Bob Blume hat auf seinem Blog zur Blogparade zum Thema „Tafelanschriebe“ aufgerufen und stellt die Frage, ob es sich nur um eine Weiterentwicklung der 10-G handelt. Normalerweise behandelt das Blog solche Themen ja nicht, aber ich fand die Fragestellung spannend genug das hier zu veröffentlichen; wer sich also nicht für Didaktik interessiert, der lese getrost erst im nächsten Beitrag weiter.
Es gibt nur wenige Elemente, die so sehr Schule symbolisieren wie Tafeln (nur echt in grün, schlecht geputzt und mit weißer Kreide beschriftet) und die darauf von der Lehrkraft kunstvoll angebrachten Aufschriebe, die von mehr oder weniger fleißigen Schülern ins Heft übertragen werden. Wo früher noch halbe Romane aufgeschrieben wurden, mit Fließtext über mehrere Seiten, regiert heute eher die Kunst von „Weniger ist Mehr“ und eine Bevorzugung von visuellen Hilfen. Bobs Frage, welche Rolle Tafelbilder eigentlich heute überhaupt noch haben (können, sollen) ist dabei nicht nur für die mündlichen Fachdidaktik-Prüfungen im Referendariat interessant. Tatsächlich scheiden sich an dieser Frage die Geister. Ich will daher im Folgenden ohne jeden Anspruch auf Allgemeingültigkeit meine eigene Konzeption erklären, wie ich sie im Geschichts- und Politikunterricht einsetze.
Generell zu vermeiden suche ich solche Tafelbilder, wie sie sich die Schüler wünschen: eine kompakte Form, die man nur auswendig lernen und in der Arbeit wieder hinschreiben muss. Da wir in Klausuren ja maximal eine ausreichende Note durch reine Reproduktionsarbeit erreichbar machen wollen, sind solche Tafelbilder wenig sinnstiftend. Sie nützen auch überhaupt nichts bei den deutlich anspruchsvolleren Aufgaben des Operator-Niveaus II und III, bei denen Analysen, Erklärungen, eigenständige Beurteilungen, Einschätzungen und Transferleistungen gefragt sind. Diese sind nur mit einem tiefgehenden Verständnis des Stoffes zu meistern, den ein plattes Tafelbild nur dann abbilden könnte, wenn es wirklich episch wird – und wozu genau gibt es dann noch Nachschlagewerke? Zudem gibt es ja unterschiedliche Schülertypen und unterschiedliche Interessenlagen, die sich in einem einzigen, normierten Tafelbild nicht vereinen lassen. Meine Aufgabe kann daher nicht darin bestehen, an der Tafel das eine, verbindliche und für alle Belange ausreichende Tafelbild zu konstruieren. Was also schreibe ich an, und was müssen die Schüler damit anfangen?
An dieser Stelle braucht es einen kurzen Exkurs zu den bereits angesprochenen Klausuren: zwar sind die drei verschiedenen Operatoren-Niveaus bereits eine deutliche Verbesserung gegenüber den reinen Reproduktionsarbeiten vergangener Zeiten, aber die Struktur von Aufgabenstellungen, mit denen mal mehr, mal weniger anspruchsvoll der behandelte Stoff abgefragt wird, ist ohnehin selbst ein Relikt, vermutlich noch viel mehr als der geschmähte Tafelanschrieb. Da aber die Abitursprüfungen immer noch in diesem Format aufgebaut sind, sehe ich das Training auf solche Klausuren und die Fokussierung auf diese Art der Leistungsmessung (neben der üblichen mündlichen Note und eventuellen freiwilligen Zusatzarbeiten) weiterhin als maßgebend an, selbst wenn ich mir alternative Formen wünschen würde. Letztere erforderten jedoch auch eine deutliche Öffnung des Bildungsplans, was angesichts der stoffzentrierten Diskussion eher unwahrscheinlich ist.
