Die Guten, die Schlechten und die Irrelevanten – Teil 2: CDU und Grüne

Genauso wie die Parteien in drei Doppelkonstellationen eingeordnet werden können, was ihre Einstellung zur aktuellen Lage und ihre Vorstellungen für die Zukunft betrifft, so können wir ihre Wahlkämpfe ebenfalls in drei Doppelkonstellationen sehen – die Guten, die Schlechten und die Irrelevanten. Den Teilnehmenden hat das politische Geschick eine Kartenhand zugeteilt, die gut (Grüne), akzeptabel (CDU, FDP, AfD, LINKE) und miserabel (SPD) war. Wie die Parteien diese Karten spielten sehen wir im ersten Teil einer Serie über die Wahlkämpfe der Parteien zur Bundestagswahl 2021 an. In Teil 1 befassen wir uns mit SPD und FDP, in diesem Teil mit Grünen und CDU und in Teil 3 mit LINKEn und AfD. 

Aus heutiger Sicht ist es geradezu absurd, dass noch vor einem halben Jahr die Frage war, ob der nächste Kanzler eine Kanzlerin und Grüne sein würde – oder ob die CDU doch die Oberhand in einer schwarz-grünen Koalition behalten würde. Müsste man die dann „Große Koalition“ nennen, nachdem die SPD auf einen Tiefpunkt von 12% in den Umfragen gestürzt war? Ah, lang, lang ist’s her. Seit der offiziellen Ausrufung Anna-Lena Baerbocks als Kanzlerkandidatin Mitte April 2021 läuft es für die Grünen so schlecht, dass ich zwischendurch die Frage stellte, ob sie eigentlich überhaupt gewinnen wollen. Mittlerweile könnte man der CDU dieselbe Frage auch stellen. Beide Parteien legen einen unterirdischen Wahlkampf hin, der vor allem als abschreckendes Beispiel in die Annalen eingehen dürfte.

Im Falle der Grünen ist vor allem auffällig, wie sie ihre starke Anfangshand verspielten. Die Partei war 2019 im Rahmen der Fridays-For-Future-Proteste endgültig sicher im zweistelligen Prozentbereich der Umfragen angekommen. Ohne sich großartig selbst zu äußern, half ihnen ihr Markenkern, plötzlich als ernsthafte Alternative wahrgenommen zu werden. Die Covid-Pandemie verdrängte das Thema und die Grünen aus den Schlagzeilen, aber das dürfte für die Partei nicht schlecht gewesen sein – Aufmerksamkeit hatte den Grünen bislang noch jedes Mal geschadet.

Allein, es konnte nicht ewig funktionieren, dass alle Aufmerksamkeit sich auf die Konkurrenz konzentrierte. Die beginnenden Impfungen im März 2021 nahmen den Druck vom Covid-Thema. Die CDU legte ihren Führungsstreit für’s Erste bei. Und die Grünen konnten der Frage nicht mehr ausweichen, ob sie Anspruch aufs Kanzleramt erheben würden und wenn ja, welche*r der beiden Co-Vorsitzenden das tun würde. Die Partei hatte den Luxus, zwei Alternativen zu haben: den in der Öffentlichkeit etwas bekannteren Habeck, der aber 1) ein Mann und 2) anfällig für ungescriptete Kommentare war oder Anna-Lena Baerbock, die weitgehend unbekannt, aber eine junge Mutter war. Beide Ansätze bargen Risiken, und es war zu erwarten – und wurde von mir auch vorhergesagt – dass die Grünen nach der Ausrufung eines Kandidaten oder einer Kandidatin scharfen Angriffen ausgesetzt sein würden, gleichgültig, wen der beiden sie wählten.

Erste Gewitterwolken am Horizont waren bereits erkennbar, als Habeck in einem Interview erklärte, auf die Kandidatur zu verzichten, wenn Baerbock „als Frau“ Anspruch darauf erhebe. Damit beschädigte er von Anfang an ihre Kandidatur, und auch wenn er sich seither zusammengerissen und große Disziplin an den Tag gelegt hat, war das kein besonders guter Start. Es war aber nichts gegen den Sturm, der in den folgenden Wochen über die Grünen hereinbrach. Anstatt, wie die SPD und FDP, eine Wahlkampagne, zugeschnitten auf die Persönlichkeit der Kandidatin, aufzufahren und damit ihr Potenzial zu nutzen, folgte der Erklärung der ersten grünen Kanzlerkandidatur – nichts.

Es gehört zu den Grundregeln der Macht, dass sie nichts so hasst wie ein Vakuum. Genau ein solches aber hinterließen die Grünen nach der Ankündigung, und die Medien stießen mit Wonne hinein – während sich die politischen Gegner aufällig zurückhielten und abwarteten, welche Strategie gegen die ja auch ihnen unbekannte Baerbock am besten verfangen würde; nichts wäre so schädlich, wie sich mit verfrühten, aggressiven Attacken als frauenfeindliche Machos zu brandmarken, wenn ein kompetenter Grünen-Wahlkampf sie als sympathische, junge Mutter aufgebaut hätte. Aber das passierte nicht.

Wie sich herausstellte, waren Angriffe auch Baerbock auch weiterhin nicht nötig. Das besorgten einerseits die Medien und andererseits das an Inkompetenz kaum zu überbietende Wahlkampfteam der Partei. Eine Welle von Skandälchen schwappte über die völlig unvorbereitete Kandidatin hinweg, von der Frage, ob sie sich nun zurecht als Völkerrechtlerin bezeichnete zu den genauen Angaben in einem Lebenslauf, der praktisch niemanden interessierte, schon allein, weil der Grünen-Wahlkampf ja mit ihrer Vita offensichtlich überhaupt nicht arbeitete. Wie im Judo wurde diese Schwäche – den Wahlkampf nicht auf die Kandidatin zuzuschneiden – gegen sie verwandt, denn die Lücken im Lebenslauf, die aus der Ignoranz gegenüber ihrer Person zugelassen worden waren, wurden nun gegen sie verwendet. Zuzuschreiben haben die Grünen das alleine sich selbst.

Als wäre das nicht schlimm genug, wählten sie zwischen den beiden möglichen Polen einer politischen Reaktion – in Sack und Asche gehen und aggressiv gegenhalten – den Mittelweg. Zuerst entschuldigte sich Baerbock ständig und schob häppchenweise Korrekturen nach, dann hatte sie irgendwann die Faxen dicke und drohte mit einem Anwalt. Diese Kakophonie vereinte sich zu einem einzigen chaotischen Eindruck der Inkompetenz. Die Grünen standen hilflos wie ein Reh im Scheinwerferlicht im Angesicht völlig erwartbarer Attacken und hatten – nichts.

Als nach Wochen des Bombardements mit negativer Presse – zu der, erneut, die politischen Gegner nicht einmal etwas zutun mussten sondern sich fein heraushalten und so die moralische Überlegenheit wahren konnten – Baerbock endlich aus den Schlagzeilen verschwand, war die Partei bereits deutlich unter die 20%-Marke gerutscht. Zur Ruhe kam sie deswegen noch lange nicht. Stattdessen setzten nun die noch viel erwartbareren Attacken gegen das Programm ein, oder das, was man dafür hielt. Das ebenso beliebte und griffige wie wenig zutreffende Narrativ von der „Verbotspartei“ schallte auf allen Kanälen entgegen. Die Antwort der Grünen war – nichts.

Das Wahlkampfteam hatte es offensichtlich nicht nur versäumt, eine Strategie für die eigene Spitzenkandidatin zu entwickeln, Angriffe vorherzusehen und entsprechende Verteidigungsstrategien zu entwickeln. Das erklärt sich ja noch aus dem schwerwiegenden strategischen Fehler, die Kandidatur erst im Frühjahr zu klären und wäre damit auch bei Robert Habeck ein Problem gewesen. Aber dass man nicht einmal eine Strategie dagegen hatte, als „Verbotspartei“ gebrandmarkt zu werden, acht Jahre nach dem „Veggie-Day“-Desaster vom Wahlkampf 2013, das ist schon fast Sabotage des eigenen Wahlkampfs.

