abschneiden. Statistische Fehler lassen sich nicht prognostizieren, ob sie vor allem nach oben oder nach unten abweichen. Es sei denn, es wird bei der Gaußschen Normalverteilung nicht das Ergebnis in der Mitte, sondern im Randbereich genommen. Ich denke nicht, dass die Demoskopen unisono und dauerhaft den immer gleichen Fehler machen.

        Folglich bleibt der Punkt Image. Den gibt es seit Anfang der Neunzigerjahre, als die Grünen zunehmend als hipp galten. Und seit dem taucht das Phänomen der Überbewertung der Grünen in Umfragen regelmäßig auf. Eigentlich schnitt die Partei nur bei der letzten Bundestagswahl besser ab als man allgemein erwartet hatte – und auch die Parteizentrale gerechnet hatte.

        In der letzten Woche konnte ich lesen, dass Wahlkampfstrategen der Grünen das Potential unter einer Kandidatin Annalena Baerbock mit 18% kalkulieren. Das trifft sich übrigens mit einer ganz anderen Demoskopen-Meinung, wonach die Grünen derzeit ihr Potential voll ausgeschöpft hätten, bei der Gefahr von Grün-Rot-Rot jedoch bestenfalls 18% zu erwarten hätten.

        Jedenfalls, der Kandidatenfaktor von Robert Habeck wird mit 15-25 Prozent weit volatiler bemessen. Die Tendenz geht klar dahin, auf Nummer sicher zu gehen. Baerbock ist nach Ansicht der grünen Wahlkampfmanager die sichere Option.

        Interessant ist dabei: Die Grünen liegen derzeit in manchen Umfragen bei 23-24 Prozent, das ist weit mehr als die eigenen Strategen vermuten. Wieso denken die so? Die Union wird derzeit nur mit manchmal 25% eingeschätzt, aber keiner im Konrad-Adenauer-Haus arbeitet mit Zahlen, dass es evenuell nur 20% werden.

        Vermutung: die Profis wissen, dass in den Umfragen für die grüne Partei das positive Image zum Tragen kommt, das sich aber am Wahltag mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht 1:1 auszahlen wird. Eben, weil es nie so war. So rechnen Profis.

        Das steht deutlich zu Deiner These und Deinen Berechnungen, wonach Du anscheinend überzeugt bist, dass tatsächlich 24 Prozent für die Grünen stimmen würden, wenn heute die Wahl ausgerufen würde.

        • Stefan Sasse 15. April 2021, 14:07

          Eine leichte Überbewertung halte ich aber auch etwas anderes als „Umfrageriesen“. Aber letztlich bleiben die Umfragen volatil. Aussagekräftig für die eigentliche Frage ist für mich das, was sechs bis zehn Wochen vor der Wahl ist. Das ist real. Der Rest? Not so much. „Wenn nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre…“ ist auch eine dumme Frage, weil „…dann hätten wir seit 10 Wochen Bundestagswahlkampf“ dazu muss. Und das verändert ALLES.

          • Stefan Pietsch 15. April 2021, 17:13

            Die Frage ist doch, wie es dauernd zu der „leichten Überbewertung“ kommt, die statistisch nicht begründet ist. Zumindest nicht mit dem Argument „Fehlermarge“. Ich sage übrigens immer nur, die Grünen würden in Umfragen überbewertet, die FDP tendenziell unterbewertet. So viel hast Du dagegen nicht vorgebracht.

            • Stefan Sasse 15. April 2021, 18:28

              Hatte noch keine Zeit den Strang weiterzuverfolgen und mir die Umfragewerte genauer anzuschauen. Ich forsche nach.

        • Erwin Gabriel 16. April 2021, 10:09

          Jahre nach dem amerikanischen Bürgerkrieg soll es mehr „Veteranen der Konföderierten“ gegeben haben, als überhaupt für den Süden kämpften.

