Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
1) Schafft den Migrationshintergrund ab
Trotzdem bin ich seit der Sendung verstört. Schuld daran ist eine tagelange Auseinandersetzung mit der ARD-Pressestelle. Die gab es, weil der Sender die Zahl der „Deutschtürken“ einfach mal so um 1,7 Millionen erhöht hat. […] Und ich perplex: Fast zwei Millionen Turkodeutsche mehr als bisher. Fällt die wundersame Vermehrung der Deutschtürken niemandem auf? Oder sind die Leute so von der „Islamisierungs“-Propaganda eingenommen, dass sie es für normal halten? […] Also hake ich noch mal nach bei der ARD. Der Kollege belehrt mich, dass eine Pressemitteilung nun mal „keine wissenschaftliche Arbeit mit Belegen“ sei. Und präzisiert die Quelle als „ein Gespräch mit einem Migrationsexperten im Sommer letzten Jahres“. Als ihm klar wird, dass ich berichten will, reagiert die Sendeanstalt nach vier Tagen endlich mit einer etwas anderen Stellungnahme: „Aufgrund einer nicht mehr hundertprozentig nachvollziehbaren Recherche“ halte man die Zahl von viereinhalb Millionen „nicht mehr aufrecht“. Im Internet werde man sie auf 2,8 Millionen korrigieren. Und schiebt hinterher: „Auch wenn diese Zahl nicht alle von uns in Betracht gezogenen Generationen der weiteren Deutsch-Türken erfasst.“ Wie bitte? Wieso zählt die ARD einen Migrationshintergrund, von dem das Bundesamt die Menschen befreit? Weil sie offenbar findet, einmal Mihigru, immer Mihigru. Vielleicht ist es Zeit für eine radikale Forderung: Schafft den Migränehintergrund endlich ab! Er wird ohnehin nicht ehrlich erfasst.
Ich habe hier schon öfter darauf hingewiesen, dass die Öffentlich-Rechtlichen eine der treibenden Kräfte hinter dem Rechtsruck der letzten Jahre sind. Solcherlei Zwischenfälle zeigen einmal mehr, dass das der Fall ist.
Das eigentliche Thema des Artikels ist auch überdenkenswert, denn es trifft in den Kern des Problems, der die ganze Integrations- und Flüchtlingsdebatte vergiftet, seit diese in den 1970er Jahren begonnen hat: Was genau ist ein Deutscher? Die Mehrheit der Deutschen ist bis heute nicht bereit, Menschen mit deutschem Pass, aber dunklerer Hautfarbe, als „Deutsche“ zu akzeptieren, weswegen die höfliche Gesellschaft den „Migrationshintergrund“ bemüht, während der eher unhöfliche Teil „Ausländer!“ bafft und die AfD wählt, auf dass sie ihn erlösen.
Durch das ständige Abheben auf eine statistisch so offensichtlich schwer messbare Größe wie den Migrationshintergrund wird diese Problematik am Leben erhalten. Es wäre wesentlich zielführender, in Staatsbürger („Deutsche“, also Menschen mit deutschem Pass) und andere zu unterscheiden („Ausländer“, also Menschen ohne). Aktuell geschieht das nicht, und selbst Einwanderer in der dritten Generation werden häufig noch als Ausländer angesehen, wie jüngst etwa die SPD-Landtagsabgeordnete Giorgina Kazungu-Haß, die von einem Bahnkontrolleur aus der ersten Klasse geworfen wurde, weil jemand der so aussieht wie sie ja unmöglich ein Ticket haben oder richtig Deutsch sprechen kann. Solange diese Probleme ungelöst bleiben, ist alles Gerede von Integration hanebüchen. Es ist die große Bringschuld der deutschen Mehrheitsgesellschaft, die auch nach 50 Jahren immer noch aussteht.
2) Die deutsche Justiz steht vor dem Kollaps
Oberstaatsanwalt Krüger ist nicht der einzige Staats-Jurist, der sich überfordert fühlt. Schon 2017 forderte der Vorsitzende des Richterbundes, Jens Gnisa 2000 zusätzliche Richter und Staatsanwälte. Die deutschen Verwaltungsgerichte sind aufgrund der Klagen von abgelehnten Asylbewerbern überflutet: Allein dort ist die Rede von aktuell etwa 250.000 Verfahren. In Hessen wurden bis Ende 2015 im Justizbereich 430 Stellen abgebaut, mittlerweile stellt das Land wieder Beamte ein. Die Präsidenten der Brandenburger Gerichte schrieben im November 2017 einen Brief an das dortige Justizministerium: Wegen der Überlastung müssten sie zunehmend Rabatte auf Strafen gewähren, weil die Verfahren alle so lange dauerten. Selbst in Bayern, einem der reichsten Bundesländer kann der Justizapparat seine Aufgaben kaum noch wahrnehmen. Die Vorsitzende des bayrischen Richtervereins, Andrea Titz erklärt gegenüber der WirtschaftsWoche: „Die Überlastung der Gerichte in Bayern ist nach wie vor immens. Zum Stand 30.09.2017 fehlten in Bayern 185 Richter und 222 Staatsanwälte. Und seitdem hat sich da wenig verbessert.“ Diese Überlastung der deutschen Justiz hat Folgen: Verfahren ziehen sich über Jahre, Straftaten verjähren und teilweise müssen Verdächtige aus der Untersuchungshaft freigelassen werden. Die gefährden wiederum die Bevölkerung. Umfragen zufolge haben fast ein Drittel der Deutschen kein Vertrauen in die Justiz. Der Kampf des Rechts wird dabei teilweise mit ungleichen Mitteln geführt. In Prozessen sieht sich Oberstaatsanwalt Krüger aus Frankfurt regelmäßig einer Armada von Anwälten gegenüber: „Ich saß letztes Jahr mit einem anderen Staatsanwalt in einer Verhandlung, uns gegenüber die Angeklagten mit 20 bis 30 Anwälten. Da schlägt natürlich die Stimmung hoch.“ Dabei kämpft Krüger oft für hunderte Menschen, die von windigen Aktienbetrügern übers Ohr gehauen wurden und so manchmal um zehntausende Euro betrogen wurden. Die Aktienbetrüger können sich die besten Anwälte leisten. Und diese wiederum tun alles, um Verfahren auszubremsen: „Manchmal werden einfach aktenordnerweise unnütze Erklärungen und Beweisanträge vorgelegt und über Tage oder Wochen verlesen. Der Möglichkeit, Verfahren zu verzögern, setzt das deutsche Rechtssystem kaum Grenzen. Das ist natürlich eine große Schwachstelle.“
Es ist unglaublich, wie die Ideologie der Schwarzen Null überall das Land zerstört. Ob verfallene Autobahnbrücken oder Justizverfahren, das Bamf oder die Schulen, überall ist die staatliche Infrastruktur am Bröckeln und können die Aufgaben nicht mehr richtig wahrgenommen werden. Es ist Konkursverschleppung, und jeder Vorstand, der seinen Betrieb so führt – um Stefan Pietschs Lieblingsmetapher zu benutzen – würde sich harsche Fragen von den Stakeholdern gefallen lassen müssen.
Die Aushöhlung der Justiz im Speziellen hat eine ganze Reihe äußerst negativer Nebeneffekte. Einerseits können viele Verfahren nicht mehr ordnungsgemäß abgewickelt werden, was etwa im Fall hochkalibriger Steuer- oder Wirtschaftsverbrechen einer Art Freifahrtschein gleichkommt. Andererseits sorgt es dafür, dass Massenverfahren – Routineangelegenheiten wie das Urteilen an Straf- oder Zivilgerichten und insbesondere in der Sozialgesetzgebung – schneller abgehandelt werden müssen, wodurch mehr Fehler passieren.
Und all diese Effekte der Konkursverschleppung werden dann von genau den Ideologen, die sie überhaupt erst zu verantworten haben, als Beweis dafür genutzt, dass der Staat die ihm übertragenen Aufgaben nicht richtig lösen kann und als Argument für weitere Privatisierungen benutzt.
3) Left Economy, Right Economy
A number of studies and polls have shown that voters tend to be able to disaggregate their personal and local economic fortunes from their assessment of the national economy. Before the last election, losing a job or losing income did not drive voters into Trump’s arms, nor did manufacturing density or changes in the local jobless rate. And though Democrats and Republicans are living in more different economies than they were three decades ago, that does not mean that one group is doing better than the other—certainly not in a way that translates into such suddenly different levels of consumer confidence. Republicans have somewhat higher incomes and lower unemployment rates than Democrats, and have for years. Rather, social scientists think, it is that the economic picture is a Rorschach test, and partisans are reading what they want into the curves and dots of its inkblot. Republicans are now focusing in low unemployment and the sky-high stock market. Democrats are now focusing on wage stagnation and inequality. “When you have these ambiguous economic conditions, it leaves room for partisan bias and these kinds of economic rationalizations,” said John Sides, a political scientist at George Washington University. Sides noted that in the late 1990s, when the economy was unambiguously excellent, and in the late aughts, when it was unambiguously terrible, partisan gaps in economic expectations tended to collapse.
Es gehört zu den faszinierendesten Effekten des Trump-Siegs, dass mit dem Moment der Inauration die Frage nach dem Stand der Wirtschaft für die meisten Republicans um 180° gedreht wurde: sagten vorher nur 20%, dass die wirtschaftliche Entwicklung gut sei, waren es nun plötzlich 80%. Geändert hatte sich: nichts. Denselben Effekt gab es umgedreht auch bei den Democrats, wenngleich, wie stets, in einer deutlich abgemilderteren Form. Die Entkopplung des Blicks auf die wirtschaftliche Lage von irgendwelchen Realitäten und ihre Unterwerfung unter die Logik der Polarisierung hat wichtige Folgeeffekte.
Gerade die Midterms werden deutlich von der Frage geleitet, wie die Wirtschaft eingeschätzt wird. Die konsistente Erholung mit akzeptablen, wenngleich nicht gerade berühmten Wachstumsraten, die Trump von Obama geerbt hat, spricht eigentlich für den Präsidenten und seine Partei. Nur sorgt die Polarisierung dafür, dass dieser Wirkmechanismus – der noch unter Obama galt – rapide an Bedeutung verliert. Wenn der Stand der Wirtschaft nur noch davon abhängt, wer das Weiße Haus besitzt, dann hilft oder schadet er elektoral auch kaum mehr, was eine neuartige Abweichung darstellt.
