Warum ein Jobverlust durch den Mindestlohn eine gute Sache sein könnte

In der aktuellen vollen Breitseite konservativer Medien gegen die geplante Einführung eines bundesweiten Mindestlohns von voraussichtlich 8,50 Euro – besonders in Welt und FAZ – wird immer der Botschaft des drohenden Jobverlusts besonders viel Raum eingeräumt. Bis zu einer Million Jobs (von den insgesamt fünf Millionen betroffenen) seien bedroht. Dabei muss das nicht einmal zwingend eine schlechte Sache sein.

Um dieses Argument zu verstehen, müssen wir uns bestimmte Dinge klar machen. Zuerst einmal die Beträge von denen bei diesem Mindestlohn gesprochen wird. Bei einem normalen Vollzeitjob mit acht Stunden Arbeitszeit täglich verdient ein Arbeitnehmer bei vier Wochen mit fünf Arbeitstagen im Monat 1360 Euro – brutto. Davon bleiben einem kinderlosen Single 1009,50 Euro. Das ist nicht gerade ein riesiger Betrag, sondern stellt bei den deutschen Lebenshaltungskosten eher eine Untergrenze dar. Fünf Millionen Menschen verdienen derzeit weniger als diesen Betrag. Wer mit seinem Verdienst nicht auf das Niveau der Grundsicherung kommt (382€ plus Miete), kann als so genannter „Aufstocker“ den Rest vom Arbeitsamt bekommen. Das betrifft zwischen 20 und 30% der ALG-II-Bezieher; im Jahr 2011 bezogen rund 1,21 Millionen Menschen durchschnittlich 737 Euro im Monat zusätzlich, weil der Verdienst ihres Jobs zum Leben nicht ausreichte.

Ich bin der Überzeugung, dass die Kongruenz des drohenden Jobverlusts von bis zu einer Million und der Zahl der Aufstocker bei rund einer Million kein Zufall sein kann. Bei den bedrohten Jobs handelt es sich um solche, deren Geschäftsmodelle als Grundlage haben, dass den Arbeitern kein Auskommen gegeben werden kann. Unter Marktbedingungen würde es diese Jobs überhaupt nicht geben. Sie können nur existieren, weil der Staat die Gewinne dieser Unternehmen subventioniert. Ihr Wegfallen würde also die Arbeitslosengeld-II-Zahlungen erhöhen, aber keinesfalls neu schaffen. Ein Beispiel hierfür ist der Untergang der PIN-Gruppe, die versuchte, mit aggressiven Niedriglöhnen der Post Konkurrenz auf dem Briefmarkt zu machen und vom Briefzusteller-Mindestlohn effektiv erledigt wurde.

In vielen anderen Jobbereichen, die vom Mindestlohn betroffen wären und bei denen Automatisierung oder Offshoring keine Option sind – etwa dem viel zitierten Friseurgewerbe – ist statt eines massenhaften Aufgebens eher ein Anstieg der Preise zu erwarten. Die Tage des 10-Euro-Haarschnitts dürften gezählt sein, 15 bis 20 Euro dürften dann vermutlich die Norm werden. Dies gilt auch für einige andere Dienstleistungsbereiche. Vor allem Zustellerdienste und Fast-Food-Anbieter drängen sich auf. Ein solcher Preisanstieg wird natürlich nicht alle diese Jobs retten können, weil die Kunden zum Sparen neigen werden. Beim Friseur mag das keine ernsthafte Option sein, aber wenn die Gastronomiepreise steigen, mag man öfter mal zuhause bleiben. Wie stark diese Faktoren sein werden, ist allerdings kaum zu prognostizieren und wird sich erst zeigen müssen.

