Glanz und Elend der Sozialdemokratie, Teil 3: Das Goldene Zeitalter

Dies ist der dritte Teil einer Serie. Teil eins findet sich hier. Teil 2 befindet sich hier. Ich möchte zwei Bemerkungen voranstellen. Erstens ist dieser Artikel Teil einer Serie, die sich mit Aufstieg und Niedergang der Sozialdemokratie vorrangig in den USA und Deutschland beschäftigt. Dieser Fokus entspringt meinen persönlichen Interessen und meinem persönlichen Interessengebiet. Jegliche Verallgemeinerung bleibt deswegen notwendigerweise mit dem breiten Pinsel gezeichnet. Zweitens wird „Sozialdemokratie“ hier nicht im engen deutschen Sinne verwendet, sondern steht für alle reformistischen Parteien links der Mitte. Darunter fallen etwa die Labour Party, die Parti Socialist oder die Democrats, nicht aber die KPD oder die DSA. 

Der New Deal war um 1937 herum eine Erfolgsgeschichte, aber keine, die das System grundsätzlich aus den Angeln hob. Die Gehälter stiegen langsam wegen der massiven Zunahme der Gewerkschaftsmacht, die Wirtschaft erholte sich – hätte das aber wahrscheinlich auch in einer dritten Amtszeit Hoover getan – und die Arbeitslosenrate sank langsam. Sie betrug 1937, nach drei Jahren des Second New Deal, 14,3% – ein Tief nach dem Hoch von 24,9% im Jahr 1933. Im gleichen Jahr jedoch entstand im Kongress ein neues Bündnis. Die oppositionellen Republicans, denen die Idee der Staatseingreife ohnehin suspekt gewesen war, taten sich mit den konservativen Democrats aus dem Süden zusammen, die durch den Erfolg der aufstrebenden New Dealers verunsichert waren und in weiteren Reformschritten die bisher erfolgreich blockierte Grundrechtsgesetzgebung auf sich zukommen sahen (civil rights), die Schwarzen mehr Rechte und einen Anteil am beginnenden Wirtschaftsaufschwung zusprechen könnte. Diese neue Koalition tat etwas, das uns heute schmerzlich bekannt vorkommt: sie verabschiedeten einen Bundeshaushalt, der starke Einschnitte vorsah – vor allem bei den gerade erst angelaufenen New-Deal-Programmen. Wenig überraschend sprang die Arbeitslosenrate daraufhin wieder nach oben: 1938 betrug sie 19%, 1939 sank sie wieder auf 17,2%. Sechs Jahre nach Beginn des New Deal jedoch war diese eine enttäuschende Entwicklung. Die Progressiven im Kongress waren von dem legislativen Wirbelsturm, den sie seit 1934/35 entfacht hatten, erschöpft. Ihr politisches Kapital war aufgebraucht.

Wir müssen uns an dieser Stelle auch noch einmal klar machen, wie entscheidend in diesem Kontext der Zweite Weltkrieg sein wird. Nutzen wir einen sich aufdrängenden Vergleich von Franklin Delano Roosevelt vs. Barrack Hussein Obama – beide waren Progressive, kamen am Höhepunkt einer Wirtschaftskrise an die Macht und versuchten mit einer Super-Mehrheit tiefgreifende Reformen – so befinden wir uns jetzt im Jahr 2014. Das war das Jahr, in dem Obama müde schien, in dem seine Beliebtheitswerte im Keller waren und in dem die Republicans den Senat eroberten – und das, obwohl die US-Wirtschaft seit 2009 konsistente Wachstumsraten verzeichnet hatte und die Arbeitslosenrate bei gerade einmal 7,2% lag! Ich mache diesen Vergleich hier deswegen, weil Obamas Leistungen im linken Lager gerne kleingeredet werden, vor allem gegen das leuchtende Idol Roosevelts und des New Deal. Aber Roosevelt hatte 1939 weniger konkrete Ergebnisse vorzuzeigen als Obama 2014. Woher kam der Umschwung?

Die Antwort nach der geheimen Zutat, die stets gefehlt hatte, gab bereits Oskar Schindler: Krieg.

Im September 1939 entfesselte Deutschland mit einem Überraschungsangriff auf Polen einen Konflikt, der später als „Zweiter Weltkrieg“ bekannt werden sollte. Damals war es ein lokaler Konflikt – zwar erklärten Großbritannien und Frankreich Deutschland den Krieg, was ihre gesamten Kolonialreiche und Dominions mit in den Konflikt einband, aber bis 1941 blieb der Konflikt trotzdem klar europäisch definiert. Zudem vergisst die eurozentrische Perspektive gerne, dass Japan seit 1937 einen Aggressionskrieg gegen China führte, der die USA wesentlich mehr beschäftigte als das beginnende Nazi-Imperium. Was der Kriegsbeginn in Europa allerdings leistete war ein sprunghafter Anstieg des Bedarfs nach amerikanischen Waren, und damit ein fast zwangsläufiges Ende des protektionistischen Experiments. Zwar versuchten die Isolationisten im Kongress, die mehrheitlich, aber bei weitem nicht ausschließlich in der GOP organisiert waren, eine Anbindung der USA an die Geschickte der Weltpolitik und des internationalen Warenhandels so gut als möglich zu verhindern, was ihnen besonders auf dem Gebiet der Waffenexporte bedauerlich lange gelang. Aber Roosevelt erwies sich als wesentlich findiger im Umgehen der legislativen Hürden, die seine Gegner im Kongress ihm aufbauten, als diese es im Errichten derselben waren, und der Druck der Wirtschaft, die gerne gute Geschäfte mit Großbritannien machen wollte, tat ihr Übriges.

Doch auch interne Faktoren nahmen 1939 Druck von der andauernden Wirtschaftskrise: die Dürre, die besonders den Mittleren Westen mehrere Jahre in ihrem Würgegriff gehalten und zehntausende kleiner Farmer arbeits- und wohnungslos gemacht hatte, endete. Genau in dem Moment, in dem der Weltmarkt plötzlich einen vielfachen Bedarf an Agrarprodukten hatte, konnten amerikanische Anbieter – wo die großen Player die Reste der bankrotten Kleinfarmer aufgesogen hatten – nun liefern. Im Jahr 1940, als die Arbeitslosenquote auf 14,6% absackte, wurde angesichts des Zusammenbruchs Frankreichs und der gestiegenen japanischen Aggression die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, und der Staat begann, die Wirtschaft auf Krieg umzustellen. Das war eine Form der Staatsintervention, die keine Kongressmehrheit blockieren wollte. Das Jahr markierte auch sowohl den Höhepunkt als auch den Anfang vom Ende für die Isolationisten. Ihre Bewegungen schrumpften, ihre Abgeordneten verließen den Kongress, bis Pearl Harbor 1941 den Resten der Bewegung den Todesstoß versetzte.

Der am Horizont dräuende Krieg, dem sich Amerika würde auf Dauer nicht verschließen können, hatte daher für den New Deal drei wesentliche Effekte.

Der erste war, dass der Staat in einem nie gekannten Ausmaß ins Wirtschaftsleben einzugreifen begann. Da wir hier von den USA sprechen, waren die Eingriffe immer noch auf die Makro-Ebene beschränkt, überließ man so viel wie möglich dem freien Spiel der Kräfte. Roosevelt rekrutierte den verdienten General-Motors-CEO William Knudsen als Koordinator der Wehrwirtschaft. Dieser überzeugte Roosevelt, die Wirtschaft nicht auf einen Schlag, sondern Stück für Stück auf Kriegswirtschaft umzuschalten. Zuerst würden die USA die Kriegsgegner Deutschlands (ab 1941 auch zunehmend die Sowjetunion) mit allen möglichen Waren AUSSER Waffen beliefern. Stück für Stück würden die Firmen dann neue Kapazitäten aufbauen, PARALLEL zu der bisherigen restlichen Industrie.

Das war deswegen so bedeutend, weil im Gegensatz etwa zu den Nazis, die mit ihrer dirigistischeren und rücksichtsloseren Wirtschaftspolitik kurzfristig gewaltige Produktionssteigerungen zu entfesseln in der Lage waren, die amerikanische Aufrüstung nicht an die Substanz ging. Wo die Nazis ihre eigene Wirtschaft zugrunde richteten und die Franzosen und Briten (die Sowjets und Japaner sowieso) in geringerem Umfang dasselbe taten, beendeten die USA den Krieg mit einer gesunden Wirtschaft, die eine solide Basis für weitergehendere Vollbeschäftigung legte. Europa würde zwei Dekaden brauchen, um dasselbe Ziel zu erreichen.

Das zweite war, dass der plötzliche Bedarf an Arbeitskräften den Arbeitern ein ungeheures Druckmittel an die Hand gab. Die neu entstehenden Rüstungsfirmen wollten die best-qualifizierten Arbeiter, und sie bezahlten entsprechend. Das war für die Arbeiter kurzfristig natürlich gut, aber die hohe Fluktuation bereitete den Unternehmen massive Probleme – und gab dem Argument der Gegner des New Deal, die mächtigen Gewerkschaften zurechtzustutzen und die gerade erst gewonnenen Arbeitnehmerrechte wieder einzudampfen, großzügig Nahrung.

Das dritte war, dass Roosevelt angesichts der außenpolitischen Krise die schon lange gehaderte Frage, ob er für eine dritte Amtszeit antreten solle, mit einem „Ja“ beantwortete. Dieser Antritt erlaubte eine wesentlich größere personelle und politische Kontinuität für den New Deal als es ein potenzieller anderer demokratischer Nachfolger Roosevelts hätte leisten können, von einem Sieg des republikanischen Herausforderers Wendell Wilkie ganz zu schweigen. Zwar hatte Roosevelt die Innenpolitik mehr oder weniger abgegeben – er konzentrierte sich überwiegend auf die Außenpolitik – aber seine Leute machten weiter.