Ich möchte die Gelegenheit auch kurz nutzen, ein Grundsatzstatement loszuwerden: der Präsident hat nur sehr wenig Einfluss auf die Lage der Wirtschaft (dazu braucht es gut koordinierte Zusammenarbeit mit dem Kongress). Die US-Wirtschaft, über die Trump gerade präsidiert, ist daher effektiv dieselbe, über die Obama vorher präsidierte. Obamas große Leistung ist die Abfederung der Rezession durch die Finankrise 2009, der „Stimulus“ – vermutlich ist es sogar die größte Leistung seiner Amtszeit. Die anschließende Erholung der Wirtschaft mit ihren seither stabilen Wachstumsraten, die auch unter Trump weiterläuft (bis zur unvermeidlichen nächsten Rezession) läuft mehr oder weniger auf Autopilot.
Das gilt im Übrigen auch für Deutschland: Merkel hatte bislang schlicht Glück, dass ihre Regierungszeit in so viel Aufschwungperioden fällt, und kann sich zusammen mit Peer Steinbrück die Meriten anheften, wie Obama die Folgen der Finanzkrise sehr klein gehalten zu haben. Hätte das Kabinett aber 1998 bis 2005 regiert, Schäuble würde niemals eine Schwarze Null erreicht haben, genausowenig wie es dem glücklos-uninspirierten Hans Eichel gelang.
4) Der Wolf und die bösen Geislein
Überhaupt ist es wesentlich wahrscheinlicher, von einem Hund gebissen oder gar getötet zu werden als von einem Wolf. Dem statistischen Bundesamt zufolge sterben in Deutschland pro Jahr eine bis sechs Personen an den Folgen eines Hundebisses. In den letzten 40 Jahren hat es dem norwegischen Wolfsforscher John Linnell zufolge in ganz Europa dagegen keinen einzigen tödlichen Wolfsangriff gegeben. […] Als im Februar im Bundestag über das Thema gesprochen wurde, meldeten sich trotzdem gleich aus drei Parteien Abgeordnete zu Wort, die gern die Jagd auf Wölfe erlauben möchten, zumindest ein bisschen. Den Vogel schoss wie zu erwarten ein Vertreter der einzigen auf irrationale Ängste spezialisierten Bundestagspartei ab: Der AfD-Abgeordnete Karsten Hilse behauptete, Wölfe liefen „immer öfter seelenruhig durch Dörfer und an Bushaltestellen vorbei, an denen nur wenige Stunden zuvor Kinder auf ihren Schulbus warteten“. Rotkäppchen, ick hör Dir trapsen. Vermutlich machen der AfD auch die ständigen illegalen Grenzübertritte zu schaffen, die nun mal zum Wesen des Wolfs gehören. […] So ein Wolfsangriff sei „ein Trauma für Mensch und Tier“ hat Andreas Schenk vom Bundesverband der Berufsschäfer kürzlich bei einer Anhörung in einem Bundestagsausschuss gesagt, was man sich gut vorstellen kann. So eine Szene muss Horrorfilmqualität haben. Dann aber fügte Schenk einen Satz hinzu, der sehr schön zeigt, dass der Wolf hierzulande trotz allem eher ein emotionales als ein praktisches Problem ist: „Schon die Angst davor“, sagte der Schäfer, „ist unerträglich“.
Die Debatte um Wölfe in Deutschland ist tatsächlich ein absolutes Paradebeispiel für irrationale Ängste. Es ist faszinierend, was da jeweils auf die Tiere projiziert wird. Man fragt sich an der Stelle unwillkürlich, wie viel dieser Mechanismen auch in anderen Kontexten wirken – etwa wenn diese Ängste auf die Flüchtlinge projiziert werden.
5) Die Rückkehr der Menschenfeindlichkeit
Sebastian Haffner, der überaus genaue Chronist des rapiden Deutungs- und Einstellungswandels ab 1933 in Deutschland, erwähnt in seiner Geschichte eines Deutschen einen bemerkenswerten Mechanismus der damaligen öffentlichen Debatte: Indem die Nazis, schreibt Haffner, „irgendjemand – ein Land, ein Volk, eine Menschengruppe – öffentlich mit dem Tode bedrohten, brachten sie es zustande, dass nicht ihre, sondern seine Lebensberechtigung plötzlich allgemein diskutiert – d. h. in Frage gestellt wurde. Jeder fühlte sich auf einmal bemüßigt und berechtigt, sich eine Meinung über die Juden zu bilden und sie zum besten zu geben. Man machte feine Unterscheidungen zwischen ‚anständigen‘ Juden und anderen; wenn die einen, gleichsam zur Rechtfertigung der Juden – Rechtfertigung wofür? Wogegen? – ihre wissenschaftlichen, künstlerischen, medizinischen Leistungen anführten, warfen die anderen ihnen gerade dies vor: Sie hätten Wissenschaft, Kunst, Medizin ‚überfremdet‘.“ Bekanntlich gab es trotz aller Gewaltaktionen gegen „Gemeinschaftsfremde“ keine „Nazifrage“ im Deutschland jener Jahre, sondern eben eine „Judenfrage“. Nicht die Angreifer der Demokratie und des Rechts erschienen als Problem, sondern ihre potenziellen Opfer. Vergleichbares erleben wir seit mehr als zwei Jahren in Europa und leider auch in Deutschland. Völlig unbeschadet von allem, womit man jenen entgegengekommen ist, die die Flüchtlingspolitik der alten Bundesregierung kritisiert hatten (man gab ihnen Verschärfungen des Asyl- und Aufenthaltsrechts, die Einrichtung von Heimatministerien, die Verankerung einer „Obergrenze“, die nur nicht so heißt, und manches mehr), ist eine „Konsensverschiebung“ (Igor Levit) zu beobachten, in der sich das Phantasma einer „Masseneinwanderung“ desto aggressiver verbreitet, je weniger Menschen ins Land kommen. Sozialpsychologisch ist das ein Klassiker: Vorurteile und Ressentiments gedeihen dort am besten, wo es die Hassobjekte in Gestalt etwa von „Ausländern“, „Muslimen“, „Flüchtlingen“, „Juden“ und so weiter gar nicht gibt, wo mithin keine Realitätsprüfung stattfinden muss. Und so haben wir jetzt eine „Flüchtlingsfrage“, keine „Menschenfeindefrage“.
Ich halte das für einen ungeheuer wichtigen Punkt, weswegen mich das Framing der Öffentlich-Rechtlichen auch so furchtbar nervt. Was hier alles an völligem Unsinn landauf, landab debattiert wird, weil man über jedes Stöckchen der Rechten springt! Der Sündenfall war da echt Sarrazin. Anstatt dessen Unsinn einfach als die rassistischen Fieberträume zu verurteilen, die sie waren, wurde der Wahrheitsgehalt seiner Thesen durch die Talkshows und Leitartikel gezogen, als ob es relevant wäre, ihn faktisch zu widerlegen (was eh nicht gelingt, weil diese Debatten jedes, jedes, jedes Mal in ein „he said, she said“ ausarten).
Es ist auch bemerkenswert, dass permanent debattiert wird – nein, reaffimiert wird – warum die Flüchtlingen sich keinesfalls in die Mehrheitsgesellschaft integrieren könnten, aber immer noch nicht ein einziges Mal vernünftig debattiert wurde, wann Integration denn eigentlich erreicht sein solle und welche Pflicht die Mehrheitsgesellschaft diesbezüglich hat. Das ist alles so unendlich verloren, dass man nur noch kotzen möchte.
Alle wählen die SPD. Aber eben nur noch 20% von allen: a) Die Wähler der SPD sind so unterschiedlich wie bei keiner anderen Partei. b) Es gibt keine Partei, bei der sich mehr Menschen vorstellen könnten ihr Kreuz zu machen als bei der SPD (ca. 35–40%). Es gibt keine Partei, bei der weniger Menschen kategorisch ausschließen (ca. 20%), dass sie sie wählen würden. Die SPD schafft es die unterschiedlichsten Menschen anzusprechen und hat das größte Wählerpotential. Bei der Bundestagswahl standen am Ende trotzdem 20%. […] Es wäre so viel einfacher, wenn wir uns nicht mehr um alle kümmern würden, sondern nur um einen Teil. Die Frage ist nur, ob wir dann jemals wieder mehr als 20% erreichen werden. Ob wir überhaupt noch Jemanden erreichen! Was unterscheidet uns noch von den anderen Parteien, wenn wir uns jetzt für einen Teil entscheiden? Sind wir dann die hippe, weltoffene Partei wie die Grünen, nur mit Braunkohle? Die linken Revolutionäre, nur für die NATO? Oder die Liberalen, aber mit Mindestlohn? In Wirklichkeit zielen alle diese Begründungen nur darauf ab die Partei intern zu befrieden. Weil es so unfassbar anstrengend ist, ständig alle diese politischen Konflikte auszutragen. Der SPD ist irgendwie das Kunststück gelungen, nur noch 20% der Menschen im Bundestag zu repräsentieren und trotzdem nahezu alle Konflikte der 100% auszutragen. (medium)
In der beliebten Serie „Was läuft falsch bei der SPD?“ kommt dieser empfehlenswerte Artikel. Die Zahlen, die hier genannt werden, sind schon erstaunlich. Die Partei hat ein großes theoretisches Wählerpotenzial, schafft es aber nicht auch nur im Ansatz, das zu erschließen. Wie das richtig gehen könnte, darüber scheiden sich natürlich die Geister. Was allerdings Konsens von den Agenda2010-Fans aus dem Seeheimer Umfeld bis zu den Revisionisten vom linken Flügel zu sein scheint ist, dass der aktuelle Ansatz des Hin- und Herlavierens, dieses nicht Fisch und nicht Fleisch, ganz sicher nicht funktioniert. Die SPD ist eine Partei, die nicht weiß, wofür sie eigentlich steht. Und wenn sie sich nicht bald entscheidet, nehmen ihr die Wähler die Entscheidung sehr, sehr endgültig ab.