Wirklich bedeutend sind aber für die Diskussion jene Jobs, bei denen bereits heute klar ist, dass sie ersatzlos wegfallen werden, weil das jeweilige Geschäftsmodell nicht tragbar ist, wenn existenzsichernde Löhne bezahlt werden müssen. Wie bereits angesprochen, werden diese Jobs bisher vom Staat massiv bezuschusst. In den meisten Fällen wird es sich außerdem um niedrigqualifizierte Arbeit handeln. Die direkte Folge wird ein Abgleiten der Arbeiter dieser Jobs in die „offizielle“ Arbeitslosigkeit sein, also der vollständigen Existenzsicherung durch staatliche Transferleistungen. Dies ist kein wünschenswertes Ergebnis, wird sich aber erst einmal nicht vermeiden lassen. Die Kosten dürften sich in Grenzen halten; wenn allen 1,21 Millionen eine Leistungserhöhung auf den Mindestlohnstand von ca. 1000 Euro im Monat finanziert werden müsste, beliefen sich die Kosten hierfür auf 36,3 Milliarden Euro (zum Vergleich: die Gesamtausgaben des Arbeitsministeriums betragen derzeit 120 Milliarden Euro). In Wirklichkeit dürften die Kosten weit unter diesem Maximum liegen und vor allem nur temporär anfallen. Erneut: wir reden hier vom worst case, den die dem Mindestlohn feindlich eingestellten Ökonomen befürchten.

Diese Jobs stellen bisher eine Marktverzerrung dar. Sie existieren, weil für die Unternehmen keine Notwendigkeit besteht, existenzsichernde Löhne zu bezahlen. Der Staat hat den Arbeitern jede Marktmacht genommen, sich solchen Jobs zu verweigern, weil er sie zur Annahme zwingt und den Fehlbetrag zum Existenzmininum zuschießt. Würde er das Existenzminimum einfach garantieren, ist damit zu rechnen, dass ein Gutteil dieser Jobs ebenfalls verschwinden würde. Die rein marktwirtschaftliche Lösung, überhaupt keine Verantwortung für die Sicherung des Existenzminimums zu übernehmen, stellt keine in irgendeiner Art und Weise praktikable Lösung dar, weil sie mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist und die Folgen eines worst case für die Betroffenen lebensgefährlich sind.

Es macht daher Sinn, den Wegfall dieser Jobs zu begrüßen. Stattdessen gibt es zwei Möglichkeiten, mit der neu entstehenden Situation zu verfahren.

Erstens, darauf hoffen, dass sich schlicht die gesamte Lohnskala (und mit ihr einige Preise) nach oben verschiebt und die Leute dann zu den neuen Löhnen wieder Arbeit finden, in neuen Jobs, die durch die gewachsene Binnenkaufkraft entstehen. Diese Version unterstellt eine Richtigkeit der Annahmen progressiver Ökonomen, die einen Aufschwung der Binnenwirtschaft und damit neue Jobs prognostizieren. Wenn dieser Aufschwung ausbleibt, wäre die Sockelarbeitslosigkeit gestiegen.

Zweitens, der Staat schafft einen eigenen Sektor und erfindet Jobs, die zum Mindestlohn bezahlt werden. Mit dieser Variante treten eine ganze Reihe von Problemen auf, die mit dem Markteintritt des Staates in Konkurrenz zu privaten Unternehmen zusammenhängen und von der generell abzuraten ist. Es ist allerdings möglich, dass der Staat über Ausschreibungen größerer Investitionsprogramme (besonders im Infrastrukturbereich; sowohl eine Ausweitung des öffentlichen Nahverkehrs als Alternative zum Privatauto oder auch der längst überfällige Breitbandausbau drängen sich auf) temporär hilft, neue Jobs zu schaffen.

So oder so brauchen wir den verlorengehenden Jobs in Bereichen, die nur wegen einer Marktverzerrung bestehen, nicht nachzuweinen. Stattdessen steht zu hoffen, dass die Progressiven Recht behalten und der Mindestlohn eine längst überfällige Strukturanpassung der deutschen Volkswirtschaft befeuert und zu einem Wachstum des Binnensektors führt (bei gleichzeitigem Erhalt des Exportsektors, der vom Mindestlohn ohnehin nicht betroffen ist). Dies könnte auch den ruinösen Lohnwettbewerb mit anderen EU-Ländern beenden und dort zu einer Erholung führen. Die Chance hierfür besteht. Drücken wir die Daumen.