Auch die jüngste Runde des rechten Kulturkampfs, der Streit um die geschlechtergerechte Sprache, war absolut vorhersehbar. Es ist eher ein Wunder, dass er nicht früher als August ausbrach und erst das Sommerloch brauchte, um zur vollen Entfaltung zu kommen, bedenkt man, wie viel Mühe sich die bürgerliche Presse und die anderen Parteien machten, das Thema zu etablieren. Den Grünen war wohl klar, wie unbeliebt ihre Position hier ist und hielten es daher aus ihrem eigenen Wahlkampf heraus. Das ist Teil 1. Teil 2 folgte nie: eine Abwehrstrategie gegen die offensichtlich zu erwartenden Attacken. Erst im ersten Triell im September 2021 schaffte Baerbock es (nun wenigstens kompetent), das Thema abzuwehren. Die Grünen liegen mittlerweile deutlich näher bei 15% als 20%; dass sie von Platz 3 auf Platz 4 hinter die FDP rutschen, ist nicht mehr völlig ausgeschlossen.

Warum aber ist der Wahlkampf so ungeheuer inkompetent? Aus irgendeinem Grund war die versammelte Führungsspitze der Grünen der Überzeugung, dass sie keinen professionellen Wahlkampf führen muss. Weder 2019, noch 2020, noch in der ersten Jahreshälfte 2021 fühlten sie sich bemüßigt, auswärtige Berater*innen einzustellen, ein eigenes Umfrageinstitut zu beauftragen oder irgendetwas in diese Richtung zu tun. Erst im August 2021 (!) fragten sie an – aber wie Frank Stauss ihnen problemlos erklären kann, ist das wesentlich zu spät. Man schien der Meinung zu sein, dass sowohl Medien als auch Wählende bei Attacken schon in das ausführliche, 272 Seiten dicke Grünen-Wahlprogramm schauen und die Wahrheit herausfinden würden. Wie irgendjemand so etwas glauben kann ist mir unbegreiflich, nach 2013 sowieso. Aber die SPD hat Wahl um Wahl denselben Fehler mit erstaunlicher Beharrlichkeit und Lernresistenz gemacht.

Dazu ist es nicht hilfreich, wie wenig diszipliniert die eigene Partei ist. Nur zwei Beispiele allein aus dieser Woche: der baden-württembergische Finanzminister, Danyal Bayaz, der eigentlich die Scholz’sche Strategie als Verfechter konservativer Haushaltspolitik im grünen (bzw. roten) Gewand fährt, konnte nicht bis zum 26. September warten, um seine Initiative eines digitalisierten Meldeportals für Steuerhinterziehung zu verkünden. Dass solche Meldungen analog längst bestehen ist irrelevant, die Steilvorlage ließen sich Springer-Presse und bürgerliche Politiker*innen nicht entgehen, die vor Nazi- und Stasivergleichen nicht zurückschreckten (dazu unten mehr). Und eine zwar unbedeutende, aber nichts desto trotz beknackte Grünenpolitikerin wurde beim Überkleben von FDP-Plakaten erwischt, was einerseits zeigt, wie schlecht die Infrastruktur der Grünen ist, dass ihre Abgeordneten das selbst machen, und andererseits einfach nur bescheuert ist. Von der Grünen Jugend wollen wir erst gar nicht reden.

Der einzige Trost der Grünen dürfte sein, dass sie in diesem monströsen Versagen nicht alleine dastehen, und noch nicht einmal am schlimmsten. Denn die Grünen können wenigstens darauf verweisen, dass sie es das erste Mal machen. Welche Ausrede aber hat die CDU? Sie gab sich derselben Illusion hin wie die SPD es schon so häufig tat und dachte, dass eine späte Kandidatenkür ihr einen Vorteil verschaffen würde. Der ständige, harsche Richtungsstreit um die Merkel-Nachfolge, der durch nicht nur eine, sondern zwei Basis-Wahlen der neuen Vorsitzenden (erst Kramp-Karrenbauer, die durch das Thüringen-Desaster versenkt wurde, dann Laschet) nicht auch nur im Ansatz befriedet, sondern stattdessen einfach nur Glimmen gehalten wurde, zerreißt die Partei bis heute.

Grund ist eine Frage, wie sie Sozialdemokrat*innen nur zu bekannt vorkommen dürfte: Warum hat die Partei ihre Seele verloren, und wie kann sie sie wiederfinden? Besteht die Antwort in einem Ruck nach rechts (links bei der SPD), um „das Profil zu schärfen“? Besteht die Antwort in einer weiteren „Modernisierung“ (bei der SPD als Vorantreiben der Agenda-Reformen verstanden)? Braucht es jemand, der einen großen Kompromiss aus beidem schließt? War die Politik, die zum wahrgenommenen Seelenverlust führte – Euro- und Flüchtlingskrise hier, Agenda2010 dort – richtig und alternativlos, oder vielmehr der Sündenfall und Wurzel allen Übels?

Die Partei zuckte hin und her. Im Wahlkampf 2018 präsentierte sich Markus Söder als Hardliner nach rechts und fuhr ein katastrophales Ergebnis ein; seither erfand er sich als schwarz-grüner, geläuterter Landesvater neu. Kramp-Karrenbauer stand in der Tradition Angela Merkels, kritisierte sie sanft, versuchte aber die Partei in der Mitte zu halten und wurde von den Fliehkräften zerrissen, ein Schicksal, das sie mit sicherlich vier bis fünf Kolleg*innen aus der SPD-Parteiführung teilt. Friedrich Merz, der Kandidat von vorgestern, konnte zwar mit polarisierend-spaltender Rhetorik jedesmal in Griffweite der Macht kommen – blieb aber eine Minderheitenposition in der Partei und ungeliebt in der Bevölkerung (die CDU kann mehr als froh sein, dass dieser Kelch an ihr vorüberging). Es siegte schließlich ein weiterer Kompromisskandidat, der anders als Kramp-Karrenbauer aber ohne den Merkel’schen Stallgeruch, dafür aber mit großer Hausmacht antrat: Armin Laschet, dem die Macht in Nordrhein-Westfalen vor allem wegen der miesen Performance der rot-grünen Vorgängerregierung und weniger wegen überragender Fähigkeiten in den Schoß gefallen war. Spielend setzte er sich im Januar 2021 gegen Merz durch.

Seine Strategie war von Anfang an klar erkennbar und eine Wiederholung dessen, was der CDU dreimal in Folge das Kanzleramt gesichert hatte: Konflikte weglächeln, über den Dingen stehen, alles an sich abprallen lassen. Ihm fehlten dafür allerdings drei Dinge, die Merkel hatte: Ruhe, Disziplin und schlechte Gegner.

Für die mangelnde Ruhe konnte er nichts, zumindest nicht direkt. Auch Angela Merkel hätte eine Flutkatastrophe den Wahlkampf verhagelt. Aber Laschet reagierte auch noch maximal schlecht. Seine Reaktion sollte eine Spiegelung der Schröder’schen Hemdsärmeligkeit von 2002 sein, als er in Gummistiefeln losmarschierte, aber seine inkompetente PR-Maschinerie sorgte dafür, dass nichts davon auch nur ansatzweise authentisch wirkte. Als er dann im Hintergrund des sprechenden Steinmeier beim Lachen gefilmt wurde, als ob YouTube nicht existieren würde, war der Ruf vollends ruiniert. Laschet erholte sich davon nicht mehr. Egal, was er sagt, egal, wo er auftaucht, den Eindruck von Egoismus und mangelnder Ernsthaftigkeit wird er nicht los. Es ist ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt und zu dessen Verarbeitung er sich mit den Grünen in einer Selbsthilfegruppe treffen könnte.

Die mangelnde Disziplin dagegen ist beachtlich. Interne Grabenkämpfe waren bisher eigentlich die Provenienz der linken Parteien. Es war ein Merkmal der Bürgerlichen, dass sie sich mit so etwas nicht abgaben und die Augen klar auf den Preis gerichtet hatten: das Kanzleramt. Nicht so 2021. Das Ausmaß, in dem die einzelnen Fraktionen der CDU sich in aller Öffentlichkeit zerreißen und ihre schmutzige Wäsche waschen, ist bemerkenswert. An vorderster Front stehen hier vor allem die Rechtausleger der Partei, einmal Hans-Georg Maaßen als Vision dessen, was „AfD light“ bedeutet, und einmal Friedrich Merz als Gesicht der hässlichen CDU. Beides erfordert etwas mehr Erklärung.

