Die Guten, die Schlechten und die Irrelevanten – Teil 1: FDP und SPD

Genauso wie die Parteien in drei Doppelkonstellationen eingeordnet werden können, was ihre Einstellung zur aktuellen Lage und ihre Vorstellungen für die Zukunft betrifft, so können wir ihre Wahlkämpfe ebenfalls in drei Doppelkonstellationen sehen – die Guten, die Schlechten und die Irrelevanten. Den Teilnehmenden hat das politische Geschick eine Kartenhand zugeteilt, die gut (Grüne), akzeptabel (CDU, FDP, AfD, LINKE) und miserabel (SPD) war. Wie die Parteien diese Karten spielten sehen wir im ersten Teil einer Serie über die Wahlkämpfe der Parteien zur Bundestagswahl 2021 an. In diesem Teil befassen wir uns mit SPD und FDP, in Teil 2 mit Grünen und CDU und in Teil 3 mit LINKEn und AfD. 

Sieht man sich die Wahlkämpfe an, die die sechs Parteien anlässlich der Bundestagswahl betreiben, so dürfte ins Auge fallen, dass nur zwei davon überhaupt einen Anspruch darauf erheben können, gute Wahlkämpfe zu sein, die die Chancen ihrer jeweiligen Partei auf große Stimmenanteile erhöhen. Das sind die der SPD und FDP. Letzteres ist keine allzu große Überraschung. Bereits 2017 überzeugte die Wahlkampfleitung der Lindner-Partei mit ihrem klaren Fokus, ihrem deutlich erkennbaren Stil und ihrer prägnanten Botschaft. Auch vier Jahre später haben die Liberalen diese Qualitäten nicht verloren. Wesentlich überraschender ist die gute Performance der SPD, die seit 2005 wahrlich nicht an einem Überschuss guter Wahlkämpfe litt.

Ich möchte die Betrachtung mit der FDP anfangen. Ich habe sie oben nicht ohne Grund als „Lindner-Partei“ bezeichnet. Wie bereits 2017 sind die Liberalen komplett auf ihren Vorsitzenden zugeschnitten. Sein Gesicht ziert eine Mehrheit der Plakate, er ist medial ungemein präsent, er ist die unbestrittene Führungsfigur der Partei. Die FDP ist 2017 in einem Ausmaß personalisiert gewesen, das nur durch die CDU-Kampagne 2013 in den Schatten gestellt wurde (man erinnere sich an das legendäre Mega-Poster am Berliner Bahnhof mit Merkels Raute) und das 2021 keine Konkurrenz kennt.

Das ist clever, denn Lindner ist nicht nur gutaussehend und charismatisch, sondern auch ein guter Redner und scharfer Debattierer. Er verkörpert das Image, das die FDP sich zu geben versucht – jung, modern, aufstrebend, mit mehr als einem Hauch von Start-Up – auf eine Weise, wie Rainer Brüderle es nie hoffen konnte. Lindner hat für einen FDP-Politiker sehr gute persönliche Beliebtheitswerte. Es sollte unstrittig sein, dass er seine Partei zieht – eine Eigenschaft, die Olaf Scholz nicht zufällig mit ihm teilt, wie wir noch sehen werden.

Doch die FDP tut mehr, als nur ihren Vorsitzenden zu plakatieren. Ich habe bereits eingangs auf die klare Botschaft und das jung-moderne Image verwiesen. 2017 hatten die Liberalen die Digitalisierung und die Bildung als ihre Kernthemen ausgemacht, ein Fokus, den sie auch 2021 beibehalten. Sie verbinden beides mit einem Narrativ von Aufbruch, einer gewissen Start-Up-Romantik, die vage auf eine Zukunft technologischer Innovationen, entfesselter Wettbewerbskräfte und besseren Startchancen durch gute Bildung verknüpft. Kurz: Die FDP identifiziert einen Modernisierungsrückstand in Deutschland, der durch Investionen in die Zukunftstechnologie Digitalisierung und eine Bildungsoffensive beseitigt werden soll. Bewältigt wird dies nicht durch den Staat, sondern durch Unternehmen, die ebenso jung, modern und flexibel sind wie die FDP.

Diese Botschaft schallt von den Plakaten, den Werbespots und den Auftritten Lindners wider. Sie ist allerdings nicht die einzige Botschaft, die verkündet wird. Die FDP hat ihren traditionellen Fokus auf Steuersenkungen besonders für Unternehmen und Reiche nicht aufgegeben (O-Ton Lindner: „Erst die Wirtschaft und dann auch die Bürger entlasten“), der eher in die Vergangenheit als in die Zukunft weist. Nicht so sehr, weil Steuersenkungen per so ein überholtes Instrument sind, sondern weil es Erinnerungen an die alte FDP wachruft, die 2013 aus dem Bundestag geflogen ist. Dazu kommt, dass Steuersenkungen für Unternehme und Reiche, egal was man wirtschaftspolitisch von ihnen halten mag, in der Wählendenschaft unbeliebt sind. Es ist daher kein Zufall, dass sie im Wahlkampf keine hervorgehobene Rolle spielen. Hier ist ein kompetentes Wahlkampfteam am Werk.

Eine weitere Säule der FDP-Wahlkampfkommunikation ist die des liberalen Bollwerks gegen die Kräfte des Illiberalismus. Es ist eine Klaviatur, auf der die FDP mal mehr, mal weniger erfolgreich spielt. Denn hierbei handelt es sich um einen äußerst schweren Tanz, auf dem man leicht danebentreten kann. Während es für die Liberalen ziemlich einfach ist, eine Abgrenzung zur LINKEn herzustellen – keine andere Partei ist von Programm und Habitus der FDP weiter entfernt – ist es beim Rest schwieriger.

Lindner versuchte seit 2017 immer wieder, CDU, SPD und Grüne auf der einen Seite zusammenzurühren und die FDP als Verteidigerin der Freiheit gegen die „Sozialdemokratisierung“ der CDU und die „Linksfront“ aus SPD und Grünen zu inszenieren, die Partei auf der anderen Seite aber auch als demokratische Alternative für AfD-Wählende zu etablieren, die mit eben dieser „Konsenssoße“ zwar unzufrieden, aber nicht genuin rechtsradikal sind, also eine Art Protestvariante light anzubieten. Dies klappte in manchen Fällen besser als in anderen. Während die FDP etwa bei der Sozialpolitik diesen Tanz sehr erfolgreich tanzen kann, erlaubte sie sich bei der Covid-Politik etwa Ausrutscher. Auch bei der Kritik der Migrationspolitik machte sie nicht immer eine gute Figur.