7) Trump’s ambassador to Germany is sabotaging the Atlantic alliance
Later, as the interview drew rapid, negative attention in Germany and elsewhere, Breitbart changed the headline, dropping the phrase “anti-establishment.” Hordes of social media enthusiasts also rose in Grenell’s defense: He wasn’t insulting Merkel! He meant no offense! But of course he was, and of course he did. These kinds of games are precisely how the radical right communicates with its supporters. Its propagandists nod, wink and put a new spin on old words — swapping “globalist” for “Jewish,” for example, as in “international globalist conspiracy.” Grenell’s hints were intended for Breitbart’s readers: They know this game, and they know that when Grenell says “empowering other conservatives throughout Europe,” he doesn’t mean that he supports the ruling coalition in the country where he is serving as U.S. ambassador. I repeat: It means that he supports their opponents. If Grenell has been sent to Germany in order to destabilize Merkel’s coalition, then a case can be made in his support: Maybe this is U.S. policy now; he’s just carrying it out. If Grenell has been sent to Germany in order to destabilize the Atlantic alliance, then he’s doing well at that, too: Most of the Populist International is strongly anti-American, pro-Russian and opposed to NATO. Grenell’s first action, on his first day in his new job, was to tweet an order to German companies doing business in Iran, telling them they should “wind down operations immediately.” This, too, was badly received. But if those are not his orders — and I’m sure someone will now deny that they are — then a different set of questions has to be asked. Why is the U.S. ambassador to Germany giving an interview to Breitbart? Why is he involving himself in partisan politics? For that matter, why is he an American ambassador at all? (Washington Post)
Der Schlusspunkt dieses Artikels ist interessant, denn die Frage ist nicht so rhetorisch, wie sie scheint. Ist Grenells Ziel denn die Sabotage der transatlantischen Beziehungen? Trumps Fans haben keinen Zweifel daran, dass dies Trumps Mission ist und dass es sich um ein begehrenswertes Ergebnis handelt. Wie Trumps Berater (Bolton et al) dazu stehen, ist völlig unklar, und Trump selbst ist in allem was er tut dermaßen erratisch, dass der Versuch, kohärente Strategien aus seinen Handlungen zu lesen, ohnehin zum Scheitern verurteilt ist. Er sieht die EU klar als Gegner, wie seine Anhänger auch, aber welche Konsequenzen daraus genau erwachsen ist völlig unklar.
Leute wie Grenell an die entscheidenden Schalthebel zu packen könnte aber die Notwendigkeit einer Festlegung beseitigen. Denn es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese fleischgewordenen Beleidigungen die Außenbeziehungen der USA tatsächlich zerfasern lassen, und von dort aus hat sich die ganze Frage dann erledigt. Man sollte sich auch nicht der Illusion hingeben, dass dies ein auf Trump und seine Sykophanten beschränktes Phänomen wäre. Die GOP hat diese ganzen Schauergestalten schließlich im Senat bestätigt. Die spannendste Frage ist daher weniger die Richtung, die Trumps Außenpolitik gerade nimmt, sondern ob 2020 beziehungsweise 2024 eine Reperatur dieses Verhältnisses möglich ist. Obama hat seinerzeit die Schäden der Bush-Zeit weitgehend repariert. Aber mein Gefühl ist, dass der Graben dieses Mal tiefer reicht. Und die EU ist bemerkenswert schlecht darauf vorbereitet, damit umzugehen.
8) Wegen fehlender Erntehelfer verfaulen jetzt die Erdbeeren
Manchen Erdbeer-Bauern in Deutschland bleibt schon jetzt nichts anderes übrig, als Teile ihrer Ernte hängen und verfaulen zu lassen. Im Verband Süddeutscher Spargel- und Erdbeeranbauer (VSSE) registrierten laut einer Umfrage zwei Drittel der Betriebe einen mäßigen oder sogar deutlichen Rückgang bei der Verfügbarkeit von Saisonkräften. […] Jährlich werden in Deutschland rund 162.000 Saisonarbeiter für die Ernte von Erdbeeren und Spargel eingesetzt. Laut Simon Schumacher ist es gar nicht mal so sehr das Problem, Leute anzuwerben. „Doch ob sie dann tatsächlich auch erscheinen, oder ob sie die gesamte Saison bleiben, ist eine andere Frage.“ Die Zuverlässigkeit habe stark abgenommen. Auch sei es ein Problem, Leute zu finden, die als Vorarbeiter taugen und andere auch mal beaufsichtigen oder anleiten können. „Wer flexibel im Kopf ist, ist oft auch mobil in den Beinen und findet leichter etwas anderes“, so Schumacher. Den Landwirten ist auch klar, dass ihre Arbeit nicht zu den Traumjobs gehört, auch wenn ab diesem Jahr erstmals der Mindestlohn von 8,84 Euro gezahlt wird. Aber das ständige Bücken, die Hitze oder der Regen, die Arbeit mit den Händen, all das macht die Erntehilfe zu einer besonderen Herausforderung. (Welt)
Die Welt hat schon echt ganz schön Chuzpe. Die zahlen allen Ernstes dieses Jahr ERSTMALIG den Mindestlohn und wundern sich, dass keiner Bock hat im Hochsommer Spargel und Erdbeeren aus den Feldern zu klauben? Auch spannend, wie den ausländischen Saisonkräften hier die Schuld gegeben wird. Als ob es ein gottgegebenes Recht deutscher Bauern wäre, polnische Erntehelfer ausbeuten zu können. Wenn also der Job „eine ganz besondere Herausforderung“ ist, dann muss man wohl besser bezahlen. Angesichts des ständigen Geredes von Angebot und Nachfrage, mit dem immer diese bedauerlichen Lohnsenkungen beziehungsweise Stagnationen gerechtfertigt wurden ist es echt spannend, dass niemand auf die offensichtliche Idee kommt.
Die Dialektik aus Provokation und programmiertem Aufschrei: Dieses Spiel beherrscht nicht nur die AfD perfekt. Doch statt nur über die Reizungen zu sprechen, sollte man auch die Reaktionen in den Blick nehmen. Das liberale Publikum erweist sich dabei regelmässig als naiv. Während die Rechtsnationalen ins Parlament zogen und die Schlagzeilen kaperten, wurden ihre menschenverachtenden Anliegen als valabel diskutiert: Die AfD erschien als völlig normale Partei, bedeute gar eine «Revitalisierungskur für den Bundestag», wie der Chefredaktor der NZZ erst vor wenigen Wochen schrieb. Nach Gaulands neuster Ansage hat sogar das ehemalige Flaggschiff des Liberalismus genug, bei Sprüchen zum Holocaust gibt es kein Pardon: Neuerdings gilt die AfD selbst dort als «Nazi-Verharmloserin». Die Liberalen mögen sich nun wieder einmal in ihrem Selbstverständnis als wachsame HüterInnen der Demokratie sonnen. Ihr Opportunismus zeigt sich aber, wenn man an die Einladung eines AfD-Philosophen nach Zürich vor etwas mehr als einem Jahr zurückdenkt: Fast alle Medien hielten die Meinungsfreiheit hoch, wollten ihn unbedingt reden hören – obwohl seine völkischen Thesen längst bekannt waren. In Deutschland wird jetzt debattiert, Gauland nicht mehr ins Fernsehen einzuladen. Doch die Diskussion, ob man mit Rechten reden soll, bringt wenig. Denn auch wenn sie nicht auf Podien oder in Talkshows sitzen, diktieren sie längst die Agenda, haben praktisch schon die Themenplanung übernommen. Von allen Warnungen offenbar unbeeindruckt, sprach man in Deutschland diese Woche erneut über «kriminelle Flüchtlinge» und lud zur «Islamdebatte». Und auch im SRF-«Club» ist «der Islam» einmal mehr das Thema der Stunde. Als Experten geladen waren am vergangenen Dienstag «Politsatiriker» Andreas Thiel und ein reaktionärer Bischofssprecher. Die Verschiebung des Diskurses nach rechts, sie hat schon längst stattgefunden. (Wochenzeitung)
Wie bereits in Punkt 5) angesprochen: „Mit Rechten reden“, wie der Titel eines viel zu viel beachteten Buches letzthin forderte, ist kontraproduktiv. Alles was man tut ist deren Framing übernehmen, und damit haben sie bereits gewonnen. Wer ihnen die Genugtuung gibt, ihre Thesen seriös zu debattieren, auf Grundlage ihrer eigenen Prämissen, gibt ihnen alles was sie wollten. Den Gefallen hat man der Linken in den letzten 20 Jahren praktisch nie getan.
10) Steam’s new „anything goes“ policy is doomed from the start
The first of many problems with this policy is that Valve has, for the first time that I can recall, said explicitly here that it does not care who is mad. To Valve, one person or group’s anger is exactly equal to any other’s, and everything people get angry about is simply a sign for ‚controversy.‘ […] Here, racism is not defined as „bad,“ but as a „controversial topic.“ It is grouped with other „controversial topics,“ such as sexuality and identity and even the quality of a game. So it seems that in Valve’s view, a customer’s anger over an overtly racist game is exactly the same as a customer’s anger over a game about gender identity or sexual orientation. This is a categorically absurd view. It defines hate speech and being the target of hate speech as the same thing. It defines hate speech and being mad about bad Early Access releases as the same thing. It is ridiculous. Valve could be talking about games which ‚address racism‘ here, but how can it not also be talking about ‚racist games‘? If anything goes, they are part of anything (and are already not strangers to Steam). Valve wants us to know, however, that the games allowed on Steam „will not be a reflection of Valve’s values.“ Steam, then, is a conduit for developers to reach players, a utility, a free-flowing, non-stop content pipe that can contain anything (so long as it isn’t illegal). This idea is also easily exposed as bogus. Frame it like this: ‚Steam is not a racist platform, but it will host racist games, promote them, and take a cut from their sales.‘ How can Valve say that promoting and profiting from a game doesn’t reflect its values? It’s a value judgment to allow this to happen in the first place. (PC Gamer)
Valves neue Politik ist typisch für die gesamte Videospielbranche. Sie ist in den letzten Jahren gewaltig angewachsen und längst dem Segment der 15-20jährigen entwachsen, aber die Videospielfirmen scheinen immer noch nicht bereit zu sein die Konsequenzen daraus zu ziehen, dass der durchschnittliche Gamer heute bereits über 30 Jahre alt ist und verhalten sich so, als würden sie nur an große Kinder verkaufen. Das betrifft auf der einen Seite natürlich die erzählerische Qualität der Spiele, auf der anderen Seite aber eben auch solche Probleme wie sie Valves Vertriebsplattform Steam betreffen. Die Ansicht, man sei nicht verantwortlich für die Inhalte und könnte sich so als mutiger Proponent der Meinungsfreiheit beziehungsweise Gegner von Zensur inszenieren ist wenig zielführend.
