Superman betreibt Entwicklungshilfe, Gastarbeiter lernen Hashtags und Erdogan löst die Flüchtlingskrise – Vermischtes 26.06.2018

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Was wirklich gegen Armut und Flucht hilft

Entwicklungshilfe – oder besser Entwicklungszusammenarbeit – findet auf verschiedenen Ebenen statt. Auf der Makro-Ebene geben Regierungen des Nordens Ländern im Süden Budgethilfe. Auf der Meso-Ebene bauen staatliche Entwicklungsorganisationen wie die GIZ über Trainings und Regierungsberatung Wissen und Fähigkeiten auf. Auf der Mikro-Ebene arbeiten Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe direkt mit armen, ausgeschlossenen Menschen, Gruppen und Dorfgemeinschaften. Wir sind soziale Dienstleister, wenn der Staat versagt, und wir fördern politischen Wandel, indem wir Menschen stärken, selbst starke Institutionen in ihrem Land zu erreichen. Erfolg für eine Hilfsorganisation ist in Krisensituation ganz einfach: Leben retten. Jedes Kind, das nicht verhungert, ist ein Erfolg unserer Arbeit. Aber unser Anspruch ist Hilfe zur Selbsthilfe. Hier muss es der Gradmesser des Erfolgs sein, dass sich zum Beispiel die Ernährungssituation verbessert – und das auch so bleibt, wenn wir Helfer uns zurückziehen. Mein Fazit: Die Welt ist nicht gut, aber sie wird besser. Entwicklungshilfe wirkt. Aber nur, wenn sich auch die Rahmenbedingungen ändern. Wir brauchen mehr Fairness: zwischen Nord und Süd im Bereich Handel. Zwischen Stadt und Land bei den Investitionen in ländliche Entwicklung, die von den eigentlich versprochenen „10 Prozent fürs Land“ noch weit entfernt sind. Zwischen Alt und Jung durch Jobs für die 20 Millionen jungen Afrikaner, die jährlich auf den Arbeitsmarkt strömen. Und zwischen Mensch und Umwelt, denn wir im Norden tun so, als gäbe es vier Planeten, statt dem einen, auf dem wir alle leben. Die Antwort auf die Fragen nach Korruption, Bevölkerungswachstum und Leid auf der Welt ist immer dieselbe: Entwicklung. Meine Reise nach Zentralafrika endete übrigens mit einer Diskussion mit meinen knapp vierzig Kollegen im Landesbüro, viele aus Zentralafrika, einige aus Europa, West- und Ostafrika. Auf meine Frage, ob unser Ziel „Null Hunger bis 2030, wo immer wir arbeiten“, in ihrer Situation nicht naiv und weltfremd wäre, haben sie geantwortet: „Wir schaffen es nicht im ganzen Land. Aber mit etwas Stabilität: Ja, das Ziel können und werden wir erreichen.“ Wenn meine Kollegen in einem Ort wie Bangui, wo nachts die Kugeln fliegen, daran glauben, dann können wir es auch. (T-Online)

Entwicklungshilfe hat einen schlechten Ruf. Ich denke, sie hat ihn einerseits zurecht und einerseits zu unrecht. Zurecht, weil Entwicklungshilfe über Jahrzehnte vergleichsweise wenig getan hat, um die Dritte Welt auf den Pfad zum Wohlstand zu bringen und weil tatsächlich viel von dem Geld für zweifelhafte Zwecke ausgegeben wurde (vor allem staatliche Entwicklungshilfe, und vor allem früher). Zu unrecht, weil, wie der Artikel zeigt, Menschen in Not konkret geholfen werden kann.

Die Debatte über die Frage, ob Entwicklungshilfe geleistet werden sollte oder nicht, ob sie schädlich oder nützlich ist, ist hochaktuell und extrem kontrovers. Ich habe dazu vor allem zwei Bücher gelesen, die ich interessant genug finde, um sie weiterzuempfehlen: Why Nations Fail (Warum Nationen scheitern) und Poor Economics (Für ein neues Verständnis von Armut). Ersteres legt auf der Makroebene ein großes Gewicht auf das Vorhandensein robuster, liberaler Institutionen, zweiteres zeigt auf der Mikroebene, wie Armut psychologisch funktioniert und warum Entwicklungshilfe so oft scheitert. Beide sind ungeheuer spannend, wenn man sich für das Thema interessiert, und sehr zu empfehlen.

Ich weiß insgesamt viel zu wenig über das Thema, um zu einem abschließenden Urteil zu kommen. Mein bisheriger Eindruck ist, dass Entwicklungsländer erst dann aus der Armut herauskommen können, wenn sie selbst den Löwenanteil leisten, sprich: wenn sie die Institutionen schaffen, die ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum ermöglichen und die Früchte dieses Wachstums sowohl investieren als auch in Form steigenden Lebensstandards an ihre Bevölkerung weiterreichen. Welcher Weg dazu gegangen wird – Turbokapitalismus nach dem Washington Consensus oder Staatskapitalismus à la Fernost – ist dafür glaube ich eher zweitrangig.

Aber erneut, das sind nur grobe Instinkte, keine vorgefertigten Meinungen. Wenn jemand mehr Fachwissen, andere Denkansätze oder weiterführende Links oder Literatur hat, ab in die Kommentarspalte damit!