          Mit dem Mundwerk „cool“ zu sein, ist vermutlich leichter, als durch sein Handeln so zu agieren.

    • sol1 16. April 2021, 02:03

      Gegenbeispiel Europawahl 2019:

      Die Grünen bekamen 20,5 %, obwohl sie in keiner Umfrage mehr als 19 % hatten:

      https://www.wahlrecht.de/umfragen/europawahl.htm

      Ansonsten unterlaufen dir hier Ungenauigkeiten: Die Vorhersagen bei der Wahl in BW 2021 schwankten zwischen 30 und 35 %, die bei der Bayernwahl 2018 zwischen 16 und 19 %, die in Hessen 2018 zwischen 14 und 22 %, die in Niedersachsen 2017 zwischen 8 und 10 % und die in NRW 2017 zwischen 6 und 7,5 %.

      Es gibt allerdings eine Region, wo die Grünen tatsächlich regelmäßig schlechter abschneiden als in den Umfragen, nämlich in den ostdeutschen Ländern.

      • Stefan Sasse 16. April 2021, 09:04

        Danke für die Ergänzungen!
        Sind die ostdeutschen Umfragen generell ungenauer?

        • sol1 16. April 2021, 19:32

          „Sind die ostdeutschen Umfragen generell ungenauer?“

          Ertsens das, und zweitens gibt es eine einleuchtende Erklärung für das Phänomen (jedenfalls für die letzten Wahlen).

          Die Grünen sind der Antagonist der AfD, und daher steigt die grundsätzliche Bereitschaft, grün zu wählen, wo die AfD stark ist – siehe z.B. diese Umfrage vor der Wahl in Brandenburg:

          https://www.insa-consulere.de/insa-laenderbefragung-brandenburg-juli-2019/

          Bei den von mir angeführten Wahlen allerdings schnitten die Parteien der jeweiligen Ministerpräsidenten besonders stark ab – auch das erklärbar durch die Konkurrenz mit der AfD um den ersten Platz.

          • Stefan Pietsch 16. April 2021, 20:11

            Das Wichtigste haben Sie vergessen: das Wahlverhalten in der ehemaligen DDR ist weit volatiler.

          • Stefan Sasse 16. April 2021, 21:13

            Hm. Bin nicht sicher, wie überzeugend ich das finde. Die AfD ist im Osten am stärksten, die Grünen aber am Schwächsten.

            • sol1 17. April 2021, 16:47

              „…die Grünen aber am Schwächsten.“

              Und dennoch war in der von mir verlinkten Umfrage die prinzipielle Bereitschaft zur Wahl für die Grünen am größten.

              Die von mir angegebene Erklärung für die Diskrepanz zum tatsächlichen Wahlergebnis scheint mir die plausibelste zu sein.

      • Stefan Pietsch 16. April 2021, 10:08

        Das „Gegenbeispiel“ habe ich durchaus gesehen, es unterstreicht aber bei näherer Betrachtung die These von den Umfrageriesen. Das Wort habe ich übrigens nie benutzt, aber bleiben wir dabei. Dieses besagt, dass die Grünen in Umfragen regelmäßig besser bewertet werden, als sie dann tatsächlich bei Wahlen abschneiden. Das ist die These, die Stefan widerlegen wollte. Das tat er mit einer sehr starken Verengung.

        Die Erklärung für das (behauptete) Phänomen ist, dass die Befragten aus Imagegründen die Grünen als präferierte Partei angeben, obwohl sie gar nicht vorhaben, sie zu wählen. Im früheren ZDF-Politbarometer versuchten die Forscher solche Effekte zu eliminieren, in dem man „langerfristige Überzeugungen“ mit einfließen ließ.

