Grüne Fundis im Kreuzzug gegen das Ehegattensplitting

Es ist erstaunlich ruhig an der Steuerfront. Hier und da werden ein paar vergangene Schlachten über Progressionen geführt, aber ansonsten beschäftigt sich die große Politik wie in eigentlich längst vergangenen Zeiten mit dem ausgiebigen Erörtern neuer sozialpolitischer Großtaten und der Regulierungskompetenz des Staates. Die Grünen, bei der Bundestagswahl vor einem Jahr doch unerwartet deftig abgewatscht, versuchen in aller Stille ihr Steuerprogramm zu entkernen, dass möglicherweise viel zu dem gefühlten Desaster beigetragen hat.

Doch wie auch im richtigen Leben mutiert inzwischen der Nachwuchs zu den eigentlichen konservativen Kräften, wenn damit längst Überholtes gemeint ist. Einige junge prominente Grüne fordern das Festhalten der Partei am Mantra der Abschaffung des Ehegattensplittings. Die Argumente dafür sind so alt wie die Partei. Und hatte der damalige Spitzenkandidat Jürgen Trittin 2013 selbst Einsicht ob der präzisierten Rechtsprechung aus Karlsruhe gezeigt, so gibt sich der linke Nachwuchs ignorant wie eh und je.

Es bleibe eine schreiende Ungerechtigkeit, dass der Staat die Ehe fördere, während Unverheiratete und Alleinerziehende in die Röhre schauen würden. Das wütende Aufstampfen von Gesine Agena und Katja Dörner markiert ein gehobenes Maß an Borniertheit an steuerpolitischen Wissen und gelebter Familienwirklichkeit.

Die Einführung des Ehegattensplittings 1920 im Deutschen Reich (Vorläufer gab es bereits Ende des 19. Jahrhunderts im preußischen Einkommensteuerrecht) war eine Reaktion auf den neu geschaffenen progressiven Tarifverlauf der Einkommensteuer. Und so blieb es bis heute, in stetiger Rechtsprechung der obersten Verfassungsrichter aus Karlsruhe. Einkommensteuerprogression und Ehegattensplitting stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang.

Unsere Gestaltung der Einkommensbesteuerung setzt an dem Gedanken an, dass jemand, der mehr für sich zur Verfügung hat, einer höheren Steuerbelastung ausgesetzt werden kann als jemand, auf den das nicht zutrifft. Wer im Jahr 20.000 EUR bezieht, sollte danach 13% seines Einkommens als Obolus an die Gemeinschaft abtreten, wer dagegen 100.000 EUR verfügbar hat, sollte 34% abgeben. Das wird allgemein als gerecht angesehen. Die Betonung liegt jedoch auf dem Wörtchen verfügbar. Obwohl es einen starken Trend zur Versingleung der Gesellschaften gibt, dominiert doch immer noch die (eheliche) Gemeinschaft.

Die meisten Menschen leben eben nicht als Einsiedler in Großstädten, wie es Linken seit den revolutionären Tagen 1968 vorschwebt. Trotz aller Bestrebungen sehen die Bürger die Ehe als Ideal an. 2012 wurden wieder knapp 390.000 Ehen geschlossen, wogegen nur 180.000 geschieden wurden. Weiterhin leben über 70% aller Kinder in Haushalten, wo die Eltern miteinander verheiratet sind. Dagegen lebt der Großteil der Kinder von Alleinerziehenden in statistischer Armut, wie immer wieder beklagt wird. Sollte es also eine steuerliche Förderung der Ehe geben, so hätte diese jede Berechtigung.

Ehen erfüllen vielfältige Funktionen, vor allem haben sie in der Vergangenheit oft für sozialen Ausgleich gesorgt. Leben zwei einkommensungleiche Partner unter einem Dach, so sorgen sie automatisch für einen Ausgleich der materiellen Voraussetzungen. Wenn wir heute die zunehmende Ungleichheit der Gesellschaft beklagen, so hat dies eben auch viel mit unseren veränderten Gewohnheiten zu tun.