Grundsätzlich arbeite ich ungern mit Schulbüchern, da mir die meisten Konzeptionen nicht sonderlich zusagen, sondern gestalte mein Arbeitsmaterial in Form von Arbeitsblättern selbst. Diese enthalten Quellen und ausgewählte Sekundärtexte sowie mit Operatoren ausformulierte Fragestellungen. Sie strukturieren damit nicht nur den Unterricht mit, sondern dienen den Schülern gleichzeitig als erster Mosaikstein ihres Lernkatalogs (auch wenn sie das anfangs immer nicht glauben wollen). Wenn sie beim Lernen auf eine Klausur die Arbeitsblätter durchsehen, werden sie sich an Fragestellungen erinnern, die mit dem Stoff verbunden sind (oder nicht, aber dann ist das erneute Absolvieren der Aufgaben eine gute Übung). Das ist Baustein 1. Baustein 2 wird durch das Internet selbst bereitgestellt; früher musste man dazu auf den Brockhaus der Eltern zurückgreifen oder eben auf die Verfassertexte der Schulbücher. Die Rede ist natürlich von reinen Informationstexten. Im Normalfall tut es dafür Wikipedia oder eine andere verlässliche Internetseite mit Erklärtexten, wenn man den Kontext etwas auffrischen will. Und Baustein 3 ist der Tafelanschrieb. Exkurs Ende.
Der Tafelanschrieb muss daher weder die Funktion von Baustein 1 (konkrete Fragestellungen) noch von Baustein 2 (Information) liefern, da beides bereits durch eine andere Quelle abgedeckt ist. Stattdessen muss der Tafelaufschrieb es leisten, eine Erinnerungsfunktion zu bieten – im Idealfall genügt ein Blick, um die Fakten und Fragestellungen im Kontext wieder miteinander zu verbinden, was durch eine ordentliche Fragestellung unterstützt wird – und Strukturen schnell erkenntlich zu machen. Reine Text-Aufschriebe in Stichpunktlisten oder gar Fließtext sind daher wenig zielführend, weil sie keine Erinnerungshilfestellung für Strukturen bieten. Ich bin daher ein großer Fan von Diagrammen aller Art. Dreiecke, Pfeile, Blasen, Blitze, Säulen, und vieles mehr helfen bei dieser Aufgabe.
Das ist soweit natürlich eine Idealvorstellung. Nicht immer gelingt es mir, Tafelbilder zu entwickeln, die diesen hehren Ansprüchen gerecht werden. Ich habe genügend Tafelbilder, die sehr textlastig sind oder tatsächlich sogar ausschließlich aus Text bestehen. Ich versuche im Allgemeinen, nicht in vollständigen Sätzen zu schreiben, um das nicht ausarten zu lassen, was natürlich im Hinblick auf die Sprachentwicklung der Schüler auch nicht nur Vorteile hat. Zudem erschweren kunstvoll vorher ausgefertigte Tafelbilder den Input von Schülern und ein spontanes Verändern der geplanten Struktur beziehungsweise erhöhen die Unübersichtlichkeit; das ist jedoch üblicherweise bei meiner bevorzugten Form des Tafelbilds weit weniger ein Problem als bei epischen Texten in ganzen Sätzen.
Ja, aber was ist mit 10-G, mögen manche jetzt fragen, und was ist mit der Binnendifferenzierung? Damit schließen wir den Kreis zu meiner anfänglichen Kritik am üblichen Klausuren- und Bewertungsmuster. Solange das allerdings das Nonplusultra der Leistungsfeststellung darstellt, sehe ich wenig Alternative dazu, einen verbindlichen Kanon für alle Schüler, der an durchschnittlichen Leistungen ausgerichtet ist, auch an der Tafel zu fixieren. Wer hierzu irgendwelche Ideen hat, die durch meine eigene mentale Barriere auf diesem Gebiet brechen – immer her damit.
ERGÄNZUNG:
Einige Beispiele für Tafelaufschriebe, die ich mache.
1. Marxistische Terminologie
Schüler haben immer große Probleme damit, die ganzen marxistischen Begrifflichkeiten auseinanderzuhalten. Ich habe daher ein relativ simples Flowchart erstellt, das (sehr grob und vereinfachend) darstellt, was die verschiedenen Begriffe in Relation zueinander bedeuten.