2) How superman helped defeat the KKK // Tweet von Elana Levin

Having convinced a “Klavern” in Atlanta, Georgia that he shared their bigoted views, Kennedy donned the ominous attire of a Klansman, attended cross burnings, and covertly collected information about the group that he would then share with law enforcement and media. Radio journalist Drew Pearson would read the names and minutes of their meetings on air, exposing their guarded dialogues. […] Ostensibly aimed at children, Superman’s daily radio dramas were often broadcast to assembled nuclear families; one phone poll showed that 35 percent of its audience was composed of adults. But regardless of whether parents listened, the activist believed the younger demographic was worth attending to. “Even back in the ’40s, they had kids in the Klan, little girls dressed up in Klan robes at the cross burnings,“ Kennedy said. „I have photos of an infant in a cradle with a complete Klan robe on. It seemed like a good place to do some educating.” […] As Kennedy continued to serve up Klan secrets to Superman, he watched as Klan morale dipped and membership enrollment ebbed. Desperate, the Klan tried calling for a boycott of Kellogg’s, a new sponsor of the show, but racial intolerance was no match for the appetites of post-World War II homes. Rice Krispies and Corn Flakes remained breakfast table staples, and Superman’s battles with the close-minded continued. Emboldened by his success against the Klan, Superman took aim at Communism, a favorite target of the show’s anti-Red star, Bud Collyer. (Mentalfloss)

Wer ein eingängiges Beispiel dafür braucht, dass „Moralisieren“ durchaus helfen kann, Einstellungen zu verändern und dass die Zivilgesellschaft da auf allen Ebenen mithelfen kann – Superman im Kampf gegen Rassismus und Bigotterie mögen dafür genügen und laufen auch wieder in mein generelles Argument, dass Popkultur wesentlich bedeutsamer im Formen der öffentlichen Meinung ist als ihr oftmals zugestanden wird.

3) Was die Hasthags über die Parteien verraten

CSU: #Klartext: Mit großem Abstand am besten aber lässt sich die Diagnose der dritten Regierungspartei anhand der Hashtag-Verwendung erstellen. Für die CSU muss dabei eine alte, wahrscheinlich amerikanische Wendung reanimiert werden, mit der die Deutschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bedacht wurden: „cold hysteria“. Kalte Hysterie. Wenn das Wutbrodeln um die erste Hitze reduziert zum Konzept wird. Kalte Hysterie ist Angstbeißen in Nadelstreifen. Die CSU hat auf Twitter ein absolutes Lieblingswort: #Klartext. Es ist der meistverwendete Hashtag, die wortgewordene Welthaltung der CSU: Klartext. In diesem Jahr hat die CSU bereits 70-mal #Klartext getwittert. Man muss dabei berücksichtigen, dass die CSU 2018 rund 230 Tweets veröffentlicht hat, also etwa so viele wie die CDU allein im Juni (Stand: 19. Juni). In rund jedem dritten Tweet der CSU kommt also der Begriff #Klartext vor. Natürlich schreibt die CSU fast ausschließlich im Kontext von Flüchtlingen, Islam und innerer Sicherheit #Klartext. Der Begriff ist der CSU so unendlich wichtig, dass sie manchmal an einem Tag sämtliche Statements der führenden Funktionäre so anpreist: „#Klartext von Seehofer“, „#Klartext von Söder“, „#Klartext von Scheuer“, „#Klartext von Dobrindt“. Es ist das populistische Konzept der Pseudoentlarvung in einem Wort, denn wer Klartext ankündigt, erklärt alles andere zum Unklartext, zur Beschönigung, zum lästigen Getue um Details. Was „Man wird doch wohl noch sagen dürfen“ für die Generation Sarrazin war, haben die beinahe promovierten Gelfrisuren der Generation Scheuer verdichtet auf den Hashtag #Klartext. (SpOn)

Auch die häufigsten Hashtags von CDU (#merkel) und SPD (#brückenteilzeit) fassen gut Wohl und Wehe der Volksparteien zusammen. Ich meine, dass die CDU #merkel twittert – ok, das machen die seit 2005, und damals gab es nicht mal Twitter. Warum ein Erfolgsrezept auswechseln? Merkel genießt immer noch Zustimmungsraten weit jenseits der 50%, und aktuell fällt ja die moderate Linke beim eifrigen Loben über ihre eigenen Füße. Die taz etwa veröffentlicht gerade ein wohlwollendes Porträt nach dem anderen. Nicht, dass deren Leser deswegen Merkel wählen würden, was mittelfristig das Problem daran ist. CDU-Wähler und FAZ-Leser fanden in den frühen 1980ern auch Helmut Schmidt toll.

Über den #klartext der CSU gibt es nicht mehr zu sagen als das, was Sascha Lobo oben erklärt. Aber die #brückenteilzeit der SPD ist mehr als endemisch. Wer glaubt denn, dass #brückenteilzeit zum Meme taugt? Ich habe in dem Artikel wahrscheinlich öfter #brückenteilzeit geschrieben als irgendein Twitter-Account, der nicht von der SPD gemanagt wird. (#brückenteilzeit, nur um sicher zu gehen). Diese Partei ist dermaßen verbohrt in ihrer Überzeugung, sie könnte mit guter policy Wähler gewinnen, und so inkompetent in ihrer Außendarstellung, das ist unglaublich.