Und hier kommen wir zum Kern, warum Konservative wie Liberale, führende Steuerrechtler wie Familienverbände das Ehegattensplitting verteidigen. Die Vorstellung Linker nach einer Individualbesteuerung geht unter dem Regime der progressiven Einkommensbesteuerung an der Lebenswirklichkeit vorbei. Die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit würde ins Absurde getrieben. Der Chef des Einkauf eines mittelständischen Unternehmens mit besagten 100.000 EUR Jahresbezügen würde also 34.000 EUR an Einkommensteuer entrichten, seine als Erzieherin teilzeitarbeitende Partnerin 2.600 EUR. Somit blieben in der Familienkasse gut 83.000 EUR (alle Betrachtungen ohne sonstige Abgaben), also monatlich 6.900 EUR.

Die Fiktion der Splitting-Gegner geht allerdings davon aus, dass der Chefeinkäufer egoistisch weiterhin davon 5.500 EUR für sich beansprucht und seine darbende Partnerin mit 1.400 EUR Vorlieb nehmen muss. Deswegen werden beide auch weiterhin in getrennten Wohnungen bleiben, getrennt in Urlaub fahren, in unterschiedlichen Restaurants speisen und ansonsten auf Kinder verzichten. Das ist natürlich eine absurde Vorstellung. Tatsächlich findet eben in Ehen ein weitgehender finanzieller Ausgleich statt, wozu der Gesetzgeber allen Reformen zum Trotz die Bürger weiterhin verpflichtet. Warum sollte es z.B. zukünftig noch gerechtfertigt sein, den Ehepartner zu sozialen Leistungen heranzuziehen oder einen Versorgungsausgleich im Rentenrecht zu erzwingen, wenn umgekehrt die steuerrechtliche Fiktion der Partnerschaft aufgegeben wird?

Das Ehegattensplitting ist keine Subvention der Ehe, sondern eine Reaktion auf unsere einkommensteuerrechtlichen Vorstellungen. Damit sind auch alle diesbezüglichen Rechnungen schief, die den maximalen „Vorteil“ mit rund 16.000 EUR beziffern. Das ist dann der Fall, wenn die Einkommen extrem variieren. Die Realität ist eine andere: zunehmend heiraten Partner auf ähnlicher Einkommenshöhe und ebenso hat das Splitting den Trend zu höherer Frauenerwerbsarbeit nicht gebremst.

Womit ein anderer Kritikpunkt angesprochen ist, nämlich, dass das Splitting Frauen von der wirtschaftlichen Teilhabe abhalten würde. Da der Gesetzgeber Ehepartnern die Wahl verschiedener Steuerklassen offeriert, würden Frauen mit der Steuerklasse 5 von Erwerbsarbeit abgehalten, da für diese die maximale Abgabenbelastung gilt, während Männer mit der Steuerklasse 3 bevorzugt würden. Interessanterweise stellen damit die Kritiker wieder auf die Frau als das Dummchen am Herd ab. Jeder Antrag für die Steuerklassenzuteilung muss die Unterschrift beider Partner tragen. Und ebenso müssen beide Partner die Einkommensteuererklärung unterschreiben, die ihnen im Folgejahr die tatsächliche Steuerlast zuweist.

Es ist also eine Frage des partnerschaftlichen Verhandelns, wie die Steuerlast tatsächlich zugeteilt wird. Der Gesetzgeber offeriert dazu nur pauschalierte Möglichkeiten. Wählt das Ehepaar die Kombination 3/5, so fällt i.d.R. eine Nachbesteuerung an, in jedem Fall ist eine Steuererklärung und damit ein Steuerbescheid fällig, der die tatsächliche Steuerlast ausweist. Verdient die Frau hinzu, so bedeutet ihre hohe Steuerlast nur, dass das Ehepaar als steuerliche Einheit im Grenzbereich angekommen ist. Es ist ein Leichtes, dies bei der Aufteilung der gemeinschaftlichen Ausgaben zu berücksichtigen. Das Argument, durch die hohe Abgabenbelastung würde die Frau vom Erwerb abgehalten, ist damit genauso stichhaltig wie das Argument, bei einem Topverdiener würde ein Grenzsteuersatz von 45% auf die Motivation schlagen.

