Politik in Deutschland wird gerne in „Lagern“ gedacht. In den 1990er und frühen 2000er Jahren waren das das rot-grüne gegen das schwarz-gelbe Lager. Seit der Wahl 2005 wird gerne ein „linkes Lager“ aus SPD, LINKEn und Grünen aufgemacht. Konservative Politiker*innen, die zumindest auf Landesebene gerne mit der AfD zusammenarbeiten würden, sprechen gerne von einem „bürgerlichen Lager“, in das sie dann einen unbestimmten Teil zumindest der AfD-Wählendenschaft, wenn nicht der Abgeordneten selbst, hinzurechnen. Aber obwohl diese Begrifflichkeiten viel verwendet werden, ist seit 2013 keine Koalition in irgendeinem dieser Lager realistisch gewesen. Stattdessen haben wir Schwarz-Rot (was man guten Gewissens nicht mehr als „Große Koalition“ bezeichnen mag), Jamaika, die Ampel, Schwarz-Grün. „Lager“ sind das alles nicht, eher Zweckbündnisse. Das Denken in Lagern aber erleichtert Analysen, weil es Kategorisierungen erlaubt. Ich halte nur die aktuellen Zuschreibungen für nutzlos.
Die nutzloseste der obigen Lagerkategorien ist aktuell das „linke Lager“. Nicht nur besitzt R2G keine eigene Mehrheit, so dass die Koalition nicht einmal als Gedankenspiel attraktiv ist. Sie ist auf Bundesebene (wir reden nicht von Landesebene, wo es offensichtlich schon länger rot-rot-grüne und sogar rot-rote Bündnisse gibt!) auch schlicht nicht realistisch, selbst wenn die Arithmetik gegeben wäre. Das hat zwei Gründe, und beide liegen bei der LINKEn.
Grund Nummer 1 ist, dass eine potenzielle rot-rot-grüne Koalition, sofern sie arithmetisch möglich ist, wegen der strukturellen Mehrheitsverhältnisse – Deutschland ist ein „strukturkonservatives“ Land – über eine ziemlich dünne Mehrheit verfügt. Daran hat sich seit 2005 nichts wesentlich geändert. Während aber eine schwarz-gelbe Koalition mit schmaler Mehrheit vorstellbar ist (oder, wenngleich mit Abstrichen, eine schwarz-grüne), so ist eine rot-rot-grüne Koalition angesichts der Natur der LINKEn-Fraktion ein absurdes Wagnis, das einzugehen weder die SPD- noch Grünen-Spitze bereit ist. Man kann sich schlicht darauf verlassen, dass die LINKE sich vollständig an die Fraktionsdisziplin halten würde, und bei einer schmalen Mehrheit in einem erstmals durchgeführten Bündnis bei dem zu erwartenden scharfen Gegenwind – R2G bleibt die unbeliebteste Koalitionsoption in Deutschland – ist das das Todesurteil.
Doch selbst wenn die LINKE zur Fraktionsdisziplin fähig wäre (und das ist sie schlicht nicht), so stünde die Außenpolitik, die auf Landesebene einfach keine Rolle spielt, als Dealbreaker stets im Raum. Die Position der LINKEn, aus der NATO austreten zu wollen (weil die ebenso geforderte Auflösung derselben außerhalb des Machtbereichs selbst einer LINKEn mit 67% der Stimmen liegt) und auf Auslandseinsätze kategorisch zu verzichten, die Bundeswehr soweit zusammenzukürzen, dass diese Einsätze auch unmöglich werden, ist völlig unmachbar, ob mit SPD oder Grünen. Sie wird jedes Sondierungsgespräch platzen lassen. Auffällig ist, dass im vergangenen Jahr eine Positionsbewegung der LINKEn erkennbar war, hin zu einer Kompromiss-Haltung. Doch in dem Moment, wo durch den SPD-Linksrutsch in diesen Fragen zum ersten Mal wirklich eine Annäherung erfolgte, radikalisierte sich die LINKE unter ihren neuen Führung sofort wieder und zog sich auf die kategorische Ablehnung von Auslandseinsätzen und NATO zurück – und die verhindern zuverlässig jede rot-rot-grüne Koalition.
Das „linke Lager“ ist daher eine völlig irrelevante und die Analyse versperrende Kategorie. Trotz aller anderen Gemeinsamkeiten kann es sich nicht formieren, spielt also für die Machtfrage keine Rolle.
Ähnlich sieht es bei dem vom rechten Rand der CDU und FDP sowie der AfD gerne postulierten „bürgerlichen“ Lager aus. Das ist der Versuch der Kaperung des Begriffs für das „klassische“ bürgerliche Lager, die schwarz-gelbe Koalition. Schwarz-Gelb hat die größten Übereinstimmungen und ist ein natürliches Bündnis. Wo es für dieses Bündnis reicht, werden beide Parteien es eingehen. Das steht völlig außer Frage. Allein, es reicht immer seltener. Angesichts dieser Seltenheit einerseits und dem Wunsch des erwähnten rechten Randes, ihre Parteien nach rechts zu verschieben, ist ein Bündnis mit den imaginierten „vernünftigen“ Teilen der AfD, quasi ein schwarz-gelb-blaues Bündnis, entstanden.
Dieses wird über absehbare Zeit auf Landesebene auf uns zukommen, da brauchen wir uns keinen Illusionen hinzugeben. Gerade die Landesverbände in Sachsen-Anhalt und Thüringen haben in den vergangenen beiden Jahren bereits massiv versucht, das Fenster des Möglichen dorthin zu verschieben. Gescheitert ist das bisher weniger am Grundsätzlichen als am Personal. Einerseits ist die AfD noch zu abstoßend, es fehlt quasi das Äquivalent einer Thüringer LINKEn unter einem rechten Bodo Ramelow, der die Partei fest im Mainstream verankert und harmlos-wählbar macht. Aber auch das Personal der etablierten bürgerlichen Parteien wie Maaßen oder Kemmerich ist nicht eben dazu angetan, hier das Tor aufzustoßen. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis die entsprechenden Personen zusammenkommen und auf Landesebene diese Koalition durchführen werden.
