2017 war ein Schwarzer Schwan [UPDATE]

Die Reaktionen auf meinen Artikel von der Alternativlosigkeit von Merkels Linksbewegung seit 2005 ließen mir keine Ruhe. Die Kritik, Merkel habe besonders schlechte Wahlergebnisse eingefahren und durch diese Politik den rechten Rand stark gmeacht schien mir nicht zu passen. Ich entschloss mich daraufhin, die Zahlen etwas genauer anzuschauen. Dabei kamen einige überraschende Erkenntnisse heraus, die ich euch nicht vorenthalten will. Meine Schlussfolgerung ist, dass die Wahl 2017 letztlich ein Schwarzer Schwan war – ein Ereignis mit verhältnismäßig geringer Aussagekraft über das konkrete Datum hinaus. Inwieweit das zutrifft werden wir in den nächsten Monaten und Jahren sehen. Ich will im Folgenden aufzeigen, wie ich zu dieser Einschätzung komme.

Der erste Faktor sind die Umfrageergebnisse der CDU. Ich habe beispielhaft Infratest verwendet; die Ergebnisse selbst unterscheiden sich zwar je nach Umfrageinstitut, in der generellen Trendlinie waren sie aber immer ziemlich eindeutig.Seit dem Jahr 2000 ist Angela Merkel Vorsitzende der CDU. Für die Wahl 2002 wurde sie von der Altherrenriege, die sie in den folgenden Jahren mit großer Effizienz zerlegen würde, in die zweite Reihe geschoben, damit Edmund Stoiber Kanzler werden konnte. Das gelang bekanntlich wegen des Unvermögen des gelernten Bayern¹ und Merkels ungeschickter Positionierung in der Frage des Irakkriegs nicht. In der zweiten Schröder-Legislaturperiode lagen die Umfragewerte dann stabil jenseits der 40%, um im Wahlkampf gegen Gerhard Schröder dramatisch abzurutschen, in dem Merkel sich das Wahlprogramm von solch profilierten Wahlkämpfern wie Friedrich Merz und Paul Kirchhoff bestimmen ließ., während die SPD eine gewaltige Aufholjagd unter dem Banner des Friedens und der Sozialen Gerechtigkeit startete. Das würde Merkel nicht noch einmal passieren.

Stattdessen lief 2006 im Rahmen der WM in Deutschland ein Sommer der harmlosen guten Gefühle. Die Umfragewerte der CDU kletterten wieder auf 40%+. Im Herbst 2006 stürzten sie wieder ab, als Innenminister Schäuble und das glücklose CSU-Führungsduo Beckstein und Huber mit der Antiterrordatei Negativschlagzeilen produzierten und die CDU gegen den Widerstand der SPD eine Senkung der Arbeitslosenversicherung durchzuboxen versuchte. Bis zur Wahl 2009 tat Merkel dann das, für das sie seither berühmt geworden ist, und demobilisierte die SPD asymmetrisch. Deren Umfragewerte erholten sich erst, als die CDU eine Koalition mit der FDP einging und Merkel die rechteste Politik ihrer Regierungszeit machen konnte – eine Phase, in der die CDU konstant unter 40% liegt, ohne dass dies darauf zurückgeführt worden wäre, dass sie FDP-Positionen übernommen hätte. Erst als sie in einer neuen Großen Koalition ihre bisher sozialdemokratischste Politik macht, erreicht die CDU für fast drei Jahre regelmäßig Werte über 40%.

Die Idee, dass es gerade die Linksbewegung Merkels sei, die für schlechte Ergebnisse sorgte, ist deswegen hanebüchen. Wann immer Merkel sich gegen die nach links rutschende Mitte stellte, ging sie baden – ob Irakkriegs-Ja, Kirchoff-Steuerkonzept, „Anti-Terror“-Politik oder FDP-Steuersenkungen. Nur lag das nicht daran, dass ein Grundgesetz von „links=gut, rechts=schlecht“ gelten würde. Es lag schlicht daran, dass Merkels Sozialdemokratisierung das überfällige Nachvollziehen eines gesamtgesellschaftlichen Trends war, ohne den die CDU schon seit 2005 von den 40% nur hätte träumen können. Die Umfragewerte sprechen eine ziemlich deutliche Sprache.

Fragt sich also, warum der Absturz 2017? Weil Merkel, entgegen ihren neuen Instinkten, gegen die Mitte der Gesellschaft ging. Dass der „Refugees-Welcome“-Boom von 2015 nur eine kurze Erscheinung war, dem schnell der Kölner-Hauptbahnhof-Kater folgte, dürfte mittlerweile Allgemeingut sein. Und wie man sehen konnte, gingen die Werte der CDU nach 2015 auch steilst nach unten, für CDU-Verhältnisse zumindest. Die Partei lag immer noch stabil irgendwo zwischen 35% und 38%, ein Wert, den sie auch in der Bundestagswahl zu halten schien, besonders nach dem Geistersommer, in dem sie noch einmal kurz die 40% knackte, als die Diskussion der Republik sich auf ein Duell Schulz gegen Merkel konzentrierte, von dem Schulz selbst im Frühjahr kurz profitiert hatte. Ironischerweise schadete Merkel wenig so sehr wie Schulz‘ Schwäche, denn die Idee, dass er eine ernste Gefahr darstellen könnte, war im Sommer 2017 bereits lächerlich geworden.

Stattdessen schwang die gesellschaftliche Debatte komplett auf das Flüchtlingsthema um, das bereits für den Absturz der Partei seit 2016 verantwortlich gewesen war. Das Ausmaß, in dem das Thema die Schlagzeilen dominierte, war völlig albern und fand seinen Höhepunkt in dem immer noch nicht aufgearbeiteten Debakel des TV-Duells, in dem die vier Moderatoren sich gerierten, als wären sie Abgesandte der AfD (deren Mitglieder gern zur Weinerlichkeit neigen, wenn man sie kritisiert). Sieht man sich die Googletrends der sieben Tage vor der Bundestagswahl an, bestätigt sich diese Lesart: von allen politisch motivierten Suchbegriffen, die sich klar auf eine Partei begrenzen lassen (die meisten versammelten allgemeine Fragen wie der Ablauf der Briefwahl oder die Suche nach Umfragen), so findet die stärkste Zunahme die Suche nach „Pegida“, gefolgt von „Groko“ und „AfD (eine rechtsextreme, in Teilen antisemitische und fremdenfeindliche Partei) Bundestagswahl“. Direkt danach folgen „CDU“, „AfD (eine rechtsextreme, in Teilen antisemitische und fremdenfeindliche Partei) Bundestagswahl 2017“, „AfD“, „Parteien“ und erst dann, zum ersten Mal, „SPD Bundestagswahl“. Nichts anderes schafft es in die Top 25, alles andere kommt dann weit abgeschlagen. Anstatt das vorteilhafte Duell gegen Schulz ausfechten zu können, geriet Merkel auf der Zielgeraden in das unvorteilhafte Duell gegen die AfD (eine rechtsextreme, in Teilen antisemitische und fremdenfeindliche Partei) um die Meinungshoheit um die Flüchtlingskrise, wo ihre Konsenssoße wenig Chancen hatte und alle wahlkämpferischen Schwächen aufbrachen. Aber: seit der Bundestagswahl ticken die Umfragewerte der CDU bereits wieder in die Höhe. Das ist aber letztlich Pech und sagt uns wenig über die längerfristige Strategie der CDU. Wenn meine Theorie sich bewahrheitet, dürfte mit dem Verschwinden der AfD (eine rechtsextreme, in Teilen antisemitische und fremdenfeindliche Partei) aus den Schlagzeilen die CDU wieder in ihre angestammten Regionen zwischen 35% und 40% in den Umfragen zurücklaufen.

Ich möchte daher noch einmal betonen: Meine These ist, dass Merkels Strategie des Ausgreifens dorthin, wo sich gerade die Mitte befindet, der CDU erst die Umfrage- und Wahlergebnisse ermöglicht hat, die sie hatte. Da die Gesellschaft insgesamt (aber bei weitem nicht bei allen Themen) nach links gerutscht ist, bedeutete dies für die CDU ebenso einen Linksrutsch. Das ist übrigens auch nicht das erste Mal in der deutschen Geschichte der Fall; die konstante Stärke der CDU war schon immer, solche Rutsche geschmeidig nachvollziehen zu können. Die Akzeptanz von Mitbestimmungsrecht und Ostpolitik etwa war ja ein wesentlicher Faktor des Erfolgs der Partei in den späten 1970er und dann in den 1980er Jahren, und ihr Aufnehmen des Umwelt- und Abrüstungsthemas einer in den 1990er Jahren. So zu tun als hätte Merkel dieses Drehbuch erfunden zeugt von reichlich ahistorischem Denken. Politisch verzockt (oder, je nach Lesart, großmütig Verluste für das Richtige in Kauf genommen) hat sie 2015, als sie auf einen Linksrutsch und die AfD (eine rechtsextreme, in Teilen antisemitische und fremdenfeindliche Partei) auf einen Rechtsrutsch in der Flüchtlingsfrage setzte. Aber, und das ist entscheidend, der Verlust kommt vom Gegen-den-Strom-schwimmen – und da verlor noch jeder Politiker.

Wir sehen das Kontrafaktum dafür in den Momenten, wo Merkel gegen die Bevölkerungsmehrheit nach rechts rutschte: von der Rente mit 67 (die der SPD wesentlich mehr schadete) zum Irakkrieg, von der „Reform“-Politik des Leipziger Programms zu der scharf rechten Innenpolitik der ersten Großen Koalition – Umfragewerte auf dem Niveau des Wahlergebnisses 2017, mit deutlich Luft nach unten. Wie man auf die Idee kommen kann, dass ausgerechnet das konsequente Verfolgen dieser Umfragedesaster die richtige Strategie sein könnte, ist nur mit ideologischen Scheuklappen zu erklären, die die bevorzugte eigene Politik als einzig richtiges Lösungsmittel propagieren wollen und die demoskopischen Fakten ignorieren. Das erinnert ironischerweise an die unverbesserlichen Agenda2010-Fans innerhalb der SPD, die immer noch glauben, dass wenn man Hartz-IV nur richtig erkläre die Arbeiter die Partei wieder lieben würden. Aber so sind die Ewiggestrigen wenigstens alle beieinander. Vielleicht wollen sie ja sogar eine neue Partei gründen; man hört, das sei gerade en vogue.

UPDATE:

Forsa hat einige neue Zahlen, die meine These stützen. 52% zu 38% halten die Schwäche der CDU für temporär. CDU-Wähler denken das 72%-20%, Mitglieder sogar 80%-11%. 60% der Deutschen sind zufrieden mit Merkel, mit Mehrheiten bei Grünen (69%), FDP (64%), LINKE (54%) und SPD (53%). Nur 12% der CDU-Wähler geben Merkel die Schuld am Ergebnis; 79% geben an, dass sie sich ihre Kandidatur bei der nächsten (auch vorgezogenen) Wahl wünschen.

¹ Mit besten Grüßen an Stefan Pietsch. 🙂

Bildnachweise:

AfD-Plakat: Markus Spiecke (https://www.flickr.com/photos/markusspiske/37202165096)

Wahlumfrage: Infratest (https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/sonntagsfrage/)

 

{ 99 comments… add one }
  • Erwin Gabriel 2. Dezember 2017, 22:29

    @ Stefan Sasse

    Wie schön an anderer Stelle geschrieben, teile ich Ihre Meinung, dass das Verrücken der Mitte der CDU Richtung links der Entwicklung der Einstellungen der Wähler folgte.

    Davon unbenommen bleibt, dass die AfD nur deswegen entstehen könnte, weil die CDU am rechten Rand Boden preisgab. Frühere CDU-Parteivorsitzende hatten die Souveränität, Frau Merkel geht sie vollkommen ab.

    • Ariane 3. Dezember 2017, 00:24

      Ich fürchte, Eure kritische Sicht versperrt Euch ein bisschen den Blick auf das Wesentliche. Niemand kann an allen Fronten zugleich kämpfen. Ein Jens Spahn (gibt es wirklich keinen anderen Kandidaten des rechten CDU-Flügels??) hätte vielleicht die AfD verhindert oder klein gehalten, was ich auch nicht unbedingt glaube. Das hätte aber nie und nimmer bessere Ergebnisse erbracht, weil die Stimmen dann woanders verloren gehen.

      • bevanite 3. Dezember 2017, 11:35

        Jens Spahn würde da auch nicht ins Konzept passen: er ist homosexuell und hat diesen Sommer für die Homo-Ehe gestimmt. Damit wäre er wahrscheinlich für die Schichten, die die AfD wählen, nicht tragbar. Schließlich spielt in diesem Milieu neben dem Flüchtlingsthema auch die wahnhafte Abneigung gegen alles, was mit „Gender“ assoziiert wird (Stichwort: „Frühsexualisierung“), eine sehr große Rolle.

        • Stefan Sasse 3. Dezember 2017, 12:33

          Guter Punkt. Aber eine solche CDU hätte sich seit 2005 anders entwickelt und daher eh völlig anderes Personal als heute.

        • Stefan Pietsch 4. Dezember 2017, 22:36

          Sie übersehen, dass Alice Weidel ebenfalls homosexuell ist und nebenbei mit einer Schwarzen als Sri Lanka lebt. Sie haben ein abgestandenes Bild vom typischen AfD-Wähler, das sicher vor 20 Jahren galt, aber nicht mehr heute. Ich glaube, Sie machen es sich in der Analyse viel zu einfach.

    • Stefan Sasse 3. Dezember 2017, 09:30

      Meine Frage ist halt, ob die Marginalisierung der CDU als knapp-30%-Partei in babylonischer Gefangenschaft zur CDU in Opposition zu einem R2G-Bündnis für die Union die bessere Alternative gewesen wäre. Und ich denke Nein.

  • Ariane 3. Dezember 2017, 00:14

    Hihi, Dubio hat einen neuen Trend im Blog gesetzt und Du solltest Dein Addon vielleicht doch mal überprüfen, die Zusätze zur AfD behindern in so einem Text doch die Leserlichkeit^^

    Ansonsten Zustimmung. Ich denke, man darf auch auf keinen Fall unterschätzen, wie sehr die SPD diesmal im Wahlkampf ausgefallen ist, die konnten kein einziges Thema setzen (außer dass das der schlimmste Wahlkampf ever war). Ist mir erst neulich im Gespräch mit einem Bekannten aufgefallen, dass die kein einziges Programm oder Gesetz beworben haben, dass sie der CDU jetzt in Verhandlungen auf den Tisch knallen könnten. Sagt ja schon alles, dass plötzlich über die Bürgerversicherung diskutiert wird. Das ist so alt, das hatte ich noch in der Schule! Und seit anno dazumal hat man davon auch nichts mehr gehört und plötzlich taucht das auf wie so ein Zombiegedöns, das ist einfach zum Verzweifeln.

    Ja, das ist meiner Meinung nach auch ein Grund, warum der Wahlkampf sich plötzlich auf die Flüchtlingsfrage konzentriert hat. Und da ging es ja eigentlich um Merkels zurückliegende Entscheidung und weniger darum, was man in Zukunft machen sollte, was für einen Wahlkampf ja eigentlich auch schräg ist. Vielleicht war das auch schon ein Vorzeichen für die jetzige Situation, in der sich kaum ein Politiker oder eine Partei findet, die irgendwie Bock aufs Regieren hat.

    Ansonsten schlechte Ergebnisse hin oder her, für mich zählt die Union trotzdem zu den Gewinnern der Wahl. Es ist keine Koalition ohne sie denkbar und aktuell ist die Hoffnung nicht so riesig, dass sich das in naher Zukunft ändert und darum geht es ja letztendlich. Und da ich weiterhin auf dem Standpunkt stehe, dass die AfD sich innerhalb der nächsten vier Jahre zerlegt und dann bundespolitisch nicht mehr so eine große Rolle einnimmt, sehe ich auch wenig Gefahrenpotenzial für die CDU.

    • Stefan Sasse 3. Dezember 2017, 09:29

      Ich hab’s deaktiviert. 🙂
      Ich hab das ja schon im Sommer/Herbst bemängelt, der Wahlkampf war von Seiten der SPD unterirdisch und von der CDU bestenfalls uninspiriert. Die CDU hat den Wahlkampf von 2013 wiederholt, und das war ein schwerwiegender Fehler IMHO. Aber vergeigte Wahlkämpfe sagen halt wenig über die Gesamtakzeptanz einer Partei; 2005 sollte der beste Beweis dafür sein.

  • Jens 3. Dezember 2017, 13:05

    Hätte das nie so schön sagen können, sehe dass genauso.

    Ich denke die CDU kann rechts nicht soviel verlieren, wie sie links dazu gewinnen kann.

    Da die linken Parteien, zu denen ich auch die Grünen, SPD zähle sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner einigen können, reicht es wenn die CDU stärkste Kraft wird um den Kanzler zu stellen.