Das heißt nicht, dass die FDP sich in eine „AfD light“ verwandeln würde; das wäre Polemik. Vielmehr ist es schlicht schwierig, die entsprechenden Abgrenzungen verbal hinzubekommen. Ein ähnliches Problem haben SPD und Grüne mit demselben Tanz in Richtung der LINKEn ja auch, wie man besonders gerne sieht, wo es um Mietendeckel und 2%-Ziel der NATO geht.

Insgesamt aber, das ei abschließend bemerkt, fährt die FDP einen professionellen Wahlkampf mit einem klaren Zuschnitt auf ihren Vorsitzenden, dessen charismatische Persona ein Zugpferd darstellt und deren Rhetorik aufeinander abgestimmt und zueinander passend sind. Diese Harmonie der FDP-Slogans, -Auftritte und -Plakate ist ein großer Treiber hinter dem zu erwartenden deutlich zweistelligen Wahlergebnis (neben den strukturellen Ursachen natürlich).

Weniger eindeutig ist der gute Wahlkampf der SPD. 2009, 2013 und 2017 trat die Sozialdemokratie jeweils mit einem Kandidaten an, der, höflich ausgedrückt, nicht eben die Massen begeisterte. Zudem verkörperten Steinmeier, Steinbrück und Schulz keine Alternativen zu Angela Merkel; ihre Ansprüche auf das Kanzleramt wirkten nicht nur angesichts der SPD-Umfragewerte, sondern auch angesichts ihrer Personas hohl.

Es ist nicht eben so, als ob Olaf Scholz davor gefeit sei. Der Mann ist ein Produkt der Agenda2010-SPD, er gehörte immer den Schröderianern an, genauso wie Steinmeier und Steinbrück. Seine eigene Partei war so unbegeistert von ihm, dass sie in der Vorsitzenden-Wahl die praktisch unbekannten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wählte, nur um ihn als Vorsitzenden zu verhindern. Die nicht eben herausragenden Beliebtheitswerte und geringe Machtbasis in der Partei waren es dann, die zu dem Kompromiss führten, den eben noch als Vorsitzenden abgelehnten Scholz als Kanzlerkandidaten zu nominieren – eine Konstruktion, die ziemlich peinlich war und von Beginn an eine schwere Hypothek für den Kandidaten darzustellen schien.

Dass es nun anders kam liegt daran, dass die Wählendenschaft zwei Fragen für sich beantwortet hat. Die erste Frage lautet, grob verkürzt: „Wollt ihr Kontinuität oder wollt ihr Wandel?“ Die Antwort der Deutschen ist ziemlich überwältigend: „Kontinuität“. Dadurch erklärt sich ein guter Teil der Wählenden-Wanderung von den im Frühjahr noch hochfliegenden Grünen (dazu mehr im zweiten Teil) zur SPD. Die zweite Frage lautet: „Was haltet ihr von Armin Laschet?“ Die Antwort ist mittlerweile sattsam bekannt; der CDU-Vorsitzende hat es geschaft, dass Anna-Lena Baerbock in den Beliebtheitsrankings vor ihm liegt, wenngleich das angesichts ihrer unterirdisch niedrig liegenden Latte eher eine Kuriosität der Zahlen darstellt.

Ohne diese beiden Entwicklungen wäre Olaf Scholz‘ Aufstieg in den Umfragen, und mit ihm der der SPD, nicht vorstellbar. Aber noch ein weiterer Faktor kommt hinzu: Angela Merkel steht nicht mehr zur Wahl. Man verliert es angesichts der beeindruckenden Zugewinne aus den Augen, aber Scholz erreicht gerade mit Mühe und Not das Ergebnis der Stones von 2009 und 2013 und überholte erst jüngst das schlechteste SPD-Ergebnis aller Zeiten von Martin Schulz aus dem Jahr 2017. Scholz und die SPD sehen nur in Relation zur CDU gut aus, die die schlechteste Umfrageergebnisse aller Zeiten einfährt, deren Kandidat einstellige Beliebtheitswerte hat und die ohne ein Wunder das schlechteste Wahlergebnis in ihrer Geschichte einfahren wird. Träte Angela Merkel noch einmal an, kämpfte die CDU nicht um Platz 1, sondern um die Frage, ob sie 30%+X schafft.

Aber die Kanzlerin tritt nicht noch einmal an, und so haben wir 2021 zum ersten Mal seit 1949 (!) eine Bundestagswahl, bei der Amtsinhabende nicht zur Wahl stehen. Dieser Faktor ist die einzige Chance der SPD, und sie nutzt sie. Ich schrieb eingangs, dass die SPD eine miserable Kartenhand besaß. Katastrophale Umfragewerte, einen wenig charismatischen, von der Partei wenig geliebten Spitzenkandidaten, Erschöpfung durch lange Regierungsbeteiligung, Ideenlosigkeit und Überalterung sind alles wenig umstrittene Zustandsbeschreibungen der „alten Tante“ SPD. 2009, 2013 und 2017 versenkten diese Faktoren alle Chancen, Merkel zu ersetzen. Doch 2021 gibt es niemanden zu ersetzen, sondern jemanden zu beerben.

Und genau das erkannte die SPD früher und klarer als die Partei, die eigentlich der natürliche Anwärter für diese Erkenntnis gewesen wäre. Während die CDU sich in schmerzhaften Streitereien erging, wohin die konservative Seele gegangen sei und wie man verlorenen Boden wiedergutmachen könnte, mit all den damit einhergehenden Richtungs- und Didadochenkämpfen, die die SPD aus ihren letzten 15 Jahren nur zu gut kennt, inszenierte sich Olaf Scholz als Erbe von Angela Merkel.

Es war seine einzige Chance. Scholz konnte kaum als revolutionärer Neuerer der SPD auftreten, zu sehr war er mit der Agenda-Politik verknüpft. Er konnte nicht versuchen, mit den Grünen um die besten Konzepte zur Erneuerung Deutschlands zu streiten, dafür ist die SPD zu altmodisch, und davon abgesehen ist es Dualismus zwischen Grünen und FDP, der dieses Feld bestellt. Nein, die einzige Chance, die Scholz hatte, war, als standhaft-verlässlicher Krisenmanager à la Merkel aufzutreten, als jemand, der das Schiff des Staates mit ruhiger Hand durch unruhige Zeiten steuert. Nichts wies Ende 2020 darauf hin, dass diese Strategie Erfolg haben könnte. Zu klar schien der Wechselwille nach 16 Jahren Merkel zu sein.