Maaßen hält nicht damit hinter dem Berg, dass er die CDU deutlich nach rechts rücken will. Für ihn ist das Feindbild Nummer 1 Angela Merkel, eine Position, die sich auf dem gesamten Rechtsspektrum der Republik findet. Die Rechtsverschiebung, die ihm vorschwebt, ist aber eine ahistorische. Auch wenn sie in die Rethorik eines „zurück zu den Wurzeln“ gekleidet ist, geht es eher um eine Umformung der CDU nach dem Vorbild von Fidesz, PiS und der Republicans. Diese Vorstellung ist reichlich unbeliebt und erlaubt eine leichte Mobilisierung, weswegen Maaßen auch wie ein Mühlstein um den Hals der Partei hängt, aber wegen seiner Verankerung vor allem in den radikaleren Ostverbänden auch nicht direkt angegangen werden kann. Es ist der Inkompetenz des grünen, der Abgehobenheit des sozialdemokratischen und der Irrelevanz des linken Wahlkampfs zu verdanken, dass das Verdrängen der Maaßen-Problematik so gut gelingt, wie es das tut.

Viel problematischer ist Friedrich Merz. Der Mann ist mehr als Maaßen ein Hoffnungsträger auch für demokratisch gesinnte Zeitgenoss*innen. Er ist der Mann von vorgestern, der verspricht, die Uhr zurück auf 2003 zu drehen. Innerhalb der Unions-Wählendenschaft gibt es viele Fans – wenig überraschend, sonst hätte er kaum verlässlich 40% der Stimmen bei den Vorsitzendenwahlen bekommen. Aber eine Mehrheit hat er nicht. Sowohl Kramp-Karrenbauer als auch nun Laschet sehen sich daher der Herausforderung ausgesetzt, ihn und den Flügel, den er repräsentiert, zu integrieren.

Doch wo es der SPD gelungen ist, das zu tun und wo ein Kevin Kühnert sich und seine Rhetorik in den Dienst der gemeinsamen Sache stellt, kennt Friedrich Merz nur ein Thema: Warum Friedrich Merz besser wäre. Konstant schießt er gegen die eigene Partei, den eigenen Vorsitzenden, die eigene Kanzlerin, die eigene Führung. So etwas goutieren Wähler*innen grundsätzlich nicht, aber schon gar nicht bei einer bürgerlichen Partei. Emblematisch für die Schwäche Laschets einerseits und die korrosive Schädlichkeit Merz‘ ist die Episode vergangener Woche, als Laschet zur Rettung seiner nach dem Triell auf nie gekannte Tiefpunkte gerutschten Beliebtheitswerte ankündigte, dass Merz in seiner Regierung „eine hervorgehobene Rolle“ haben werde. Merz‘ erste Reaktion auf diese Ankündigung war zu erklären, dass er das CDU-Wahlprogramm und die Politik von Ursula von der Leyen für gefährlich hält.

Diese Uneinigkeit ist ein Geschenk für alle anderen Parteien, vor allem für die SPD, deren Einigkeit und Mangel an solchen innerparteilichen Konflikten den aktuellen Höhenflug Scholz‘ ermöglicht. Laschet muss sich jedoch nicht nur mit den Wadenbeißern Maaßen und Merz herumschlagen, sondern auch mit Söder, der sich aus dem Wahlkampf weitgehend heraushält und nur das absolute Minimum absolviert, ohne eine Gelegenheit vergehen zu lassen zu verkünden, wie schlecht der Wahlkampf läuft und wie viel besser die Lage mit ihm an der Spitze wäre. Das mag seiner innerparteilichen Position möglicherweise nützen, aber für die Aussichten der Union ist es furchtbar. Das natürlich kann Söder egal sein, er bleibt ja in Bayern, und die Schwäche der CDU ist die Stärke der CSU in diesem Bündnis.

Der schlimmste strukturelle Faktor aber, der die CDU nach unten zieht, ist „Genosse Trend“. Wie bereits in den 1960er Jahren arbeitet die Zeit gerade für die progressiven Parteien. Es ist für die Union offensichtlich ungewohnt – ebenso wie für ihre Verbündeten in den bürgerlichen Medien – aber sie sind bei vielen Fragen nicht mehr in der Mehrheit. Am auffälligsten ist dies, wo die Finanzpolitik betroffen ist, aber auch auf anderen Feldern wie der Sozialpolitik steht die „schweigende Mehrheit“ nicht mehr hinter der Union.

Das führt zu dem Effekt, dass CDU-Politiker*innen in der Defensive sind – ein ungewohnter, fast schon unnatürlicher Anblick, gerade wenn es um Finanzpolitik geht. Und das ist kein Problem von Laschet. Robert Habeck gelang es in TV-Auseinandersetzungen sowohl mit Markus Söder als auch Friedrich Merz, bei diesen Themen in die Offensive zu gehen. Die üblichen hohlen Phrasen von der schwarzen Null und haushaltspolitischer Verantwortung wirken nicht mehr automatisch als Debatten-Schließer. Die Partei ist es aber überhaupt nicht gewohnt, sich inhaltlich zu verteidigen und steht plötzlich blank da, wenn der mediale Konsens von früher nicht mehr gegeben ist, bei dem sie sich 100% auf das Framing der Moderator*innen verlassen konnten.

Auch hier fällt übrigens die Abwesenheit von Angela Merkel deutlich auf, nicht nur wegen des fehlenden Amtsbonus‘. Ihr gutes Gespür für die aktuelle Mehrheitsstimmung hätte es nicht zugelassen, dass die CDU bei so vielen Themen derart in die Defensive gerät. Sie hätte viel früher versucht, diese durch Kooptierung zu neutralisieren. Dieser Weg ist Laschet aber versperrt, der auf die innerparteilichen Hardliner wie Friedrich Merz Rücksicht nehmen muss, eine Zwickmühle, die man ansonsten eher von der LINKEn kennt.

Zu all diesen innerparteilichen Schwächen kommt die unglaubliche Fantasielosigkeit des Wahlkampfs selbst. Die CDU ist völlig ausgebrannt. Nach 16 Jahren Regierung wirken die Ankündigungen Laschets, nun aber wirklich den Aufbruch zu unternehmen und Deutschland umzukrempeln, völlig hohl – und das noch vor solchen rhetorischen Höchstleistungen wie im Triell, wo er verkündete, dass „uns der Wind des Wandels ins Gesicht bläst“ und „wir standhaft bleiben“ müssen. Der CDU fehlt ein Grund, warum man sie wählen sollte. Das ist neu, und damit kann sie nicht umgehen. Bisher war das das Problem der SPD. Nun hat es die Union.

Als Reaktion versucht sie sich an einem Aufwärmen der „Greatest Hits“ vergangener Wahlkämpfe. Verzweifelt wird mit den Verbündeten in der bürgerlichen Presse von Springer bis FAZ versucht, das Narrativ eines bevorstehenden Linksrutsches an die Wand zu malen. Doch damit scheitert die CDU genauso wie die Republicans gegen Biden 2020. Die Vorstellung, dass ausgerechnet Olaf Scholz in einer Ampelkoalition den großen Linksrutsch einleitet, ist so absurd, dass praktisch niemand sie ernstnimmt, und das Schreckgespenst einer rot-rot-grünen Koalition ist nicht nur unrealistisch – zu überzeugend haben Scholz und Baerbock es ausgeschlossen – es ist auch zunehmend weniger schrecklich für die Bevölkerung.

Neben dieser abgeschmackten Neuauflage der Rote-Socken-Kampagne versucht die CDU auch beharrlich, ihren Coup vom Veggie-Day von 2013 zu wiederholen. Doch selbst mit voller medialer Schützenhilfe gelang es nicht, die Lastenfahrräder als neuen Veggie-Day zu etablieren. Der „Skandal“ blieb auf die rechte Blase beschränkt und stieß nie ins allgemeine Bewusstsein vor. Auch die anderen Versuche, die Grünen anzugreifen, blieben merkwürdig zahnlos – wohl auch, weil es kaum nötig war, die Grünen anzugreifen, sind diese doch selbst ihre größten Feinde.