2. Kubakrise/Entspannung
Zwei Beispiele, mit denen ich nicht sonderlich glücklich bin. Sind zwar kurz und einigermaßen strukturiert, aber gefühlt eher auf der zu knappen Seite und zudem rein textbasiert. Wirft zudem Schlagworte ein („Realismus“) die definitiv ein Nachschlagen der Schüler erfordern und in den Quellen gar nicht vorkommen. Sind ziemlich weit oben auf der To-Do-List der Überarbeitung, aber mir fehlt noch eine zündende Idee.
3. Glasnost/Perestroika
Kein klassischer Tafelaufschrieb; vielmehr ist es ein Arbeitsblatt mit vorgegebener Struktur. Die Schüler analysieren eine Quelle (in dem Fall Gorbatschows Rede, in der er das Konzept erkläutert) und übertragen ihre Ergebnisse in die vorgefertigte Struktur. Das wird dann besprochen, so dass jeder am Ende eine zwar inviduelle, aber „richtige“ Lösung drinstehen hat. Die Folgen kommen dann von mir als Lehrer verbindlich rein. Auf diese Art ersetzt das Arbeitsblatt den Tafelanschrieb, und die Schüler gestalten es selbst mit.
Spannend, danke!
Ich selbst bin ja nur Nachhilfelehrerin in Englisch für meinen Teenie-Stiefbruder. Und nach jeder Stunde weine ich ein bisschen und frage mich, ob man an Waldorfschulen wirklich nur Namenstänze lernt oder er einfach strohdoof ist. *lol*
In meiner Schulzeit fand ich Tafelbilder meistens weniger hilfreich. Reine Infos standen ja auch irgendwo in den Büchern, da waren höchstens Diagramme wirklich eine Hilfe. Mit dem Nachteil, dass das ganze ein paar Wochen später – wenn man dann für eine Klausur gelernt hat – oft nur noch höchst verwirrend statt hilfreich war. Bei Dir fehlt ja leider ein Beispiel. Die große Frage bei solchen Diagramm-Tafelbildern ist ja, ob man sie aus sich selbst heraus noch versteht, ohne dass der Lehrer das die ganze Stunde lang erklärt. Obwohl ich mir vorstellen könnte, dass das bei Deinen Fächern einfacher ist als zb bei Mathe oder Biologie.
Und da bei solchen Gelegenheiten Dubio oder andere gerne betonen, wie doof die heutige Schülergeneration ist, möchte ich doch nochmal betonen, dass ich wirklich froh bin, dass ich es 2004 in Schleswig-Holstein recht leicht mit meinen Abiprüfungen hatte. Bevor soviel rumreformiert wurde und moderner Schnickschnack wie Transferleistungen Einzug gehalten hat. Da geht das heutzutage deutlich anspruchsvoller zu.
Die Anforderungen sind definitiv höher geworden, ja. Es gibt weniger Auswendiglernen von Stoff als früher, was dann im FAZ Feuilleton gerne als Untergang des Abendlands und Niveauverlust beklagt wird; tatsächlich ist das Niveau aber eher höher. Ich hatte das vor einer Weile schon mal zum Thema Rechtschreibung thematisiert: http://oeffingerfreidenker.blogspot.de/2013/04/rechtschreibung-und-der-drauende.html
Ein Beispiel kann ich gerne noch nachträglich einbauen. Generell funktionieren die Dinger natürlich mit der Erklärung des Lehrers besser als ohne, und wenn man die dann auch noch im Kopf hat. Aber wie beschrieben: die Dinger sollen ja eine Gedächtnisstütze sein, nicht das eigene Denken und Lernen ersetzen. Wenn du ein Element des Tafelaufschriebs nicht mehr verstehst, ist das ja auch ein Anlass da noch mal hinterherzurecherchieren oder Klassenkameraden zu fragen. Die Kids sollen ja auch eigenständiges Lernen lernen und nicht alles in vorgekauten, mundgerechten Portionen serviert bekommen, das ist ja später auch nicht mehr so.
Ich meine, wir hatten mal in Bio so eine Transferaufgabe und da stand ich dann auch wie der Ochs vom Berg und wusste so gar nichts, damit anzufangen. War bei mir aber auch ein typisches Fach, bei dem vor der Klausur schnell der Stoff reingeprügelt wurde und später alles abgewählt wurde, was ging (geht heute bestimmt auch nicht mehr)^^
Danke für die Beispiele. Nachkriegszeit war bei uns übrigens auch nur kurz vor dem Abitur dann mal schnell so nebenbei dran^^
Spielt glücklicherweise eine größere Rolle heute.