Allein, auf Bundesebene wird diese über längere Zeit undurchführbar bleiben, aus dem gleichen Grund wie Rot-Rot-Grün. Auch im „rechten“ Lager (das als Konstruktion genauso sinnlos ist wie das „linke“ Lager) sind auf den ersten Blick viele Überschneidungen. Viele Mitglieder der Union sind was Migrations- und Wirtschaftspolitik betrifft sicher näher an der AfD als an den Grünen, aber die Positionen der AfD sind in einigen Bereichen, und auch hier gerade bei der Außenpolitik, so abseits des Rahmens dessen, was in der deutschen Politik möglich ist – Stichwort ist hier vor allem die EU – dass eine Zusammenarbeit kaum möglich erscheint.
Nachdem wir also die Nutzlosigkeit der bisherigen Lagerbegriffe etabliert haben, welche Alternative schlage ich vor?
Ich sehe in Deutschland aktuell drei „Lager“, in denen jeweils zwei Mitglieder sind, die in unterschiedliche Richtungen streben. Diese „Lager“ sind weniger relevant, weil sie Allianzen bilden, sondern weil sie einen ähnlichen Blick auf das Land haben. Sie teilen quasi die Analyse, unterscheiden sich aber teils fundamental in ihren Schlussfolgerungen und Lösungsansätzen.
Das erste Lager würde ich als das Weiter-so-Lager zusammenfassen. Hier haben wir CDU und SPD. Beide Parteien haben die letzten drei Dekaden praktisch ununterbrochen die Regierungsverantwortung geteilt, wenngleich streckenweise nur über Bande (den Bundesrat). In Verantwortung waren sie gleichwohl stets, und nur mit sehr kurzen Ausnamen schlossen sie stets Kompromisse. Diese lange Regierungszeit macht es ihnen unmöglich, eine Analyse Deutschlands anzustellen, die grundlegenden Wandel erfordert. Wie auch? Sie sind für den Status-Quo ja verantwortlich und können daher kaum glaubhaft erklären, dass er grundsätzlich schlecht sei. Alle ihre Politikvorschläge müssen daher zwangsläufig in graduellen Verbesserungen bestehen, beziehungsweise in der graduellen Abwehr von Verschlechterungen.
Natürlich gibt es Unterschiede. Die SPD will einen höheren Mindestlohn, die CDU nicht. Aber das ist alles, nun, graduell. Ob der Mindestlohn 10,50€ oder 12€ beträgt ist für die Betroffenen sicherlich relevant, aber kaum eine entscheidende Stellschraube des Systems. Man kann dagegen oder dafür sein, aber die Republik ist danach im Großen und Ganzen dieselbe wie zuvor. Als Faustregel kann man sagen, dass die Botschaft der CDU eine der Sicherheit ist: Mit ihr kann man sicher sein, dass man von großen Veränderungen (die, klassisch konservativ, als bedrohlich empfunden werden) verschont bleibt, ob beim Klimawandel, in der Wirtschaft oder der Gesellschaft. Angela Merkel verkörperte das die letzten 16 Jahre, und ihr Erfolg zeigt, dass der Markt dafür ziemlich groß ist.
Die SPD dagegen vertritt eher die „nicht ganz so schlecht“-Seite des Weiter so. Im Großen und Ganzen wird sich nichts ändern – hier wird die gleiche Sensibilität angesprochen wie bei der CDU – aber wo die Union eher auf die Sicherheit und die Abwehr bedrohlicher Veränderungen zielt, ist das Versprechen der SPD, die kleinen Problemchen aufzuräumen – wie etwa die genaue Höhe des Mindestlohns, die Einführung einer Mütterrente und Ähnliches. Kein Wunder sind die Wahl- und Koalitionsprogramme der beiden Parteien so lange, uninspirierte Strichlisten von individuell sicherlich lobenswerten Maßnahmen, die aber kein kohärentes Ganzes ergeben, mit dem Begeisterungsstürme, Kreativität, Innovation oder Aufbruchsstimmung erzeugt würden.
Das zweite Lager sehe ich als das Veränderungs-Lager. Hier finden sich die Grünen und die FDP. Beide Parteien sind sich in der Analyse einig, dass Deutschland aktuell verkrustet ist und dringenden Nachholbedarf hat. Zwar unterscheiden sie sich ziemlich deutlich darin, was anzugehen ist, aber die grundsätzliche Stoßrichtung – nach vorne, in unerforschte Gewässer – ist ähnlich. Sie sind am ehesten bereit, die Politik an geänderte gesellschaftliche Trends anzupassen (Integration, Ehe für alle, solche Themen), sind sich einig in der Bedeutung von Zukunftstechnologien (nicht umsonst betonen diese beiden Parteien am stärksten die Notwendigkeit der Digitalisierung) und haben ihre eigene Sicht darauf, wie Deutschland „zukunftssicher“ gestaltet werden kann.
Anders als CDU und SPD sind sie sich aber einig, dass Deutschland eben nicht zukunftssicher ist. Dass Herausforderungen bestehen, für die das Land nicht gewappnet ist und für die es einen zentralen Mentalitätswandel braucht, einen Paradigmenwechsel. Im Falle der Grünen ist das das ganzheitliche Denken des Klimawandels als Bedrohung, wodurch etwa Forderungen einer mehr auf den Klimawandel abzielenden Außenpolitik oder die Idee eines „Klimavorbehalts“ durch ein „Klimaministerium“ resultieren. Die zentrale Idee der FDP ist eher die Stärkung des Individuums und des Wettbewerbs, quasi die Entfesselung der aktuell brachliegenden revolutionären Kräfte des Freien Markts. Verbunden wird das mit einer Betonung von Technologie als Treiber, ob beim Wasserstoff oder bei der Digitalisierung.
Zuletzt haben wir das rückwärtsgewandte Lager. Hier finden sich LINKE und AfD. So unterschiedlich die beiden auch sind, sie sind sich einig darin, dass es früher besser war und dass die Ursache aller Probleme in einer falschen Weichenstellung der Vergangenheit liegt, die es zu korrigieren gilt. Für die LINKE ist das die „neoliberale“ Revolution ab den 1980er Jahren, wo die SPD den großen Verrat beging, der seinen ultimativen Ausdruck in der Agenda2010 und Hartz-IV findet. Diesen Fehler gilt es aus Sicht der LINKEn zu korrigieren, so dass man zu einem Klassenbewusstsein zurückkehren kann, aus dessen Sicht die Probleme bewertet werden. Die LINKE sieht den Klimawandel als Ausfluss des Kapitalismus; wird er überwunden, ist auch der Klimawandel bekämpfbar. Armut ist eine zwingende Folge des Wirtschaftssystems. Außenpolitische Konflikte wie Terrorismus oder Fundamentalismus ebenfalls, und so weiter. Alles geht auf die Ursünde der Akzeptanz des Kapitalismus zurück.