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  • Robin 20. Oktober 2013, 12:40

    Aus meinem persönlichen Umfeld kenne ich die Situation in einem Personenbeförderungsunternehmen. Das Unternehmen steht hier auf der einen Seite mit Lizenz-Taxen und auf der anderen Seite mit einem libanesischen Dienstleister in Konkurrenz, wobei letzterer durch konsequente Schwarzarbeit die Preise drückt. Inklusive Trinkgeld gehen die Fahrer des erstgenannten Unternehmens mit etwa 5,50€ Netto nach Hause. Kommt der Mindestlohn, müsste man die Preise etwa verdoppeln. Es ist offensichtlich, dass der Laden bei Einführung der Lohnuntergrenze ohne ein konsequentes Vorgehen gegen die schwarzen Schafe der Branche sofort insolvent ist. Ohne eine massive Kontrolle in der Durchsetzung des Mindestlohns wird hier das ehrliche Unternehmen hinweggefegt. Nun kann man sagen, Schwarzarbeit darf ohnehin nicht sein, daran kann man keine Grundsatzentscheidungen fest machen. Stimmt. Trotzdem ist die Forderung nach einem Mindestlohn eben auch die Forderung nach einem starken Staat, nach mehr Personal für Kontrolle in den Kommunen. Des weiteren bleibt abzuwarten, wie die Kundschaft auf einen Preisanstieg reagiert, denn Taxifahrten sind nicht alternativlos, sondern lassen sich etwa durch private Fahrgemeinschaften oder das Nutzen des ÖNV ersetzen.

    Es ist plausibel anzunehmen, dass das Unternehmen die Umwälzung nicht überlebt. Das ist vielleicht aus einiger Entfernung betrachtet nicht wirklich Schade, für viele Beschäftigte wird dann aber ein nicht-bezuschusster, Arbeitsplatz verschwinden, der ihnen die letzten 25 Jahre ein existenzsicherndes Einkommen garantiert hat. Das ganze hat wenig zu tun mit den ideologischen Frontlinen in einer elitären Debatte um den Mindestlohn, geführt von solchen, die er definitiv niemals betreffen wird. Das Bezuschusser-Argument mag hier und da seine Anwendung finden, vor allem ist es aber eine ideologiegeleitete Konstruktion, gemacht für den Meinungskampf, gemacht für die Entkräftung des Arguments der Gegenseite, es würden Jobs vernichtet. Mit der Realität in dem Personenbeförderungsunternehmen hat es nichts zu tun.

    • techniknörgler 29. Oktober 2013, 08:44

      Eine Frage: Wie unterscheidet sich eigentich die Idee der Job-Garantie, von der man Seitens der MMTler immer wieder hört, eigentlich von ABM mit den dort bekannten Problemen.

  • Gerald Fix 20. Oktober 2013, 14:06

    nach mehr Personal für Kontrolle in den Kommunen.

    Schwarzarbeitskontrolle ist keine Aufgabe der Kommunen, sondern des Bundes.

  • Nicolai Hähnle 20. Oktober 2013, 14:39

    Die zweite Möglichkeit ist im Artikel noch nicht ganz zu Ende gedacht. Denn staatlich geschaffene Jobs müssen nicht unbedingt in Konkurrenz zum Privatsektor stehen.

    Es gibt einen sehr großen Bereich an gemeinnützigen Organisationen (angefangen mit der Musikschule und dem Sportverein), die nützliche Dinge tun und oft weitaus mehr tun könnten, wenn das Personal dafür vorhanden wäre. Hier könnte man ansetzen.

    Das ist übrigens im Wesentlichen auch die Lücke, in die die von MMT vorgeschlagene Job Guarantee stößt.

    • Stefan Sasse 20. Oktober 2013, 15:32

      Ich weiß. Nur ist die Grenze in einem ziemlich heftigen Graubereich und äußerst schwer zu definieren.
      Außerdem, hätte ich das noch thematisiert hätte der Artikel überhaupt keine Struktur mehr gehabt 😉

    • In Dubio 20. Oktober 2013, 17:39

      Die zweite Möglichkeit ist im Artikel noch nicht ganz zu Ende gedacht. Denn staatlich geschaffene Jobs müssen nicht unbedingt in Konkurrenz zum Privatsektor stehen.

