Kulturpessimismus, als versteckte Kapitalismuskritik verkleidet

Der deutsche Umgang mit dem Versandhändler, Cloudanbieter, Hardwarehersteller und Verleger Amazon hat schon etwas Merkwürdiges an sich. Ständig befindet sich das Unternehmen in der Diskussion, ist quasi die Deutsche Bank der Einzelhandelsbranche, aber die vorgebrachten Argumente gegen das Unternehmen (dafür hört man eh keine) haben alle eine merkwürdige kulturpessimistische Schlagseite, die sich selbst als versteckte Kapitalismuskritik tarnt. Klingt merkwürdig? Der Beweis dafür die die gestrige Jauch-Sendung, die die FAZ hier protokolliert und kommentiert.

Amazon sei ein asoziales Unternehmen, befindet etwa Ranga Yogeshwar. Zudem, da waren sich fast alle anwesenden einig, zerstöre Amazon das soziale Zusammenleben und veröde die Innenstädte. Günther Wallraff sprach von Sklavenhaltung in einer Sekte, weil die Arbeit so standartisiert sei wie am Fließband. Gleichzeitig brachten die Anwesenden das Kunststück fertig, sich über die rapide vorangetriebene Automatisierung zu beklagen.

Die gesamte Amazon-Kritik hat etwas unglaublich inkohärentes an sich. Das liegt daran, dass sie vor allem ein Vehikel für Kulturpessimismus ist. Es geht nicht wirklich um die Arbeitsbedingungen, die Löhne oder die armen, armen Einzelhändler in den Innenstädten. Stattdessen wird einfach eine schöne Geschichte von „früher“ erzählt, der der fiese Technogigant Amazon als Antagonist gegenübergestellt wird.

Und bevor jemand anfängt, bei Amazon kann man genug kritisieren. Die ans Illegale grenzenden Preiskämpfe mit Konkurrenzanbietern, die teils absurden Incentives, die im Bestellsystem verborgen liegen, die reibungslose Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden, unter anderem. Aber das kommt hier gar nicht zum Tragen, stattdessen spricht man über moralische und nostalgische Anekdoten.

Der Geschenkeinkauf in einer Innenstadt bietet Platz für zwischenmenschliche Beziehungen, Familienleben und Ausspannen? War irgendjemand mal in einem innerstädtischen Kaufhaus zur Weihnachstszeit? Da ist jedes Amazon-Paket persönlicher. Vollgestopfte Kaufhäuser, gestresstes Verkaufspersonal, Schlange stehen an der Kasse, Höllenkrach. Ob die Leute da besser bezahlt sind sei dahingestellt, unstressiger ist der Job aber wahrscheinlich auch nicht.

Weder bieten die Kaufhäuser der großen Innenstädte noch die dortigen Bäcker irgendwelche persönlichen Elemente, die irgendwie preislos wären. Auch gehen unsere Sozialverhältnisse nicht unter, wenn wir nicht mehr bei Menschen kaufen, sondern online. Wie viele Leute haben denn intensive Sozialbeziehungen zum örtlichen Karstadtverkäufer, oder zur H&M-Verkäuferin? Der nette Bäcker an der Ecke, der noch selbst backt und ein Probierstück rausgibt, wird es auch weiterhin geben, einmal davon abgesehen dass Probierstücke auch beim Versandhandel möglich sind, sollte der je in die Bäckerbranche vorstoßen. Und schon jetzt gibt es keine Probierstücke in den Bäckerketten, die die Innenstädte mit ihren Selbstbedienungstheken erobert haben.

Auch der merkwürdige Vorwurf, asozial zu sein, weil man keine Steuern in Deutschland bezahlt ist Quatsch. Amazons Ziel als Unternehmen ist Profit, also wird es Steuern sparen. Es ist die Aufgabe der Politik, die Schlupflöcher zu stopfen, und nicht Amazons, sie generös nicht in Anspruch zu nehmen.

Gleiches gilt für die technischen Entwicklungen von dem Versandsystem bis zur Lieferdrohne. Auf der einen Seite wird sich über die miesen, tayloristischen Arbeitsbedingungen beklagt, auf der anderen Seite die große automatisierte Bedrohung an die Wand gemalt. Wäre es nicht super, wenn die Amazon-Logistikzentren praktisch menschenfrei wären? Zumindest wäre es Fortschritt. Es weint ja auch niemand dem Job des morgendlichen Fensterklopfers hinterher, der durch die Verbilligung des Weckers überflüssig wurde.

Generell sollten die mit nostalgischen Geschichtenerzähler ihrem Kulturpessimismus vielleicht mehr mit Leuten durchsetzt werden, die etwas vom Thema verstehen oder doch wenigstens neue Ideen anzubieten haben, anstatt den aktuellen Zustand zu beklagen, aber abgesehen vom „früher“ (das auch nicht besser war) ohnehin keine Lösungen anzubieten haben. Ist es Amazons Schuld, dass DHL Subunternehmer mit furchtbaren Konditionen einstellt? Nein, es ist die Schuld der Politik, dass sie das möglich macht und sogar fördert.

(Bild: Flickr/cc Luke Dorny)

{ 16 comments… add one }
  • CitizenK 9. Dezember 2013, 12:53

    Typisch deutsch: Von einem Extrem ins andere.

    Ja, dieBedingungen der Versender sind amazons Schuld. Von einem Buchhändler habe ich die Info, dass pro Paket 1 (!) Euro gezahlt wird. Das wälzen die natürlich auf die Bechäftigten ab, inzwischen auch bei DHL mit Sub-Sub-Unternehmen und Werkverträgen.

    amazon wäre auch noch profitabel, wenn da faire Konditionen geboten würden. Wachstum, Wachstum über alles, bis die Konkurrenz weg ist und Jeff B. die Konditionen bestimmen kann.