Nicht hilfreich ist da auch, dass die CDU traditionell sehr schlecht im Netz und bei Parteiaktivist*innen aufgestellt ist. Selbst ein so CDU-nahes Blatt wie die Welt bescheinigt ihr einen geradezu grotesk schlechten Internetauftritt, trotz der hohen Summen, die die CDU hineinpumpt. Das erschwert diese Art des Agenda-Settings, des Wadenbeißens im Nahkampfwettstreit der Parteien, enorm. Die CDU arbeitet immer besser im Verbund mit staatstragenden Wahlkampfmedien, von Plakatwerbung zu Fernsehspots über die eingeübte Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Presse.

Die Verzweiflung der CDU zeigt sich nicht nur in diesen wiederaufgewärmten Attacken, sondern auch im ständigen, instinktiven Zündeln am rechten Rand. Ob in der Causa Danyal, wo man sowohl Stasi- als auch Nazivergleiche aufzufahren versuchte – nur um sich aus der bürgerlichen akademischen Welt harsche Schelte einzufahren – oder in Afghanistan, wo man zu allererst sicherstellte, dass keine Ortskräfte Deutschland erreichen konnte und dann eine humanitäre Katastrophe erntete: diese instinktiven Ausschläge nach rechts schaden der CDU mehr, als sie nutzen. Das ist eine merkwürdige Parallele zur LINKEn, deren Vorliebe für Ausflüge in den Linkspopulismus sie auch zuverlässig entgleisen lassen, wann immer ihr Zug in Richtung Respektabilität und Koalitionsfähigkeit fährt.

Zusammengefasst kann man sagen, dass der Wahlkampf der Grünen eine Serie von Unterlassungen ist, die sich zu einer katastrophalen Melange zusammengemischt haben. Im Wahlkampf der CDU dagegen mangelt es nicht an Aktionen, Angriffen und Maßnahmen, aber nichts davon passt zusammen. Alles zerrt in verschiedene Richtungen, und ein inkompetenter Kandidat steht einem nicht funktionierenden Wahlkampfteam vor. Immerhin strampeln beide Parteien im Scheinwerferlicht. Es muss ziemlich deprimierend sein, einfach nicht wahrgenommen zu werden, wir im abschließenden Teil unserer Serie sehen werden.

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  • sol1 7. September 2021, 09:37

    „Die Verzweiflung der CDU zeigt sich nicht nur in diesen wiederaufgewärmten Attacken, sondern auch im ständigen, instinktiven Zündeln am rechten Rand.“

    Was ja letztendlich der AfD in die Hände spielt:

    https://twitter.com/lebenundlassen/status/1432683753218924546

  • Kirkd 7. September 2021, 09:53

    Sehr gute Analyse. Ein Hauptproblem ist die fehlende Selbstwahrnehmung der CDU Verantwortlichen. Man hat sich dank Merkels Beliebtheit viel zu lange eingeredet, dass bei der Union alles in allem gute Leute einen guten Job machen. Das ständige Verweisen auf die fünfte Kolonne R2G, funktioniert schon deshalb nicht, weil die eigene Kolonne Merz und die sieben Niemands heisst und man im Kabinett nur Nullen hat (mit Ausnahme von AKK, die einen akzeptablen Job macht, was aber niemand wahrnimmt). Anerkennte Experten wie Röttgen machen gar nicht erst mit, weil sie Sigmar Gabriel – style auf eine Karriere nach der Wahlniederlage hoffen.

    • Stefan Sasse 7. September 2021, 11:37

      Es funktioniert vor allem nicht, weil es a) kein Schreckgespenst mehr und b) nicht sonderlich realistisch und c) beliebter als Laschet ist. Du kannst mehr Furcht vor R2G erzeugen wenn du Merkel mit 60% Zustimmung im Kanzleramt hast als wenn du Laschet mit 9% rumkrebsen hast.

  • Kirkd 7. September 2021, 09:54

    Hast Du AKK eigentlich mit Doppel-pp KramPP auf Autokorrektur?

  • Kning4711 7. September 2021, 10:00

    Danke für diesen Teil 2 – ich finde es spannend, dass es offenbar diese Lernresistenz gibt. Die Grünen hatten schon 2017 nach fulminanten Umfragen eine echte Klatsche erlebt. Kaum begreiflich, dass daraus nicht gelernt wurde – offenbar ist das Management der Partei nicht gut.

    Bei der CDU gibt es ein ähnliches Problem – der Generalsekretär dürfte sich nach der Wahl einen neuen Job suchen dürfen – er hat bislang sehr glücklos agiert und an entscheidenden Stellen Geschick vermissen lassen. Ich finde es ohnehin ein Kuriosum das jemand ohne einen Berufsabschluss es zum Generalsekretär der größten bürgerlichen Partei schaffen konnte. Macht die Kritik aus bürgerlichen Kreisen an Baerbocks Vita doppelt merkwürdig…

  • R.A. 7. September 2021, 11:35

    „denn die Lücken im Lebenslauf, die aus der Ignoranz gegenüber ihrer Person zugelassen worden waren, wurden nun gegen sie verwendet.“
    Es ging nicht um Lücken im Lebenslauf, sondern um Lügen im Lebenslauf. Das hat schon eine andere Qualität.
    Und vor allem: Nach den Korrekturen besteht der Lebenslauf halt nur noch aus Lücken. Etwas Familie, etwas Parteikarriere. Aber halt nichts, was man für eine Wahlkampagne verwerten könnte.
    Baerbocks Kandidatur war eigentlich nur möglich, weil die Medien einen grünen Wahlsieg wollen. Alleine schon die erschlichenen 40.000 „Promotionsstipendium“ hätten jeden Politiker einer anderen Partei erledigt – bei der grünen Kandidatin gibt es weitgehend Beißhemmung und Rechercheverweigerung.

    „Aber dass man nicht einmal ein Strategie dagegen hatte, als „Verbotspartei“ gebrandmarkt zu werden,“
    Das liegt halt daran, daß die Grünen sehr gerne eine Verbotspartei sind und sein wollen. Da fehlt dann – das hast Du richtig herausgearbeitet – die professionelle Beratung, die die wählerabschreckende Wirkung dieser Haltung kaschiert.

    „eine zwar unbedeutende, aber nichts desto trotz beknackte Grünenpolitikerin wurde beim Überkleben von FDP-Plakaten erwischt“
    Wobei hier nur das „wurde erwischt“ bemerkenswert ist. Bei den altgedienten Wahlkämpfern von SPD, CDU und FDP ist es schon lange bekannt, daß Grüne und „Linke“ ganz regelmäßig Plakate der Konkurrenz beschädigen oder abreißen. Kann man halt fast nie beweisen, daher ist das kein offizielles Thema. Hat wohl etwas mit dem speziellen missionarischen Sendungsbewußtsein dort zu tun – die fühlen sich durchaus im Recht wenn sie die Welt vor den pösen Verderbern retten.

    „Der CDU fehlt ein Grund, warum man sie wählen sollte.“
    Richtig. Das ist im wesentlichen eine Folge des Merkel’schen Regierungsstils.

    „das Schreckgespenst einer rot-rot-grünen Koalition ist nicht nur unrealistisch“
    Nein. Weder Scholz noch Baerbock haben RRG explizit ausgeschlossen. Sondern nur den weichen Umweg über das NATO-Argument gebracht – das kann man nach der Wahl leicht wieder abräumen. Wissler hat ja als Antwort schon klargestellt, daß die „Linke“ da nur mittelfristig etwas sieht.

    „Doch selbst mit voller medialer Schützenhilfe gelang es nicht, die Lastenfahrräder als neuen Veggie-Day zu etablieren.“
    Ein doofes Wahlgeschenk ist bei den Wählern nie so abschreckend wie ein Verbot, daß sie selber treffen könnte. Aber die „volle mediale Schützenhilfe“ habe ich auch hier nur pro Grüne wahrgenommen. Da erschienen doch sofort überall Artikel wie toll Lastenräder wären und wie gut man damit vom Auto umsteigen könnte.

    • cimourdain 8. September 2021, 18:12

      „Bei den altgedienten Wahlkämpfern von SPD, CDU und FDP ist es schon lange bekannt, daß Grüne und „Linke“ ganz regelmäßig Plakate der Konkurrenz beschädigen oder abreißen.“
      Weil ich es immer ganz genau wissen will, habe ich bei einer längeren Radfahrt durch die Großstadt die umgerissenen, verunstalteten oder mutwillig beschädigten Plakate gezählt:
      AfD: 4
      CSU: 1
      FDP: 1
      SPD: 2
      Grüne: 2
      Linke : 4
      Aufruf zur Demo gegen die IAA (irgendwie grün): 1
      Außerdem ist mir ein Fall von false-flag Negativwerbung gegen die CDU/CSU aufgefallen („Alle reden vom Klima. Wir ruinieren es. CDU/CSU“) aufgefallen.