      Ich musste kurz das Alter nachschlagen. Okay, das erklärt’s. Von Mitte der 1980er bis Ende der 1990er Jahr hat die deutsche Politik ausreichend Erfahrung mit dem sekundären Arbeitsmarkt gesammelt, damals nannte man das „ABM-Maßnahmen“. Die Ergebnisse waren ernüchternd: Immer mehr Menschen wurden aus dem ersten Arbeitsmarkt gedrängt, die Langzeitarbeitslosigkeit verhärtete und vergrößerte sich und reguläre Beschäftigung wurde verdrängt. Klar, theoretisch geht das, praktisch funktioniert es nicht. Das ist wie mit der Konjunktursteuerung nach Keynes.

      • Nicolai Hähnle 20. Oktober 2013, 18:53

        Ich liebe diese Mischung aus pauschalen Behauptungen und ad hominem um mir das Ende des Wochenendes zu versüßen. In Wirklichkeit war doch nie der Wille da, so etwas konsequent durchzuziehen – was man übrigens schon alleine daran sieht, dass die ABM immer zeitlich begrenzt waren.

        • In Dubio 21. Oktober 2013, 06:56

          Wenn etwas mehr als ein Jahrzehnt probiert wird, dann fehlt die Konsequenz? Nur, weil die Ergebnisse nicht waren, wie die Befürworter erhofften? Na ja. So kann man die Welt natürlich auch sehen. Klar, es war nie das Ziel, grundsätzlich einen zweiten Arbeitsmarkt zu schaffen, denn dazu bedarf es eines sozialistischen Gesellschaftsmodells. Das wollten tatsächlich nur wenige.

  • Theophil 20. Oktober 2013, 18:11

    Mehrere Widersprüche:

    „Bei den bedrohten Jobs handelt es sich um solche, deren Geschäftsmodelle als Grundlage haben, dass den Arbeitern kein Auskommen gegeben werden kann. Unter Marktbedingungen würde es diese Jobs überhaupt nicht geben.“

    Das kann man so nicht behaupten. Erstens nimmst Du an, dass 40h pro Woche Arbeit eine Konstante sind, zweitens dass die Abzüge nicht verringert werden könnten und drittens, dass man von dem Geld nicht leben könne. Ich widerspreche allem dreien, auch wenn das im Ergebnis sicherlich (gewissermaßen per Definition) ein Leben in Armut wäre.

    „Die Kosten dürften sich in Grenzen halten; wenn allen 1,21 Millionen eine Leistungserhöhung auf den Mindestlohnstand von ca. 1000 Euro im Monat finanziert werden müsste, beliefen sich die Kosten hierfür auf 36,3 Milliarden Euro (zum Vergleich: die Gesamtausgaben des Arbeitsministeriums betragen derzeit 120 Milliarden Euro).“

    Zum einen weißt Du sicherlich, dass die 120 Mrd v.a. Ausgaben für die Rentenversicherung sind, zum anderen wäre der Kostenanstieg viel geringer, weil wir auch wissen, dass nur 18% der theoretischen Mindestlohnempfänger in armen Haushalten leben.

    „Der Staat hat den Arbeitern jede Marktmacht genommen, sich solchen Jobs zu verweigern, weil er sie zur Annahme zwingt und den Fehlbetrag zum Existenzmininum zuschießt.“

    Hat er nicht. Aber dass es diese Jobs gibt, sagt uns schon mal, dass es keine besseren Jobs gibt und nicht gerade ein Gedrängel um die Anstellung niedrigqualifizierter Arbeitskräfte.

    „Erstens, darauf hoffen, dass sich schlicht die gesamte Lohnskala (und mit ihr einige Preise) nach oben verschiebt und die Leute dann zu den neuen Löhnen wieder Arbeit finden.“

    Das nennt man gemeinhin Inflation und es ist eines der Probleme mit Mindestlöhnen. Selbst wenn Mindestlöhne nicht zu hoher Arbeitslosigkeit führen, verbessern sie uU die Situation der Betroffenen wenig, weil Bezieher von Mindestlöhnen auch Konsumenten von niedrigbezahlten Dienstleistungen sind.

