Nun also doch: der harte Lockdown kommt. Nachdem einige MinisterpräsidentInnen sich bis zuletzt gesperrt hatten, wiederholte sich das Debakel vom März diese Woche erneut. Wie so oft war die Tragödie von einst nur noch eine Farce. Besonders die KultusministerInnen hatten sich als Prellbock inszeniert, an dem noch jede noch so berechtigte Forderung zerschellen musste. Dann ging es – erneut wir März durch Bayern als Treiber – plötzlich ganz schnell. Ob die Schulen aufbleiben, soll dann irgendwann Sonntag geklärt werden, aber warum auch Eile? Einige Stunden Vorlaufzeit sind völlig ausreichend, auch das wissen wir ja noch vom März. Mit der kaum noch unterdrückten Wut, mit der ich das kollektive Versagen der deutschen Politik betrachten und ausbaden muss, stehe ich dieser Tage kaum mehr alleine da.
Selbst Angela Merkel hat sich mit einer emotionalen Rede (für ihre Verhältnisse) in die Herzen vieler Beobachtenden eingesprochen. Tränen der Verzweiflung, wohl auch der Wut herunterschluckend plädierte sie eindringlich an die MinisterpräsidentInnen, endlich mal ihren Job zu machen. Ich teile ihre Gefühle, aber ich habe den Vorteil, nicht das mächtigste Amt im Land zu haben und mich deswegen nicht fragen lassen zu müssen, warum um Gottes Willen ich als Regierungschefin im Bundestag eindringliche Reden halte, aber mit einer außer Kontrolle geratenden Pandemie zu kämpfen habe.
Stattdessen will ich den Faden meiner Analyse der Pandemie als Krise des Westens wieder aufgreifen und einen persönlichen Blick auf die Situation geben. Ich gehöre nämlich gleich in zwei der drei Gruppen, die von der aktuellen Krisenpolitik hängen gelassen werden. Selbstständig bin ich nicht, aber Lehrer und Elternteil. In dieser Doppelrolle befinde ich mich in einem echten Ping-Pong der Gefühle und Meinungen, was die Corona-Krisenpolitik angeht. Immerhin eines haben beide Rollen gemeinsam: egal ob als Elternteil oder Lehrer, ich bin der Leidtragende der Entwicklung. Fangen wir mal beim Job an.
Ich bin das Frontschwein
Die MinisterpräsidentInnen und Kultusministerien haben unisono die Losung ausgegeben, dass der Präsenzunterricht absolute Priorität hat. Es macht keinen Unterschied, ob ein grüner Kretschmann, ein schwarzer Kretschmer, eine gelbe Neubauer, ein orangener Piazolo oder eine rote Scheerer an den Entscheidung beteiligt ist. Der Konsens ist parteiübergreifend, ebenso wie es das Versagen ist. Der Präsenzunterricht ist zu einer Leerformel, einer Beschwörung verkommen. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder hat das in ungewollt bestätigt, als er in einer Pressekonferenz erklärte, dass es um die Betreuung der Kinder und Jugendlichen gehe, um dann in einem Halbsatz hinterherzuschieben, dass es „natürlich auch“ um die Bildung gehe.
Und das ist das zentrale Thema. Es geht eben nicht um Bildung. Es geht primär um die Betreuung und sekundär um die Zertifikate. Alles andere ist irrelevant. Denn wenn die PolitikerInnen gerade nicht die Bedeutung des Präsenzunterrichts für das Funktionieren der Arbeitswelt beschwören, dann kann man sicher sein dass betont wird, wie wichtig es ist, vor dem Lockdown Klausuren zu schreiben. Aufbewahrung und Zertifizierung, darin erschöpft sich der Bildungsbegriff. Es ist ein absolutes Trauerspiel.
Um diesem Trauerspiel den legitimatorischen Rahmen zu geben, werden meine KollegInnen (120.000 allein in Baden-Württemberg) und ich unter völlig unzureichenden Bedingungen in die Klassenzimmer gestellt, quasi an die vorderste Front der Pandemie. Die Inzidenzwerte in den Schulen sind, das hat die Leopoldina jüngst herausgestellt, deutlich höher als im Schnitt. Die Zahl der Erkrankungen unter Lehrkräften ist es ebenso. Dafür dürfen wir uns nicht nur Vorwürfe anhören, wir wären faul (Wahnsinn, faule Lehrer, welch einfallsreiche Invektive), sondern erhielten vom Land im Oktober eine Packung mit 50 Einmalmasken aus Papier und nun Anfang Dezember noch einmal 10 FFP2-Masken. Das war’s. Vielen Dank dafür, Frau Eisenmann, ich fühle mich schon viel sicherer.
Aber natürlich sollte ich den Tatendrang des Kultusministeriums nicht zu sehr kleinreden. Schließlich gibt es die berühmt-berüchtigte Anweisung, alle 20 Minuten für 5 Minuten die Klassenzimmer zu lüften, was bei Temperaturen unter Null kaum negative Auswirkungen auf das Unterrichtsgeschehen und das Wohlbefinden aller Beteiligten hat. Es ist ja nicht so, als würden die SchülerInnen den Großteil des Tages ohne Bewegung im Sitzen verbringen. Auf der anderen Seite halten sich natürlich alle SchülerInnen jederzeit an die Hygieneverordnungen, denn es gibt keine Demographie, die so sehr mit Verantwortungsgefühl und Zuverlässigkeit assoziiert wird wie pubertierende Jugendliche.
Alleingelassen in der Etappe
Ich kann mich aber nicht nur als Lehrkraft darüber beklagen, dass ich der Landesregierung völlig egal bin. Ich habe auch die andere Seite. Mit zwei kleinen Kindern weiß ich nämlich sehr gut aus erster Hand um die Notwendigkeit einer Betreuung, sind wir doch ein Doppelverdienerhaushalt, in dem wir beide Vollzeit arbeiten. Wenn die Kinder nicht betreut werden, können wir – oder zumindest eineR von uns – nicht arbeiten.
Das macht es umso auffälliger, mit welcher Ignoranz hier teilweise verfahren wird. Im Kindergarten unserer Tochter etwa wird bei einem Verdachtsfall die komplette Kindergartengruppe für zwei Wochen in Quarantäne geschickt. Mit einer Vorlaufzeit von immerhin ungefähr zwölf Stunden habe ich plötzlich eine Fünfjährige 24/7 zuhause, die isoliert werden muss.