    Da sich SPD und CDU immer mehr ähneln, dürfte der Kanzlerbonus immer entscheidender werden. Also aus dieser Sicht hat Merkel alles richtig gemacht.

    Gruß Jens

  • Stefan Pietsch 4. Dezember 2017, 19:38

    Also meiner Gesundheit bist Du nicht gerade zuträglich – Hust, Schneuz…

    Ich habe es selten erlebt, dass jemand so elegant und gleichzeitig wortlos die eigenen Wünsche beerdigt. Das geht jetzt nicht speziell an Dich, aber nach Deinen Ausführungen sind jede Vorstellungen eines linken Bündnisses von SPD, Grünen und LINKEN eine politische Absurdität. Deine Theorie legt nahe, dass die SPD auf absehbare Zeit keine Chance haben wird, nur in die Nähe der 30%-Marke zu kommen, was Du auch noch vor wenigen Wochen vertreten hast. Politische Konfrontationen werden sich im Konflikt mit der rechten Seite des politischen Spektrums abspielen, mit einer CDU als einzigen Größe mit nennenswerten Gewicht. Dafür gibt es ja aktuelle Beispiele, so die Wahl in den Niederlanden vom Frühjahr, so die österreichische Präsidentenwahl oder zuletzt die Wahl Macrons zum französischen Staatspräsidenten. In diesem Schauspiel mutieren die linken Parteien, wie sie auch heißen mögen, zum folkloristischen Beiwerk.

    Angela Merkel hatte immer die Gabe, dass Misserfolge nicht ihr, sondern dem Koalitionspartner angelastet wurden. In der gesamten Legislaturperiode von 2009 – 2013 ging es nie um Steuersenkungen, diese wurden ja mehrfach von dem damaligen Finanzminister unter Verweis auf den Koalitionsvertrag ausgeschlossen. So mutierte die FDP zum Miesepeter der deutschen Politik, wenig verwunderlich, dass sie diesmal genau dies um jeden Preis verhindern wollte, während Merkel den bekannten Trick probierte.

    Die Bierdeckel-Idee war 2004 / 2005 durchaus populär, es war ein Klima, wo gerade die Bürger letztmalig spürbar steuerlich entlastet worden waren. Allerdings konnte Merkel nicht über ihren Schatten und machte statt dem Profi Friedrich Merz den Amateur Kirchhoff zum Kandidaten für das Amt des Finanzministers. Ein schlimmer Fehlgriff, denn der hoch angesehene ehemalige Verfassungsrichter glaubte ernsthaft, es ginge im Wahlkampf um echte politische Lösungen. Erst spielte er gegen das CDU-Konzept, dann ließ er sich von Schröder vorführen. Die Deutschen, ursprünglich positiv dem Konzept der Flat Tax eingestellt, wurden im Sommer 2005 umgedreht, die Idee verlor ihren Charme. Leichte Vorhersage: ein solcher Fauxpas wäre dem ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der Union nicht passiert.

    Du übersiehst, dass die Union unter Merkel immer nur Ergebnisse von Mitte 30% einfuhr. Das kann man als dem neuen Parteiensystem geschuldet ansehen. Aber die Union hätte die Erfolge der rechten Konkurrenz durchaus einhegen können, den Beweis lieferte sie schließlich 2013.

    Die derzeitigen Umfragen sind äußerst volatil. Das war vorherzusehen. Direkt nach der Wahl stiegen die Aktien von FDP und Grünen, weil diese nun im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit standen und Erwartungen kapriziert wurden. Das Selbe geschieht nun der Union, wobei eher überraschend ist, wie wenig sie profitiert. Während FDP und Grüne vor Wochen um je so 2% zulegen konnten, ist die gleiche prozentuale Steigerung für die Union nicht gerade überzeugend. Angeblich hat die FDP den Rückgang eingepreist, schließlich hat sie derzeit den Schwarzen Peter. Doch schon bei Civey sieht die Geschichte anders aus. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass die Liberalen in Umfragen regelmäßig unter ihrem Wahlergebnis bewertet werden.

    P.S.: Edmund Stoiber ist nicht gelernter Bayer, sondern Oberbayer.

    • Stefan Sasse 4. Dezember 2017, 20:30

      Du missverstehst meine Argumentation bezüglich der SPD. Wie du selbst ja auch schon öfter geschrieben hast tun die Merkel letztlich den Gefallen, keine Alternative anzubieten. Ich sehe das Potenzial der Partei locker bei 30%. Aber dass sich die Sozialdemokratie in der Krise befindet ist glaube ich keine neue Erkenntnis.

      Merkel hat diese Gabe, ja. Offensichtlich ist das ein gewisses politisches Talent, das ihren Partnern bei SPD und FDP abgeht. Das ist deren Schuld, nicht Merkels. Und wenn deine Antwort darauf ist, dass du halt die Arme verschränkst und sagst „ich spiel nicht mehr mit“, dann ist das nicht gerade Ausweis deiner eigenen Fähigkeiten, deiner Reife oder deines Selbstbewusstseins.

      Die große Illusion von dir und deinesgleichen ist anzunehmen, dass diese Ideen 2005 – oder sonstwann – mehrheitsfähig gewesen wären. In der abstrakten Theorie ist immer jeder für Steuersenkung und -vereinfachung, aber sobald es ans Eingemachte geht verlieren die Leute den Spaß. Das ist umegekehrt proportional zum Sozialstaat: den mögen die Leute als Gesamtidee nicht, finden aber die einzelnen Bestandteile geil. Aber klar, du kannst dir deine Argumentation natürlich immer so hindrehen dass es passt: wenn Merkel guten Wahlkampf macht, dann ist sie böse weil ihre Koalitionspartner verlieren, und wenn sie schlechten Wahlkampf macht, dann ist sie unfähig. Du könntest dir so viel Arbeit sparen wenn du dir ein „Merkel muss weg!“-Schild an die Stirn tackerst.

      „Nur“ Ergebnisse von Mitte 30% sind besser als die gesamte Performance ihrer Konkurrenz.

      • Stefan Pietsch 4. Dezember 2017, 21:43

        Deutschland ist nicht so links, neben einer sozialdemokratisierten CDU auch noch viel Platz für eine linke SPD zu bieten. Der klare Rechtstrend hat sich analog zu anderen EU-Ländern bereits 2013 angedeutet. Wenn die „politische Grundachse“ sich nach rechts bewegt, dann ist der Niedergang der Sozialdemokratie zwangsläufig. Folglich sehe ich nicht, wie Du auf ein Potential von 30% kommst. Jedenfalls ist die Union dabei, nach den Nationalkonservativen um beispielsweise Jutta Steinbach nun auch die Wirtschaftsliberalen zu verlieren. Dafür hält man SPD und Grüne eingehegt.

        Zu meinen Vorlieben, die Du falsch unterstellst: Ich habe keine Sympathie für die Union, das konservative Lager ist mir mentalitätsmäßig fremd. Ich schätze Typen wie Jens Spahn oder Julia Klöckner, weil sie begeistern können. Welcher gute Redner fällt Dir bei der SPD ein? Dort sind es so armselig aus, dass sie einen Antisympathen wie Ralf Stegner in wichtige Schlachten schicken müssen, der allein rhetorisch genügend Format besitzt. Früher, also in meiner Hochzeit, war es genau umgekehrt: die Politiker der Union waren tendenziell unsympathisch.

        Ich will keine Parteisysteme wie in Skandinavien oder Holland. Leider liegt das nicht in meiner Hand, aber ich versuche dahin zu argumentieren.

        Kein intelligenter Mensch begeht Fehler wissentlich mehrmals. Die CDU hat mehrfach Signale der Liberalen bekommen, dass sie bei den Verhandlungen auf einem gefährlichen Weg sind, die FDP zu verlieren. Beide Partner müssen etwas wollen. Und nun erkläre mir, wo der Gewinn für die FDP gelegen hätte, wenn die Union z.B. beim Thema Soli (von generellen Steuersenkungen ganz zu schweigen) Lindner nur das angeboten hat, was sie nun wahrscheinlich auch der SPD geben? Und warum beim Thema Transferunion keine Bewegung war. Wenn die Union nur das gibt, was sie auch mit dem anderen Lager macht, worin hätte dann der parteipolitische Vorteil für Lindner & Co. gelegen?

        2004 / 2005 war eine andere Zeit. Die Deutschen waren mürbe von der längsten Rezession der Nachkriegsgeschichte, nach Reformstau und einer kurzen Hochkonjunktur mit der New Economy, die dann genauso zerplatzte, war die Unzufriedenheit auf Maximum. Für Steuersenkungen gibt es immer historische Zeitfenster, Anfang des Jahrtausends war so eins. Hast Du Dir mal Gedanken gemacht, was es mit einer Gesellschaft macht, wenn zunehmend Durchschnittsverdiener auf ihre Lohnerhöhung den Spitzensteuersatz zahlen müssen? Was wir jetzt sehen: der Frust sucht sich ein Ventil und das ist der Neid auf vermeintliche Vergünstigungen für Konzerne und Besserverdiener. Jeder Wissenschaftler bis hin zu Marcel Fratzscher vom DIW kann Dir erklären, dass eine Gesellschaft nicht durch Umverteilung von Vermögen und Einkommen reich wird oder nur bleibt. Die artikulierte Wut hat zugenommen und sie ist verständlich beim Blick auf den eigenen Lohnzettel. Die höchsten Lohnsteigerung seit Jahrzehnten führen nicht dazu, dass sich ein Gefühl von Gerechtigkeit einstellt.

        • Stefan Sasse 5. Dezember 2017, 11:10

          Andrea Nahles wäre mein Geheimtipp.

          • Stefan Pietsch 5. Dezember 2017, 11:46

            Nahles ist rhetorisch keine herausragende Rednerin. Aber auch sie lebt mit dem Manko, in der Öffentlichkeit ein negatives Image zu haben. Andrea Nahles wird 2021 die 50 Jahre überschritten haben, da ändert sich der öffentliche Eindruck nicht mehr gravierend. Ich weiß, dass die Rheinländerin seit vielen Jahren auf das Ziel hinarbeitet, Spitzenkandidatin ihrer Partei zu werden. Aber ich bin mir sehr sicher, in vier Jahren wird es wieder nur um einen Zählkandidaten gehen.

            • Stefan Sasse 5. Dezember 2017, 13:11

              Herausragend ist aber auch nicht notwendig, um aus der aktuellen Gemengelage hervorzustechen. Nahles‘ Vorteil ist, dass sie glaubhaft die Abteilung Attacke spielen kann. Ihr negatives Image ist ein Problem, ja, aber ich glaube sie ist unbekannt genug um das im Zweifel für eine Mehrheit anders definieren zu können. Zumindest ist sie keine unbekannte Größe/Luftnummer wie Manuela Schwesig.

              • Stefan Pietsch 5. Dezember 2017, 13:26

                Ja, aber Politiker werden meist nicht deswegen gewählt, weil sie besonders gut attackieren können. Sie sind die Beißer, die den Großteil der Drecksarbeit machen, das eigene Lager einen und bestenfalls motivieren. Schröder hatte fürs Grobe seinen Lafontaine und Müntefering, er selbst konnte sich auf die beste aller Oppositionsformeln zurückziehen: Wir wollen nicht alles anders, aber einiges besser machen.

                Ich glaube inzwischen, wir werden in den kommenden 10 Jahren eine deutliche Veränderung der gewohnten politischen Landschaft erleben, da mir die Phantasie fehlt mir vorzustellen, wie das alte Zwei-Parteien-System mit 2,3 Kleinparteien wieder hergestellt werden könnte. In einer solchen Welt gibt es aber für alte Arbeiterparteikandidaten keinen Platz in höheren Ämtern. Die Arbeiterklasse ist ohnehin marginalisiert, ist kaum politisch aktiv und abgehängt. Ich glaube, dass Nahles auch den falschen Sound hat, passend als Oppositionsführerin, aber nicht geeignet, Mehrheiten zu gewinnen.

                • Ariane 5. Dezember 2017, 14:01

                  Die SPD auf die Arbeiterklasse zu reduzieren finde ich etwas altmodisch. Das ist, als würdest du die Union nur auf höchst gläubige Menschen reduzieren.

                  Da Gabriel nicht aus dem Quark kam, wäre mein nächster Tipp auch Nahles. Die Parteiführung traue ich ihr problemlos zu und einen glaubhaften Kampf für die arme Krankenschwester auch. Ihr negatives Image hat wenig konkrete Gründe, sie hat mal schief gesungen und Müntefering weggeputscht (das sollte ihr eher zum Vorteil gereichen). Das ließe sich korrigieren, wenn sie mehr im Fokus steht und jemand Besseres ist sowieso nicht in Sicht. Wäre sicherlich kein glorreicher Siegeszug, aber die Chancen auf einen vernünftigen Wahlkampf wären endlich mal da.

                  • Erwin Gabriel 7. Dezember 2017, 10:08

                    @ Ariane 5. Dezember 2017, 14:01

                    Die SPD auf die Arbeiterklasse zu reduzieren finde ich etwas altmodisch. Das ist, als würdest du die Union nur auf höchst gläubige Menschen reduzieren.

                    Die SPD ist aus meiner Wahrnehmung viel eher eine Partei der Beamten und Lehrer als eine Partei der Arbeiter. Sie scheinen wiederum die einzigen zu sein, die das nicht verstehen wollen.

                • Stefan Sasse 6. Dezember 2017, 05:42

                  Durchaus möglich.

    • Ariane 4. Dezember 2017, 21:22

      Meine Güte, ganz schön frustrierend den rechten Kommentatorenflügel so über das CDU-Wahlergebnis jammern zu sehen. Was macht ihr eigentlich, wenn doch mal wieder ein Mitte-Links-Bündnis regiert – Euch von der nächsten Klippe stürzen? Außerdem ist da ja schon wieder einiges an Merkwürdigkeiten in deinem Text drinnen.

      Aber die Union hätte die Erfolge der rechten Konkurrenz durchaus einhegen können, den Beweis lieferte sie schließlich 2013.
      Öh, hast du den Schwenk der FDP zur neuen Rechtspartei damit schon vollzogen oder wer ist gemeint? Das 2013-Ergebnis war so extrem über dem Schnitt, weil Millionen Stimmen, die vorher an die FDP gegangen waren, von der CDU aufgesogen worden sind.

      Die Deutschen, ursprünglich positiv dem Konzept der Flat Tax eingestellt, wurden im Sommer 2005 umgedreht, die Idee verlor ihren Charme

      Nee, imo war die Idee nur beliebt, solange irgendwie wolkig über Bierdeckelgröße diskutiert wurde. Die Idee war tot, als dann plötzlich Sonn- und Feiertagszuschläge gestrichen werden sollten, damit die Größe passt. Und das betrifft nun mal vornehmlich hoch angesehene, aber absolut mies bezahlte Berufe wie Polizei, Krankenpflege, Feuerwehr etc. Klar hat Kirchhof sich auch noch besonders trottelig angestellt, aber Merz hätte auch irgendwann mit konkreten Streichideen kommen müssen und wenn da nicht plötzlich sowas die Edelnutte für den Manager auf der Streichliste aufgetaucht wäre, hätte sich die Beliebtheit genauso schnell erledigt. Nicht zu vergessen, dass der letzte vernünftige Wahlkampf der SPD war.
      Aber bitte, lasst den Spahn ans Ruder, grabt den Merz aus seinem Loch wieder aus und macht einen schönen ultrakonservativen Wahlkampf der sozialen Kälte. Und wenn dann plötzlich CDU, FDP und AfD regieren und die CDU die 40% erklimmt, widerspreche ich dir mindestens fünf Artikel lang nicht mehr.

      • Stefan Pietsch 4. Dezember 2017, 22:21

        Was macht ihr eigentlich, wenn doch mal wieder ein Mitte-Links-Bündnis regiert – Euch von der nächsten Klippe stürzen?

        Genau das ist mit der Strategie, die Du für richtig ansiehst, illusorisch geworden. An Deiner Stelle würde ich mir den Traum von R2G abschminken, das wird es in Deutschland nicht mehr geben. Schau‘, zwei Jahrzehnte hatten Mitte-Links-Parteien eine Mehrheit – nicht nur im Bundestag, sondern im gesamten Elektorat. Dies änderte sich 2013 und wurde jetzt im Herbst nicht nur bestätigt, sondern verstärkt. Da kannst Du erkennen, wie die Deutschen ticken. Noch interessanter ist der Umschwung im Osten. Zwar werden Wahlen im Westen gewonnen, sie können aber im ehemaligen DDR-Gebiet verloren werden. So ging es beispielsweise Edmund Stoiber 2002, der ohne die Verluste im Osten die Bundestagswahl gewonnen hätte. Zwischen Sachsen und Vorpommern löst die rechte AfD die linke Linkspartei als Nummer 2 ab. Was Ihr dabei überseht: die gelernten DDR-Bürger sind ähnlich ausländerfeindlich wie ihre ehemaligen sozialistischen Genossen in Polen, Tschechien und Ungarn. Tatsächlich verläuft entlang der Elbe die Grenze zwischen der Wohlstands-EU und den armen Spätmitgliedern.

