Taiwan stockt das Europäische Parlament mit zusätzlichen Sexisten auf um mit MMT grüne Hausbesetzungen zu bezahlen – Vermischtes 12.10.2020


Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) The Reckless Race to Confirm Amy Coney Barrett Justifies Court Packing

Ich halte die Argumentation, dass das court packing die Legitimität wiederherstellen würde, für völlig abwegig. Selbstverständlich wird es die Legitimität des Gerichts neutrale, über der Politik stehende Instanz noch wesentlich weiter beschädigen. Nur, dass ist unumgänglich. Denn der ganze Artikel basiert auf der absoluten Bullshit-These, der SCOTUS sein kein politischer Körper. Das ist aber reine Politfolklore, und mir ist echt unklar, warum das immer noch so weit verbreitet geglaubt wird.

SCOTUS ist ein politischer Körper, schon seit über 150 Jahren. Plessy v Ferguson war jetzt nicht unbedingt etwas, das sich aus einer objektiven Textanalyse ableiten würde. Die Democrats haben immer noch Phantom-Schmerzen vom Warren-Gerichtshof, aber es ist Zeit, die endlich abzuwerfen. Das Ding wurde schon längst von republikanischen Hardlinern gekapert. Die haben ihre Macht ausgenutzt, um ihn unter Kontrolle zu bekommen. Es gibt keinen Grund, nicht dasselbe zu tun.

2) Tweet


Ich finde es immer wieder beeindruckend, für wie unglaublich dumm die Rechtspopulisten ihre eigenen Wähler halten. Die werfen einfach nur irgendwelche Schlagworte aneinander, in einer Reihenfolge, die in etwa der Syntax ihrer Sprache entspricht. Und dann tun alle so, als wäre das ein Satz mit Inhalt. Dabei ist es nur ein Signal. Ich würde ja das englische Unwort virtue signalling, den Cousin des Gutmenschen, dafür verwenden, aber es ist eigentlich vice signalling. Karnowski wirft einfach nur Gruppen zum Hassen hin. Homosexuelle! Muslime! Deutsche! Alles PiS-Feindbilder, und warum nicht einfach alles in einen Topf werfen? Da sterben Hirnzellen beim Zuschauen, aber die abgekapselten Parallelgesellschaften, aus denen diese Parteien ihre Anhänger ziehen und die sie herangezogen haben, immunisieren auch gegen diese Erkenntnis.

3) How Germany could break the migration deadlock

To make some progress on migration and improve refugees’ situation, the German Council presidency should work towards a solution within the coalition of the willing. This would be a bitter pill to swallow. The Germans should build on minor, often overlooked, achievements such as the Commission’s March initiative to relocate 1,600 unaccompanied refugee children from the Greek islands. Even negotiations within the coalition will be tough and time-consuming – but one could gradually expand on partial agreements to create a workable allocation mechanism. This would only be a short-term solution to avert total failure during the remaining three months of the German Council presidency. In the long run, it would fall short of the EU’s key principles of cooperation, solidarity, and inclusion. A permanent allocation mechanism that only involved some member states would be unfair and would fragment the EU even further. (Clara Sophie Cramer, European Council on Foreign Relations)

Ich habe an dieser Stelle schon mehrfach festgestellt, dass die Flüchtlingskrise eine unlösbare Krise darstellt. Natürlich kann Deutschland eine Koalition der Willigen anführen, aber es ist doch selbst nicht willig! Genauso wie vor 2015 hat Deutschland kein echtes Interesse daran, den Status Quo zu ändern. Wieder werden die Flüchtenden an den EU-Außengrenzen abgefangen und in Italien, Spanien und Griechenland in Lagern zusammengepfercht, wie bereits vor 2015. Warum also sollte Deutschland daran etwas ändern? Dieser Status ist so bequem. Und in ein paar Jahren, wenn das dann wieder zusammenbricht, ist man total überrascht. Je nachdem, wie sich das Land bis dahin entwickelt hat, kriegen wir dann für ein paar Wochen Willkommenskultur 2.0 oder wir machen gleich einen auf Kurz und Orban. Entschuldigt bitte den Zynismus, aber ich kann da einfach keinerlei positive Zukunft für irgendwen entdecken.

So it is with China and the United States. The two most powerful countries in any international system are almost destined to be at odds with each other for the simple reason that each is the other’s greatest potential threat. Beyond that, in the case of America and China, there also is an incompatibility in their respective strategic objectives, derived in part from factors of geography and tradition. China wants to dominate its own neighborhood, as America dominates its continent and surrounding waters, in order to ensure its security to the fullest extent possible. To that end, it wants to push the United States out of Asia “so it no longer has to worry as much about U.S. military power,” as Walt puts it, “and so that its neighbors cannot count on American help.” […] But America also has its own basic strategic imperatives, and one is to ensure that China doesn’t consolidate geopolitical power in Asia because it would then be positioned to project power outward into other regions of the world, including America’s strategic neighborhood. That’s what the U.S.-China rivalry is all about, and it doesn’t really matter much what America says about Taiwan. What matters is power. […]  “It makes much more sense for the United States just to work with China’s neighbors to try and contain it and to prevent it from becoming a regional hegemon.”  Can that work? Probably not if America remains bogged down militarily in the Middle East, picks fights unnecessarily with other nations, such as Russia, that could become China adversaries based on their own strategic considerations, continues to enervate itself through cannibalistic politics, and succumbs to incompetent national leadership. (Robert W. Merry, The American Conservative) 

Ich bin kein großer Anhänger der neorealistischen Lehre, nach der objektifizierbare Interessen für das Handeln von Staaten ausschlaggebend sind. Dafür wurden diese „Interessen“ gerade in der westlichen Welt zugunsten eines gemeinsamen Wertesystems zu grundlegend beiseite geschoben beziehungsweise verwandelt. Ich glaube auch nicht, dass die beiden größten Staaten zwingend in eine Konkurrenz- oder Rivalitätssituation geraten müssen.

Auf der anderen Seite ist es sicherlich auch richtig anzuerkennen, dass die chinesische Regierung nicht irrational handelt. Man sollte nicht den Fehler machen, sie zu dämonisieren und dann auf irgendwelche dummen Ideen in der Außenpolitik zu kommen (sagen wir, einen Handelskrieg ohne Konzept vom Zaun zu brechen). Daher ist die Perspektive natürlich trotzdem hilfreich, man sollte sie nur nicht verabsolutieren.

5) MMT Einsichten für den Green New Deal

Ökonomisch betrachtet ist die Finanzierungsfrage daher der triviale Part des GND. Das Parlament beschließt die Ausgaben, die für die massive Investitionsoffensive benötigt werden und das Finanzministerium tätigt die Ausgaben. Etwaige politische Hürden sollten dafür politisch gelöst oder umgangen werden. Die Fiskalregeln sind löchrig und könnten im Zweifel technisch umgangen werden, etwa indem die Ausgaben über die Europäische Investitionsbank, deren Anleihen direkt an die EZB verkauft werden können, getätigt werden. Im Sinne der Demokratie sollten jedoch idealerweise Aufklärung betrieben und die politischen Rahmenbedingungen entsprechend reformiert werden. […] Im Kern des GND muss die Ressourcenfrage und nicht die Finanzierungsfrage stehen. Die Zitate des US-amerikanischen Finanzministeriums machen das deutlich. Ebenso wie es im Zweiten Weltkrieg nicht um das Auftreiben von Geld zur Mobilisierung nationaler Ressourcen ging, geht es auch beim GND nicht um Geld, sondern um die optimale Bewirtschaftung knapper realer Ressourcen mit dem Ziel der Maximierung des Gemeinwohls – einem hohen Lebensstandard, sozialer Sicherheit, ökologischer Nachhaltigkeit und Finanzstabilität. Das Geldsystem ist das zentrale Instrument, um die verfügbaren Ressourcen entsprechend der demokratisch legitimierten Zielvorstellungen zu steuern. Solange wir jedoch die Funktionsweise des Geldsystems nicht verstehen bzw. uns unsinnige politische Spielregeln auferlegen und das System zweckgemäß bedienen, sind wir wie ein Autofahrer, der mit der Gangschaltung nicht umgehen kann und sein Auto ständig abwürgt. Es wird Zeit, dass wir dieses wirkungsvolle Werkzeug verstehen. Genau hier setzt die ökonomische Denkschule der MMT an. Sie liefert das Handbuch zum Umgang mit dem Geldsystem und stellt einen Paradigmenwechsel in Sachen Wirtschaftspolitik in Aussicht. (Maurice Höfgen, Diem25)