Auch die Ungleichbehandlung mit anderen Gruppen, wo Kinder aufwachsen, ist eine Scheindebatte. Kinder in ungebundenen Lebensgemeinschaften sind eine absolute Randerscheinung. Nur rund 8% wachsen in solchen gemixten Partnerschaften auf. Weit häufiger anzutreffen ist jedoch die Alleinerziehende, wo 22% aller Kinder leben. Alleinerziehende werden jedoch über den Haushaltsfreibetrag von 2.340 EUR „gefördert“. Es ist eine Pointe der Geschichte, dass gerade ein Linker, nämlich der damalige Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine, 1998 / 1999 den Anspruch Alleinerziehender auf diesen Freibetrag deutlich beschnitten hat.

Am Ende der Diskussion geht es tatsächlich dem Staat wie immer nicht um mehr (Einkommens-) Gerechtigkeit, sondern um einen höheren Steueranteil. Dahin gingen schon die ersten zaghaften Versuche, den Splittingvorteil zu beschneiden, in dem die Steuerklassen so gestaltet werden sollten, dass die Steuervorauszahlungen höher sind als die tatsächliche Steuerlast. Der Bürger würde also mehr noch als bisher zum Darlehensgeber des Staates. Für alle Kritiker des Splittings gibt es eine einfache Empfehlung: Der Passus des §32a Abs. 5 EStG ließe sich bei einer Reform der Besteuerung ganz einfach kappen, in dem der Staat zu einer international üblichen stufenweisen Besteuerung der Einkommen oder gar zu einer pauschalierten Besteuerung überginge. Leider reicht der Reformeifer der jungen Grünen dazu jedoch nicht.

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  • Ariane 18. Oktober 2014, 12:35

    Dubio lebt! Und wie, denn er beginnt seine Rückkehr gleich mit „grüne Fundis..“ 😀
    Zum eigentlichen Thema kann ich leider wenig beitragen, ich habe weder Ahnung von Steuern noch von der Ehe. Aber ich hab mich schon gefragt, wo du abgeblieben bist 😉

    • In Dubio 18. Oktober 2014, 18:57

      Ach ist das schön, vermisst worden zu sein, dank‘ Dir! Ich hätte in den letzten 2 Monaten einige Themen gehabt, leider hatte ich eine schwere Managementaufgabe. Ich schreibe vielleicht demnächst. Ansonsten die letzten 10 Tage Rundreise Portugal, auch ein lohnendes Thema.

  • Ariane 20. Oktober 2014, 05:00

    Na die anderen ärgern mich ja auch und wollen nicht weiterdiskutieren, kein Wunder, dass ich dich vermisse 😉 Und wegen Portugal bin ich neidisch.

    Aber mal dann doch zum Thema (wie gesagt, ich bin da recht ahnungslos). Aber wie man nun hört, liegt beim Bundesverfassungsgericht ja schon etwas an, damit das Splitting künftig auch für homosexuelle Eheersatzdinge gilt. Wird das denn einfach erweitert auf eingetragene Partnerschaften oder müsste man das neu regeln?
    Ich denke auch, dass das Splitting kein eigentliches Problem ist – mit den Gründen, die du auch anführst – aber für die heutige Zeit kommt es mir doch angestaubt vor, weil es mittlerweile soviele Familienarten gibt. Homosexuelle, Paare, die lange zusammen sind vielleicht sogar Kinder haben, aber nicht heiraten, Patchworkfamilien. Bräuchten wir da nicht so eine Art Familiensplitting, das dem auch gerecht wird?