11) Merkel on EU-reform: a decryption
On 3 June, the German chancellor finally gave her long-awaited answer to the proposals of the French president to reform the European Union (EU) – or at least that is how the chancellery wants the interview given to Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung to be seen. The interview spans a wide range of issues. In this text, we focus on the three main policy areas that will be discussed at the June European Council meeting: the reform of the euro area, the future of asylum and migration policy, and the next steps in foreign and security policy. […] The interview describes in great detail the chancellor’s position on two central pillars of Eurozone reform: How to reform the European Stability Mechanism (ESM) and how to build a potential budget for the euro area. Banking union and capital markets union – i.e. the two main vehicles to promote private risk sharing – are only mentioned in passing in one sentence. This is a message in itself: Merkel explicitly acknowledges that euro area reform needs to go beyond finishing touches on the financial side but has to include steps on fiscal policy. This is new – and was a sine-qua-non for the Élysée. This also indicates that the next steps on banking union are now seen as a done deal (i.e. there will be a backstop for the Single Resolution Fund in the ESM) but that there will be no further opening in this round of negotiations on a European deposit insurance scheme. […] Even if they arrive rather late in the process, the German proposals for EU reform represent a good first step. This also summarises the reactions from Paris and Brussels. It was not the “new dawn for Europe” that the German coalition agreement promised. Many of the proposals reflect a pragmatic attempt to bridge the divide between expectations in other member states and domestic constraints ahead of a summer that will temporarily close the window of opportunity for significant EU reform. Germany will have to make more important second steps in the months and years ahead to avoid a prolonged phase of reform stagnation. As the chancellor said, Europe is at a crossroads and “if we stand still, we will be pulverised by the big global structures”. (Delors Institute)
Der Artikel ist in seiner ganzen Länge empfehlenswert, weil er Merkels Aussagen aus dem wichtigen Interview in Kontext stellt. Dass Macrons Vorschläge von Merkel nicht 1:1 übernommen werden würden war ja von Anfang an klar, aber eine Weile sah es ja so aus, als ob sie aus innenpolitischen Gründen jegliche EU-Reform blockieren. Vor dieser Folie sind ihre Vorschläge nun vergleichsweise weitgehend, was ein wahrlich positives Zeichen ist. Natürlich, und das ist wahrlich Merkel-typisch, sind die vorgeschlagenen Schritte überall viel zu klein, um die zugrundeliegenden Probleme zu lösen, und versucht sie, die zarten Pflänzchen der Demokratisierung der EU zurückzurollen. Aber unter den Umständen lässt sich nur wenig Besseres bekommen, und da ist man froh über alles, was man kriegt…
Danke für diesen Überblick. Kann den Format inzwischen einiges abgewinnen.
Danke für die Rückmeldung, und freut mich!
Zu 2): Wir mögen vielleicht tatsächlich zu wenig Richter haben, aber das liegt sicherlich zu einem guten Teil auch daran dass die Anzahl der Verfahren massiv gestiegen ist. Ich glaube dass der Durchschnittsdeutsche heutzutage Streitigkeiten schneller durch Autoritäten bzw Verfahren klären lassen will. Selbst wenn man das in gewissen Maß zulassen will, gibt es jedoch keinen Grund, das mit einer roten Null zu tun.
Guter Punkt. Hast du da zufällig Zahlen zu?
zu (9) – Empörung und Mitwissen
Der WOZ-Artikel ist legitim wegen der verfassungsmäßigen Meinungsfreiheit, aber damit hat sichʼs auch schon. Immerhin demaskiert sich der Artikel selbst durch Gender-Entstellung der Sprache (Binnen-I); das setzt den Leser auf die richtige Spur.
Dass Gauland – und AfD – „rechts“ sind, ist unbestreitbar; aber, um es mit Lafontaine zu sagen, seit einigen Jahren gefällt sich die „links“ selbst im ostentativen Schutz irgendwelcher Minderheiten, anstatt sich für soziale Probleme zu interessieren. (Mit diesen Linken will ich jedenfalls nichts zu tun haben.) Die Orientierung Rechts / Links ist ungültig geworden im ursprünglichen Sinn.
Gaulands Rede habe ich gesehen. Mit keinem Wort hat er die Nazis relativiert; zur Erinnerung, er verwendete die Worte „Verantwortung“, „verdammte 12 Jahre“, „Vogelschiss“ – nicht genau appetitlich.
Gaulands Rede hatte einen Impetus in Richtung Nationalstolz. Ich interpretiere es (in meinem Sinn):
Der politische Diskurs in Deutschland ist geprägt von Schuldkult. Für die „verdammten zwölf Jahre“ will ich im Boden versinken – obwohl meine Generation keinerlei moralische Verantwortung trägt, ebensowenig wie der heutige Amerikaner für die amerikanische Sklavenwirtschaft bis 1865.
Schlüsselwort Schuldkult, Betonung auf Kult. Führt zu konkreten Denkverboten, etwa angemessene Verarbeitung offensichtliche Kriegsverbrechen der Alliierten (Hiroshima, Dresden, Bombenteppiche mit 4 Millionen deutschen Zivilisten). Das Wort Revision der Geschichtsschreibung wird pervertiert zu Revisionismus – im Sinn eines Schimpfworts.
Gauland setzt – so interpretiere ich – einen Akzent dagegen. Wir müssen zurück zur Normalität. Ich brauche Gauland nicht gut zu finden, um ihm in der Sache zuzustimmen.
Aha, es wirkt schon.
Ich könnte dich fragen: Wie hättest Du denn an Churchills Stelle die Nazi-Herrschaft über Europa bekämpft? Aber schon wären wir mitten in der Diskussion und der Relativierung. Zu Dresden und zu Hiroshima wäre manches zu sagen. „Offensichtliche“ Kriegsverbrechen jedenfalls: nein.
Die Verbrechen der Nazis sind so monströs, dass sich eine Aufrechnung in Deinem Sinne verbietet. Auch heute noch.
@CitizenK – „Aha, es wirkt schon“ – Bin ich jetzt fremdgesteuert?
„Zu Dresden und zu Hiroshima wäre manches zu sagen. ‚Offensichtliche‘ Kriegsverbrechen jedenfalls: nein.“ – Begründe.
„Die Verbrechen der Nazis sind so monströs, dass sich eine Aufrechnung in Deinem Sinne verbietet. Auch heute noch.“ – Dein Kommentar vergegenständlicht mit ein Tabu (Denkverbot). – Übrigens nicht Aufrechnung, sondern Aufarbeitung. (Ich nehme es dir nicht krumm.)
Es ist die Sache, die nicht gut ist. In Deutschland besteht kein „Schuldkult“, das ist rechte Propaganda.
Und wenn ein Artikel für dich demaskiert und verdammenswert ist, weil er das Binnen-I nutzt, sagt das mehr über dich als über den Artikel.
„Und wenn ein Artikel für dich demaskiert und verdammenswert ist, weil er das Binnen-I nutzt, sagt das mehr über dich als über den Artikel.“ – Ich hänge nun mal an der Unvesehrtheit der deutschen Sprache. Der Artikel ist sprachlich ganz sicher verdammenswert.
„In Deutschland besteht kein ‚Schuldkult‘, das ist rechte Propaganda.“ – Doch. Der Kult-Charakter äußert sich in Tabus (Denkverboten). Beispiele:
Kein Kritiker hat auch nur ein Wort von Gauland wörtlich zitiert (außer „Vogelschiss“ möglicherweise); denn da ist auch nichts. Stattdessen weichen sie aus auf „zwischen den Zeilen“. Nope. Ohne mich.
CitizenK (siehe oben) schreibt ausdrücklich „… dass sich eine Aufrechnung (…) verbietet“, und zwar ohne böse Absicht – ein verinnerlichtes Denkverbot, quasi „Schere im Kopf“.
Ist meine Rede nun „rechte Propaganda“? An keiner Stelle habe ich eine Moralische Bewertung vorgegeben, sondern nur eine technische solche. Die durchaus fehlerhaft sein könnte, ich erwarte dann halt qualifizierten Widerspruch. Ich bin ganz Ohr.
Kein Denkverbot, sondern im Gegenteil: Ergebnis eines Denkprozesses.
„Wir wärrden iihre Städte ausrradiieren“: Guernica, Coventry („coventrieren“), Warschau. London. Antwerpen. Oradour. Lidice. Um nur die bekanntesten zu nennen. Sie wollten den totalen Krieg, „totaler und radikaler“, als sie sich vorstellen konnten. Sie haben ihn bekommen.
Zu Hiroshima: Kurz zuvor hatte die japanische Armeeleitung eine Kapitulation abgelehnt und den totalen Widerstand angekündigt. Was das bedeutete, wussten die Amerikaner seit Okinawa. Japan war der Aggressor, der wie die Nazis grauenhafte Verbrechen in den von ihnen eroberten Gebieten verübten. Sollten die Amis zehn- oder hunderttausende Soldaten wegen dieses verbrecherischen Regimes opfern? Der Krieg wäre jahrelang weitergegangen, guerillamäßig.
Nagasaki allerdings ist in der Tat fragwürdig.
Zu Gauland: Das Wort sagt alles. Ein „Vogelschiss“ ist etwas Schmutziges, was sich aber leicht wegwischen lässt. Das will Gauland. Die grauenhaften Verbrechen der Nazis wegwischen – und damit den Neo-Nazis das Feld überlassen? Du offenbar auch.
Lieber CitizenK:
Hiroshima – Japan lag am militärisch bereits Boden. An dem Fakt ändert deren Sturheit nichts.
Nagasaki „allerdings in der Tat fragwürdig“ – echt jetzt? (Sorry, aber ich stehe zu meinem Sarkasmus.)
Japan war Aggressor: sicher gegen Korea und China, nicht gegen USA. (Pearl Harbour war zwar nicht regelrecht inszeniert, aber es wurde in Seelenruhe „kommen und geschehen gelassen“; vorbereitet auf den worst case waren nur die Filmkameras. Auf Wunsch reiche ich Quelle nach.)