Das gleiche Spiel an der Grundschule meines Sohnes. Erst bekommen wir am frühen Abend eine Mail, dass leider so viele Lehrkräfte in Quarantäne sind, dass der Unterricht der dritten Klasse bis auf Weiteres erst mal komplett ausfällt. Puff, ein Achtjähriger 24/7 zuhause, immerhin mit Mail zehn Stunden vorher, dass ich dem Arbeitgeber noch Bescheid sagen kann.
Aber keine Angst, denn Junior wird im „Fernunterricht“ weiter unterrichtet. Der bestand aus einem Wochenplan mit zahlreichen Aufgaben, die meisten als PDF-Arbeitsblatt. Ich habe zuhause einen Drucker, aber ich weiß aus sicherer Quelle, dass das nicht auf alle zutrifft. Geschenkt. Nun wissen wir ja alle, dass man Achtjährigen einen Stapel Blätter und den Wochenplan hinlegen kann, die arbeiten dann die sechs Stunden am Vormittag durch, so dass ich im Homeoffice weiterarbeiten kann.
Dasselbe Spiel, als in der Klasse nur eine Woche später ein Kind K1-Person war. Die SchülerInnen wurden mit wenigen Stunden Vorwarnung nach Hause geschickt, jeden Tag kam am späten Nachmittag eine neue Mitteilung, dass man „morgen auch noch“ in Quarantäne bleiben müsse und ansonsten auf Meldung des Gesundheitsamts warte. Die kam sieben (!) Tage nach der Inzidenz: Wir dürfen einen Test machen, nach dessen Negativergebnis die Kinder drei Tage später wieder in die Schule dürfen.
Life’s though all over?
Man kann jetzt natürlich sagen: „Life’s tough all over, cupcake!“ und es damit bewenden lassen. Was schließlich verlange ich eigentlich?
Im Frühjahr habe ich mich nicht so sehr über meine Regierungen, ob Land oder Bund, geärgert. Ja, man hätte früher auf die Pandemie reagieren, sie früher ernst nehmen müssen. Aber der Fehler war verständlicher, der wissenschaftliche Konsens (Stichwort Masken) löchriger. Inzwischen packt mich bezüglich des ganzen Blödsinns nur noch die kalte Wut. Denn dass im Herbst die zweite Welle kommen würde, war Konsens. Jeder konnte es wissen. Die VirologInnen, EpidemologInnen und andere Experten warnten sich die Kehlen wund. Monatelang lebte das Land in der kollektiven Illusion, es werde alles mit der Milde des Sommers weitergehen, und die Politik nährte diese, so gut sie konnte.
Als wenn dieses kommunikative Desaster nicht schon genug wäre, wurde die Zeit nicht einmal genutzt, um Vorbereitungen zu treffen. Und DAS ist es, was ich der Regierung ankreide. Es waren sechs Monate Zeit, sich Gedanken darüber zu machen und Maßnahmen zu ergreifen. Es ist praktisch nichts geschehen. Stattdessen sahen wir den gesamten Herbst die exakte „Augen zu und durch“-Mentalität, die schon das Frühjahr kennzeichnete. Erst schob man auf Biegen und Brechen den Regelunterricht bis zu den Herbstferien durch, in der Hoffnung, die eine Woche möge schon die seit Schulbeginn im September steigenden Infektionszahlen so hinmassieren, dass man weiter durchwursteln könnte.
Das geschah nicht. Stattdessen verordnete man eine Maskenpflicht im Klassenzimmer und stoßlüften alle 20 Minuten. Nicht, dass man mich falsch versteht: das ist besser als Nichts zu tun. Aber das Problem ist, dass kein Konzept dahinter steht, keine Anerkennung der Pandemie als ernsthaftes Problem statt einer milden Unbequemlichkeit. Die mangelnde Ernsthaftigkeit, das Erzwingen einer Schein-Normalität in Schule und Arbeitsleben und das Abwälzen der gesamten Pandemiebekämpfung auf den Privatbereich, wo Kontakte zu reduzieren und Opfer zu bringen waren, damit ja keine Stunde des ach so wertvollen Präsenzunterrichts entfallen möge und die Arbeitgeber weiter so weit wie möglich vor den Schrecken von Home-Office und Digitalisierung bewahrt würden; all das führte dazu, dass ein Großteil der Bevölkerung nicht bereit war, die Pandemie als real anzuerkennen. Ich darf nicht ins Restaurant, aber täglich mit mehreren hundert SchülerInnen auf engstem Raum Kontakt ist völlig ok? Ihr könnt mich doch mal.
Der offensichtlichen Beleidigung beim Aufrechterhalten dieser Fassade wurde nun noch die Krone aufgesetzt, als ausgerechnet ein Ministerpräsident wie Michael Kretschmer verkündete, man müsse nun doch einen harten Lockdown machen, weil „wir“ die Pandemie nicht ernst genommen hätten, weil – wie er später noch eins drauf legte – „die Bevölkerung“ sie nicht ernst genommen habe. Andere LänderfürstInnen waren nicht so bescheuert, das derart offen zu sagen, aber die Einstellung durchtränkt alle offiziellen Stellungnahmen. Die Bevölkerung war zu doof, jetzt müssen wir, gestrengen Eltern gleich, den harten Lockdown machen. Dabei waren es genau diese Leute, die auf ganzer Ebene versagt haben.
Versäumnisse allerorten
Anstatt etwa sich eine Scheibe abzuschneiden von der Pandemiebekämpfung in Südkorea, wenn nicht schon was Maske tragen und Distanzhalten angeht, so doch wenigstens in der technischen Begleitung durch vernünftiges digitales contact tracing, schaffte es die Bundesregierung, Millionen Euro in eine weitgehend nutzlose App zu versenken, deren gesamter Genese-Prozess von einem geradezu irrwitzigen Tanz um das Goldene Kalb des Datenschutzes begleitet war, der dazu führen musste, dass selbst wenn die App sonderlich tauglich wäre – was ernsthaft bezweifelt werden darf – viele sie allein der negativen Presse und ständigen Unkerei aus Furcht nicht installiert hätten, ein Schicksal, das die Politik mit ihrer katastrophalen Kommunikationsstrategie nun vermutlich auch den neuen Impfstoffen beschert hat.