Erst die massiven Fehler der beiden größten Konkurrenten, der CDU und der Grünen, erlaubten es der SPD, als Alternative attraktiv zu werden. In dem Ausmaß, wie die Wählenden sich gegen den von den Grünen propagierten Wandel entschlossen und sich von Laschet als natürlichem Erben Merkels abwandten, erschien plötzlich Scholz‘ Kanzlerkandidatur als nicht nur möglich, sondern realistisch. Es war der Erfolg, der den SPD-Wahlkampf effektiv machte, nicht umgekehrt. Scholz trat in eine mediale Spirale ein, die das genaue Gegenteil von Baerbocks und Laschets war. Wo es mittlerweile völlig irrelevant ist, was Laschet sagt, weil es doch als lächerlicher Fehltritt betrachtet wird, so ist irrelevant, was Scholz sagt: er wirkt staatstragend und kompetent. Seine nüchterne Kanzlerhaftigkeit auf den Plakaten ist ein Produkt des Erfolgs; die Plakate würden albern wirken, wenn er in einem ähnlichen Strudel der Negativ-Presse wie Laschet gefangen wäre.

Aber er ist es nicht. Und dass er es nicht ist, hat nicht nur – wenngleich einiges – mit den äußeren Umständen zu tun. Während die Qualität des FDP-Wahlkampfs vor allem eine Qualität der richtigen Entscheidungen ist – Ästhetik, Botschaft, Fokus – ist die Qualität des SPD-Wahlkampfs vor allem eine dessen, was man NICHT tut. Das Rennen um den SPD-Vorsitz zu verlieren war das Beste, das Scholz passieren konnte, ist rückblickend die Basis für seinen Erfolg.

Denn Steinmeier und Steinbrück scheiterten zu nicht unerheblichen Teilen an dem völligen Widerspruch zwischen ihren Worten und ihrer Person einerseits und dem SPD-Programm und der Stimmung der Partei andererseits. Beides passte hinten und vorne nicht zusammen. Die Basis sagte das eine, der Kandidat das andere, und das Willy-Brandt-Haus machte irgendwie Wahlkampf auf Autopilot. Steinmeier verschwand darüber praktisch komplett, Steinbrück lehnte sich auf und versenkte mit dem Mittelfinger-Bild in der Süddeutschen Zeitung seine Kandidatur endgültig. Schulz war ohne jede Machtbasis und ohne Vision und führte einen chaotischen Wahlkampf gegen das Willy-Brandt-Haus, in dem die rechte Hand nicht wusste, was die linke tat, und der Fokus sich von Tag zu Tag änderte (ich empfehle hier die Lektüre von Markus Feldenkirchens „Die Schulz-Story„, die geradezu erschreckende Inkompetenz offenbart).

Nichts davon trifft auf den Wahlkampf 2021 zu. Die rituelle Demütigung Scholz‘ bei der Vorsitzendenwahl und die Aufstellung von Esken und Walter-Borjans hat die Partei-Linke befriedet. Die beiden Vorsitzenden und Jungstar Kevin Kühnert haben sich vollkommen der Parteidisziplin unterstellt und betreiben Wahlkampf für Olaf Scholz, nicht für die eigene Machtstellung in der Partei. Scholz seinerseits lässt dem linken Flügel die Illusion, dass die Übernahme weiter Teile ihrer Formulierungen im Wahlprogram irgendwelche konkreten Gewinne darstellen würde, und spielt die Klaviatur des Funktionärsapparats.

Der SPD-Wahlkampf ist kein Parteiwahlkampf, sondern einer für eine Person: Olaf Scholz. Seine Brillanz liegt in der Erkenntnis des Spitzenkandidaten, dass er keine Partei hat, auf die er Rücksicht nehmen müsste. Er kopiert damit die Wahlkampfstrategie Joe Bidens von 2020: Auch der demokratische Präsidentschaftsbewerber gab dem linken Parteiflügel bei der Gestaltung der Programmatik großen Freiraum und inszenierte sich als selbst als staatstragende Alternative zum unbeliebten Konservativen, wohl wissend, dass die Regierungspraxis und Mehrheitverhältnisse relevanter waren als erhabene Programmrhetorik.

Genauso wie Biden lässt sich Scholz nicht davon aus der Ruhe bringen, dass das Programm unterambitioniert ist, was zum Beispiel den Klimawandel angeht (hier echauffiert sich das taz-Blog darüber). Stattdessen gelingt ihm, was Laschet wesentlich tollpatschiger versucht: Ruhe ausstrahlen, Zuversicht, Beruhigung. Die SPD wird keine Verbrenner wegnehmen, keine Inlandsflüge verbieten, keine Kohlearbeitsplätze streichen, sprich: nichts von dem tun, was notwendig wäre, aber schmerzhaft ist. Stattdessen, das ist meine Prognose für den Fall eines Scholz-Siegs, wird es laufen wie in den USA: Scholz, der Kandidat der moderaten Mitte, wird plötzlich das ambitionierteste Programm auflegen, das die Republik mindestens seit der Agenda2010 gesehen hat, weil „die Umstände“ ihm, leider, leider, keine Wahl lassen. Das politische Kapital dafür erwirbt er im Moment.

Es sei aber noch einmal betont: Die SPD erreicht in den Umfragen aktuell einen Höchststand von 25%. In allen Wahlen wäre das kein Grund zum Jubeln, und schon gar kein Grund anzunehmen, dass der Spitzenkandidat sonderlich zugkräftig wäre. Scholz profitiert massiv von der Schwäche der CDU und den Grünen, die seine Wahlkampfstrategie überhaupt erst ermöglichen. Aber der Wahlkampf und die große Disziplin der SPD, die Scholz‘ Strategie, sie effektiv zu ignorieren, unterstützt, sind essenzielle Zutaten dieses Mixes. Scholz spielt seine schlechte Hand so gut wie irgend möglich.

Bisher haben er und sein Wahlkampfteam nur eine Taktik nicht angewandt: das direkte Beanspruchen des Kanzleramts. Diese Taktik – quasi ein Ausschließen jeder Koalition, in der Scholz nicht Kanzler ist – auf Basis dessen, was man in den USA ein „popular mandate“ nennen würde, könnte theoretisch die aktuellen Beliebtheitswerte Scholz‘, die jenseits der 50% liegen, kapitalisieren. Ungeachtet der Tatsache, dass die Union das entschieden ablehnt, würde so für manche Wählende eine SPD-geführte Deutschland-Koalition denkbar sein. Gleichzeitig aber ist es extrem risikoreich. Es ist daher verständlich, dass die SPD das nicht tut, und ich würde das an ihrer Stelle denke ich auch nicht. Es ist aber etwas, das zumindest unter Politstrateg*innen diskutiert wird.