Mit respektvollen Grüßen: Wolf-Dieter Busch
Was für ein Quark.
https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article157921990/Warum-warnte-Roosevelt-Pearl-Harbor-nicht-vor.html
Der Clip widerlegt die Behauptung eher als er sie stützt.
Und selbst wenn: was würde das ändern? Die gleiche Frage bei Dresden. Worauf willst du hinaus?
Du findest einen Beleg für deine These darin wo…?
In der Tatsache, dass die bürgerliche Presse die Frage schlicht stellt. Siehe Überschrift.
Nein, sie widerlegen lediglich eine nicht totzukriegende Verschwörungstheorie.
Nicht widerlegen, sondern widersprechen – aber immerhin zum Thema zu machen.
Und mit der „Verschwörungstheorie“ sitzest du einem Pejoraitv auf, das nach Ermordung von JFK eingeführt wurde, um die Beteiligung von CIA und Dulles zu verschleiern. Herr Historiker!
Eine Theorie, die eine Verschwörung postuliert, ist eine Verschwörungstheorie.
Zutreffend. Und Verschwörungen gibt es.
Wenn ich Historiker wäre (bin ich nicht), würde ich die „Wahrheit“ nicht in den Zeitungsartikeln suchen, sondern in der Themenwahl in Zusammenhang mit dem politischen und ökonomischen Umfeld. Deine Rückfrage überrascht mich.
Ich mach’s mich an dieser Stelle einfach und kopiere einfach rein, was ich einem guten Freund auf den exakt gleichen Vorhalt geantwortet habe:
Lieber (..), Du scheinst Alexander Gauland für minderbemittelt zu halten. Ein Politiker, der das Handwerk der Kommunikation von der Pike auf gelernt hat, wird permanent missverstanden. Nein, er ist vor dem Publikum, vor dem er geredet hat, sehr gut verstanden worden. Es ist der Politiker, der zuvor schon eine politische Konkurrentin „entsorgen“ wollte. Du glaubst ernsthaft, dass Gauland der am meisten missverstandene Politiker Deutschlands ist, wenn er sich regelmäßig am Nationalsozialismus abarbeitet.
Es geht Gauland stets um Relativierung, doch die Verbrechen Nazi-Deutschlands sind in der Art, dem Umfang und der Konsequenz in weiten Teilen ohne Beispiel.
Wenn es das Anliegen des AfD-Fraktionsvorsitzenden war, Deutschlands großartige Kultur zu loben, so hätte er das tun wollen – ohne Erwähnung des Nazi-Regimes. Wenn er seine Abscheu hätte zum Ausdruck bringen wollen, hätte er das tun können, ohne dies im selben Satz (!) in Kontext mit der langen Kulturgeschichte zu rücken. Beides war ganz offensichtlich nicht das Ziel. Das sind die Grundregeln der Kommunikation, und Du sagst ja, Gauland würde diese kennen.
Folglich ging es ihm um etwas anderes, nämlich Relativierung. Nur, was veranlasst einen Politiker, der sich selbst als rechts-national bezeichnet, die Nazi-Herrschaft in einen Kontext mit großem Nenner (Mathematik) zu rücken? Eben, um die eigentlichen Verbrechen klein zu rechnen. Das ist immer das Ziel, wenn jemand einen Zähler durch einen möglichst groß gewählten Nenner teilt, in der Mathematik genauso wie in der Politik.
Lassen wir mal die Millionen Toten weg durch den größten Krieg der Menschheitsgeschichte. Und schieben wir auch die Ermordung von 6 Millionen Juden beiseite. Das Ergebnis dieses „Fliegenschisses“ war, dass Großstädte mit historischen Bauten und Jahrhundertealter Tradition in dieser Form unwiederbringlich zerstört wurden. Unzählige Kulturgüter dieser tausendjährigen deutschen Geschichte wurden vernichtet, Sprache missbraucht. Deutschland verlor wegen der Nazis ein Drittel seines Staatsgebietes und Millionen Menschen ihre Heimat, in der ihre Vorfahren Jahrhunderte gelebt hatten.
Es bedurfte Generationen von Diplomaten, um allein die unmittelbaren Folgen der Nazi-Herrschaft zu heilen, auf 12 Jahre Nazis folgten 40 Jahre Kommunisten und es ist allein dem Wohlwollen der USA, Großbritanniens und Frankreichs zu verdanken, dass die Nachwirkungen geringer ausgefallen sind als die im historischen Maßstab angemessen gewesen wäre.
Die Konsequenzen des Holocaust ist der Staat Israel mit allem, was dies wiederum an Leid für die Araber, aber auch die Juden bei der Durchsetzung ihres Existenzrechts bedeutete. Die Polen konnten sich dank Hitler über Jahrzehnte sowjetische Okkupation freuen.
Kein 12jähriges Ereignis der Weltgeschichte hatte solche gravierenden Auswirkungen für Folgegenerationen. Bis heute lassen sich die Konsequenzen auf fast ein Jahrhundert hochaddieren, schon das ist in Bezug auf die „tausendjährige deutsche Geschichte“ kein Fliegenschiss mehr. Und dabei haben wir schon die oben ausgeklammerten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Leben und Unversehrtheit weggelassen.
Gauland ist so verstanden worden, wie er verstanden werden wollte. Das ist ja das Schlimme.
So ist es, und das ist in der Tat schlimm.
Wer die „tausendjährige Geschichte“ würdigen will , gerade den müsste der Kultur- und Zivilisationsbruch der Nazizeit besonders schmerzen.
Gauland will wie Höcke einen Bruch mit der Erinnerungskultur. Von der Relativierung zur Verharmlosung ist es dann nicht mehr weit.
Den Kommentar kann ich so unterschreiben.
Genau das. Besser hätte man es nicht sagen können.
@CitizenK – „Guernica, Coventry („coventrieren“), Warschau. London. Antwerpen. Oradour. Lidice“ – es ist ausdrücklich nicht die Rede von „Aufrechnen“, sondern von „Aufarbeiten“.
@alle – ihr habt euren Abscheu vor den Nazis überzeugend zum Ausdruck gebracht. Das ehrt euch.
Du nicht. Das würdigt dich herab.
Abscheu vor den Nazis ist Konsens. Darfst du bei mir als gegeben voraussetzen, und brauche ich darum nicht zu wiederholen. Du bist gerade persönlich geworden. Es steht dir immer frei, meine Kommentare zu sperren.
Ich unterstelle dir weniger Nazis zu lieben als vielmehr so zu tun, als sei Abscheu vor ihnen etwas Negatives.
Erde an Stefan Sasse – was um Himmelswillen …? Die Sauerstoffmasken sind oberhalb der Sitze.
zu 9)
Alles was man tut ist deren Framing übernehmen, und damit haben sie bereits gewonnen. Wer ihnen die Genugtuung gibt, ihre Thesen seriös zu debattieren, auf Grundlage ihrer eigenen Prämissen, gibt ihnen alles was sie wollten.
Die Ironie ist ein Stueck weit, dass die staendige Diskussion der Aeusserungen der Gaulands, Petrys und Hoeckes auch hier im Blog, im Endeffekt genau das selbe bewirkt. Was haben wir jetzt z.B. hier in diesem Thread? Eine Debatte ueber „Schuldkult“ und darueber, ob man den Nationalsozialismus als Fliegenschiss bezeichnen darf oder nicht.
Stell Dir mal vor, ich wuerde mich hinstellen und behaupten, die Erde sei eine Scheibe. Waere Dir die Widerlegung dieser steilen These einen Gegenartikel wert? Wuerde sonst irgendeiner der Autoren hier, die mir normalerweise gerne und mit so grosser Verve widersprechen, 10 Minuten fuer das Verfassen eines kontraeren Kommentars als sinnvolle Investition ihrer wertvollen Zeit betrachten? Vermutlich nicht. Meine Behauptung wuerde wohl ungehoert verhallen. Niemand wuerde sich drum scheren. Richtigerweise.
Und so haette man damals auch mit Sarrazin umgehen muessen. So haette man mit Petry umgehen muessen. Und so sollten wir mit Gauland umgehen.
Stattdessen diskutieren wir den Sinn oder Unsinn derer Thesen und tragen damit genau zu dieser weiteren Vergiftung des politischen Klimas in Deutschland bei, die Du an anderer Stelle (zurecht) monierst. Die AfD sagt danke (, befuerchte ich).
@Ralf – „Was haben wir jetzt z.B. hier in diesem Thread? Eine Debatte ueber ‚Schuldkult‘ (…)“ – den Begriff Schuldkult habe ich in die Debatte eingebracht, und ich habe (pardon) kein Framing übernommen, sondern ein eigenes eingeführt. War das ein Fehler?
Ja, war ein Fehler. Welchen sinnvollen Beitrag leistet der Begriff „Schuldkult“ in der Debatte? Er stoesst eine Diskussion an, die ausschliesslich den Populisten und Rechtsextremen nutzt.
Oh. Eine ganze Menge. Es behindert das klare Denken. Die kollektive Schuld wird missdeutet als indivduelle Erbschuld, die mit dem Verbot einher geht, (a) fremde Schuld zu leugnen – siehe oben Kriegsverbrechen der Allierten – und (b) eigene positive Seiten zu akzeptieren – es gab in der NS-Zeit etwa mehr als nur einen Schindler, der Juden aus der Schusslinie schmuggelte. Beispiel kann ich jetzt nicht benennen, aber ist so. – Oder frag dich, womit die Nationalsozialisten ihre schon vor ʼ33 existierende SA und SS finanzierten. Die waren ordentlich teuer, schätze ich.
Geh in dich selbst und überlege, ob das so weit ab vom Schuss ist.
Also in Deutschland wird nun wirklich niemand ausgebremst, wenn er an den Widerstand gegen das Naziregime erinnert bzw. an die wenigen Individuen, die sich gegen das Unrecht gestellt haben.
Und es hindert Dich auch keiner daran den Angriff der Alliierten auf Dresden zu kritisieren. Der zielte darauf ab, die deutsche Moral zu brechen, mit der Hoffnung, dass das den weiteren Krieg verkuerzen wuerde. In der Rueckschau stellte sich das als ein katastrophaler militaerischer Fehler heraus, den zehntausende unschuldige Menschen mit dem Leben bezahlten. Das ist bitter und daraus muss man fuer die Zukunft Schlussfolgerungen ziehen. Man darf auch die Denkweise der Generaele hierzu kritisieren.