Auch an der Wasserscheide der gesamten Pandemie, den Schulen, zeigt sich dieser Irrwitz um den Datenschutz. Anstatt auf eine Lösung zurückzugreifen, die erwiesen funktioniert, bezahlbar ist und in der Privatwirtschaft in zehntausenden Betrieben seit 40 Jahren mit Erfolg benutzt wird – wir reden natürlich von Microsoft Office – versenkten die Bundesländer Millionen und Abermillionen in die Entwicklung und den Betrieb selbst geschriebener Plattformen, die mehr schlecht als recht laufen, so sie denn überhaupt je funktionierten, und die natürlich jedes Bundesland auch noch für den eigenen, bildungsföderalistisch geheiligten Verwaltungswasserkopf entwickelt haben musste. Auch hier können Länder, die die Digitalisierung längst wenn nicht bewältigt, so doch zumindest weitgehend auf den Weg gebracht haben, nur den Kopf schütteln. Eine der reichsten Nationen der Welt versagt völlig dabei, Millionen von SchülerInnen und hunderttausenden von LehrerInnen ein Tool zur Verfügung zu stellen, dessen Funktionalität effektiv einer Excel-Tabelle und einem Videochat entspricht.
Ein verwandtes Problem haben wir mit der Zertifizierung, sprich, dem Schreiben von Klausuren. Auch hier wurde eine Monstranz errichtet und auf Prozessionen durch den Sommer getragen (angestaubt war sie kaum; bei jeder Reformdebatte wurde sie bislang zuverlässig herausgeholt). Sowohl vor den Herbstferien als auch nun mit den dräuenden Weihnachtsferien galt der Imperativ: Klausuren müssen geschrieben werden. Bayern tat sich hier als unheiliger Vorreiter hervor; das Bundesland mit den härtesten Prüfungen muss natürlich auch hier die Devise ausgeben, dass nichts in der Schule so wichtig ist wie die Notengebung alle sechs Wochen nach einheitlichen Prüfungsformaten.
Nicht einmal wurde auch nur der Gedanke gefasst, dass man vielleicht alternative Prüfungsformate entwickeln könnte. Nicht einmal wurde auch nur ernsthaft in Erwägung gezogen, dass Leistungsfeststellung digital passieren könnte. Nicht einmal wurde darüber reflektiert, ob der Zwang zur ständigen Leistungsmessung vielleicht mit dem Bildungsbegriff so viel gar nicht zu tun hat und es stattdessen sinnvoller wäre, das System generell zu überdenken. Das muss man inmitten einer Pandemie natürlich auch nicht; da gibt es Wichtigeres. Aber genau deswegen wäre vielleicht die richtige Reaktion nicht gewesen, die Schulen bis ultimo offen zu halten und der Tradition klausurgetränkter Wochen vor und nach Weihnachten Genüge zu tun und stattdessen zu sagen, dass es drei statt vier Klausuren im Schuljahr 2020/21 vielleicht auch tun. Davon geht die Welt nicht unter.
Am klarsten aber kristallisiert sich diese Lawine der Versäumnisse immer wieder am Dreh- und Angelpunkt der ganzen Geschichte: dem Präsenzunterricht, oder, wenn man es ehrlich sagt, der Betreuung. Das ist der Augenblick, wo für mich die ganze verdammte Paradoxie der Situation wieder zusammenfällt. Als Lehrer will ich die Schulen lieber heute als morgen geschlossen sehen. Als Elternteil will ich meine Kinder betreut wissen.
Und gerade hier wird weder die eine noch die andere Seite erfüllt. Denn so alleingelassen ich als Lehrer bin – abgesehen von den zehn Masken – so alleingelassen werde ich auch als Elternteil. Die beschriebenen kurzfristigen Quarantänen, der lachhafte „Fernunterricht“, der mich in die Rolle des Aushilfslehrers für meine Kinder zwingt, sie alle summieren sich zu einer ungeheuren Belastung. Gedanken verschwendet werden keine. Die Kinder werden einfach in Quarantäne gepackt, und der Rest ist meine Sache. Die entsprechenden Ämter lassen sich nicht einmal dazu herab, dazu wenigstens einen Zettel auszugeben, den man dem Arbeitgeber vorlegen könnte oder so was. Es gibt nicht einmal ein absolutes Minimum an Anerkennung dessen, dass das eine Belastung ist. Kein „tut uns sehr Leid, wir wissen, wie schwierig das ist“ oder so. Nichts.
Dasselbe gilt für uns Lehrer. Ich fände die ganze Situation wesentlich weniger schlimm, wenn Frau Eisenmann (hier pars pro toto für alle KultusministerInnen) wenigstens eine „Blut, Schweiß und Tränen“-Rede halten würde. Wenn sie ehrlich anerkennen würde, dass, ja, die Schulen und Kitas offenbleiben müssen, weil ohne die Betreuung der Kinder die Wirtschaft zusammenbräche. Dass wir Lehrkräfte und ErzieherInnen deswegen bewusst in Gefahr gebracht werden, weil unser Beitrag hier essenziell ist. Aber das kommt nicht. Stattdessen bekommen wir eine nicht nur falsche, sondern auch noch unaufrichtige Anhimmelung des Präsenzunterrichts, eine völlige Verzerrung unseres Tagesgeschäfts und dürfen uns dann auch noch die üblichen Beleidigungen anhören, wie faul und privilegiert wir doch als Berufsstand so seien.
Ich würde auch gerne anerkennen, wenn Frau Eisenmann argumentierte, dass das die Kehrseite des Beamtenstatus ist: Dass StaatsdienerInnen in so einer Situation eben auch dem Staat zu dienen haben, auch wenn das für sie gefährlich ist (nicht, dass das den Angestellten helfen würde, aber das ist ein anderes Thema). Es würde auch ein neues Gefühl für die Legitimation des Beamtenstatus mit sich bringen. So haben wir das schlechteste aus beiden Welten: die mangelnde Anerkennung durch den Dienstherrn, die mangelnde Anerkennung durch die Gesellschaft, die mangelnde Anerkennung auch durch uns selbst (wissen wir doch, dass wir missbraucht werden), aber die volle Gefahr und den vollen Aufwand.
Konsequenzen? Keine zu erwarten
Ich könnte nun einen hoffnungsvollen Schluss verfassen, in dem die Versäumnisse der Corona-Zeit als Grundlage für Reformen dienen könnten. Eine umfassende Digitalisierung des Bildungsbereichs, wie sie zwei Jahrzehnte verschleppt wurde. Eine längst überfällig didaktische und pädagogische Neuorientierung. Eine Überlegung, wie Familie und Beruf besser vereint werden können. Aber dieselben Hoffnungen herrschten auch im Frühjahr. Ich habe zahlreiche motivierte Arbeitsgruppen von LehrerInnen gesehen, die Pläne gemacht haben – Pläne, die von den Kultusministerien beiseite gewischt wurden, damit sie mit aller Gewalt einen Anschein von Normalität aufrechterhalten können, der nie mehr als Illusion war und sich angesichts der Pandemie als solche erweisen musste. Ein Virus interessiert sich nicht für politische Manöver und PR-Spielereien.