Zusammenfassend haben wir zwei gute Wahlkämpfe: einen mit kompetentem messaging durch die FDP, den anderen durch große Disziplin in der SPD, beide vereint durch einen kompetenten Spitzenkandidaten. Im nächsten Teil werden wir zwei Wahlkämpfe untersuchen, auf die das emphatisch nicht zutrifft.

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  • Kning4711 6. September 2021, 11:09

    Vielen Dank für Deine Analyse.
    Ich finde beide Parteien auch in Ihrer Kampagne extrem professionell. Die Slogans „Nie gab es mehr zu tun“ bzw. „Scholz packt das an“ sind schon unkonventionell und damit einprägsam und auch die Bildsprache ist sehr dynamisch und gut gewählt.

    Was ich bei Scholz sehr bemerkenswert finde sind seine zwei Gesichter. Im Fernsehen kommt er immer rüber als der „Scholzomat“ – nüchtern, ruhig seriös wie ein Sparkassendirektor. Was man so liest und hört, von Menschen die ihm im Straßenwahlkampf erleben, verkauft er sich dort deutlich besser: witzig, zugewandt, interessiert. Könnte er das noch medial kapitalisieren, wären die Werte für die SPD noch besser.

    Lindner habe ich schon persönlich erleben dürfen und kann sagen, das sich es sehr beeindruckend finde, wie dieser Mann sich in den Wahlkampf wirft. Die Auftritte sind wirklich sehenswert, auch wenn man kein FDP Fanboy ist – in Sachen Kommunikation, Auftritt und Stil ist das schon echt großes Kino. Gepaart mit einer guten auf ihn zugeschnittenen Kampagne, kann er entgegen des Zeitgeists ganz gut punkten.

    Ich bin gespannt auf Deine CDU Analyse – was mir dort echt auffällt sind überraschend vielen Fails in der Kommunikationen via den sozialen Medien und sehr krasse Bildsprache-Fehler. Man hat den Eindruck, da hat das Konrad Adenauer Haus bei der Vergabe der Kampagne aufs falsche Pferd gesetzt.

  • Kirkd 6. September 2021, 11:38

    Wenn ich den Zusammenbruch des Unionswahlkampfes sehe, bin ich mir nicht mehr sicher, ob es dem Wähler wirklich um Kontinuität geht. Vielleicht ist da die Presseblase auch einfach der SPD Kampagne aufgesessen. Könnte es nicht sein, dass unter dem Merkelschen Mehltau mehr Wille zu Wandel und Gestaltung verborgen lag, als alle annahmen? Und jetzt ist die Chance zum Wechsel da und keiner steht bereit? Ist es nicht so, dass Scholz in der berechenbaren Person Kontinuität aber in der möglichen Koalition (Ampel oder R2G) Wandel verkörpert? Deshalb ist er relativer Sieger aber wegen der eigentlich disparaten Kampagne reicht es zu nicht viel?

    Die Mehrheit der Bürger hat in den letzten zwei Jahren sehr wohl realisiert, dass der Staat hinterherhinkt und eben nicht alles gut ist. Nur die Parteien waren auf einen Erneuerungswahlkampf bis auf die Grünen nicht vorbereitet und die Grünen haben es verbockt?

    • CitizenK 6. September 2021, 12:02

      Stefans Analyse folgend: Wenige Prozent Wählerstimmen werden entscheiden über Weiter-So oder Veränderung. Diese hängen von der Art des Wahlkamps (Wahl der PR-Agentur?) und dem Zeitpunkt der Wahl ab: Zwei Wochen früher oder später und wir haben eine ganz andere Richtung.

      Etwas OT, ich weiß. Treibt mich trotzdem um: Was sagt das über unser politisches System?

      • Stefan Pietsch 6. September 2021, 12:08

        ???

        Die meisten demokratischen Wahlen werden knapp entschieden. Was sagt das über die Demokratie aus?

        • CitizenK 7. September 2021, 07:45

          Ich meinte den Aspekt der „Stimmungsdemokratie“: Immer mehr Unentschlossene, die erst in der Wahlkabine „entscheiden“. Ein Aufreger in der Woche vor der Wahl – und das Land geht 4 Jahre in eine Richtung, welche die Mehrheit gar nicht will.

          • Stefan Sasse 7. September 2021, 09:28

            Dann muss die Mehrheit sich halt nicht aufregen lassen. Ich hasse diese Infantilisierung der Wählendenschaft. Zur Demokratie gehört Verantwortung!

          • Stefan Pietsch 7. September 2021, 10:11

            Ich halte das für einen Mythos. Letzte Woche kamen Umfragen heraus, dass sich die Mehrheit der Wähler bereits entschieden habe. Ein kolossaler Sprung, der sich aber mit vorherigen Wahlen deckt. Dazu kommt, dass ohnehin über die Hälfte vorzeitig per Briefwahl ihre Stimme abgeben wollen.

            Mir ist noch niemand begegnet, der sich erst im Wahllokal entschieden hat. Wenn das Phänomen so weit verbreitet ist, müsste man ab und zu solche Leute kennenlernen. Ich habe in fast 40 Jahren nie so jemanden erlebt. Wer nicht weiß, was er wählen soll, geht meist nicht wählen.

            Was ich zuletzt von Wahlexperten und Demoskopen gelesen habe, ist, dass die Wahl am 26. September weitgehend gelaufen ist. Der Spielraum für Trendumschwünge wird mit jedem Tag kleiner. Das sagen übrigens auch die Parteien, gerade die Union. D.h. nicht, dass die aktuellen Umfragen das Wahlergebnis 1:1 abbilden. Aber das, was Sie zeichnen, wird es nicht (mehr) geben.

            Herzlichen Glückwunsch Herr Scholz!

          • Dennis 7. September 2021, 11:42

            Na ja, diese Geschichte vom „last minute swing“ müssen die Demoskopen ja in die Welt setzen, falls sie mal wieder grotten-falsch liegen/lagen; nur in diesem speziellen Fall gilt das. Wie gut, dass all sowas keiner nachprüfen kann.

            Wie dem auch sei, spätestens fünf Minuten nach den Exit-Polls, also so um zehn nach sechse am Wahlabend, werden ja diverse Experten mit und ohne Prof uns ganz genau aufklären, warum die Leut genau so gewählt haben und warum watt anderes gar nicht zu erwarten war.