4) Im Namen des Vaters

Einen Deutschkurs bekamen die Gastarbeiter tatsächlich auch. Einen, in dem sie lernten, wie die einzelnen Werkzeuge oder Maschinen heißen, mit denen sie arbeiten mussten. Diese können auch heute noch die meisten Gastarbeiter runterrasseln, während der Gang zum Arzt eine sprachliche Katastrophe ist. Aber das Deutsch, das für einen Arztbesuch heute nötig wäre, wurde ihnen leider nie vermittelt. Sie taten also genau das, wofür sie geholt wurden. Niemand verlangte von diesen Menschen, die gerade einmal lesen und schreiben konnten, dass sie Deutsch lernten. Anders als heute verlangte das noch nicht einmal irgendjemand von ihren Familien, die sie nachholten. Denn keine Seite wollte, dass dieses Arrangement von Dauer sein würde. Irgendwann sollte es ein Ende haben. Bei den allermeisten war dieses Ende die Rente. Und bis zu diesem Ende blieb es bei der harten Arbeit. Nebenbei bekam man Kinder, die man in Kindergärten und Schulen schickte, damit sie nicht nur Deutsch lernten, sondern so viel lernen sollten, um es einmal besser zu haben als ihre hart schuftenden Mütter und Väter. Damit sie Stifte halten und nicht, wie die Eltern, Hammer oder Besen. Nicht nur für Deutschland und somit ihren Arbeitgeber, sondern auch für ihre Familien hier und in der Heimat arbeiteten sie hart. Ihr Anspruch war es, selbst für die Bedürfnisse ihrer Familien aufzukommen. Zum Standardrepertoire meines Vaters gehört deshalb auch dieser Satz, wenn man ihn auf seine Arbeit anspricht: „40 Jahre unter Tage – ohne einen Tag krank!“, sagt er ganz stolz. Stolz ist er ebenso, dass er nie auf Sozialleistungen angewiesen war und immer brav seine Steuern gezahlt hat. Ja, und wir Gastarbeiterkinder sind stolz auf die Leistung unserer Väter und Mütter! Wir wissen, was sie für dieses Land und für uns getan haben und höchstens mit ihrem schlechten Deutsch negativ aufgefallen sind. Dank ihnen sind wir heute in der Lage zu verstehen, und aus vielen von uns ist tatsächlich auch etwas geworden – ohne dass wir so hart arbeiten mussten wie sie. Deshalb kränkt es uns, wenn ihnen heute der Vorwurf gemacht wird, sie könnten nach Jahrzehnten immer noch kein richtiges Deutsch. Dieser Vorwurf ist so einseitig wie plump und offenbart nur, dass es Menschen in unserem Land gibt, die auch nach Jahrzehnten so wenig über das Leben der Gastarbeiter wissen. Nett interpretiert, ist das einfach nur traurig. In den Worten des Bundespräsidenten ist es „nicht hinnehmbar“. (FAZ)

Erleuchtend zu hören, wie die Perspektive der Gastarbeiter war. Auch dieses selektive Deutsch-Lernen macht Sinn, also dass man die Worte gelernt hat, die für die Arbeit notwendig waren, nicht die, die für das Leben in der Gesellschaft notwendig Sinn. Solches selektive Lernen sieht man beispielsweise auch in der Schule. Was mir in den letzten Jahren an mir selbst aufgefallen ist ist, dass ich zwar englischsprachige Paper zu den Internationalen Beziehungen lesen und problemlos verstehen kann, aber viele der einfachsten Gemüsesorten nicht benennen kann – Gurken, Radieschen, Blumenkohl, etc. auf Englisch zu benennen, also Sprachfertigkeiten, die für den Alltag notwendig sind (keine Bange, habe sie inzwischen gelernt). Und ich habe einen akademischen Hintergrund und wesentlich mehr Zeit und Ressourcen dafür als ein Gastarbeiter in den 1960er Jahren. Dieses Problem scheint mir von daher schon sehr real.

Auch was mehrere dieser Artikel inzwischen angesprochen haben: Die sie aufnehmende Bundesrepublik hatte ja auch keinerlei Interesse daran, diese Leute entsprechend zu bilden und zu integrieren. Deutschkurse für Gastarbeiter gab es kaum, weil es nicht notwendig schien, und ihre Kinder fielen allzuoft durch die weiten Maschen des legendär sozial selektiven dreigliedrigen Schulsystems. Es dauerte bis zum Ende der 1970er Jahre, bis der Ausländerbeauftragte der damaligen SPD-geführten Regierung in seinem ersten offiziellen Bericht das Thema „Integration“ zum ersten Mal ansprach, und es dauerte bis zur rot-grünen Regierung unter Schröder/Fischer, bis eine deutsche Regierung überhaupt Konsequenzen daraus zog (auch wenn man gerne darüber streiten kann wie sinnig die waren, Stichwort Visa-Affäre). Aber die Kritik eines Gauck in diesem Zusammenhang ist mehr als wohlfeil.