Als die Japaner die USA dann mit ihrem Angriff auf Pearl Harbor in den Krieg zwangen, war das Land strukturell zwar immer noch nicht bereit – Roosevelt hätte gerne noch zwei oder drei Jahre als „arsenal of democracy“ die kriegführenden Mächte unterstützt, ohne selbst Kriegspartei zu werden – aber die Grundlagen waren solide genug. 1942 verdreifachte der Kongress die Militärausgaben; die Arbeitslosigkeit war, unter anderem wegen dem Wehrdienst vieler junger Männer, auf 4,2% abgesunken und erreichte 1943 die Marke von 1,9%. Wer nicht im Krieg war, arbeitete – und arbeitete hart. In der offiziellen Erinnerung konzentriert sich alles auf die Soldaten, die Omaha Beach erstürmten, aber in der US-Kriegsindustrie starben zwischen 1941 und 1945 mehr Arbeiter an Unfällen als auf den Schlachtfeldern Europas.

Die US-Wirtschaft erreichte aus ihrer Talsohle in den 1930er Jahren heraus ein ungekanntes Niveau. Nicht nur führten die USA einen totalen Krieg auf zwei völlig verschiedenen Kriegsschauplätzen mit einem ungeheuren materiellen Niveau (den Leistungen der amerikanischen Logistiker kann man gar nicht genug Anerkennung zollen), der Lebensstandard der Zivilisten sank auch nicht drastisch ab und zudem versorgten die USA auch noch drei Verbündete und, ab 1943, die besetzten Länder Europas mit Nahrung, Gütern und Waffen. Die völlige Erschöpfung der europäischen Alliierten, die umfassenden Zerstörungen und die schlichte Tatsache, dass ein Teil Europas feindliches Gebiet war, das besetzt und versorgt werden musste, garantierten eine weitere Abhängigkeit Europas von den USA in einem Ausmaß, das Zeitgenossen von 1919 mehr als befremdlich vorkommen muss.

Nichts desto trotz war es das Gespenst von 1919, das den Progressiven die meisten Kopfzerbrechen bereitete. Damals war die Nation aus dem siegreich beendeten Krieg direkt in eine fürchterliche Depression gerutscht, als die demobilisierten Veteranen keine Arbeit fandne und die schlechte Wirtschaftslage in Europa keinen guten Absatzmarkt für US-Güter bot. Beide Faktoren mussten unbedingt verhindert werden, damit auf den Sieg in Europa und im Pazifik nicht der große Katzenjammer folgte. Hierfür verabschiedeten die New Dealers zwei zentrale Gesetzeswerke.

Das eine war das bekannte europäische Aufbauprogramm, das unter den Namen „Marshall-Plan“ legendär werden würde. Mindestens ebenso bedeutend wie die propagandistisch überhöhten Direkthilfen war jedoch, dass die USA de facto darauf verzichteten, dass ihre Alliierten die Kredite aus dem Krieg in irgendeiner substanziellen Form zurückzahlten. Das war bereits seit 1941 klar gewesen, wurde nun aber konkrete amerikanische Politik. Kaum etwas hatte den Kreislauf von Reparationen, Inflation und schließlich deflationärer Wirtschaftskrise in den 1920er Jahren so sehr angeheizt wie die harte amerikanische Politik, die auf Rückzahlung aller Kriegskredite bestand.

Das andere war für die USA und das beginnende sozialdemokratische Zeitalter die entscheidende Wegmarke: die GI Bill. Dieses Gesetzeswerk, für das noch einmal die ganze Größe der alten New-Deal-Koalition mobilisiert wurde, erlaubte es den zurückkehrenden GIs, sich kostenlos an Colleges, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen fortzubilden. Hunderttausende von Kindern aus der unteren Mittelschicht und der Arbeiterklasse erhielten zum ersten Mal Zugang zu höherer Bildung. Zudem subventionierte der Staat in gewaltigem Ausmaß den Erwerb von Eigenheimen, was die Grundlage für den Aufstieg der Vororte („Suburbia“) mit ihren gleichförmigen, großzügigen Einfamilienhäusern war. Mit einem Schlag definierten sich die USA als Mittelschichtsgesellschaft neu.

Doch wie bereits in anderen New-Deal-Programmen wurde die Zustimmung der konservativen Südstaatler mit einer Exklusion der Schwarzen von den Segnungen dieses Programms ausgeschlossen, ebenso Frauen und viele andere Minderheiten. Der neue amerikanische Sozialstaat war ein Sozialstaat für verheiratete weiße Männer, und wer in dieses Ideal nicht passte, konnte am neuen Wohlstand nicht teilhaben.

Zudem führte, wie so häufig, Zufriedenheit über das Erreichte zu Nachlässigkeit. Die Gewerkschaften, ohnehin angeschlagen vom „Verrat“ „ihres“ Präsidenten, der ihre Rechte im Krieg beschnitten hatte, erlitten 1947 einen weiteren, schweren Schlag. Der Anführer der oppositionellen Republicans, Howard Taft, verabschiedete mit Erfolg (und erneut den Stimmen der konservativen Democrats des Südens) den Taft-Hartley-Act, der die Rechte der Gewerkschaften empfindlich beschnitt und ihnen einige ihrer mächtigsten Werkzeuge wie das Streiken für politische Zwecke, das Verhandeln für Nicht-Gewerkschaftsmitglieder und das Verpflichtend-Machen einer Gewerkschaftsmitgliedschaft („closed shop„) nahm. Eine große Rolle spielte hier der rasant zunehmende Anti-Kommunismus, mit dem der New Deal mehr und mehr als „un-amerikanisch“ diffamiert wurde. Die anhaltende Vollbeschäftigung und hohen Löhne sorgten jedoch dafür, dass der Aufschrei überraschend gering ausfiel.

Zwar war die demokratische Mehrheit auf dem Papier immer noch so mächtig wie die Jahre zuvor. Doch die offene Feindschaft der konservativen Südstaaten-Democrats sorgte dafür, dass Trumans Spielraum in Wahrheit wesentlich kleiner war. Der Präsident forcierte das Thema: 1949 forderte er einen Fair Deal als Nachfolger zum New Deal. Der Fair Deal enthielt nicht nur weitere arbeitnehmerfreundliche Regeln, sondern, entscheidend, auch eine Bürgerrechtsplanke: ein Verbot von Lynching, eine Eingrenzung von Jim Crow und Zugang der Schwarzen zum Sozialstaat. Der Fair Deal wurde zu einer Pleite. Er führte nicht nur zur Spaltung der Partei – zahlreiche Rassisten verließen die Partei und formierten sich um Strom Thurmond in einer neuen Partei, ehe sie über die nächsten Jahrzehnte langsam in der republikanischen Partei aufgehen und diese bis 1968 in ihrem Wesenskern transformieren würden – sondern auch zur Wahlniederlage der Democrats 1952. Zum ersten Mal seit 20 Jahren zog ein Republican ins Weiße Haus ein.

Wir haben Dwight D. Eisenhowers Haltung zum New Deal bereits untersucht. Er war kein Fan, aber er machte sich auch nicht daran, das Projekt auseinanderzunehmen. Stattdessen waren die 1950er Jahre eine Phase konservativer Konsolidierung des New Deal, der das Programm für alle Seiten akzeptabel machte und die beiden Parteien so nahe zueinander brachte wie nie zuvor oder danach in ihrer Geschichte. Entscheidend hierfür war, dass alle Beteiligten die gleiche Mentalität besaßen: Es war ein Glaube daran, dass eine progressive Regierung (progressiv hier im Sinne von „auf die Zukunft ausgerichtet“) in der Lage war, diese Zukunft zu planen und aktiv zu gestalten. Es war ein allgemeiner, technokratischer Machbarkeitsglaube, der all diesen Männern (und es waren alles Männer) zu eigen war.

In Europa vollzog sich zu dieser Zeit eine ähnliche Entwicklung. In der neugegründeten deutschen Bundesrepublik setzten sich die USA-orientierten Marktwirtschaftler wie Eucken und Erhardt durch, die versuchten, den konservativen Sozialstaat Bismarcks mit der freiheitlichen Marktwirtschaft der USA zu verbinden. Das Ergebnis war der Sozialstaat. Wie in den USA auch umfasste er einen großen Teil der deutschen Bürger, aber nicht alle: ein Fakt, das sich für die Bundesrepublik noch zu einem ernsten Problem ausweiten würde. Von seinen Segnungen ausgenommen waren sowohl Kinder beziehungsweise deren Eltern („Kinder kriegen die Leute immer“, sagte Adenauer berühmt-berüchtigt schnoddrig) als auch Frauen (wie in den USA profitierten sie implizit durch ihre Ehemänner; Singles waren auf sich allein gestellt (man verzeihe das Wortspiel) und, ab den 1960er Jahren, die Gastarbeiter.

Einen etwas anderen Weg ging Großbritannien, wo es stärkere Gewerkschaften und eine sozialistischer ausgerichtete Labour-Party gab, die den Ton angaben. Die Briten verließen sich mehr auf staatlich gesteuerte Wirtschaftselemente und einen vergleichsweise großzügigen Sozialstaat, doch dieses Projekt war die gesamten 1950er und 1960er Jahre hindurch dadurch behindert, dass die Briten mehr schlecht als recht ihr Kolonialreich abzuwickeln und dabei eine Weltmacht zu bleiben versuchten. Erst, als sie diese Aspirationen in den 1960er Jahren aufgaben (und damit auch die völlig überzogenen Militärbudgets) und alle Verantwortung an die USA abgaben, begann auch in Großbritannien derselbe sozialdemokratische Aufstieg, der in den USA, Frankreich und Deutschland passiert war.

Frankreich seinerseits hatte mit Großbritannien das Problem der außenpolitischen Abenteuer und des Versuchs, sich an den Kolonien festzukrallen, gemeinsam. Es hatte allerdings den entscheidenden Vorteil, zu seinen Bedingungen eine ökonomische Partnerschaft mit Deutschland eingehen zu können: die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die Keimzelle der späteren EU.

Alle europäische Länder, allen voran die BRD, profitierten jedoch maßgeblich von den neuen außenpolitischen Verwicklungen der USA, vor allem dem Koreakrieg, der die USA zwang, entweder ihre Rolle als Supermacht aufzugeben oder effektiv den Kriegshaushalt des Zweiten Weltkriegs auch im Frieden beizubehalten. Bekanntlich entschieden sie sich für zweiteres, was eine Öffnung ihres Binnenmarktes erzwang und den europäischen Ländern die Chance eröffnete, das Wirtschaftswunder der USA aus dem Krieg – die Versorgung anderweitig gebundener Volkswirtschaften – zu wiederholen.