Das Problem ist, dass diese Fragen – genau wie in diesem Thread – immer nur entlang des Themas der deutschen Schuld diskutiert werden. Implizit oder explizit soll dadurch die deutsche Schuld gemindert werden, denn „die anderen haben ja auch Schlimmes gemacht“. Losgeloest von der deutschen Schuld gibt es praktisch nie eine Debatte ueber Dresden und der Grund hierfuer ist sehr einfach: Es sind naemlich immer die selben, Rechtspopulisten und -extremisten, die dieses Thema auf’s Tapet bringen und denen geht es nicht um die traurigen Opfer eines schlecht ueberlegten Angriffs sondern alleine um die Relativierung deutscher Kriegsverbrechen und die Reinwaschung der Nazizeit. Und das ist es, was dieses Thema so ungeheuer unerfreulich macht.
Dein Standpunkt in Ehren, aber: „Und es hindert Dich auch keiner daran den Angriff der Alliierten auf Dresden zu kritisieren. Der zielte darauf ab, die deutsche Moral zu brechen, mit der Hoffnung, dass das den weiteren Krieg verkuerzen wuerde.“ – Der Angriff fand statt im Februar 1945. Deutschland lag militärisch am Boden. Dein Erklärungsversuch mit irgendwelcher zu brechender Moral (das waren Zivilisten, wie jeder wusste!) sehe ich als Reaktion auf ein Denkverbot. Nimms mir nicht krumm.
Deutschland lag im Februar 1945 nur insofern militaerisch am Boden, als dass es keinerlei rationale Aussicht mehr auf eine Abwendung der schliesslichen Niederlage gab. Trotzdem gab es keinen einfachen „Durchmarsch“ der Allierten und gerade die letzten Kriegsmonate kosteten noch viele, viele Menschenleben. Man denke etwa an den verbissenen Haeuserkampf in Berlin. Es ist legitim, dass die Allierten sich Gedanken gemacht haben, wie man den deutschen Widerstand dabei brechen und den Krieg verkuerzen kann. Und dabei Tausenden der eigenen Soldaten das Leben retten kann. Dresden war eine aus diesen Ueberlegungen heraus resultierenden Fehlentscheidungen. Anstatt die Moral der Deutschen zu brechen, war der Angriff Wasser auf die Muehlen von Goebbels‘ Propaganda. Im Rueckblick ist man immer schlauer. Und ueberhaupt: Ob man zehntausende Unschuldige opfern durfte, um zehntausenden anderen Unschuldigen das Leben zu retten, ist eine moralische Frage, bei der ich froh bin, dass ich sie nicht beantworten muss. Wie gesagt, man darf das alles kritisieren. Nur sollte man nicht aus dem Blickwinkel verlieren, dass die ganze Situation ihren Ursprung in dem verbrecherischen Krieg hatte, den die Nazis 1939 grundlos vom Zaun gebrochen hatten. Dort ist die Wurzel allen Uebels. Der Rest ist die bedauerliche Folge des totalen Krieges, den die deutsche Fuehrung explizit angestrebt hatte. Fatale Fehlentscheidungen und Opfer bleiben in einem totalen Krieg nicht aus. Die ultimative Verantwortung dafuer traegt nicht der Angegriffene, sondern der Aggressor. Und die Aggressoren waren mit Sicherheit nicht die Briten oder die Amerikaner.
Dass man das noch erklären muss!
Entsetzt mich auch.
Ich bin in die Diskussion eingestiegen ohne die Absicht, jemandes Gefühle zu verletzen. (Trollen jeder Art ist mir wesensfremd.) Ich ziehe mich zurück.
Der Angriff auf Dresden war ein Kriegsverbrechen. Darüber sind sich Historiker eigentlich weitgehend einig.
@Stefan Pietsch – unter uns beiden: da sind wir einig. Der Unterschied ist: Du berufst dich auf Historiker. Ich berufe mich auf mein Allgemeinwissen über Völkerrecht und Genfer Landkriegskonvention. Ich betone, ich bin kein Experte, sondern habe genug intellektuellen Arsch in der Hose, anzuwenden, was ich in Kindergarten, Schule und Fh gelernt habe. (Keine Unterstellung gegen dich!)
@alle anderen – lest das in Ruhe durch und schlaft drüber. Kein Pro oder Kontra. Keine Schnellschüsse. In der Ruhe liegt die Kraft.
Außer in eurer fiebrigen Vorstellung redet NIEMAND von Kollektiv- oder Erbschuld.
Da irrst Du aber, Stefan. Der Gedanke ist tief bis ins Linksaußen-Lager verbreitet:
Meinem Vater rechnen Sie jedoch das Verhalten seiner Vorfahren unbekannterweise zu, dem jungen Palästinenser jedoch nicht das seiner Vorfahren.
Wollen Sie nicht verstehen? Ihr Vater gehörte zu dem Volk, das Krieg geführt hat, das hat mit Vorfahren nichts zu tun. Mein Mutter hat genauso wenig Krieg geführt und musste fliehen. So ist das nun mal mit der Kollektivschuld, die auf für die Holocaust- verbrechen gilt. Die Palästinenser haben aber gar keinen Krieg geführt, also kann deren Vorfahren auch nichts angerechnet werden.
Ok, vielleicht nicht niemand. Irgendeinen Trottel findest du ja immer. Aber du stimmst mir sicherlich zu dass es nicht auch nur im Entferntesten Mainstream ist?
Absolut, Stefan. Vor allem – und das halte ich für mit am wichtigsten – bei den ehemaligen Kriegsgegnern Deutschlands besteht eben kein Gedanke an eine Kollektivschuld der Deutschen. Selbst bei Juden nicht.
Ach ja, wo ist der Unterschied zu Ihrer Äusserung zum Anitamerikanismus, der in die geschichtliche DNA eingebrannt wäre?
Natürlich gibt es die Kollektivschuld, wie ist denn sonst zu erklären, das die Sicherheit Israels Staatsräson ist? Keiner der heute verantwortlichen Politiker hat irgendetwas davon persönlich zu verantworten. Wie kann der Widerspruch aufgelöst werden?
Von einer Kollektivschuld zu sprechen ist historisch, juristisch und politisch Stuss.
Psychologisch auch? Schau dich hier im Forum um.
Kennst du wirklich keinen Unterschied zwischen „Schuld“ und „Verantwortung“?
@CitizenK – ich habe zu einer Anwort angesetzt und soeben wieder gelöscht. Ich kann keinen „gemeinsamen Anker“ finden. Nicht persönlich gegen dich gerichtet: wir leben in zwei Welten.
Der deutsche Staat als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs übernimmt Verantwortung. Die individuellen Bürger dieses Staates tragen keine Schuld. Da, war ganz einfach.
Gibt es einen Staat ohne Volk?
Wenn Ralf schreibt.
Die ultimative Verantwortung dafuer traegt nicht der Angegriffene, sondern der Aggressor. Und die Aggressoren waren mit Sicherheit nicht die Briten oder die Amerikaner.
Der Agressor, wer war das dann, das deutsche Reich als Rechtsform, oder wie?
Komisch, bei Russland geht das mit der Gemeinschafthaftung für Euch doch auch, das waren im Zweifelsfall immer „die Russen“, nicht der russische Staat als Rechtsnachfolger der UDSSR.
@Rauschi
Findest du es nicht richtig, dass die Bundesrepublik Deutschland sich verantwortlich fühlt für das Existenzrecht des Staates Israel?
Spielt gar keine Geige, wie ich das finde.
Meine Frage ist die Grundlage für die Verantwortung, wenn es keine Kollektivschuld für Rechtsnachfolger gibt. Nicht mehr und nicht weniger. Die meisten Länder fühlen auch dafür verantwortlich, aber Staatsraison ist es nur hier, wie kommt das?
Bei Russland reden wir auch von Fehlgriffen des aktuellen russischen Staates mit aktuellen russischen Bürgern. Von den deutschen Tätern von damals lebt doch kaum einer mehr.
Echt, seit wann? Ich lese immer nur Russland, wo ist da eine Differenzierung?
Herr Pietsch schriebt doch sogar von „westlichen“ Werten, da werden sogar Werte kollektiviert. Wer ist denn der Schuldige, wenn ein Land einen Krieg beginnt, nicht auch das Volk dieses Landes?
Die Palästinenser sind doch auch Schuld, das es keine 2 Staatenlösung gibt und das kein Frieden herrscht. Keine Differenzierung in Sicht. Warum wird bei der Kriegsschuld Deutschlands relativiert?
Seit dem ich hier publiziere, habe ich einen Artikel über die USA, einen über UK, einen über Israel und nun zwei über Russland verfasst, einen davon in der Verbindung mit Syrien. Nur jemand mit ausgeprägter Matheschwäche kann darin eine krasse Imbalance erkennen.
Kollektivieren hat etwas Erzwungenes. Gemeinsame Werte zu teilen, ist absolut freiwillig. Ich finde es höchst bedauerlich, dass Sie sich dafür nicht vereinnahmen lassen, Sie sind da schon sehr seltsam. Fans eines Fußballvereins haben vieles gemeinsam und manches nicht. Aber wer käme da ernsthaft auf den Gedanken, Bayern-Anhänger eine gemeinsame Identität zu bestreiten? Wahrscheinlich nur jemand, der in einem besonderen politischen Universum lebt.
Hier hat die überwältigende Mehrheit jede Relativierung deutscher Kriegsschuld abgelehnt. Was lesen Sie eigentlich?
Kollektivieren hat etwas Erzwungenes. Gemeinsame Werte zu teilen, ist absolut freiwillig. Ich finde es höchst bedauerlich, dass Sie sich dafür nicht vereinnahmen lassen, Sie sind da schon sehr seltsam.
Boshafte, infame Unterstellung, das setzt dem ganzen die Krone auf. Ihne war immer egaal, welche Werte ich vertrete, im Zweifel waren es immer die falschen. Aber das es überhaupt Wertegeben soll, die nur der sogenannte Westen sein eigen nennen darf, das halte ich für ein Gerücht. Sie kollektivieren die Werte, nicht ich.
Hier hat die überwältigende Mehrheit jede Relativierung deutscher Kriegsschuld abgelehnt. Was lesen Sie eigentlich?