5) „I’m seriously fed up making these movies“

The most alarming thing about revisiting “Bowling for Columbine” is how the moments that are stuck in time allow us to trace how much we’ve changed; the film now functions like a sun dial that’s always trending darker. It’s something about Moore’s interview subjects that he didn’t have to seek out or manufacture in the editing room — it’s their distinct sense of surprise. Most of the people he interviews for the movie look into the camera like a deer in headlights, a natural effect that’s augmented by the sense that they’ve never really thought about this stuff before. “Before Columbine,” Moore said, “nobody paid attention to school shootings because they were usually gang-related and white people weren’t dying. The ironic twist is that today, 20 years later, the mass school shootings never occur in our inner cities.”  Today — partially due to that inversion, and partially due to the hyper-awareness of social media — all but the most privileged and myopic of white people have to reckon with violence on a daily basis, even if only to disavow it or blame it on the Democrats. “Bowling for Columbine” helped pave the way for the once-private conversations we’re now having in public forums, but those conversations haven’t solved the problem so much as they’ve encouraged us to scream over them. And again, it would seem the film has led us to a dead end. Worse, it’s possible that the attention we pay to school shootings — and the way that something like “Bowling for Columbine” can help to enshrine them in the media — might actually be fueling the fire it’s hoping to put out. As Stanford sociologist Mark Granovetter once argued (and Malcolm Gladwell later popularized in an article for The New Yorker), social behavior is driven by thresholds, and individuals can be persuaded to go against their personal beliefs if other people violate certain boundaries for them (e.g. a law-abiding citizen who doesn’t think themselves a thief might decide to loot a store in the midst of a large enough riot). If, as Gladwell does, you think of the school shooting epidemic as a slow-motion riot, it becomes pretty easy to see a movie about it as an inadvertent way of exciting the mob. If Moore hasn’t made things better, is there a chance that some of his efforts have actively made things worse? (IndieWire)

Michael Moore ruft schon ein bisschen den „Und täglich grüßt das Murmeltier“-Effekt hervor. Amokläufe in Schulen? Bowling for Columbine, 1999, schlimmer als je zuvor. Aggressive und hybristische US-Außenpolitik? Fahrenheit 9/11, 2004, hat sich seither nicht wesentlich gebessert. Der mangelnde Zugang der Unterschicht zu Gesundheitsversorgung? Sicko, 2007, hat sich gebessert und wird von den Republicans mit riesigem Aufwand bekämpft, um auf den Status quo ante (oder schlimmer) zurückzukommen. Eine völlig unterregulierte Finanzindustrie, die obszöne Geldmengen an sich selbst ausschüttet? Capitalism – A love story, 2009, und auch hier arbeiten die Republicans mit Hochdruck daran alle bescheidenen Erfolge Obamas zurückzudrehen.

Gleichzeitig fühlt sich Michael Moores Filmographie auch alt an. Vielleicht ist das nur eine Generationenfrage. Ich bin mit dem Zeug aufgewachsen, in meine beginnende Politisierung wirkte das wie eine Injektion von rechtschaffener Empörung und gab einen Strukturrahmen vor. Wenn ich solche Dokus heute schaue habe ich ständig diesen „in Wahrheit ist es komplizierter“-Effekt, verbunden mit einem „Es lässt sich politisch nicht so einfach lösen“. Wie viel davon anderthalb Dekaden Lebensalter und wie viel schlichte Wohlstandsdegeneration ausmachen ist mir nicht ganz klar. Aber Moores Ermüdung ist nachvollziehbar, auf mehreren Ebenen.

6) Der Präsident geht in die schwierigste Kurve

In einem normalen Land wäre unter solchen Umständen die Wiederwahl einer Regierung undenkbar. In der Türkei aber, wo Politik über Identitäten geführt wird, hat Erdogan immer noch Chancen. Er übergießt den Populismus mit einer Soße aus Nationalismus und Islamismus, um seine Wählerschaft zu halten. Allerdings weist keine einzige bisher veröffentlichte Umfrage eine absolute Mehrheit für ihn aus, auch wenn es sicher scheint, dass er in der ersten Runde vorn liegen wird. Sollten sich die oppositionellen Kräfte aber vor der nachfolgenden Stichwahl einigen, wäre sein Abschied aus dem Palast keineswegs unmöglich. Weit mehr raubt Erdogan derzeit allerdings die Aussicht, die Mehrheit im Parlament zu verlieren, selbst wenn er sich im Präsidentenpalast behaupten kann, den Schlaf. Es gibt nur eine Möglichkeit, dieses Risiko auszuschließen: die Kurden-Partei HDP an der Zehn-Prozent-Hürde scheitern zu lassen. Damit würden die siebzig Sitze, die die HDP in Aussicht hat, automatisch der AKP zufallen. […] Um „keinen zweiten 7. Juni“ zu erleben, wies Erdogan anschließend die Mitarbeiter seiner Partei an: „Wenn unsere Wahlhelfer vor allen anderen in die Schulen gehen und wir mit Unterstützung der Beobachter die Mehrheit in den Wahlkommissionen bekommen, dann erledigen wir die Sache gleich zu Beginn in Istanbul.“ Sie haben sich nicht verhört. Der türkische Staatspräsident gibt Anweisungen, die HDP, die er nicht unter die Zehn-Prozent-Hürde drücken kann, mit Machenschaften an der Urne auszuschalten. In einem normalen Land hätte es nach diesen skandalösen Sätzen ein Erdbeben gegeben. Bei uns nicht, das wäre auch gar nicht möglich bei uns. Denn das Video konnte nur über die sozialen Medien verbreitet werden. Außer einigen Websites und kleineren Zeitungen brachte kein Presseorgan eine Meldung dazu. In der Türkei, wo 93 Prozent der Medien vom Palast kontrolliert werden, bekam die Öffentlichkeit auch die Reaktion der HDP, auf die Erdogan es abgesehen hat, nicht mit: „Erdogan ruft offen zu einer Straftat auf. Er plant, mit Betrug und Repression unsere Stimmen zu stehlen, damit die HDP die Zehn-Prozent-Hürde nicht schafft.“ (FAZ)