Es sollte an dieser Stelle offenkundig geworden sein, dass er Erfolg des New Deal und sein Export nach Europa keine zwangsläufige Entwicklung, sondern eine Folge vieler Glücksfälle waren (so sehr man beim Zweiten Weltkrieg eben von einem Glücksfall sprechen kann). Stattdessen waren die ersten Maßnahmen weitgehend verpufft, und auch der Second New Deal war 1937 zwar mit durchschlagenden Reformen am Start, sah sich jedoch einer Reihe von Gegnern gegenüber, die drauf und dran waren, ihn zu sabotieren.

Was den New Deal rettete – und überhaupt erst zu einem durchschlagenden Erfolg statt einer langsamen, aber stetigen Erholung der Wirtschaft im Muster der Obama-Jahre machte – war eine massive Intervention des Staates, die die Bedinungen für die Arbeiter schuf, an einem selbst erzeugten Nachfrageboom teilzuhaben, und ein Weltmarkt, der genau zu diesem Zeitpunkt Bedarf für die so geschaffenen Kapazitäten und Waren aufwies. Dieser Glücksfall für das sozialdemokratische Projekt trat nicht nur einmal für die USA 1939-1945 auf, sondern auch noch einmal für Europa, beginnend ab 1950.

Die Folgen waren dieseits wie jenseits des Atlantiks durchgreifend. Ich habe bereits die Mentalitätsveränderung der Eliten angesprochen, die von Männern mittleren Alters dominiert waren, die über eine technische Ausbildung und eine technokratische Machermentalität verfügten. Sie hatten die vorherigen (im Schnitt älteren) Honoratioren abgelöst. Diese Entwicklung fand ihr Gegenstück in den Vorstandsetagen der großen Unternehmen und in den Gewerkschaften. Dadurch ergaben sich starke Anreize für kollektives Handeln, etwa in Streiks (seitens der Arbeiter) und Tarifverhandlungen. Die so entstehenden korporatistischen Strukturen gaben Zeit ihres Bestehens, gefördert von einem stetigen Wachstum bei annähernder Vollbeschäftigung, beiden Seiten genügend Anreize für Abschlüsse, die für jeden etwas dabei hatten. Ähnlich verfuhr auch der Staat bei seinen Reformwerken, soweit es möglich war: letzten Endes wurden politische Konflikte häufig durch großzügige „Reform“pakete übertüncht, besonders in föderalistischen Staaten wie Deutschland oder den USA, in denen so ineffektive und aufgeblasene Bürokratien entstanden, die in der kommenden Krise problematisch werden würden.

Aber auch in der breiten Gesellschaft ergaben sich dadurch Veränderungen. Wir haben zu Beginn über den Anstieg des Lebensstandards gesprochen. Es war in den 1950er und 1960er Jahren, dass die gesamten Segnungen des technischen Fortschritts in der breiten Bevölkerung ankamen. Kühlschrank, Eisschrank, Telefon, Elektrizität, Heizung, Flugreisen, Discounter, Einkaufszentren, Autos, Motorroller, industriell hergestellte und günstige Kleidung, Möbel, Nahrung und andere Waren des täglichen Bedarfs – hätte man die Steigerung des Lebensstandards zwischen 1870 und 1970 vorherzusagen versucht, es wäre albernste Utopie gewesen. Selbst die größten Sozialisten am Ende des 19. Jahrhunderts konnten sich den kapitalistischen Lebensstandard im Goldenen Zeitaler der Sozialdemokratie nicht ausmalen.

Dieser Lebensstandard allerdings war uniform. Suburbia war zwar der Wunschtraum der breiten Bevölkerungsmehrheit, aber gleichzeitigt, wie die berühmte Folk-Sängerin Malvina Reynolds sang, „boxes made of ticky-tacky“ („Schachteln aus Kitsch“), die aneinander aufgereiht dastanden, wo Nachbarn eifersüchtig über die Größe der Rosenzäune wachten. Es gab zwar quantitativ viele Waren, mehr als man sich vorher je hatte erträumen lassen, aber eine große Auswahl an solchen gab es nicht. Um 1950 herum existiert eine ungeheure Einheitskultur. Ein oder zwei Radiosender spielten Klassiker und Schlager. Auf dem einen verfügbaren Fernsehkanal liefen Sendungen, die dem männlichen Hausherrn gefielen. Die Mode war dieselbe, ob der Träger 15, 35 oder 65 war. Autos kamen in verschiedenen Farben, aber kaum in verschiedenen Ausprägungen. Urlaubsorte waren voller Pauschal-Hotels und -Vergnügungen. Das Essen war tiefgefroren von einheitlichen Anbietern.

Das ist überzeichnet, gewiss. Aber nicht viel. Das Goldene Zeitalter der Sozialdemokratie war auch ein Zeitalter einer ungeheuren Einförmigkeit des Lebens, die auf nicht wenige Menschen – vor allem die junge Generation – erdrückend wirkte. Das waren Luxusprobleme. Auch früher hatten fast alle Menschen dieselben eingeschränkten Konsumoptionen gehabt, nur waren damals alle gleich arm gewesen. Jetzt war man Mittelschicht. Die Generation, die diese Gewinne zwischen 1933 und 1953 erkämpft hatte – erkämpft im wahrsten Sinne des Wortes – war damit zufrieden. Sie war konservativ und genoss, was sie hatte. Ihre Kinder dagegen sahen das anders.

Wie in allen diesen Entwicklungen stellten die USA einen Leuchtturm dar. Die Entwicklungen begannen dort, aber sie schwappten mit etwas Verspätung über den Atlantik. Das war keine Selbstverständlichkeit. Viele amerikanische Entwicklungen waren vor 1945 in Europa nicht angenommen, teils sogar heftig bekämpft worden. Anti-Amerikanismus war eine Dauererscheinung im politischen Spektrum Europas, hinter dem sich Links und Rechts vereinigen konnten (ich habe das hier beschrieben). Die beginnende amerikanische Konsumkultur etwa war in Kaiserreich wie Weimarer Republik (bei den Nazis sowieso) erbittert bekämpft worden.

Doch ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs ließ die Polarisierung zwischenden beiden Supermächten den Europäern auch gar keine andere Wahl mehr, als die Trends nachzuvollziehen, die von jenseits des Großen Teichs kamen. Großbritannien und Frankreich mussten beide in den 1950er Jahren schmerzlich erkennen, dass ihre Großmachtallüren ein Relikt waren, das sich nicht mehr aufrechterhalten ließ. Die ökonomischen und politischen Bindungen an die USA machten den Versuch, sich gegen den amerikanischen Kulturimperialismus zu stellen, aussichtslos, denn anders als der sowjetische Kulturimperialismus WOLLTE die Bevölkerung der jeweiligen Staaten ihn mehrheitlich. Besonders die Jugend war höchst angetan von der beginnenden Jugendkultur, die aus den USA herüber kam, und selbst der verstockteste Reaktionär wollte die Segnungen der Angebote des Wohlfahrtskapitalismus nicht missen.

Das Goldene Zeitalter der Sozialdemokratie war demzufolge ein Zeitalter der starken Gruppenidentitäten. Die Familie als Kern, darumherum die Belegschaft in der Fabrik, die Kirche, die Partei und die Gewerkschaft prägten das Zugehörigkeitsgefühl. Wer zu diesen Gruppen gehörte, hatte vollen Zugang zu den Segnungen des sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaats. Auf beiden Seiten des Atlantiks waren dies vor allem verheiratete, vollzeiterwerbstätige weiße Männer, die in den 1960er Jahren langsam in den Herbst ihres Lebens gingen. Ihre Kinder wurden erwachsen und hatten kein Gefühl für den ungeheuren Fortschritt, den ihre Lebensleistung erbracht hatte.

Eine neue Generation besuchte die Universitäten und kam mit radikal neuen Ideen in Berührung. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit gab es eine Jugendkultur, eine Mischung aus kulturellen und marktwirtschaftlichen Angeboten, die sich explizit an Jugendliche und junge Erwachsene richtete und die ältere Gesellschaft ausschloss. Die traditionelle Familie geriet durch ihre eigenen internen Widersprüche unter Druck. Frauen und ethnische Minderheiten wurden immer frustrierter über ihre anhaltende Exklusion aus dem politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben. Diese gärende Unzufriedenheit kochte in den 1960er Jahren an die Oberfläche – und stürzte die Sozialdemokratie in eine tiefe Krise.

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  • Stefan Pietsch 17. Juli 2018, 15:55

    Wie schon an anderer Stelle zu anderen Zeiten gesagt, sind solche Serien von Dir eine absolute Besonderheit. Exzellent und informativ, danke dafür.

    Selten konnte ich Dein schönfärberisches Bild über Obama so beweisen wie hier. Du lobst die angeblich niedrige Arbeitslosenrate 2014, diese betrug nach OECD-Standard 6,2% und damit unter dem Mittel der Industrienationen. Soweit normal. Nur, dieser Wert liegt 1-2%-Punkte höher als in den 10 Jahren vor der Regierungszeit Obamas und wurde davor 1993 überschritten. Es war die Zeit, als Bush Senior das Weiße Haus verlor. So gesehen war der Wähler gnädig mit dem Mann aus Chicago.

    Die Wirtschaftspolitik Erhards folgte einem klaren theoretischen Konzept, im Gegensatz zu den Jahrzehnten seit Helmut Kohl. Es nennt sich Neoliberalismus und war eben keine Kreuzung des konservativen Sozialstaates Bismarck’scher Prägung mit der freien Marktwirtschaft American Style. Ganz im Gegenteil, die Begründer hatten eben Konsequenzen aus der gelenkten Wirtschaft der Nazis gezogen und den Sherman Antitrust Act von 1890 in deutsches (Kartell-) Recht übernommen.

    Arbeiter haben in einer Marktwirtschaft dann viel Macht, wenn Vollbeschäftigung herrscht. Das galt z.B. für die USA in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre, wo selbst für McDonald-Bräter absurde Sachen gezahlt wurden.

    Was Du auch übersiehst: das sozialdemokratische Jahrhundert steigerte seit Ende der Sechzigerjahre nicht nur die Sozialausgaben in nie gekannte Höhen, sondern auch die Staatsschulden. Die Sozialdemokratie hat sich zu Tode gesiegt, die Staaten in existenzielle Nöte gebracht und Wachstum und Prosperität gelähmt. Es ist eine der Ursachen, warum sozialdemokratische Parteien mit dem demokratischen Tod kämpfen.