      • Stefan Sasse 6. September 2021, 13:25

        Dass die Politik um Wähler*innenstimmen werben muss?

    • Stefan Sasse 6. September 2021, 13:24

      Die SPD steht für Veränderung, aber nicht für viel. Es ist mehr Kontinuität drin. Deswegen haben sie ERfolg.

      • Kirkd 6. September 2021, 15:11

        Ich höre nur plötzlich wieder ne Menge Leute die SPD wählen wollen, und alle machen das um was zu ändern, da sagt keiner, ich will das es so weiter geht. Keiner. Genauso online in der Twitterblase.

    • Kning4711 6. September 2021, 14:08

      Nur die Parteien waren auf einen Erneuerungswahlkampf bis auf die Grünen nicht vorbereitet und die Grünen haben es verbockt?

      Zumindest hatten Sie die Pole-Position und fahren aktuell auf Platz – natürlich werden die Grünen ein besseres Ergebnis als die 8,9 % der letzten Wahl abliefern. Aber der eigene Anspruch war deutlich höher gesteckt, sonst hätte man nicht eine Kanzlerkandidatin nominiert.

  • Stefan Pietsch 6. September 2021, 12:07

    In meinem Umfeld werden in drei Wochen einige das erste Mal FDP wählen. Der Grund ist aber nicht der schicke Herr Lindner und das Versprechen auf Steuersenkungen. Gerade jungen Menschen geht die Verbotskultur in diesem Land immer mehr gegen ihren eigenen Freiheitsdrang.

    Schon nach 2013, aber erst recht mit der Corona-Pandemie haben die Liberalen sich etwas gesichert, was unabdingbar für Erfolg ist: Alleinstellungsmerkmale und Unterscheidbarkeit. In ihrer kritischen Haltung zu langanhaltenden und weitreichenden Einschränkungen der Individualrechte setzt die Partei Lindners einen klugen Contrapunkt. Je mehr die Zustimmung zu den Lockdown-Maßnahmen sank, desto mehr stiegen die Umfragewerte der FDP. Nun, da die Union regelrecht unterzugehen droht, stellen die Gelben die letzte Bastion der Bürgerlichen gegen die Übernahme durch die Linken dar. Das wird im Endspurt noch einige Stimmen auf CDU-Seite kosten.

    Der Aufstieg von Scholz ist das Produkt der politischen Arroganz von CDU und Grünen. Die im April aussichtsreichsten Parteien auf das Kanzleramt wollten mit dem Kopf durch die Wand, in dem sie Kandidaten nominierten, die nach innen wirkten, aber kaum Sex-Appeal nach außen besitzen. Je mehr sich Laschet und Baerbock aufgrund eigener, charakterlich verankerter Tollpatschigkeit und Lebensunerfahrenheit selbst demontierten, desto attraktiver wirkte der an sich farblose Finanzminister. Plötzlich interessierte niemanden mehr, dass Scholz ein großer Versprecher ist, zuletzt aber kaum etwas einhalten konnte. Immerhin verhält er sich im Gegensatz zu seinen Konkurrenten wie ein Profi.

    Mit dem Erfolg könnte Scholz die innerparteiliche linke Opposition regelrecht zertrümmern. Saskia Esken schrumpft derzeit schon und dürfte nach dem 26. September wieder die Größe erreicht haben, die ihrem politischen Können entspricht. In Unternehmen, wo die Belegschaft schon mal das Nahtoderlebnis einer Insolvenz erlebt hat, werden die Mitarbeiter demütiger – manchmal. Der Unterschied zwischen einer 14%-Kleinpartei ohne Ambitionen und einer 25%-Kanzlerpartei mit Gestaltungsanspruch heißt im Falle der SPD: Olaf Scholz.

  • sol1 6. September 2021, 13:09

    Die SPD hat also mit einem Merkel-Wahlkampf Erfolg, weil die CDU nur noch Merkel-Wahlkämpfe kann (aber dafür nicht den richtigen Kandidaten hat).

    • Stefan Sasse 6. September 2021, 13:26

      Eben nicht, sie machen KEINEN Merkel-Wahlkampf. Deswegen gehen sie unter.

      • sol1 6. September 2021, 20:28

        „Eben nicht, sie machen KEINEN Merkel-Wahlkampf.“

        Ja – aber erst seit ihre Umfragewerte ins Trudeln geraten sind.

  • Hias 6. September 2021, 18:17

    Gut analysiert.
    Vielleicht zur Ergänzung noch zwei Punkte. Meines Erachtens schießt sich die Union mit ihrer Roten Socken Kampagne teilweise auch ins Knie. Auf der einen Seite wird es wohl den Abwärtstrend stoppen, aber auf der anderen Seite auch die FDP interessant machen. Sieht man auch an der seltsamen Warnung vor der Ampel als Linksrutsch leicht.

    Und noch ein Punkt zur SPD. Ich würde die Performance der Wahlkämpfer vor Ort nicht unterschätzen. Nach drei ziemlich bitteren Bundestagswahlen stehen da Leute an den Infoständen, die Gegenwind gewohnt sind. Diese haben auf einmal Rückenwind, das gibt noch mal Kraft, während es für die meisten Unions-Wahlkämpfer genau andersrum ist.

    • Stefan Sasse 6. September 2021, 18:23

      Jepp. Aber erneut, das funktioniert nur, weil die SPD im Aufwind ist. Der Erfolg macht den Wechsel möglich, der Wechsel die Ampel, und das sorgt dafür, dass Mitte-Wählende plötzlich Olaf Scholz als Kanzler und die FDP als Korrektiv sehen. Ansonsten würde die gleiche Dynamik einer Jamaika-Koalition zugute kommen, oder in früheren Zeiten einem schwarz-gelben Bündnis.

      Völlig richtig, mein morgiger Artikel zur CDU wird sich sehr viel mit diesem Rückenwind beschäftigen.

    • Dennis 7. September 2021, 12:59

      Zitat Hias:
      „aber auf der anderen Seite auch die FDP interessant machen. “

      Auf diesen Trichter ist mittlerweile Söder offenbar gekommen, von dem man nunmehr erfährt: „Wer FDP wählt, wählt rot-grün“. Andererseits ist Lindner seit 5.9., abends, von der „inhaltlichen Orientierung “ der CDU „nicht überzeugt“. Die Karten werden jetzt mindestens 3 x täglich neu gemischt.

      • Stefan Pietsch 7. September 2021, 14:15

        Seit dem 2.9. kennt man eine neue Seite an Saskia Esken: Voraussetzung für eine Koalition (damit K.O.-Kriterium) sei das Bekenntnis zu finanzwirtschaftlicher Solididät. Esken! Ordentliche Finanzen! Da fallen Weihnachten und Ostern auf einen Tag.