Ich hoffe niemand geht mehr davon aus, dass die Türkei ein demokratischer Staat wäre. Das Ding ist noch nicht ganz eine Diktatur, aber es ist sehr nah dran. Auf einer Diktaturskala liegt es näher als Ungarn, aber etwas weiter als Putin (wenngleich nicht viel). Im Gegensatz zu Russland ist die Türkei allerdings ein Freundfeind. Freund, weil seine strategische Lage (Stichwort Flüchtlingskrise, Bollwerk gegen isalmistischen Fundamentalismus) und jahrzehntelange NATO-Mitgliedschaft für viele verschränkte Interessen mit dem Westen sorgen, ähnlich wie bei Saudi-Arabien. Und Feind, weil das Land offensichtlich die Werte des Westens nicht nur nicht teilt, sondern aktiv bekämpft, und weil Erdogan die Regierungen der EU-Demokratien aktiv zu unterminieren versucht. Ich kenne mich ehrlich gesagt mit der Außenpolitik der Region nicht so sehr aus, aber die Soll-Seite dieser speziellen Buchung füllt sich rapide, und die Haben-Seite wird immer unleserlicher.

7) Tweet von Scott Bryan

Das Mittelmeer ist ein riesiges Massengrab. Über 34.000 namentlich bekannte ertrunkene Flüchtlinge, keine Ahnung wie viele, von denen man nichts weiß. Was in dem ganzen irren Gerede über Masseneinwanderung und Umvolkung und AfD-Erfolg gerne vergessen wird ist, dass die Willkommenskultur von 2015 ein reales, wenn durch Köln auch kurzgebliebenes Phänomen war, und dass dieses menschliche Drama der eigentliche Grund dafür war, dass die Stimmung in Deutschland, die jahrelang trotz zahlreicher Berichte dieses Massensterben hingenommen hat, plötzlich gekippt ist. Wer die Erinnerungsauffrischung braucht, klicke hier. Ich halte das nicht lange genug aus, um das Bild einzubinden. Denn ich habe es nicht vergessen.

8) Tweet von Baunerd

Ich will dem eigentlich gar nicht so viel hinzufügen, besser hätte man es nicht sagen können. Vielleicht nur so viel: Betroffene bewusst zu verletzen und in Kauf zu nehmen dass Rassismus gestärkt wird, ist halt scheiße. Und wer sich scheiße benimmt muss damit rechnen, dass man ihn darauf anspricht.

9) Why are game companies so afraid of the politics in their games?

While games tend to take a broadly progressive view of the world, game company marketing departments understand that explicitly stating hostility toward reactionary positions risks the enmity of right wing media, streamers and online communities. They fear, above all, finding themselves at the center of a Gamergate-like publicity inferno. […] According to PR sources, the hard costs of media controversy can run into seven figures, as crisis management companies are called in, expensive monitoring software is deployed, and staff are required to respond to social media messages and online message boards. But there are other costs. Investors dislike controversy and are prone to flee. CEOs of game companies that are owned by massive non-gaming corporations are rarely keen to explain negative headlines to their bosses. Staff morale can take a massive hit from waves of internet fury. “Why deal with it?” said a game industry source. “It’s easier just to take the line that the work is open to many interpretations, and that it isn’t taking sides, even when it has something to say.” […] Christian Miller is a Hawaii-based developer, who released Neofeud, which melds politics and social ideas in a cyberpunk world. He says the way big companies address divisive issues is “a little a silly. It’s like they don’t want to have any opinions about anything, ever. They want to say, ‘we’re just making fun entertainment.’ It’s disingenuous.” “I know that they need to reach a very wide demographic they need to get the lowest common denominator,” Miller added. “But even big movies are able to tackle these issues. The games companies need to move on.” Big budget movies like Black Panther embrace difficult messages in content and in external messaging. If its director Ryan Coogler or publisher Walt Disney Studios had tried to pretend it was just a story about an African king, rather than a reflection of societal and historical wrongs, he would rightly have been mocked. (Polygon)

Ich würde am liebsten noch mehr aus diesem großartigen Artikel zitieren. Die Mechanismen, die hier ablaufen, sind super-spannend. Ein kleiner, aber extrem lauter Mob kann im Endeffekt über gezielte Kampagnen Medienriesen kontrollieren, die, etwa im Fall von Electronic Arts, diverse Filmstudios an purer Größe und Marktmacht in den Schatten stellen. Die Frage ist, warum das so ist. Ein guter Grund liegt in der Jugend des Mediums. Videospiele sind immer noch keine ernstgenommene Kunstform. Die Öffentlichkeit hat praktisch keinerlei Anspruch an die Dinger, und dementsprechend gibt es auch keine Kanäle, über die – analog zur Besprechung von Filmen oder Serien – ernstzunehmende Analysen und Kritiken veröffentlicht werden; die Reviews der Spielemagazine reduzieren sich selbst völlig auf das Konzept der „Spielbarkeit“ (das auf Basis seiner eigenen Prämissen auch sehr problematisch ist, nebenbei bemerkt) und meiden diese Kontroversen ebenfalls. Es bräuchte so etwas ein rogerebert.com für Videospiele, aber das fehlt weitgehend. Die WASD hat das auf dem deutschen Markt ein wenig versucht, aber das ist nicht Fisch und nicht Fleisch, fürchte ich.

