#BTW13: The Good, the Bad and the Ugly

Die Bundestagswahl hat das politische Berlin durcheinandergewirbelt und eine Zäsur in der Nachkriegsgeschichte gebracht: Erstmals wird der Bundestag ohne die Freien Demokraten zusammenkommen, erstmals konnte eine Kraft rechts von der Union beinahe auf Anhieb auf fünf Prozent kommen. Dabei sind sie nur ein Teil von vielen Millionen Stimmen, die durch die Fünf-Prozent-Hürde nicht in parlamentarische Mandate umgewandelt wurden. Es ist, so viel lässt sich vielleicht schon jetzt sagen, eines der widersprüchlichsten und schillerndsten Wahlergebnisse der letzten Jahrzehnte. Zeit für eine erste Einschätzung.

The Good

  • Der gelbe Drache wurde endlich erlegt, die FDP ist – zumindest vorerst – Geschichte. Nun wurde richtigerweise argumentiert, eine liberale Partei werde gebraucht, nur nicht die FDP in dieser Form. Denn dort, wo sie eigentlich „vorne“ ist, hat sie wenig erreicht, etwa bei Bürgerrechten oder Gleichstellungsfragen. Und zugleich hat sie bei anderen wichtigen Themen gebremst, etwa beim Versuch, die Eurokrise zu lösen und in der Klimapolitik. Eine Regierung ohne die FDP in dieser Form kann fast nur besser werden.
  • Eine linke Mehrheit im Parlament. Diese ist, auch ohne dass sie sofort konkret als Regierungsmehrheit realisiert wird, von großem Nutzen, denn sie wird sowohl den Grünen als auch der SPD als potenzielle Koalitionspartner der CDU zu größerem Einfluss verhelfen und als Druckmittel dienen. Merkels Macht ist seit gestern sehr viel kleiner – trotz Riesengewinnen für die CDU. Sie wird nur so lange Kanzlerin bleiben, wie Sozialdemokraten oder Grüne dies erlauben. Und sie wird sich die Macht inhaltlich teuer erkaufen müssen.
  • Welche Mehrheit nun auch kommen mag: Deutschland wird endlich einen generellen Mindestlohn erhalten, denn das wird eine der zentralen Forderungen sowohl der SPD als auch der Grünen sein, und Merkels ausgehöhlte CDU wird damit keinerlei Probleme haben.
  • Gleiches gilt wohl abgeschwächt auch für eine Verbesserung bei Renten und Pflege. Dass CDU/CSU auch beim Spitzensteuersatz, Ehegattensplitting oder dem Betreuungsgeld mit sich sprechen lassen werden, ist jedoch weniger wahrscheinlich.
  • Deutschlands politische Rechte ist zersplittert: Nach dem erstaunlichen Aufstieg der AfD ähnelt das rechte Parteienspektrum nun mehr und mehr dem linken. Das hat sich bei dieser Wahl sofort ausgezahlt: Trotz einer Mehrheit der Wählerstimmen von CDU, CSU, FDP und AfD hat es dank Fünf-Prozent-Hürde nicht für eine Mehrheit im Parlament gereicht. Selbst wenn die AfD den Einzug geschafft hätte, wäre dadurch keine rein konservative Regierung entstanden. Denn die AfD dürfte für die CDU ähnlich unmöglich sein wie die Linke für die SPD, wenn nicht sogar mehr. Beim Kernpunkt Euro ist kaum ein Kompromiss denkbar.
  • Die Konservativen haben einen riesigen Wahlsieg eingefahren, aber wir haben in Deutschland derzeit dank Angela Merkels pragmatischem Kurs die vielleicht harmloseste konservative Partei der Welt – zumindest nach innen, europapolitisch sieht die Lage anders aus. Zur Veranschaulichung: Man vergleiche mal die aktuelle ideologische und programmatische Aufstellung der CDU mit der von vor 15 Jahren. Oder etwa mit der Republikanischen Partei in den USA.