Die AfD dagegen sieht vor allem die gesellschaftliche Modernisierung als Ursünde und Kern der Probleme unserer Zeit. Den Klimawandel leugnet sie de facto, als einzige Partei im Bundestag. Ansonsten sieht sie in der Gleichstellung von Mann und Frau eine Auflösung „natürlicher“ Geschlechterrollen, lehnt die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Beziehungen ab, möchte zurück zu einer Stärkung des Nationalstaats. Ihr ideologischer Fluchtpunkt ist das patriarchalische Gesellschaftsbild, das nationalistisch unterfüttert wird. In diesem Nationalismus werden ethnisch homogene Nationen beschworen, wie sie zu einem undefinierbaren früheren Zeitpunkt einmal bestanden hätten und zu denen man zurückkehren müsse.
In diesen Haltungen haben sowohl AfD als auch LINKE viele Gemeinsamkeiten mit ihren jeweiligen Pendants in den anderen beiden Lagern, woher vermutlich auch die Tendenz kommt, ein „linkes“ Lager zu konstruieren (und die Sehnsucht bei Manchen, ein „rechtes“ Lager aufzubauen, wenngleich hier aus deutschlandspezifischen Gründen der Begriff „bürgerlich“ vorgezogen wird). Viele SPD-Mitglieder dürften Sympathie für die sozialpolitischen Forderungen der LINKEn empfinden. Die Forderungen der Partei, ungeheure Milliardensummen in die Bekämpfung des Klimawandels zu investieren, findet sicherlich Wohlwollen bei vielen Grünen. Umgekehrt finden die Forderungen nach einer umfassenden Rentenreform der AfD sicher bei der FDP Gehör, während ihre Ablehnung von Gleichstellung bei vielen CDU-Mitgliedern offene Türen einrennen. Jedoch ist die Radikalität dieser Forderungen einerseits und ihre spezifische Verbindung mit einem rückwärtsgewandten Weltbild in beiden Fällen stets ein Dealbreaker, der dafür sorgt, dass diese Lager rein theoretisch bleiben.
Was diese Konstruktion von drei Lagern für uns ebenfalls analytisch wertvoll macht ist ihre Erklärungskraft für die aktuellen politischen Dynamiken in Deutschland. Einerseits erklären sie die Häufigkeit und Leichtigkeit von schwarz-roten Koalitionen. Sie sind mittlerweile sowohl arithmetisch als auch mentalitätstechnisch die „natürlichen“ Regierungsparteien. Das liegt, und das sei noch einmal betont, nicht zwingend an ihren inhaltlichen Gemeinsamkeiten. Oft genug liegt die CDU rein beim Inhalt näher an der AfD als an der SPD, und umgekehrt die SPD näher bei der LINKEn als der CDU. Aber bei der Mentalität, beim eigentlichen Regierungshandeln, bei der Herangehensweise an Probleme, liegen die Parteien dicht beieinander und können problemlos Kompromisse finden.
In abgeschwächterem Umfang gilt das für ein schwarz-grünes oder schwarz-gelbes Bündnis (die jeweiligen SPD-Varianten scheiden aus arithemtischen Gründen aus und brauchen uns hier nicht zu beschäftigen) auch. Da die „Weiter-so“-Kraft in beiden Bündnissen die stärkere ist und sie aus ihrer Mentalität heraus die stärkere Position besitzt – sie muss Wandel verhindern, nicht ihn einfordern – sind die zu bewältigenden Fragen technischer Natur. Sie befassen sich größtenteils damit, wie viel Wandel die Veränderungs-Partei jeweils gegen die Beharrungskräfte der anderen Seite durchsetzen kann. Insgesamt ist daher zu erwarten, dass Koalitionsverhandlungen in beiden Fällen relativ problemfrei ablaufen.
Wie schwierig es sein kann, wenn lagerübergreifende Koalitionen gebildet werden müssen, konnte 2017 bei den Jamaika-Verhandlungen gesehen werden. Obwohl die drei potenziellen Partner grundsätzlich zur Koalition bereit waren, platzten die Gespräche am Ende, während die Verhandlungen mit der unwilligen SPD, die von Steinmeier geradezu an den Verhandlungstisch gezerrt werden musste, trotz Rekord-Zugeständnissen der CDU praktisch reibungslos. Ich bin ziemlich sicher, dass dies (auch) mit der lagerübergreifenden Natur von Jamaika zu tun hat. Da aber innerhalb des Veränderungslagers einerseits massive Differenzen in der Herangehensweise bestehen (wie oben beschrieben), andererseits aber diese Differenzen im Gegensatz zum Weiter-so-Lager nicht durch eine starke gemeinsame Herangehensweise relativiert werden, ist dieses Bündnis schwieriger, als das auf den ersten Blick den Anschein hat.
Dasselbe gilt voraussichtlich für die Ampel. Auch hier sind zwei Partner aus dem Veränderungs-Lager mit einem Partner aus dem Weiter-so-Lager zusammen, und die Veränderungs-Lager-Partner sind sich zudem zutiefst uneins, worin die Veränderung genau bestehen soll. Dies erschwert die Bildung einer solchen Koalition ebenfalls. Die unterschiedlichen Fliehkräfte des Veränderungslagers neutralisieren quasi den allgemeinen Veränderungstrieb, was der jeweiligen Weiter-so-Partei entgegenkommt und ihre Aufgabe sowohl erleichtert, was das Verhindern von bedrohlichen Veränderungen angeht, als auch erschwert, weil sie Äquidistanz zwischen beiden Partnern halten muss. Das mag, wie man 2017 gesehen, schnell danebengehen.
Das ist aber nichts gegen die potenziellen rot-rot-grünen und schwarz-gelb-blauen Koalitionen. Diese spannen über alle drei Lager, und genau diese Bandbreite ist es, die sie gegenüber den ideologisch wesentlich diversen Zwei-Lager-Bündnissen so schwierig macht. Ich habe öfter betont, wie nahe sich „linkes Lager“ und „rechtes/bürgerliches Lager“ bei vielen Punkten theoretisch ist. Eine Zusammenarbeit scheint dennoch alleine wegen der unterschiedlichen Mentalitäten ausgeschlossen.