        Die SPD hatte vor 4 Jahren mit Steinbrück einen überdurchschnittlich attraktiven Kandidaten am Start und trat gegen eine höchst unbeliebte Koalition an. Und machte die Sache auch nicht wesentlich besser. Vielsagender finde ich da eine andere Auswertung, nach der die SPD seit 1980 11 Wahlkämpfe bestritten hat, dabei in 8 mit dem Versprechen von mehr Gerechtigkeit und höheren Steuern für die Besserverdienenden gegangen ist, und alle (und nur) diese Entscheide verloren hat. Wer immer verliert, hat nicht nur Pech, sondern macht Dinge grundlegend falsch.

        Die Streichung von Sonn- und Feiertagszuschlägen war 1996 ein großes Thema. Im Wahlkampf 2005 ging’s ums Prinzip, belegt immerhin durch Studien, wonach gerade Spitzenverdiener nicht weniger bezahlt hätten. Schröder drehte das Argument und die Popularität um, das war politisches Können. Legendär Kirchhoffs Angebot, dem Kanzler sein Konzept zu erklären, weil er sich einfach missverstanden fühlte. In seiner politischen Naivität merkte der Professor nicht, dass es im Wahlkampf nicht um Wahrhaftigkeit, sondern nur um Wahrnehmung geht.

        Ich weiß nicht, wer bei der Union das Rennen macht. Jens Spahn? Carsten Linnemann? Eventuell sogar zu Guttenberg? Ich denke, Julia Klöckner hat gute Chancen, sie war zuletzt auffällig präsent. Wüsste ich es, würde ich wetten und dann damit Geld verdienen. Nur hier mag ja niemand meine Wettangebote annehmen. 😉

        • Ariane 5. Dezember 2017, 01:18

          Carsten Linnemann? Ich kenn mich ja eigentlich ganz gut aus, aber spontan hab ich keine Ahnung, wer das nun wieder ist und der taucht hier plötzlich als Merkel-Nachfolger auf?

          An Deiner Stelle würde ich mir den Traum von R2G abschminken, das wird es in Deutschland nicht mehr geben.

          Also im Gegensatz zu Dir rechne ich ja nicht bis in die Ewigkeit hinaus. Wenn die von Dir ersehnte konservative Revolution meinetwegen angeführt von Linnemann (*lol*) dann mal kommt, wird automatisch woanders Platz freigeräumt. Und du konzentrierst dich viel zu sehr auf die Ausländerfrage. Ja, der Osten ist ausländerfeindlich und da sind sicherlich Stimmen zu holen. Aber ich will mal stark hoffen, dass wir in vier oder acht oder 16 Jahren nicht immer noch Merkels Entscheidung von 2015 durchkauen, das Thema ist ja irgendwann mal durch. Und was Du jedes Mal beiseite lässt: Für eine konservative Kehrtwende ist das Ausländerthema zu wenig, dazu gehören immer und zwingend noch andere Dinge, die die Bevölkerung nicht so dolle findet und für andere Parteien eben weitere Angriffspunkte bieten und so eine arme Krankenschwester, die Heiligabend für wenig Lohn schuftet und der der Feiertagszuschuss gestrichen werden soll, sowas bekommt selbst die aktuelle SPD noch hin, um das ordentlich auszuschlachten. Eine konservative Kehrtwende bietet den Mitte-Links-Parteien endlich mal ein ordentliches Feindbild, da braucht es nicht mehr soviel Kreativität als wenn man gegen Merkel antritt.

          Die SPD hatte vor 4 Jahren mit Steinbrück einen überdurchschnittlich attraktiven Kandidaten am Start und trat gegen eine höchst unbeliebte Koalition an.

          Nein, ich glaube hier liegst du falsch. Steinbrück war ein Medienliebling, hatte aber weder die linkere Basis hinter sich, noch konnte er wirklich die Bevölkerung für sich gewinnen, dazu war er viel zu elitär arrogant und wie die SPD halt so ist, hat sie 2017 das andere Extrem ausprobiert und ist wieder baden gegangen. Ist unpopulär, aber ich bin der Meinung, Gabriel hätte zumindest einmal den Mumm haben sollen, selbst anzutreten. Er hätte ziemlich sicher nicht gewonnen, aber es wäre nicht so ein krasser Absturz gewesen. Und es ist ja durchaus möglich, zumindest einen normalen Wahlkampf zu machen und nicht so ein Deppendesaster. Und ich bin der Meinung so eine glorreiche konservative Revolution wäre vielleicht der Tritt in den Hintern, um mal mit dem Rumstümpern aufzuhören.

          nach der die SPD seit 1980 11 Wahlkämpfe bestritten hat, dabei in 8 mit dem Versprechen von mehr Gerechtigkeit und höheren Steuern für die Besserverdienenden gegangen ist, und alle (und nur) diese Entscheide verloren hat.

          Da machst du imo den gleichen Fehler wie die SPD. Soziale Gerechtigkeit ist als Begriff mittlerweile total ausgelutscht und nichtssagend wie Weltfrieden oder meinetwegen Steuererleichterungen. Finden alle erstmal gut, aber keiner weiß eigentlich, was damit genau gemeint ist und damit kann man keinen Wahlkampf machen. Da muss man halt Krankenschwester Susi erfinden, die aufopferungsvoll für wenig Lohn in einem unterbesetztem Krankenhaus schuftet (während die armen Kinderlein in der heruntergekommenen Schule sitzen) und die wohnen in der Einöde ohne guten Zugang zu Ärzten, Büchereien, blablubb. Und wenn dann alles so traurig ist, dass selbst dir die Tränen kommen, stellt man zwei-drei konkrete Gesetze vor, die der armen Susi mit den süßen Kindern das Leben erleichtern.

          Und dann würde es eben schon helfen, wenn Merkel nicht mehr da wäre, um selbst was für die arme Susi zu erfinden, sondern nur die glorreichen Revoluzzer Linnemann und Lindner, die herzlos der Susi das Weihnachtsgeld streichen wollen, um damit den Zweit-SUV der Zahnarztgattin zu finanzieren oder sowas.^^

          Ich wiederhole mich: Aber niemand kann auf allen Fronten zugleich kämpfen und wenn Merkel irgendwann von einem konservativeren Menschen abgelöst wird und die suchende FDP mitnimmt, ist woanders wieder Platz.

          • Jens 5. Dezember 2017, 06:55

            Steinbrück war nie ein beliebter Kandidat. Selbst direkt nach der Nominierung, als er der Neue war und wie immer erst mal einen Bonus hatte, kam er nie an Merkel ran.

            http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/spd-steigende-umfragewerte-fuer-steinbrueck-11911639.html

            Und das war bevor sich der Gegner und die Presse auf ihn eingeschossen hatte.

            • Stefan Pietsch 5. Dezember 2017, 10:39

              Leider waren die Werte aller anderen SPD-Spitzenpolitiker noch schlechter. Wer die Pam aus Hollywood nicht bekommt, muss manchmal mit der Liesel aus Borken Vorlieb nehmen.

              • Jens 5. Dezember 2017, 17:48

                Wenn das die Liesel aus Borken hört, mit wem Sie sie da vergleichen..
                🙂

            • Stefan Sasse 5. Dezember 2017, 11:15

              Der Wahlkampf von 2013 wurde an Unprofessionalität auch echt nur von 2017 getoppt.

              • Stefan Pietsch 5. Dezember 2017, 11:40

                1987, 1990, 1994 und 2009 waren auch schlechte Wahlkämpfe. Einmal ist ein Ereignis, zweimal ist Zufall, dreimal ist ein Trend.

                • Stefan Sasse 5. Dezember 2017, 13:10

                  Ich habe keine glorreiche Vergangenheit beschworen, in der die SPD eine unaufhaltsame Maschine war. Aber 2013 und 2017 waren schon eine besondere Kategorie von scheiße.

                  • Stefan Pietsch 5. Dezember 2017, 13:50

                    1987 war auch ein wirklich mieser Wahlkampf. Damals ging die SPD mit dem strahlenden NRW-Wahlsieger Johannes Rau ins Rennen, hatte gute Werte und versemmelte das total gegen einen schon damals wenig populären Amtsinhaber. 1990 wusste die Partei nicht mal, was für einen Wahlkampf sie eigentlich zu führen habe, auch damals hatte man mit Lafontaine schlicht den falschen (West-) Kandidaten. Und 1994 flüchtete ich aus lauter Verzweiflung zu den Grünen.

                    • Stefan Sasse 6. Dezember 2017, 05:43

                      Aber 1994 hatten sie doch ein gutes Ergebnis, wenn die Erinnerung nicht trübt, oder? Aber klar, ich stimme dir da völlig zu.

                    • Stefan Pietsch 6. Dezember 2017, 09:27

                      Die Erwartungen waren ambivalent. Die SPD hatte sich schon ernsthafte Hoffnungen gemacht, Kohl endlich ablösen zu können. Wieder war es nicht gelungen, bei einer tendenziell linken Wählerschaft und wirtschaftlicher Stagnation die schwarz-gelbe Koalition zu überrunden und das trotz breiter Wahlerfolge in den Ländern, einer zunehmend bedrängten Regierung und attraktiven Spitzenleuten. Andererseits war es ein Aufwärtstrend, den man hoffte, in den nächsten Jahren noch ausbauen zu können. Nur: Kohls Bonus als Kanzler der Wiedervereinigung war bereits damals weitgehend aufgebraucht.

                    • Stefan Sasse 6. Dezember 2017, 11:54

                      Ok, woran lag das damals? Ich hab das nur unter „Scharping unattraktiv, Troika unglaubwürdig“ verbucht. Liegt das richtig?

                    • Stefan Pietsch 6. Dezember 2017, 14:18

                      1993 / 1994 galt Scharping durchaus als eine respektable Nummer. Ein bisschen langweilig, sicher aber eigentlich das richtige Spiegelbild zu dem doppelt so bräsigen Helmut Kohl. Er war gerade zum neuen SPD-Vorsitzenden gekürt worden und das noch in einem Mitgliederentscheid, ein Novum in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Tatsächlich habe ich nicht so viel Erinnerung an diese Wahl wie an andere, was wohl damit zu tun hat, dass ich in dem Sommer mein Examen abgelegt und Tage danach meinen ersten Job angetreten habe. Im Unterschied zu späteren Wahlen saß ich nicht bis tief in die Nacht vorm Fernseher und zog mir Wahlanalysen rein.

                      Der Wahlkampf lief wie die vorherigen. Die SPD startete Anfang des Vorjahres gut, eine Wechsel war greifbar. Dann wurde die Partei konkret, verhedderte sich in ihrem eigenen (Steuer-) Konzept und Gewerkschafter mussten Spitzenleute darauf aufmerksam machen, dass die Sozialdemokraten damit die eigenen Leute treffen. Öffentlich war es eine Kakophonie, bis klar wurde, dass die SPD natürlich, wie zu jeder Zeit, nur ganz oben zugreifen will. Da war der Schaden schon angerichtet und die SPD erholte sich nicht mehr bis zum Wahltag. Dazu kam noch die Rote-Socken-Kampagne des Konrad-Adenauer-Hauses, was die roten Wahlkämpfer weiter in die Defensive zwang.

                      Der SPIEGEL schätzte damals in seiner Wahlanalyse die Chancen des Parteivorsitzenden dennoch als gut an. Er könne in Ruhe abwarten, die SPD hatte die Mehrheit im Bundesrat und könne die Regierungspolitik maßgeblich beeinflussen.

                      Rückblickend landete die SPD 1994 nur ein längst übliches Ergebnis, ziemlich genau das, was schon 1983 Hans-Jochen Vogel gegen den frisch installierten Kanzler Kohl erzielt hatte. Genau betrachtet war 1990 der Ausreißer, nämlich nach unten. Das war die Dankbarkeitswahl der befreiten DDR-Bürger. Mehr noch: seit Ende der Achtzigerjahre lebte die SPD von ihren Persönlichkeiten an der Spitze. Damals wurde das Stammwählerpotential lediglich noch irgendwo mit Mitte 20 Prozent taxiert. Deutlich wird diese Abhängigkeit von der Enkelgeneration durch die Landtagswahlen: Jedem der großen Enkel gelang es, eine langjährige CDU-Herrschaft zu brechen, bis auf Niedersachsen (wo Schröder später absolute Mehrheiten erreichte) in absoluten Hochburgen der Konservativen. Das Saarland ist erst lange nach Lafontaine wieder an die Union gefallen, Rheinland-Pfalz ist längst zu einer Hochburg der Roten geworden, Gabriel verlor Niedersachsen bei der ersten Gelegenheit. Je länger ich darüber nachdenke, desto weniger sehe ich das als Zufall. Die Enkelgeneration von Willy Brandt verdeckte den langen Niedergang der Sozialdemokratie, der sofort sichtbar wurde, als Lafontaine, Schröder, Scharping, Engholm aus sehr unterschiedlichen Gründen die Bühne verlassen hatten. Heute hat die Partei keine Personen, die zuverlässig Wahlen gewinnen können und bundespolitisches Potential haben. Der letzte SPD-Vorsitzende, der eine Wahl selbst gewonnen hatte, war Kurt Beck. Weder Müntefering, noch Gabriel noch Schulz können das über sich behaupten.

                    • Stefan Sasse 6. Dezember 2017, 18:53

                      Ich stimme dir absolut zu, was den Mangel an vernünftigem Spitzenpersonal angeht, das kritisiere ich auch schon seit geraumer Zeit.

                    • Stefan Pietsch 6. Dezember 2017, 20:23

                      Nur es bringt ja nichts, das zu beklagen. Es gibt nur zwei Methoden, diesem existenzgefährdenden Defizit abzuhelfen: Gewinnung junger, interessierter Talente oder das Ansprechen von Persönlichkeiten außerhalb der Politik. Für beides ist die Partei nicht vorbereitet. Und bis eine dieser Strategien erfolgreich ist, vergehen 10-15 Jahre.

                      Ich denke, das Willy-Brandt und viele der Parteianhänger haben sich blenden lassen von den immer noch guten Resultaten in den Neunziger und Nullerjahren. Möglicherweise war die SPD schon damals ein Scheinriese, der mit der Kanzlerschaft Gerhard Schröders seine absehbar letzte Hochzeit erlebte. Bereits nach der Wiedervereinigung warnten Parteienforscher die Sozialdemokraten (dazu gab es seriöse Zeitungsartikel, unter anderem auch Professor Walter aus Göttingen), sie müssten neue Schichten erschließen um Volkspartei zu bleiben. Dies gelang mit Schröder nur kurzfristig, als junge Fachexperten und Unternehmer wie Angestellte in der New Economy sich für die Partei begeisterten. Wirklich erschlossen wurden diese Milieus nicht. Ich sehe wenig Anlass für die Hoffnung, dass sich die SPD in den nächsten Jahren erholt.

                    • Jens 6. Dezember 2017, 22:59

                      Ich sehe auch keine rosige Zukunft für die SPD. Das liegt aber auch daran, dass der politische Gegner ihr keinen wirklichen Raum lässt. Nach links ist schwierig wegen den Linken und auf der anderen Seite rückt ihr die CDU nahe.

                      Merkel räumt ja auch immer die Themen ab, die ein Aufreger für die SPD oder das linke Lager werden könnten.

                      Zum Beispiel: Atomausstieg (auch wenn es hier etwas hin und her ging 😉 )
                      Mindestlohn, Homoehe.

                      Sollte es wieder erwarten doch Neuwahlen gebe, tippe ich, dass sie auch noch irgendwas für Pflegekräfte ankündigen wird und evt. Leiharbeit ohne equal pay einkassieren wird.

                      So wird es inhaltlich immer schwieriger für die SPD und es reduziert sich auf einen Personenwahlkampf, da hat es die SPD schwer und nicht erst seit gestern.

                      Gruß Jens

                    • Stefan Sasse 7. Dezember 2017, 07:07

                      Da bin ich bei dir, das braucht Zeit. Deswegen taxiere ich ihr Potenzial ja auch bei erreichbaren 30% und nicht bei irgendwas drüber.

                  • Jens 5. Dezember 2017, 18:02

                    Kein Widerspruch!

          • Stefan Pietsch 5. Dezember 2017, 10:37

            Carsten Linnemann ist seit 2013 (Kampfabstimmung gegen Oswald Metzger) Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT). Das ist ein ähnlich einflussreicher Zirkel bei den Konservativen wie die Parlamentarische Linke bei der SPD. Auf Parteitagen ist die MIT, zu der eine nennenswerte Zahl der Parteimitglieder zählt, wichtiger Mehrheitsbeschaffer. Linnemann hat sich in dieser Position in den letzten Jahren einige öffentliche Aufmerksamkeit erarbeitet, er ist in der Partei gut verdrahtet und hatte ein berufliches Leben vor der politischen Karriere (bei linken Parteien ist das inzwischen sehr selten geworden). Es hat durchaus Vorteile, die wichtigsten Einflussgeber der Politik zu kennen.