Ich habe diese Entwicklung exakt vorhergesagt. Meine Erwartung wäre, dass sich diese Art der politischen Kommunikation – wir bezahlen alles durch die magische Kraft von MMT – am linken bzw. progressiven Rand auszubreiten beginnt, bis einE KandidatIn (vermutlich eine Frau, wenn man den aktuellen Dynamiken folgt) an die Spitze der Bewegung kommt und auf einen Schlag die bis dahin herausgebildeten MMT-affinen WissenschaftlerInnen, Politik-Operateure und NachwuchspolitikerInnen in die Institutionen bringt. Im Endeffekt, was mit Thatcher und Reagan passiert ist, als der ganze neoliberale Unsinn mit einem Schlag übernahm. Das war in etwa genauso belastbar, was die wissenschaftliche Grundlage angeht, und hat 40 Jahre konservative Dominanz gesichert.

6) Gleiches Recht für alle – auch bei Hausbesetzungen

Ein Urteil, das eindeutiger nicht sein könnte. Um die Räumung des besetzten Hauses „Liebig 34“ im linksalternativen Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg in letzter Minute zu verhindern, hatte der Anwalt der Bewohner einen Antrag beim Kammergericht eingereicht, um die Vollstreckung des Räumungsurteils vorerst auszusetzen. Ohne Erfolg, das Gericht erklärte diese Woche nicht nur die Räumung für rechtmäßig, sondern wies darauf hin, dass besondere Umstände, nach denen die Interessen der derzeitigen Bewohner höher als die des Eigentümers bewertet werden müssten, „weder vorgetragen noch sonst ersichtlich“ seien. Der Rechtsstaat hat gesprochen. Trotz des eindeutigen Urteils wurden aber sofort Forderungen erhoben, die Räumung nicht durchzusetzen. Nicht etwa nur aus der linksextremen Sympathisanten-Szene, für die das Haus ein zentrales Symbol des „anarcha-queer-feministischen“ Kampfes ist, sondern auch von Vertretern der Politik. Genauer, von Grünen und von Linkspartei-Politikern. […] Was vor allem ein fragwürdiges Rechtsstaatsverständnis bei Grünen und Linkspartei offenbart. Wer nur genug gewalttätigen Widerstand mobilisiert, bei dem werden höchstrichterliche Urteile nicht vollzogen. Eine perverse Anreizstruktur, bei der nicht nur die Gewalttäter von morgen herangezüchtet werden (es lohnt sich!), sondern die den gesetzestreuen Bürger, der sogar sein Knöllchen begleicht, wie einen Idioten dastehen lässt. […] Das Recht darf der Gewalt niemals weichen. Darum muss das Haus eben auch nicht „trotz“ des massiven gewalttätigen Widerstands geräumt werden. Sondern gerade deshalb. (Tobias Blanken, Welt)

Ich stimme Blanken völlig zu, und ich habe absolut null Verständnis für diese beknackten Hausbesetzereien und die Gewalt gegen Polizisten. Umso problematischer ist es, wenn die Polizei in Berlin sich als politischer Akteur geriert und offen ankündigt, das Recht selektiv gegen ihre politischen Gegner durchzusetzen. Die begreifen sich als Bürgerkriegsparteien, alle beide. Aber wir haben wieder einmal das Thema, dass die Polizei das Gewaltmonopol hat. Die können nicht einfach entscheiden, das Recht selektiv gegen ihre „Gegner“ durchzusetzen. Es braucht endlich diese Untersuchung und ein Durchgreifen gegen diese Mentalität. Und dann können wir auch gerne wieder auf die Linksradikalen aus der „Alternativen Szene“ durchgreifen.

Was übrigens auch auffällig ist: Bei dem ganzen Thema der Hausbesetzung durch Linksradikale gibt es keinen einzigen Beitrag in den Leitmedien, in dem gefordert wird, man müsse mit den Linken reden. In dem gewarnt wird, dass wenn man sie pauschal als linksradikal verurteile, man nur Wasser auf die Mühlen der MLPD schütte. In dem erklärt wird, eine breitere Debatte über Hausbesetzungen habe das verhindern können. Und das gibt es auch alles zu Recht nicht! Kein Fußbreit den Radikalen. Aber warum wird dem rechten Rand so großzügig zugestanden, was beim linken Rand common sense ist? Und siehe da, wenn man die Radikalen nicht normalisiert und ihnen massig Raum zugesteht, bleiben sie ein Randphänomen.

7) Why Liberals Pretend They Have No Power

This tension underscores a deeper paradox of liberalism that has arguably reached its apex in the Trump era. Since the president’s election four years ago, the political and intellectual leaders of America’s supposedly reform-minded opposition have issued warnings about the existential threat that Trump poses to democracy. Amid it all, senior Democrats have mostly maintained both the regular operation of government and a standard of congressional etiquette that connotes normalcy more than it does any state of exception: applauding the president’s speeches, approving his military budgets, awarding him new domestic spying powers, and even fast-tracking his judicial nominees. A line from one 2019 CNBC report detailing the overwhelming House approval of Trump’s marquee NAFTA renegotiation sums up the absurdity of this posture: “Democrats also wanted to show they can work with Trump only a day after they voted to make him the third president impeached in American history.” […] Liberalism in the Trump era has thus become a kind of strange pantomime act in which elite politicians deploy the rhetoric of imminent threats and national emergency only to behave like hapless passengers trapped aboard a sinking ship. Although it has certainly found its most potent expression in Washington, this posture of feigned powerlessness has gradually come to infect the broader culture and ideology of American liberalism as a whole. (Luke Savage, The Atlantic)

Die Democrats sind, um die Fragestellung der Überschrift in aler Kürze zu beantworten, einfach eine Mitte-Links-Partei. Das ist tief in ihrer DNA. Sie sind nicht radikal, auch wenn ihr Rand und ihre Basis sich in den letzten vier Jahren etwas stärker bewegt haben. Die eigentliche Partei aber, ihre AmtsträgerInnen und FunktionärInnen, sind nicht bereit, mehr als inkrementelle Veränderungen des Status Quo mitzutragen. Die Polarisierung und Radikalisierung in den USA sind nun einmal asymmetrisch. Jede Analyse, die dieses fundamentale Fakt nicht anerkennt, wird immer um sich selbst laufen und zwar lauter periphere, möglicherweise auch kluge und zutreffende, Punkte machen, aber eben nicht die eigentliche Frage beantworten können.

Natürlich ist diese Machtlosigkeit eingebildet. Die Democrats KÖNNTEN jederzeit genauso Hardball spielen wie die Republicans. Sie WOLLEN es aber nicht. Ihnen sind die Normen und Institutionen wichtig, sie wollen sie bewahren und verzweifelt zurück zu den alten Tagen. Das hat eine ganze Reihe von Folgen, sowohl positive (Demokratie!) als auch negative (krasse blinde Punkte für benachteiligte Schichten, siehe das folgende Fundstück). Aber man muss dieses Fakt einfach anerkennen.