    • Stefan Sasse 17. Juli 2018, 16:47

      Danke!

      Relativ niedrig – der Vergleich ist 1939, nicht 1993. Dafür hast du natürlich Recht. Aber du vergleichst natürlich Äpfel mit Birnen, denn Bush und Clinton übernahmen nicht inmitten einer Weltwirtschaftskrise.

      Nicht, dass sich der Begriff damals festgesetzt hätte. Und das theoretische Konzept war Erhardt in der konkreten Umsetzung auch sehr sekundär, deswegen war er ja erfolgreich.

      Klar, aber starke Gewerkschaften helfen ungemein, und wenn es die nicht gibt, hilft auch Vollbeschäftigung nur bedingt.

      Darauf gehe ich in Teil 4 näher ein. Stay tuned.

      • Stefan Pietsch 17. Juli 2018, 19:11

        Wenn Du Arbeitslosenzahlen in so großen Zeitabläufen vergleichst, hast Du mehr als Evaluationsproblem. So definiert sich die Unemployment Ratio aus der Erwerbsfähigkeit und Erwerbsbereitschaft. 1939 waren weit weniger Frauen bereit, ihre Können dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Gab es übrigens 1939 noch Sklaven? 🙂

        Dazu kommen ganz profane Erhebungsmethoden. In Zeiten digitaler Übertragungen ist der Gesamtmarkt sicher lückenloser zu erfassen als Dokumente noch mit der Flaschenpost befördert wurden. Daher eignen sich für Langzeitvergleiche – wenn schon eine Aussage über den Arbeitsmarkt getroffen werden soll – eher die Quote der Erwerbstätigen, mit der ich auch häufiger hantiere, gerade wenn Kritik an der Erhebungsmethodik von Arbeitslosenzahlen laut werden.

        Die USA haben einen äußerst liberalen Arbeitsmarkt. Merkmal solcher Märkte ist, dass Anpassungen sehr schnell vorgenommen werden können. Ich kann mich noch sehr gut an den Beginn der Krise am US-Arbeitsmarkt erinnern, ich war in Florida, als im Sommer 2008 die ersten großen Entlassungswellen verkündet wurden. Das passierte in einer Geschwindigkeit, die für westeuropäische Verhältnisse undenkbar ist. Umgekehrt funktioniert das Spiel allerdings auch, im Aufschwung wird Arbeitslosigkeit wesentlich schneller abgebaut als in geschützten Sozialstaaten.

        Wenn also die USA noch 6 Jahre nach einer Wirtschaftskrise an überdurchschnittlich hohen Erwerbslosenquoten herumdoktern, so ist das kein Erfolgsnachweis der jeweiligen Regierung. Denn angesichts des grobmaschigen Sozialnetzes bedeutet jeder Monat Arbeitslosigkeit für Amerikaner eine existenzielle Krise. Das so gut geschützte Deutschland war wesentlich schneller, 2009 stagnierten die Zahlen, nur damit sie seit dem weiter kontinuierlich sinken.

        Anscheinend hat Obama viel falsch gemacht.

        Nicht, dass sich der Begriff damals festgesetzt hätte.

        Kein Wunder. Erstens haben Worte, die auf „Liberalismus“ enden, in Westeuropa generell keinen guten Klang, das war 1950 nicht anders. Zweitens braucht es Jahrzehnte, bis eine Wirtschaftstheorie in Politik und Bevölkerung bekannt wird und Popularität gewinnt. Der Keynesianismus feierte in den 1970er und 1980er Jahren seine Hochzeit, über 30 Jahre nach seiner theoretischen Ausformulierung.

        Und das theoretische Konzept war Erhardt in der konkreten Umsetzung auch sehr sekundär

        Das ist nicht zutreffend, denn er hielt sich so klar wie kein Wirtschaftspolitiker nach ihm sehr eng an das theoretische Konzept des Ordoliberalismus.

        Ende des Jahrtausends zahlte McDonald’s in den USA für die Werbung eines Mitarbeiters in der Küche $5.000 Kopfprämie, das ist selbst zu normal guten Zeiten absolut absurd. Das kam nicht auf Druck amerikanischer Gewerkschaften, das war der Druck des Marktes.

        Generell steigen die Durchschnittslöhne in den USA deutlich schneller als in Deutschland, und das gilt durch die Bank. Vom Jahr 2000 bis 2016 stieg der amerikanische Durchschnittslohn von $52.801 auf $60.690, ein Anstieg um 15%. Der deutsche Durchschnittslohn dagegen stieg im gleichen Zeitraum von $41.873 auf $47.097, das sind lediglich 12,5%. Nach Deiner Theorie müsste es genau umgekehrt sein, wo ist also die „Gewerkschaftsprämie“?

        Stay tuned

        I will. Be sure. Und klau‘ nicht meine Sprüche, dafür erhebe ich eine Lizenzgebühr. 😉

        • Floor Acita 18. Juli 2018, 05:03

          „wo ist also die „Gewerkschaftsprämie“?“
          „Durchschnitts“ -löhne/-einkommen sind dafür halt nicht soi gut geeignet. Man sieht den Einfluss dagegen deutlich am Median.

          Hier eine Studie des DIW, Abbildung 4, Seite 396 (die pdf fängt bei 390 an) zeigt eine deutlich stärkere Mittelschicht in Deutschland, Trend ebenfalls aus meiner Sicht negativ, aber stärker abgefedert als in den USA…
          https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.533036.de/16-18.pdf

          • Stefan Pietsch 18. Juli 2018, 07:02

            Jetzt haben Sie mal ganz unauffällig das Ziel verschoben. Wenn Median und Durchschnittswert eng beieinander liegen, so zeigt die eine weitestmögliche Gleichverteilung.

            Die vornehmste Aufgabe von Gewerkschaften ist es, dem einzelnen den höchstmöglichen Lohn zu ermöglichen. Sonst besteht kein Interesse, Mitglied in einer Gewerkschaft zu werden. Es ist jedoch nicht die Aufgabe von Gewerkschaften, für eine größtmögliche Gleichverteilung der Einkommen zu streiten, auch wenn viele Funktionäre so denken. Dies ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe des Staates. Wenn Gewerkschaften dies übernehmen wollen, sind sie immer second best, was bedeutet: schlecht.

            Keine Frage, in Deutschland sind die Einkommen weit gleicher verteilt. Allerdings ist auch die Arbeitslosigkeit traditionell deutlich höher, was ein absoluter Makel ist. Dazu sind die Chancen, in den USA nach einem Jobverlust eine neue Anstellung zu finden, weit besser. Sie erkennen darin die deutlich negativen Wirkungen von deutschen Gewerkschaften.

            Wie es besser geht, zeigt Schweden: in dem skandinavischen Land ist der Organisationsgrad weit höher und die Primäreinkommen (Markteinkommen) differieren sehr stark. Dagegen verstehen sich deutsche Gewerkschafter als Lobbyisten einer relativ kleinen Klientel, weshalb die Verdiener in den oberen Einkommensklasse wie prekär Beschäftigte aus dem Netz fallen und in Gewerkschaften keine Interessenvertretung besitzen.

            • Rauschi 18. Juli 2018, 11:42

              Dagegen verstehen sich deutsche Gewerkschafter als Lobbyisten einer relativ kleinen Klientel, weshalb die Verdiener in den oberen Einkommensklasse wie prekär Beschäftigte aus dem Netz fallen und in Gewerkschaften keine Interessenvertretung besitzen.
              Kleine Klientel, sind denn etwa die oberen Einkommensklassen in der Mehrheit? Die Oberen können ihre Interessen nicht selbst vertreten weil? Wenn die in der Mehrheit wären, würden sicher auch deren Interessen vertreten, wenn die Gewerkschaftsmitglied wären. Ist aber meist nicht der Fall. Umgekehrt würden Sie von Trittbrettfahrern schreiben.

            • Stefan Sasse 18. Juli 2018, 12:56

              Wenn es nach mir ginge (der versprochene Artikel zum Thema „wie beseitigen wir Ungleichheit“ kommt noch!) würde ich auch beides machen: aktivere Wirtschaftspolitik in Richtung dieses Ziels UND Stärkung der Gewerkschaften. Dann kannst du nämlich auf der anderen Seite auch wieder flexibilisieren.

              • Stefan Pietsch 18. Juli 2018, 14:38

                Wir sind da ja noch nicht zusammengekommen, zur Erinnerung.

                Nur zur Klarstellung: ich habe volkswirtschaftlich nichts gegen Gewerkschaften. Ich habe nur selten ihren Nutzen gesehen. Seit weit über 20 Jahren machen sie vor allem einige Symbolstreiks in Deutschland, die relativ viel kosten, Leute nerven, rechtlich auf dünnem Eis sich bewegen und ansonsten fast nie mehr bringen als sie bei ehrlicher Verhandlungsführung auch bekommen hätten. Ansonsten freuen sie die Frankfurter Funktionäre, Betriebsräte aufzumischen und an symbolischen Tagen die sonst geschätzte Unternehmensleitung zu attackieren.

                Das ist meine berufliche Erfahrung mit Gewerkschaften.

                • Stefan Sasse 18. Juli 2018, 17:37

                  Meinst du, die französische Art zu streiken wäre weniger geschäftsschädigend? Die deutschen Gewerkschaften waren seit 1949 sehr gesellschaftlich befriedend.

                  • Stefan Pietsch 18. Juli 2018, 19:32

                    Also wäre ich jetzt Du, würde ich etwas von Strohmännern erzählen. 🙂

                    Ich bestreite aufgrund von Fakten, dass Gewerkschaften messbar wichtig sind für die Aufteilung des Volkseinkommens. Ob sie sonstige wichtige Funktionen für die Gesellschaft übernehmen sei dahingestellt.

                    Ich habe als junger Mensch die Exzesse deutscher Gewerkschaften in den Siebziger und Achtzigerjahren miterlebt. Mit viel zu hohen Lohnforderungen rotierten die Verhandlungsführer vor allem die Menschen am unteren Ende der Tarifskalen aus den Betrieben und verursachten damit den Backslash in den Neunzigerjahren, als selbst Mittelständler in Billiglohnländer umsiedelten.