Biologie war bei mir auch immer reines Auswendiglernen, was ich eh nie gemacht habe. Viel zu faul dafür als Schüler ^^
@ Ariane 24. Oktober 2017, 22:27
Und da bei solchen Gelegenheiten Dubio oder andere gerne betonen, wie doof die heutige Schülergeneration ist …
„Doof“ kann ich nicht teilen, aber das Gefühl, dass die heutige Jugend aus der Schule weniger mitnimmt, schon.
Soweit ich das über die Unterschiede zwischen meinen Kindern und mir beurteilen kann, wurde früher weniger Wissen tiefer vermittelt. Mehr über Pauken und Auswendiglernen als begreifen, aber was saß, saß halt.
Diese Tiefe und Intensität ist bei der heutiegen Themenvielfalt vermutlich nicht möglich, auch icht an den Stellen, wo es nottun würde. Etwa bei der deutschen Sprache finde ich das schade. Vieles bleibt halt doch besser haften, wenn man es gut trainiert und übt.
Ein Teil dieser „Doof“-Wahrnehmung ist vielleicht aber auch nur der Tatsache geschuldet, dass zu meiner Zeit deutlich mehr autoritärer Druck vorhanden war, und wir einfach entsprechend folgsamer waren. Wenn ich damals mit einer 5 nach Hause kam, wurde ich ausgeschimpft, nicht die Lehrerin. Wenn ich heute die Respektlosigkeit und Ignoranz vieler Jugendlicher sehe (etwa im Bus die Füße auf der Bank gegenüber gestellt, selbst wenn andere stehen müssen), ärgert es mich durchaus.
Aber dümmer oder doofer (im Sinne von „weniger intelligent“) sind die Schüler sicherlich nicht.
es grüßt
E.G. (Edukativ-Dilletant)
Naja, ich denke das meiste davon sind einfach die normalen Vorurteile der älteren Generation gegenüber der jüngeren Generation. Und wenn man nicht wie Stefan Lehrer ist, hat man ja generell wenig Einblick auf die Gesamtsituation. Wenn ich mit meinem Stiefbruder Englisch lerne und verzweifle, weil er so absolut keine Ahnung hat, kann ich nicht einschätzen, ob das Faulheit oder Dummheit ist. Oder ob man an Waldorfschulen doch einfach nur lernt, seinen Namen zu tanzen. (Das ist es bestimmt^^)
Was ich so mitkriege und was Stefan ja auch hier schon berichtet hat, ist eben, das reines Faktenwissen nicht mehr so wichtig ist und es mehr um die Zusammenhänge geht. Das finde ich auch durchaus richtig und lobenswert und der Geschichtsunterricht ist heute bestimmt viel interessanter als vor 10 – 15 Jahren. Andererseits bin ich aber auch ganz dankbar, dass das in meiner Zeit noch nicht wirklich Standard war, weil durchmogeln jetzt sicher schwieriger ist. Gerade Mathe und Naturwissenschaften, das hat mich nicht interessiert und da wurde einen Tag vor der Klausur ein paar Fakten ins Hirn geschaufelt und das gab keine glänzenden Noten, aber hat eben gereicht, um durchzukommen. Ich weiß nicht, ob das heute noch möglich wäre und vermutlich kann man nicht mal mehr soviel abwählen wie bei uns damals^^
Man lernt heute eben andere Dinge und gerade reines Faktenwissen ist ja nichts mehr, was man unbedingt im Kopf haben muss. Das ist heute ja blitzschnell nachzuschlagen und dann ist im Gehirn eben für andere Sachen Platz. Heute kann ja auch kein Mensch mehr Telefonnummern auswendig und die Welt ist davon auch nicht untergegangen^^
Ich fürchte auch da macht man sich was vor. Wie ich bereits 2013 beschrieben habe können die Schüler heute zwar Rechtschreib- und Grammatikregeln schlechter, produzieren dafür aber bessere Texte. Ähnliche Trade-Offs gibt es in jedem Fach. Es ist eine Frage der Priorität, was man erreichen will im Bildungssystem. Ich finde es aktuell wesentlich besser als früher.