8) Why Democrats Can’t Have Nice Things

If Democrats really wanted to win some swing states they should have found a way to fix the water in Flint. They might have persuaded Mike Bloomberg to spend his money creating new jobs in Ohio instead of buying felons’ votes in Florida. Dems never talked to the voters they need the most. In fact, quite the opposite. They stomped their feet in a four-year tantrum and called them racists when Midwesterners never got appropriately offended by Trump. These people worked hard for what they have only to hear that dismissed as privilege. The NYTcalls them “the worst of us.” Call them the missing whites on election day. […] If Trump wins again, it will be safe to say Dems lost this election in 2016 when they failed to see the change the nation wanted and pushed Bernie aside. That gave Trump his first term. But rather than learn anything in the cold morning and seek redemption, the Dems basically did the same thing in 2020, albeit with the more likable Joe Biden. But Biden carries most of the same old-school baggage, inherits the still open wounds from the Obama years, and has that stanky taint of corruption after 47 years in government. (Peter van Buren, The American Conservative) 

Ich bin immer noch nicht überzeugt von der These, dass eine scharfe Wendung der Democrats (oder SPD, oder Labour…) hin zum ökonomischen Linkspopulismus die Rettung der Partei wäre. Ja, sicher, vielleicht gewinnen sie damit wieder ein paar Stimmen unter der weißen Arbeiterschaft zurück. Aber was die Befürworter dieser Strategie eben immer ausklammern ist, dass sie fundamental unvereinbar mit dem inklusiven Bürgerrechts-Ansatz ist, den die Partei seit vielen Jahren vertritt.

Die „alte“ Sozialdemokratie basierte immer auf dem Ausschluss bestimmter benachteiligter und marginalisierter Gruppen aus ihrer Politik und ihrer Attraktivität. In der Bundesrepublik waren das früher etwa die Gastarbeiter oder die Frauen, für die die SPD wenig im Angebot hatte. Die Schichten, die van Buren den Democrats hier zur Konzentration anempfiehlt, wollen keinesfalls Teil einer multiethnischen Koalition sein. Ihre Gegnerschaft hierzu überschattet alles. Wollen die Democrats diese WählerInnen zurückgewinnen, dann müssten sie die anderen Gruppen aufgeben.

9) Kein Konsens über die Werte: Zum Versagen des Rates in der europäischen Rechtsstaatskrise

Ende September legte die deutsche Ratspräsidentschaft einen ausformulierten Entwurf vor, der die von Charles Michel vorgeschlagenen Abschwächungen übernahm. Sie stieß damit auf Widerspruch von beiden Seiten: Während Polen und Ungarn auch dieser Vorschlag noch zu weit ging, lehnten ihn die drei nordischen Mitgliedstaaten, Belgien und die Niederlande aus Protest gegen die übermäßige Verwässerung ab. Die notwendige qualifizierte Mehrheit erreichte der Entwurf jedoch. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel besaß sogar die Chuzpe, die Gegenstimmen von beiden Seiten als Bestätigung zu nehmen, dass der deutsche Entwurf ausgewogen sei. In der Konsenslogik des Rates ist der richtige Weg offenbar immer der Mittelweg – selbst wenn es sich um einen Mittelweg zwischen Verteidigern und Gegnern des Rechtsstaats handelt. Das freilich will das Europäische Parlament nicht einfach akzeptieren und droht nun seinerseits mit einer Ablehnung des mehrjährigen Finanzrahmens, wenn der Rat sich beim Rechtsstaatsmechanismus nicht weiter bewegt. Umgekehrt erhält aber auch Ungarn weiterhin seine Vetodrohung aufrecht. Die Verhandlungen in den nächsten Wochen dürften deshalb – auch das nichts Ungewöhnliches im Konsenssystem der EU – zu einem chicken game ausarten, bei dem beide Seiten bis zuletzt damit drohen, alles zum Platzen zu bringen. Da aber niemand wirklich Interesse an einem Scheitern des mehrjährigen Finanzrahmens hat, wird am Ende wohl ein wie auch immer gearteter Kompromiss stehen. Ob er für die Rechtsstaatlichkeit in Europa irgendeinen Nutzen bringt, wird erst die Zukunft zeigen. (Manuel Müller, Der Europäische Föderalist)

Es ist ziemlich frustrierend, das Lavieren der EU-Regierungen gegenüber dem Aufstieg von Autokratien und dem Verfall der Rechtsstaatlichkeit in ihren Grenzen zuzusehen. Die Hoffnung auf eine Besserung, das zeigten die vergangenen Jahre in meinen Augen deutlich, kann nur in einer Stärkung des EU-Parlaments bestehen. Ein echter, gewählter Körper ist eben souveräner als irgendwelche Räte, in denen die RegierungsvertreterInnen miteinander verhandeln, und wird immer auch mehr europäische Eigenidentität haben. Das Parlament ist das schlagende Herz der Europäischen Union, und jede Reformmaßnahme sollte sich auf dieses konzentrieren.

10) Sch­re­cken schär­fere Strafen wir­k­lich ab?

Anders ausgedrückt: Die Frage danach, ob eine Strafverschärfung präventiv wirkt, also potenzielle Täter abschreckt und die Rechtstreue fördert, lässt sich nicht so einfach mit Fallzahlen beantworten. Aber es finden ausweislich der Antwort auch keine Versuche statt, in aufwendigeren Forschungsvorhaben dieser Frage auf den Grund zu gehen. Umso regelmäßiger werden aber neue Strafverschärfungen rechtspolitisch mit der Begründung ins Spiel gebracht, auf Abschreckung zu zielen. […] In ihrer Antwort verweist die Bundesregierung auch auf diese Regelung. „Ausgehend davon ist auch nach dem Jahr 2013 nicht bei jeder Änderung einer Strafvorschrift eine Evaluierung vorgesehen. Eine Evaluierung wird vor allem dann vorgesehen, wenn grundlegende systematische Änderungen erfolgen oder aber große Unsicherheit über die Wirksamkeit einer Gesetzesänderung besteht.“ […] Strafrechtsexperten verweisen gerne auf einen zentralen Aspekt:. Die Abschreckungsidee setze voraus, dass bei der Begehung von Straftaten rational abgewogen werde. Wer aber in einer Situation handelt, die emotional aufgeladen oder durch Drogen oder Medikamente beeinflusst ist, für den wird das Abwägen seiner Tat mit einer höheren Strafandrohung wohl eher keine große Rolle spielen. So sahen es auch Wissenschaftler in einer Stellungnahme 2016 an den Landtag von Schleswig-Holstein. Es ging damals um Strafverschärfungen zum Schutz von Einsatzkräften. (Dr. Markus Sehl, Legal Tribune)

Es ist faszinierend zu sehen, dass die allseits stets erhobene Forderung nach härteren Strafen, egal bei was, nie empirisch überprüft wurde. Die zugrundeliegende Annahme im Übrigen – dass sie eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Straftäter hätten – ist mittlerweile durch zig Studien widerlegt worden. Es gibt dafür in der Kriminologie keinerlei Anhaltspunkte. Generell gibt es weder für Gefängnisstrafen noch für Strafen generell sonderlich viel stützende Empirie. Kriminologisch sind sie ziemlich nutzlos bis schädlich.

Aber sie sind ungemein mächtig, wenn es um Politik geht. Der Volkswille straft gerne, und die Forderung nach härteren Strafen kann sich hoher Zustimmungsraten grundsätzlich sicher sein. Diese dunkle Seite der menschlichen Seele funktioniert schon seit Menschengedenken, da kann die Forschung noch so oft feststellen, dass es nicht funktioniert.

11) Tweet


Ich habe nicht allzu viel Substanzielles, was ich hierzu sagen kann; es ist einfach ungeheuerlich deprimierend. Ich packe den Hinweis vor allem wegen der ideologischen Nachbarschaft hier rein. Die LINKE ist mit Sicherheit nicht immun dagegen, Sexismus in ihren Reihen nicht nur zu dulden, sondern sogar aktiv zu befördern (und ich lehne mich mal aus dem Fenster und würde die unter Fundstück 8 besprochene Problematik da als ursächlich mit reinnehmen). Oder Antisemitismus, oder sonstwas. Und das ist völlig inakzeptabel. Dass es da keinen größeren Aufschrei gibt, ist zum Kotzen.

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  • derwaechter 12. Oktober 2020, 10:31

    2)
    Wenn etwas dermaßen bekloppt klingt, sollte man vielleicht hellhörig werden.

    Wenn ich das richtig sehe, ist der Kommentar durchaus zweifelhaft, aber das übersetzte Zitat aus dem Tweet dennoch arg verkürzt und vielleicht (kann hier jemand Polnisch?) auch falsch übersetzt.