            Linnemann ist Außenseiter, aber nicht einflusslos. Mit seinem Profil als Wirtschaftsliberaler ist er natürlich festgelegt. Darüber hinaus ist er gut mit Christian Lindner vernetzt. Rückt die CDU noch weiter nach links, verliert sie diesen Teil der Partei an die FDP.

            Und du konzentrierst dich viel zu sehr auf die Ausländerfrage.

            Sicher nicht. Aber gerade in der Europa- und Europolitik liegt die deutliche Mehrheit der Deutschen auf Linie der Wirtschaftsliberalen als auch Nationalkonservativen. Gerade hier sind die Deutschen eben nicht nach links gerückt.

            Aber ich will mal stark hoffen, dass wir in vier oder acht oder 16 Jahren nicht immer noch Merkels Entscheidung von 2015 durchkauen, das Thema ist ja irgendwann mal durch.

            Ich verstehe Dich irgendwie nicht. Nach Ansicht der führenden politischen Protagonisten (Merkel, Gabriel, Schulz) hat die Aufnahme der Flüchtlinge 2015 die Dimension der Wiedervereinigung. 2016 beliefen sich die Kosten im Bundeshaushalt bereits auf 30 Milliarden Euro (bitte korrigieren, wenn ich falsch liege). Dabei sind die eigentlichen Kosten, die erst im Zeitverlauf durch Investitionen und konsumtive Ausgaben entstehen, noch nicht angefallen. Experten gehen fest davon aus, dass dieser Betrag in den nächsten Jahren deutlich ansteigen wird. Die Flüchtlingskrise wird, gemessen an der Wiedervereinigung, uns folglich mindestens 1 bis 1 1/2 Jahrzehnte intensiv beschäftigen, ganz abgesehen von den gesellschaftlichen Veränderungen. Hinzu kommt das Thema Terrorismus, wo die Prognose nicht gewagt ist, dass die Attentäter üblicherweise aus dem Milieu gescheiterter Migranten kommen wird. Auch das wird die Menschen immer daran erinnern, wie alles (angeblich) angefangen hat.

            (..) so eine arme Krankenschwester, die Heiligabend für wenig Lohn schuftet und der der Feiertagszuschuss gestrichen werden soll, sowas bekommt selbst die aktuelle SPD noch hin, um das ordentlich auszuschlachten.

            Ja, das war immer die Dummheit der Linken und für mich der Anstoß, mich von der SPD abzuwenden. 1996 war bei allen Parteien durchgesickert, dass steuerliche Ausnahmetatbestände immer zu Gunsten der Besserverdienenden ausgehen, während für Kleinverdiener Almosen abfallen. Almosen, mit denen die Lobbyisten der Linken bei den politisch Unterbelichteten auf Stimmenfang gehen. Wie ging die Geschichte damals aus? Die Regierungskoalition hatte die Steuerfreiheit von Spekulationsgewinnen für Grundstücke und Wertpapiere auf den Tisch geschoben. Lafontaine beharrte darauf, dass die Sonn- und Nachtzuschläge steuerfrei bleiben müssten. Und das alles in einem Umfeld, wo Studien zeigten, dass gerade die Einkommensoberschicht ihre Steuerlast sogar unter das Niveau von gutverdienenden Mittelklassefamilien drückten. Die große Steuerreform in Folge der Empfehlungen der Barais-Kommission, die in den Petersberger Beschlüssen der Union 1997 gipfelten, scheiterte und das Zeitfenster für wesentliche substanzielle Veränderungen in der Besteuerung war geschlossen – wegen der SPD. Du wirst Dich entscheiden müssen, komplexes Steuersystem mit hohen Sätzen und Möglichkeiten für Findige, oder ein einfaches System mit niedrigen Sätzen, aber auch kaum Gestaltungsmöglichkeiten. Die Deutschen haben sich in Mehrheit immer für Ersteres entschieden, um sich dann über die legalen Steuertricks der Reichen aufzuregen. Ich kenne dieses Spiel seit Jahrzehnten und es amüsiert mich nur noch.

            Steinbrück war ein Medienliebling, hatte aber weder die linkere Basis hinter sich, noch konnte er wirklich die Bevölkerung für sich gewinnen, dazu war er viel zu elitär arrogant und wie die SPD halt so ist, hat sie 2017 das andere Extrem ausprobiert und ist wieder baden gegangen.

            Die linke Basis der SPD wählt nicht den Kanzler noch stand sie hinter den Kanzlern Schmidt und Schröder. Zum Zeitpunkt seiner Nominierung war Steinbrück, obwohl ohne Amt, einer der beliebtesten Politiker der Sozialdemokraten, etwas besseres hatte die Partei im Herbst 2012 nicht im Angebot. Und was machten die Funktionäre? Sie schnitten das linkeste Programm seit Jahrzehnten auf einen sozialliberalen Kandidaten und zerstörten dessen Glaubwürdigkeit von Beginn an. Als Gabriel abtrat, lag die SPD in den Monaten zuvor bei teilweise unter 20%, seine eigenen Werte waren unterirdisch. Mit solchen Popularitätswerten gewinnt niemand, eher verschlechtern sie sich in einem Wahlkampf.

            Die SPD zog immer mit dem Versprechen von Steuererhöhungen in den Wahlkampf, um Erleichterungen an anderer Stelle zu finanzieren. Dummerweise verstehen Wähler bei dem Satz von „Steuererhöhungen für Besserverdienende und Reiche“ immer nur den ersten Teil.

            • Ariane 5. Dezember 2017, 14:28

              Nach Ansicht der führenden politischen Protagonisten (Merkel, Gabriel, Schulz) hat die Aufnahme der Flüchtlinge 2015 die Dimension der Wiedervereinigung.

              Der Wiedervereinigung??? Das hab ich noch nie gehört und halte ich auch für größtmöglichen Unsinn. Klar gab es erstmal Chaos, aber das meiste ist ja jetzt schon aufgeräumt. Es kommen nicht mehr soviele Leute und fast alle sind mittlerweile auf vernünftige Unterkünfte verteilt und müssen nicht mehr in Turnhallen wohnen. Heute beschäftigt sich die Öffentlichkeit schon mehr mit den Nachwehen als mit der konkreten Situation, also nein ich glaube nicht, dass wir in vier oder acht Jahren immer noch eine Entscheidung von 2015 diskutieren.

              Du wirst Dich entscheiden müssen, komplexes Steuersystem mit hohen Sätzen und Möglichkeiten für Findige, oder ein einfaches System mit niedrigen Sätzen, aber auch kaum Gestaltungsmöglichkeiten.

              Na zum Glück muss ich mich ja nicht entscheiden. Theoretische Debatten ziehen nicht so gut, deswegen bin ich ja dafür, eine Geschichte über Krankenschwester Susi zu erzählen und davon keinen Fußbreit abzurücken.

              Die linke Basis der SPD wählt nicht den Kanzler noch stand sie hinter den Kanzlern Schmidt und Schröder. Zum Zeitpunkt seiner Nominierung war Steinbrück, obwohl ohne Amt, einer der beliebtesten Politiker der Sozialdemokraten, etwas besseres hatte die Partei im Herbst 2012 nicht im Angebot.

              Schulz war auch super beliebt, wäre klüger, wenn die SPD diese Werte eher verbrennt als anzugucken^^ Und Steinbrück hatte nicht die Autorität, die Partei bei der Stange zu halten. Da war überhaupt nichts außer einer gewissen Medienbeliebtheit und einer großen Klappe, das reicht vielleicht bei der FDP aber nicht zum Kanzlerkandidaten der SPD.

              • Stefan Pietsch 5. Dezember 2017, 15:33

                Der Wiedervereinigung??? Das hab ich noch nie gehört und halte ich auch für größtmöglichen Unsinn.

                Echt? Denkst Du das ist kostenlos? Seriöse Studien kursieren seit 2016, die ersten Pauschalprognosen gab es Ende 2015. Nach Berechnungen des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) werden sich die Kosten, wenn Integration nicht gelingt, bei 1 Million Flüchtlingen auf rund 400 Milliarden Euro belaufen. Die durchschnittlichen Schätzungen gehen von 150-250 Milliarden Euro aus, wobei gesellschaftliche Gewinne durch Steuern und Abgaben bereits gegen gerechnet wurden. Nun werden es aber inklusive Familiennachzug und den in 2016 weiter gekommenen Asylbewerbern eher 2 Millionen werden. Und damit sind wir, seriös gerechnet, völlig in der Dimension der Kosten der Deutschen Einheit, die ohne Gegenrechnungen 1 – 1,2 Billionen Euro gekostet hat.
                http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-04/fluechtlinge-arbeitsmarkt-integration-kosten-studie-zew

                Schulz war auch super beliebt

                Schulz war vor allem zu Beginn eine inhaltslose Hülle, wo jeder genau das hineininterpretierte, was er wünschte. Solche, zu Beginn noch nicht profilierten Politiker mit gefälligem Auftreten erzielen zu Beginn häufig hohe Popularitätswerte. Siehe zu Guttenberg: eigentlich wüssten die Leute fast nichts über den Adeligen. Gutes Auftreten und Benehmen, an einer Stelle für Aufsehen gesorgt und sich gegen die Autorität gestellt, tolle Frau, immer Tipp top gekleidet, fertig war der Renner. Noch zu Beginn seiner Plagiatsaffäre stürzten die Werte nicht in den Keller, sondern hielten sich. Die Bürger wollten nicht glauben, dass auch ehrbare Kerle betrügen können.

                • Ariane 5. Dezember 2017, 16:21

                  Echt? Denkst Du das ist kostenlos?

                  Natürlich nicht, ich halte nur den Vergleich für unsinnig. Das sind komplett unterschiedliche Sachen, die man hier irgendwie auf „teure Angelegenheit“ reduziert.

                  Schulz war vor allem zu Beginn eine inhaltslose Hülle, wo jeder genau das hineininterpretierte, was er wünschte. Solche, zu Beginn noch nicht profilierten Politiker mit gefälligem Auftreten erzielen zu Beginn häufig hohe Popularitätswerte.

                  Jep, genau darauf wollte ich ja hinaus. Und Steinbrück war eben zwar als Finanzminister bekannt, aber das ist noch was ganz anderes wenn man plötzlich Kanzlerkandidat ist. Deswegen halte ich die aktuellen Beliebtheitswerte auch nicht für sonderlich aussagekräftig.

                • Stefan Sasse 6. Dezember 2017, 05:45

                  Steinbrück war ein Möchtegern-Helmut-Schmidt, der nur auf dem Papier attraktiv war.

              • Stefan Sasse 6. Dezember 2017, 05:44

                Ich hab das schon mal beschrieben: Steinbrück, Steinmeier und Schulz sind in der Partei alle nicht verknüpft und haben keine Macht, deswegen die chaotischen Wahlkämpfe. Nahles und Gabriel hätten dieses Problem wenigstens nicht.

        • Stefan Sasse 5. Dezember 2017, 11:13

          Steinbrück ein „überdurchschnittlich attraktiver Kandidat“? Arme SPD.

          • Stefan Pietsch 5. Dezember 2017, 11:39

            Sag doch einfach, wer eine bessere Wahl gewesen wäre.

            • Stefan Sasse 5. Dezember 2017, 13:09

              2013? Sigmar Gabriel. Nicht wesentlich besser, erneut, die Partei ist am Arsch.

              • Stefan Pietsch 5. Dezember 2017, 13:46

                Wie kommt Ihr darauf, dass Gabriel ein besserer Kandidat gewesen wäre? Erstmal grundsätzlich: beide sind hervorragende Redner und können Stimmungen beeinflussen. Und beide sind Solitärs, die mit ihren erratischen Bewegungen und Entscheidungen jede Planung über den Haufen werfen.

                Gabriels Umfragewerte erholten sich in der gesamten Legislatur seit 2009 nicht. Ich habe damals gelesen, er selbst habe sich eine Marke gesetzt, das er erreichen müsse, um glaubhaft die Kandidatur zu beanspruchen. 2016 suchte er eine Alternative, denn im Zweifel hätte er vors Kanonenrohr gemusst. Und es hätte ihn wahrscheinlich alle Ämter gekostet, wenn er mit einer Klatsche nach Hause gekommen wäre. Immerhin: Steinbrück holte den besten Wert innerhalb von mehr als einem Jahrzehnt, wenn ich die niedrigen Umfragen seit 2006 mitberücksichtige. Nur gemessen an dem Potential, das ihr heute noch der SPD zuschreibt, sind gute 25% schlecht. Ich glaube, heute würde jeder im Vorstand der Partei einschlagen, würde man dieses Ergebnis anbieten.

                • Ariane 5. Dezember 2017, 14:06

                  Gabriel hätte die Partei hinter sich gehabt und hätte leidenschaftlich für Krankenschwester Susi gekämpft. Als Spitzenkandidat wären seine loose canon-Merkwürdigkeiten auch nicht so stark ins Gewicht gefallen. Drei Punkte, die imo eher für ihn als für Steinbrück gesprochen hätten.

                  • Stefan Pietsch 5. Dezember 2017, 15:33

                    Nur dass Susi oft nicht wählen geht.

                • Stefan Sasse 6. Dezember 2017, 05:43

                  Weil Gabriel nicht so komplett out-of-sync mit seiner Partei war. Du hast ja selbst oft genug beschrieben, dass der Wahlkampf und das Programm 2009 nicht zu Steinbrück passten. Zu Gabriel hätte es wenigstens gepasst.

                  • Stefan Pietsch 6. Dezember 2017, 09:21

                    Na ja, nicht wirklich. Gabriel ist Netzwerker und kein Fan großer Umverteilungsprogramme.

                    • Stefan Sasse 6. Dezember 2017, 11:53

                      Mehr als der Seeheimer Steinbrück. Vor allem wäre Gabriel eher in der Lage gewesen, auf das Scheiß Mittelfinger-Bild zu verzichten. 2% mehr für die SPD direkt auf die Hand.

      • Erwin Gabriel 5. Dezember 2017, 01:51

        @ Ariane

        Aber bitte, lasst den Spahn ans Ruder, grabt den Merz aus seinem Loch wieder aus und macht einen schönen ultrakonservativen Wahlkampf der sozialen Kälte.

        Liebe Ariane, das sieht so aus, als ob Du nur schwarz-weiß kennst.

        Jens Spahn ist weder „ultrakonservativ“, noch hat „konservativ“ etwas mit „sozialer Kälte“ zu tun – doch halt, ehe ich so etwas behaupte, müsste ich zuerst erfragen, was Du unter „sozialer Kälte“ und „sozialer Wärme“ überhaupt verstehst.

        es grüßt
        E.G.

        • Jens 5. Dezember 2017, 07:03

          noch hat „konservativ“ etwas mit „sozialer Kälte“ zu tun

          Zumindest nicht mehr exklusiv. Mit Hartz4 hat das auch eine linke, öko-bewegte Rot-Grün Regierung besser hingekriegt als jede konservative Regierung sich das jemals getraut hätte.

          Mit höchstrichterlicher Entscheidung, darf nun die Stadt/Kommune Hartz4 Empfängern, die in einer zu großen Wohnung wohnen, aber weder selbst eine Kleinere finden noch von der Stadt eine kleinere Wohnung zugewiesen bekommen, die Hartz4 Bezüge gemindert werden.

          Sie können ja bei den Heizkosten sparen, das ist soziale Kälte mal wörtlich genommen.

          Und die SPD wundert sich über ihr Wahlergebnis?

          Das eigentlich erstaunliche und die wahre Leistung von Frau Merkel ist, dass so was nie an ihr festgemacht wird. Sie ist ja blos Kanzlerin und fürs Klima zuständig, nein halt, das klappt ja auch nicht….

          • Stefan Pietsch 5. Dezember 2017, 10:48

            Die Richter haben lediglich das Prinzip des Sozialrechts bestätigt. Das hat nichts mit sozialer Kälte zu tun. Der Staat finanziert das Existenzminimum, für alles andere muss der Bürger selber sorgen. In dem verhandelten Fall ging es um eine Frau, die seit mehr als 12 Jahren Sozialhilfe bezieht und als Alleinlebende eine 70qm Wohnung in Freiburg City bewohnte. Wie will man einer Mittelklassefamilie erklären, dass sie die Wohnung nicht haben kann, weil sie mit ihren Steuern das Wohnrecht der Frau in einer überdimensionierten Wohnung finanzieren? Es ist Aufgabe des Gesetzgebers Regeln zu entwickeln, wie mit Fällen umzugehen ist, wo der Wohnungsmarkt für Menschen im Sozialbezug höchst limitiert ist. Das Thema ist weit komplexer, als Sie es hier mit „sozialer Kälte“ darstellen.