      • Stefan Sasse 8. September 2021, 18:24

        Plakate werden in jedem Wahlkampf beschmiert. 99,9% bleiben sauber. Absolute Nicht-Debatte.

        • Stefan Pietsch 8. September 2021, 18:43

          In Brandenburg nicht. Laut Linda Teuteberg wurden praktisch 100% aller FDP-Plakate zerstört.

          • Stefan Sasse 9. September 2021, 09:03

            Liberale Frau. Wundert leider nicht 🙁

            In meiner Gegend hier trifft es die Grünenplakate.

        • R.A. 8. September 2021, 21:37

          „99,9% bleiben sauber.“
          Dann lebst Du in einer extrem friedlichen und braven Gegend.

          Bei uns ist völlig klar, daß beim Plakate-Einsammeln nach der Wahl nur noch die Hälfte übergeblieben ist. Und in den grünen Hochburgen plakatieren wir überhaupt nicht, weil die sowieso nur wenige Tage überleben.

          • Stefan Sasse 9. September 2021, 09:07

            Vermutlich. Ich hab bisher auch nur extrem wenig beschädigte Plakate gesehen. Bis auf eines waren das auch nicht-politische Schmierereien (die üblichen aufgepinselten Bärte und Augenklappen und so was), nur ein Grünenplakat mit Hakenkreuzen und „AfD“ verziert.

        • cimourdain 8. September 2021, 22:42

          Entweder bin ich an 15.000 Plakaten vorbei gefahren oder du übertreibst… Nennen wir das Kind ca. 80%

          • Stefan Sasse 9. September 2021, 09:08

            Vermultich ist selbst das viel zu hochgegriffen, aber ist ja Hupe. Wenn mehr als 1% oder so beschädigt/verunstaltet werden finde ich das schon auffällig, angesichts der Menge hängender Plakate.

          • R.A. 9. September 2021, 09:20

            Die „praktisch 100%“ sind bestimmt etwas übertrieben – aber die fette Mehrheit der Plakate wird es schon gewesen sein.

            Das man trotzdem noch welche sieht wird am ganz normalen Nachplakatieren liegen.

            Im Prinzip gibt es zwei Vorgehensweisen:
            In unserem Wahlkreis hauen wir am ersten Tag den kompletten Plakatbestand raus, das gibt dann einige Tage lang einen guten Effekt. Es geht ja auch nicht darum, daß man mit feinziselierten Argumenten Leute überzeugt, Plakatierung soll signalisieren „wir sind da“.
            In den Folgewochen gehen dann immer mehr Plakate verloren, aber wenn bis zum Wahltag noch die Hälfte hängt reicht das für Präsenz.

            Oder aber man stellt anfangs nur einen Teil des Vorrats. Und macht dann regelmäßige Kontrollen um Schäden/Ausfälle zu ersetzen. Dann ist man halt weniger präsent, aber doch zuverlässig – die meisten Wähler werden gar nicht merken daß es Vandalismus gab und daß die Plakate immer wieder neu sind.
            Wenn die politischen Gegner so aggressiv sind wie offenbar in Brandenburg ist das die deutlich bessere Taktik.

  • Stefan Pietsch 7. September 2021, 11:59

    Ein Artikel, in dem so vieles falsch ist, bis hin zum Fazit.

    In dem Narrativ wird Annalena Baerbock als Opfer der Umstände inszeniert, die wunderbar hätte funktionieren können, hätte sie nicht so ein dilettantisches (anonymes) Umfeld. Dagegen ist Laschet einfach ein inkompetenter Kandidat. Die Wahrheit ist: Beide strahlen vor Inkompetenz.

    Es beginnt mit der Geschichte, dass Baerbock Opfer der Erzählung von Habeck geworden sei. Tatsächlich konnte sie in den ersten Interviews keinen Grund nennen, warum gerade sie es geworden sei und nicht ihr erfahrener Co-Vorsitzender. Im allersten Interview deckte sie selbst auf, dass ihr Frausein eine wichtige Rolle gespielt habe. Nix Opfer.

    Die Behauptung, die Partei habe die Kampagne in den Sand gesetzt, ist ebenso falsch, wenn man etwas mehr liest als die Homepage der Grünen. Tatsächlich hat Baerbock ein Kampagnenteam aus dem Boden gestampft, in dem ihr Mann Daniel Holefleisch, im Hauptberuf Lobbyist bei der Deutschen Post, der schon mit seinem direkten Kontakt zur Parteispitze geworben hatte, eine zentrale Rolle spielt. Jener Holefleisch war schon 2013 und 2017 für die Grünen-Kampagnen verantwortlich, die im Desaster endeten. Die Inkompetenz hat also System in der Familie Baerbock.

    Baerbocks wesentliches Asset bei ihrer Nominierung war die hohe Glaubwürdigkeit, die ihr zugemessen wurde. Kein Wort davon findet sich im Artikel. Genauso wenig findet sich ein Wort dazu, dass sie ihr Image selbst zertrümmerte. Mit der Nachmeldung von Nebeneinkünften (pauschal, streng nach Protokoll des Deutschen Bundestages) zeigte sie nicht nur, dass sie es mit der eigenen Transparenz nicht so genau nimmt. Sie demonstrierte auch, dass sie, gesegnet mit einem fünfstelligen Monatseinkommen, selbst nach Peanuts wie den 1.500 Euro Corona-Bonus jagt.

    Baerbock hatte keine Lücken im Lebenslauf. Sie fälschte plump den Inhalt ihrer Ausbildungsstationen. Sie bezeichnete sich wahlweise als Studentin der Politologie mit Bachelor, Völkerrechtlerin, Doktorandin „in den letzten Zügen“, Büroleiterin in Brüssel, über einen Zeitraum von 3 Jahren frei Mitarbeiterin einer regionalen Zeitung. Das sind keine Lücken gewesen, sondern Stationen und die Angaben waren allesamt zumindest bei strenger Betrachtung falsch. Eine Lüge „Lücke“ zu nennen, dazu muss man schon Fan sein.

    Nicht nur Habeck wirkte in der Vergangenheit in Fachfragen nicht immer sattelfest. Baerbock hatte ebenso regelmäßig echte Böcke drauf. Die UN-Charta bezeichnete sie als Gremium, Strom solle im Netz gespeichert werden und – einer der schlimmsten Ausfälle – in Thüringen sah sie mit knapper Not einen Nazi an der Macht gehindert. Entweder spielte sie damit auf Björn Höcke an, der aber nicht zur Wahl stand, oder sie wollte sagen, der FDP-Politiker Kemmerich sei ein Nazi. Populismus at it’s best. Orientierungslos steht sie oft im sprichwörtlichen Wald.

    Im Gegensatz zu allen anderen Spitzenpolitikern der Mitte macht Baerbock einen Bogen um kritische Journalisten. Statt sich zu stellen, verkriecht sie sich. Ihre männlichen Kollegen müssen stattdessen für sie in die Box. Die Grünen sind nicht in der Opferrolle, wenn sie im Wahlkampf unter die Lupe genommen werden. Die Darstellung im Artikel ist da geradezu verzerrend. Erstaunlich ist allein, dass die Kandidatin bereits an Profanen wie Meldeversäumnissen, Lebenslauf und Buchveröffentlichung scheiterte. Baerbocks Vorteil aus den Anfangstagen war damit schnell dahin: Die Frau besitzt nicht einen Funken Glaubwürdigkeit.

    Über die verfügt Armin Laschet sehr wohl, zumal er Regierungsexpertise vorweisen kann. Aber schon seine Vorgängerin im Ministerpräsidentenamt wusste, dass der Job in Düsseldorf nicht automatisch zur Kanzlerschaft in Deutschland reicht.

    Wenn Stefan sich dann über schiefe Vergleiche aufregt, wirkt das unfreiwillig komisch. Die extremen Ausfälle von Spitzengrünen im Mai und Juni spielten zuvor keine Rolle. Baerbock selbst sah sich ja als Opfer einer Rufmordkampagne, andere wählten noch drastischere Worte. Wie so oft im Artikel zeigt sich hier nur Fangehabe für eine Partei, keine nüchterne Analyse.