    1. Das „ausgehungert“ bezieht sich auf ein Zitat von Katarina Barley, die in einem Interview, in dem sie Polen und Ungarn scharf kritisiert, über Viktor Orban sagt: „Wir müssen ihn aushungern – finanziell. Er braucht auch das Geld.“

    Der Begriff „aushungern“ ist in den Ländern nicht gut angekommen, weil er Erinnerungen an das Aushungern während des 2. Weltkrieges wecke. Das wird in dem verlinkten Artikel wohl auch so erklärt.

    2. Laut google translate schreibt er: „Wenn die Deutschen unter dem Regenbogenbanner standen, wenn sie ein halbislamisches Land sein wollen, müssen es auch andere sofort tun!“
    Das wären, vorsichtig gesagt, nicht meine Worte. wird aber etwas anderes, wenn man das zweite „wenn“ durch ein „da“ ersetzt und somit aus einer verkürzten Aufzählung einen logischen Zusammenhang macht.
    Dass es eine verkürzte Aufzählung sein könnte, ergibt sich auch aus dem Satz davor (Google Translate): „Fassen wir diese Botschaft in einem Satz zusammen:“
    Wie gesagt, ich kann kein Polnisch.

    • Stefan Sasse 12. Oktober 2020, 11:26

      Wäre jetzt spannend das zu wissen. Ich frag noch mal auf Twitter rum. Danke!

    • CitizenK 12. Oktober 2020, 12:34

      Deepl.com (nach meiner Erfahrung um Klassen besser als Google Translater) übersetzt das so:
      Leider haben sich 30 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands viele Befürchtungen bestätigt. Wieder haben wir ein Deutschland voller Stolz, das seine Ordnung in Europa durchsetzen will https://wpolityce.pl/polityka/520450-znow-mamy-niemcy-pelne-pychy-pragnace-porzadkowac-europe.

      Das klingt doch ganz anders.

      • derwaechter 12. Oktober 2020, 12:47

        @Stefan Sasse
        Der Teil mit dem Aushungern ist garantiert richtig. Das kommt von Barley und ist wichtiger Kontext. Auch wenn die Aufregung über ihre Formulierung übetrieben sein mag.

        Das mit „wenn“ vs „da“ weiss ich nicht genau. Aber sowohl Google als auch Deepl sind sich einig, und mehr Sinn ergibt es auch.

        @citizenK
        Das ist das Zitat direkt aus dem Tweet im Tweet.
        Die übersetzen Teile von Thomas Dudek tauchen im verlinkten Text auf.
        Deepl übersetzt das so ähnlich wie Google, und damit an der wichtigen Stelle genauso anders als Dudek:

        „Lassen Sie uns diese Botschaft in einem Satz zusammenfassen: Wenn die Deutschen unter einem Regenbogenbanner stehen, wenn sie ein halb-islamisches Land sein wollen, dann müssen es andere auch sein, und zwar sofort! Und wenn nicht, werden wir verhungern!“

        • Stefan Sasse 12. Oktober 2020, 13:40

          Die bescheuerte Verbindung von Regenbogen und Islam bleibt aber erhalten.

          • derwaechter 12. Oktober 2020, 13:48

            Eigentlich nicht.
            Dass das zwei (vielleicht sogar die zwei wichtigsten?) Bereiche sind, in denen Deutschland seine eher liberalen Werte gegen eher konservative Werte z.B. aus Polen, durchsetzen will, ist ja nicht falsch.

            Aber es besteht eben kein Kausalzusammenhang nach dem Motto, weil wir ein halb-islamischer Staat werden wollen schwingen wir die Regenbogenfahne.

            • Ariane 12. Oktober 2020, 14:15

              Hab ich was verpasst oder seit wann will Deutschland ein halb-islamischer Staat werden? Mit oder ohne Regenbogenfahne als neuer Nationalflagge.

              Und btw sind Freiheit von Glaube und Sexualität irgendwann mal europäische Werte und keine deutschen, dänischen oder spanischen Werte gewesen.

              • Stefan Sasse 12. Oktober 2020, 14:27

                Und da kommen wir zum von mir angesprochenen Nationalismus.

              • derwaechter 12. Oktober 2020, 14:38

                Es geht bei dem Kommentar eindeutig um Deutschlands Rolle in Europa und ggü Polen und Ungarn. Und darum wie konservative Stimmen dass empfinden bzw einordnen. Das Du und ich das anders sehen, ändert daran ja erstmal gar nichts.

                Oder eillst Du ernsthaft leugnen, dass Religionsfreiheit und Sexualität nicht zentrale Themen sind in diesem Konflikt sind?

                • Ariane 12. Oktober 2020, 14:43

                  Unter „konservative Stimmen“ verstehe ich durchaus etwas anderes und da zähle ich die Extremisten in Polen und Ungarn auch nicht mehr dazu, wer zentrale Bürgerrechte nicht unterschreibt, ist nicht konservativ, sondern reaktionär und natürlich geht es auch nicht nur darum, sondern um demokratische und bürgerrechtliche Strukturen im Allgemeinen. Ich halte es nicht für gut, das zu einem normalen Konflikt zwischen konservativ und progressiv herabzustufen. Die Demokratie auszuhebeln, hat mit konservativer Haltung nichts zu tun. Das ist Propaganda, weil das besser ankommt als zu sagen, dass man gerne einen protofaschistischen Staat hätte.

                  • derwaechter 12. Oktober 2020, 15:09

                    Der Kommentar um den es geht macht (soweit ich das erkennen kann) einige Thesen auf, über die man diskutieren kann obwohl ich sie auch Die ablehnen würde:
                    Barleys Rhetorik erinnere stark an das dritte Reich
                    Die Deutschen wollen (schon wieder) den Polen ihre Meinung aufdrücken
                    Die Deutschen untergräben eine demokratisch gewählte Regierung, weil sie sich nicht so verhalte, wie Deutschland das gerne hätte
                    usw, usf

                    Eine legitime Lesart ist auch die deine, hier verstecke jemand eine extremistische Agenda hinter milderen konservative Argumenten.

                    Nach Ansicht der Quelle scheint mir Stefans Lesart, guck mal wie bescheuert, die werfen einfach nur irgendwelche Schlagworte aneinander, jedoch schlicht am Ziel vorbei.

                    Und das war genau mein Punkt.

                    • CitizenK 12. Oktober 2020, 17:54

                      Das Barley-Zitat geht jedenfalls gar nicht. Instinktlos, geschichtsvergessen. Wenn es denn stimmt.

                    • derwaechter 12. Oktober 2020, 18:48

                      @CitizenK

                      Scheint schon zu stimmen.

                      „Ein „diplomatischer Skandal“

                      Unlängst übte Morawiecki scharfe Kritik an der Vize-Präsidentin des EU-Parlaments, der deutschen Sozialdemokratin Katarina Barley, die in einem Interview mit dem Deutschlandfunk die Lage in Polen und Ungarn als „besonders ernst“ bezeichnete. Sie sagte, dass „dort systematisch strukturell der Rechtsstaat umgebaut wird“. Über den ungarischen Premierminister Viktor Orban sagte Barley: „Wir müssen ihn aushungern – finanziell. Er braucht auch das Geld.“
                      https://amp.dw.com/de/polnische-rechtsstaats-debatte-deutschland-wird-zum-feindbild/a-55203079

                    • Stefan Sasse 12. Oktober 2020, 18:56

                      Der sei dir gegeben 🙂

                • Stefan Sasse 12. Oktober 2020, 18:54

                  Nein, gar nicht. Nur will ich das nicht framen, als ob das verhandelbar wäre und beide Seiten gleichwertig wären.

            • Stefan Sasse 12. Oktober 2020, 14:27

              Sicherlich richtig. Aber es bleibt, dass Polen massive Hasspropaganda gegen Muslime und LGTBQ+ Menschen betreibt.

              • derwaechter 12. Oktober 2020, 14:34

                Das bestreite ich auch überhaupt nicht.
                Ich schrieb doch ganz am Anfang schon, dass der Kommentar durchaus zweifelhaft ist.
                Aber der Punkt ist halt, dass er, wahrscheinlich, nicht dermassen bekloppt ist, wie es dein zitierter Tweet und auch dein Kommentar dazu vermuten lassen.