          • Stefan Sasse 5. Dezember 2017, 11:17

            Meine Meinung bleibt: Hartz-IV selbst war nicht der Todesstoß der SPD, das hat sie überlebt (siehe 2005). Was sie gekillt hat war danach der Doppelschlag von Müntefering und Steinmeier (Rente mit 67! Mehrwertsteuererhöhung!). Hätte die SPD damals Hartz-IV mit Maßnahmen flankiert, die all diese krassen als Ungerechtigkeiten empfundenen Härten abgemildert hätten (Stichwort Freibeträge, Mindestlohn, etc), wären sie nie so tief gesunken.

            • Jens 5. Dezember 2017, 17:59

              Hätte hätte Fahradkette…

              Wo wir gerade bei Steinbrück sind 😉

              Zur SPD: Es ist IMHO echt immer schwierig festzustellen woran man genau stirbt, wenn man sich Zyankali, Strichnin, Arsen und Rattengift auf einmal einverleibt.

              Rettung oder gar Reanimation ist natürlich um so mühsamer, wenn man dann so tut als hätte man nix genommen und es geht einem eigentlich prima.

            • Ralf 5. Dezember 2017, 19:05

              Meine Meinung bleibt: Hartz-IV selbst war nicht der Todesstoß der SPD, das hat sie überlebt (siehe 2005).

              2005 herrschte Chaos im linken Lager. Die Gewerkschaften wussten nicht mehr wen sie unterstuetzen sollten. Die SPD als Partei fiel auseinander. Viele sozialdemokratische Stammwaehler waren ratlos. Die WASG war noch nicht wirklich etabliert. WASG und PDS waren noch nicht zur LINKEn fusioniert. Und die CDU/CSU warb fuer ein Programm der neoliberalen Exzesse.

              Ich denke in diesem Umfeld sind viele SPD-Stammwaehler ihrer Partei noch ein letztes Mal treu geblieben, einfach aus Mangel an Alternativen. Und ein Stueck weit aus Gewohnheit. Ein Abnabelungsprozess braucht halt immer seine Zeit. Gerade wenn man fuer eine Partei jahrzehntelang sein Kreuz gemacht hat.

              Daraus zu schliessen Hartz IV haette den Sozialdemokraten nicht das Genick gebrochen, ist aus meiner Sicht arg gewagt.

              • Stefan Pietsch 5. Dezember 2017, 19:41

                Dafür, dass Sie Ihre Meinung allein auf einer Theorie aufbauen, für die Sie keinen einzigen Beleg, nicht mal ein Indiz liefern, schlussfolgern Sie sehr weit. Fakt ist ja, dass die PDS seit 3 Wahlen stagniert, obwohl sie dabei einen Teil ihrer Wählerschaft ausgetauscht hat. Nimmt man die 9% als Datum, so gewann die neu formierte LINKE gerade so 4%-Punkte von der SPD. Das erklärt nicht mal ansatzweise den Niedergang. Aber das hatten wir nun so oft. Haben Sie sich mal Gedanken gemacht, was diejenigen heute wählen, die dank der Arbeitsmarktreformen wieder in Beschäftigung gekommen sind? Immerhin haben wir heute 4,5 Millionen Erwerbstätige mehr als 2005, obwohl der Bevölkerungsstand mit 82 Millionen gleich geblieben ist.

                • Ralf 5. Dezember 2017, 20:53

                  Nun, ein Indiz ist dass die LINKE/PDS/WASG ihr Wahlergebnis seit 2005 mehr als verdoppelt hat. Es ist naheliegend, dass diese Waehler von der SPD kamen und dann stabil bei der LINKEn integriert wurden. Hier die Ergebnisse der LINKEN/PDS zur Erinnerung:

                  4.4% (1994) -> 5.1% (1998) -> 4.0% (2002) -> 8.7% (2005)
                  -> 11.9% (2009) -> 8.6% (2013) -> 9.2% (2017)

                  Das obige Zahlenmaterial zugrunde gelegt, lag der Durchschnitt vor 2005 bei 4.5% und der Durchschnitt nach 2005 bei 9.9%, waehrend das Ergebnis von 2005 in der Mitte liegt. Es ist plausibel anzunehmen, dass Schroeder bereits 2005 zu den massiven Gewinnen der PDS fuehrte und die SPD anschliessend langsam weitere Waehler an den linken Rand verlor. Einige enttaeuschte ehemalige SPD-Waehler, die dank Schroeder und Konsorten voellig den Glauben an die Politik verloren haben, duerften uebrigens auch bei der AfD angekommen sein, die sich als „Alternative“ zum Establishment anbot und weniger den Ruf einer Regionalpartei Ost hat.

                  Auch dass die SPD-Wahlergebnisse kollabiert sind, ist ein harter Fakt, den Sie nicht ignorieren koennen. Zur Erinnerung:

                  36.4% (1994) -> 40.9% (1998) -> 38.5% (2002) -> 34.2% (2005)
                  -> 23.0% (2009) -> 25.7% (2013) -> 20.5% (2017)

                  Wiederum das obige Zahlenmaterial zugrunde gelegt, der Durchschnitt vor 2005 lag bei 38.6%, der Durchschnitt nach 2005 lag bei 23.1% und das Jahr 2005 selbst lag mit 34.4%, also bereits ein signifikanter Verlust von 4.2% zum Dreijahresdurchschnitt zuvor, in der Mitte. Auch diese Zahlen erzaehlen die Geschichte eines Einbruchs des Wahlergebnisses in 2005 und dann ein beschleunigter Abfluss von Waehlern anschliessend. Ein Grossteil dieser abfliessenden Waehler duerfte Nichtwaehler geworden sein.

                  Dass die enge Parteibindung bei vielen sozialdemokratischen Waehlern die Abwanderung noch etwas verzoegert hat, ist zugegebenermassen meine Spekulation. Aber ich halte das fuer durchaus plausibel. Stammwaehlerschaft war bei vielen Menschen sehr stark ausgepraegt. Seiner Partei nach Jahren Treue, manchmal Jahrzehnten Treue, den Ruecken zu kehren, ist nicht etwas, das man einfach mal so eben macht. Manche moegen auch die Hoffnung gehabt haben, dass die SPD sich doch wieder zu ihren Wurzeln bekehrt und Schroeders Irrweg wieder verlassen wird. Spaetestens als 2009 klar war, dass dies nicht geschehen wuerde, wanderten die Waehler dann endgueltig ab.

                  • Stefan Pietsch 5. Dezember 2017, 21:42

                    Nun ja, aussagekräftiger sind Trends als Durchschnittswerte. Warum hatte ich mehrfach am Beispiel FDP gezeigt. 2002 galt als schlechter Wahlkampf der PDS, zudem war sie in der Konfrontation Schröder / Stoiber zerrieben worden. Seriös lag die Partei seit Mitte der Neunzigerjahre bei um die 5%. So komme ich auch meine 4%-Gewinne. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hatte 2015 untersucht, wie sich die Wählerschaft der LINKEN verändert hat. Tatsächlich erheblich. sicher tauchten erst frustrierte SPD-Wähler auf, die konnte die Partei aber nicht dauerhaft halten, Laufkundschaft eben. Abgehängte wählen zwar teilweise die LINKE (wenn sie denn wählen), aber auch sie sind höchst untreu und unzuverlässig. Tatsächlich kamen die Forscher zu dem Ergebnis, dass die ehemalige PDS kaum von enttäuschten SPD-Wählern profitieren konnte. Heute ist eine wichtige Stütze der Wählerschaft junge Idealisten, die in anderen Ländern Sanders und Corbyn unterstützen. Das zeigt sich eben auch in der Führungsspitze und der politischen Ausrichtung: während der Wagenknecht-Flügel für die echten Old-Postsozialisten steht, die Angst vor dem gesellschaftlichen Niedergang haben, steht die Parteivorsitzende Katja Kipping für die jungen Internationalisten, die für ein offenes Land eintreten. Kipping sieht die Zukunft der Partei in der langfristigen Gewinnung dieser Schichten, während Wagenknecht als Verteidigerin nationalistisch orientierter Arbeiter- und Arbeitslosenmilieus eintritt. Dauerhaft lassen sich beide Gruppen nicht in einer Partei zusammenbinden.

                    Ihre These stimmt also nicht, dass die SPD „langsam“ an den linken Rand verlor. Die Stammwählerschaft der SPD erodierte schon Ende der Achtzigerjahre kontinuierlich, die Zugewinne in den späten Neunzigern sind im wesentlichen am Überdruss an den Konservativen zurückzuführen. Deren Stammwählerschaft schrumpfte zwar auch, aber langsamer. Sichtbar wurde das in den Landtagswahlergebnissen der letzten 20 Jahre, wo erst und vor allem die Sozialdemokratie häufig erdrutschartig verlor und erst später sich auch solche Niederlagen bei der CDU zeigten. Stammwähler verlassen nicht plötzlich an einem Stichtag ihre bevorzugte Partei und kehren ebenso blitzartig zurück. Gerade solche Veränderungen geben ein Gefühl, was tatsächlich Stammwählerschaft ist – und was nicht. Die Zugewinne der SPD von 1994 auf 1998 waren jedenfalls keine Stammwähler. Somit schönen sie den Durchschnittswert vor 2005 erheblich, weil Sie den stetig wachsenden Anteil an volatilen Schichten einfach als „Stamm“ rechnen, den die SPD aufgrund ihrer angeblich unsozialen Politik verprellt habe. Ihnen kommt nicht der Gedanke, dass ein nicht unwesentlicher Teil 1998 Schröder gewählt hat, weil er sich davon liberale Wirtschaftsreformen versprach, die in den ersten Jahren massiv enttäuscht wurden. Immerhin erzielte gerade die FDP in dieser Zeit stetige Zugewinne und auch die Grünen stabilisierten 2002 die Regierung mit einem guten Ergebnis. Diese Wähler kommen in Ihren Rechnungen nie vor, sie scheint es für Sie nicht zu geben.

                    Es gibt zwei Arten von Nichtwählern: solche, die aus kurzfristiger Verärgerung eine Auszeit nehmen (Beispiel: FDP 2013). Das Gros dieser Wähler hängt linken Parteien an (so mal eine Studie von Emnid) und kehrt nach einmaliger Abstinenz wieder zurück. Der andere Teil gehört zum wütenden, frustrierten Potential (so damals die Beschreibung), die generell für Parteien schwer erreichbar und mit politischen Angeboten zu organisieren sind. Beides passt nicht auf Ihre Beschreibung.

                    2009 forderte die SPD einen Mindestlohn von 7,50 Euro und eine Absenkung des Eingangssteuertarifs, allerdings keine durchgehenden Steuersenkungen. Weitere Forderungen waren die paritätische Finanzierung in der Krankenversicherung und die Bürgerversicherung, des weiteren die Rentenversicherung für alle, armutssicherende Renten und den Einbezug von Selbständigen, sowie den Einstieg in einen früheren Rentenbeginn. So groß sind da die Unterschiede zur Partei der LINKEN nicht.

                    Einige enttäuschte ehemalige SPD-Wähler, die dank Schroeder und Konsorten völlig den Glauben an die Politik verloren haben, dürften übrigens auch bei der AfD angekommen sein

                    Sie meinen Lafontaine-Wähler. Denn diese brachte der Saarländer als Mitgift in die WASG ein. Und genau um diese Wähler kämpft der ehemalige Vorsitzender zweier im Bundestag vertretenen Parteien heute noch. Es sind diejenigen, die er 1989 bei seiner Wiederwahl im Saarland begeisterte, als er die Republikaner aus dem Landtag hielt, die er mit seinem „Fremdarbeiter“-Gerede bei der Stange hielt und die er heute noch mit seiner Abgrenzungspolitik (Wagenknecht: „und dann ist auch das Gastrecht verwirkt“) umwirbt. Diese Wähler wird die SPD tatsächlich kaum gewinnen können, doch dieser Grundkonflikt bestand schon Ende der Achtzigerjahre.

                    • Ralf 5. Dezember 2017, 23:26

                      Ihnen kommt nicht der Gedanke, dass ein nicht unwesentlicher Teil 1998 Schröder gewählt hat, weil er sich davon liberale Wirtschaftsreformen versprach, die in den ersten Jahren massiv enttäuscht wurden. Immerhin erzielte gerade die FDP in dieser Zeit stetige Zugewinne und auch die Grünen stabilisierten 2002 die Regierung mit einem guten Ergebnis. Diese Wähler kommen in Ihren Rechnungen nie vor, sie scheint es für Sie nicht zu geben.

                      Also zunaechst mal zu Ihrem „Trend“ bei der FDP. Der existiert in erster Linie nur in Ihrem Kopf. Anhand der Zahlen laesst sich beim besten Willen kein Trend ausmachen. Die Wahlergebnisse der FDP sind vielmehr erratisch hin und her gehuepft und liegen heute knapp unter dem Wert, den sie bereits 1990 erzielt hatte:

                      11% (1990) -> 6.9% (1994) -> 6.2% (1998)
                      -> 7.4% (2002) -> 9.8% (2005) -> 14.6% (2009)
                      -> 4.8% (2013) -> 10.7% (2017)

                      Ohnehin sind die Ergebnisse gerade der eher rechten kleinen Parteien sehr schwer zu interpretieren bzw. es ist schwer zu ergruenden, was die Motivlage der Waehler dieser Parteien ist. Denn die Waehler der FDP sind bei Weitem nicht nur ueberzeugte Neoliberale. In vielen Jahren kamen signifikante Anteile der FDP-Stimmen von konservativen CDUlern mit dem einzigen Sinn und Zweck die Liberalen ueber die 5%-Huerde zu heben, damit konservative Politik im Kontext einer Schwarz-Gelben Koalition gemacht werden kann. Dazu kommt der „Protestwaehler-Effekt“. In jeder Wahl wendet sich eine signifikante Zahl der Waehler gegen die Regierung, auch wenn sie dieser ideologisch ansonsten eigentlich nahe steht. Im Rahmen einer Grossen Koalition koennen eher links orientierte Waehler, die normalerweise bei der SPD ihr Kreuz machen wuerden, auf die Gruenen oder die LINKE ausweichen. Im rechten Lager hingegen gab es (bevor die AfD ins Leben gerufen wurde) niemanden ausser der FDP. Wer also eher nach rechts neigte und gegen die Grosse Koalition stimmen wollte, dem blieb nur die FDP. Und wer nicht fuer Rechtsextreme stimmen wollte, dem blieb auch in diesem Jahr nur die FDP auf der rechten Seite. Gerade die FDP hat von Effekten wie diesen wieder und wieder profitiert. Und da ihre Wahlergebnisse ohnehin ganz allgemein eher bescheiden sind, machen ein paar Prozentpunkte hier und ein paar Prozentpunkte da zahlenmaessig einen Riesenunterschied (ein Wahlergebnis ist sehr schnell verdoppelt oder halbiert).

                      Und zu Schroeder 1998: Den hat garantiert kaum einer gewaehlt, weil er „liberale Wirtschaftsreformen“ anstrebte. Schroeder trat damals ueberhaupt nicht als Reformer an, sondern als Bewahrer des Alten und Bewaehrten auf eine ein bisschen modernere Art und Weise und mit einem Kabinett, in dem nicht jedes Mitglied weisse Haare hat. Sein Wahlmotto war „Wir werden nicht alles anders machen, aber vieles besser“. Das klingt nun wirklich nicht gerade wie ein Schlachtruf zu radikalen Reformen und fundamentalen Umbruechen. Schroeder machte 1998 einen absolut klassischen SPD-Wahlkampf an der Seite der Gewerkschaften. Nicht nur warb er nicht fuer neue Reformen, sondern er forderte sogar die wenigen Reformen, die unter Helmut Kohl stattgefunden hatten, zurueckzudrehen. So kaempfte er z.B. gegen den demographischen Faktor und beseitigte die entsprechende Rentenformel auch als eine der ersten Amtshandlungen kurz nach Regierungsantritt 1998.

                    • Stefan Sasse 6. Dezember 2017, 06:19

                      Die Gretchenfrage zwischen SPD und LINKE ist zweierlei: NATO und Hartz-IV. Ansonsten sind alle Unterschiede überwindbar.

                    • Stefan Pietsch 6. Dezember 2017, 10:15

                      Also für einen Wissenschaftler argumentieren und analysieren Sie arg freihändig, frei von historischen Einflüssen und demoskopischen Erkenntnissen. Sie nehmen (relative) Wahlergebnisse und setzen allein diese mit Spekulationen und Annahmen in einen Kontext.

                      1990 war für die FDP die berühmte Genscher-Wahl. Sie erinnern sich? Balkon der Prager Botschaft, „Wir sind heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass Ihre Ausreise….“. Der berühmteste unvollendete Satz der deutschen Geschichte. Der Außenminister galt für viele Ostdeutsche als derjenige, der am Ende den Durchbruch für den Fall der Mauer gebracht hatte. Entsprechend wurde die FDP und insbesondere Genscher mit dem ersten Direktmandat seit Jahrzehnten (in seiner Geburtsstadt Halle) honoriert. Die 11% gesamtdeutsch waren das beste FDP-Ergebnis seit 30 Jahren. Zuletzt konnten die Liberalen 1980 ähnlich gut abschneiden, als viele CDU-Wähler ob des Kandidaten Strauß zum geringeren Übel flüchteten.