Dieser scheinbare Widerspruch löst sich durch meine Drei-Lager-Theorie weitgehend auf. Deswegen spreche ich ihr den größeren Erklärungsgehalt als den arithmetischen Spielereien eines „linken“ oder „rechten/bürgerlichen“ Lagers zu. Solange diese es nicht schaffen, die tiefen Differenzen zu überbrücken, die ihre Weltsicht und Mentalität trennen, hilft die inhaltliche Nähe nichts; sie werden auf Bundesebene Hirngespinste bleiben.
Das sehe ich teilweise anders. Der Linken ist m. E. völlig klar, daß ein NATO-Austritt nicht zur Debatte steht. Das wird ins Schaufenster gestellt, aber daran wird keine Koalition scheitern.
Wie auch das rechte Pendant AfD jederzeit bereit sein wird krasse Positionen wieder in die Kiste zu packen um mitregieren zu dürfen.
Mittelfristig wird in den Ländern daher CDU/AfD genauso normal werden wie RRG, und irgendwann kommt das dann auch im Bund.
Ansonsten sehe ich nicht wirklich, daß die Grünen in ein „Veränderungs“-Lager zu verorten wären. In der Rhetorik sind sie zwar bereit ziemlich alles auf den Kopf zu stellen – ähnlich wie die „Linken“.
Aber in der Praxis beschränkt sich das auf ganz wenige Bereiche und meist nur um Symbolaktionen. Etwas die Autofahrer quälen (aber nicht so stark, daß es größere Auswirkungen hätte), etwas symbolische Frauenförderung, die queere Szene bedienen und ansonsten einige Milliarden ausstreuen, vorzugsweise an die eigenen Leute und Lobbies.
Aber ansonsten sind die Grünen die „in meinem Kiez darf sich nichts verändern“-Spießer par excellence – es ist ja kein Zufall daß grün-schwarz bei Vielen als die ideale Kombination gilt.
In vielen Bereichen sind sie noch rückwärtsgewandter als „Linke“ und AfD, ihr Bezugspunkt bei der Landwirtschaft und teilweise bei der Medizin liegt irgendwo im Kaiserreich.
Die LINKE Führung vielleicht. Aber die Basis sieht das ziemlich hart und zwingt ihre Führung auf Kurs. Das hat man die letzten Jahre immer wieder gesehen, jede entsprechende Bewegung der Führung wurde sofort bestraft. Gleiches gilt für die AfD: die würden für eine Mitregierung nicht eine EU-Steuer und Finanzausgleich akzeptieren.
Mittelfristig, das sage ich ja im Artikel, wird das definitiv passieren. Im Bund steht R2G immer noch aus, und ich denke, wir werden auch Schwarz-Gelb-Blau noch eine Weile warten.
Die gleiche Kritik kann ich der FDP an den Kopf werfen. Wir müssen da schon fair sein und betrachten, was da ist. Wie gesagt, du musst die Richtung der Änderung ja nicht mögen. Und wie ich im Artikel schreibe kann keine der beiden Veränderungsparteien ihren Willen durchsetzen, deswegen wird das zwangsläufig nicht groß kommen…
Es gibt sowohl die Positionierungen, wie Du sie beschrieben hast, als auch das klassische rechts-links-Schema. Zumindest zum Teil sind Anhänger der Union wie die AfD sich im Habitus ähnlich, so wie Grüne und LINKE. Sonst gäbe es in den Schichten nicht Applaus für Positionen der AfD und sonst könnten nicht die Jugend von Grünen, LINKE und SPD einträchtig bei Demonstrationen nebeneinander hermaschieren.
In den Lagern findet ein munterer Austausch von Wählern statt, lagerübergreifend ist das selten. Keine andere Konstellation hat so wenig Wechselwähler wie Grüne und FDP. Die einen leben vor allem in Großstädten, im öffentlichen Dienst und an Unis, die anderen in den wohlhabenden urbanen Vororten, in den Start-up-Szenen in Berlin, Hamburg, München und Frankfurt.
Grün-Rot-Rot würde nicht an Unvereinbarkeitsbeschlüssen zu NATO und Auslandseinsätzen scheitern, zumal pazifistische Ansichten bei SPD und Grünen weit verbreitet sind. Es wäre allein die Angst, angesichts der Unberechenbarkeit die LINKEN-Abgeordneten und ihrer Basis mitten in der Legislatur ohne eigene Mehrheit dazustehen und für mindestens zwei Jahrzehnte politisch desavouiert zu sein. Dennoch wäre der Druck von Mitgliedern und Funktionären enorm, ein solches Bündnis zu versuchen.
Die AfD hat keine Tendenz, moderater zu werden. Gleichzeitig gilt sie inzwischen als im Kern verfassungsfeindlich, was insbesondere auf bürgerliche Wähler völlig abschreckend wirkt. Sollte nicht noch eine Flüchtlingswelle im September auf Deutschland zurollen, halte ich deswegen die demoskopischen Werte für überbewertet, das zeigten schon die letzten Wahlen. Die Möglichkeiten der Partei werden eher überschätzt. Doch mit Verlierern sind schlecht Koalitionen zu schmieden.
Ich behaupte auch gar nicht, dass es keinen Wähleraustausch wie von dir beschrieben gäbe, das ist völlig richtig. Meine Analyse dreht sich ja explizit um die Frage von Koalitionen; wir reden von Funktionärs- und Führungsebene.
Es ist spannend, dass sowohl du als auch R.A. krampfhaft versuchen, das R2G-Schreckgespenst an die Wand zu malen, während ihr aus unterschiedlicher Warte die Gefahr der AfD kleinredet. Reflektiert halt euer Lager auf der Rechts-Links-Achse, nicht? 🙂
Das ist Unsinn.
Vor allem die Grünen versuchen die Möglichkeit von GRR kleinzureden. Statt einfach zu sagen, „kommt nicht in Frage“, sagt man gar nichts. So Annalena Baerbock, als sie die Tage dezidiert nach einer Linkskoalition gefragt wurde. Platitüde, dass man für möglichst viele Stimmen kämpfe. Genau das ist das Problem, zumal die Grünen in den letzten 5 Jahren zweimal die Wahl zwischen einer Koalition mit der CDU und R2G hatten (Berlin und Bremen). Beide Male ging die Sache eindeutig aus.