Auf diese Kritik hin zum Rücktritt aufgefordert erklärte die Kultusministerin Nordrhein-Westfalens, Susanne Gebauer, dass dann ja alle 15 anderen KultusministerInnen auch zurücktreten müssten. Sie fand das offensichtlich eine absurde Idee. Ich nenne es einen guten Anfang.
Als Ergänzung ein FAZ-Herausgeber:
Weshalb also sucht die Ministerin, die demnächst Ministerpräsidentin werden möchte, fadenscheinig und demagogisch Zweifel am Votum der Wissenschaftler zu wecken? Die Antwort hierauf ist nicht schwierig. Einerseits föderales Gehabe: Wir haben auf jeden Fall eine eigene Meinung, wenn sie auch unsinnig ist. Andererseits werden seit dem Frühjahr die ungeheuerlichsten Bildungsverluste beschworen, die angeblich unaufholbar durch fehlenden Unterricht während der Pandemie entstehen. Tatsächlich aber steht die Schule vor allem als Aufbewahranstalt im Fokus der für sie zuständigen Politik. Zustimmend begleitet von Zurufen wie „Habt euch nicht so, ein bisschen Risiko gibt es immer“ interessiert sich die Schulpolitik für den Unterricht nur insofern, als er unbedingt stattfinden und die Bürokratie möglichst wenig belasten soll. Das ist ein Gesichtspunkt: Schüler können im Klassenzimmer weniger Straftaten begehen, rauchen oder ihren Eltern auf die Nerven gehen. Den Sinn der Schule darin zu sehen, ginge aber zu weit. Der Sinn der Schule ist Bildung, was übrigens nicht das Nacherzählen der Hauptorgane des Fischstoffwechsels bedeutet. Zehn Tage weniger Bildung um der Senkung der Infektionszahlen willen sind nicht so schlimm. Wenn man denn einen Plan hätte, wie sich solche Verluste aufholen ließen. Hat man aber nicht. Nicht einmal für zehn Tage, von denen die Wissenschaftler plausibel machen, sie seien nötig. Weshalb also sind ungebildete Personen Bildungsminister?
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/corona-streit-um-empfehlung-der-leopoldina-zu-schulschliessung-17095766.html
Noch was, das nicht in den Artikel passte, aber eine Ergänzung bzw. Erweiterung meiner Kritik am Vorwurf an die Bevölkerung ist; natürlich sind die Leute AUCH Schuld, das habe ich meinen anderen Artikeln ja auch gesagt. Aber vor allem ist es halt mal die Politik. Nichts desto trotz, hier der Spiegel:
Erinnern Sie sich noch ans Frühjahr? Da haben wir den Leuten im öffentlichen Dienst und in den Krankenhäusern applaudiert. Den Ärztinnen, Erziehern, der Frau von der Müllabfuhr und dem Mann an der Supermarktkasse. Heute sind die Infektionszahlen höher als im Frühjahr, aber diese Leute, die unser Leben sprichwörtlich am Laufen halten, stehen wieder im Schatten. Und wir wollen gar nicht genau wissen, wie diese Leute das machen, wie es ihnen dabei geht. Die sollen einfach funktionieren. Solange für mich im Zweifel noch irgendwo ein Bett frei ist auf der Intensivstation, stören die 20.000 Neuinfektionen ja nicht. Solange ich meine Kinder noch in der Kita abgeben kann, brauche ich mich um die Sorgen der älteren Erzieherin ja nicht kümmern. Und außerdem brauche ich auch noch Weihnachtsgeschenke! Jeder macht nun mal seinen Job. Oder? Eine Gesellschaft, in der das Ich vor dem Wir kommt, ist fruchtbarer Boden für eine Pandemie. Und so stolpern wir Ichlinge durch diese Krise. Wir sagen: aber der Datenschutz! Aber die Wirtschaft! Aber unsere Reisepläne! Aber diese ewige, nervende Pandemie!
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-wir-haben-uns-den-lockdown-redlich-verdient-kommentar-a-41252d4b-baf8-4d11-bd07-ae97312803a0#ref=rss
Ich unterschreibe jeden Satz. Kultus(!)minster/innen, die ungeniert die Wissenschaft nicht nur ignorieren, sondern verächtlich machen wie BW-Eisenmann: „..nicht auf der Höhe der Zeit“ – „bei uns wird es das nicht geben“ – ohne jede Begründung. Nicht einmal Wechselunterricht oder versetzte Anfangszeiten – nichts! Davonjagen müsste man sie. Anzeigen wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tausenden von Fällen.
Selbst die FAZ fragt konsterniert: „Weshalb also sucht die Ministerin, die demnächst Ministerpräsidentin werden möchte, fadenscheinig und demagogisch Zweifel am Votum der Wissenschaftler zu wecken?“
Die Studien, dass Kinder keineswegs weniger betroffen sind, werden einfach ignoriert. Und den Irrsinn mit den vollen Schulbussen und Straßenbahnen hast du noch nicht einmal erwähnt. In den Mittagspausen decken sich die Schüler in Massen ohne Abstand und Masken im Supermarkt ein.
Nein, Du bist mit Deiner Wut nicht allein. Aber warum halten Lehrergewerkschaften und Elternvertreter so still? Ich hab angefangen, Mails zu schreiben: Tut was, macht Druck, bereitet dem Irrsinn ein Ende. Schnell, jeder Tag zählt jetzt.
Ich verstehe es auch nicht. Ich hab die Schnauze so voll von diesem unverantwortlichen Dilettantenverein.