    Genauso nervig ist die Selbstüberhöhung junger Menschen und ihrer bevorzugten Kommunikationsmedien. Auswertungen zeigen sehr deutlich, dass der Einfluss der sozialen Medien in Wahlkämpfen ziemlich überschätzt werden.

    In der CDU gibt es derzeit drei Fraktionen, die sich gegenseitig blockieren. Auch das hätte in einer Betrachtung des Wahlkampfes durchaus Erwähnung finden können. Da sind die Merkelianer, die für gut 40% der Mitglieder stehen. Da sind die Konservativen im klassischen Sinne, die etwa 42-44 Prozent schaffen. Und da sind die Jungen, die sich keinem der beiden Lager zurechnen lassen. Laschet war der Kompromisskandidat. Nicht das war verhängnisvoll, sondern dass der Aachener glaubte, mehr als das zu sein und hierin von Schäuble und Bouffier bestärkt statt gebremst wurde.

    Baerbock und Laschet sind schlicht zwei völlig überforderte Kandidaten. Das ist ihr persönliches Versagen. Ihre Parteien haben sie gewähren lassen, statt ihnen in den Arm zu fallen. Das ist das Versagen der demokratischen Parteien, Kandidaten praktisch im Hinterzimmer unter Ausschluss der Mitglieder und Anhängerschaft zu bestimmen. Ein solches Versagen demokratischer Mechanismen darf sich nicht wiederholen. Gibt es mehrere Kandidaten, muss es einen offenen Kampf um die Nominierung geben.

    • Kning4711 7. September 2021, 13:52

      Gibt es mehrere Kandidaten, muss es einen offenen Kampf um die Nominierung geben.
      Volle Zustimmung – wobei sich darüber streiten ließe ob es per Wahl der Delegierten oder eben per Wahl der Mitglieder passieren sollte. Aufgrund der Fraktionsgemeinschaft der Union mit der CSU würde ich die Urwahl der Mitglieder präferieren, wenngleich das ein teurer und mühsamer Prozess ist.

      • Stefan Pietsch 7. September 2021, 14:16

        Wie in Frankreich: nicht nur Parteimitglieder, sondern auch Sympathisanten. Wenn die Franzosen das hinbekommen, dann wohl wir auch.

        • R.A. 7. September 2021, 16:34

          „nicht nur Parteimitglieder, sondern auch Sympathisanten.“
          Einspruch!
          Die Wahl des Spitzenpersonals ist eine ganz elementare Sache in einer Partei, oft wichtiger als die Abstimmung von Programmpunkten. Das muß demokratisch einwandfrei verlaufen, da dürfen also nur Leute Stimmrecht haben, die auch die Pflichten einer Mitgliedschaft tragen.

          Es kann sein, daß Außenstehende manchmal besser beurteilen können, ob ein Kandidat bei den Wählern gut ankommt. Viel stärker ist aber der Effekt, daß sie auf Äußerlichkeiten reinfallen und Leute nach vorne schieben, die für den Job schlicht nicht geeignet sind (auch Parteimitglieder fallen da oft rein, aber deutlich seltener).
          Ich wäre als Parteimitglied auch nicht bereit für einen Typ Wahlkampf zu machen, den irgendwelche Leute mir als Kandidat aufgedrückt haben, die selber dann abtauchen und sich als „Sympathisanten“ für nichts mehr zuständig fühlen.

          • Stefan Pietsch 7. September 2021, 18:15

            Mir gefiel der Wahlkampf der französischen Konservativen Les Republicains. 2017 waren dazu auch Unabhängige zugelassen. Denn Kandidaten werden nicht nur von ein paar Parteimitgliedern gewählt.

    • Stefan Sasse 7. September 2021, 14:24

      1) Ich habe auch Baerbock nicht gerade als Opfer ihrer Umstände hingestellt. Die hat das schon selbst verbockt.
      2) Ich sage nicht, dass Baerbock Opfer von Habeck wurde, aber das wüsstest du, wenn du lesen würdest was dasteht statt nur deine Vorurteile zu bestätigen.

      Mir ist das alles zu bad faith hier.

      • Stefan Pietsch 7. September 2021, 15:25

        1) Doch, hast Du. Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet Dir das nicht einmal auffallen mal. Wenn Du über die desaströse Kampagne der Grünen schreibst, bleibst Du nebulös und im Passiv.

        Anstatt, wie die SPD und FDP, eine Wahlkampagne, zugeschnitten auf die Persönlichkeit der Kandidatin, aufzufahren und damit ihr Potenzial zu nutzen, folgte der Erklärung der ersten grünen Kanzlerkandidatur – nichts.

        Welche Persönlichkeit? Das setzt A voraus, dass Baerbock eine kanzlerfähige Persönlichkeit habe. Du selbst konntest Monate nichts dazu schreiben, was genau die Grüne für das Amt qualifizieren könnte. Zweitens hat Olaf Scholz persönlich erklärt, warum er Kanzler werden will. Von Beginn an und immer wieder. Hatte er einfach nur die besseren Einflüsterer? So stellst Du es da.

        Während Du bei der Union zu personalisieren weißt – die vermeintlichen Beiträge von Laschet (Lachen), Merz (vorgestrig), selbst Maaßen (Rechtsextremer) -, und selbst Habeck als Mitschuldigen ins Boot holst, benennst Du an keiner einzigen Stelle der 7 DIN-A 4 Seiten (ich hab’s nachgemessen) persönliche Fehler von Annalena Baerbock. Im Gegenteil, Du verniedlichst bis zu Fake News: Lügen werden zu Lücken, die Nicht-Deklaration von Einkünften fällt ganz unter den Tisch, ihre talentfreie Schreiberei, ihr Kneifen vor kritischen Journalisten, alles nicht existent.

        2) Die Partei hatte den Luxus, zwei Alternativen zu haben: den in der Öffentlichkeit etwas bekannteren Habeck, der aber 1) ein Mann und 2) anfällig für ungescriptete Kommentare war oder Anna-Lena Baerbock, die weitgehend unbekannt, aber eine junge Mutter war. Beide Ansätze bargen Risiken, und es war zu erwarten – und wurde von mir auch vorhergesagt – dass die Grünen nach der Ausrufung eines Kandidaten oder einer Kandidatin scharfen Angriffen ausgesetzt sein würden, gleichgültig, wen der beiden sie wählten.

        Erste Gewitterwolken am Horizont waren bereits erkennbar, als Habeck in einem Interview erklärte, auf die Kandidatur zu verzichten, wenn Baerbock „als Frau“ Anspruch darauf erhebe. Damit beschädigte er von Anfang an ihre Kandidatur, und auch wenn er sich seither zusammengerissen und große Disziplin an den Tag gelegt hat, war das kein besonders guter Start.

        Auch Baerbock ist immer wieder für „ungescriptete Kommentare“ fähig, so zuletzt gestern als sie bezüglich des Problems der Überlastung des Pflegepersonals ernsthaft die 35-Stunden-Woche als Lösung vorschlug. Bei Dir wird Habeck zum Idioten. Tatsächlich ist er, nicht Baerbock an die Front, als die Kampagne im Treibsand steckte. Baerbock spielte dagegen Verstecken.

        Vielleicht schreibst Du das nächste Mal einen Artikel in der gleichen Form, ob Du der Richtung zuneigst oder sie ablehnst. Die Sprache, das sollte man Gender-Fans nicht erklären müssen, ist oft verräterisch. Uns sollte sprachliche Einseitigkeit nicht passieren.

        • R.A. 7. September 2021, 16:39

          Volle Zustimmung zu Deinen Ausführungen.

          „ihr Kneifen vor kritischen Journalisten“
          Das ist ein besonders eklatanter Punkt. Wie soll jemand das Land durch eine Krise führen oder wichtige Gespräche mit Leuten wie Putin führen, der sich nicht mal in eine Gesprächsrunde traut wenn dort kritische Fragen drohen.

          Die leere Seite, die die BILD als Baerbock-Interview gebracht hat, ist einmalig in der deutschen Zeitungsgeschichte. Und da kann man der Redaktion auch nicht vorwerfen, gegen Baerbock Stimmung zu machen. In dieser Form die Beantwortung von Pressefragen zu verweigern geht einfach nicht bei einem Spitzenpolitiker.
          Und ist auch ziemlich unverständlich, da es ja um eine schriftliche Befragung ging, bei der Baerbock sich bei den Antworten von ihrem Team beraten lassen konnte und kein Risiko von verbalen Ausrutschern bestand.