Die Wahrheit ist: Die Grünen erhalten wegen ihrer Basis diese Fiktion. Nur, warum sollte dann die Konkurrenz mitspielen? Wenn die Grünen nicht selbst die Option ausschließen, dann liegt sie auf dem Tisch. Alles andere sind Gedichte.
Ganz offensichtlich hat die Brandmarkung der AfD als Beobachtungsfall des Verfassungsschutzes eine abschreckende Wirkung auf konservative Wähler. Das sagen Demoskopen wie Sozialforscher. Das ist kein Kleinreden, sondern Fakt. Unterschied zum Gedicht. 🙂
Bingo. Auch in den liberalen Leitmedien verscuht man, R2G wegzureden, ohne jeden handfesten Beleg.
Die Union hat übrigens eine Koalition mit der AfD explizit ausgeschlossen – das ist der Unterschied.
Gruss,
Thorsten Haupts
lol
Bei den start-ups wirds auch viel Grün geben. Nicht unbedingt unter den Vorgesetzten oder den Leuten, die all-in gehen, um Mitarbeiter des Monats zu werden, sondern unter den gutausgebildeten MINT Leuten, die aus fachlichen Gründen dabei sind.
Interessante Gedankengänge, politisch aber vermutlich irrelevant (politisches Zugehörigkeitsgefühl hält sich seltenst an rationale Analysen).
Ich persönlich kann auch nicht erkennen, dass wir in erkennbarer Zukunft (die nächsten 5 Jahre) Koalitionen mit der AfD sehen werden. Anders als die GRÜNEN bewegt sich die AfD stetig von der politischen Mitte weg, wird in Programmatik wie Spitzenpersonal stetig radikaler (das wäre bei den GRÜNEN der achtziger die Übernahme durch Dithfurt und Trampert gewesen, die nicht stattfand). Und auch eine 20% Union wird wissen, wo die Grenzen eines Zusammengehens für die Mehrheit ihrer Wählerschaft liegt (die sich nicht aus Nationalkonservativen, sondern aus Wohlfühlopportunisten speist).
Gruss,
Thorsten Haupts
Mein Anspruch bei einer Analyse ist es, die Realität erklären zu können, von daher ist die von dir aufgemachte Trennung für mich irrelevant.
Sehe das bei der AfD auch so, aber es gibt ja keine Garantie einer linearen Entwicklung.
Jede einzelne der genannten Parteien ist ein Garant für ein „Weiter so!“
Etwas anderes klappt auch systembedingt nicht. Da mag dann auch ein Lindner regieren und noch ein paar Unternehmenssteuern kappen. Es ändert sich nix, dabei müsste die ganze Krämerbude Deutschland von Grund auf erneuert werden.
Bei jedem popeligen Jobinterview wird die Frage gestellt: „Wo sehen Sie sich n 10 Jahren?“
Bei jeder Partei müsste vorab gefragt werden: „Wo sehen Sie das Land in 10 Jahren?“
Das passiert lustiger Weise jetzt, Dank Greta. Nicht mal die AfD konnte mit ihrem stetigen: „Ausländer raus!“ die Parteienlandschaft so vor sich hertreiben wie die kleine Pennälerin aus Schweden.
Glaubst Du etwa selbst die Grünen hätten irgendwas in der Form gesellschaftlich eingebracht? Im Leben nicht!
D. h. weder die Parteien, noch die Institutionen, noch die Behörden etc. kümmern sich um die ureigensten Belange des Landes (und haben auch gar keinen Bock drauf) . Da wird nur noch verwaltet, wie bei der Arge und genau darauf konzentriert sich auch das jeweilige Personal.
Der Abzug aus Afghanistan ist ein Dokumentarfilm der deutschen Politik der letzten und kommenden Dekaden. Ein Trauerspiel ist dagegen eine Komödie!
Spätestens wenn die Autoindustrie & die Lufthansa kommt und noch mal etwas quer subventioniert werden will, springt auch jede künftige Regierung. Da bleibt dann leider nix mehr übrig für Klima und Soziales.
Schade, aber die Sachzwänge verpflichten halt.
Evtl. pullt die CDU ja noch einen Söder. Dann kommt das “ Weiter so!“ zumindest auf über 40 % ohne größere Unbequemlichkeiten.
Auf jeden Fall wird auch die nächste Wahl ein Rekorderfolg werden, für wen und welche Partei auch immer! Du könntest auch Bibi mit ihren Schminktipps im Anschluss anstelle der Wahlparties zeigen.
Selbst das hätte sogar mehr Stil.
In jedem Fall bedanken sich die Großkonzerne & Superreichen schon vorab.
Dieser Standortvorteil läuft Deutschland sicher niemals weg!
Die Deutschen freut das!
Weiter so!
Das ist doch Phrasendrescherei. Es war schon immer so, dass es Aktivisten und Aktivistinnen aus der Zivilgesellschaft waren, die Ideen in die Debatte einbrachten und die Parteien erst später darauf reagierten. Selbst „bottom up“-Gründungen wie die SPD oder Die Grünen sind aus Bewegungen hervorgegangen, die es schon vorher gab.
Und gab es nicht schon in den Achtzigern den Spruch „Wer jung und links ist, geht heute lieber zu Greenpeace als zur SPD. Wer jung und rechts ist, geht lieber zu BMW als zur CDU“? Insofern nichts Neues.
Ich habe heute tatsächlich auch eher das Gefühl, dass die Jugend politischer ist (und oft auch besser informiert) als zu meiner Schulzeit in den Neunzigern.
In jedem Fall bedanken sich die Großkonzerne & Superreichen schon vorab.
Seit nunmehr 40 Jahren das gleiche bornierte (und folgenlose) Vorurteil. Aber bei manchen Leuten geht dieser Flachwurzler eben seit 40 Jahren als „politische Analyse“ durch. Folklore im politischen Niemandsland.
Gruss,
Thorsten Haupts
Für manche Hochwurzler endet die folkloristische Haussee der politischen Megaerfolge nie. Ganz viel Vielfalt, voller Einfalt, mit dem ewig gleichen Gesülze. „Vom Megasten das Besteste, vom Magersten das Fetteste und ich krieg ’nen Rohr, wenn ich überhaupt über mich nachdenk.“
Hier der neueste Erfolg:
https://www.spiegel.de/wissenschaft/deutschland-verpasst-klimaziele-deutlich-a-2cf90514-0f9c-4cca-ac7c-063eed701939
Weiter so! Aber mit Tempo & Elan!