Und das darf ich dann nicht Kollektivschuld nennen, oder wohin soll das führen? Sie haben mir doch die Verwendung des Begriffes vorgeworfen, soviel steht ja nun fest. Was wollen Sie eigentlich?
Wenn mann bei Wikipedia zu Kooektivschuld nachsieht, steht da einiges interessante z.B.
[Nach dem Krieg führte die Psychological Warfare Division des SHAEF eine Kollektivschuld-Kampagne durch: zum Beispiel mit Plakaten und Filmen wie Die Todesmühlen. Die alliierte Kollektivschuld-Richtlinie wurde später aufgehoben, weil sie das neue Ziel der Demokratisierung behinderte.
Direktive Nr. 1 von Robert A. McClure, Leiter der Information Control Division und Spezialist für Psychologische Kriegführung, an die USA Heeresgruppenpresse erläutert das Verfahren:
„Die ersten Schritte der Reeducation werden sich streng darauf beschränken, den Deutschen unwiderlegbare Fakten zu präsentieren, um ein Bewusstsein von Deutschlands Kriegsschuld zu erzeugen sowie einer Kollektivschuld für solche Verbrechen, wie sie in den Konzentrationslagern begangen wurden.“
Die Ideen der Kollektivschuld und der kollektiven Bestrafung entstanden nicht im US-amerikanischen und britischen Volk, sondern auf höheren Ebenen der Politik. Erst gegen Ende des Krieges begann die amerikanische Öffentlichkeit dem deutschen Volk kollektive Verantwortung zuzuweisen. Das wichtigste politische Dokument, das Elemente der Kollektivschuld und der kollektiven Bestrafung enthält, ist JCS 1067 von Anfang 1945.
Bereits im Jahr 1944 hatten prominente Meinungsführer in den USA eine Propagandakampagne (die bis 1948 fortgesetzt wurde) für einen harten Frieden für Deutschland initiiert mit dem Ziel, die scheinbare amerikanische Gewohnheit zu beenden, Nationalsozialisten und deutsches Volk als getrennte Einheiten zu betrachten.
Die Psychological Warfare Division unternahm eine psychologische Propaganda-Kampagne, um eine deutsche kollektive Verantwortung zu entwickeln.]
Was hat Richard v. Weizäcker 1985 gesagt:
„Schuld oder Unschuld eines ganzen Volkes gibt es nicht“, rief aber gleichzeitig dazu auf, kollektiv die Verantwortung für das nationalsozialistische Unrecht zu akzeptieren. Weizsäcker bezeichnet diese Haltung als „Kollektivhaftung“.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kollektivschuld
1945 macht der Gedanke an Kollektivschuld auch ETWAS mehr Sinn als 2018, meinst du nicht auch?
zur Erinnerung, das war genau der Zeitpunkt über dem ich im Zusammenhang mit Kollektivschuld geschrieben habe. Was wird mir hier eigentlich vorgeworfen?
Ich hatte dich nicht so verstanden dass du über die späten 1940er Jahre schreibst, sondern über heute.
Wie man das:
[Meinem Vater rechnen Sie jedoch das Verhalten seiner Vorfahren unbekannterweise zu, dem jungen Palästinenser jedoch nicht das seiner Vorfahren.
Wollen Sie nicht verstehen? Ihr Vater gehörte zu dem Volk, das Krieg geführt hat, das hat mit Vorfahren nichts zu tun. Mein Mutter hat genauso wenig Krieg geführt und musste fliehen. So ist das nun mal mit der Kollektivschuld, die auf für die Holocaust- verbrechen gilt.] so verstehen kann, ist mir ein Rätsel.
Abgesehen davon scheint es doch eine Schere im Kopf zu geben, wenn hier alle davon schrieben, das wir die Verantwortung tragen, aber nicht die Schuld. Fordert denn wirklich jemand Verantwortung für etwas, das nachweislich nicht im Zusammenhang mit den heute lebenden Menschen in diesem Land steht, wenn nicht eine Schuld unterstellt wird? Wo gibt es denn sowas?
Ehrlich gesagt, ich verstehe nicht, worauf Du hinauswillst. Über fragwürdige politisch-militärische Strategien irgendwelcher Organisationen der Allierten können wir ja gerne diskutieren, aber in Anbetracht der monströsen (ja, genau, monströs) Verbrechen, die das Deutsche Reich unter Mitwirkung, mindestens aber unter stillschweigender Billigung, eines weit überwiegenden Teils seiner Bevölkerung (seines „Volkes“) begangen hat, waren Überlegungen der Siegermächte, wie man damit umgehen soll, wie man dieser Bevölkerung diese Monstrosität in angemessener Art und Weise nahebringen und sie dazu bringen kann, dafür Verantwortung zu übernehmen, sicherlich nicht ganz unsinnig.
Fakt ist, der (tatsächlich ja erst Mitte der 60’er) mit der nächsten Generation einsetzende, reuevolle, verantwortungsbewusste Umgang mit der eigenen Geschichte – von Revisionisten auch gerne pejorativ als „Schuldkult“ bezeichnet – hat mit dazu beigetragen, dass von deutschem Boden seit über 70 Jahren keine (zumindest militärische) Aggression mehr ausgegangen ist. Ich finde, das hat durchaus seinen Wert.
Ich persönlich liebe meine Großeltern. Aber der Gedanke, dass sie billigend oder vielleicht sogar in Mittäterschaft (das weiß man ja nicht so genau) an den Verbrechen des Nationalsozialismus, an diesem unglaublichen Zivlisiationsbruch, beteiligt waren, macht mich immer wieder sprachlos. Und wenn ich natürlich auch akzeptiere, dass man damals unter den Umständen vielleicht nicht den Mut hatte, nicht in der Lage war, Widerspruch zu äußern, keiner ist zur Held*in geboren, ich auch nicht, dann habe ich mich über die nachträgliche Verweigerung jeglicher eigenen Schuld „haben ja nichts gewusst…“ immer geärgert. Klar, konnte ja keiner sehen, dass das Judenviertel in unserer Stadt plötzlich nicht mehr da war und die Menschen dort unter barbarischen Bedingungen zusammengetrieben wurden. Es gibt auch genug historische Belege, dass die Bevölkerung eben doch zumindest ahnte, was da im Osten los war. Von den „ganz normalen und alltäglichen“ Plünderungen aller deutschen Soldaten, auch im Westen, mal ganz abgesehen. Wenn also verständlicherweise kein Heldentum, dann wenigstens hinterher ein klares Bekenntnis dazu, dass man Schuld – auch persönliche – auf sich geladen habe.
Dankenswerterweise haben dann die nächsten Generationen, die dann tatsächlich keine persönliche Schuld mehr hatten, ihre Verantwortung und die Verantwortung des staatlichen Nachfolgers des Deutschen Reiches anerkannt. Dafür bin ich zutiefst dankbar und bekenne mich auch persönlich zu dieser Verantwortung. Einen „Schuldkult“ oder eine „kollektive Schuld“ empfinde ich dabei nicht.
Gruß, M.
Gut gesagt, M.
Ja, worauf will er hinaus? Unsere Argumentationsfähigkeit gegenüber der neuen Rechten testen?
„citizen und Maniac
Ich habe das überhaupt nicht bewerte, sondern lediglich berichtet, meine Güte.
Warum ich deswegen als Neu rechts bezeichnet werde, keine Ahnung.
Zur Erinnerung, das war genau der Zeitpunkt (1945) über den ich im Zusammenhang mit Kollektivschuld (Vertreibungen nach Kriegsende darf ich wohl ausschliessen?)geschrieben habe. Was wird mir hier eigentlich vorgeworfen?
Rauschi:
„Was wird mir hier eigentlich vorgeworfen?“
Ich weiß nicht, was Du meinst, ich habe Dir überhaupt nichts vorgeworfen. Ich habe lediglich festgestellt:
„Ehrlich gesagt, ich verstehe nicht, worauf Du hinauswillst.“
Warum ich das nicht verstehe, habe ich versucht durch Darstellung meine persönlichen Beweggründe zu vermitteln.
Weiß nicht, warum Du mir jetzt unterstellt, ich würde Dich als „Neurechte“ ansehen.
Für Citizen kann ich nicht sprechen, ich vermute aber, er bezog sich mehr auf die, auch für mich äußerst fragwürdigen Ausführungen von Wolf-Dieter Busch. Das Threading der Kommentarfunktion hier erschwert oftmals die genaue Zuordnung von Beiträgen (so auch hier).
Gruß, M.
„Ehrlich gesagt, ich verstehe nicht, worauf Du hinauswillst.“
Warum ich das nicht verstehe, habe ich versucht durch Darstellung meine persönlichen Beweggründe zu vermitteln.
Jeder hier schriebt, wir (die Deutschen) müssten die Verantwortung übernehmen. Da frage ich nach und werde abgebügelt. Es wird noch immer nur jemand zur Verantwortung gezogen der in irgendeiner weise zu einem Geschehen beigetragen und schuldhaft gehandelt hat. Wie Ihr sagen könnt, das wir natürlich die Verantwortung tragen, aber keine Schuld, das ist mir unbegreiflich. Nicht schuldig, aber verantwortlich, wie passt das zusammen?
Man kann für etwas die Verantwortung übernehmen, ohne schuldig zu sein.
Als Bürger fühle ich mich dafür verantwortlich, dass Gaulands Geschichtsauffassung nicht Leitlinie in unseren Lehrplänen wird. Obwohl ich nun wirklich keine Schuld an den Naziverbrechen habe. Das gleiche gilt für Politiker.
Wird denn aber nicht erwartet, das wir (als Volk) Verantwortung übernehmen, auch für z.B. die Sicherheit Israels? Auf welcher Grundlage, wenn nicht eine Schuldzuweisung mitschwingt?
Die Idee ist die: unsere Vorfahren haben Schuld auf sich geladen. Aus dieser Schuld erwächst eine Verantwortung des deutschen Staates, der diese Schuld seinen Bürgern abnimmt (und teilweise ja auch institutionell selbst trägt). Ein Ausdruck dieser Verantwortung war, die Freundschaft zu Israel zur Staatsräson zu machen (seine Sicherheit garantieren wir ja nicht, oder hast du mal Bundeswehrsoldaten da unten gesehen? Die Vorstellung war bis vor kurzem undenkbar, und in Israel war es auch hoch umstritten, ob man diese Verantwortung der Deutschen anerkennt und annimmt). Das bedeutet, dass die heutigen Deutschen – sofern sie nicht zu den wenigen noch lebenden Tätern gehören – von jeder Schuld frei sind. Sie haben individuell auch keine Verantwortung gegenüber Israel. Diese Verantwortung hat der deutsche Staat übernommen, vor allem im Vertrag von 1953.