        Wenn die Erklärung und die Theorie stimmen, dann wählen die Bürger bei solchen wichtigen Wahlen wie zum Bundestag anders als es ihren nackten Sympathien entspricht. Sympathische Parteien erhalten weniger Stimmen, unsympathischere Parteien mehr Stimmen als es die Umfragen gesagt haben. Nur, sowohl für die Wähler als auch das Bundesverfassungsgericht ist die Europawahl die unwichtigste überhaupt. Es gibt also keinen Grund, den eigenen Sympathien nicht freien Lauf zu lassen, es hat ohnehin keine Konsequenzen. Dass der Beauty-Contest immer pro linke Parteien, insbesondere die Grünen ausfällt, ist nun seit 30 Jahren kein Geheimnis.

        In den Monaten vor der baden-württembergischen Landtagswahl sahen die meisten Umfragen die Grünen vor ihrem finalen Ergebnis (Umfrageheld). In Hessen wurden sie 10 Tage vor der Wahl ebenso als High Fligher bewertet. Die Tendenz ist immer gleich.
        https://www.wahlumfragen.org/

        Weil es diese Tendenz gibt, werden die Grünen als Umfragekönige gesehen, die regelmäßig am Wahltag geerdet werden. Und warum die Parteizentrale längst vorsichtig geworden ist.

        • sol1 16. April 2021, 19:26

          /// Im früheren ZDF-Politbarometer versuchten die Forscher solche Effekte zu eliminieren, in dem man „langerfristige Überzeugungen“ mit einfließen ließ. ///

          Das ist immer noch der Fall.

          Vielelicht solltest du deine Kenntnisse über Umfragen auffrischen, anstatt hier eine haltlose These nach der anderen rauszuhauen.

  • Ariane 15. April 2021, 13:45

    Spannend, danke. Erinnert mich auch an diese lustigen Modelle, wonach quasi jede Winzpartei ein „Wählerpotenzial“ von 20-30% hat.

    Ich denke, es hat auch mit den vielen Artikeln über die Grünen als neue Volkspartei zu tun, das hat dieses Umfragehoch noch zusätzlich befeuert. Auch die Schwankungen sind ja enorm, von 9% auf vielleicht über 20% ist schon extrem.

    Und gerade in diesem Jahr halte ich das für extrem volatil, weil einfach soviel passiert und sich das Stimmungsbild schnell ändern kann. Siehe auch die Landtagswahlen, zwei Wochen früher oder später hätte vermutlich viel ausgemacht. Das kann sich alles noch dreimal drehen.

    • Stefan Sasse 15. April 2021, 14:12

      Eben. 🙂
      Ich sehe außer der CDU übrigens bei niemand ein Potenzial von signifikant über 20% aktuell.

      • Ariane 15. April 2021, 14:39

        Jep. Würde auf der anderen Seite übrigens auch die FDP nennen, vor einigen Monaten schien es noch fraglich, ob sie überhaupt die 5%-Marke knacken und jetzt werden sie im Rahmen der Ampel sogar mit als Regierungspartei diskutiert.

        • Stefan Pietsch 15. April 2021, 17:03

          Es gab wenig Zweifel, dass es sich bei den schlechten Umfragewerten für die FDP in 2020 um eine Momentaufnahme handelte. Das Fundament der Partei ist wesentlich breiter. Bei Laschet gilt das nicht. Wer 3 Jahre im „Formtief“ hängt, hat kein Formproblem, sondern ein grundsätzliches.

        • Stefan Sasse 15. April 2021, 18:24

          Exakt!

      • Stefan Pietsch 16. April 2021, 11:01

        Du glaubst also doch, dass die Grünen ein Umfrageriese sind?

        • Stefan Sasse 16. April 2021, 13:53

          Nein. Die Grünen spielen aktuell in der Debatte keine Rolle. Alles konzentriert sich auf Corona (also Merkel und ihr Kabinett sowie die MPK) und neuerdings auf die CDU mit ihren Skandalen und Laschet vs. Söder. In dem Moment, in dem die Aufmerksamkeit sich auf die Grünen richtet, werden sie wieder abstürzen. Und dass dieser Moment bis September irgendwann kommt ist wesentlich wahrscheinlicher als dass nicht.