                    Mit den gesellschaftlichen Folgen haben wir heute noch zu kämpfen und es ist eine weitere Ursache, warum die SPD einen wichtigen Teil ihrer angestammten Wähler verloren hat. Linke waren ja in diesen Jahrzehnten so stolz: mittels der Lohnpolitik, bei der die untersten Lohngruppen deutlich stärker als andere angehoben wurden, konnten Funktionäre und Sozialdemokraten es als Erfolg feiern, dass diese nach einigen Jahren gar nicht mehr besetzt waren. Die Adressaten empfingen ihr Einkommen stattdessen vom Amt und hatten ihre Arbeitszeit auf Null reduziert. Auch schön.

                    Der Erfolg französischer Gewerkschaften lassen sich ja auch gut ablesen.

                    • Stefan Sasse 18. Juli 2018, 20:02

                      Ich bezog mich auf die Kritik mit den Symbolstreiks. Das ist ja wohl die arbeitgeberfreundlichste Form des Streiks. Dass solche Effekte schwer zu messen sind – mit Statistiken – ist klar, aber dass sie irrelevant sind halte ich für eine mutige Aussage. Denn das Verhindern von Opportunitätskosten trägt ja auch zum Volkseinkommen bei, auch wenn es in keiner Statistik steht.

                    • Stefan Pietsch 18. Juli 2018, 20:20

                      Ich habe länger für einen traditionsreichen Maschinenbauer gearbeitet, der mit dem Strukturwandel existenzielle Probleme hat. Obwohl das Unternehmen zeitweise eine Insolvenz hingelegt hatte und auch danach immer wieder Kurzarbeit ansetzte, bewarnstreikte die Gewerkschaft das Unternehmen – selbst während der Kurzarbeit. Einfach, weil es sich um eine Publikumsgesellschaft mit hohem Organisationsgrad handelte.

                      Wer so etwas für richtig und gerechtfertigt hält, findet es auch angemessen, wenn Durchschnittsverdiener den Spitzensteuersatz zahlen.

                      Nochmal: ich habe ein durchaus ambivalentes Verhältnis zu Gewerkschaften. Ich bestreite Arbeitnehmern nicht das (auch moralische) Recht, sich zu organisieren. Als leitender Angestellter waren meine Erfahrungen durch die Bank eher negativ, egal ob IG Metall oder Verdi. Ich persönlich würde eher auswandern als für eine Gewerkschaft zu arbeiten.

                      Vor 1 1/2 Jahrzehnten organisierte ich federführend meine erste Restrukturierung. Der Betriebsrat war kooperativ und mir gelang es, jeden zu kündigenden Mitarbeiter so zufrieden zu stellen, dass es zu keinem Arbeitsgerichtsverfahren kam. So etwas ist höchst selten. Bis auf einen Mitarbeiter, der von Verdi beraten und später rechtlich vertreten wurde.

                      Seine Kündigungsschutzklage scheiterte und die im Güteverfahren (Kammertermin gab es nicht) getroffene Abfindungsregelung lag deutlich unter dem vorgerichtlichen Angebot. Du wirst vielleicht verstehen, dass mich so etwas enorm freut. Wer die Klage der Kooperation vorzieht, sollte sehr gute Karten haben. Und eine deutlich bessere Rechtsvertretung, als dies Gewerkschaften bieten.

                    • Stefan Sasse 18. Juli 2018, 21:16

                      Dein Beispiel kann ich nicht beurteilen, aber aus deiner Schilderung heraus klingt das tatsächlich sachlich nur eingeschränkt sinnvoll. Aber: es sind Gewerkschaften, nicht die deutsche Arbeitsfront. Die müssen Mitglieder werben, und dazu braucht es halt eindrückliche Arbeitskämpfe. Das ist ein bisschen wie darüber jammern dass Werbung immer die Vorzüge des Produkts übertreibt.
                      Ich bin kein Fan der Gewerkschaften heute. Ich halte sie für unglaublich verhärtete, kleingeistige und im Gestern verhaftete Institutionen.
                      Betriebsräte sind vermutlich eine der besten Erfindungen Deutschlands überhaupt.

                    • Stefan Pietsch 19. Juli 2018, 13:10

                      Die Regeln für Arbeitskämpfe und damit Streiks sind eng kodifiziert. Und da steht nix von Mitgliederwerbung. Ein Streik abseits des Arbeitskampfes ist schlicht illegal und damit auch die sogenannten Warnstreiks.

                      Damit wird immer einer geschädigt und das soll eine soziale Veranstaltung sein?

                    • Stefan Sasse 19. Juli 2018, 14:24

                      Wieso sind Warnstreiks illegal? Und warum klagt dann keiner?

                    • Stefan Pietsch 19. Juli 2018, 14:45

                      Für Warnstreiks gelten die gleichen Regeln wie für normale Streiks: sie dürfen nur als Ultima Ratio eingesetzt werden und wenn die Verhandlungen gescheitert sind. Wie Du beobachten kannst, ist das meist nicht der Fall.

                      Ansonsten: Toleranz der Arbeitgeber: Warnstreiks laufen nur wenige Stunden, die nicht vergütet werden. Immer noch besser als Bummelstreiks oder Spontanausstände aufgrund von „Krankheit“. Nur gegen den exzessiven Einsatz wurde in der Vergangenheit geklagt, sonst wird die „Folklore“ erduldet.

                    • Stefan Sasse 20. Juli 2018, 10:17

                      Ok danke.

            • Floor Acita 19. Juli 2018, 10:13

              Gewerkschaften sind auf dem Solidaritäts-Prinzip aufgebaut. „Collective bargaining“ ist der Ausgangspunkt. Selbstverständlich geht es hier nicht um einzelne, sondern um das Selbstverständnis, dass es als Gruppe einfacher ist, Forderungen durchzusetzen, auch wenn dadurch die mögliche Spreizung innerhalb der Gruppe reduziert wird -> anders wäre das Konzept eines Flächentarifvertrags oder auch nur einer Branchengewerkschaft überhaupt nicht nachvollziehbar.

              Volkswirtschaftlich nützen Gewerkschaften auf vielfältige Art und Weise. Erstens ist wie gesagt die Einkommensverteilung sehr wohl ein Resultat der gewerkschaftlichen Tätigkeit und mittlere Einkommen geben nun mal anteilsmäßig das meiste Geld für Konsum aus (direkter Rückfluss in den markt) anstatt hohe Sparbeträge anzulegen. Zum zweiten aber, und das unterschätzt offensichtlich auch Stefan Sasse, schaffen die Gewerkschaften eine friedvolle Atmosphäre im Betrieb. In meinem Projekt komme ich notgedrungen nicht am Betriebsrat/der Gewerkschaft vorbei – das mag den ein oder anderen kurzfristig nerven, aber dort wo der Organisationsgrad am höchsten ist, ist die Kritik halt auch am konstruktivsten. Anstatt zu sagen „passt uns nicht, machen wir nicht“, nehmen Gewerkschafter oft die Haltung ein „passt uns nicht, müssen wir uns halt selbst aktiver einbringen“. Auch die Qualifikation als „unglaublich verhärtete, kleingeistige und im Gestern verhaftete Institutionen“ stellt m.E. eher klar, dass hier nicht allzu viel Erfahrung mit Gewerkschaften / dem Alltag im Betrieb zu bestehen scheint. Das wird sie wahrscheinlich weniger interessieren, aber gerade aus Stefan Sasse’s Blickwinkel, frage ich mich wer seiner Meinung nach die gesellschaftlichen Fragen die er aufwirft in den Betrieb übersetzt? Wer kümmert sich denn um die Rechte der Minderheiten, Frauen, Kampf gegen sexuelle Belästigung, die Schaffung von geschlechtsneutralen Toiletten, Umkleideräumen, Duschen? Von wem gehen die gewerkschaftlichen LGBTQ-Gruppen aus, wer kümmert sich um Inklusion der körperlich- oder geistig behinderten Menschen, der Wiedereingliederung nach Alkoholkrankheit, den Arbeitsplatz ständig weiterzuentwickeln, gerade zum Teil auf Bürokratie aufmerksam zu machen, zukunftsweisende Reformen zu fordern, Arbeitsplätze für junge Leute, für Frauen attraktiver zu machen etc. etc. etc.? Die Gewerkschaften nehmen eine unglaublich wichtige Rolle ein das Leben im betrieb reibungslos zu organisieren. Nicht mal hauptsächlich, geschweige denn ausschließlich geht es um Lohnforderungen oder auch „klassenkämpferische Töne“. In einzelnen betrieben, in einzelnen Branchen werden vielleicht auch mal zu hohe oder zu pauschale Lohnforderungen gestellt, aber mir fällt eher auf, dass durch flexible Lösungen, Korridore und konstruktiver Kritik die Härte der Auseinandersetzung eher abgefedert wird. Klar, wenn sich der Vorstand zum wiederholten Male zumindest scheinbar fette Prämien eingestrichen hat während gleichzeitig Arbeitsplätze abgebaut, Löhne gekürzt und vielleicht sogar noch trotz hoher Profite staatliche Gelder eingestrichen werden, reißt der Geduldsfaden so manches Kollegen, aber ohne die Gewerkschaften würden hier wohl eher heftigere, wenn nicht sogar gewalttätige Auseinandersetzungen ausbrechen. Die Gewerkschaft versteht die Mentalität der Kollegen und vermag solche Situationen im Normalfall konstruktiv zu kanalisieren…

              • Floor Acita 19. Juli 2018, 10:16

                *betrieblichen LGBTQ-Gruppen
                muss es natürlich heißen

              • Stefan Pietsch 19. Juli 2018, 13:07

                (..) sondern um das Selbstverständnis, dass es als Gruppe einfacher ist, Forderungen durchzusetzen

                Meine Kritik ist ja, dass das anhand der objektiven Daten nicht stimmt. Somit bleibt es eine Theorie, der zudem seit Jahrzehnten immer weniger Arbeitnehmer folgen.

                Erstens ist wie gesagt die Einkommensverteilung sehr wohl ein Resultat der gewerkschaftlichen Tätigkeit

                Dann sind nach Ihrer Einschätzung die schwedischen Gewerkschaften mit ihrem hohen Organisierungsgrad eine besonders erfolgloses Spezies. Weiß nicht, ob das im Norden auch so gesehen wird.