    • techniknörgler 23. Oktober 2013, 05:00

      „Ich widerspreche allem dreien, auch wenn das im Ergebnis sicherlich (gewissermaßen per Definition) ein Leben in Armut wäre. “

      Man kann Armut natürlich so definieren. Aber warum sollte man das tun? Der relative Armutsbegriff ergibt keinen Sinn. Ein so willkürlicher Armutsbegriff enthält nur noch Emotionen, aber keine Sachaussage mehr.

      Ich muss aktuell von deutlich weniger Leben als 1000€ im Monat. Und trotzdem käme mir nie der Begriff Armut in den Sinn. Das kommt mir immer ganz seltsam vor, wenn ich mir bewusst mache, dass ich nach den Maßstäben hier als arm gelte: Ich habe genug zu essen, ein Dach über den Kopf, genug Kleidung, Computer und Internetzugang, mobile Kommunikatiosmittel, kann zahlreiche öffentliche Einrichtungen verwenden wie Bibliotheken und Schwimmbäder und nebenher auch so noch regelmäßig etwas nebenbei leisten. Ich bin nicht arm. Was ich mit dem Begriff assoziiere ist jemand, dem es an Lebnsnotwendigem fehlt (inklusive der in einer Zivilisation notwendigen Sachen wie beispielsweise elektronische Kommunikationsmittel, ich dehne den Begriff also schon über den für Entwicklungskländer aus). Dann kommt diese dämliche Phrase vom „Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“. Schwachsinn: Das wäre der Fall, wenn jemand zwar genügend zu essen hätte um gerade so nicht zu verhungern, aber nicht um satt zu werden. Das wäre der Fall, wenn jemand in eine Blechhütte im Slum wohnen müsste. Das wäre in einer Industrienation auch der Fall, wenn einem elektronischen Kommunikationsmittel oder die Möglichkeiten für schriftliche Kommunikation mit anderen Teilnehmern am Rechtsverkehr fehlen würden. Ist aber alles nicht der Fall. Es wäre auch dann der Fall, wenn sich jemand um diesen Mindeststandard ständig sorgen machen müsste. Ist aber auch nicht der Fall, denn es handelt sich um den in Deutschland jedem legalen Einwohner mit Aufenthaltsgenehmigugn von staatliche Sozialleistungen gesicherten Mindestlebensstandard. Was darüber hinaus geht wird einem nicht gerantiert, aber um diesen Mindestlebensstandard muss man sich keine Sorgen machen.

      Der einzige Grund den Begriff „Armut“ für „relative Armut“ zu verwenden ist die Konnotation.

      • In Dubio 23. Oktober 2013, 12:15

        So, nun wissen wir, dass Sie studieren. Ausbildungszeit ist jedoch eine Sondersituation und nur bedingt vergleichbar mit den Lebensbedingungen von Menschen, die aufgrund ihrer sozio-ökonomischen Bedingungen immer in prekären Verhältnissen leben werden.

        Es gibt gute Gründe für einen Mindestlohn. Das Problem ist die politische Überfrachtung und die zu große Erwartungshaltung. Ein äußerst gescheiter Grundsatz intelligenten Handelns lautet: Verfolge mit einer Maßnahme immer nur ein Ziel! Für die Mindestlohnbefürworter muss es gleich ein ganzes Bündel sein: keine Aufstockung, Beseitigung „unwerter Arbeit“, Marktregulierung, Ankurbelung der Binnenwirtschaft, Stabilisierung der Sozialsysteme, Entlastung des Steuerzahlers usw.

        Die Angebotskurve auf dem Arbeitsmarkt kann nämlich, wie das neoklassische Modell zeigt, einen anormalen Verlauf annehmen. Im unteren Einkommensbereich versuchen dann die Arbeitnehmer, ihren Einkommensbedarf durch mehr Arbeit zu kompensieren, da sie auf sinkende Löhne nicht mit einer Einschränkung des Arbeitskräfteangebots reagieren können. Es gibt Anzeichen, dass eine solche Situation in bestimmten Bereichen und bei bestimmten Gruppen gegeben sein kann.