        • Stefan Sasse 7. September 2021, 18:26

          Ich mach Habeck nicht zum Idioten. Ganz sicher nicht. Der Kerl hat Söder und Merz beide in der Debatte niedergemacht.

          Und okay, Passivkonstruktion, hast du schon Recht. Ich ging davon aus dass klar ist, dass sie da mit drin hängt, weil sie als Vorsitzende und Kandidatin für den ganzen Kladderadatsch ja verantwortlich ist. Sie hat sich im Zweifel mit schlechten Ratgeber*innen und Wahlkampfmanager*innen umgeben und auf deren Rat gehört. Buck stops with her. Und ja, herausragend ist sie auch nicht, das behaupte ich aber auch nirgends. Nur, sie ist auch kein VOlldesaster.

        • Erwin Gabriel 9. September 2021, 12:04

          @ Stefan Pietsch

          SasseStefan hat die Union und die Grünen in den gleichen Topf geworfen, beide liefern einen schlechten Wahlkampf. Ob das nun etwas mehr an der Partei oder an den Kandidaten selbst liegt, kann man hier trefflich debattieren.

          Aber der Vorwurf, dass er schönt, ist nicht angebracht. Darüber, dass er bestimmte Dinge anders sieht als Du, brauchen wir wohl nicht diskutieren.

          • Stefan Pietsch 9. September 2021, 12:24

            Ich habe das an Darstellung und Sprache festgemacht. Dafür habe ich Vergleiche gezogen. Das ist nun ausdiskutiert.

          • Stefan Sasse 9. September 2021, 12:59

            Danke!

  • Thorsten Haupts 7. September 2021, 12:09

    Ich unterschreibe grosso modo alles, was über die Union und ihren Wahlkampf gesagt wird. Die stand mir einfach lange Zeit am nächsten und ich war mal in ihrem Umfeld politisch aktiv.

    Trotzdem fehlt eine Komponmente: Merkel kam, weil ein Grossteil der Journalisten sie mocht, über lange Zeit locker mit jenen bornierten, nichtssagenden und ausweichenden Antworten durch, die zu Laschets Verhängnis beitragen. Auf mich wirkt es, als seien da verschiedene Leute aus ihrem Dämmerschlaf erwacht und hätten beschlossen „Also jetzt tun wir mal so, als machten wir wirklich Journalismus“.

    Und ich halte die Probleme „Maassen“ und „Merz“ für sehr deutlich überzeichnet. Maassen regt im wesentlichen die twitteria auf, Merz eigentlich niemanden wirklich. Beide hätten auf einem beliebigen Platz einer beliebigen Stadt im Gespräch kein Problem, als genuin „bürgerlich“ durchzukommen und weder als radikal noch als aus der Zeit gefallen wahrgenommen zu werden. Es war immer eine (unter Merkel stark vernachlässigte) Stärke der Union, ihren Flügeln mehr Raum zu geben, als andere Parteien, ohne dass die Partei sich deshalb in Flügelkämpfen verbiss oder selbst beschädigte.

    Wenn M&M ein Unionsproblem darstellen, dann eher dadurch, dass sie offenlegen, dass auch in der Union „Leben und leben lassen“ nicht mehr funktioniert. Das aber ist elementare Voraussetzung für „Volkspartei“.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 7. September 2021, 14:25

      – Merkel: Ist nicht so als hätten sie nie versucht sie zu packen. Aber die ist Teflon. Das ist ihre große Fähigkeit, immer gewesen. Und die geht Laschet halt ab.
      – Maaßen und Merz: ich will das nicht übertreiben, das ist nicht entscheidend. Es sind Mosaiksteine im Gesamtgebilde.

  • Ariane 7. September 2021, 18:17

    Danke für die Analyse!

    Gemessen an denn Erwartungen, enttäuscht mich der Wahlkampf der Grünen tatsächlich am meisten. Da lobe ich sie seit Jahren, wie professionell sie die Partei spätestens seit 2017 auf Regierungskurs bringen und dann „vergessen“ sie irgendwie, dass davor ein Wahlkampf ist. Wenn ihr jemanden bei den Bohrleuten von den Grünen habt, unbedingt mal fragen, ob das die Male davor auch so war.
    Ist zwar jetzt das erste Mal auf Augenhöhe (damals) und mit Kandidatin, aber eigentlich nicht der erste große Wahlkampf der Grünen.

    Und bei etlichen Angriffen kamen die Konter dann ja eher von irgenwelchen Wählenden oder so per social media und nicht mal direkt von irgendwelchen Parteimenschen/gremien. Und wie erwähnt, dafür dass sie inhatlich punkten wollen, kommt auch eher wenig oder so, dass es bei mir nur noch ankommt, wenn sich die Springerpresse drüber aufregt.
    Ist mir dann auch – bei allem Verständnis – einen Tick zu defensiv. Wenn sie sich nicht trauen, irgendwas zu fordern, weil das ja jemanden aufregen könnte, kann man dann wirklich gleich die SPD wählen. Die Grünen haben da ja doch einen anderen Anspruch (und da zehren sie eben jetzt eher von ihrem Langzeitimage)

    Die CDU ist allerdings wirklich ein tragikomisches Faszinosum, dagegen waren die letzten SPD-Wahlkämpfe ja noch top! Ich glaube – da war Söder auch tatsächlich noch der mit dem besten Realitätssinn, weil er sehr früh meinte, man dürfe nicht mit den alten Merkel-Werten rechnen (zwischendurch hatte die Union ja auch absolute Spitzenwerte). Und nein, viel viel besser wäre es mit Söder vermutlich auch nicht gelaufen, vieles ist (auch) der Situation geschuldet. (das sehe ich ähnlich wie bei Habeck: es wären eben andere Dinge gewesen, wie zb die Korruption, die dann eine prominentere Rolle gespielt hätten)

    Aber es erweckt schon den Eindruck, als wäre man sehr siegessicher in den Wahlkampf reingegangen und nun rennen alle kopflos vor Panik durch die Gegend und stolpern übereinander. Was mit jeder neuen Umfrage nur noch schlimmer wird. Inzwischen sind wir ja schon in völlig historischen Kategorien, das ist ne asymmetrische Mobilisierung in die ganz falsche Richtung (aus Sicht der Union).

    Was du zwar hier und da schreibst, ich aber nochmal genereller ergänzen würde:
    Es ist ein Unionswahlkampf völlig ohne sympathische Momente. Da ist einfach nichts, als wäre das Absicht. (und was Merkel eben immer enorm geholfen hat, auch weil sie die Themen in denen die CDU unsympathisch rüberkommt, vorher abräumte).
    Das Modernisierungsjahrzehnt passt da nicht (und ist eh glaubwürdig). Aber irgendwie sowas wie die Mütterrente hätte zumindest mal etwas warmherzige Worte gebracht. Wäre ja nach diesen Coronajahren vielleicht ganz angebracht, aber Laschet ist kein Sympathieträger und dann holt er Merz zur Unterstützung, damit wirklich der/die Letzte noch wegläuft. Vielleicht auch noch so eine Art Flashback nach den Merkeljahren, dass man jetzt auf besonders breitbeinig macht, keine Ahnung.

    Wenn ich so an die Gesten von Merkel bei der Flut oder noch stärker AKK mit dem Evakuierungskommandanten denke, das fühlt sich schon sehr nach Bildern der Vergangenheit an – finde ich. Und sowas wie im Ahrtal ist als Amtsinhaber eigentlich wirklich ein Elfmeter und dann wird das so versemmelt. Und damit meine ich nicht nur das Lachen! Das ist schon arg tödlich, gerade wenn man dann nur den Merz zum „wieder wettmachen“ da hat.