                Zum zweiten aber, und das unterschätzt offensichtlich auch Stefan Sasse, schaffen die Gewerkschaften eine friedvolle Atmosphäre im Betrieb.

                Das ist die Aufgabe von Betriebsräten.

                Das wird sie wahrscheinlich weniger interessieren, aber gerade aus Stefan Sasse’s Blickwinkel, frage ich mich wer seiner Meinung nach die gesellschaftlichen Fragen die er aufwirft in den Betrieb übersetzt?

                Vielleicht Unternehmensleitung und Kollegen? Sie suggerieren, Gewerkschaften seien eine Interessenvertretung besserer Menschen, um nicht wieder das Wort vom Gutmenschen zu bemühen. Das ist Quatsch, Gewerkschafter sind genauso viel oder wenig Schwulen und Lesben zugeneigt wie das Manager, Schrauber oder Personaldienstleister sind. Weder die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi noch die IG Metall noch die Chemiegewerkschaft hatten je eine weibliche Vorsitzende. Das sind von der Mitgliederstruktur weitgehend Männerclubs, die aber nach Ihrer Interpretation weit eher für Frauenförderung einstehen können als Vorstände und Geschäftsführer.

                Klar, wenn sich der Vorstand zum wiederholten Male zumindest scheinbar fette Prämien eingestrichen hat

                Was ziemlicher Bullshitbingo ist. Nach meiner Erfahrung sind in allen leistungsorientierten Verträgen die Bonus- und Tantiemeregelungen eng kodifiziert und kommen verhältnismäßig selten zu 100% zum Tragen. Und dass Manager dafür belohnt werden sollen, möglichst viele Beschäftigte auszuweisen und möglichst hohe Kosten auszuweisen, wäre mir auch neu. Aktuell wurde gerade der VW-Vorstand öffentlich gezwungen, an allen einzelvertraglichen und arbeitsrechtlichen Regelungen vorbei auf die variable Vergütung zu verzichten. Eigentlich ein Skandal.

                Anstatt zu sagen „passt uns nicht, machen wir nicht“, nehmen Gewerkschafter oft die Haltung ein „passt uns nicht, müssen wir uns halt selbst aktiver einbringen“.

                Sehr witzig. Zwei Beispiele: nach meiner ersten Restrukturierung dankte ich den Mitarbeitern für ihr Engagement auf der Betriebsversammlung. Alle waren zufrieden, die Mitarbeiter, dass ihr Unternehmen, nachdem zwei Jahre zuvor eine Insolvenz gedroht hatte, darüber, in einer strukturarmen Gegend Job und Einkommen behalten zu haben. Und was hatte der Verdi-Vertreter beizusteuern, der sich vorher gegen Entlassungen ausgesprochen hatte? Jetzt wäre doch die Zeit, den Kollegen nicht nur warme Worte, sondern eben auch eine Prämie zu zahlen. Hä? Mitten in der größten Baukrise machte das Unternehmen kaum Gewinn, zahlte dennoch Tariflöhne plus Tariferhöhung plus Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld und die Gewerkschaft hat nichts weiter beizusteuern und nach weiteren Sonderzahlungen zu verlangen? Echt total Banane.

                Meine Erfahrung mit der IG Metall: Für den Servicebereich waren die Arbeitszeiten zu starr, das Unternehmen verlor unnötig viele Aufträge an Freelancer. Den gewerkschaftlich organisierten Vertretern wurden mehrere Modelle unterbreitet, nach dem favorisierten Modell hätten 2/3 der Betroffenen profitiert, weil sie neben ihren Überstundenzuschlägen auch noch eine monatliche Prämie erhalten hätten. Das restliche Drittel hätte einen Teil seiner Überstundenzuschläge eingebüßt.

                Zwar war der Vorschlag dem BR sympathisch, da aber die Minderleister (geringe Auslastung) Einbußen hätten hinnehmen müssen, könnten sie das den Betroffenen nicht empfehlen. Die Geschäftsleitung könne das ja einführen, aber der BR könnte dann dagegen klagen.

                Meine Erfahrung: Gewerkschaften lassen sich jedes Zugeständnis großzügig vergüten, da sie selbst nicht betroffen sind. Die Interessen von Unternehmen sind für sie bestenfalls zweitrangig.

              • Stefan Sasse 19. Juli 2018, 13:26

                Ich dachte eigentlich klar gemacht zu haben, dass ich diese Rolle für wichtig halte. Es war Stefan Pietsch, der sie beiseite wischte.

                • Erwin Gabriel 25. Juli 2018, 09:25

                  Meiner Erfahrung nach lassen sich Gewerkschaften (IG Metall hatte ich späte 70er bis Ende der 80er im Blick) ähnlich einordnen wie Parteien. Sie haben – theoretisch – eine wichtige gesellschaftspolitische Funktion bzw. Aufgabe, verspielen die aber in der Praxis durch Egoismen, Machtspielchen, teilweise sinnlose Forderungen und Kungeleien.

                  • Stefan Sasse 25. Juli 2018, 15:35

                    Und zwischendrin leisten sie auch eine Menge Gutes. Wie jede Organisation, in der Menschen arbeiten.

    • Dennis 18. Juli 2018, 17:42

      Zitat:
      „Die Wirtschaftspolitik Erhards folgte einem klaren theoretischen Konzept, im Gegensatz zu den Jahrzehnten seit Helmut Kohl. Es nennt sich Neoliberalismus und war eben keine Kreuzung des konservativen Sozialstaates Bismarck’scher Prägung mit der freien Marktwirtschaft American Style. Ganz im Gegenteil, die Begründer hatten eben Konsequenzen aus der gelenkten Wirtschaft der Nazis gezogen und den Sherman Antitrust Act von 1890 in deutsches (Kartell-) Recht übernommen.“

      Ja, schon, hinzufügen muss man allerdings: Mit sehr, sehr mäßigem Erfolg. Bedeutende Entscheidungen konnte Erhard nur in den ganz frühen Jahren durchsetzen (Frankfurter Wirtschaftsrat) als er in der Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannt war und es noch keinen üblichen Politikbetrieb gab. Er musste nur das Abnicken der Besatzungsbehörden irgendwie hinkriegen und die Sache war geritzt. Nitt grad demokratisch, aber seiner Sache sehr nützlich.

      Später wurde alles bedeutend schwieriger. Das Kartellgesetz wurde vom BDI, der die Unterstützung Adenauers hatte, und nicht etwa von den bösen Gewerkschaften, am liebsten gekillt, tatsächlich aber immerhin wesentlich verwässert. Die berüchtigte Ministererlaubnis etwa, von der zuletzt Gabriel in der Tengelmann-Sache Gebrauch zu machen wusste: Gegen Erhard von korporatistischen Adenauer-Freunden durchgepusht, um nicht zu sagen geputscht. In der Rentensache ’57 hat Adenauer selbstverständlich nicht auf Erhard, schon gar nicht auf die FDP, aus aus der Sicht Adenauers eh nicht mehr als ein Witz war, gehört, sondern das Ding mit der SPD durchgezogen.

      Von einem im Ergebnis sozialdemokratischen Gepräge der 50er in D kann also durchaus gesprochen werden, wenngleich die gleichnamige Partei nicht dran war – Das war übrigens der Grund, warum sie nicht rankam^^^ – bis in die Sechziger; in Bonn, in diversen Ländern durchaus , was nicht so unwichtig war.

      • Stefan Pietsch 18. Juli 2018, 19:37

        Gerade das deutsche Kartellrecht gilt als vorbildlich und war Blaupause für die europäischen Regelungen. Den BDI ausgerechnet nach besseren Kartellregeln zu befragen, ist originell. Der Industrieverband wurde damals von den großen Konzernen dominiert, die zum Wettbewerb ungefähr so ein Verhältnis hatten wie der Papst zu Prostituierten.

        • Stefan Sasse 18. Juli 2018, 20:02

          „Damals“, sagt er 😛

          • Stefan Pietsch 18. Juli 2018, 20:23

            Damals, weil der BDI heute eher von Mittelständlern beherrscht wird. Im Gegensatz zum Arbeitgeberverband Gesamtmetall.

            • Stefan Sasse 18. Juli 2018, 21:14

              Ok danke für die Info.

              • Rauschi 19. Juli 2018, 08:33

                Wenn ich mir den Vorstand des BDI so anschaue, halte ich die Aussage zumindest für fragwürdig.
                Prof. Thomas Bauer
                BAUER Aktiengesellschaft, Bauindustrie-Verband
                Achim Berg
                MABCON GmbH, Präsident Bitkom
                Dr. Kurt Bock
                Präsident
                Verband der Chemischen Industrie e.V. (VCI)
                Ingeborg Neumann
                Geschäftsf. Gesellschafterin
                Peppermint Holding GmbH, Präsidentin GV textil+mode
                Carl Martin Welcker
                Geschäftsführender Gesellschafter
                Alfred H. Schütte GmbH & Co. KG, Präsident VDMA
                Matthias Wissmann (ja, genau der)
                Michael Ziesemer
                Vizepräsident des Verwaltungsrats
                Endress+Hauser AG, Präsident ZVEI
                https://bdi.eu/der-bdi/organisation/vorstand/

                Wer den Bauindustrieverband für Mittelstand hält, dem ist nicht zu helfen.

                • Stefan Pietsch 19. Juli 2018, 10:17

                  Wenn ich mir den Vorstand des BDI so anschaue, halte ich die Aussage zumindest für fragwürdig.

                  Wieso? Was ist für Sie ein Großkonzern und was Mittelstand?