The Bad

  • Merkels Austeritäts-Kurs in der Eurokrise wurde bestätigt – bis auf weiteres wird es wohl keine Abkehr vom Sparkurs geben. Denn weder Sozialdemokraten noch Grüne haben eine echte gedankliche Abkehr vom Spar- und Wettbwerbsfähigkeitsprogramm der Kanzlerin ausbuchstabiert, es dürfte allerhöchstens zu einer kleinen Abschwächung der Austeritäts-Schraube kommen, nicht jedoch zu einer echten Lösung. Hier wäre übrigens auch ein Einzug der AfD wünschenswert gewesen: Er hätte die Pro-Euro-Fraktion zu einer ehrlicheren Debatte der Zukunft der gemeinsamen Währung gezwungen.
  • Trotz monatelanger Schlagzeilen und Debatten: Das Thema Überwachungsstaat hat bei dieser Wahl keine Rolle gespielt. Die Piraten enttäuschten, die FDP mit ihren bürgerrechtlichen Überresten aus dem Parlament gekegelt, die in dieser Frage gut aufgestellten Grünen geschwächt: Deutlicher hätte der Wähler nicht mitteilen können, wie egal ihm letztlich die Überwachung durch die NSA und ihrer Partner in Deutschland ist. Letztlich ist das wohl weniger eine Wissens- oder Prioritätenfrage, wie im Netz oftmals als Erklärungsansatz zu lesen war, sondern eine Wertefrage: Das Vertrauen in den „guten Staat“, repräsentiert durch die Kanzlerin, ist einfach sehr hoch, die Angst vor Missbrauch gering.
  • Merkel hat kaum eines ihrer Wahlversprechen von vor vier Jahren erfüllt – ob Verlängerung der Kernenergie, Beibehaltung der Wehrpflicht, Senkung der Steuern. Wie man auch im einzelnen zu den Vorhaben stehen mag, all diese gebrochenen Versprechen haben der CDU nicht geschadet – im Gegenteil, der führungsschwache Stil der Kanzlerin scheint dem Wahlvolk gut zu gefallen. Das ist langfristig ungesund für jede repräsentative Demokratie.
  • Merkel hat damit eine Entpolitisierung ohnegleichen eingeläutet – gegen die SPD und Grüne machtlos schienen.

The Ugly

  • Die Grünen wurden innerhalb weniger Wochen durch eine aggressive Medienkamapagne von knapp 15 Prozent auf nun acht Prozent runtergeschrieben und schienen gegenüber dieser Attacke völlig hilflos und unvorbereitet. Warum das Thema Pädophilie, das seit 20 Jahren beigelegt und beiseite geräumt war nun zwei Wochen vor der Wahl durch die Medien getrieben wurde – in eindeutig politischer Absicht zumindest in der Springer-Presse und auch im Focus, das ist ein Skandal, der noch aufzuarbeiten sein wird.
  • In related news: Die Mainstream-Medien haben es nicht geschafft, oder wollten es nicht schaffen, Merkels asymmetrische Demobilisierung und Symbolpolitik für die Wähler transparent zu machen. Gleiches gilt für die Kollateralschäden des deutschen Wohlstands: Verarmte Südländer in der Eurozone. Die Medien haben dadurch teils bewusst, teils unbewusst im Wahlkampf eine äußerst merkelfreundliche Berichterstattung geliefert.
  • Die Fünf-Prozent-Hürde führte diesmal dazu, dass rund 15 Prozent der abgegebenen Stimmen sich nicht in parlamentarischer Repräsentation niederschlugen. Das schafft Legitimitätsprobleme für das Parlament. Eine große Anzahl kleinerer Parteien verschärft für immer mehr Wähler zudem die Widersprüche zwischen authentischem und taktischen Wahlentscheidungen.
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  • Stefan Sasse 23. September 2013, 17:09

    Kann ich so unterschreiben. Bin nur bei der Kampagne gegen die Grünen noch etwas unsicher. Klares Ja für die Existent bei Springer und Focus, aber unsicher über die Bedeutung.

  • Ariane 23. September 2013, 17:27

    Bei mir regt sich auch der größte Widerspruch bei der Kampagne gegen Grün. Ich glaube nicht, dass es die Ursache für das Ergebnis ist. Vielmehr hat sich imo alles in den letzten Wochen auf die großen Parteien konzentriert und alle kleineren Parteien sind da unter die Räder gekommen und haben verloren. Die einzigen Schlagzeilen waren Pädophilie/Veggie Day bei den Grünen, Bettelei bei der FDP und Koalitionskram bei der Linken. Mit Wahlkampf und Inhalten konnte keine kleine Partei mehr irgendwie Aufmerksamkeit erlangen und das ist in meinen Augen der Grund, warum viele Wähler zu CDU oder SPD gewandert sind.