  • Dennis 8. September 2021, 08:46

    Zitat Stefan Sasse:
    “ Der schlimmste strukturelle Faktor aber, der die CDU nach unten zieht, ist „Genosse Trend“.  “

    Richtig; scheint mir ein zentrales Argument zu sein. Merkels Erfolgsrezept war ja, die Unionschristen schonend an den gesellschaftlichen Wandel anzupassen. Der Wendehals beweist ja Anpassungsfähigkeit, was für Geschicklichkeit und nicht für Dummheit steht.

    https://naturfotografen-forum.de/data/o/42/210717/image.jpg

    Wie man’s machen muss, zeigt z.B. der Johnson, Boris auf der Insel, was stramm-konservative Gemüter wie beim rechten Spectator zwar aus der Fassung bringt….

    Zitat:
    „The surprise is that, in Boris Johnson, Britain has a Conservative who is almost as keen to spend as Biden. Just as Reagan and Thatcher before them, they share an economic view. But their view is that government spending is a crucial part of the revival of America and Britain’s economies. The Prime Minister has gone out of his way not just to align himself with the Biden administration’s foreign policy agenda, but its domestic one too. “

    ….aber davor schützt, womöglich in der Antikenabteilung zu vermodern. Irgendwann wird der Boris vermutlich auch die Wiederaufnahme in die EU beantragen^.

    Indem die Unionschristen diesen Dreh des lockeren Umgangs mit altertümlichen Heiligtümern, also Merkels Erfolgsrezept, womöglich verlernen, brennt die Hütte. Die Legende, dass die Hexe Merkel der Union ins Herz gestochen habe und dass darauf der ganze Schlamassel zurückzuführen sei, ist fehl geleiteter Unsinn. Tatsächlich hat die Hexe die Union bisher vor dem Schlimmsten, das man/frau schon seit einiger Zeit bei der SPD besichtigen kann, bewahrt. Bei den Genossen wiederum sind alle voraussichtlichen zusätzlichen Stimmen reine Scholz-Stimmen. Ob die Sozen das kapieren und ob das praktische Folgen hat, muss sich dann auch erst noch zeigen. Dass bei 24 Prozent oder so die Sektkorken knallen, gab’s früher auch nicht ^.

    Unionsmäßig sind Opa Merz und die Seinen eher hoffnungslose Fälle. Der Rebranding- und Schalterumdrehen-Spezialist Söder (der Kanzler der Herzen) käme tendenziell wohl eher dafür in Frage, für die Unionschristen so wie Mutti schonende Anpassungsarbeit zu leisten.

    https://pbs.twimg.com/media/E4lwDbZX0AEZTK7.png

    Eigentlich ginge das aber wohl auch mit Laschet, wenn der nur kein Pechvogel wäre 🙁 . Denn man/frau erinnere sich: Der initiale Auftritt Merkels damals gegen Schröder, namentlich im damaligen „Duell“ vor der Wahl, war auch ein Desaster, dem Wahlkampf-Profi Schröder konnte in dieser Hinsicht keiner das Wasser reichen. Der „Professor aus Heidelberg“ wurde legendär. Nur indem Schröder in jener weltberühmten Fernsehrunde nach der Wahl rüde empfohlen hat, Merkel schleunigst aus dem Verkehr zu ziehen, konnten die Unionisten diesen eigentlich auch ihren Wunsch nicht mehr erfüllen.

    Nicht nur Laschets Anfang ist also schwer^, aber man muss auch Fortune bzw. Windfall-Profits abkriegen. Dieses günstige Schicksal wird an Laschet womöglich vorbei gehen 🙁

  • Kning4711 8. September 2021, 11:29

    Der Unionswahlkampf wird immer skurriler – man merkt zunehmend die Verzweiflung und die Maschiniere geht immer weiter auseinander.

    Hier drei Beispiele:

    Frau Prien, Mitglied aus Laschets Zukunftsteam ruft bei Twitter dazu auf, den Gegenkandidaten von Maßen zu wählen. Grundsätzlich eine gute Sache, aber im Wahlkampf schon bemerkenswert. Zumal die SPD dort aktuell noch vorne liegt.

    Herr Reul, Innenminister aus NRW, fordert mehr Kampf in der Union und beklagt Zaghaftigkeit. Indirekt beschädigt er damit seinen eigenen Spitzenkandidaten.

    Und dann noch was aus der Rubrik – „Wir regieren NRW so, wie ich es mir auch für den Bund vorstellen würde“ – für mich eines der krassesten Steilvorlagen die das Laschet-Wahlkampfteam den Gegnern liefern konnte.
    Der Landesrechnungshof NRW stellte fest, dass die Verschuldung in NRW ein neues Rekordhoch erreicht habe. Damit verpufftt auch der Nimbus von den von Konservativen hochgehaltenen Mantra solider Haushaltsführung.

    • CitizenK 8. September 2021, 13:51

      In NRW ist aber doch die Lindnerpartei dabei?

    • Stefan Sasse 8. September 2021, 18:20

      NRW halte ich für überbewertet. Soooo schlecht ist Laschets Bilanz nicht, und vor allem die seiner Vorgängerin nicht besser. Oder eines anderen Bundeslands. Da fehlt der Kontrast.

    • Ariane 8. September 2021, 22:06

      Sag ich doch tragikomisch.

      Herr Reul, Innenminister aus NRW, fordert mehr Kampf in der Union und beklagt Zaghaftigkeit. Indirekt beschädigt er damit seinen eigenen Spitzenkandidaten.

      Noch lustiger fand ich, dass er meinte, man müsse jetzt „schnell“ ein Thema finden, so wie Klima bei den Grünen.

      Das mit „NRW regieren wie der Bund“ halte ich faktisch für bedeutungslos, ist aber natürlich ein dankbares Meme. Ähnlich wie „weil heute so ein Tag ist, ändert man nicht die Strategie“.

      Obwohl ich Dennis da auch zustimme, dass vieles Pech kombiniert mit Tollpatschigkeit ist.

      Diese ganze Panik macht es eben nur schlimmer, ich hatte schon überlegt, dass man sich intern vielleicht mit der Niederlage abfinden sollte, um da zumindest mal wieder Ruhe reinzubringen. Auf irgendeine Trendwende braucht man ja eh nicht mehr hoffen und so machen sie sich einfach nur zum Gespött und verlieren nochmal 2%. (nicht dass ich etwas dagegen hätte^^)

  • cimourdain 8. September 2021, 13:28

    Das größte Einzeldebakel der Grünen in diesem Wahlkampf hast du leider unterschlagen und es hat nichts mit Kommunikationsstrategie, medialem Gegenwind oder Annalena B. zu tun sondern ausschließlich mit Unprofessionalität: Die Nichtzulassung der Wahlliste der Saarland-Grünen, weil diese aufgrund interner Streitigkeiten und Intrigen nicht in der Lage waren, eine satzungs- und demokratiekonforme Liste aufzustellen. In diesem Bundesland wir der Stimmanteil der Grünen 0% betragen.

    • derwaechter 8. September 2021, 15:07

      Wahnsinn! Gott sei dank (aus grüner Sicht) ist das Saarland ziemlich klein. Aber wenn es wirklich knapp würde und am Ende an den fehlenden Stimmen von dort gelegen haben könnte, wäre das schon der Hammer.

      • Stefan Sasse 8. September 2021, 18:23

        Jepp.

      • Ariane 8. September 2021, 22:06

        Stimmt, hatte ich auch schon total vergessen (ist halt das Saarland)^^

        • Stefan Pietsch 8. September 2021, 23:42

          Das war eine der vielen Flops von Annalena Baerbock. Die Co-Vorsitzende der Grünen hatte sich nach der Wahl von Ulrich in die Causa eingeschaltet und auf Neuaufstellung der Landesliste gedrängt. Ohne dieses Drängen wäre aller Wahrscheinlichkeit die ursprüngliche, rechtmäßige Liste beim Landeswahlleiter eingereicht worden und das Problem wäre keins gewesen.

          Zuvor hatte sie schon im Fall des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer keine glückliche Hand, als sie persönlich das Parteiausschlussverfahren übernommen hatte. Peng, das erste Eigentor (oder war es die Sache mit den nachgemeldeten Nebeneinkünften?).

          Baerbock wird es sicher noch schaffen, die Grünen auf 8,6% zu bringen. Eine glückliche Hand dafür scheint sie ja zu haben.

    • Stefan Sasse 8. September 2021, 18:22

      Stimmt, hab ich völlig vergessen. Aber das ist halt auch nicht Wahlkampfthema, sondern organisatorisches Versagen eines Landesverbands. Vermutlich deswegen. Spielte ja auch eine merkwürdig kleine Rolle.

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