    • In Dubio 20. Oktober 2014, 14:19

      Portugal ist ein wunderschönes Land. Gleichzeitig dient es als Anschauungsmaterial für das ewige Mantra linker Forderungen nach „staatlicher Verschuldung zugunsten von Investitionen“. 😉

      Das Bundesverfassungsgericht urteilte letztes Jahr erneut über das Splittingverfahren im Zusammenhang mit der (Un-) Gleichbehandlung der Ehe mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft:

      Zweck des 1958 eingeführten Splittingverfahrens ist es, Ehen
      unabhängig von der Verteilung des Einkommens zwischen den Ehegatten bei
      gleichem Gesamteinkommen gleich zu besteuern. Das Splittingverfahren
      nimmt hierbei den zivilrechtlichen Grundgedanken der Ehe als
      Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs auf. (..) Die wechselseitige Verpflichtungsbefugnis bei Geschäften zur Deckung des Lebensbedarfs sowie die eingeschränkte Verfügungsberechtigung über eigenes Vermögen sind in beiden Instituten identisch geregelt. (..)

      Das Splittingverfahren erweitert den Spielraum der Ehepartner bei der
      Aufgabenverteilung innerhalb der Ehe und wird deshalb auch als Regelung
      angesehen, die vor allem für Familien gedacht ist, in denen ein
      Ehepartner wegen Familienarbeit (d. h. wegen Kindererziehung oder
      Pflege) nicht oder nur teilweise erwerbstätig ist.

      Das bedeutet, solange die Ehe (wie auch die eingetragene Lebenspartnerschaft) mit weitreichenden Verpflichtungen auf Gegenseitigkeit verbunden sind, ist eine völlig Abschaffung und damit Gleichstellung der Ehe mit anderen nicht-verpflichtenden Formen des Zusammenlebens verfassungswidrig. Das Ehegattensplitting ist eben keine Subvention einer bestimmten Lebensform, wie das gerade die Grünen immer gerne lebensfremd interpretieren.

      Natürlich kann ich mich schwer damit anfreunden, dass auch Homosexuelle, bei denen die Verpflichtungen allein auf die Partnerschaft beschränkt sind, ebenfalls unter den Schutz von Artikel 6 GG fallen sollen.

      Ich selbst war bis zum 15. Lebensjahr meiner Tochter nicht mit meiner Lebensgefährtin und Mutter des Kindes verheiratet. Ich genoss die rechtliche Freiheit. Welches moralische Recht hätte ich ableiten können, dafür steuerlich privilegiert zu werden? Zwar leben wir seit Ewigkeiten zusammen, ohne Trauschein hat man jedoch immer die Möglichkeit, jederzeit ohne Angabe von Gründen und ohne Rechtfertigung gehen zu können.

      Pflichten sind etwas anderes. Da aber in einer freien Gesellschaft der Bürger nur unter besonderen Umständen durch Gesetz und ansonsten allein durch gegenseitigen Vertrag verpflichtet werden kann, bedarf es zwingend eines solchen Papiers, damit der Staat eine solche Gemeinschaft mit gesonderten Rechten anerkennen kann. Patchwork-Familien funktionieren so lange, wie beide Parteien Lust darauf haben. Und nur so lange.

      Das für mich Erstaunliche bei der Recherche war: Kinder leben fast ausschließlich in Ehen oder in Alleinerzieher-Haushalten. Patchwork ist weder ein Massen- noch ein häufiges Phänomen. Wenn es um Kinder geht, gelten eben die Klassiker.

      Ich war ein grundsätzlicher Gegner der Scheidungsrechtsreform von 1977, welches Frauen die Möglichkeit gab, unter Umständen lebenslang Unterhalt vom längst geschiedenen Gatten zu beziehen. Die Veränderungen seit dem haben jedoch dem Institut der Ehe weiteren Schaden zugefügt. Es kann kaum richtig sein, dass man längst ein Ehegelübde leichter auflösen kann als ein Arbeitsverhältnis. Da läuft etwas grundsätzlich verkehrt.