                      FDP und Grüne bekommen im Osten kein Bein auf den Boden. 9% Gesamtdeutsch sind so 11-12 Prozent im Westen. Vor dem Mauerfall tigerte die Partei meist so bei zwischen 7 und 8 Prozent herum, dies wurde bei den Wahlen 1994 und 1998 bestätigt, als Gesamtdeutsch rund 7 Prozent eingefahren wurden. Wenn Sie sagen, die FDP sei ja nur wieder auf dem Ergebnis von 1990 angekommen, dann heißt das auf dem Niveau einer Sondersituation. Genauso wie bereits 2005 und 2009. Chapeau! Ausnahmesituation wird zur Regel und Sie finden keine belastbare Erklärung.

                      Wie wäre es mit einer Analyse der Gesellschaft? Spätestens mit Aufkommen der New Economy haben wir eine weitere Ausdifferenzierung der Gesellschaft. Wir haben eine wachsende Schicht junger Aufsteiger, mehr Akademiker, Spezialisten in Unternehmen im Alter von 25-40 Jahren und natürlich die Start-up-Szene in Berlin, Hamburg und München. Diese Leute fühlen sich meist nicht zur Union hingezogen und von den Sozialdemokraten abgestoßen. Wenn solche Wählerschichten entstehen und wachsen, ändert sich auch das Wahlverhalten. In Ihre Bewertungen fließen solche Erkenntnisse nicht ein, Sie argumentieren, als sähe unsere Gesellschaft noch wie 1960 aus.

                      Schröder und Müntefering konzipierten den Slogan von der „Neuen Mitte“, was sich nicht zufällig wie „New Labour“ anhörte. Erstmals seit fast zwei Jahrzehnten verzichtete die Partei auf Zusagen von Steuererhöhungen, sondern stellte das Gegenteil in Aussicht. Das Arbeitsrecht sollte reformiert worden.

                      „Wir setzen auf die Kräfte des Marktes und die Leistungsbereitschaft der Menschen.“ Nein, das ist nicht aus dem FDP-Programm, das ist SPD, wie man es danach nicht mehr gelesen hat.

                      „Verbindung von Leistung, Wettbewerb und sozialer Verantwortung“.
                      „Kombination von Angebots- und Nachfragepolitik“
                      „Mittelstand und Existenzgründer stärken: Senkung von Sozialabgaben und Bürokratieabbau“.
                      http://library.fes.de/pdf-files/bibliothek/retro-scans/a98-04467.pdf

                      So liest sich das weiter. Würden Sie jetzt Ihre Aussage nochmal wiederholen, dass Schröder zumindest von einem Teil des Zuwachses nicht wegen liberalen Wirtschaftsreformen gewählt wurde, wenn die SPD genau das 1998 propagierte?

                    • Jens 7. Dezember 2017, 07:51

                      Wir haben eine wachsende Schicht junger Aufsteiger, mehr Akademiker, Spezialisten in Unternehmen im Alter von 25-40 Jahren und natürlich die Start-up-Szene in Berlin, Hamburg und München. Diese Leute fühlen sich meist nicht zur Union hingezogen und von den Sozialdemokraten abgestoßen. Wenn solche Wählerschichten entstehen und wachsen, ändert sich auch das Wahlverhalten.

                      Hier stimme ich zweifelslos zu, aber auch diese Schichten merken irgendwann merken, mit Hipp sein alleine, sieht es auf dem Konto auch nicht besser aus. Ich glaube auch in diesen neuen Schichten wird sich irgendwann die Erkenntnis breit machen, dass Lohnerhöhungen nicht vom Himmel fallen.

                      Jeder kann im Kapitalismus reich werden,…

                      … aber nicht Alle 😉

                      Bei den Auslieferungsfahren für Foodora ist der Groschen schon gefallen.

                      http://www.taz.de/!5461657/

                      Und nicht jeder der in einem Start UP arbeitet partizipiert daran, wenn das Start UP bei Erfolg für Millionen verkauft wird. Ich denke es dauert noch ein paar Jahre, dann dämmert es diesen Leuten zunehmend, dass sich eigentlich nichts wirklich ändert nur weil man im Büro eine Tischtennisplatte stehen hat und Mate für umme trinken kann.

                      In den USA und UK gibt es gerade bei der Jugend einen Trend hin zu ehemals linken „Ideologien“, Bernie Sanders und Corbyn profitieren davon. Da bislang alles aus den USA mit Verzögerung irgendwann auch bei uns ist, wird auch dieser Trend zu uns kommen.

                      Unser derzeitiger Kapitalismus hat zur Zeit einfach den globalen Trend die Ungleichheit zu verstärken, dass wird irgendwann linke Parteien Mehrheiten bringen.

                    • Ralf 7. Dezember 2017, 03:26

                      Also für einen Wissenschaftler argumentieren und analysieren Sie arg freihändig, frei von historischen Einflüssen und demoskopischen Erkenntnissen. […]
                      1990 war für die FDP die berühmte Genscher-Wahl. Sie erinnern sich? Balkon der Prager Botschaft, „Wir sind heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass Ihre Ausreise….“. […] Die 11% gesamtdeutsch waren das beste FDP-Ergebnis seit 30 Jahren. […]
                      FDP und Grüne bekommen im Osten kein Bein auf den Boden. […] Wenn Sie sagen, die FDP sei ja nur wieder auf dem Ergebnis von 1990 angekommen, dann heißt das auf dem Niveau einer Sondersituation.

                      Sie argumentieren 1990 sei eine Sondersituation fuer die FDP gewesen und natuerlich haben Sie Recht. Aber es ist doch erstaunlich, dass sich diese Sondersituation kein Stueck auf die Folgewahlen ausdehnen liess. Wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass es in der ehemaligen DDR ja keine Stammwaehlerschaft gab und keine engere Parteibindung an die im wesentlichen aus dem Westen kommenden Parteien. Jede Partei haette es in diesem Umfeld zur Volkspartei schaffen koennen. Und die FDP hatte einen riesigen Startvorteil. Schliesslich hatte Genscher auf besagtem Balkon in der Prager Botschaft gestanden und nicht Oskar Lafontaine oder Joschka Fischer. Sind Sie kein bisschen verwundert, dass die Liberalen, eine Partei, die sich als den Leuchturm der Freiheit sieht, in einer Region, die noch wenige Jahre zuvor von Mauern umgeben war, in der die Menschen eingesperrt waren, in der an der Grenze auf Fluechtende geschlossen wurde, in der die Menschen von Millionen Spitzeln auf Schritt und Tritt belauscht und drangsaliert wurden, keinen Fuss auf den Boden bekamen?

                      Und hier nur mal eine lustige Korrelation, um Ihren „Trend“ der FDP weiter infrage zu stellen. Es geht wiederum um die FDP-Wahlergebnisse bei Bundestagswahlen:

                      11% (1990)
                      -> FDP regiert, minus 4.1% auf 6.9% (1994)
                      -> FDP regiert, minus 0.7% auf 6.2% (1998)
                      -> FDP in Opposition, plus 1.2% auf 7.4% (2002)
                      -> FDP in Opposition, plus 2.4% auf 9.8% (2005)
                      -> FDP in Opposition, plus 4.8% auf 14.6% (2009)
                      -> FDP regiert, minus 9.8% auf 4.8% (2013)
                      -> FDP in Opposition, plus 5.9% auf 10.7% (2017)

                      Statt einem „Trend“ sieht es so aus als wenn die FDP schlicht jedes Mal verliert, wenn sie in der Regierung ist und jedes Mal hinzugewinnt, wenn sie in der Opposition ist. Irgendwie nicht so total verwunderlich, oder? Und man braucht weder historische noch demoskopische Details, um die Korrelation zu erklaeren. Moeglicherweise ist die Sache garnicht so wahnsinnig kompliziert …

                      Wie wäre es mit einer Analyse der Gesellschaft? Spätestens mit Aufkommen der New Economy haben wir eine weitere Ausdifferenzierung der Gesellschaft. Wir haben eine wachsende Schicht junger Aufsteiger, mehr Akademiker, Spezialisten in Unternehmen im Alter von 25-40 Jahren und natürlich die Start-up-Szene in Berlin, Hamburg und München. Diese Leute fühlen sich meist nicht zur Union hingezogen und von den Sozialdemokraten abgestoßen. Wenn solche Wählerschichten entstehen und wachsen, ändert sich auch das Wahlverhalten. In Ihre Bewertungen fließen solche Erkenntnisse nicht ein, Sie argumentieren, als sähe unsere Gesellschaft noch wie 1960 aus.

                      Spielt das Segment derjenigen jungen Akademiker, die kategorisch weder CDU noch SPD waehlen, wirklich eine so riesige Rolle? Die Gesamtzahl der Waehler der Gruenen und der FDP duerfte diese Gruppe in etwa approximieren (auch die LINKE hat einige dieser hochgebildeten Waehler, aber es ist wohl nicht die Mehrheit):

                      1990: FDP+Gruene 16.0%
                      1994: FDP+Gruene 14.2%
                      1998: FDP+Gruene 12.9%
                      2002: FDP+Gruene 16.0%
                      2005: FDP+Gruene 17.9%
                      2009: FDP+Gruene 25.3%
                      2013: FDP+Gruene 13.2%
                      2017: FDP+Gruene 19.6%
                      Durchschnitt ist: 16.9%

                      Sehr viel Entwicklung bzw. eine deutliche (und stetige) Zunahme dieser Waehler kann ich in diesen relativen Zahlen nicht erkennen. Und auch absolut haben diese Waehler nicht signifikant zugenommen, denn die Wahlbeteiligung fiel zumindest zwischen 1998 und 2009 kontinuierlich, um dann 2013 minimalst anzusteigen und erst 2017 waren wieder deutlich mehr Waehler zu verzeichnen.

                      Ich glaube Sie ueberbewerten die Bedeutung hochgebildeter Akademiker, die weder die CDU noch die SPD attraktiv finden …

                      „Wir setzen auf die Kräfte des Marktes und die Leistungsbereitschaft der Menschen.“ Nein, das ist nicht aus dem FDP-Programm, das ist SPD, wie man es danach nicht mehr gelesen hat.
                      […]
                      Würden Sie jetzt Ihre Aussage nochmal wiederholen, dass Schröder zumindest von einem Teil des Zuwachses nicht wegen liberalen Wirtschaftsreformen gewählt wurde, wenn die SPD genau das 1998 propagierte?

                      Programme werden von Waehlern normalerweise nicht gelesen und Parteien werden folglich auch nicht wegen ihrer Programme gewaehlt. Eraehlen Sie mir das nicht staendig? Was fuer die uebergrosse Mehrheit der Waehler zaehlt, sind die Themen, die im Fernsehen behandelt werden, sowie die Slogans, die auf Plakaten das Image der Partei und der Kandidaten definieren. Und da trat die SPD nicht mit einem „revolutionaeren“ Image an, sondern mit dem Image eines Bewahrers des Bewaehrten („wir werden nicht alles anders machen, aber vieles besser“). Schroeder bot sich einem kohl-mueden Volk als junge, dynamische Alternative an, die dafuer sorgen wird, dass alles beim Alten bleibt, dabei aber irgendwie moderner aussieht. Wer harte neoliberale Reformen wollte, die das Land von Grund auf umkrempeln, waehlte 1998 FDP.

                    • Stefan Pietsch 7. Dezember 2017, 10:51

                      Aber es ist doch erstaunlich, dass sich diese Sondersituation kein Stück auf die Folgewahlen ausdehnen ließ. Wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass es in der ehemaligen DDR ja keine Stammwählerschaft gab und keine engere Parteibindung an die im wesentlichen aus dem Westen kommenden Parteien.

                      Das ist keineswegs verwunderlich. 1990 war im Osten eine reine Dankbarkeitswahl, ungeachtet politischer Ziele. Und es ist ja keineswegs so, dass alle bei Null starteten. Die SED-PDS begann mit dem höchsten Parteivermögen und verschob dies geschickt in Steueroasen, ganz im Unterschied zu den ehemaligen Bruderparteien, die zum Teil verboten und das Vermögen der Staatskasse überführt wurde. Und vergleichbar zu den Wählerschaften in den ehemaligen Bruderstaaten neigen die gelernten DDR-Bürger zu gemeinschaftlich denkenden Parteien, wo das Individuum hinter die Gemeinschafts-, nationalen, Gruppen- und völkischen Interessen zurückstehen muss. Anhänger von FDP und Grünen denken genau umgekehrt. Daran lässt sich auch zeigen, welche Verwüstungen der real existierende Sozialismus in den Köpfen der Menschen für Generationen angerichtet hat.

                      Sie scheinen es auch für natürlich zu halten, dass sich das Elektorat weitgehend in Stammwähler aufteilt. Das ist in vielen Demokratien nicht so, in einigen, vor allem alten, werteorientierten (Religiosität) schon.

                      Statt einem „Trend“ sieht es so aus als wenn die FDP schlicht jedes Mal verliert, wenn sie in der Regierung ist und jedes Mal hinzugewinnt, wenn sie in der Opposition ist.

                      Das ist nicht einfach zu bewerten, da die FDP in den letzten 20 Jahren ein einziges Mal in der Regierung war und danach historisch schlecht abschnitt. Nimmt man Sondereffekte raus (ein solcher war auch der Koalitionswechsel vor der Wahl 1983), dann war die Partei meist stabil. Das ist zwar nicht sehr solide, da wir dazu in 40 Jahren nur wenige Bundestagswahlen haben (1976, 1987, 1998), aber immerhin erkennbar. Bei den Grünen war es 2002 und 2005 ähnlich. Dass diese Parteien automatisch verlieren, wenn sie Regierung sind, ist nicht ausgemacht.

                      Spielt das Segment derjenigen jungen Akademiker, die kategorisch weder CDU noch SPD wählen, wirklich eine so riesige Rolle? Die Gesamtzahl der Wähler der Grünen und der FDP dürfte diese Gruppe in etwa approximieren.

                      Soziologen identifizieren mindestens 15-18 gesellschaftliche Typen, um die 6 Parteien werben. Auch die LINKE wird von manchem Unternehmer gewählt, aber eben nicht typischerweise. Diese Schichten sind aber nicht stabil, sondern verändern sich. Entweder wachsen sie, oder sie schrumpfen. Die Arbeitermilieus sind z.B. deutlich zurückgegangen, ein Teil ist heute langzeitarbeitslos, anderer gestorben und wurden ersetzt von gut ausgebildeten Fachhochschülern. In jedem Fall verschieben sich Interessen und damit politische Präferenzen. Eine Partei, die ihr politisches Angebot über Jahrzehnte unverändert hält, wird wahrscheinlich verschwinden. Die Gewinnung neuer Schichten bedeutet umgekehrt nicht, dass die Partei dauerhaft wächst, schließlich ist der Wählermarkt am Ende immer nur 100%. Beispiel FDP: Seit die Liberalen für die Liberalisierung des Apothekermarktes eintreten und die Verbreitung von Internetapotheken mit Wohlwollen begleiten, verlieren sie ein Teil dieser Schicht an die Union, insbesondere die CSU. Ich kenne solche Leute persönlich, die mir gesagt haben, sie werden diesmal die FDP auf keinen Fall wählen.

                      Programme werden von Wählern normalerweise nicht gelesen und Parteien werden folglich auch nicht wegen ihrer Programme gewählt. Erzählen Sie mir das nicht ständig?

                      Ja. Aber jetzt sind Sie in eine Zwickmühle gelaufen. Warum schreiben die Sozialdemokraten so einen Unsinn gleich in die Präambel ihres Programms, nicht aber bei Folgewahlen? Die Antwort: Programme sind für Funktionäre und bestenfalls noch für Mitglieder. Und sie sind für die Medien zur Multiplikation. Warum hat der Parteitag nun aber solche erklärten Ziele zugelassen? Antwort: weil die Zeit danach war. Über mehrere Jahre hatten alle Parteien über eine Vereinfachung des Steuersystems debattiert mit einem klaren, einheitlichen Trend über alle Grenzen hinweg: niedrigere Sätze bei Streichung der Ausnahmen und mehr Pauschalierungen. Beim Arbeitsrecht waren die Deutschen mürbe, dass kein Aufschwung zum Abbau von Arbeitslosigkeit führte, Vorbilder waren so unterschiedliche Länder wie USA, UK, Neuseeland und Skandinavien.