  • Lemmy Caution 6. September 2021, 18:25

    Ich werde wohl doch zum SPD Stammwähler. Grüne sind dann doch erstmal nicht wählbar, v.a. wegen der Spitzenkandidatin. Ich kann zwar Leute wie Saskia Esken und Kevin Kühnast auch nicht leiden, aber Bundestagswahl ist halt kein Wunschkonzert.
    Mit dieser Wahl manifestiert sich auch mein starkes Vertrauen in mein Vaterland. Ich denke, dass selbst eine Volksfront-Regierung aus SPD, Grüne und Linke dieses Land nicht zerstören kann. Immerhin wäre das die erste Volksfront-Regierung in Deutschland. In Frankreich hat das 2x in einem Desaster geendet (1936 bis 40 und Anfang der 80er https://de.wikipedia.org/wiki/Kabinett_Mauroy). In Chile brachte die erste Volksfront-Regierung unter Pedro Aguirre Cerda 1938 bis 1941 das Land ein gutes Stück nach vorne und die zweite eher nicht (1970-73).
    Deutschland würde das aushalten.
    Ein bisschen Umverteilung fänd ich gut, auch wenn ich persönlich noch mehr Steuern zahlen werde.
    Mein Cousin sieht das als Grünen-Stammwähler übrigens ungefähr genauso. Die Volksfront ist also auch von Leuten wählbar, die bei ihren Erwartungen bezüglich der pekuniären Vergütung ihrer geldarbeitsmässigen Bemühungen alles andere als zimperlich sind.
    Mit mitte 2o bis ende 30 habe ich Salon-Linke gehaßt und irgendwie bin ich nun so geworden. Vielleicht hab ich weder Herz noch Verstand?
    https://www.youtube.com/watch?v=5ecMgcTpmdw
    Mein Cousin war seit er wählen kann, eigentlich immer irgendwie Salon-Linker, obwohl er in der Jugend für ein Taschengeld CDU Wahlplakate geklebt hat.

    Die FDP sehe ich überhaupt nicht als Modernisierer. Der letzte Wirtschaftsminister von denen, Phillip Rösler, war jedenfalls eine Flachpfeife. Der nächste würde die Erwartungen auch nicht erfüllen. Aus meiner Sicht hat sich zumindest die Führungs-Riege in einer Art Vulgär-Hayekanismus behaglich gemacht, der auf alle Fragen eine Antwort weiss, die aber – nach meinen Überlegungen – nicht mehr in die Zeit passen.
    Wirtschaftspolitische Grundüberzeugungen leiten sich letztlich von Modellen ab. Wie hilfreich die für die Erklärung der Realität sind, hängt auch von den Zeitläufen ab. Die Welt ändert sich. Wir leben nicht mehr in den 80ern.

    • Ariane 6. September 2021, 23:02

      Kevin Kühnast

      Kühnert. Künast ist die von den Grünen^^

      Aber wir nennen R2G jetzt doch bitte nicht Volksfront? Da hab ich sofort die Volksfront von Judäa im Ohr 😀

      • Stefan Sasse 6. September 2021, 23:06

        Judäische Volksfront!

      • Lemmy Caution 6. September 2021, 23:52

        Vielleicht bist Du einfach einen Tacken über-anglifiziert.
        Ich denke da eher da dran: https://www.youtube.com/watch?v=JT5z4SOI0eo
        Wobei Allendes Koalition 1970 nur Unidad Popular hiess, weil der Name Frente Popular historisch schon vergeben war, nämlich die ziemlich richtungssetzende Koalition von Sozialisten, Kommunisten und Links-Liberalen 1938 bis 41.
        In Frankreich hießen Koalititonen zwischen Sozialisten und Kommunisten auch Volksfront. War ein großes Ding, scheiterte dann aber endgültig Mitte der 80er.
        In Spanien auch vor dem Bürgerkrieg als Regierungs-Koalition und später als Bezeichnung für nie realisierte Koalitionen aus Sozialisten und Kommunisten.

    • Stefan Sasse 6. September 2021, 23:04

      Philipp Rösler ist aus einer anderen Ära.

      • Lemmy Caution 6. September 2021, 23:55

        Der war sehr jung und dem politischen Tagesgeschäft nicht gewachsen, aber ideenmässig sehe ich keinen großen Unterschied zwischen Lindner und dem. Hört sich schlüssig an, passt aber nicht mehr in die Zeit.

        • Dobkeratops 7. September 2021, 08:57

          Kann ich nachvollziehen. Gefühlt antwortet Lindner auf jede Frage mit „Eigenverantwortung“ oder „Steuersenkung“, selbst wenn die Frage war, was gegen Fußpilz hilft.

          • Stefan Sasse 7. September 2021, 09:29

            Der Kerl ist halt ein fähiger Wahlkämpfer.

          • Erwin Gabriel 7. September 2021, 18:09

            @ Dobkeratops 7. September 2021, 08:57

            … selbst wenn die Frage war, was gegen Fußpilz hilft.

            In dem Fall ist „Eigenverantwortung“ eine zulässige und zutreffende Antwort.

        • Stefan Sasse 7. September 2021, 09:30

          Das lag wenig an der Jugend Röslers, der Mann war einfach nicht sonderlich gut und hat eine völlig desolate Partei in einem extrem feindlichen Umfeld übernommen.

    • R.A. 7. September 2021, 11:53

      „Der letzte Wirtschaftsminister von denen, Phillip Rösler, war jedenfalls eine Flachpfeife.“
      Rösler war ein hervorragender Gesundheitsminister. U. A. haben wir ihm das Pandemie-Konzept zu verdanken, daß uns viel besser durch die Corona-Krise gebracht hätte – wenn seine Nachfolger es umgesetzt hätten.

      Als Wirtschaftsminister war er so blaß wie alle seine Nachfolger – weil dieses Ministerium seit Eichel völlig entkernt ist und keine relevanten Kompetenzen mehr hat.

      • Stefan Sasse 7. September 2021, 14:21

        Das Wirtschaftsministerium ist eine Falle. Hat die SPD auch gemerkt. Idiotie von Gabriel seinerzeit…

    • R.A. 7. September 2021, 11:57

      „Ich denke, dass selbst eine Volksfront-Regierung aus SPD, Grüne und Linke dieses Land nicht zerstören kann.“
      Zerstören nicht. Aber schwer schädigen.
      Vor 20 Jahren hätte ich das noch deutlich lockerer gesehen.