      Die Grünen sollten keine Politik nach ihrem Gusto machen, sondern eine Politik nach den Präferenzen der Bürger.

  • Stefan Sasse 20. Oktober 2014, 18:02

    Ich hab dich auch vermisst 🙂

    Danke für die Zusammenfassung, und ich sehe das Argument. Was mir noch völlig fehlt ist aber die Auslassung von nicht-ehelichen Formen des Zusammenlebens. Du verweist zwar in den Kommentaren darauf, dass Patchworkfamilien eher die Ausnahme als die Regel sind und mit der Verantwortung in Nicht-Ehen, aber mir ist nicht klar, warum genau – abgesehen von der von Ehegattensplitting-Kritikern bemängelten Ehesubvention – die steuerliche Progression sich nicht auf alle Lebensformen erstrecken könnte. Du unterschlägst nämlich völlig, dass die „Fundi-Grünen“ und sonstige Linke das Ehegattensplitting ja nicht ersatzlos abschaffen wollen. Stattdessen geistern ja diverse Kindersplitting-Modelle herum. Das aber würde dann deine Punkte doch ebenfalls bedienen und nicht mehr ein spezifisches Lebensmodell fördern, oder?

    • In Dubio 20. Oktober 2014, 18:41

      Welche Rolle spielen Patchwork-„Familien“ für Kinder? Statistisch praktisch keine. Das ist ziemlich erstaunlich, angesichts dessen, wie Medien darüber berichten! Haben also Patchworks überhaupt eine Relevanz? Das Wesen steckt doch darin, das nicht feststellen zu können und zu sollen.

      Der Staat knüpft jede Gewährung eines Vorteils und einer Ungleichbehandlung an die Feststellung eines Zustandes. Wer Unterstützung für eine Behinderung erhalten will, muss medizinisch einen festgelegten Beinträchtigungsstatus nachweisen. Die Zahlung von Kindergeld knüpft an die amtliche Bescheinigung von Kindern an. Für Beziehungen im Zivil- und Arbeitsrecht gilt zwingend ein Vertrag als Grundlage für die Dokumentation eines Verhältnisses.

      Wilde Ehen wollen genau das nicht, sie wollen das Zusammengehören nicht dokumentieren. Warum sollte der Staat von allen Rechtsfeldern gerade in einer Absonderung des Familienrechts als Teil des Zivilrechts eine Ausnahme von seinen unumstößlichen Prinzipien machen? Das ist rechtlich nicht im Entferntesten zu begründen.

      Und nein, der Nachweis des Wohnsitzes reicht nicht. Dafür gibt es zuviele Möglichkeiten und genau deswegen in anderen Bereichen zuviele Missbräuche (z.B. Ausländerrecht). Außerdem fehlt bei vertragslosen Beziehungen der gesellschaftlich relevante Aspekt der Verpflichtung.

      Ich unterschlage die „Alternativen“ deswegen, weil es keine gibt. Nur in der Union und Teilen der FDP (3%-Partei) werden Aspekte eines Familiensplittings diskutiert. Da Linke Splitting generell als Subvention von Besserverdienenden abtun, lehnen sie steuerliche Abzüge ab. Die Vorschläge der linken Gruppierungen (in der SPD allerdings nur in Minderheit) basieren darauf, dem Staat noch mehr Aufgaben der Erziehung zu übertragen und die finanzielle Verantwortung weg vom Bürger auf die Allgemeinheit zu verlagern. Solche erschöpfen sich dann in mehr beitragsfreien Kindergartenplätzen (während Tagesmütter nicht gefördert werden dürfen) und mehr finanzielle Zuschüsse an bedürftige Familien.