              • Lemmy Caution 13. Oktober 2020, 10:16

                Ich sehe hier ein Problem und ich formulier das absichtlich überspitzt.
                Wir nehmen an, dass in Polen aktuell stark mehrheitlich geteilte kulturelle Widerstände gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus muslimischen Ländern existieren.
                Soll dann die EU die noch in Finsternis und Aberglaube vor sich hin dämmernden Polen dazu zwingen, zumal es ja auch gar nicht deren eigentliche Wille ist, sondern ein von Politikern manipulativ aufoktroyierter Wille?
                Oder sollen wir vielleicht besser akzeptieren, dass es sich bei der EU eine plurikulturelle Veranstaltung handelt und es da halt gewisse Grenzen für die unionsweite Durchsetzung von mehrheitskompatibler Vorstellungen in Deutschland gibt?

                • CitizenK 13. Oktober 2020, 12:24

                  „….vielleicht besser akzeptieren, dass es sich bei der EU eine plurikulturelle Veranstaltung handelt“.

                  Interessanter Gedanke. Geht in Richtung „Vereinigte Staaten von Europa“ – analog zu den Unterschieden in den USA: Waffengesetze, Glückspiel, Abtreibung usw.

                  Da es keine Rauswurf-Klausel in den EU-Verträgen gibt, es dieser Ansatz vielleicht realistischer als das Ziel einer homogenen „Werte“-Union. Ein „Europa der Vaterländer“ à la de Gaulle. Diskussionwürdig, meine ich.

                • Stefan Sasse 13. Oktober 2020, 14:55

                  Ich will denen gar keine Migration aufzwingen, aber Grund- und Menschenrechte anerkenne und umsetzen sollte schon sine qua non sein, sonst können wir die EU lassen.

  • CitizenK 12. Oktober 2020, 12:38

    10) Das gilt auch für den Strafvollzug selbst. Resozialisierung ist ja nicht mehr so angesagt, sondern Härte. Rutger Bregman (in „Im Grund gut“) vergleicht die Rückfallquoten in USA und Norwegen. Aber auch hier hat die Evidenz keine Chance gegen den „Volkswillen“.

    • Stefan Sasse 12. Oktober 2020, 13:39

      Hatte sie auch noch nie, aber der Volkswille ist da super stark und eindeutig.

  • Ariane 12. Oktober 2020, 13:35

    5) Meine Erwartung wäre, dass sich diese Art der politischen Kommunikation – wir bezahlen alles durch die magische Kraft von MMT – am linken bzw. progressiven Rand auszubreiten beginnt

    Jep, auch gut möglich, dass das aktuell schneller geht, weil es mehr realere Probleme gibt, man hat ja gesehen, wie fix sowas wie die Schuldenbremse dann nach Jahren der Diskussion über Bord geworfen wurde. Ich denke, was noch fehlt, wäre ein Auflösen des Paradigmas, dass es immer um Wirtschaft vs Umweltschutz (zb) geht. Ich hab vor ner Weile ne Statistik gesehen, dass zb Fahrradtourismus mittlerweile ein ziemlich großer Wirtschaftszweig ist, der in der öffentlichen Diskussion aber quasi nie vorkommt, weil er viel dezentraler ist als zb Dinge von Tui, die mittlerweile um die 3 Milliarden Wirtschaftshilfe bekommen haben.
    Genauso wie Windkraft natürlich ebenso neben Strom auch Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze stellt, was viel problematischer gesehen wird als wenn wir AKWs und Kohlebergwerke mit viel Geld zuschütten.

    6) Hausbesetzungen:
    Die begreifen sich als Bürgerkriegsparteien, alle beide.

    Jep, das ist es, das ist eigentlich ein reiner Symbolkampf. Finde es ein bisschen merkwürdig, dass das gerade wieder so hochkocht, während das Thema ziemlich lange keine Rolle mehr gespielt hat. Irgendwo hatte ich neulich einen historischen Artikel über Besetzungen in Frankfurt gelesen. Hatte sich irgendwann von selbst totgelaufen (Hamburg mit der Roten Flora kann da ein Lied von singen)
    Insgesamt beunruhigend, wenn das wieder hochkocht, weil das wirklich so Blitzradikalisierungen sind, die sehr oft in Gewalt münden.

    11) Es gab vor der Kommunalwahl in NRW dazu auch eine Recherche von Correctiv, wo es vor allem um einen krassen SPD-Fall ging:
    https://correctiv.org/aktuelles/2020/09/11/chats-und-bilder-sexismusvorwuerfe-gegen-kommunalpolitiker-in-nrw

    Das ist generell ein riesiges Problem, vor allem weil es auch echt selten Konsequenzen hat. Der Typ aus diesem Beispiel wurde ermahnt (auch um das Parteiimage nicht zu schädigen) und sowohl er als auch der eingeweihte Ortsvorsitzende hatten sonst keine Konsequenzen und haben kandidiert. Außerdem blieb alles anonym, weil es (vermutlich) nicht strafrechtlich bedenklich war.

    Morgen heulen dann wieder alle, warum Frauen seltener für irgendwas kandidieren. Same old, same old. Aber es geht mir sowas von auf den Keks, dass es einfach eingepreist wird, dass das normal ist und wer mitspielen will, soll sich halt bitte nicht so anstellen, sondern soll doch drüber stehen.
    Von Leuten, die anfangen zu heulen, wenn man toxische Männlichkeit erwähnt – selbstredend.

    • Stefan Sasse 12. Oktober 2020, 13:41

      5) Ja.
      6) Hochkochen…das ist ein Haus irgendwo, das wird halt in den bürgerlichen Medien besprochen als Beweis dafür dass die Linken böse sind. Viel mehr scheint mir da nicht dahinter zu sein.
      11) Danke für den Link, und ja.

      • Stefan Sasse 12. Oktober 2020, 14:30

        Nachtrag: Kannst natürlich sicher sein, dass die LINKE die falsche Entscheidung trifft: https://twitter.com/MichaNeuhaus/status/1314883309843906562 Ich weiß schon warum ich dem Laden meine Stimme nicht gebe.

        • Ariane 13. Oktober 2020, 11:30

          LOL, wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es in der Rigaer in Berlin auch noch ein besetztes Haus, wo eh irgendwie niemand weiß, wem es gehört, können sie ja erstmal das nehmen.^^

  • Stefan Sasse 12. Oktober 2020, 14:39
  • Marc 12. Oktober 2020, 16:26

    5) MMT ist Schwachsinn und unterscheidet sich in der widersinnigen Logik nicht vom Neoliberalismus. Der zentrale Kritikpunkt ist: Eine Fiat-Wâhrung funktioniert auch ohne Staat. Leider ist Ökonomie keine Wissenschaft.

    • Stefan Sasse 12. Oktober 2020, 18:57

      Ich will ja drauf raus dass ich das als politisches Framing sehe.

      • Marc 12. Oktober 2020, 22:50

        Aber es funktioniert nur als politisches Framing, weil es keine valide ökonomische Theorie zur Fiat-Währung gibt. Wie kann eine Ökonomie, die ihre Grundlagen nicht beherrscht, überhaupt zu sinnvollen Aussagen gelangen? Exakt, nämlich gar nicht.

        • Stefan Sasse 13. Oktober 2020, 07:58

          Es muss ja auch nur als politisches Framing funktionieren.
          Die wirtschaftstheoretische Validität kann ich nicht beurteilen.

          • Marc 13. Oktober 2020, 10:25

            Wenn wir eine solide Finanzpolitik ohne Krisen haben möchten, benötigen wir eine wissenschaftlich fundierte Vorgehensweise, keine politische. Sowohl Monetarismus als auch MMT sind zu unterkomplex und können Krisen nicht verhindern, im Extremfall befeuern diese Ideologien sogar eine.

            Die Wahrheit ist: Keiner kann die Komplexität heutiger Finanzsysteme verstehen und beschreiben. Notwendig wäre ein vergleichbares Vorgehen wie bei der Wetterprognose: Welche wichtigen Finanzströme gibt es, wie verändern sie sich und was bewirkt das? Die Antworten kann nur eine Simulation mit guten Modellen bieten.