Ich lebe in dem Bundesland, in dem die AfD an die 30 Prozent und bei der Bundestagswahl stärkste Partei war, insofern glaube ich, dass das mit schwarz-blauen Koalitionen schon viel früher kommen könnte als befürchtet… Der Begriff „bürgerliche“ Koalition ist meines Wissens nach an den „Bürgerblock“ aus der Weimarer Republik angelehnt, so bezeichnete man Rechts-Bündnisse unter Ausschluss der SPD, aber Einbindung antidemokratischer rechter Parteien wie der DNVP (die jüngere Neuauflage war die Einbindung der Schill-Partei Anfang des Jahrtausends in Hamburg).
Die Einteilung in diese drei Fraktionen erscheint mir schlüssig, wenn man eher das Alter als die Ideologie der Kernwählerschaft der Parteien betrachtet. CDU und SPD werden zunehmend zu Rentnerparteien (was ihr Wählerpotentiel zumindest stabilisiert, wenn man bedenkt, dass die Generation Ü65 demnächst die zahlenmäßig stärkste ist), während Grüne und FDP bei Erst- und JungwählerInnen am meisten abräumen. Die AfD scheint am stärksten bei den „Golfern“ (Baujahre ca. 1960 bis 1980) zu sein, wo man, überspitzt formuliert, im Westen eine Achtziger-Nostalgie und im Osten eine „Wir hätten doch ganz oben stehen sollen, sin es aber nicht“-Mentalität pflegt. Lediglich Die Linke passt hier nicht ganz rein, weil dort einerseits verbliebene DDR-Nostalgie bei den älteren Anhängern, andererseits auch die Jungwählerschaft eine wichtigere Rolle spielt.
Insgesamt würde ich aber den Faktor Ideologie nicht unterschätzen, gerade weil Feindbilder oft mehr miteinander verbinden als die grobe Richtung für die Zukunft. So werden einige FDP-, CDU- oder CSU-AnhängerInnen aufgrund ihrer Abneigung gegen Die Linke oder Die Grünen im Zweifelsfall eher zu einer Koalition mit der AfD neigen, ebenso wie Leute wie ich ein Rot-Grün-Rotes Bündnis in akzeptieren (gegen Letzteres gab es von Seiten der Parteispitzen übrigens selten so wenig Abneigung wie in diesem Jahr).
Das mit den verbindenden Feindbildern ist ein guter und wichtiger Punkt. Allerdings scheint mir das Phänomen auf der klassisch „rechten“ Seite deutlich stärker ausgeprägt zu sein. Ein irrationaler Hass auf die Grünen gehört z.B. seit Jahrzehnten in liberal-konservativen Milieus zur politischen Folklore. Auf der anderen Seite sehe ich da nichts, das direkt vergleichbar wäre. Selbst die Linke hasst ja eher vage den Kapitalismus als konkret die FDP.
Nah, die FDP ist schon ein ordentliches Feindbild. Nicht so krass wie die Grünen etwa bei Stefan Pietsch hier, aber die FDP hat auch keinen Kanzlerkandidaten und steht in den Umfragen (meistens) an zweiter Stelle. Sonst wäre das auch noch mal anders.
Guter Punkt mit dem Weimarvergleich.
Nochmal zur Klarstellung: die Lager, die ich konstruiere, sind nicht die, die inhaltlich/ideologisch nah beieinander liegen. Sie erklären vielmehr, warum es TROTZ der ideologischn Nähe nicht zu Koalitionen kommt.
Mir ist nicht ganz klar, wie die Einschätzung zustande kommt. Auch der Nutzen, sorry, erschliesst sich mir nicht.
Zum einen ist Deine Analyse ja widersprüchlich. Die Lager sollen ja etwas bedeuten, CDU/SPD erklärst Du damit zu natürlichen Koalitionspartnern. Koalitionen unter Einbeziehung der von Dir ins gleiche Lager verfrachteten Grünen UND der FDP beschreibst Du dagegen als wesentlich schwieriger, gerade aufgrund der ideologischen Differenzen, Themen, Lösungsansätze und Priorisierungen. Und obwohl von Dir ebenfalls ins gleiche Lager verfrachtet, erwartet wohl niemand ernsthaft irgendwelche Koalitionen unter Einbeziehung sowohl der LINKEn als auch der AfD, oder?
Auch ist mir wirklich der Unterschied „Veränderung“ vs „Rückwärtsgewandt“ in der Praxis absolut unklar. Wie Du mehrmals betonst, gab es sowohl das Ideal der LINKEn als auch der AfD tatsächlich niemals. Beide wären also genauso „neu“ wie potentielle Modelle der Grünen oder der FDP. Letztere gibt es aber auch nur sehr eingeschränkt als konsistente Narrative.
Ich verbildliche mir die Situation / schlage daher ein anderes Modell vor. Eine Treppe, 6 Spalten, 3 Stufen. Von links nach rechts unten Linke, mitte Grüne, oben SPD, direkt daneben CDU, mitte FDP, unten AfD. Die Entfernung der Parteien zueinander, unabhängig ob Stufe oder Spalte, bestimmt deren Koalitionsfähigkeit. Das erklärt m.E. alle von Dir beschriebenen Phänomene. Es steckt zwar AfD und LINKE in Extrempositionen, positioniert Grüne und FDP aber in die Mitte. CDU und SPD bilden dagegen den Gegenpol, auch wenn sie sich näher stehen. Die Stufe gibt hiernach einfach unabhängig von vorwätrts/rückwärts den Willen zur Veränderung an bzw umgekehrt die Verharrungskraft, was die Extremposition für CDU/SPD legitimiert, den ‚Schaden‘ für das Land verdeutlicht und dagegen bspw die hohe Akzeptanz in diesem Forum lagerübergreifend für eine ideelle Koalition Grüne/FDP erklärt = Mitte, notwendig, gut fürs Land.