  • techniknörgler 23. September 2013, 22:30

    „Warum das Thema Pädophilie, das seit 20 Jahren beigelegt und beiseite geräumt war nun zwei Wochen vor der Wahl durch die Medien getrieben wurde – in eindeutig politischer Absicht zumindest in der Springer-Presse und auch im Focus, das ist ein Skandal, der noch aufzuarbeiten sein wird.“

    Das Thema musste jetzt aufgearbeitet werden, weil

    1. die Grünen es unter den Teppich kehren wollten
    2. die Opfer am langen Arm zappeln liesen
    3. sie auch noch so dreist waren sich einen „Wissenschaftler“ zu kaufen, der promt von den Grünen ablenken wollte
    und
    4. die große Mehrheit der Grünen und Roten unter Politikjournalisten die Grünen rausreden wollte, wie man es keiner anderen Partei durchgehen lässt.

    • Jan Falk 24. September 2013, 06:25

      Die Grünen wolten es unter den Teppich kehren weshalb sie selber eine Studie in Auftrag gegeben haben oder wie? Ne, das Gegenteil ist richtig. Aber wie dieses Thema jetzt im Jahr 2013 politisiert wurde, das ist unschön.

      • Stefan Sasse 24. September 2013, 19:22

        Das stimmt, den Grünen kann man das sicher nicht vorwerfen. Sie haben es aufgearbeitet.

  • Kirkd 24. September 2013, 04:56

    Es gab keine Pressekampagne. Die Grünen wurden lediglich nicht wie sonst auf Rosen gebettet, sondern so behandelt, wie die anderen Parteien bei unpopulären Positionen oder Skandalen auch behandelt werden.

  • Ariane 24. September 2013, 11:10

    Naja, ich finde schon, dass es eine Pressekampagne gab. Allerdings nicht nur gegen die Grünen. Was soll denn die FDP sagen? Da gab es höchstwahrscheinlich seit 4 Jahren keinen einzigen positiven Artikel (außer man zählt „also irgendeine liberale Partei braucht man schon“ dazu) und über die LINKE gab es seit Gründung sehr wenig positive Schlagzeilen.
    Ich glaube nicht, dass das die Hauptursache für das Wahlergebnis der Grünen ist. Ich finde, sie haben einfach kein großes Thema gehabt, sich darauf eingelassen, dass der Veggie-Day und Pädophilie ins Zentrum kamen und hatten wenig entgegenzusetzen. Und „irgendwas mit Energiewende und höhere Steuern“ war halt nicht ganz so zugkräftig.

    • Manfred Peters 24. September 2013, 20:10

      „Da gab es höchstwahrscheinlich seit 4 Jahren keinen einzigen positiven Artikel …“
      Nur schlecht informiert oder Realitätsverweigerung?
      http://www.stefan-niggemeier.de/blog/die-fdp-wahlhelfer-von-der-bild-zeitung/
      Übrigens, Friede Springer & Co. bringen inzwischen in den Medien alle Geschütze in Stellung, um diese Scharte auszuwetzen.
      Anm.: Sollte ich hier weiter zensiert werden, bitte ich um Löschung des Kommentars. Ich werde auch keine weiteren Kommentare hier schreiben.
      Offensichtlich sind Beiträge vom Kaliber „In Dubio“ hier mehr erwünscht, die brauche ich dann zum Eigenschutz auch nicht mehr lesen. 🙁

      • Stefan Sasse 25. September 2013, 08:25

        Von mir wird niemand zensiert. Manchmal schluckt der Spamfilter einen Kommentar, den wir dann von Hand freigeben müssen, aber das machen wir eigentlich immer zeitnah wenn wir vom System die Mitteilung bekommen. Wenn doch mal so was untergeht, einfach Bescheid geben.

        • Manfred Peters 25. September 2013, 14:03

          Na ja, war mit dem Kommentar vom 24., 11:23 nicht so richtig zeitnah, werde mich im Wiederholungsfall zukünftig ans „Bescheid geben“ halten.
          Danke!

  • Manfred Peters 24. September 2013, 11:23

    Der Hofnarr hat die Direktive ausgegeben: „Erst der Staat, dann die Partei“ Es ist kein Platz in D für gut und schlecht, allenfalls für die Hässliche.
    Da ist es bald an der Zeit, dass unsere Blazer-Kaiserin verkündet: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche! …“
    Wohin das geführt hat ist bekannt. 🙁
    Übrigens, der „Gelbe Drache hat hat Selbstmord begangen.
    Da hat auch permanente die psychologische Betreuung durch die Springer-Presse nicht geholfen.

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