Noch ein Artikel, dieses Mal von Fleischhauer. Der zeigt, dass die komplette Idiotie wahrlich nicht auf die Politik beschränkt ist:
Aber das stimmt nicht. Die Infektionszahlen sind in den meisten Altersgruppen seit drei Wochen weitgehend stabil. Es gibt eine Ausnahme, das ist die Altersgruppe ab 60.
https://www.focus.de/politik/deutschland/die-focus-kolumne-von-jan-fleischhauer-liebe-zum-lockdown-wie-die-politik-von-ihrem-versagen-in-der-corona-krise-ablenkt_id_12765581.html
WER WILL DENN DIE INFEKTIONSZAHLEN STABIL HALTEN, DU HOLZKOPF?
zu dem ganzen Unsinn stimmt die Tübingen-Story übrigens nicht:
https://www.tagesspiegel.de/politik/statistik-diskrepanz-in-palmer-aussagen-doch-kein-corona-wunder-in-tuebingen/26711542.html?3=
Ich spamme hier echt weiter die Kommentare zu, aber: Diese eigennützigen Lügen sind keine Kretschmer-Spezialität, Laschet ist da auch super drin. Absolute Frechheit: https://twitter.com/CarloMasala1/status/1337769242322669569
Lehrer ist doch ein toller Job. Sechs Stunden recht haben und den Rest des Tages frei. Ab und zu dann noch mal den Eltern erklären, dass ihre Kinder nicht hochbegabt, sondern sie als Eltern leider etwas dumm sind: Voilà!
Dann kommt der nächste Kultusminister und alles wird noch blöder, nur eines nicht: Anders.
Die 2. Welle….Der Virus war nicht weg, nur geht im Sommer keiner ins Krankenhaus (oder zum Arzt), der nicht wirklich gezwungen ist.
Und natürlich hat der blinde Aktionismus nichts geholfen und die Bevölkerung (ein Wort, welches die Großkopferten miteinschließt) war zu doof. Es gab ja zum Glück auch nix, woran man sich hätte orientieren können, wie China Leaks schon eindrücklich bewies. Im größten Deutschland aller Zeiten, indem alle gut und gerne leben, hat man es nun mal nicht nötig, sich an Dittweltlern zu orientieren. Alles andere gehört als kommunistische Propaganda in die Tonne gekloppt.
Wie konnten Schulen nur die letzten Dekaden überleben, indem sie nur die Kranken nach Hause schickten?
„Ein Virus interessiert sich nicht für politische Manöver und PR-Spielereien.“
Nö, jedoch Menschen. Und nächstes Jahr sind wieder Wahlen. Und die Menschen fahren total auf blinden Aktionismus ab. „Endlich tut mal jemand was!“ Wenn das Gras nicht wachsen will, dann zieht man halt dran. Das ist der Grund, warum Wiesen entstehen.
nur geht im Sommer keiner ins Krankenhaus (oder zum Arzt), der nicht wirklich gezwungen ist.
Öh, während das im Winter halt der neueste Freizeithype ist, gleich nach Skiurlaub oder wie? Oo
Auf rhetorisches Missverstehen gehe ich nicht ein. Das führt nur zum Glauben, jedoch nicht weiter. Sie können sich auch einfach die Belegungszahlen von Juni, Juli und August anglotzen.
Bitte achte etwas auf den Ton.
Danke für den Artikel, was ich hier in meinem Kinder-Umfeld wahrnehme, ist auch gerade, dass diese völlige Unplanbarkeit dann auch eins der großen Probleme ist. Quarantäne kurzfristig, Chaotik, Tests, Sorge, dass man selbst oder andere angesteckt wurden, etc. Dazu eben eh nur noch so halber, normaler Unterricht, weil Lehrkräfte fehlen. Wie irgendjemand bei diesen Temperaturen was lernen kann, ist mir sowieso schleierhaft.
Und Niedersachsen ist im Vergleich zu Sachsen, BaWü und NRW noch nicht soooo bescheuert dran, wir sind gerade wieder sehr gut, uns unsichtbar zu machen, in der Hoffnung, wir werden vergessen^^ Aber auch Weil hat neulich wieder erzählt, dass in den Schulen ja weniger Infektionen stattfinden, seufz. Also die haben da echt alle ihre eigene Coronaleugner-Story gesponnen und kommen da partout nicht mehr runter. Das konterkariert die eh schon hirnlose Kommunikation noch mehr.
Weiß nicht, ob ich das aufgeschrieben habe, aber das ist wohl echt so eine Glaubenskrise geworden. Ich meine zur letzten Bund-Länder-Konferenz wollte Merkel wohl möglichst einheitlich längere Weihnachtsferien und die Länder waren ganz empört, weil sie Schulschließungen durch die Hintertür witterten.
Und ich sehe das Betreuungsproblem durchaus, gerade bei jüngeren Kindern, da ist es ja auch völlig illusorisch, dass die großartig (womöglich eigenständig) Homeschooling begreifen. Von daher hätte es meine Unterstützung gehabt (obwohl ich das eben nicht brauche) erstmal andere Sachen zu schließen und zu versuchen, die KiTas und Schulen aufzuhalten. Wenn man das dann immerhin so macht, dass man das Problem überhaupt mal anerkennt!!
Ich verstehe aber partout nicht, warum man dann nicht nach Alter trennt, Jugendliche werden ja wohl alleine bleiben können und kämen auch mit weniger Präsenzunterricht klar (oder nachmittags oder oder). Citizen hat die Bus-Situation ja auch angesprochen. Der reine Wahnsinn.
Mal sehen, ob am Sonntag noch was rauskommt. Aktuell ist in NDS geplant, die Präsenzpflicht ab Montag auszusetzen, was halt auch wieder so ein Kompromiss ist. Zum Einen können das nur Leute machen, die das Privileg haben, das Kind dann zu betreuen. Und die LehrerInnen sitzen jetzt da, haben das aus der Presse erfahren und wissen gar nicht, ob und wieviele SchülerInnen wo sind. Das ist eben auch wieder was, was auf das Individuum abgeladen wird, die können sehen, wie sie zurechtkommen.
Ich fürchte, das ist auch ein bisschen das, was dabei herauskommt. Gerade die, die mitmachen WOLLEN, fühlen sich von der Politik (und auch der Gesellschaft) alleinegelassen und das führt eben eher noch mehr zu einer Haltung, dass jeder selbst gucken muss. Und wirklich wie im März ist die Büffelherde jetzt umgeschwenkt und rennt in die andere Richtung, siehe auch wieder Kretschmer und Laschet oder auch Kretschmann (habt ihr da jetzt echt alle Ausgangssperre? Aber mit offenen Schulen? Hä?) überbieten sich in die andere Richtung. Komm da gar nicht mehr mit.
Allerdings, glaub wir haben bisher nur Glühwein verboten und warten sonst eben erdverwachsen niedersächsisch den Sonntag ab^^
Ich verstehe aber partout nicht, warum man dann nicht nach Alter trennt, Jugendliche werden ja wohl alleine bleiben können und kämen auch mit weniger Präsenzunterricht klar (oder nachmittags oder oder). Citizen hat die Bus-Situation ja auch angesprochen. Der reine Wahnsinn.