                  • Rauschi 19. Juli 2018, 12:07

                    Falsche Frage.
                    Sie müssen die Heren fragen wie die sich sehen, als Vertreter eines Unternehmens oder als Vertreter aller im Verband zusammen geschlossenen Unternehemen. Das sind bei Bau allein über 800`000 Mitarbeiter. Von der chemischen Industrie ganz zu schweigen, dazu zählen BASF und Bayer, die fallen ja nun eindeutig nicht unter Mittelstand, newa? Konzernstruktur sozusagen. Damals? Henkel ist nun nicht so lange her und der war eindeutig auf Seiten der Grossindustrie

                    • Stefan Pietsch 19. Juli 2018, 12:38

                      Meine Behauptung war, dass der BDI heute mehrheitlich von Mittelständlern dominiert wurde. Das zogen Sie in Zweifel, weil ja im Vorstand Vertreter von Verbänden seien und die seine ja (zwangsläufig) Vertreter von großen Konzernen. Das ist in sich so logisch als dass der Deutsche Fußballbund (DFB) Interessenvertreter von Bayern München und Borussia Dortmund wäre. Tatsächlich jedoch vertritt der DFB gar nicht die Proficlubs der 1. und 1. Bundesliga, sondern die große Zahl der Amateurvereine.

                      Hans-Olaf Henkel sah sich gerade als BDI-Chef als Vorkämpfer für den Mittelstand. In einem damaligen SPIEGEL-Gespräch wies er darauf hin, dass das Gros seiner Mitglieder eben aus kleinen und mittleren Unternehmen bestände. Seine Haltung Großunternehmen versus Mittelstand machte er in einer Kritik auf den langjährigen Arbeitgeberpräsident Hundt deutlich, der als Metallchefverhandler lange mit starren Tarifregeln der Großkonzernlinie folgte, bloß keinen Stress mit der IG Metall zu bekommen:

                      Erst als immer mehr mittelständische Unternehmen die Tarifbindung verweigerten, erwarb sich Dieter Hundt zweifellos große Verdienste um die Flexibilisierung der ehemals sehr starren Tarifverträge. Ob er ohne die damals auch vom BDI vorgebrachte Kritik und ohne die einsetzende Tarifflucht dazu bereit gewesen wäre, ist eine offene Frage.
                      Mindestlohn ist der bisher größte Angriff auf die Tarifautonomie
                      Auch dass Dieter Hundt die jetzt von der Großen Koalition vorbereitete Einführung flächendeckender Mindestlöhne bejammert, sollte man nicht durchgehen lassen. Vor allem ihm, dem Vorkämpfer der Tarifautonomie, haben wir es zu verdanken, dass während der Regierung Kohl Mindestlöhne gesetzlich für allgemein verbindlich erklärt und damit die Tarifautonomie weiter ausgehöhlt wurde – zuerst im Bausektor, später unter Schröder und Merkel auch in anderen Branchen.

                      https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.gastbeitrag-von-hans-olaf-henkel-ein-vorreiter-der-mindestloehne.3e623937-a92c-4144-bb34-258a2d61952b.html

                      Nochmal: was sind für Sie Großkonzerne und was kleine und mittelständische Unternehmen?

                    • Rauschi 19. Juli 2018, 14:18

                      Können Sie keine Suchmaschine bedienen?
                      [Quantitativ bezieht sich der Mittelstandsbegriff auf Unternehmen aller Branchen einschließlich des Handwerks und der Freien Berufe, die eine bestimmte Größe nicht überschreiten. Hilfsweise werden zur Größenbestimmung der Jahresumsatz, die Anzahl der Arbeitsplätze und/oder die Bilanzsumme herangezogen.
                      Nach der Definition des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn ist die Schnittmenge von mittelständischen Unternehmen/Familienunternehmen und unabhängigen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sehr groß. Zugleich zählen aber auch Unternehmen mit 500 und mehr Beschäftigten oder mehr als 50 Millionen Euro Umsatz zum Mittelstand/Familienunternehmen, wenn bis zu zwei natürliche Personen oder ihre Familienangehörigen (direkt oder indirekt) mindestens 50 % der Anteile des Unternehmens halten und diese natürlichen Personen der Geschäftsführung angehören.
                      Die KfW-Bankengruppe definiert den Mittelstand über einen maximalen Jahresumsatz von 500 Millionen Euro. Unternehmen, deren Umsatz darüber liegt, können sich nicht für bestimmte staatliche Förderungen aus dem Hause der KfW Bankengruppe bewerben. Im internationalen Vergleich wird das Small Business oder das mittelgroße Unternehmen anhand einer Obergrenze definiert, die je nach Staat zwischen 100 und 500 Beschäftigten variiert. ]
                      Tut immer noch nichts zur Sache, als damals die MwsT erhöht wurde, um die „Lohnnebenkosten“ zusenken, habe ich da keinen Aufschrei von denen vernommen, denn dieser schritt benachteiligt Handwerk und kleine Unternehmen sowie teilweise den Mittelstand in der DL Branche.
                      Verhält sich der DfB so, als wäre er nur für die Amateure verantwortlich? Kommt nicht so an, dann ist es meist auch nicht so.
                      Beim Baugewerbe gibt es auch Riesen wie Bilfinger und kleine, wen vertritt denn der Verbanschef? Meist den, der am lautesten schreit, das ist meist auch der mit der grösseten Lobbymacht. Kann tagtäglich in der Politik beobachtet werden.

                    • Stefan Pietsch 19. Juli 2018, 14:40

                      Der Begriff des Mittelstands geht sogar noch weiter. Der international gebräuchliche Begriff ist Small & Medium Sized Enterprises (SME). 99% der umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen zählen dazu. Bei Großkonzernen sind wir bei den DAX-Unternehmen, Konzerne der Größenordnung Schäffler, Heidelberger Druck u.ä. Nur, in die Kategorie fallen weder die von Ihnen aufgezählten Unternehmen noch die in den Verbänden vertretenen Unternehmen. Mit anderen Worten: Ihr Einwand war ohne Substanz. Daneben hatte ich nach Ihrer Abgrenzung gefragt, nicht die von Google – und das zweimal. Also in Ihrem Ton zurück: Können Sie nicht lesen?

                    • Rauschi 20. Juli 2018, 08:42

                      Sie haben doch die Differenzierung aufgemacht und wollten damit augenscheinlich Unterschiede aufzeigen
                      [Damals, weil der BDI heute eher von Mittelständlern beherrscht wird. Im Gegensatz zum Arbeitgeberverband Gesamtmetall.]
                      Was versteht denn der Normalbürger unter Mittelstand? Was finde sich im Netz z.B. zu Bitcom?
                      [Der Bitkom vertritt mehr als 2.500 Unternehmen der digitalen Wirtschaft, unter ihnen 1.000 Mittelständler, 400 Start-ups und nahezu alle Global Player. ]
                      Oder der VCI?
                      [Der VCI steht für über 90 Prozent der deutschen Chemieunternehmen und deutschen Tochterunternehmen ausländischer Konzerne. Seit dem Jahr 1877 tritt der Verband für eine Verbesserung der wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der Branche ein.]
                      Ich sehe da keinen Unterschied, in wieweit vertreten die andere Interessen als der BDA?

                    • Stefan Pietsch 20. Juli 2018, 09:34

                      Wie immer viele Worte: wir hätten es auch kurz machen können. Sie haben keine Meinung, was Mittelstand ist. Für Sie sind alle Unternehmen gleich.

                    • Rauschi 20. Juli 2018, 11:50

                      Sie müssen den Unterschied, so es denn einer ist, erklären, nicht ich, denn Sie haben das als Unterscheidungsmerkmal benannt, nicht ich!
                      Wenn Sie aber genau wissen, das alle anderen KMU darunter verstehen, dann habe Sie bewusst getäuscht mit der Aussage. Was ich weiss oder nicht spielt dafür keine Geige.

                    • Stefan Pietsch 20. Juli 2018, 16:10

                      Leider zeigen Sie wiederholt, dass Sie Grundregeln der (gepflegten) Debatte nicht beherrschen und schon gar nicht verinnerlicht haben. Tatsächlich haben Sie nur bewiesen, dass es Ihnen darum ging, etwas „dagegen“ zu sagen.

                      Ich habe eine Behauptung aufgestellt, nämlich dass der BDI wesentlich von mittelständischen Unternehmen geführt wird. Das ist vergleichbar der Behauptung, das Wetter sei schön.

                      Es gibt drei Möglichkeiten, darauf zu reagieren. (1) Gar nicht, These akzeptiert. (2) Die These wird bezweifelt, das setzt voraus, dass die These von erstem präzisiert wird. Das habe ich getan bezüglich Ihrer Andeutung (mehr war es nicht), dass Vertreter von Großunternehmen den BDI führen. Alternativ: woran misst man, dass das Wetter schön sei.

                      (3) Die aggressive Form der Klage. Der mit der These erzählt Bullshit, das Wetter ist schlecht.

                      Sowohl im geordneten gerichtlichen Verfahren wie auch in einer gepflegten Debatte muss ein Ankläger seine Anklage mit Belegen untermauern. „Das Wetter ist schön“ ist keine Anklage, sondern eine Meinungsäußerung. Jemand erzählt Unsinn, ist eine Anklage. Sie konnten Ihre Anklage aber gar nicht untermauern, da Sie selbst keine Vorstellung haben, was schönes Wetter überhaupt ist.

                    • Stefan Pietsch 20. Juli 2018, 16:38

                      Nun wollen Sie die Beweispflicht umkehren. „Beweisen Sie doch, dass Sie keinen Bullshit erzählen!“ Das ist so als hätte die Bundesanwaltschaft gerichtet an Beate Zschäpe zur Begründung der Mordanklage gesagt, sie solle doch beweisen, dass sie die Morde nicht begangen habe. Sie verweigern die Begründung für Ihre Anklage, ich habe Unsinn erzählt. Ihnen hätten die Varianten (1) und (2) offen gestanden, doch Sie entschieden sich für die Attacke. Aber Ihre Klage hatte keine Substanz, vor allem da Sie weder wissen, was ein Mittelständler ist noch ob die Unternehmensvertreter im BDI solche sind. Dabei hätte es einige Hinweise gegeben. Ein persönlich haftender Gesellschafter beispielsweise kommt höchstwahrscheinlich nicht von einem Großkonzern.