Ein Bekannter äußerte dazu die These, dass der Unterschied zwischen Videospiel und Film und damit dem Umgang mit politischen Inhalten in der Natur des Mediums liegt: Filme sind ein passives Medium, so dass sich solche Inhalte deutlich subtiler und anspruchsvoller verpacken lassen als in dem aktiven Medium des Videospiels, wo die gleichen Ansätze häufig plump wirken. Ich denke da ist etwas dran, aber es entlastet mir die Branche zu sehr von der Verantwortung und geht in den Bereich von „nur ein Spiel“. Videospiele müssen anders ihre Leitmotive und Plots rüberbringen, nicht darauf verzichten. Dass die AAA-Firmen glauben, der Höhepunkt des storytelling im Spiel seine Zwischensequenz mit Quick-Time-Event ist das Problem, nicht die Erklärung.

Was der Artikel völlig in seiner Prämisse übersieht ist, dass Spielefirmen keineswegs Angst vor politischen Inhalten in ihren Spielen haben; viele right-wing politics sind schon drin. Man denke nur an die „Call of Duty“-Reihe, in der tapfere US-Soldaten gegen Terroristen aus dem Nahen Osten und finstere nordkoreanische und russische Verschwörungen kämpfen. Wer behauptet, das sei apolitisch, hat ein merkwürdiges Verständnis von politischen Inhalten. Tatsächlich nehmen sich Spiele auf den Feldern der Innen- und Gesellschaftspolitik heraus; außenpolitisch ist Politik schon lange ein Teil. Und selbst auf dem gesellschaftspolitischen Feld finden sich, etwa mit Kingdom Come: Deliverance, durchaus Beispiele für explizitere Inhalte, nur eben auf der Rechten. Das Videospielsegment hat als Zielgruppe immer noch männliche Teenager und Tweens, und in solchen Episoden zeigt es sich.

10) Trump’s Defenders

These are just ordinary people. But it’s that ordinariness that makes their view noteworthy. They express a common indifference that is justified through an appeal to authority. If that sounds familiar, it’s because the same attitude has marked four years of arguments over violence against black Americans, from Trayvon Martin’s death at the hands of George Zimmerman, to Renisha McBride’s at the hands of Theodore Wafer, to Eric Garner, Michael Brown, Tamir Rice, Walter Scott, Philando Castile, and Alton Sterling—who were each killed by police officers. After each of these deaths, outrage from activists and community members was met by incredulity and hostility from those who believed the killings were justifiable. Some of this came from pundits, like former NYPD detective Harry Houck, who argued on CNN that police “didn’t have a choice” but to shoot Rice on arrival. Or Bob McManus, an opinion writer for the New York Post who blamed both Garner and Brown for their own deaths: “Each broke the law—petty offenses, to be sure, but sufficient to attract the attention of the police. And then—tragically, stupidly, fatally, inexplicably—each fought the law.” Garner, he concluded, “was a victim of himself. It’s just that simple.” But in social media posts, letters to the editor, and occasional interviews, ordinary Americans also expressed similar views, sympathizing with police and sometimes blaming victims. “Why is the press all over the police for just doing their jobs?” read one such letter to the Chicago Tribune, citing the potential danger to officers if they reacted too cautiously. “If you hesitate or make the wrong choice, you are dead.” Some of the rebuttals became common refrains: “He shouldn’t have resisted” or “He should have followed orders,” reflecting the same belief in obedience and authority we see now with the defense of family separation. (Slate)

Jamelle Bouie zielt hier auf einen wichtigen Punkt. Die Fans dieser Politik haben starke autoritäre Tendenzen, Die Idee, dass Schwarze, die von der Polizei ermordet wurden, dies „verdient“ hätten, weil sie nicht gehorcht hätten, ist aus zwei Gründen abartig. Zum einen ist es schlichtweg falsch. Es gibt zahllose Beispiele, in denen Polizisten in den USA Schwarze ermorden, die sich nicht auch nur das Geringste haben zu Schulden kommen lassen. Und auf der anderen Seite ist die Idee, dass einem Polizisten zu widersprechen eine Tötung rechtfertigen würde, hoffentlich offensichtlich krankhaft. Diese Leute haben diese Ansicht, weil es sie nicht betrifft. Wenn sie argumentieren, dass die Toten selbst Schuld sind, weil sie „tragically, stupidly, fatally, inexplicably fought the law“, sehen sie Schwarze. Ihnen kommt überhaupt nicht in den Sinn, dass es ihnen auch so gehen könnte. Sie gehen direkt davon aus, dass die Macht eines autoritären Staats sie nicht betrifft. Ein Weißer, der auf einem Tea-Party-Protest 2010 einem Polizisten widersprochen hätte und dafür von diesem getötet worden wäre – man kann davon ausgehen, dass in diesem Falle nicht von seiner Dummheit, der Staatsmacht zu widersprechen, gersprochen werden würde.

Was diese Leute antreibt ist das Verlangen, Gewalt gegen ihre Gegner einzusetzen. Es ist eine typische Regung. Die meisten Deutschen hatten auch kein Problem damit, wenn die SA-Knüppel Kommunisten trafen und Juden deportiert worden. Das alte Sprichtwort vom „Als sie die Kommunisten holten, habe ich nichts gesagt, denn ich bin ja kein Kommunist“ kommt ja nicht von ungefähr. Aber diese Leute können sich gar nicht anders vorstellen als die privilegierte Mehrheit, die Gewalt gegen den Rest über die Stellvertretung durch die Staatsmacht ausübt. Deswegen reagieren sie ja so ungeheuer aggressiv auf den gesellschaftlichen Wandel: sie sehen diese privilegierte Stellung erodieren. Als Reaktion versuchen sie, die Macht umso fester zu greifen und umso aggressiver auszuteilen.