          • Stefan Pietsch 16. April 2021, 14:09

            Die Grünen setzen erst gar nicht auf den Kandidatenfaktor, weil sie den mit Baerbock ohnehin nicht haben und es auch der grünen DNA widerspricht. Irgendwie wird ein Grüner Kanzler, so wie Kretschmann, der wurde 2011 auch nicht offensiv beworben. Irgendwann war er’s halt.

            Kurz vor Wahlen wird den Leuten halt immer klar, was sie sich tatsächlich mit den Grünen einhandeln würden. Dann doch lieber nicht.

  • Lemmy Caution 15. April 2021, 17:17

    Ich halts für sehr wahrscheinlich, dass die Grünen mit der nächsten Bundestagswahl zur dominierenden Partei im „progressiven“ Spektrum wird und sich als solche konsolidisiert. Das ist vor allem auch unlösbaren strukturellen Problemen der Partei mit 150 Jahren Geschichte geschuldet.
    „Umfrageriese“ passt nicht in diesen epochalen Bruch unseres Parteiensystems.

    • Stefan Sasse 15. April 2021, 18:28

      Würde ich auch davon ausgehen, ja.

    • R.A. 15. April 2021, 19:14

      „Ich halts für sehr wahrscheinlich, dass die Grünen mit der nächsten Bundestagswahl zur dominierenden Partei im „progressiven“ Spektrum wird und sich als solche konsolidisiert.“
      Gut möglich.

      „Das ist vor allem auch unlösbaren strukturellen Problemen der Partei mit 150 Jahren Geschichte geschuldet.“
      Das glaube ich nicht.

      Der Erfolg der Grünen in Deutschland ist eine eher singuläre Erscheinung in Europa. Während die strukturelle Seite der SPD-Probleme nicht singulär ist, die haben alle ähnlichen europäischen Parteien.
      Aber selbst wo das zu einem fast kompletten Zerbröseln der SPD-Pendants führte wie in Frankreich oder Italien konnten die dortigen Grünen nicht wirklich profitieren oder gar die Rolle der führenden linken Partei übernehmen.

      Wo die Grünen (außer in D) noch stärker sind, insbesondere in Skandinavien, sind die sozialdemokratischen Parteien immer noch intakt und von einer grünen Führungsrolle ist nichts zu sehen.

      Ich sehe den Grund eher in der allgemeinen grünen Dominanz in den Medien. Das gibt es so m. W. in keinem anderen Land. Und das hat dazu geführt, daß die SPD ihre strukturellen Probleme durch besonders eifriges Kopieren grüner Inhalte zu kompensieren sucht. Was sie inhaltlich kaputt macht: Ihre Traditionswähler mögen keine grünen Inhalte und die urbanen Szenen nehmen natürlich lieber das Original.

      Dazu kommt, daß die Grünen es seit vielen Jahren geschickt schaffen, ihr umfangreiches Netzwerk an Vorfeldorganisationen reichlichst mit Steuergeldern zu subventionieren. Da arbeiten hunderte von Hauptamtlichen beständig daran, grünes Gedankengut zu verbreiten bzw. in immer neuen „Studien“ und „Expertenpapieren“ zu unterfüttern.
      Das ist von der Größenordnung her viel umfangreicher und wirksamer als das, was die übrigen Parteien mit ihrer staatlichen und privaten Finanzierung auf die Beine stellen können.

      • sol1 16. April 2021, 02:10

        „…wie in Frankreich oder Italien…“

        Wegen des unterschiedlichen Wahlrechts ist das ein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen.

        „Dazu kommt, daß die Grünen es seit vielen Jahren geschickt schaffen, ihr umfangreiches Netzwerk an Vorfeldorganisationen reichlichst mit Steuergeldern zu subventionieren.“

        Lustige Verschwörungstheorie!