        Das Gegensteuern mit sozialpolitischen Maßnahmen trägt nur bedingt, da es zum einen Gruppen gibt, die jede Zusammenarbeit mit der Sozialbürokratie ablehnen. Solche Menschen habe ich häufiger getroffen. Oder solche Personenkreise, die aufgrund ihrer sozialen Verhältnisse sehr anfällig für Ausbeutung sind. In beiden Fällen wäre ein maßvoller Mindestlohn sinnvoll.

        • techniknörgler 23. Oktober 2013, 13:01

          „immer in prekären Verhältnissen “

          Was ich damit klar machen wollte: Es ist nicht prekär. Seine Leben lang nur von 600€ leben zu müssen vielleicht, aber es war ja von 1000€ die Rede und dazwischen befindet sich doch noch etwas.

          Was wäre an 800 oder 900€ prekär? Nichts.

          Es wird einfach immer häufgier wiederholt und wird es hinterfragt kommen allzu häufig die persönlichen Angriffe.

          „Das Gegensteuern mit sozialpolitischen Maßnahmen trägt nur bedingt, da es zum einen Gruppen gibt, die jede Zusammenarbeit mit der Sozialbürokratie ablehnen. Solche Menschen habe ich häufiger getroffen.“

          Verstehe, man muss mal wieder jemandem helfen, der nicht darum gebeten hat. Jemand möchte in Ruhe gelassen werden – egal, das zeigt nur um so mehr, das etwas nicht stimmt…

          „Oder solche Personenkreise, die aufgrund ihrer sozialen Verhältnisse sehr anfällig für Ausbeutung sind.“

          Spezialfälle, wie psychische Krankheit, aber auch der Missbrauch besonderer Notlagen in Abhängigkeitsverhältnissen, sind schon von anderen Regeln wie z.B. Sittenwidrigkeit erfasst. Daraus kann man keine pauschale Regelung für alle herleiten.

  • In Dubio 20. Oktober 2013, 18:14

    Die Verteidiger eines hohen Mindestlohns äußern sich immer mehr in reinen Pamphleten, so wie zuletzt beim Spiegelfechter. Dort sind zwei Männer mittleren Alters tätig, die von der Allgemeinheit eine sehr teure Ausbildung bezahlt bekommen haben. Doch wie auf den Nachdenkseiten hat es keiner dieser Privilegierten sich zum Ziel gesetzt, Beschäftigung zu schaffen, schon gar nicht in dem Sinne der eigenen Maßstäbe. In der Türkei beispielsweise ist fast jeder 4. selbständig, eine Quote, die Deutschland zuletzt kurz nach dem Krieg (fast) erreichte.

    Die, über die beim Mindestlohn vorwurfsvoll doziert wird, sind größtenteils Kleinunternehmer. Sie beschäftigen sich selbst und ein paar Andere. Und sie müssen Preise erzielen, die ihnen ein Auskommen ermöglichen. Geht einfach mal zu Eurem Friseur und unterhaltet Euch mit ihm über seinen Markt. Da erfährt man Erstaunliches. So z.B., dass auch dieses Handwerk konjunkturellen Schwingungen unterworfen ist. Wachsen die Haare je nach Jahreszeit unterschiedlich? Die Kunden entscheiden, ob sie im Winter nicht die Haare wachsen lassen, sie überlegen, nach 4 oder 6 Wochen zu gehen. Und sie überlegen, lieber die Haare schwarz schneiden zu lassen. Rein zufällig (!) strotzt gerade diese Branche von Schwarzarbeiter(innen) und Selbständigen.