    Richtig ist: Aufgabe der Politik wäre es, da gegenzusteuern, wie bei den Steuern auch. Aber ein so profitables Unternehmen ist nicht gezwungen, Menschen derart (mit Überwachungschips zur Kontrolle der Toilettengänge) auszubeuten. amazon ist asozial.

    • Stefan Sasse 9. Dezember 2013, 16:56

      Ich habe mich da blöd ausgedrückt: Ja klar sind die asozial. Weil man sie lässt. Von einem Unternehmen zu erwarten, dass es auf Profit verzichtet ist wie von einem Kind zu erwarten, dass es auf Süßigkeiten verzichtet. Dazu muss man die zwingen.

      • epikur 10. Dezember 2013, 06:10

        Profit um jeden Preis. Profite vor Menschen. Das ist ungezügelter Kapitalismus. Willkommen in der Wirklichkeit! Ihn zu zähmen wäre Aufgabe der Politik, wenn sie nicht schon längst selbst zum verlängerten Arm der Konzerne und Großunternehmen mutiert wäre (Lobbyisten in den Ministerien, Experten-Gremien, Berater, Kanzleien, gekaufte Politiker, Druck von den Banken/Spardiktatur etc.) . Diese Tatsache als verschwörungstheoretisch zu verharmlosen, ist pure Realitätsverleugnung.

  • club|debil 9. Dezember 2013, 17:46

    Inhärent ist die Unterscheidung zwischen Kulturpessimismus und Kapitalismuskritik. Der Zustand der kapitalistischen Gesellschaft führt nachgerade zum Kulturpessimismus. 😉

  • techniknoergler 9. Dezember 2013, 20:45

    Zur Anregung der Diskussion:
    > aber die vorgebrachten Argumente gegen das Unternehmen (dafür hört man eh keine)
    Doch hier:
    http://zettelsraum.blogspot.de/2013/02/amazon-zeigt-wie-erfolgreich-der.html

    Ist aber leider schon ein paar Monate her und inzwischen ist der Autor leider verstorben, daher wird er auf Diskussionbeiträge nicht mehr antworten können.

  • shpongle 10. Dezember 2013, 10:29

    >Daß Amazon früher oder später Opfer linker Agitprop werden würde, war abzusehen. Zu kapitalistisch, also zu erfolgreich.<
    Fängt ja schon super an…

  • techniknoergler 10. Dezember 2013, 17:32

    @shpongle:

    Erschütternd, wenn mal jemand nicht im Mainstream schwimmt, den man aus den Medien gewohnt ist (und dann auch noch für neoliberal hält).

    @club|debil:
    „Der Zustand der kapitalistischen Gesellschaft führt nachgerade zum Kulturpessimismus. “

    Nein, die deutsche Gesellschaft führt zu Kulturpessimismus, unsere Kultur ist quasi Pessimismus. Andere Länder, insbesondere die Angelsächsischen sind nicht Kulturpessimistisch, obwohl aus deutscher Sicht alle schrecklich unsozial. Auch Kanada, Australien und Neuseeland.

  • CitizenK 10. Dezember 2013, 21:51

    Wirklich? Wenn Maria auf dem Esel einen Helm tragen muss und Kindern das Spielen nur mit Schaumstoffbällen erlaubt ist? British Angst?

    http://www.tagesschau.de/ausland/grossbritannien200.html

  • shpongle 11. Dezember 2013, 10:04

    @techniknoergler
    Wie meinen?

  • techniknoergler 12. Dezember 2013, 19:30

    Was war unverständlich?

  • shpongle 13. Dezember 2013, 15:34

    >Erschütternd, wenn mal jemand nicht im Mainstream schwimmt, den man aus den Medien gewohnt ist (und dann auch noch für neoliberal hält).<
    Wer schwimmt nicht im Mainstream?
    Was ist gerade der Mainstream?
    Wer hält was für neoliberal?
    Ich stehe gerade echt auf dem Schlauch und finde den Zusammenhang zum oben verlinkten Text nicht.

  • techniknoergler 14. Dezember 2013, 18:12

    > Wer schwimmt nicht im Mainstream?
    Der Autor, dessen Text Sie mit „Fängt ja schon super an…“ kommentiert haben

    > Was ist gerade der Mainstream?

    Der Mainstream ist antikapitslistisch. Sie erkennen es daran, dass in Umfragen, die oberflächliche Volksstimmung abfragen, als auch unter Politikjournalisten antikapitalistische Haltungen immer wieder eine Mehrheit finden.

    > Wer hält was für neoliberal?

    Ich hatte ihren Kommentar für Ironie gehalten. Habe ich mich da getäuscht?
    Es klang nach dem Vorwurf, der Text sei ja neoliberal und daher nicht erträglich.

  • Crishan 16. Dezember 2013, 15:37

    Lieber Stefan Sasse,

    Standard…mit d
    die Standardisierung…immer noch mit d
    „weil die Arbeit so standartisiert sei“…auch hier gehört ein d hin, denn
    mit der Art zu stehen oder einer Standarte hat es nichts zu tun.

  • techniknoergler 22. Dezember 2013, 12:31

    „die reibungslose Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden, unter anderem“

    Ja, das sollte wirklich geändert werden. Etwas mehr Konfliktpotential zwischen privatwirtschaftlichen Unternehmen und Sicherheitsorganen wünscht man sich da schon, sonst wird das Leben im kapitalismusfinanzierten Wohlfahrtsstaat am Ende noch zu langweilig.

  • techniknoergler 22. Dezember 2013, 12:41

    PS: Mein letzter Beitrag war ironisch gemeint.

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