Wegen der Vergötterung des Präsenzunterrichts und der Prüfungen. In BaWü war die Verordnung immer: alle dürfen heim, nur J1/J2 nicht, wegen KLAUSUREN!!!
Ach, hier noch so ein typsicher Lokalartikel aus dem Landkreis nebenan. Der nimmt deine Kritikpunkte echt nochmal schön auf. Rumgeheul, weil die in den Oberstufen Prüfungen schreiben müssen und soviel Druck auf dem Kessel ist. Erzählung, dass man sich überall ansteckt, aber quasi nie in der Schule und das gemeinsame Weihnachtssingen (WTF) droht nun auszufallen: (nein, nicht mein Landkreis^^)
https://www.kreiszeitung.de/lokales/rotenburg/rotenburg-ort120515/druck-auf-dem-kessel-90128912.html
Vollste Zustimmung auch von meiner Seite. Ich stehe jetzt schon eine ganze Weile daneben und vergleiche mit dem Frühjahr und fand die gesellschaftliche, mediale und v.a. politische Dissonanz echt krass – wenn damals unsere Einschätzung so war, warum verhalten wir uns in einer ähnlichen Situation so komplett anders? Einfach nur kognitive Dissonanz, Verdrängung und Vermeidung? Ich bin absolut privilegiert und in der Lage so gut wie alle nicht-nötigen Kontakte zu vermeiden, was meine Frau und ich auch getan haben, während andere wieder „normales“ Sozialleben hatten. Mein tiefes Mitgefühl an alle, die da mehr Belastung haben!
Eine Frage hätte ich da mal, ab von den Emotionen:
Mein Eindruck von der Politik war eigentlich im letzten halben, fast 3/4 Jahr, das sie sich an dem Szenario ausrichtete, in einem halben Jahr ist sowieso alles wieder genauso wie vorher, mit Budgetcuts, dem üblichen Posturing wer wie viel einspart, wer wie kompetent geführt hat, usw.
Ich fand das schon echt so sehr sehr komisch. Mein Eindruck ist, dass es einige Entwicklungen gegeben hat, die dieses Optimieren auf eine nahe Zukunft die genauso aussieht wie unser gestern total daneben gehen lassen. Ich denke, es gibt das normal von damals nicht mehr wirklich. Wenn man sich z.B. die massiven Schulden ansieht die gemacht wurden und wie sehr Zinsen NICHT angestiegen sind, ist denk ich klar zusammen mit 2007/08 dass Staatsfinanzierung komplett anders funktioniert als in den 70 Jahre, wo diese Fixierung auf die Schulden herkommt – Griechenland hatte teilweise NEGATIV Zinsen. Unser politisches System hat eine handfeste epistemische Krise ist mein Eindruck, und ist nicht schnell genug in der Lage zu korrigieren. Langfristig hoffe ich zumindest dass da Korrekturen über Wahlen statt finden können, nur wo ist das Personal für eine adaequate Einschätzung der Gesamtsituation, zusammen mit Schlüssen über das Mögliche, Nötige, und den politischen Gestaltungsspielräumen in unserem System? Gerne auch in jeder ideologischen Geschmacksrichtung, … es wirkt auf mich insgesamt schon echt epistemisch extrem sklerotisch. Wie seht ihr das?
Die Diskussion um Schulden, Geldmenge und Zinsen hatten wir ja auch hier vor gut einem (?) Jahr, und sie ergab kein klares Bild. Da ist noch viel unverstanden. Aber das Finanzielle, so wichtig es ist, muss in den nächsten Wochen mal beiseite treten. Wir müssen uns auf die Bewältigung der Pandemie konzentrieren, sonst geraten auch die Finanzen aus allen Fugen.
Ich würde Ants Frage umfassender sehen als nur auf die Frage von Zinsen. Ant, wenn du dazu einen Gastartikel schreiben willst, gerne.
Auf das Angebot gehe ich sehr gerne ein, könnte allerdings noch 1-2 Tage brauchen, ich habe morgen noch eine Deadline. Ich bin unter allen hier auf dieser Website hinterlegten Mailadressen zu erreichen, da hast du mir gegenüber ja einen Wissensvorsprung.
Im Impressum steht meine Mail 😉 Kein Problem wegen der Verzögerung.
Würde ich grundsätzlich unterschreiben, ja.
Möchte nur zwei Sachen ergänzen:
1. Mein Sohn geht in die 1. Klasse einer Schule, die, vorsichtig ausgedrückt, alle Bevölkerungssschichten unterrichtet. Die Schule hat schon am Anfang des Schuljahres dafür gesorgt, dass jeder der Schüler bei dem von der Stadt gekauften Office365 angemeldet ist (mit der üblichen Nebenbemerkung „das ist für uns alle auch neu“). Allerdings bleibt die Frage der Endgeräte natürlich ungelöst, denn das was viele Familien haben, wird nochmal fürs Homeoffice benötigt. Aber selbst wenn jeder versorgt gewesen wäre: Fernunterricht würde für die erste Klasse komplett zu eine Fernschalte mit Drucker verkommen, denn die Kinder können per Definition weder lesen noch schreiben (und das Tippen ist dementsprechend auch nicht drin). Ob es an dieser Stelle nicht einfach ehrlicher gewesen wäre, das Unterrichtsmaterial per Post zukommen zu lassen, kann jeder für sich selbst entscheiden.
Aber was Positives: ich habe die Vermutung, dass Kinder aus dieser Pandemie wesentlich angepasster rauskommen, als noch die Vorgeneration.