      Das kann kein Ersatz für das Familiensplitting sein. Mit dem Trauschein gibt das Paar seine steuerliche Selbständigkeit auf und mutiert zu einer Einheit. In anderen Bereichen des Rechts kennen wir das auch, so können Unternehmen einer Gruppe sich zu einer steuerlichen Organschaft zusammenschließen. Umsatz- und Ertragsteuern fallen dann nur im Außenverhältnis an. Warum dieses Prinzip nicht auch für Paare unter bestimmten Bedingungen gelten soll, erschließt sich nicht.

      Bei mir war das in einer für mich unangenehmen Hinsicht auffällig: Als meine Frau und ich mich nach vielen Jahren des Zusammenlebens entschlossen, nun dazu auch die Ringe zu tauschen, kamen nicht nur ein Besserverdiener mit einer Durchschnittsverdienerin zusammen, sondern auch ein Katholik mit einer Protestantin. Auf einen Schlag verlor damit meine Kirchengemeinschaft die Hälfte meiner Kirchensteuer an die Konkurrenz. Da meine Frau und ich nun eine steuerliche Einheit sind, lässt sich nicht feststellen, welches Steueraufkommen der katholischen und welches der evangelischen Kirche zusteht. Wir haben schließlich ein gemeinsames Einkommen.

      • Stefan Sasse 21. Oktober 2014, 19:46

        Ich werde die Argumentation mit dem Splitting mal sacken lassen. Finde ich so weit nichts direkt dagegen.

  • Ariane 20. Oktober 2014, 21:01

    Welche Rolle spielen Patchwork-”Familien” für Kinder? Statistisch praktisch keine. Das ist ziemlich erstaunlich, angesichts dessen, wie Medien darüber berichten! Haben also Patchworks überhaupt eine Relevanz? Das Wesen steckt doch darin, das nicht feststellen zu können und zu sollen.

    Ich glaube das nicht, die Frage ist ja, wo die Statistiken nachgucken. Wenn sie bei 1jährigen Kindern nachgucken, sind vielleicht 90% in eine normale Ehe hineingeboren, schaut man aber 10 Jahre später und hat die Scheidungsrate im Kopf, ist die Ehe dann ungefähr bei 50% der Kinder kaputtgegangen.
    Nehmen wir an, die Eltern finden neue Partner, heiraten nochmal und bekommen noch ein Kind. Rein statistisch ist wieder eines in eine Normalehe hineingeboren. Faktisch handelt es sich trotzdem um eine Patchworkfamilie, das mit der Statistik ist also nicht so leicht. 😉
    Oder sie heiraten nicht und gründen einfach so eine neue Familie ohne Trauschein.

    Ich sehe das ähnlich wie Stefan. Es gibt heute viele Möglichkeiten (und die werden durchaus genutzt), eine Famlilie zu gründen oder zu bilden, ohne dass man zum Standesamt geht – unäbhängig davon, ob es sich um Homosexuelle oder Heterosexuelle handelt.

    Und ich meine damit keine wilden Ehen, in denen man sich bewusst alles offenhält und keine Verantwortung füreiannder übernimmt. Meine Mutter ist auch geschieden und hat seit zig Jahren einen neuen Partner, mit dem sie ganz normal familiär zusammenlebt, nur ohne Trauschein.

    Wilde Ehen wollen genau das nicht, sie wollen das Zusammengehören nicht dokumentieren. Warum sollte der Staat von allen Rechtsfeldern gerade in einer Absonderung des Familienrechts als Teil des Zivilrechts eine Ausnahme von seinen unumstößlichen Prinzipien machen? Das ist rechtlich nicht im Entferntesten zu begründen.
    Ich finde, man kann das Argument auch umdrehen. Wieso zwingt der Staat die Menschen, zum Standesamt zu gehen, um zu dokumentieren, dass sie eine Familie sind? Wieso kann man das nicht anders regeln? Mal abgesehen davon, dass diese Möglichkeit einer normalen Ehe für Homosexuelle gar nicht mal existiert.
    Ich sehe auch die Probleme, die du ansprichst und ich hab auch spontan keine Lösung dafür, aber ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass der Staat/die Politik gefordert sind, den veränderten und erweiterten Familienverhältnissen Rechnung zu tragen.