@Stefan Sasse:
Aus dieser Schuld erwächst eine Verantwortung des deutschen Staates, der diese Schuld seinen Bürgern abnimmt (und teilweise ja auch institutionell selbst trägt)
Wenn aber doch heute, bis auf ein paar versprengte Überlebende, niemand mehr die Schuld trägt, muss die auch von niemandem abgenommen werden.
dazu ist bei der Bundeszentrale für politische Bildung folgendes zu lesen:
[Jedoch lässt sich die Bekräftigung der deutschen Israelpolitik, die Angela Merkel vor der Knesset abgegeben hat, in mehrfacher Hinsicht konkretisieren. Sie ist erstens als Verpflichtung zu lesen, einen deutschen Beitrag zur militärischen Unterstützung beziehungsweise Überlegenheit Israels zu leisten; sie lässt sich zweitens als Aufgabe interpretieren, dass die Bundesregierung sich für die Gestaltung eines regionalen Umfelds einsetzt, das Israels Sicherheit begünstigt. Dies betrifft den arabisch-israelischen Konflikt, daneben aber auch vor allem die internationalen Verhandlungen, die zum Ziel haben, dass Iran kein Nuklearwaffenprogramm entwickelt. Schließlich umfasst sie drittens die Politik Deutschlands in internationalen Organisationen, die gleichermaßen Israels Sicherheit zum Ziel hat.]
http://www.bpb.de/apuz/199894/israels-sicherheit-als-deutsche-staatsraeson?p=all
Der deutsche Staat übernimmt eine Ewigkeitsverantwortung, ohne konkreten Bezug zur aktuellen Schuldfrage? Sehr seltsam.
Du kannst das ja gerne ablehnen. Musst nur AfD wählen, oder LINKE, die wollen das beide abschaffen.
Du kannst das ja gerne ablehnen.
Antworten Sie Ihren Schülern auch so? Ich habe mit keinem Wort meine Ablehnung zum Ausdruck gebracht, was soll das?
Erinnert mich an die Sprüche von früher: “ Dann geh doch nach drüben“.
Auch unsere Politiker sprechen von unserer Verantwortung, meist mit dem Zusatz, „in Anbetracht unserer Vergangenheit“. Implizit schwingt da eine Schuld (wahrscheinlich nicht zu Unrecht) mit. Oder warum wird heute ein Völkermord (Armenien) verurteilt, der 1910 statt gefunden hat? Eltern haften für Ihre Kinder nur, bis diese volljährig sind, so ein Verbrechen (Holocaust)wirkt wohl länger nach.
Ich sehe das Argument, aber auf der anderen Seite kannst du halt nicht schweigen wenn in der Öffentlichkeit Relativierung betrieben wird. Über Leute die behaupten, die Erde sei eine Scheibe kann ich leicht schweigen, wenn 99% der Bevölkerung nur den Kopf schütteln. Aber bei diesen Sachen dringt das Gift weiter, wenn sie unwidersprochen bleiben.
Sehr ich auch so. Seit einiger Zeit bekomme ich Mails im AfD-Ton von einem Freund. Früher hätte ich mit den Achseln gezuckt. Jetzt nicht mehr. Aber es ist mühsam.
Aber bei diesen Sachen dringt das Gift weiter, wenn sie unwidersprochen bleiben.
Sollte kein Vorwurf sein. Ich bin selbst unentschlossen, wie die Gesellschaft am besten umgehen sollte mit den neuen Rechten. Aber ich beginne mir die Frage zu stellen, ob das „Gift“ wirklich nur die Inhalte dieser neuen Debatten sind oder ob es die Debatte selbst ist.
Dabei ist die Strategie der Rechten immer die gleiche. Irgendwer sagt irgendetwas Ungeheuerliches. Viele reagieren mit Empoerung und Widerspruch. Dann melden sich Verteidiger, die fordern auf Denkverbote zu verzichten. Waehrend dessen geben die Autoren der urspruenglichen Aeusserung den Medien zu Protokoll, sie seien ja nur falsch verstanden worden. Gleichzeitig klagen sie gegenueber ihren Anhaengern, dass man ja „wohl noch mal was sagen duerfen wird“. Nach einigen Tagen klingt die Empoerung ab.
Eine Woche spaeter sagt der naechste Rechte etwas Ungeheuerliches.
Durch die Wellen und Wagenladungen an permanenten Grenzueberschreitungen wird die Gesellschaft langsam aber stetig fuer die Themen desensibilisiert. Und die Grenzueberschreitungen werden normalisiert. Genau da wollen uns die neuen Rechten haben.
Richtig, aber die Schuld legt bei den Verteidigern, die so tun, als sei die Empörung schlimmer als der Anlass. Deswegen lege ich auch immer Wert drauf, sehr zum Unmut vieler Kommentatoren her, diese Schuld so zu benennen.
„die von einem Bahnkontrolleur aus der ersten Klasse geworfen wurde, weil jemand der so aussieht wie sie ja unmöglich ein Ticket haben oder richtig Deutsch sprechen kann.“
Fake news. Nicht rausgeworfen. Nach vorzeigen des Abgeordneten-Ausweises bzw. des Abgeordnetentickets (eine Bahncard 100) hat sich der Schaffner entschuldigt und sie konnte natürlich in der ersten Klasse sitzen bleiben.
Aber solche „Zwischenfälle“ in „progressiven“ „Beiträgen“ sind leider mehr die Regel als die Ausnahme und damit für den Glaubwürdigkeitsverlust der Linken entscheidend mitverantwortlich.
Er wollte sie rauswerfen ohne das Ticket anzuschauen.
Vielen Dank für die vielen Sichtweisen auf die Thematik – gerne würde ich noch die Meinige einbringen wollen:
Während des zweiten Weltkriegs blieb keine der konfliktbeteiligten Länder frei von Verbrechen. Lediglich, Mittel, Ausmaß und Opferzahl unterschieden sich.
Dabei nimmt der Holocaust die berechtigte Sonderstellung ein – etwas vergleichbares hatte es so in der Geschichte noch nicht gegeben. Es ist richtig und gut, dass wir versuchen diesen Zivilisationsbruch aufzuarbeiten und mit den Mitteln der soziopsychologischen und historischen Forschung zu ergründen.
Hilft da etwas ein Aufrechnen. Es ist völlig in Ordnung wenn wir an die Opfer des alliierten Bombenkrieges erinnern. Nicht ok, wird es aber dann wenn wir damit aber anderes Unrecht rechtfertigen oder in Relation setzen wollen.
Ich erkenne daher keinen Schuldkult, sondern eine gestörte Erinnerungskultur. Am Ende sollten wir alle gemeinsam Trauern um diesen so ungeheuerlichen Verlust von menschlichem Leben – spielt es da wirklich eine Rolle ob es der deutsche Mitbürger war, der umgebracht wurde, weil er jüdischer Abstimmung war, oder der sowjetische Kriegsgefangene, der zu Tode geschunden wurde, oder eben das Kind, dass im Bombenhagel auf deutsche Städte starb.
Europa sollte den Toten gedenken und den Krieg als Mahnung nehmen, etwas vergleichbares niemals mehr irgendwo auf der Welt zuzulassen.
Sorry, aber das kann man so nicht stehen lassen. Der relevante Qualitätsunterschied, der von dir hier unterschlagen wird ist, dass das alles von Deutschland ausging, unprovoziert in irgendeiner Art und Weise. Deutschland überzog die Welt mit Krieg. Deutschland bombte Zivilisten. Deutschland massakrierte Menschen. Die Alliierten REAGIERTEN darauf. Das ist ein himmelweiter Unterschied, und ein „lasst uns einfach gemeinsam trauern“ verwässert das. Ja, lasst uns gemeinsam trauern, lasst uns auf Verbrechen hinweisen und alles, aber der Unterschied besteht mehr als nur in der Zahl der Opfer.
Zu 5) kann ich dieses interessante Interview mit Elisabeth Wehling beisteuern:
/// Ich will mal ein Beispiel herausgreifen, einfach weil es so deutlich macht, dass auch in dieser Sendung, von der gesagt wurde ‚Wir framen nicht‘ Framing durch die Bank weg stattfand. Es ging unter anderem darum, dass viele Geflüchtete, deren Asylverfahren negativ beschieden werden, in Revision gehen, nochmal die Entscheidung anklagen und davon 12 Prozent immerhin Erfolg haben. Aufgemacht wurde dieser Teil der Sendung mit einem Zitat aus der CSU, das in die Richtung ging ‚Die gehen jetzt vor Gericht, die klagen, das ist Asyl-Sabotage‘.
Dann machte die Sendung einen Cut und ging in das Segment ‚Fakt ist‘. Dann wurde das Ganze unterlegt mit Bildern. Und welches Bild wurde genutzt um die Geflüchteten darzustellen, die sich darum bemühen, dass ihr Verfahren nochmal neu aufgemacht wird? Es wurde ein Bild genutzt von einem Angeklagten in einem Gerichtssaal, der sich ein Heft vors Gesicht hält, um nicht erkannt zu werden. Das heißt, es wurde über Bildsprache ein Frame aktiviert: Ein Angeklagter, der aufgrund einer Straftat vor Gericht steht, die gewissermaßen so schlimm ist, dass er anonym bleiben will. Das wurde als Bild verwendet.
Das ist Framing und diese redaktionelle Entscheidung zu sagen ‚Dieses Bild nehmen wir, wenn wir darüber sprechen, dass Asylbescheide nochmal in Frage gestellt werden‘, Das ist Framing. Und da hat sich die Redaktion natürlich unmittelbar selbst widerlegt. Alleine mit diesem kleinen Moment lässt sich das gut verdeutlichen. ///
http://www.deutschlandfunkkultur.de/framing-in-den-tv-talkshows-schon-der-titel-wird-zur-deutung.1264.de.html?dram:article_id=420546
Mir ist echt unklar wie Leute behaupten können, das finde nicht statt. Danke für den Link!