2. Es werden nicht nur die Aussagen der Wissenschaftler ignoriert, es werden auch die Grundzüge der wissenschaftlichen Arbeit ignoriert. Stattdessen setzt man auf Emotionen und Bauchgefühle. Im Frühjahr war das evtl. wegen des Standes der Wissenschaft noch OK, aber, wie im Artikel beschrieben, nicht mehr im Herbst, nachdem schon ein halbes Jahr vergangen ist, ohne dass irgendetwas gemacht worden wäre. Jeder Schritt, der aktuell ergriffen wird, hätte knallhart begründet werden müssen, mit harten Zahlen, nach dem Prinzip: diese Zahlen haben wir, sie haben folgende Aussagekraft, so entstehen diese, wir wollen sie auf dieses und jenes Niveau drücken und zwar weil dann Folgendes eintritt. Gewissermaßen die Methodik von „5x Warum“ etwas angepasst. Dazu braucht man aber korrekte und top-aktuelle Zahlen! Diese Zahlen haben wir Stand jetzt nicht, weil Deutschland anscheinend nicht in der Lage ist, großflächig Tests durchzuführen, sie schnell auszuwerten und die Ergebnisse zeitnah zusammenzuführen. Stattdessen sind die Testkapazitäten deutschlandweit vielleicht sogar vorhanden, aber getestet wird sowieso nur dann, wenn es sich zur Gesichtswahrung nicht mehr vermeiden lässt und gemeldet werden die Zahlen natürlich nur Montags bis Freitags per Fax, vorausgesetzt, dass der eine Beamte gerade nicht selbst in Quarantäne steckt. Erst jetzt verkündet Bayern, man würde die Gesundheitsämter dazu zwingen, das gemeinsame digitale Meldesystem zu nutzen, welches man längst (ab ca. 2017) hätte einsetzen können (s. https://threadreaderapp.com/thread/1332682679553232896.html). Der Sommer wurde komplett verschlafen und das macht tatsächlich nur noch wütend.
Alles richtig. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass zu wenig Druck aus Öffentlichkeit/Medien kam. Die Dringlichkeit wurde nicht erkannt, man hat sich um den Urlaub gesorgt und um die Langeweile in Homeoffice und Quarantäne. Und mit den Politikern gehofft, es würde schon irgendwie gut gehen, wie bei Vogel- und Schweingrippe.
Das Bewusstsein, dass es einer großen „nationalen“ Anstrengung bedarf, war einfach zu wenig da.
Die Faxe der Gesundheitsämter wie die Panne mit der App wurden kopfschüttelnd eher als Kuriosum denn als Skandal behandelt. Wie die Lüftungs-„Strategie“ in den Schulen und die Datenschutz-Farce. Die Politik hätte vorausschauend handeln müssen, ja.
Aber es gab eine breite Zustimmung zum Regierungshandeln. Deshalb sollte man jetzt nicht alle Schuld bei den Politikern abladen.
Statt Schuldzuweisungen jetzt: Fehler korrigieren.
Fast so als hätte jemand hier im Blog darüber geschrieben, dass es eine gesamtgesellschaftliche Krise ist ^^
Gut, dass es Blogger gibt^^
Hehe. 🙂
Da machst du es dir in meinen Augen etwas zu einfach.
Was jetzt passiert war 1:1 absehbar. Es haben genug Fachleute davor gewarnt. Die einzigen, die irgendwelche Wunschvorstellungen postuliert haben, waren bereits sichtbar in die Aluhut-Sphären abgeglitten oder hatten sich von (ehemaligen) Bildmitarbeitern kaufen lassen (und wir sollten nicht vergessen, dass Laschet bei der Storymachine-Desinformationskampagne in vorderster Front dabei war).
Auch das mir dem Druck…die übergroße Mehrheit akzeptiert die Einschränkungen und es gibt auch schon eine ganze Weile Stimmen für weiter gehende Regeln (in meiner Bubble übrigens seit Sommer). Aber wie so oft meinen Teile der Politik, lieber ein paar rechten Schreihälsen den Arsch pudern zu müssen. Es gab keine „breite Zustimmung“.
Auch das Argumente „man wolle die Wirtschaft retten“ ist Unfug. Und auch da wurde von den Menschen, die über Kompetenzen verfügen und sie sich nicht nur selbst zuschreiben schon im Frühjahr richtig vorhergesagt, dass uns die halbärschige aber längere Variante auf Dauer teurer zu stehen kommen würde. Et Voila!
Mag sein, deshalb diskutieren wir das ja hier.
Es gab keine breite/starke gesellschaftliche Forderung nach schärferen Maßnahmen. Es gab Gegen-Demos gegen die Coronadeppen, aber keine Demos für einen harten Lockdown. Es gab auch keine Demos vor Merz‘ Büro trotz seiner unsäglichen Aussage zu Weihnachten, auch nicht vor dem KuMi in Stuttgart. Beide hätte eine Empörungswelle weggespült, hätte es einen breiten Konsens gegeben.
Hinterher ist man immer klüger. Unentschuldbar bleibt das Versagen bei der Ausstattung der Gesundheitsämter und der Schulen. Aber da werden Koalitions-Rücksichten die Verantwortlichen vor Konsequenzen bewahren.
Ja, da bin ich völlig bei dir. Die vernünftigen 80% hätten wesentlich lauter sein sollen.
1) Bei Office ist Teams dabei. Warum genau macht man da dann nicht Sachen per Video? Aber ja, da gibt es keinerlei Routinen oder didaktische/pädagogische Konzepte. Und genau das kreide ich denen an. Nicht nur wurde es jahrelang VOR der Pandemie verschleppt, es wurde auch IN der Pandemie nichts gemacht.
2) Gestern hat Laschet in so kindlichem Trotz behauptet, vor acht Wochen habe niemand einen Lockdown gefordert. Dabei haben viele Virologen genau das getan. Es ist diese Unaufrichtigkeit, diese Lügerei, dieser Versuch, das eigene, feige Versagen zu überdecken, der mich so ärgert.
Gestern hat Laschet in so kindlichem Trotz behauptet, vor acht Wochen habe niemand einen Lockdown gefordert.
Ich bin gespannt ob Ihn jemand morgen beim CDU Parteivorsitz-Casting damit konfrontiert – man könnte und sollte das gegen diesen Bruder Fähnchen im Wind verwenden.
Die FDP Kultusministerin erklärte ja auch, dass es mit Ihr keine Aussetzung der Schulpflicht geben würde – aber sie wird auch hier einen Weg finden sich aus der Verantwortung zu stehlen.
Da sind sie super drin gerade, alle zusammen.
zu 1) Ich habe es durchaus positiv gemeint, dass sowohl die Stadt wie auch die Schule vorgesorgt haben. Teams wird wohl auch zum Tool der Wahl und obwohl ich lieber etwas anderes gehabt hätte, finde ich, es hätte uns auch deutlich schlimmer erwischen können. Immerhin sind das alles online-Tools, die z.B. keine Windows-Installation voraussetzen und praktisch überall nutzbar sind. Das Erstklässler-Problem mit schriftlicher Kommunikation bleibt natürlich erhalten, aber wenn man sich schon für Fernunterricht entscheidet, gibt es da wohl keine Wahl. Umso schneller lernen sie es dann 🙂 Allerdings hoffe ich angesichts der heutigen Beschlüsse, dass die letzten drei Tage vor den Ferien einfach gestrichen werden, anstatt irgendetwas mit Fernunterricht noch auf die Schnelle einzuführen.