        • Stefan Pietsch 16. April 2021, 09:39

          … dann schauen Sie mal, welche Lobbygruppen und NGOs das meiste Geld bekommen. Und dazu, wie nun auf Drängen der SPD beschlossen werden sollte, oder Prüfung auf Verfassungskonformität.

          • sol1 16. April 2021, 19:34

            „…welche Lobbygruppen und NGOs das meiste Geld bekommen….“

            Diejenigen, die von der Wirtschaft finanziert werden.

            • Stefan Pietsch 16. April 2021, 20:10

              Woher wissen Sie das? Ich habe nichts gefunden. Bitte beachten: Subvention nicht gleich Zuschuss.

      • Stefan Sasse 16. April 2021, 08:59

        Das ist deine Lieblingsverschwörungstheorie, aber ich halte sie für wenig tragfähig. Du hast Recht, dass die Grünen in Deutschland in einem großen Industrieland als Erben der Sozialdemokratie einzigartig sind, aber beerbt wird sie letztlich überall. Denk nur mal an Le Republic en Marche in Frankreich.

        • sol1 16. April 2021, 19:44

          Die These fällt auch in sich zusammen, wenn man den Blick auf das linksliberale Spektrum erweitert.

          In der Schweiz bekamen bei der letzten Wahl die Grünen 13,2 % und die Grünliberalen 7,8 %. In Dänemark, dem Land mit den irreführendsten Parteinamen, bekam im selben Jahr die linksliberale Radikale Venstre 8,6 % und die grün-assoziierte Socialistisk Folkeparti 7,7 %. Und in den Niederlanden gab es gerade 15,0 % für die linksliberale 15,0 %, 5,2 % für GroenLinks und 2,4 % für Volt.

          Und dann gibt es noch Luxemburg, wo die Grünen mit 15,1 % Teil einer Ampelkoalition sind.

          • bevanite 18. April 2021, 19:22

            Ergänzen muss man auch noch Frankreich und Großbritannien. Bei den Europawahlen 2019 hat Europe Écologie Les Verts ein unglaubliches Ergebnis erzielt, in Großbritannien hält die Green Party nun seit mehreren Wahlen in einem Wahlsystem, das ihnen nicht entgegenkommt, konstant ihren Sitz. Und politische verwandte Parteien wie die Scottish National Party und Plaid Cymru haben sich auch fest etabliert.

            Man könnte sogar noch Ungarn und Polen nennen: dort sind die LMP respektive Razem als moderne linksliberale Parteien ebenfalls erstmal im Parlament. Auch die amtierende Präsidentin der Slowakei wäre parteipolitisch in Deutschland am ehesten wohl bei den Grünen.

      • Erwin Gabriel 16. April 2021, 10:15

        @ R.A. 15. April 2021, 19:14

        Der Erfolg der Grünen in Deutschland ist eine eher singuläre Erscheinung in Europa.

        Ich denke auch. Ich hatte hier an anderer Stelle mit Stefan Sasse vor Kurzem über Proioritäten diskutiert. Die Grünen werden maßgeblich von Leuten gewählt, denen es gut geht. Da ist die Sorge nicht der Abeitsplatz, oder das zu geringe Einkommen; das hat man abgehakt. Jetzt kommt „Wohlfühlen“.

        Wenn die Wirtschaft zu knirschen beginnt, wird sich das ändern.

        • Stefan Sasse 16. April 2021, 13:50

          Ist doch bei allen liberalen Parteien so. Die FDP hat ihre Wählendenmilieus auch nicht unbedingt in Sozialwohnungen. In einer pluralistischen Demokratie ist das ja auch völlig okay. Solange wir uns alle klar darüber sind, dass die Grünen keine Volkspartei sind…?