11) In a tense meeting, Trump advisors debate how to process migrant families

The bureaucratic battles threatened to undermine Mr. Trump as his administration tries to counter a political crisis driven by heartbreaking images and recordings of crying migrant children separated from their parents and sent off to shelters. On Friday, the president was defiant. “We cannot allow our Country to be overrun by illegal immigrants as the Democrats tell their phony stories of sadness and grief,” Mr. Trump said on Twitter. But inside the White House, the arguments echoed the chaos at American airports after Mr. Trump’s ban on travel from predominantly Muslim countries. The ban, issued days after he took office, surprised Border Patrol agents and State Department consular officials. Officials at the southwestern border are struggling to obey Mr. Trump’s demand to prosecute people who illegally enter the United States — ending what the president has reviled as a “catch and release” policy — while also following an executive order he issued Wednesday to keep migrant families together as they are processed in courts. But as with the case of the travel ban, the reality of a vastly complicated bureaucratic system is colliding head-on with Mr. Trump’s shoot-from-the-hip use of executive power. The president’s whiplash-inducing order caught several people by surprise. Just a day before Mr. Trump signed it, one person close to the president said that he told advisers that separating families at the border was the best deterrent to illegal immigration and that he said that “my people love it.” Even on Wednesday, Mr. Trump repeatedly changed his mind about precisely what he wanted to do, and how, until shortly before he signed the order. (New York Times)

„My people love it.“ Da ist es, von den Lippen des Orangenen höchstpersönlich. Und das ist auch alles, worum es hier geht, und deswegen ist das Chaos auch so übel. Die Trump-Regierung ist in einem konstanten Wahlkampfmodus; effektives Regieren ist Nebensache. Executive Orders werden nicht unterzeichnet, weil man ein spezifisches Ziel erreichen will, sondern weil man Bilder will, die von einer Executive Order ausgelöst wurden. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist, dass Trump offensichtlich davon ausgeht, dass „seine“ Leute es lieben, wenn Einwanderern Grausamkeiten zugeführt werden. Und das Schlimme ist: er hat Recht. Denn seine Deplorables lieben die Bilder von weinenden Babys, die ihren Müttern entrissen werden. Für sie ist das genau das, wofür sie ihn gewählt haben. Aber vermutlich ist es unhöflich, das zu sagen, denn es könnten ja die Gefühle der Privilegierten verletzt werden. Und das ist viel, viel wichtiger als der sehr reale Schaden, der Minderheiten und Andersdenkenden zugefügt wird.

12) There is no migration crisis

Most reasonable people agree that these are not humane ways to deal with what these politicians call a “migration emergency.” But too many people take their word that there actually is some sort of a migration emergency. To be clear: There is no immigration crisis in 2018. Not in the United States, not in Europe, not in Canada. “It is not a migration emergency – it’s a political emergency,” William Lacy Swing, the American director-general of the International Organization for Migration, said this week. The IOM’s 8,400 staff monitor the movement of people around the world, and while they’ve identified plenty of challenges, there aren’t any overwhelming or unmanageable movements of people this year. “The overwhelming majority of migration is taking place in a regular, safe and orderly fashion,” he said. […] The European Union has had a problem with thousands of people crossing the Mediterranean on rafts and fishing boats, and sometimes walking over from Turkey, since about 2003. That problem began when the European Union eliminated temporary-work visas, creating an illegal market. It was reduced dramatically a decade ago when governments struck deals with sending countries, creating pathways for legitimate migration and return. When those countries fell into political crisis, those arrangements fell apart. After experiencing more than 100,000 sea arrivals a month during the Syrian crisis – peaking at 200,000 in mid-2015 – Europe is currently experiencing between 4,000 and 10,000, roughly the level of a decade ago. This remains deadly– more than 3,000 people died or went missing last year alone – but it’s a European policy challenge, not an emergency. In no way are these migration challenges associated with crime or violence. U.S. President Donald Trump tried to justify his baby-seizing policy this week by claiming that the United States might become like Germany, whose million unplanned migrants in 2015-16, he said, had caused crime to soar. In fact, Germany’s Interior Ministry reported last month that criminal offences, including violent crime, had fallen to their lowest levels since 1992. Despite a growing population, an increasing number of criminal statutes and a million recent migrant arrivals, the German crime rate has not been so low since the 1980s. The only significant rise was in anti-Semitic crimes – almost all of them committed by supporters of right-wing parties. In the United States, crime statistics repeatedly show that immigrants – including illegal immigrants and refugees from Latin America – have considerably lower rates of criminality, including violent crime, than Americans do. So even if there were a migration emergency, those waves of illegals would be making Americans safer by lowering their crime rates. But there’s no emergency, and the only danger in 2018 is coming from within. (Globe and Mail)