Auch kann man so sowohl die momentane Situation als auch mögliche Veränderungen/Zukunfts-szenarien/-perspektiven abbilden. Denn während die Spalten die Ideologie abbilden und relativ starr sind (#Markenkern), sind die Stufen durchaus im Fluss. Die Grünen wären bspw in Ihrer frühen Parteigeschichte wohl eher auf der untersten Stufe zu finden. Für diese Einordnung und den Fluss sind m.E. die Flügelkämpfe / die Dominanz der jeweiligen Flügel innerhalb der Parteien entscheidend. Diese Flügel werden nämlich zwar oft im Sinne von Ideologie umschrieben, entscheidend scheint jedoch vor allem der Wille zur Veränderung vs Verharrungskraft zu sein. Und die möglichen „ideologischen Lagerkoalitionen“ R2G, Schwarz-gelb-blau scheinen ja unabhängig von „vorwärts/rückwärts“ genau daran zu scheitern – EU, Auslandseinsätze, Migration, NATO. Der Konflikt besteht jeweils zwar ebenfalls zwischen FDP/AfD bzw LINKE/Grüne, beschrieben sind von Dir aber, m.E. zurecht, vor allem die Konflikte LINKE/SPD bzw AfD/CDU. Dass sich das je Thema evt verschiebt – Auslandseinsätze, EU vs Migration, NATO – unterstützt den „Treppenansatz“ sogar sowohl was die sehr wohl nach wie vor grosse Bedeutung der Ideologie angeht, sowie vor allem die Dimension Veränderung/Verharrung. Bei Auslandseinsätzen sind die Grünen nach oben, bei Migration die FDP nach unten gerückt etc. nicht notwendigerweise nach links, in die (ideologische) Mitte oder nach rechts.
Was die Flügel aneinander bindet, ihre Veränderung treibt, was sie mit den jeweils anderen in die gleiche Partei treibt, was sie voneinander abschreckt, welche Dynamiken für Aufstieg und Fall verantwortlich sind – das sind die m.E. wesentlich interessanteren Fragen. Sie bestimmen letztendlich die Parteienlandschaft und mögliche Koalitionen. Antworten habe ich allerdings keine, tatsächlich kommt mir das alles sehr willkürlich vor. Ein paar Beispiele: Sarah Wagenknecht ist Teil der kommunistischen Plattform, jetzt ist sie auf dem „nicht zu viel gesellschaftspolitische Veränderung“ Trip, die „antikapitalistische Linke“ erklärt sie zur persona non grata, ja „Faschistin“. Bernd Riexinger leitet diese Gesprächsgruppe. Unter Katja Kipping schien ein völlig anderes Konzept dominant zu sein. In der demokratischen Partei der USA kann man sich offensichtlich nie entscheiden, ob man sich auf gesellschaftspolitischen Positionen oder sozialpolitischen unterscheidet – auch wenn der Flügelkampf verhärtet ist. Auch was jetzt genau weshalb radikal bzw moderat ist. Bernie wing ist radikal weil er Gesellschaftspolitik ignoriert, BLM gefährdet Wahlerfolge, Sozialpolitik ’sozialistisch‘, populistische Sozialpolitik der Garant zum parteiübergreifenden Erfolg. Die Mehrheit der Partei stellt sich hinter Biden um Bernie zu verhindern, Biden regiert völlig anders als vor der Wahl erwartet, die Mehrheit der Partei störts nicht, Bernie hat die realpolitisch mächtigste Position seines Lebens, erweist sich als treuer Parteisoldat/Verteidiger des Weissen Hauses, Sinema/Manchin schiessen quer, werden ignoriert, gelobt, gehasst jeweils von „beiden Flügeln“. „The squad“ sind die Lieblinge der Partei, werden kritisch gesehen, werdem von Komitees ferngehalten, erlangen mächtige Posten in Komitees, sind Blockierer aus ideologischer Reinheit, stimmen überwiegend mit der Pelosi/Schumer. Alles ein bisschen inkonsistent, intransparent, schräg, aber durchaus von Bedeutung…
Die Ideologie spielt natürlich eine Rolle. Wie an anderer Stelle in den Kommentaren schon angesprochen ist der Punkt meines Modells ja gerade, asl ERGÄNZUNG für Ideologie zu dienen und zu erklären, wo Unterschiede zwischen den Parteien liegen, die bei der Koalitionsbildung wie gerade bei R2G im Weg stehen können.
Sicher, die Unterschiede in unseren beiden Ansätzen sehe ich allerdings darin, dass Du a) eine Dimension „vorwärts/rückwärts“ einführst, die nicht selbsterklärend und unnötig polarisierend ist / deren Anerkennung selbst von Ideologie und Parteizugehörigkeit abhängen dürfte. Meines Erachtens ist dagegen die Entwicklungsrichtung bereits hinreichend (Occam’s razor) durch die ideologische Einordnung beschrieben. Wir beide sehen ja FDP und Grüne im selben „Lager“ bzw der selben swim lane, sehen jedoch ebenfalls beide die zum Teil radikal unterschiedlichen Lösungsansätze. Vor allem aber machst Du dadurch b) FDP/Grüne zum Gegenpol zu LINKE/AfD, ich dagegen CDU/SPD. Ich finde es gerade im strukturkonservativen Deutschland wichtig sowohl die Grünen als auch die FDP im real existierenden Parteienspektrum und auf beiden Dimensionen Ideologie und Wille zur Veränderung jeweils in der Mitte zu verorten…
Ich plaediere fuer diese Einteilung, die rein objektiv ist und ueberhaupt nicht durch meine eigenen politischen Praeferenzen beeinflusst ist:
SPD: rechtschaffen gut
CDU: rechtschaffen boese
LINKE: neutral gut
AfD: neutral boese
Gruene: chaotisch gut
FDP: chaotisch boese
LOL, sehr schön. Mich würde allerdings interessieren, wie du zu den Zuordnungen bei AfD und FDP kommst. Intuitiv hätte ich die genau umgekehrt zugeteilt.
Bin auf die Schnelle einfachdem Schema rechtschaffen: Stefans Bewahrer – chaotisch: Stefans Veraenderer gefolgt
lol
CDU hat starke true neutral (Das Gleichgewicht des Stillstands) Tendenzen
Außerdem würde ich so ergänzen:
CSU: Neutral evil
Volt: lawful neutral
Die Partei: chaotic neutral
Piraten: chaotic good
Freie Wähler: neutral
klar, wenn man es etwas „ernsthafter“ macht ist die CDU die Inkarnation von true neutral.