                      Der SPIEGEL stellte damals fest, dass die SPD eine geschickte Doppelstrategie fuhr: einerseits Beruhigung der Strukturkonservativen, andererseits Attraktivität für die Jungen, Ungeduldigen, unternehmerisch Interessierten. Das wurde verkörpert in den Personen Lafontaine und Schröder als auch in den beiden Slogans. Machen wir es persönlich: Sie haben damals SPD gewählt, weil Sie mehr Soziales wollten, und ich habe Schröder gewählt, weil ich genau mehr Bewegung und mehr Liberalisierung wollte. Eine Möglichkeit: einer von uns ist der Idiot. Zweite Möglichkeit: die Partei hat uns beide geschickt angesprochen, wodurch überhaupt erst ein solches Wahlergebnis möglich war. Ich behaupte von Beginn an genau dies. Folglich war ich in den Monaten und ersten Jahren danach bitter enttäuscht, als ich in der Wirtschaftsprüfung miterleben musste, wie Lafontaine und Riester im Konzert das Wirtschaftsleben verbürokratisieren und die Steuerreform auf sich warten ließ. Immerhin kam der SPD die Spendenaffäre der CDU zupass. Heute wählen Sie die LINKE und ich die FDP, die SPD hat also uns beide verloren, nur aus höchst unterschiedlichen Gründen. Während mir das aber bewusst ist, bestreiten Sie, dass es mich 1998 gegeben hat.

                    • Stefan Pietsch 7. Dezember 2017, 11:22

                      (..) aber auch diese Schichten merken irgendwann merken, mit Hipp sein alleine, sieht es auf dem Konto auch nicht besser aus. Ich glaube auch in diesen neuen Schichten wird sich irgendwann die Erkenntnis breit machen, dass Lohnerhöhungen nicht vom Himmel fallen.

                      Schön, der Bürger muss erzogen werden, dahin, was ihm wirklich gut geht. Ein Liberaler hätte das nie so formuliert, wohl aber ein Anhänger der LINKEN. Parteien sind für die Wähler da und sie müssen passende Angebote unterbreiten. Sie müssen Interessen organisieren und nicht den Bürger bevormunden.

                      In den USA und UK gibt es gerade bei der Jugend einen Trend hin zu ehemals linken „Ideologien“, Bernie Sanders und Corbyn profitieren davon.

                      Ich wäre äußerst vorsichtig mit der Verallgemeinerung solcher „Trend“. Erstens orientieren sich junge Menschen sehr stark an Moden, gerade wenn sie personenbedingt daherkommen. Diese Bewegungen hängen an einzelnen Personen, die jahrzehntelang für das immer Selbe standen und stehen. Es gibt auch einen wachsenden Markt für Schallplatten, nur sind die Verkaufszahlen immer noch nicht mit den Erlösen aus digitalen Aufnahmen vergleichbar. Zweitens sind die beiden Herren schon sehr alt, weit jenseits des Renteneintrittsalters. Sie werden kaum noch die politische Agenda über Jahre bestimmen können, sie bleiben damit Idole. Drittens ist der relative (!) Erfolg nicht einfach übertragbar, in Frankreich konnte Jean-Luc Mélenchon nicht zu einem zweiten Corbyn aufsteigen. Viertens wählen in Deutschland die Sanders-Anhänger bereits die LINKE, aber da kommt uns die Demographie in die Quere: der Anteil der Wähler unter 30 ist hierzulande weit geringer als in den USA.

                      Unser derzeitiger Kapitalismus hat zur Zeit einfach den globalen Trend die Ungleichheit zu verstärken, dass wird irgendwann linke Parteien Mehrheiten bringen.

                      Die Erwartung kenne ich, seit ich Politik verfolge. Wenn es sich 35 Jahre nicht bewahrheitet, gehe ich davon aus, dass die Erlösung auch in Zukunft noch auf sich warten lassen wird. 😉

                    • Jens 7. Dezember 2017, 14:59

                      Wenn man in Corbyn und Sanders nur einen Personenkult sieht haben sie bestimmt recht. Nur glaube ich, dass bei beiden die Inhalte im Vordergrund standen. Diverse Vorschläge Corbyns finden zur Zeit in der UK Mehrheiten bei den Umfragen. Das klingt nicht nach Teenyidol.

                      Aber diese Diskussion hatten wir schon.

                    • Stefan Sasse 7. Dezember 2017, 16:43

                      Vielleicht macht es einfach die Mischung?

                    • Jens 7. Dezember 2017, 22:37

                      Möglich. Letztlich spekulieren wir doch alle, oder?

                • Stefan Sasse 6. Dezember 2017, 06:16

                  80 Millionen 😉

                  • Stefan Pietsch 6. Dezember 2017, 09:19

                    Laut Statistischem Bundesamt 82 Millionen. Wäre ja peinlich gewesen, wenn es einen rechnerischen Bevölkerungsanstieg gegeben hätte und mir Jens das um die Ohren gehauen hätte.

                    • Stefan Sasse 6. Dezember 2017, 11:52

                      Ich dachte diese Volkszählung jüngst hätte 80 Millionen ergeben? Weird.

                    • Stefan Pietsch 6. Dezember 2017, 13:50

                      Du weißt doch, dass uns Menschen geschenkt wurden. 😉 Tatsächlich waren wir 2011 / 2012 bei 80 Millionen, aber nun sind es halt ein paar mehr Nasen. Es geht ja darum, dass der Bevölkerungsstand seit 2005 gleich hoch ist, die Altersstruktur sich nach oben verschoben hat, aber dennoch 4,5 Millionen Menschen mehr erwerbstätig sind. Das ist keine normale Entwicklung, sondern offensichtlich dadurch bedingt, dass Deutschland zum Jobmotor der EU geworden ist.

                    • Jens 6. Dezember 2017, 23:04

                      So gewalttätig bin ich nun auch wieder nicht 😉

                • Jens 6. Dezember 2017, 18:48

                  Moin,

                  hier die Summe der Wählerwanderung von und zu SPD
                  aus 2009, 2013, 2017
                  Verloren an Nichtwähler : 920.000
                  Verloren an Linke: 65.000
                  Gewonnen von Grünen: 48.000
                  Verloren an CDU 265.000
                  Gewonnen von FDP 51.000
                  Verloen an AFD 650.000
                  Quellen:
                  http://www.hr-online.de/website/archiv/2009/index.jsp?rubrik=59767&key=standard_document_39616621
                  https://de.statista.com/statistik/daten/studie/37831/umfrage/waehlerwanderung-bei-der-spd-bei-der-bundestagswahl/
                  https://de.statista.com/statistik/daten/studie/753464/umfrage/waehlerwanderung-von-und-zu-der-spd-bei-der-bundestagswahl/

                  Meine Interpretation. Die meisten Verluste gehen auf das Konto Nichtwähler. Das sind überwiegend Wähler die keine Hoffnung mehr auf die Politik setzen, und offenbar von SPD tief entäuscht.
                  Das die Linke nicht davon profitiert zeigt wie groß der Graben zwichen den beiden Parteien ist.
                  Die Verluste an die CDU sind ein Indiz, dass sich Merkels Öffnung nach links auszahlt.
                  Die Erfolge der AFD bei SPD Wählern errineren mich daran, dass die Nazis, auch das sozialistisch im Namen führten. Leider sehr erfolgreich waren und es keine gute Sache ist, wenn die Demokratie immer mehr Menschen von den Zuwächsen der Volkswirtschaft abkoppelt.

                  Gruß in die Runde

                  Jens

                  P.S. Jemand könnte die Zahlen mal kontrollieren, habe diesen Beitrag zugegebenermaßen ziemlich hingerotzt, da ich leider wenig Zeit habe. Finde die Diskussion aber spannend.

                  • Stefan Pietsch 6. Dezember 2017, 20:07

                    Klingt plausibel und auf den ersten Blick auch aussagekräftig. Allerdings nicht auf den Zweiten. Durch die Addition der selektiven (!) Bewegung mehrerer Perioden gibt es keinen Vergleich 2005-2017. Beispiel: 2009 blieb jemand, der 2005 noch die SPD gewählt hatte, abstinent. Anschließend schloss er sich der CDU an, bis er diesmal wieder zur SPD zurückging. Im Saldo sieht das so aus wie Sie es kommentiert haben: Wähler haben es aufgegeben. Gleichzeitig wird der Aderlass zur Union geschönt, da wir eine Saldierung von Zahlen haben, möglicherweise ist der Gewinn der CDU aus dem SPD-Lager weit höher.

                    Die Auswertung berücksichtigt darüber Kenntnisse über den Charakter von Nichtwählern nicht. Tatsächlich hatten wir 2017 fast die gleiche Wahlbeteiligung wie 2005. Die Zahlen legen nahe, dass die Anhänger der SPD heute häufiger nicht wählen als vor 12 Jahren. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass die Mobilisierung der anderen Parteien deutlich zugenommen hat. Dafür gibt es in der Gesamtheit aber keine belastbaren Anhaltspunkte. Eher ist also anzunehmen, dass diejenigen, die aus Frust einmal nicht zur Wahl gegangen sind, sich danach einer anderen Partei angeschlossen haben. Denn wir wissen: gerade solche Wähler, die aus einer Enttäuschung aussetzen, dies nicht dauerhaft tun. Stellt sich also die Frage: wo haben sie eine neue politische Heimat gefunden? Es spricht einiges dafür, dass es Anhänger Schröders waren, die nach dem Abgang ihres Idols CDU oder FDP gewählt haben. Es sind die Parteien, die seit 2005 über mehrere Wahlperioden profitiert haben. Dies würde zumindest erklären, warum die verbliebenen Unionswähler zu 2/3 zufrieden mit Merkels Flüchtlingspolitik sind.

                    Womit wir beim Thema wären. Die Verluste an die AfD stammen in wesentlichen aus einer einzigen Periode. Von der Wählerbefragung wissen wir aber, dass AfD-Wähler vor allem unzufrieden mit dem Umgang mit Flüchtlingen sind, nicht, dass sie sich vor allem um Steuern und Abgaben sorgen oder dass das soziale Netz nicht genügend ausgebaut wäre. In den letzten Jahren sind einige prominente Amtsträger, z.B. aus NRW von der SPD zur AfD gewechselt, Personen also, hinter denen Wähler stehen. Sie gaben an, dass es die liberale Ausländerpolitik der SPD war, die sie vertrieben habe. Das herrschende Motiv: Sozialneid.

                    Es gehört zum Grundlagenwissen von Demoskopen, dass die Klientel der Sozialdemokraten auf diesem Fuß sensibel ist. Das wusste übrigens schon Lafontaine Ende der Achtzigerjahre.

                    • Jens 6. Dezember 2017, 22:39

                      Ich stimme zu das man die Summe nicht für bare Münze nehmen kann, aus den Gründen die sie beschreiben. Aber als Trend taugt es schon. Die AFD Zahlen sehe ich auch nur bedingt aussagekräftig, da auch die anderen etablierten Parteien an sie verloren haben, also nicht unbedingt ein rein SPD affiner Grund vorliegen kann.

                      Aber der große Verlust an die Nichtwähler und an die CDU ist schon auffällig.

                      Ob Sozialneid wirklich so eine entscheidende Rolle spielt bei den Wechselwählern zur AFD bezweifele ich etwas. In manchen Stadtteilen im Ruhrgebiet haben die Leute das Gefühl die Fremden im eigenen Land zu sein.

                      Hinzu kommt, dass die Ober- und Mittelschicht relativ wenig Kontakt zu den Zugewanderten hat. Sie wohnen in anderen Stadtteilen, kaufen in der Regel woanders ein und haben selten die gemeinsame Arbeitsstelle etc.

                      Die Leute aus der Unterschicht, sind da viel näher dran und die Reibungspunkte sind da zwangsläufig höher.

                    • Stefan Sasse 7. Dezember 2017, 07:07

                      Ist ja in anderen Ländern auch so. Kein Zufall etwa, dass Corbyn oder Sanders ganz bewusst diese Klientel umwerben, indem sie ihnen mit dem „economic anxiety“-Quatsch eine gesäuberte Lösung zur Rückkehr anbieten.

                    • Stefan Pietsch 7. Dezember 2017, 11:29

                      Aber der große Verlust an die Nichtwähler und an die CDU ist schon auffällig.

                      Es beantwortet aber nicht die weiterführende Frage, was mit der mit Abstand größten Gruppe, eben den Nichtwählern geworden ist. Dass sie dauerhaft der Politik fern geblieben sind, ist nicht gegeben. Sind sie jedoch zu CDU, FDP und AfD abgewandert, ergeben sich jeweils andere Schlussfolgerungen. Und nur diese Parteien kommen am Ende in Frage, denn das rechte Parteienspektrum hat sich seit 2005 deutlich ausgedehnt. Die von mir publizierte DIW-Studie zeigte, dass sich die Wähler von Union und SPD in den sozioökonomischen Daten deutlich angenähert haben. Damit konkurriert man mit der CDU um die zum Teil gleichen Wähler, nicht mit der LINKEN. Wenn diese Wähler aber von der Union mehr angesprochen werden als von der SPD, warum sollte ein an der LINKEN orientierte Programmatik diese Wähler zurückbringen?

                      Ob Sozialneid wirklich so eine entscheidende Rolle spielt bei den Wechselwählern zur AFD bezweifele ich etwas. In manchen Stadtteilen im Ruhrgebiet haben die Leute das Gefühl die Fremden im eigenen Land zu sein.

                      Das meinte ich mit Sozialneid.

                    • Ralf 8. Dezember 2017, 03:56

                      @ In Dubio

                      Ich stimme Ihnen zu, dass die SPD heute mehr mit der CDU um Waehlerstimmen konkurriert als mit der LINKEn. Eigentlich belegt das meine vielmals geaeusserte These, dass die SPD eine Mitte-Rechts-Partei geworden ist und folglich auch ihre Waehler im Mitte-Rechts-Sektor sucht. Da wo eben auch die Mehrheit der CDU-Waehler zu finden ist.

                      Ihr grundsaetzliches Problem aber scheint mir, dass Sie dazu neigen CDU/CSU, FDP und AfD staendig in einen „Rechts-Block“ zusammenzupacken, so als waeren diese Parteien alle miteinander vergleichbar. Als Mitte-Rechts-Partei hat die CDU aber sowohl Waehler in der Mitte als auch Waehler nahe des rechten Randes. Und das mitte-affine Waehlersegment hat sehr wahrscheinlich voellig andere Vorstellungen und ist auch nicht koalitionswillig mit der AfD. Die CDU wurde gerade unter Merkel attraktiv fuer diese Menschen (eine Gruppe, die unter Kohl moeglicherweise dem rechteren Fluegel der SPD zugeneigt war, mit dem Anspruch einer wirtschaftsfreundlichen Politik mit einem gewissen sozialen Augenmass und juengerem, modernerem Anstrich (also ohne Oggersheim und Saumagen)). Zieht die CDU scharf nach rechts, z.B. indem Koalitionen mit der AfD nicht mehr ausgeschlossen werden, duerfte ein Grossteil dieser Waehler zurueck zur SPD oder hin zu den Gruenen wandern. Der „rechte Block“ wuerde schlagartig wesentlich kleiner und haette moeglicherweise bald keine Mehrheit mehr. Ein Transfer von 9% der Stimmen von CDU und FDP (mittige Waehler duerfte es bei beiden geben) hin ins linke Lager wuerde ausreichen die Mehrheitsverhaeltnisse umzudrehen, und das sogar bei der (aus meiner Sicht zweifelhaften) Annahme, dass die AfD beim naechsten Mal wieder auf 12.6% kommen wird. Wuerde die AfD deutlich schrumpfen, wuerde ein noch viel geringerer Waehlertransfer ausreichen, das „linke Lager“ mehrheitsfaehig zu machen.

                      Und wenn die CDU Koalitionen mit der AfD ausschliesst und sich auf Schwarz-Gelb als einzige Option festlegt, dann kann von einem echten Trend eines Zugewinns des „rechten Lagers“ (in diesem Szenario also definiert als CDU/CSU und FDP alleine) keine Rede mehr sein. Das waere folglich eine extrem gefaehrliche Strategie fuer die CDU. Hier die Daten fuer Schwarz-Gelb (Addition der Ergebnisse von CDU/CSU und FDP):

                      1998 -> 41.3%
                      2002 -> 45.9%
                      2005 -> 45.0%
                      2009 -> 48.4%
                      2013 -> 46.3%
                      2017 -> 43.6%

                      Und zum Vergleich, die Daten fuer einen Rechtsblock aus CDU/CSU, FDP, AfD, NPD, Reps und DVU (nur Ergebnisse >1% sind beruecksichtigt):

                      1998 -> 44.3%
                      2002 -> 45.9%
                      2005 -> 46.6%
                      2009 -> 49.9%
                      2013 -> 52.3%
                      2017 -> 56.2%

                      Die CDU muss sich also wahrscheinlich entscheiden entweder offen fuer Koalitionen mit der AfD einzutreten und damit einen massiven Verlust an Waehlerstimmen in der Mitte hinzunehmen. Und dabei gleichzeitig koalitionsunfaehig mit der SPD und/oder den Gruenen zu werden (keine der beiden kann glaubwuerdig mit einer nationalkonservativen, aggressiv neoliberalen Partei koalieren). Oder die AfD ignorieren und in der Mitte Koalitionsoptionen mit der FDP (Schwarz-Gelb), den Gruenen (Schwarz-Gruen), beiden kleinen Parteien (Jamaika), der SPD (GroKo) oder der SPD und den Gruenen (Kenia) offenhalten. Und dabei auch noch die SPD dauerhaft kleinhalten und folglich den Status der CDU als staerkste Fraktion in der deutschen Politik permanent zu zementieren.