          • Erwin Gabriel 19. April 2021, 13:38

            @ Stefan Sasse 16. April 2021, 13:50

            Ist doch bei allen liberalen Parteien so. Die FDP hat ihre Wählendenmilieus auch nicht unbedingt in Sozialwohnungen.

            Sie tut auch nicht so.

            In einer pluralistischen Demokratie ist das ja auch völlig okay.

            Ja

            Solange wir uns alle klar darüber sind, dass die Grünen keine Volkspartei sind…?

            Das musst Du (meinen Eindrücken nach) eher den Grünen erzählen 🙂

        • bevanite 18. April 2021, 19:26

          Dem würde ich entgegen halten, dass die neuesten Umfragehochs der Grünen mit einer sozialpolitischen Schärfung ihres Profils zusammenfallen. Zu Zeiten der Rot-Grünen Koalition konnte man Ihren Vorwurf vielleicht noch anbringen, aber inzwischen haben die Grünen die SPD in diesem Punkt überholt und es wird sogar offen über ein Grundeinkommen diskutiert. Oder wie erklären Sie es sich, dass die Grünen mittlerweile auch in Ostdeutschland, wo sie vor 20 Jahren noch als elitäre „Westpartei“ wahrgenommen wurden, sehr erfolgreich sind und teilweise die SPD überholt haben?

          • Stefan Sasse 18. April 2021, 20:50

            Ich finde es schwierig, ein BGE diekt in diesen Kontext zu stellen. Ich halte das BGE für eine nicht sonderlich linke Idee, ehrlich gesagt.

      • Lemmy Caution 17. April 2021, 00:16

        Sehe ich nicht so.
        In vielen Ländern bildeten sich „systemkritische“ Parteien, was ja auch mal den Kern der Grünen ausmachte. In Spanien etwa Podemos oder in Italien diese 5-Sterne-Partei. Jedoch fällt es diesen Parteien offenbar sehr schwer sich zu stabilisieren. Genau das gelang den Grünen in einem komplexen langjährigen Prozess sehr gut.

  • Dennis 15. April 2021, 18:35

    Das Schöne an der Sache: Die Umfragefritzen haben immer Recht – so ähnlich wie die Ökonomen.

    Klar, es handelt sich ja nicht um Prognosen, sondern um den Status zum Umfragezeitpunkt. Indem der nie mit dem tatsächlichen Wahltag übereinstimmt, ist man schon mal aus dem Schneider.

    Ferner gehe es eher um Trends und Tendenzen, heißt es. Und wenn die tatsächliche Wahl dann so gar nicht im Trend liegt? Dann hat der sich halt plötzlich gedreht, kann es ja geben.

    Berühmt geworden ist ja die Demoskopie-Pleite von 2005 im Hinblick auf die CDU/CSU. Im Schnitt satte 6 Prozentpunkte weniger für Merkel im Vergleich zu dem, was ihr die Institute gegönnt haben *). Ist natürlich ganz einfach zu erklären: „Last-Minute-Swing“, „Spätentscheider“, die im ungewöhnlich starken Maße zur FDP und anderwärts gekippt sind, was sich wahrscheinlich an den sonntäglichen Frühstückstischen ereignet hat, und überhaupt die Volatilität heutzutage, anders als früher, und so weiter. Wichtig ist, dass man das alles hinterher wissenschaftlich ganz genau erklären kann^. Wenn man dann noch von „Potentialen“ raunt, ist die Spökenkiekerei perfekt.

    *) „Politisch“ hat sie dennoch gewonnen, und zwar richtig heftig. Dass also „gewonnen“ und „verloren“ in politicis eh durchaus nicht unbedingt der Erbsenzählerei folgt, macht Letztere zusätzlich fragwürdig.

    • Stefan Sasse 16. April 2021, 08:55

      Meine ich auch; ich bin sehr unsicher, ob diese „Ungenauigkeit“ ein spezifisch grünes Phänomen darstellt. Aber wie gesagt, ich forsche nach.

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