Wer redet von ernsthaft? Mit dem nötigen Unernst kannst du jedem jedes Alignment verpassen:
https://funnyjunk.com/funny_pictures/3949151/Batmignmentchart/#65f29c_3948707
Beipiele :
SPD: nicht lawful , ihnen wird seit 100 Jahren „Wer hat uns verraten“ hinterhergesungen
Grüne: NG geht nicht (Pazifistengesinnung)
CDU: CN/E (Corruption)
Alle Parteien : LE ( Wie Stefan Sasse immer sagt, ist jede Partei irgendwo Verbotspartei)
CDU: Größte Verbotspartei von allen seit 2020
Das macht aber die AfD zu CG – Robin-Hood-mäßige Streiter gegen die Merkel-Tyrannei. Und spätestens da landet die Gesinnungstafel zusammengeknüllt in der Ecke wegen Bullshit. 😉
Meine Interpretation von true neutral war immer, dass es prinizipienlose Opportunisten beschreibt. Und da sind wir dann bei der CDU und vor allem Merkel 😉
Das erste Lager sind die (bisherigen) Volksparteien, und wie ticken, hat Tucholsky schon vor neunzig Jahren aufgezeichnet:
/// „Kieck mal, ick bin in meinem Bezirk zweeter Schriftführer, uff unsere Saalabende is et imma so jemietlich, wir kennen die Kneipe, det Bier is ooch jut, am ersten Mai machen wa imma unsern Ausfluch und aben’s is Fackelzuch, et hat sich allet so scheen einjeschaukelt! Wat brauchste Grundsätze, wenn de een Apparat hast!“
Und da hat der Mann recht! Wahrscheinlich werd ick diese Partei wähln, denn dit is so ein beruhijendet Jefühl: Man tut wat for de Revolution und weeß janz jenau, mit diese Partei kommt se janz bestimmt nich! Det is sehr wichtich für een selbständijen Jemüseladen! ///
Für das dritte Lager gibt es mit „Protestparteien“ einen gängigen Begriff. Wie bringt man nun FDP und Grüne auf einen Nenner? Vielleicht mit „Bekenntnispartei“ oder „Überzeugungspartei“? Der Drang zu Veränderungen beruht ja auf Ideen, deren Umsetzung man anstrebt, auch wenn man sich gesellschaftlicher Mehrheiten nicht sicher ist.
Aber natürlich sind die Übergänge fließend. Die Grünen waren einst eine Protestpartei und versuchen nun den Sprung zur Volkspartei, während es bei der FDP immer wieder Tendenzen gab, sich in Richtung Protestpartei zu entwickeln.
(Sorry, daß ich das Posting eben versehentlich im verkehrten Strang eingestellt habe.)
Hitler hat gesagt: „Ich hatte da mal ein Lager.“
Genau bei den Lagern ist es in Deutschland auch geblieben.
Erziehung sei Dank!
Zum Glück gibt es auch andere Menschen.
Keine Ahnung was du damit sagen willst.
Ich weiss nicht, was diese Einteilung bringen soll.
Wir hatten in der Bundesrepublik lange wegen Erfolg und Kaltem Krieg eine sehr starke Mitte. Neoliberalismus war hier schwächer als in Angelsächsischen Ländern. Nun haben wir ganz recht und ganz links eigene Parteien.
Ich sehs ähnlich wie Stefan Sasse, dass die Linke in Koalitionsregierungen mit Grüne und SPD nicht integrierbar sind. Hab in der weiteren Familie selbst den Fall eines eingeheirateten Mannes, der erfolglos versuchte als Linken Kandidat in einen Stadtrat gewählt zu werden. Ich meide Gespräche über Poltitik mit dem, weil der einfach zu viel Nachdenkseiten liest. Ich denke, dass v.a. im Westen viele Linke entsprechend infiltriert sind.
„Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis die entsprechenden Personen zusammenkommen und auf Landesebene diese Koalition durchführen werden.“
Das halte ich für extrem unwahrscheinlich.
Zum einen ist die AfD gerade in den Ländern, wo sie die Regierungsbildung erschwert, komplett von Rechtsextremisten dominiert, was bereits zur Beobachtung durch den Verfassungsschutz der jeweiligen Ländern geführt hat. Auch im Bund ist das lediglich eine Frage der Zeit. Wie man im Aussteigerbuch „Im Bann der AfD“ (Kapitel 12) lesen kann, arbeitet sich die Partei momentan vergeblich am tausendseitigen Gutachten des BfV ab, mit dem die Einstufung als Verdachtsfall begründet wird.
Zum anderen ist eine klare Kante gegen die AfD ein Garant für Wahlsiege, wie zuletzt Sachsen-Anhalt gezeigt hat, wo Haseloff erst seinen rechtsoffenen Innenminister Stahlknecht in die Wüste schickte und dann in der Wahl 16 Prozentpunkte vor der AfD lag.
In Sachsen sieht es in zwei neuen Umfragen ähnlich aus. Zwar liegt die AfD bei der Sonntagsfrage zur Bundestagswahl vor der CDU (25:24 bei INSA; 23:21 bei Infratest dimap), bei der Sonntagsfrage zur Landtagswahl führt jedoch die CDU (34:25 bei INSA; 35:21 bei Infratest dimap).
Schön wäre es ja. Mir wäre es auch lieber, alle Parteien bilden einen „cordon sanitaire“ gegen die AfD, wie man es in Belgien mit dem Vlaams Belang gemacht hat. Wenn man auf die Rechtsextremen zugeht, ihre Positionen übernimmt oder sie gar in die Regierung einbindet, macht man sie am Ende nur stärker, das zeigten die Beispiele aus Österreich, Italien, Polen oder den Niederlanden.
Aber wie die Causa Maaßen zeigt (ich habe immer noch Hoffnung, dass er sein Direktmandat nicht gewinnt), ist bei der CDU nicht garantiert, dass sie die Richtung aus der Merkel-Zeit beibehält, vor allem nicht bei der Basis in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Auf Landesebene gibt es da schon Stimmen, die auf Koalitionen mit der AfD blicken. Wenn sie in Sachsen stärkste Kraft werden und sich für die CDU nur Die Linke als Mehrheitsoption anbietet, wird es eng – im Zweifelsfall steht die sächsische CDU näher an der AfD. Auf die Beobachtung durch den Verfassungsschutz hoffe ich auch, auch wenn sie sich dadurch natürlich noch mehr als die armen Opfer des bösen „Altparteienkartells“ inszenieren werden.