                      Eigentlich ziemlich klar, was hier die bessere Alternative ist …

                    • Stefan Sasse 8. Dezember 2017, 06:49

                      Es kommt halt immer drauf an, was deine Ziele sind. Für Merkel ist klar, was die bessere Alternative ist, aber für die rechten Heinis in der CDU mag der Zugewinn an ideologischer Reinheit und Verzicht auf gesellschaftliche Mehrheitspositionen gerade das attraktive sein.

                    • Ralf 8. Dezember 2017, 07:45

                      Ich argumentiere auf der Basis welche Strategie die staerkere Machtperspektive fuer die CDU bietet. Ideologisch kann man immer unterschiedlicher Meinung sein. Aber es waere irrsinnig anzunehmen, ein Rechtsruck wuerde der CDU helfen ihre Macht zu erhalten.

                    • Stefan Sasse 8. Dezember 2017, 12:15

                      Absolut korrekt und ich bin da auch bei dir. Ich sage nur dass manchen innerhalb der CDU vermutlich die ideologische Perspektive wichtiger ist als die der Macht.

                    • Ariane 8. Dezember 2017, 08:55

                      Zugewinn an ideologischer Reinheit

                      Ich sag doch, die rechten Heinis sind die neuen linken Spinner.^^
                      Jetzt haben wir diese Freakdiskussionen einfach auf beiden Seiten des Spektrums und rechts ist es da gerade wesentlich lauter. 🙂

                    • Stefan Pietsch 8. Dezember 2017, 10:15

                      Ich stimme Ihnen zu, dass die SPD heute mehr mit der CDU um Wählerstimmen konkurriert als mit der LINKEn.

                      Streichen Sie das Wort heute. Es entspricht keiner neuen Erkenntnis, dass die mehrheitsgebenden Schichten weit jenseits der LINKEN liegen, während Sie immer raten, die SPD solle sich dem linken Rand annähern.

                      Eigentlich belegt das meine vielmals geäußerte These, dass die SPD eine Mitte-Rechts-Partei geworden ist und folglich auch ihre Wähler im Mitte-Rechts-Sektor sucht. Da wo eben auch die Mehrheit der CDU-Wähler zu finden ist.

                      Nein, tut es nicht, und das aus mehreren Gründen. Sie selbst verorten ja nur Außenseiter als links. Einerseits behaupten Sie, die „Sozialdemokratisierung“ der CDU sei notwendig und richtig gewesen. Doch dieser Linksruck scheint aus Ihrer Sicht nicht dazu geführt zu haben, dass die Konservativen zumindest teilweise im linken Spektrum angekommen wären. Anscheinend stand die Kohl-CDU soweit rechts, dass selbst eine kräftige Verschiebung des programmatischen Tableaus nicht dazu führt, etwas „links“ zu sein. Das kann man als Unsinn abtun oder auch nicht. Jedenfalls liegen die Nettoeinkommen von CDU- (3.000 EUR) als auch von SPD-Wählern (2.700 EUR) relativ dicht beieinander und im Mittelfeld der Gesellschaft. Und selbst die LINKE ist bei ihren Wählern nicht so weit davon entfernt. Die Milieus der Arbeiter und Arbeitslosen, welche die Linken traditionell als die ihren vereinnahmen, wählen heute wesentlich AfD, die einen entsprechenden nationalen Kurs fährt. Nur, was ist eigentlich der Unterschied zwischen dem nationalen Impetus der AfD und dem des Franzosen Jean-Luc Mélenchon? Für Sie scheint man also grundsätzlich rechts zu sein, wenn man ein Durchschnittseinkommen bezieht, genauso, wie wenn man wenig oder nichts verdient und auf nationale Abgrenzung setzt – es sei denn, man hat einen linken Namen wie z.B. Wagenknecht oder Mélenchon. Mir fehlt für solche Theorien die Überzeugungskraft.

                      Ihr grundsätzliches Problem aber scheint mir, dass Sie dazu neigen CDU/CSU, FDP und AfD ständig in einen „Rechts-Block“ zusammenzupacken, so als wären diese Parteien alle miteinander vergleichbar.

                      Das tue ich nur aus Vereinfachungsgründen. Wie auch zu SPD und Grünen bestehen Schnittmengen, aber auch eigene Profile. Wobei, die Wählerschaft der AfD unterscheidet sich schon stark von den anderen. Es geht aber um etwas anderes. Wenn das linke Lager, wenn insbesondere SPD und Grüne wachsen wollen, müssen sie Angebote an jene machen, die derzeit Union, FDP oder AfD wählen. Obwohl ich diesen Punkt nun mehrfach angerissen habe, scheint man sich dort wie bei den Unterstützern – also auch Sie oder Ariane beispielsweise – zu fein, sich darüber Gedanken zu machen. Die Strategie ist: wir warten einfach, bis der Zug wieder irgendwann bei uns ankommt.

                      Würde die AfD deutlich schrumpfen, würde ein noch viel geringerer Wählertransfers ausreichen, das „linke Lager“ mehrheitsfähig zu machen.

                      Als unternehmerisch denkender Mensch warte ich nicht darauf, dass etwas vom Himmel fällt, sondern arbeite auf ein Ziel hin. Sie können ja gern träumen, es gibt nur kaum Anhaltspunkte, dass Ihr Traum in absehbarer Zeit Realität werden könnte. Zugegeben, Linke leben sehr gut damit, von der glorreichen Zukunft zu träumen, deswegen regieren sie ja auch so selten. Und da treffen wir uns, ich kann mit linken Träumereien auch sehr gut leben, so lange sie mein eigenes Leben in Ruhe lassen.

                      Ihre Überlegungen scheinen, außer theoretisch, nicht substanziert. Sie finden beispielsweise in Europa kein Beispiel, dass die Dinge so laufen. In Österreich, ein Land, das ist mentalitätsmäßig besonders nahe steht, wird bald eine richtige rechts-populistische Regierung ihre Amtsgeschäfte aufnehmen. In den meisten westlichen Demokratien sind die Sozialdemokraten als führende Kraft des linken Lagers marginalisiert, in Italien steht dies für 2018 bevor. Linkspopulisten vom Schlage eines Mélenchon und einer Wagenknecht sind da kein Ersatz, sie erreichen ihre Fans, aber nichts darüber hinaus. Sichtbar sind zwei Modelle: In Spanien und Österreich gibt es die klare Konfrontationslinie zwischen dem traditionellen bürgerlichen Lager, das eine Verbindung mit einem neuartigen Liberalismus eingeht (Spanien) oder mit dem rechtspopulistischen Spektrum. Das andere Modell finden wir in den Niederlanden, in Skandinavien und im Baltikum, wo sehr mittige Christdemokraten ebenfalls Bündnisse mit Populisten, z.B. auch aus dem liberalen Bereich, eingehen.

                      Ihnen wird beides nicht lieb sein, dennoch argumentieren Sie darauf hin.

        • Stefan Sasse 5. Dezember 2017, 11:14

          Der Punkt ist doch: so würde der Wahlkampf aussehen.

        • Ariane 5. Dezember 2017, 14:42

          Da mir das jetzt schon mehrmals aufgefallen ist, wollte ich nur mal anmerken, dass ihr mich nicht zwingend liebe Ariane nennen müsst, wenn ihr widersprechen wollt 😉

          Liebe Ariane, das sieht so aus, als ob Du nur schwarz-weiß kennst.

          Ich? Eigentlich argumentiert ihr doch für einen Rechtsrutsch der Union, ich habe das ganze lediglich weitergesponnen. Übrigens auch, weil von Euch da wenig konkretes außer Kanzlerkandidat Spahn und Flüchtlinge doof kommt. Und das ist für einen Wahlkampf ja ein bisschen wenig und es wäre für die anderen Parteien dann vermutlich nicht allzu schwierig, die neue CDU als ultrakonservativ mit einem Herz aus Stein hinzustellen.
          Ob das der Wahrheit entspricht, sei mal dahingestellt^^

          • Stefan Pietsch 5. Dezember 2017, 15:36

            Da mir das jetzt schon mehrmals aufgefallen ist, wollte ich nur mal anmerken, dass ihr mich nicht zwingend liebe Ariane nennen müsst, wenn ihr widersprechen wollt

            Liebe Ariane, das ist ein professioneller Trick. Während Du Dich in dem sicheren Gefühl sonnst, ach sind die nett, wird hinterrücks die Keule rausgeholt und zugeschlagen. Außerdem ist es natürlich ein Instrument der Herabsetzung von Frauen, das verschafft gleich die bessere Position. Ja, und dann ist klar, dass Du total eingeschüchtert bist. So geht’s. 🙂

            • Ariane 5. Dezember 2017, 16:22

              Das weiß ich natürlich, aber mittlerweile begegne ich jedem Weihnachtskarten- und Liebesbriefschreiber deswegen mit besonders viel Misstrauen 😉

          • Stefan Pietsch 5. Dezember 2017, 15:48

            Die dominierenden Themen der nächsten Jahre werden wahrscheinlich Euro, EU mitsamt BREXIT und seine Folgen, Konsequenzen der Flüchtlingskrise, Terrorismus und Innere Sicherheit und Wohlstands- und Vermögenssicherung sein. Dazu droht uns in 1-2 Jahren ein wirtschaftlicher Einbruch. Während wir uns gerade auf dem Sonnendeck aalen, zieht der Sturm auf.

            Die Konzepte der Linken waren für die Bürger in solchen Phasen nicht überzeugend. Diese haben ihre Kernkompetenz nämlich im Verteilen, das ist aber kein Krisenmodus. Schmidt wurde in einer Wirtschaftskrise abgewählt, weil seine Partei am Ende nichts anderes im Köcher hatte als Steuererhöhungen und ein mehr an Sozialtransfers. Schröder kam bei Sonnenschein ins Amt und verließ es nach der längsten Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte – geschlagen von den eigenen Parteigenossen, die nicht mitmachen wollten, was er als Vertreter des ganzen Volkes für notwendig hielt.

            Die FDP hat ihren Generationenwechsel hinter sich, die CSU hat ihren gerade eingeleitet und die Union wird ihn bei immer noch mit dem besten Nachwuchsreservoir bald vollziehen – ob die neuen Spitzen dann Spahn, Klöckner, McAllister oder Linnemann heißen, ist da ziemlich egal. Nur bei der SPD gibt es nicht mal so etwas wie Hoffnungsträger, die in 5 oder 8 Jahren das Zepter übernehmen könnten. Während bei der CSU nun wiederholt ein ehemaliger Generalsekretär übernimmt, schafften es bei den Sozialdemokraten nach Olaf Scholz nur noch politische Leichtgewichte in den konfrontativen Job (sorry, Ausnahme Nahles, die von Gabriel kleingehalten wurde). In 4 Jahren wird jede Partei personell besser aufgestellt sein als die SPD. So etwas entgeht den Wählern nicht.

            • Ariane 5. Dezember 2017, 16:50

              Die dominierenden Themen der nächsten Jahre werden wahrscheinlich Euro, EU mitsamt BREXIT und seine Folgen, Konsequenzen der Flüchtlingskrise, Terrorismus und Innere Sicherheit und Wohlstands- und Vermögenssicherung sein. Dazu droht uns in 1-2 Jahren ein wirtschaftlicher Einbruch.

              Deine Chuzpe bei solchen Voraussagen ist zwar weiterhin bewundernswert, aber ich erwähnte ja schon, dass ich das für ähnlich seriös halte wie Esmeralda und ihre Glaskugel auf dem Rummel.

              Aber bitte, ich lass mich darauf ein. Es wäre ja noch viel verrückter mitten in einer Wirtschaftskrise Merkel zu schassen und durch irgendeinen Unbekannten zu ersetzen (und ja Spahn gehört da auch mit rein). Und während die Wirtschaft den Bach runtergeht, kämpft Linnemann oder sonstwer dann auch noch um die Sicherung von Vermögen? Von Zahnarztgattin Sophie, die ihren SUV behalten will oder was?
              Jep, das wird bestimmt ein super Erfolg.

              • Stefan Pietsch 5. Dezember 2017, 17:16

                Deine Chuzpe bei solchen Voraussagen ist zwar weiterhin bewundernswert, aber ich erwähnte ja schon, dass ich das für ähnlich seriös halte wie Esmeralda und ihre Glaskugel auf dem Rummel.

                Die lustige Antwort: natürlich ist das nicht seriös und ich liege auch des Öfteren daneben.

                Die ernsthafte: zu meinem Geschäft gehören Prognosen und dazu orientiert man sich dann im Professionellen an Standards (so wie die Vergangenheit wird die Zukunft), Abgleich mit Erwartungen (in der Zukunft wird alles rosarot) u.ä. Zu meinen Methoden gehört noch die Musteridentifizierung und der Abgleich von Trends wie von Indikatoren. Dass der BREXIT die europäische Politik noch etwas über 2019 hinaus beschäftigen wird, ist keine schwere Prognose. Dass es in nächster Zeit zu einem weltweiten Abschwung kommen wird, im Grunde auch nicht. Sowohl in Nordamerika als auch im Kernland Europas läuft die Konjunktur heiß, sind die Kapazitäten überausgelastet. Dazu kommt eine seit Jahren sehr lockere Geldpolitik, die auf den Aktien- und Immobilienmärkten hat Blasen entstehen lassen. Bei einer solchen Gemengelage ist es immer wieder zu deutlichen Korrekturen durch Rezessionen gekommen und die ersten Frühindikatoren zeigen dies bereits an.

                Nur glauben tut das noch keiner. Auch für nächstes Jahr ist Wirtschaftswachstum angesagt. Parteien haben nicht den langfristigen Plan „wann ist denn ein guter Zeitpunkt zum Wechsel“. Ich wäre natürlich schon sehr interessiert zu erfahren, wie die CDU den Wechsel nach der Ewigkeitskanzlerin hinbekommt. Nur eins ist sicher: er wird kommen und hinterher werden wir sagen: na ja, das war zwangsläufig. Mein Tipp lautet Julia Klöckner, aber das ist wirklich nur eine Momentaufnahme, Überraschungen inklusive. Merkel hat ja niemanden aufgebaut und der Nachwuchs hat Handicaps: Klöckner hat beim Karrieresturm eine sichere Landtagswahl vergeigt, Spahn fehlen ein paar Jahre, Linnemann ist einseitig beleumundet und bisher ohne großes öffentliches Amt, McAllister erlitt in Niedersachsen ebenfalls einen Karrierebruch und robbt sich nun in Brüssel mühselig wieder ran, Annegret Kramp-Karrenbauer ist zu linksliberal, zu deutlich Merkelianerin und wahrscheinlich zu sehr Saarländerin für den Sprung nach Berlin – und zudem die älteste aller Protagonisten.

            • Stefan Sasse 6. Dezember 2017, 05:46

              Deinen Mut die Themen der nächsten Jahre vorherzusagen habe ich nicht. 🙂

      • Stefan Sasse 5. Dezember 2017, 11:08

        Zustimmung.

  • Floor Acita 7. Dezember 2017, 10:18

    @StafenSasse
    „Ist ja in anderen Ländern auch so. Kein Zufall etwa, dass Corbyn oder Sanders ganz bewusst diese Klientel umwerben, indem sie ihnen mit dem „economic anxiety“-Quatsch eine gesäuberte Lösung zur Rückkehr anbieten.

    Weil es im Rust belt auch so viele Migranten gibt… Die „economic anxiety“ ist wohl eher auf Struktur-/Austeritätsprogramme zurückzuführen (und wird sehr wohl auch so verstanden). Im momentanen Klima der NFL-Proteste und black lives matter glaube ich kau, dass es „dog whistles“ sind die eine Mehrheit der Afro-Amerikanischen Jugend bis in die späten 30er erreicht und einen zum populärsten Politiker machen. Die Corbyn-Hochburgen inmitten von London sind jetzt auch nicht gerade Brexit/UKIP-Zentren – bin mir ziemlich sicher, dass Corbyn’s erfolgreichste Wahlkreise proportional zur Anzahl dort lebender Flüchtlinge/Migranten sind – näme man an, dass dieser Fakt dort lebende UK-Bürger frustrieren würde, gäbe es vielleicht Sinn – nur dass die Brexit-Wahl das genaue Gegenteil gezeigt hat -> die Wahlkreise mit den meisten Flüchtlingen hatten die meisten Remain-Wähler…

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