      • Lemmy Caution 13. Oktober 2020, 08:30

        Die Funktionsweise einer gesamten Volkswirtschaft ist zu komplex, um es sinnvoll analysieren zu können. Makroökonomische Modelle reduzieren die Komplexität, indem die Einflussfaktoren beschränkt werden.
        Selbstverständlich handelt es sich bei der Auswahl der Einflussfaktoren für das Modell um politisches Framing. Allerdings schienen die monetaristischen, supply-side economics, etc. Modelle ziemlich gut die Ursachen der Krisen der 70er darzustellen.
        Stagflation etwa. Im vorher dominanten keynesianischen Verständnis nahm man eine negative Korrelation von Inflation zu Arbeitslosigkeit an. Geld- und/oder fiskalpolitisch müsste man demnach nur die Geldmenge und/oder staatliche Nachfrage erhöhen, um unfreiwillig untätige Menschen in Arbeit zu bringen.
        Ende der 70er hatten wir dann aber in westlichen Industrieländern gleichzeitig steigende Inflation und zunehmende Arbeitslosigkeit. Die monetaristischen Modelle zeigten auf, dass monetaristische Expansion langfristig überhaupt keine Auswirkungen auf die Beschäftigungsrate hat. Das schien damals für erstaunlich viele Menschen ziemlich plausibel.
        Gleichzeitig kaufte man natürlich mit dem „neoliberalen Packet“ noch weitere wesentlich problematischere Lösungsansätze an, z.B. dass da vereinfacht gesprochen viele sozialpolitische Eingriffe in den Markt die Ungleichheit eher erhöhen als senken, man diese beschränken sollte.
        Heute stehen wir vor ganz anderen Problemen, etwa die extreme Akkumulation von Reichtum im obersten Prozent, die Ausdehnung eines Niedriglohnsektors oder die von vielen als ungerecht empfundene starke Besteuerung des Produktionsfaktors Arbeit im Verhältnis zu der des Produktionsfaktors Kapital. Die Beschäftigungsrate erscheint in vielen Industrieländern weniger problematisch.
        Ich seh die expansive Fiskal- und Geldpolitik als kompatibel mit dem status quo. Aus der Sicht erscheint es kurzfristig absolut legitim, dass der Staat als Akteur zunächst einmal expansiv auf einen starken externen Schock reagiert, solange er nach Verarbeitung des Schocks eine restriktive Gegenreaktion einleitet. Das wären dann Steuererhöhung/Ausgabenkürzungen nach Corona-19.
        Ich habe inzwischen große Probleme mit dem „neoliberalen Packet“, nur erscheinen mir diese MME-Modelle deutlich weniger plausibel als mir die „Neoliberalen“-Modelle erschienen, wenn ich jetzt mit einer Zeitmaschine in das Jahr 1980 reisen würde und dabei sämtliche Erinnerungen an die Folgejahre verlieren würde.

        • Marc 13. Oktober 2020, 10:09

          Der monetaristische Ansatz ist zu unterkomplex. Ich bin vor kurzem auf diese Graphik gestoßen:

          https://www.intereconomics.eu/files/journal-issues/intereconomics/10.1007/s10272-020-0918-9/Forum-Brooks-abb12.png

          Sämtliche Inflationsprognosen der EZB seit 2012 waren systematisch falsch und haben sich an der politischen Vorgabe ( 2 % Ziel ) orientiert. Die EZB ist das Zentrum unserer Gemeinschaftswährung und die Beherrschung der Inflation ist ihre zentrale Aufgabe. Das muss beherrscht werden, wird es aber offensichtlich nicht. Aber warum stimmen die Prognosen nicht? Eben, weil sie nicht wissenschaftlich fundiert sind, sondern ideologisch und politisch. Aber das darf doch nicht sein! Nicht bei der Geldwertsteuerung der Zentralbank!

          Moderne bedeutet Komplexität und Ausdifferenzierung. Diesem Schritt hat sich die Ökonomie als Wissenschaft bisher erfolgreich verweigert.

          • Lemmy Caution 13. Oktober 2020, 10:46

            Hab mal auf einem liberalen indischen Podcast einen Witz gelernt.

            Viele Wissenschaften haben einen eher magischen Vorläufer.
            Chemie hat seine Wurzeln in der Alchmie.
            Astronomie in der Astrologie.
            Es wird interessant zu sehen, welche Wissenschaft sich einmal aus der Ökonomie entwickeln wird.

            Der ganze makroökonomische Diskurs besteht nun einmal zu einem nicht kleinen Teil auf die Wirklichkeit vereinfachenden Modellen. Das macht angesichts des Forschungs-Gegenstandes durchaus Sinn. Wenn sich das Publikum dessen mehr bewusst wäre und Aussagen von Ökonomen entsprechend einordnen würden, wären wir einen guten Schritt weiter.

            Moderne kann genauso bedeuten Abstraktion und die Trennung des Allgemeinen von dem Speziellen. Wenn ein Ingenieur eine Brücke konstruiert, hat er ja auch Vorstellungen, welche Kräfte auf eine solche Brücke wirken, die in der Wirklichkeit sich vielleicht gerade über einen längeren Zeitraum als nicht so korrekt erweisen. Fahr mal auf der A1 von Leverkusen über den Rhein Richtung Westen.

            In komplexen Systemen sind Prognosen schwierig. Inflation ist letztlich die Folge von einer gewaltigen Menge an autonomen Kaufs- und Verkaufsentscheidungen einer riesigen Anzahl von Individuen. In einem freien Markt stehen der Politik aus guten Gründen ja nur sehr indirekte Steuerungsmechanismen zur Verfügung.

            Im argentinischen Fernsehen habe ich einen Witz gelernt:

            Frage: Wofür gibt es Ökonomen?
            Antwort: Damit die Meterologen mit ihren Prognosen nicht ganz so schlecht aussehen.

            • Marc 13. Oktober 2020, 11:14

              In komplexen Systemen sind Prognosen schwierig.

              Ich möchte nur auf einen wesentlichen Unterschied hinweisen: Meterologen machen Prognosen von einigen Tagen, Ökonomen schämen sich nicht, Prognosen mit einem Horizont mehrerer Jahrzehnte zu erstellen. Das erste sind Wissenschaftler, die zweiten nicht. Ein Wissenschaftler prognostiziert nur das, was seine Modelle und Daten erlauben, Ökonomen interessiert das nicht.

              In einem freien Markt stehen der Politik aus guten Gründen ja nur sehr indirekte Steuerungsmechanismen zur Verfügung.

              Das ist ja auch ausreichend. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Steuerungsmechanismen die gewünschten Auswirkungen zeigen. Aber der neoliberale Methodenkasten wirkt nicht, er führt nicht zu Stabilität und Wachstum. Jetzt will man ihn gegen MMT austauschen. Es erscheint eine Lösung zu sein, ist es aber nicht. Er wird auch versagen.

              Frage: Wofür gibt es Ökonomen?
              Antwort: Damit die Meterologen mit ihren Prognosen nicht ganz so schlecht aussehen.

              Oder damit Scharlatane, die einen Vogelflug deuten oder Horoskope erstellen, mit ihren Fehlprognosen nicht so einsam sind.

              • Lemmy Caution 13. Oktober 2020, 11:23

                Mir sind deine Aussagen zu einseitig.

                Ob die Inflation nun 1 oder 2% beträgt ist eher völlig wumpe. Wirklich schädlich ist volatile und starke Inflation.
                In Vergleich zu den 80er Jahren hatten wir in den 2000er extrem wenig Länder mit einer Inflation höher als 5%. Es ist also nicht so, dass sich das nicht in einem gewissen Rahmen steuern ließe. Man kann natürlich disktutiere zu welchem Preis dies geschah, aber das würde unsere Debatte absolut sprengen.
                Als Deutsche hatten wir in unserer Lebenszeit keine Erfahrung mit hoher Inflation. Es hat auch sozialpolitisch starke Auswirkungen. Wenn Du mir nicht glaubst, lern Spanisch und schaue argentinische Polit-Fernsehen. Aktuell ist das seit ca. 20 Monaten da mal wieder jeden Abend Thema.