Die Debatte über Masseneinwanderung ist inzwischen nur noch blanke Hysterie. Ich wage jetzt die Voraussage, dass es in zehn Jahren keiner gewesen sein will. Heute findet sich ja auch keiner mehr, der in den 1980er Jahren Panik wegen dem Sauren Regen geschoben hat oder in den 1990er Jahren davor warnte, dass wir wegen FCKW und des Ozonlochs alle an Hautkrebs starben. Das Ausbleiben der Apokalypse hat übrigens in beiden Fällen einen Grund, der nicht darin liegt, dass die zugrundeliegende Befürchtung völlig irreal war. Aber der Staat unternahm Schritte dagegen. Die 1980er Jahre sahen eine Welle von Umweltschutzmaßnahmen, und FCKW wurde verboten. Seither haben sich die Wälder erholt (und auch die Gewässer, die man aufwändig gereinigt hat) und das Ozonloch hat sich geschlossen. Genauso sind die Grenzen längst dicht gemacht. Wenn man bedenkt, wie viel potenzielle Flüchtlinge sich vor den europäischen Außengrenzen drängen ist das was reinkommt praktisch nichts. Würde man jetzt noch besonnen eine vernünftige Einwanderungs- und Integrationspolitik auflegen, könnte man das Thema ad acta legen und endlich reale Probleme lösen. Stattdessen fällt man auf die rechten Bauernfänger herein und peitscht sich kollektiv in die Hysterie.

{ 8 comments… add one }
  • schejtan 26. Juni 2018, 09:59

    zu 1)

    Bad Samaritans von Ha-Joon Chang

    Geht zwar weniger um klassische Entwicklungshilfe, sondern eher darum, warum der Washington Consensus fuer Entwicklungslaender eben nicht funktioniert. Passt glaube ich schon zum Thema.

    zu 9)

    kotaku und rockpapershotgun gehen da teilweise schon in die Richtung, die dir vorstrebt.

    • Stefan Sasse 26. Juni 2018, 16:58

      Ja, die lese ich auch beide, aber mein Feedreader ersäuft immer in der Masse von Clickbait, die die produzieren.

  • Wolf-Dieter Busch 26. Juni 2018, 10:15

    (4) Im Namen des Vaters

    Es ist nicht Sinn und Zweck eines Deutsch-Kurses, sämtliche (gefühlt) 100.000 Worte der deutschen Sprache zu lernen. Der eigentliche Lernprozess erfolgt nach den Grundlagen im Alltag, beim Einkaufen oder beim Bierchen mit Kumpels. Bestätigt jeder, der mal im Schüleraustausch war mit England oder Frankreich!

    Wenn der eingewanderte türkische Gastarbeiter in seiner Freizeit ausschließlich mit eigenen Landsmännern spricht – wo sollten Deutschkenntnisse dann herkommen?

    Weiß nicht, ob ich es hier schon erzählt habe, meine Ex-Frau hat in Studienzeiten (SozPäd) ein Zubrot verdient, indem sie türkische Schulkinder betreut hat, unter anderem auch mit Hausbesuchen. Einmal kam ich mit, war in Köln-Ehrenfeld, Haupt-Arbeitgeber dort ist Ford Köln. Die Frau des Hauses die Gastfreundschaft in Person – aber sprach kein Wort Deutsch.

    Eines kann bei denen nicht passieren: dass eine türkische Hausfrau beim Fensterputzen mit einer deutschen Hausfrau ins Gespräch kommt. Wie auch. Die Frau, die ich erlebt habe, war lieb und freundlich, durch und durch türkisch (was ich mag, ich habe eine kosmopolitische Ader, ohne mich selbst gering zu schätzen), aber völlig isoliert von ihrer deutschen Umwelt (was mich schon sehr misstrauisch macht).

    Und wer bringt den Kleinen das Sprechen bei? Hinweis: wir sprechen von Muttersprache.

    So wachsen Parallelgesellschaften mit Generationen-Garantie.

    • Stefan Sasse 26. Juni 2018, 16:59

      Aber das ist doch genau der Punkt. Es wurde auch jahrzehntelang nichts getan, um die Parallelgesellschaften zu verhindern.

      • Wolf-Dieter Busch 26. Juni 2018, 17:39

        Die USA mit ihren multinational besiedelten Großstädten sind der praktische Beweis, dass Parallelgesellschaft unvermeidlich ist. Da „wächst nichts zusammen“. Schau dir die amerikanischen Stadtpläne mir farbiger Darstellung der ethnischen Verteilung an.

  • Rauschi 26. Juni 2018, 12:29

    Für mich widersprechen sich 2 und 8.
    Wie aus dem Artikel geschlossen werden kann, das „Moralisieren wirkt“, hat sich mir beim Lesen nicht erschlossen. Wäre auch eine sehr einfache monokausale Erklärung für eine gesellschaftliche Entwicklung, die schon wegen der Einfachheit nicht stimmen kann.

  • Blechmann 26. Juni 2018, 19:54

    zu 1)

    Auf der Makroebene würde das Ökosystem vermutlich kollabieren, wenn die Entwicklungshilfe den erwünschten Effekt hätte, die Entwicklungsländer auf unser Konsumniveau zu heben.

  • Kning4711 26. Juni 2018, 20:44

    Zu 1)
    Ich empfehle Dir Hernando de Soto „Freiheit für das Kapital“
    Einer der wesentlichen Rahmenbedingungen für Wohlstandszuwachs ist, dass der Staat privates Eigentum zulässt und durch Gesetze zumindest vor größter Willkür schützt. Nur dann wird jemand bereit sein zu investieren und ein Unternehmen aufzubauen. In vielen afrikanischen Ländern ist diese Komponente häufig nicht gegeben. Somit kann kleines Unternehmertum, dass lokal für Jobs und bessere Infrastruktur sorgt nicht entstehen.

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