      Aber inzwischen ist das Land halt schon massiv vorgeschädigt. Die Strukturen sind marode, der Staatsapparat verfettet und in weiten Teilen aktionsunfähig, der Wohlstand geht zurück, die Digitalisierung wurde verschlafen – wir fallen gegenüber anderen Staaten immer mehr zurück.

      Das ist nicht die Basis auf der man jetzt munter Experimente in Richtung mehr Ineffizienz installieren könnte.

  • Thorsten Haupts 6. September 2021, 18:58

    Volksfront-Regierung aus SPD, Grüne und Linke dieses Land nicht zerstören kann …

    Nein, kann sie nicht. Nur mit sehr langfristiger Wirkung beschädigen, aber auf einem hohen Niveau schreckt das keinen. Ungefähr die Hälfte der Reformen von R2G gingen in die falsche Richtung, im Kern deutlich mehr Staat (was der aktuell taugt, wissen wir alle). Wird mich davon abhalten, sie zu wählen, aber sie könnte trotzdem kommen (ich glaube kein Wort von indirekten Ausschlüssen wegen NATO etc.).

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Lemmy Caution 6. September 2021, 23:01

      Der Staat war durch die ganze Pandemie hindurch mein Brötchen-Geber. Mir reicht das erstmal mit der Digitalisierung großer Bundesbehörden. Ich sehe strukturelle Herausforderungen und auch ein paar Vorteile. Nicht uninteressant, aber ich kann da nicht wirklich drüber reden. Definitv gab es da ein paar kompetente und engagierte Leute, mit denen ich gerne zusammengearbeitet habe… und die anderen.

      Grundsätzlich finde ich es bemerkenswert, dass nun plötzlich diese eigentlich sehr linke Koalition eine Option bekommt. Hätte es eine wirklich links-ideologische Energie, würde ich es nicht wählen. Ist vor allem ein Zeichen von einer großen Volatilität, dass dies nun denkbar wird. Wir stehen vor interessanten Zeiten.

  • Hanni Hartmann 6. September 2021, 19:48

    @Sasse:“ Den Teilnehmenden hat das politische Geschick eine Kartenhand zugeteilt, die gut (Grüne), akzeptabel (CDU, FDP, AfD, LINKE) und miserabel (SPD) war….“
    Wie kann man die Gruenen in das Kästchen „Gut“ einteilen ? Nachdem was diese Partei dem Buerger zugemutet hat mit einer Kandidatin die aus so vielen Grund unfaehig ist; mit Luftikus Ideen bei der Energie Versorgung eines Industrie Standorte und mit einem Wahr Konzept das meistens nur auf :Klima: und der damit entfachten Hysterie aufbaut?

    Die SPD dagegen setzt weiter auf den deutschen Glauben auf einen Heilsbringer, dem sie schließlich ihre eigene Auferstehung zu verdanken hat. Ist es nicht auch ein Wunder, dass Scholz seine eigene Partei zum Schweigen brachte.
    Die Linken an der Spitze überlassen dem Kandidaten jetzt gerne die Bühne in dem Wissen, dass ihre Stunde kommt, wenn Scholz tatsächlich die SPD zurück ins Kanzleramt führen sollte. Wer die SPD wählt, weil er Scholz will, bekäme mit ihm auch Esken, Norbert – Walter- Bojans, Mützenich und Kühnert. Dieses Zukunftsteam könnte Scholz schon jetzt so stolz präsentieren wie Laschet seine Mannschaft. Aber die SPD will natürlich nicht riskieren, das sie wieder unter zwanzig Prozent fällt ( FAZ 04.09.)

    Wie kan man die SPD noch als Option beachten? Nur mal zur Erinnerung: Die SPD verweigert der Bundeswehr seit mehr als 4 Jahren die Anschaffung von bewaffnungsfähigen Drohen,. Herr Kühnert fabulierte als Juso Vorsitzender über die Enteignung der Automobilindustrie, Herr Norbert-Walter – Bojans (NoWaBo) beschaffte in seiner Eigenschaft als Finanzminister von Nord-Rhein-Westfalen, Steuer CD‘S indem er de facto die Verfassung brach. ( Der Zweck heiligt die Mittel). Herr Mützenich feuerte die Wehrbeauftragte seiner eigenen Partei, weil sie für die bessere Ausstattung der Bundeswehr eintrat. Na ja und Frau Eskens, politische Karriere vor dem Parteivorsitz : Vorsitzende des Elternbeirats von Baden-Württemberg. Alle hier Genannten sitzen im Vorstand der SPD, zwei sind bekanntlich Parteivorsitzende. Alle haben im Dezember 2019 Herrn Olaf Scholz als Parteivorsitzenden verhindert. Er war und ist ihnen nicht links genug.
    Auch sollte man im Kopf haben, dass die SPD, abgesehen von einer Regierungsperiode, in den 16 Jahren Merkel, immer mit in der Regierung saß. Liebe Leute; ales schon wieder vergessen???

    • Stefan Sasse 6. September 2021, 23:05

      Lies einfach den Artikel nochmal, und dann wird sich deine erste Frage klären.

    • Lemmy Caution 6. September 2021, 23:25

      Die Grünen hatten gute Karten, spielten damit dann aber sehr schlecht.
      Mich nerven einige Leute in der SPD auch, aber wenn wir alle nie in Parteien gegangen sind, haben wir – liebes Kommentariat – auch selbst schuld. Den Zustand der CDU/CSU find ich noch schlechter. Laschet geht für mich gar nicht. Juso Vorsitzende haben immer radikales Zeugs geredet. Später werden die dann fast immer vernünftige Politiker. Zuletzt war der Kühnert recht zurückhaltend, hoffentlich hat es sich ausgewachsen.
      Du kannst bei uns als Regierung keine wirklich links-ideologische Politik machen. 8 Monate schlechte Wirtschaftsdaten und es ist Schicht im Schacht. Mitterand trennte sich nach nur 2,5 Jahren den linken Flügel in seiner ersten Präsidentschaft. Das mit anfänglich wirklicher Euphorie und bei unseren politisch wesentlich emotionaleren linksrheinischen Nachbarn.

  • Ariane 6. September 2021, 23:22

    Danke und Zustimmung für den Artikel!