    • In Dubio 21. Oktober 2014, 15:40

      Wow, Du Ariane und Stefan, Ihr macht es Euch ziemlich einfach. Die Gegenargumente umschlängeln um die eigene Position nachdenklich zu präsentieren, kann mich allerdings nicht überzeugen. Da es pointiert nicht funktioniert hat, probiere ich es mit einem anderen Stilmittel.

      Zu den Statistikfällen: nur weil man selbst etwas nicht gelesen hat, heißt das nicht, dass es nicht existiert. Meistens existiert etwas, was einem gar nicht passt. So veröffentlichte gerade gestern das Statistische Bundesamt in Wiesbaden, dass immer noch 70% aller minderjährigen Kinder in Haushalten aufwachsen, wo die Eltern miteinander verheiratet sind. 20% wachsen dort auf, wo Frauen allein die Bürde der Erziehung tragen, die sich also nicht in Patchwork eingerichtet haben. Als gelernter Katholik bin ich verpflichtet, an die unbefleckte Empfängnis zu glauben. Das gilt aber nur in Ausnahmefällen! Ein nicht unwesentlicher Teil der Frauen hat also, nachdem ihnen ein Kind angehängt wurde, die Nase von Männern voll oder weiß den Nachwuchs genetisch nicht zuzuordnen. Gemischte Partnerschaften sind bei aller Philosophie vielleicht etwas für Erwachsene, Kinder wachsen in solchen Beziehungen nicht auf.

      Quintessenz: Bitte nicht so viel philosophieren, sondern nach Fakten suchen.

      Und ich meine damit keine wilden Ehen, in denen man sich bewusst alles offenhält und keine Verantwortung füreinander übernimmt. Meine Mutter ist auch geschieden und hat seit zig Jahren einen neuen Partner, mit dem sie ganz normal familiär zusammenlebt, nur ohne Trauschein.

      Gut, da hast Du ja Anschauungsmaterial. Jetzt müsstest Du die „Warum-Frage“ stellen. Warum nicht?! Ich habe noch niemanden kennengelernt, der in einer solchen Situation geantwortet hat: „Weil wir uns gerade dadurch besonders verbunden und verpflichtet fühlen.“

      Wenn ich pflegebedürftig werde, mich ein Autounfall ereilt oder ich einfach beruflich erfolglos werde, ist meine Frau verpflichtet, bei mir zu sein, für mich zu sorgen und zu zahlen. Für eine eheähnliche Gemeinschaft gilt das nicht, es fehlt ja die Nachweispflicht. „Stefan wer??!“. Zack und weg geht da ganz einfach. Koffer gepackt, die Sache ist erledigt. Daran ändern Jahre der Beziehung rein gar nichts.

      Ich finde, man kann das Argument auch umdrehen. Wieso zwingt der Staat die Menschen, zum Standesamt zu gehen, um zu dokumentieren, dass sie eine Familie sind?

      Tja, warum wohl?! Du musst auf dieser Erde, in diesem Land bescheinigt bekommen, dass Du geboren bist. Einfach zu schreien reicht nicht. Du brauchst eine Geburtsurkunde, damit Du 18 Jahre später wählen darfst. Für den Kindergeldantrag fällt mir neben dem Nachweis durch Geburtsurkunde nur unappetitliche Möglichkeiten ein.