So wie es scheint werden die gestrichen.
@ Stefan Sasse
Ich stimme weitestgehend zu.
In diese Richtung des Hin- und Herstolperns,des Entscheidens nach Tagesform etc geht übrigens meine Wahrnehmung aller maßgeblichen Entscheidungen der Regierung Merkel. Die Kanzlerin empfinde ich in Sachen Corona als meinungsstärker als zu anderen Themen, selbst wenn es nicht wirklich genützt hat, dass sie sich engagiert.
Ansonsten sehe ich auch die Bevölkerung mit in der Schuld für das Versagen. Andererseits: Wenn die Regierenden nichtden Eindruck von EInstimmigkeit vermitteln,sondern jeder Ministerpräsident einen eigenen Weg (Hauptsache: andes!) wählt, darf man sich über die unterschiedliche Meinungsbildung nicht wundern.
Und so, wie man sich gerade gibt, wird man die Zahlen runterkriegen, und im Frühjahr/Sommer geht die dritte Welle los.
Im Moment haben Du und Deinesgleichen echt die Arschkarte gezogen. Und zwei kleine Engel wie Deine, nicht ausgelastet, eingesperrt daheim, können echt der Horror werden(meine jüngste ist Gott sei Dank schon 25, und kommt langsam aus dem Gröbsten raus).
Pass auf Dich auf!
Viele Grüße
E.G.
Ja. Ich lobe Merkel, wo es zu loben gibt, und kritisiere, wo es zu kritisieren gibt. Ihr Standpunkt während Corona war für mich durchweg nachvollziehbar. Sie hat von Anfang an für Ernsthaftigkeit geworben, war seriös, hat gut kommuniziert – und war halt in vielen machtlos. Hätte sie nur in anderen Fällen ähnlich viel Rückgrat gezeigt!
Exakt. Diese Uneindeutigkeit, diese Beliebigkeit, ist Gift.
Danke für dein Mitgefühl ^^ Du auch!
Noch ein super-passender Kommentar, von News4Teachers:
Gehandelt wurde, wenn überhaupt, nur auf öffentlichen Druck hin. Dass Lüften in der kalten Jahreszeit zum Problem werden könnte, damit beschäftigten sich die Kultusminister erstmals mit einer Expertenanhörung am 23. September, also zum Herbstanfang – viel zu spät, um technische Lösungen anzugehen. Die KMK erhebt erst seit vier Wochen systematisch Daten zum Infektionsgeschehen in Schulen – viel zu spät, um daraus echte Erkenntnisse zu gewinnen. Das war aber auch nie beabsichtigt, denn das Ergebnis stand ja schon seit Frühsommer fest und wird von den Kultusministern bis heute vor laufenden Kameras heruntergebetet, Hunderten von Ausbrüchen an Kitas und Schulen, die das Robert-Koch-Institut mittlerweile zählt, zum Trotz. Comical Ali lässt grüßen.
Dieses Schuljahr, das ist absehbar, wird nicht regulär zu Ende gehen
Das ist leider nicht nur tragikomisch. Das ist ein Problem. Denn einen echten Plan B gibt es nicht. Die Kultusminister haben sich darauf verlassen, nach den paar Wochen Trubel im Frühjahr wieder mehr oder weniger gemütlich ihren Dienst verrichten zu können. Sie haben gezockt – und Lehrer, Schüler und Eltern haben verloren. Dieses Schuljahr, das ist absehbar, wird nicht regulär zu Ende gehen. Wenn die Kultusminister nicht endlich die Realität wahrnehmen, dass ein Schulbetrieb in einer Pandemie nur mit funktionierendem Infektionsschutz aufrecht erhalten werden darf, dann starten die Schulen nämlich nach den Weihnachtsferien wieder in den ungeschützten Regelbetrieb. Und die nächste Corona-Welle ist schon absehbar.
https://www.news4teachers.de/2020/12/die-kultusminister-haben-gezockt-und-schueler-eltern-und-lehrer-haben-verloren/
Deshalb müsste man jetzt mit Fragen beginnen:
Wie könnte der Infektionsschutz aussehen? Reicht Wechselunterricht mit halben Klassen? Schnelltests vor Unterrichtsbeginn?
Gibt es Überlegungen für eine Art Notabitur?
Ist mit Klagen zu rechnen wg. Studienzulassungen für begehrte Fächer?
Fragen über Fragen.
Ich sehe auch keine andere Erklärung mehr für das Versagen der Kultusminister außer Verzockt kombiniert mit Realitätsleugnung. Ein Punkt, der mich besonders ärgert: Der Lockdown light war ebenfalls offensichtliches Zocken, es bestand von Anfang an die Gefahr, dass er nicht ausreicht. Die Verantwortlichen hätten einen Plan B entwickeln müssen.
Wer die Qualität des Führungspersonals bei anderen Parteien 😉 beklagt, sollte sich nochmals vor Augen führen: Im Hightech-Land Baden-Württemberg will die CDU eine Frau zur Ministerpräsidenten machen, die als Kultus- (also Bildungs-) Ministerin in essentiellen Fragen Entscheidungen ohne jede Begründung gegen den Rat der Wissenschaft getroffen und verteidigt hat.
Der Lockdown light war ebenfalls offensichtliches Zocken, es bestand von Anfang an die Gefahr, dass er nicht ausreicht.
Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass von Anfang an die Gewissheit bestand, dass er nicht ausreicht.
Die Verantwortlichen hätten einen Plan B entwickeln müssen.
Ich bin ehrlich entsetzt, dass in einem Dreivierteljahr Pandemie die Verantwortlichen offenbar nie über Handlungsoptionen nachgedacht haben, die über „Warten auf den Impfstoff“ hinausgehen.
Ja!
Geil, in Hamburg haben sie nach zehn Monaten festgestellt, dass Distanzunterricht gegen ihr Schulrecht verstößt:
http://www.hamburgnotizen.de/2020/12/15/das-corona-versagen-der-hamburger-schulpolitik/
Bayern hat aufgrund von Versagensängsten (WTF) auch den Distanzunterricht außer für Abschulklassen verboten.
Sehr schön auch gerade aus Bayern dann die Begründung, man wolle damit den Schülern den Druck nehmen.
https://www.merkur.de/bayern/corona-bayern-piazolo-schulen-regeln-distanzunterricht-minister-soeder-angst-technik-mebis-zr-90131622.html
Ich habe ein Gefühl, wer da Versagensängste hat und Druck genommen braucht.