                      Was ist eigentlich so einer? Der Gesetzgeber gibt im Publizitätsgesetz beispielsweise selbst einen Hinweis und nennt als eine von drei möglichen Kriterien 5.000 Mitarbeiter. Ab da kann man davon ausgehen, dass das Unternehmen von öffentlicher Relevanz ist. Das ist kein schlechter Anhaltspunkt, Unternehmen mit tausend, zweitausend Mitarbeitern gibt es zu vielen hundert, wenn nicht tausenden. Hier von einer relevanten Größe zu sprechen, ist albern. In Deutschland haben wir die DAX-Konzerne, dann haben wir noch generell die Unternehmen, die nach dem sogenannten Prime Standard berichten und beispielsweise im M-DAX (die 50 größten Unternehmen der klassischen Branchen) vertreten sind. Die Vorstände und teilweise die Gesellschafter solcher Unternehmen gelten gemeinhin als einflussreich und dominant. Sie besitzen eine relevante Größe für Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Konzern mit 1000 Angestellten und einem Jahresumsatz von einer halben oder auch einer Milliarde Euro bringt selten dieses Gewicht auf die Waage. Bei solchen Konzernen von „Großkonzernen“ zu sprechen, ist schlicht lächerlich (so wahrscheinlich Ihre Ausdrucksweise).

                      Das alles haben Sie weder gemeint, noch gewusst, noch darauf gezielt. Sie wollten einfach wieder etwas rumstänkern.

                    • Rauschi 20. Juli 2018, 17:32

                      Soviel Text, nur um zu verdeutlichen, das Sie der Meinung sind, das meine Aussage Müll ist. Dabei habe ich keinerlei Anklage formuliert, i ersten Beitrag, sondern Zweifel angemeldet.
                      Ihr Vergleich ist keiner. Sie schrieben früher wurde XY von Männern dominiert, heute sind es überweigend Frauen. Ich bezweifle das mit der aktuellen Besetzung von XY, dann fragen Sie, was ich unter Frauen verstehe. Damit am Ende heraus kommt, das für Sie zwischen beiden einerlei Unterschied besteht, sie das aber einen suggeriert haben.
                      Denn Sie haben nicht geschrieben, dieser Satz gilt nur, wenn Rauschi die richtige Definition für Mittelstand raus haut, wohl wissend, das die meisten Menschen Unternehmen mit Milliardenumsatz nicht dazu zählen.
                      Ich verweigere mich einer unehrlichen formellen Höflichkeit, die in Wahrheit keine ist, sondern die Beleidungen nur in gesteltze Sprache verpackt. Ich finde das ehrlich, alles andere interessiert mich nur am Rande. Bei Ihnen im speziellen gebe ich mir keinerlei Mühe mehr, denn das war von Anfang an wirkungslos. Ursache, Wirung, Echo beruht auf einer Ansprache.

                      Sie dürfen aber gern weiter Ihr Erbsen zählen.

        • Dennis 19. Juli 2018, 09:22

          Mach sein.

          Aber in der Politik kommt’s halt nicht darauf an, wer sich in der Studierstube die schönste Philosophie ausdenkt, sondern darauf, wer welchen Einfluss hat. Und der Einfluss Erhards und seiner Leute wurde im Laufe der 50er peu à peu zurchtgestutzt; offiziell für’s Schaufenster nicht unbedingt, aber das zählt nicht.

        • Dennis 19. Juli 2018, 09:42

          Zitat:
          „Den BDI ausgerechnet nach besseren Kartellregeln zu befragen, ist originell.“

          Originell ist das übrigens mitnichten, vielmehr die übliche Vorgehensweise. Er wurde nicht nur mal so ganz unverbindlich befragt, sondern hat an der Gesetzgebung intensiv mitgewirkt.

          So ist das Leben, auch wenn man im Gemeinschaftskundeunterricht womöglich watt anneres lernt 🙁

          • Stefan Pietsch 19. Juli 2018, 12:40

            Bleibt mir nur das zu sagen, was ich auch an anderer Stelle anführe: Sie dürfen nicht die Frösche fragen, wenn sie einen Sumpf austrocken wollen.

  • Wolf-Dieter Busch 19. Juli 2018, 08:30
    • Rauschi 19. Juli 2018, 13:52

      Herzlichen Dank für den Link, echt ein tolle Rede und überzeugende Analyse.

  • Floor Acita 19. Juli 2018, 10:54

    Ich muss ja sagen, ich bin sehr gespannt auf den 4. Teil dieser Serie. Ich teile im Großen und Ganzen die Interpretation der historischen Zusammenhänge, aber mir ist noch nicht im Einzelnen klar, worauf das alles hinaus läuft. Insbesondere kann ich nicht immer nachvollziehen, wo Du jetzt eher politische Hürden und wo eventuell enge wirtschaftliche Spielräume siehst.

    Zum Beispiel fängst Du in Artikel Nr. 1 an zu sagen „Vielmehr war es das Bewusstsein, das sich zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte bildete, dass eine realistische Alternative möglich war. Dass die herrschenden Verhältnisse wesentlich größere Umverteilungsspielräume boten, als man das bisher gedacht hatte.“

    auch in Artikel 2 und 3 stellst Du oft eher politische Fragen heraus, die „Technokratie“ auf der einen Seite, die Spaltung/das Wesen der demokratischen Koalition(en) auf der anderen Seite etc. Aber im Zusammenhang mit dem Krieg scheinst Du eher den „realen“ wirtschaftlichen Rahmen anzusprechen, die Verdopplung der Produktion, das erschließen zusätzlicher Absatzmärkte, die Abhängigkeit Europas von der amerikanischen Entwicklung etc.

    Es bleibt also spannend, ob Du letztendlich die aktuellen Entwicklungen als real-wirtschaftlich oder durch politische Auseinandersetzungen getrieben (trotz objektiv vorhandener Spielräume) einschätzt. Die Auseinandersetzung breitere Mittelschicht einerseits, aber Ausschluss von Minderheiten, Frauen etc. andererseits spielt sicherlich eine wichtige Rolle, aber ich weise halt immer wieder darauf hin, dass es nicht die Aufgabe ist die Mehrheit der weißen Amerikaner oder ethnisch-Deutscher zu gewinnen. Abhängig vom Prozentsatz der ethnischen Minderheiten, Staatsbürger mit Migrationshintergrund etc., muss ich einen Anteil an weißen/ethnisch-Deutschen etc. gewinnen, dass es zur Mehrheit reicht. Je höher der Prozentsatz/die absoluten Stimmend er ersten gruppe, desto kleiner kann die Unterstützung durch die zweite Gruppe ausfallen. Das Gleiche gilt für Einkommensverteilung. Ich muss umso weniger Mittelständler gewinnen, desto mehr Arbeiter ich organisieren kann.

    Ebenso bin ich gespannt ob Du darauf eingehst, dass gesamt-gesellschaftlich die Trennung tatsächlich wohl eher durch Identitätsfragen als ökonomische Fragen geprägt ist, die Spaltung innerhalb des linken Lagers aber anscheinend vor allem an ökonomischen Linien verläuft. Scheinbar gibt es zwar eine Auseinandersetzung um identity politics vs Ökonomie, aber wenn man sich die Verteilung und den Ausgangspunkt der Auseinandersetzung anschaut, ergibt sich die ökonomische Frage innerhalb der Arbeiterbewegung ja ebenfalls aus der patriarchalen Grundlage weswegen die Ansätze zur Lösung auch intersektional sind. Im ursprünglichen Patriarchat gab es Gott, Jesu seinen Sohn, die Prinzen Jesu als Könige der Menschen, den See Roms mit dem Stellvertreter Gottes auf Erden und davon abgeleitet die Stände und Familienverbände. Rassismus, Sexismus, Bigotterie, sowie ökonomische Klassen gehen alle auf diese Ordnung zurück. Politiker im linken Lager unterscheiden sich nicht all zu sehr in ihren identity politics, deshalb nennt das rechte Lager ja allesamt alle „extrem“ und selbst Gloria Steinem nennt Bernie Sanders „eine Frau ehrenhalber“, nein der hauptsächliche Unterschied liegt in der Adressierung der ökonomischen fragen an sich und insbesondere unter dem Blickwinkel der Schnittmengen zu den Identitätsfragen. Stichworte: Kampf der nordamerikanischen Ureinwohner gegen Pipeline-Bauten, die niedrigere mittlere Bezahlung von Frauen, wirtschaftliche Nachteile Afro-Amerikaner etc.

    Eine weitere Frage, die nochmal extra erscheint ist aber auch die Art der Auseinandersetzung/der innerparteilichen Demokratie. So wurden als weiter links stehenden Menschen innerhalb sozialdemokratischer Parteien zum Beispiel oft rein ideologische Motive unterstellt und insbesondere eine mangelnde Unterordnung unter die Einheit der Partei / gegen „den Hauptgegner“ kritisiert. Gewinnt dann aber mal jemand aus diesem Lager eine Vorwahl gelten plötzlich ganz andere regeln. So weigert sich gerade Joe Crowley seinen Platz auf dem Ticket der working families Party herzugeben. Man stelle sich die umgekehrte Situation vor, AOC hätte die Vorwahl verloren und würde als green party candidate antreten – man vergleiche den Aufschrei… Natürlich wird Crowley nicht auf dem ticket der wfp gewinnen, aber er könnte den vote soweit splitten, dass ein Republikaner gewinnt. Also aus dem einzigen Grund einen ideologischen Punkt zu landen („linke können keine Wahlen gewinnen“) ist er bereit einen sicheren Platz an einen Republikaner zu riskieren, dessen Partei er borderline faschistisch nennt. Die Ironie ist schon „mind-boggling“. Und im gleichen Sinne wie Du immer wieder davor warnst, dass Normenverlust auf der einen auch zu einer Gefahr auf der anderen Seite führt, bzw. neue Methoden ob von Bernie oder Obama realisiert natürlich auch der anderen Seite offen stehen, kann man sich natürlich über die Naivität der Linken lustig machen und Crowley’s Verhalten verteidigen, sollte sich dann aber bewusst sein, dass die Linke in Zukunft natürlich dann gar keine Rücksicht auf ähnliche Fragen mehr nimmt und sich der innerparteiliche Konflikt zu einer Art Bürgerkrieg verschärft. Warum dieser Absatz, weil zum Niedergang der Sozialdemo9krtatie meines Erachtens sehr wohl auch dieses Verhalten gehört, ein ewiges hin- und her aus angeblichen Prinzipien bei gleichzeitiger Verteidigung des Brechens eben der solchen aus scheinbaren und angeblichen „real-politischen Erwägungen“…

    • Stefan Sasse 19. Juli 2018, 14:23

      Minderheiten und identity politics sind der Fokus des nächsten Teils, von daher darfst du gespannt sein. 🙂

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