                Wirklich das Leben stark beeinträchtigende Inflation sieht ganz anders aus. Die durchschnittliche jährliche Inflation der letzten 100 Jahre in Argentinien betrug 105% mit einem Maximum von >3000%. Vor 100 Jahren war das Land bip/Einwohner mässig noch unter den top 15 weltweit. Heute ca. Platz 70. Es gibt also starke Indizien, dass volatile und hohe Inflation ein Land ökonomisch nicht so gut voranbringt.

                • Marc 13. Oktober 2020, 13:13

                  Es ist also nicht so, dass sich das nicht in einem gewissen Rahmen steuern ließe.

                  Wird die Inflation gesteuert oder passiert sie einfach? Ich sehe keine Steuerung.

                  Wenn Du mir nicht glaubst, lern Spanisch und schaue argentinische Polit-Fernsehen.

                  Por que? No quiero aprender lo que pueda y se.

                  Es gibt also starke Indizien, dass volatile und hohe Inflation ein Land ökonomisch nicht so gut voranbringt.

                  Ich habe mich bisher dazu nicht geäußert. Aber ich gehe konform mit der politischen Vorgabe einer 2 % Inflation. Ich bezweifle nur, dass die theoretischen und methodischen Mittel vorhanden sind, politische Vorgaben zu erfüllen.

                  • Lemmy Caution 13. Oktober 2020, 15:21

                    Du hast auch keine methodischen Mittel, um die Durchschnittstemperatur des nächsten Winters zu berechnen, oder die Anzahl der flügge gewordenen Jungstörche im nächsten Jahr, oder eine ganze Menge anderer Sachen. Ökonomen behaupten ja auch nicht, dass ihre Vorhersagen genau sind.
                    Meine Kunden erwarten von mir auch nicht, dass meine Aufwandsschätzungen für meine Programmier-Dienstleistungen wirklich punktgenau eintreffen. Nur wenn sie stark unter der bitteren Wahrheit oder dauerhaft drunter liegen, wird es unangenehme Gespräche geben.

                    Wie gesagt: Es ist ziemlich unwichtig, ob die Inflation nun 0,5 oder 2,5% beträgt. Wichtig ist, dass es keine großen Ausschläge gibt.

                    Zu Argentinien empfehle ich Maxi Montenegro -> https://www.youtube.com/user/PlanMTV/videos
                    Der ist sachlich und nicht überideologisiert.

                    • Marc 13. Oktober 2020, 16:11

                      Schaue dir das von mir verlinkte obige Schaubild zur EZB Prognose der Inflation nochmals an. Was ich von einer Wissenschaft erwarte, ist, dass der Prognosefehler zumindest innerhalb der Schwankungsbreite des Messwertes liegt! Nicht einmal dieses Mindestmaß wird getroffen!

                      Wie gesagt: Es ist ziemlich unwichtig, ob die Inflation nun 0,5 oder 2,5% beträgt. Wichtig ist, dass es keine großen Ausschläge gibt.

                      Ja, natürlich. Die Ansprüche kann man dem vorhandenen Niveau anpassen. Ich halt nicht so Meines.

              • Stefan Sasse 13. Oktober 2020, 14:58

                Ich hack ja auch gerne auf Ökonomen ein, aber das scheint mir doch deutlich über das Ziel hinausgeschossen.

                • TBeermann 13. Oktober 2020, 16:25

                  Ich würde sagen, Marc hat nicht Unrecht.

                  Sicher gibt es auch seriöse Wirtschaftswissenschaftler, die das analysieren, was ist. Aber große Teile der Wirtschafts-„Wissenschaften“ und die absolute Mehrheit dessen, was mediale Aufmerksamkeit bekommt, ist Theologie und keine Wissenschaft.

                  Es werde feststehend (oft längst widerlegte) Glaubenssätze runtergebetet und hinterher wird versucht, die Welt den Dogmen entsprechend zu formen.

                  • Lemmy Caution 13. Oktober 2020, 16:57

                    Ich find, ihr stellt extrem positivistische Forderungen an eine Sozialwissenschaft.
                    Ökonomen können sich halt nicht einfach einen Teilchenbeschleuniger bauen wie die Physiker.
                    Das Ergebnis einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung hängt immer stark von den untersuchten Faktoren ab. In der Auswahl der Faktoren ist der Untersuchende halt nicht frei von dem bias seiner Überzeugungen.
                    Wenn „was ist“ zu komplex ist, um wirklich alles zu berücksichtigen, untersucht keiner wirklich „was ist“ sondern jeder nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit. Bei der Auswahl des Ausschnitts leiten ihn stark seine Überzeugung über „was ist“.
                    In meinem Software-Job werde ich auch ständig in Debatten verwickelt, in denen mindestens einer der Diskutanten seine Privatmeinung mit einer wissenschaftlichen Tatsache verwechselt. Mir passiert das auch.

                    • Marc 13. Oktober 2020, 17:28

                      Vieles, was Ökonomie betrifft, ist ein soziales Konstrukt und beeinflusst das Wirtschaften: Wie bewerte ich die wirtschaftliche Zukunft? Bin ich in Konsumlaune? Spare und investiere ich in Statussymbole? Aber, wie viel Geld ich in meinem Geldbeutel habe und wie viel ab- und zufließt, unterliegt weniger sozialen als vielmehr vertraglich fixierten Vereinbarungen.

                      Ökonomie ist ein komplexes Zusammenspiel weicher sozialer Faktoren mit einer harten ökonomischer Situation innerhalb strenger vertraglicher Rahmenbedingungen.

                      Im Gegensatz zu anderen Sozialwissenschaften hat die Ökonomie sehr wohl einen unflexiblen und harten Kern. Dieser bestimmt auch maßgeblich die ökonomische Entwicklung.

                      Wenn „was ist“ zu komplex ist, um wirklich alles zu berücksichtigen, untersucht keiner wirklich „was ist“ sondern jeder nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit.

                      Eine Wissenschaft muss aber den Ausschnitt so wählen, dass er den relevanten Bereich der untersucht wird, abbildet. Tut er das nicht, muss ich den Ausschnitt wechseln. Das würde mit dem Wechsel von neoliberal zu MMT passieren. Das verrückte ist nur, dass auch MMT nicht den relevanten Bereich abdeckt. Klar, kann man machen, ist trial and error, aber nur noch am äußersten Rande als wissenschaftlich zu bezeichnen.

                    • Marc 13. Oktober 2020, 17:32

                      P.S: Zum harten Kern der Ökonomie kann man einen einfachen Selbstversuch machen und sich selbst die Frage stellen: Wie viel meines Einkommens habe ich frei zur Verfügung?

                    • Stefan Sasse 13. Oktober 2020, 17:35

                      Jepp.

                    • schejtan 13. Oktober 2020, 21:27

                      „Ich find, ihr stellt extrem positivistische Forderungen an eine Sozialwissenschaft“

                      Das Problem ist ja weniger, dass die Forderungen von Nicht-Oekonomen gestellt werden. Sondern dass es (zu) viele Oekonomen gibt, die so tun, als seien sie erfuellt.

                  • Stefan Sasse 13. Oktober 2020, 17:35

                    Nein, ich sehe das nicht so hart. Ich denke die haben ziemliche blind spots, und ihre Annahmen sind teilweise schon ideologisch, aber das gilt irgendwo für die meisten Geisteswissenschaften. Irgendwelche Annahmen musst halt treffen. Seriöse Ökonomen machen Vorhersagen auf Basis ihrer Modelle; es sind die Unseriösen, die allgemeine Gültigkeit und Erkenntnis beanspruchen.

            • CitizenK 13. Oktober 2020, 12:16

              „…welche Wissenschaft sich einmal aus der Ökonomie entwickeln wird.“

              Sehr schön. Wie wär’s mit „Wirtschaftstheologie“?

              Zur MMT: Dass sich Staaten durch Gelddrucken finanzieren könn(t)en, ist ja nicht neu. Wie hieß noch mal der Schotte, der das dem französischen König schmackhaft gemacht hat?