    Die FDP scheint da auch wirklich eine gute Werbeagentur im Hintergrund zu haben, fällt mir jetzt im Plakatewald auch häufiger auf, dass das wirklich gut ist. Modern – mit hohem Wiedererkennungswert. Und sie haben den Vorteil, dass sie quasi die Kampagne vom letzten Mal nochmal genauso bringen können, das ist einfacher für sie und vermittelt eine gewisse Kontinuität, was vermutlich auch noch hilft. Und außer der Frage, mit wem sie denn koalieren, finden sie auch wenig statt und das hilft ebenfalls.

    Als SPD-Sympathisantin ist es übrigens völlig surreal, so einen entspannten Wahlkampf zu erleben. Als wenn der HSV tatsächlich wirklich international spielt 😀

    Und ja, gegen Merkel würde das überhaupt nicht funktionieren, da wäre Scholz auch total der Falsche. Aber hier passt es ganz gut, obwohl ich ihn beim Triell dann wirklich schon ZU valiumgetränkt fand. Aber das zieht eben und ich glaub, ich hab damals bei der Kandidatur schon gesagt, dass er eigentlich nicht mehr zu tun hat, als mal kurz ein merkelsches „sie kennen mich“ in die Kameras zu rufen und nicht negativ aufzufallen. Klingt einfach, ist es aber gar nicht.

    Der Kompromiss in der SPD funktioniert auch einfach gut. Gebe freimütig zu, das selbst nicht gedacht zu haben! Obwohl ich damals nach der Kandidatur die Interviews zum „Graben“ schon ganz gut fand. Und: ich denke, es hat auch viel mit den Personen zu tun, die wohl alle drei (NoWaBo zählt ja irgendwie gar nicht mehr) in der Lage sind, sich zurückzunehmen und diszipliniert in den Dienst der Sache zu stellen und ihren Einfluss dafür herzunehmen.
    Da ist eben niemand Marke Gabriel dabei, der im unpassendsten Moment irgendeinen Quatsch in die Kameras rumpelt und selbst Gerd Schröder mit der Currywurst als Kraftriegel der Facharbeiter*innen war jetzt eher ein dankbares Meme.

    für den Fall eines Scholz-Siegs, wird es laufen wie in den USA: Scholz, der Kandidat der moderaten Mitte, wird plötzlich das ambitionierteste Programm auflegen, das die Republik mindestens seit der Agenda2010 gesehen hat, weil „die Umstände“ ihm, leider, leider, keine Wahl lassen.

    Ja, das könnte ich mir auch gut vorstellen. Mehr als die „Zertrümmerung der linken Opposition“ wie Pietsch in seinem unnachahmlichen Stil prophezeit. Er erweckt ja auch überhaupt nicht den Eindruck, die Linken in der SPD irgendwie „disziplinieren“ zu wollen (sonst hätte man eben so einen Wahlkampf wie die letzten Male)

    Und es liegt einfach in der Natur der SPD, in einer Ampel würden sie sich von den Modernisierern in gelb und grün mitziehen lassen und eben dafür sorgen, dass alle sich dabei noch behaglich fühlen (und das gut verwaltet wird^^). Ist vielleicht die Kehrseite der Orientierungslosigkeit, die SPD ist da eben auch sehr wandelbar. Dann wird aus wie die CDU nur nicht ganz so scheiße“ eben „modern wie gelbgrün, aber nicht so doll!

    • Stefan Sasse 7. September 2021, 09:24

      Das Fehlen von Gabriel fällt echt positiv auf 🙂

      • Erwin Gabriel 7. September 2021, 18:12

        @ Stefan Sasse 7. September 2021, 09:24

        Das Fehlen von Gabriel fällt echt positiv auf

        Na, warte …

        • Stefan Sasse 7. September 2021, 18:35

          Bist du Gabriel-Fan?

          • Erwin Gabriel 11. September 2021, 16:29

            @ Stefan Sasse 7. September 2021, 18:35

            Bist du Gabriel-Fan?

            Ja. Jeden Tag, wenn ich in den Spiegel schaue 🙂
            Den Politiker kann ich aber nicht leiden.

        • Thorsten Haupts 10. September 2021, 10:31

          Begabt aber egoman und völlig undsizipliniert – der Alptraum jeder Organisation :-).

          Gruss,
          Thorsten Haupts

  • Ariane 6. September 2021, 23:45

    Hier von drüben nochmal reinkopiert, weil mir das auch eine gute Ergänzung zur Wahlkampf-Performance zu sein scheint:

    Zwei, drei konkrete Punkte, die dann auch tatsächlich den Weg in die Öffentlichkeit finden und idealerweise die Richtung der Partei kennzeichnen, sind da besser. (das machen aktuell FDP und SPD mit Lindner als Finanzminister, keine Steuererhöhungen und 12€ Mindestlohn sehr gut).

    Umgekehrt ist das eben auch etwas, was auf der anderen Seite weder bei Grünen noch bei der Union auch nur ansatzweise funktioniert.

    Die Union verzichtet einfach gleich auf sämtlichen Inhalt. Da ist ja wirklich gar nichts.
    Bei den Grünen finde ich das überraschender, weil die ja eigentlich immer sagen, sie wollen über Inhalte reden. Aber spontan wüsste ich keine einzige, leicht verständliche Forderung, die von ihnen selbst kommt.
    (sowas wie Lastenräder zähle ich mal nicht, das ist ja irgendwie ein Winzpunkt, der nur diskutiert wird, weil sich die BILD drüber aufregt)

    • Stefan Sasse 7. September 2021, 09:26

      Ich zitiere Frank Spring aus unserem Podcast: Sag drei Dinge drei Mal, nicht neun Dinge einmal.

  • cimourdain 7. September 2021, 22:27

    NIchts für ungut, aber bei dieser Art Analyse des ‚offiziellen‘ Wahlkampfs (Wahlplakate) muss ich an den Film ‚Wag the Dog denken‘ und den dort wiederkehrenden Wahlwerbespot „Nicht auf halber Strecke die Pferde wechseln“ … und dann frage ich mich wieviel Wahlkampf unter der Oberfläche stattfindet mit Spindoktoren, Emotionsmanagement, Agendasetting und dergleichen.

    • Stefan Sasse 7. September 2021, 23:47

      😀 😀 😀 Nette Referenz.

      Unter der Oberfläche passiert das meiste, aber das ist ja immer und überall so.

    • Thorsten Haupts 10. September 2021, 10:29

      Yup. Und ich frage mich, wann sich endlich herumspricht, dass dergleichen für einen Wahlsieg oder eine Wahlniederlage vermutlich die geringste Rolle spielt. Menschen sind – gleichzeitig (!) viel leichter und viel schwerer manipulierbar, als Küchenpsychologen sich das vorstellen können.

      Gruss,
      Thorsten Haupts

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