      Wenn es dereinst auf die Uni geht, bedarf es vielleicht alternativweise zur Bescheinigung der Hochschulreife auch des Ausrufs: „Ich bin ein Star, lasst mich hier rein!“? Ich erinnere vorsorglich daran, dass Du Dir für den Zeitpunkt, wenn Du dereinst das Zeitliche segnest, der Steuerpflicht nur entkommst, wenn Du einen Totenschein vorlegst. Einfach zu behaupten, geht nicht mehr, ist nicht. Deine Erben jedenfalls erhalten so lange keinen Cent, bis Dein Tod medizinisch dokumentiert ist. Selbst, wenn Du schon 10 Jahre im Grab muffelst.

      Es scheint, obwohl ich das bereits geschrieben habe, schwer verständlich, dass der Staat für jede Gewährung eines Verwaltungsaktes eine Bescheinigung benötigt. Eine Bescheinigung!!! Wie dokumentierst Du Familie? Ist eine Studenten-WG Familie, weil alle Mitglieder eine Meldeadresse haben? Hat der Pfarrer mit seiner Zugehfrau eine Familie, weil sie sich in der Kirche treffen? Sind Bruder und Schwester ein Paar, weil sie unter einem Dach hausen?

      Wie dokumentieren Deine Mutter und ihr Lebenspartner, dass sie zusammengehören? Gar nicht! Wenn sie es wollten, würden sie kurz zum Standesamt gehen. Dauert nur 15 Minuten und eine Verpflichtung, danach Ringe zu tragen, gibt es auch nicht. Warum sollten sie zusammen veranlagt werden, wenn es ihnen so wichtig ist, in allem als Individuum wahrgenommen zu werden?

      Aber ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass der Staat/die Politik gefordert sind, den veränderten und erweiterten Familienverhältnissen Rechnung zu tragen.

      Welchen veränderten Verhältnisse (siehe oben)? Probieren wir mal einen Slapstick mit Deinem Argument: Es gibt Unternehmen, die tätigen Investitionen, die im Subventionskatalog von einzelnen Bundesländern auftauchen. Allerdings verfolgen diese Unternehmen die Philosophie, keine Subventionen beantragen zu wollen, wozu es gute Gründe gibt. Wie wäre es, liebe Ariane, wenn wir als Staat überlegen würden, solchen förderungswürdigen Unternehmen nun auf anderem Wege – ohne Antrag, Formular, Nachweis – die wohlverdiente Subvention anzudienen? Das wäre nur gerecht gegenüber jenen Unternehmen, die Anträge gestellt, sich verpflichtet und dafür Geld bekommen haben.

      • Stefan Sasse 21. Oktober 2014, 19:48

        Nach deiner Argumentation gibt es dann aber wirklich keinerlei Argumente gegen die Homo-Ehe, denn der Verpflichtungsgrundsatz gilt auch da.

  • Heiko 11. November 2014, 18:51

    Ok, ich bin etwas spät dran 🙂

    @In Dubio: Ich hätte nicht gedacht, dass ich dir mal in weiten Teilen zustimmen würde, aber hier ist es so. Mit einer kleinen Einschränkung,
    nämlich die Beschränkung des Splittings auf die Institution Ehe.

    „… noch 70% aller minderjährigen Kinder in Haushalten aufwachsen, wo die Eltern miteinander verheiratet sind …“
    Ich behaupte einfach mal, dass dies oft aus finanziellen und rechtlichen Erwägungen heraus passiert. Viele Eltern heiraten einfach nur aus dem Grund, weil das gemeinsame Aufziehen unehelicher Kinder in Deutschland einem finanziellen und behördlichen Spiessrutenlauf bedeutet.

    „Es scheint, obwohl ich das bereits geschrieben habe, schwer verständlich, dass der Staat für jede Gewährung eines Verwaltungsaktes eine Bescheinigung benötigt. […] Wie dokumentierst Du Familie?“
    Merkwürdigerweise reicht es dem Staat im Bereich des SGB II aus, einen gemeinsamen Haushalt zu bilden, um eine Bedarfsgemeinschaft zu konstruieren. Warum sollte das im Steuerrecht nicht möglich sein?

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