              Ebenso die Folge: Geldentwertung mit allen Folgeerscheinungen. Das durch Steuern wieder einzufangen ist allerdings … originell. Darauf muss man erst mal kommen. Gibt es im MMT-Konzept eine Idee für die Bemessungsgrundlagen?

              • Marc 13. Oktober 2020, 13:22

                Geldentwertung mit allen Folgeerscheinungen.

                Ob Gelddrucken zur Geldentwertung führt, entscheidet sich daran, wer das Geld in seinen Händen hält. Wird es in Steueroasen gebunkert oder verkonsumiert?

                Die MMT ignoriert diesen Zusammenhang und daher progonstizierte ich ihr Scheitern.

              • Stefan Sasse 13. Oktober 2020, 14:59

                John Law

                • CitizenK 13. Oktober 2020, 15:30

                  Danke.

            • Stefan Sasse 13. Oktober 2020, 14:57

              Der Witz ist gut 😀

  • CitizenK 13. Oktober 2020, 12:17

    Sehe ich auch so.

  • Stefan Sasse 13. Oktober 2020, 17:40

    Zur Ökonomie hier lesenswerter Thread:
    https://twitter.com/BrankoMilan/status/1315841880874254336

  • cimourdain 13. Oktober 2020, 18:04

    2) Vielen Dank an Wächter, dass er einmal konkret aufgezeigt hat, wie die Empörungsmaschine Twitter einseitige Halbwahrheiten liefert, die nur zur Unterfütterung der eigenen Vorurteile dienen. Deshalb ein kleiner Appell auch an den Fundstücksammler: Bitte prüfe Twitter-Meldungen, bevor du dich zum Gerüchte-Multiplikator machst – egal, ob es gegen Flüchtlinge, Polen/Ungarn, die LINKE (siehe 11) oder orthodoxe/häretische Virologen geht.

    4) „Ich glaube auch nicht, dass die beiden größten Staaten zwingend in eine Konkurrenz- oder Rivalitätssituation geraten müssen.“ Wenn man historische Imperien betrachtet, lässt sich das nur verhindern, wenn es keine Überschneidung der Einflussbereiche gibt (etwa römisches Reich und Han-China) oder diese durch beidseitig anerkannte Abkommen säuberlich getrennt werden (z.B. Vertrag von Tordesillas). Sonst wüsste ich keinen Fall, wo es nicht zu Rivalitäten gekommen ist. Oder fällt dir etwas ein?

    8) „In der Bundesrepublik waren das früher etwa […] die Frauen, für die die SPD wenig im Angebot hatte.“ bis auf die Neufassung des Familienrechts, die Frauen erst volle ökonomische und rechtliche Gleichstellung gab, außerdem Mutterschaftsurlaub und Unterhaltsvorschuss. Aber das ist natürlich nicht vergleichbar mit identitätspolitischen Glanzstücken wie einer Frauenquote in Aufsichtsräten oder steuerlicher Privilegierung von Damenhygiene (Stokowski-Steuer)

    9) Ich wiederhole mich, aber gerade in Sachen Rechtsstaat ist Deutschland in einer Situation, wo drei Finger auf einen selbst zurückzeigen: weisungsgebundene Staatsanwaltschaft, politische Richterwahl (nicht nur in den USA wurde ein/e treue/r aber hochkontroverse/r Parteisoldat/in in das oberste Gericht gehoben), mangelhafter Rechtszugang durch überlange Verfahren, fehlende Accountability der Polizei, Intransparenz bezüglich Ministerialdokumenten. Außerdem (aktuell) null Rechtssicherheit, was Coronaregeln betrifft.

    • CitizenK 13. Oktober 2020, 18:12

      9) Nicht zu vergessen die im Nichts endenden Verfahren gegen rechtsextreme Terroristen, (incl. des „schärfsten Instruments“ Untersuchungsausschuss), Aussage-Verbot, Sperrung von Dokumenten für 150 Jahre.

    • Stefan Sasse 13. Oktober 2020, 18:36

      2) Yessir, point taken.
      4) Nein, aber das Problem ist, dass bis vor (historisch) sehr kurzem Krieg als normal und sogar erstrebenswert galt, die Größe des Landes darin gemessen wurde. Das hat sich mittlerweile geändert.
      8) Ich meinte die 50er Jahre. Dass das danach grandios besser wurde ist unbestritten.
      9) Völlig bei dir, nur beim BverfG war diese Beförderung für die Rechtsprechung halt belanglos.

  • CitizenK 13. Oktober 2020, 18:07

    @ Marc

    Das ist nicht bloß eine Verschiebung des beobachteten Ausschnitts. Hinter beiden Theorien stehen doch Annahmen (besser: Spekulationen?) über menschliches Verhalten. Und monströse Handlungs-Anweisungen für Regierungen: Notenbank unter Kontrolle bringen, Geld drucken statt Staatsanleihen – und eine komplett andere Fiskalpolitik.

    Eigentlich ist die Ökonomie ja eine Verhaltenswissenschaft. Schon die simple Preis-Nachfrage-Funktion handelt implizit vom Verhalten von Menschen, hier halt „Wirtschaftssubjekte“ genannt. Die Verhaltensökonomie führt (trotz Nobelpreis 2017) leider immer noch eine Mauerblümchen-Randexistenz.

    • Dennis 14. Oktober 2020, 12:46

      Ja, ganz einverstanden, namentlich was die Verhaltensforschung betrifft.

      Die Grundproblematik liegt IMHO in den Sollen-Sätzen („Wir brauchen mehr/weniger Marktwirtschaft/Staat/sonst was), die als „wissenschaftlich“ verkauft werden, obwohl sie einen rein moralischen (im breiten Wortsinn) Charakter haben. Sollen-Sätze sind immer moralisch, insoweit man aus Freiheit auch anders handeln könnte. Was „gut“ ist, kann am Ende des Tages nicht wissenschaftlich geklärt werden.

      Zitat CitizenK:
      „Hinter beiden Theorien stehen doch Annahmen (besser: Spekulationen?) über menschliches Verhalten. Und monströse Handlungs-Anweisungen für Regierungen “

      Ja klar, da muss man dann allerdings irgendwelche Ideale im Kopf haben. Die bleiben üblicherweise inkognito^.

      Früher wurde dergleichen mit der Berufung auf die Götter oder auf den angeblich einen Gott oder gottähnliche Instanzen begründet. Das war mehr als die halbe Miete, fast die ganze. Heutzutage fällt man vor angeblicher Wissenschaftlichkeit auf die Knie.

      Oder anders: Über Zwecke zu reden ist grundsätzlich unwissenschaftlich, erst bei den Mitteln kann das W-Wort ins Spiel kommen. Auch Naturwissenschaftler haben keine Ahnung von etwaigen Zwecken der Natur.

    • Marc 14. Oktober 2020, 13:13

      Das, was ich in meinem Geldbeutel finde, hat etwas mit meinem Verhalten zu tun. Aber auch nur zum Teil. In einer modernen Gesellschaft unterliegen die meisten Transaktionen einer vertraglichen Fixierung (Arbeitslohn, Miete, Handyvertrag, Hypothekzahlungen, .. ). Ebenso sind Geschäftsbeziehungen zu Lieferanten, Händlern, etc. vertraglich fixiert. In der Finanzwirtschaft ist es der Kredit, der Transaktionen fixiert. Diese Fixierungen werden durch ökonomisches Verhalten bestimmt, bestehen aber über einen längeren Zeitraum. Zu sagen, Ökonomie ist wird nur durch freies Verhalten bestimmt, ist daher einfach zu verkürzt, da ein Korsett aus Zwängen besteht.
      Es gibt einen Ansatz, der diese ökonomischen Wechselbeziehungen erfassen will. Das ist die Saldenmechanik.
      Reine Verhaltenstheorien und reine Saldenmechanik sind die beiden Extrempunkte, zwischen denen sich das echte Wirtschaften abspielt. Erst wenn beide Ansätze sinnvoll verknüpft werden, hat für mich die Ökonomie den Status einer ernst zu nehmenden Wissenschaft erreicht.

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