    Ihr seid so statisch in Eurem Denken, das ist unglaublich. Von der Dynamik des Marktes und menschlichen Denkens habt Ihr bestenfalls einen Bruchteil von Ahnung. Führen wir einen Mindestlohn ein, werden schon die Preise steigen! Nehmen wir an, ein größerer Friseursalon kann oder möchte den Mindestlohn nicht zahlen, sondern bleibt bei seinem Billigmodell. Dann hätte er neue Möglichkeiten. Er entlässt z.B. seine Friseusen und stellt zukünftig nur noch die Räumlichkeiten für interessierte Friseure zur Verfügung. Wer von seinem Kundenpool profitieren will, müsste eine umsatzabhängige Provision an ihn zahlen und sich Mindestpreisen unterwerfen. Wem das bekannt vorkommt, war vielleicht schon mal im Bordell. Dieses legale Gewerbe funktioniert genau nach diesem Modell. Aber Euch fällt nur ein: höhere Preise oder ein Betrieb muss verschwinden.

    Oder nehmen wir das Wach- und Schließgewerbe. Da sitzt ein 67jähriger Nacht für Nacht im Empfang. Nehmen wir der Einfachheit an, er habe eine auskömmliche Rente, wolle aber noch gebraucht werden, sich Reisen leisten können und eine Beschäftigung haben. Den Großteil der Nacht hat er nicht viel zu tun, kann fernsehen und lesen. Er bekommt dafür 6 EUR pro Stunde. Bei 8,50 EUR sagt die Firma, der Job wird wegrationalisiert, die Alarmanlage an die Überwachungszentrale eines Providers angeschlossen. Die Gutmenschen haben entschieden, dass der Job des alten Mannes nicht lohnenswert sei.

    Das DIW hat das Risiko von hohen Mindestlöhnen anhand seiner Paneldaten von 18.000 Haushalten untersucht. Das ist weit substanzieller, als das, was die Mindestlohneuphoriker zu bieten haben.

    • chriwi 21. Oktober 2013, 06:47

      „Das DIW hat das Risiko von hohen Mindestlöhnen anhand seiner Paneldaten von 18.000 Haushalten untersucht. Das ist weit substanzieller, als das, was die Mindestlohneuphoriker zu bieten haben.“

      Das würde ich anders sehen. Die Daten werden mit Hilfe von Wirtschaftsmodellen ausgewertet. Nun sollte jedem klar sein, dass diese Modelle nicht besonders gut sind. Auf Basis solcher Modelle wird Griechenland im Moment „geholfen“. In diesen Modellen ist der Markt perfekt und der Arbeitsmarkt ist ein Markt. Beides stimmt nicht. Davon abgesehen werden sekundäre Effekte nicht berücksichtig. Das Beispiel des Pförtners zeigt dies. Zwar ist sein Job weg, aber es muss Technologie entwickelt und gebaut werden die ihn ersetzt. Diese entsteht nicht aus der Luft, sondern muss von Menschen hergestellt werden. Das kann und wird in vielen Bereichen passieren. Ob und wie das Ganze sich am Ende entwickelt kann niemand vorhersagen. Da faktisch jedes entwickelte Land einen Mindestlohn hat und damit keine Probleme hat, sehe ich das Ganze nicht so kritisch.

      • In Dubio 21. Oktober 2013, 07:55

        Die Daten werden mit Hilfe von Wirtschaftsmodellen ausgewertet.

        Nein, so einfach ist das nicht und ansonsten bleiben Sie ja völlig im Ungefähren. Das SOEP ist eine sehr, sehr umfangreiche kontinuierliche Befragung von Haushalten über Einkommen und Lebenssituation. Die Daten sind so detailliert, dass sie in unendlicher Zahl kombiniert werden können. Es gibt eine einfache Glaubensfrage: wenn Sie die Einkommensspreizung für real halten, so vertrauen sie den Zahlen. Denn diese Erkenntnis kommt allein aus dem SOEP. Wir wissen also, wer unter 8,50 EUR verdient. Wir wissen allerdings auch, mit wem er zusammenlebt und wie sich seine Einkommenssituation verändern würde, bekäme er diese Lohnerhöhung. Und daraus lässt sich berechnen, ob er weiterhin Stütze benötigt oder weiterhin Aufstocker wäre. Was nämlich auch übersehen wird: wir diskutieren auf Basis des Modells Single, die meisten Menschen leben jedoch in Haushalten mit mehreren Personen.

        Davon abgesehen werden sekundäre Effekte nicht berücksichtigt. Das Beispiel des Pförtners zeigt dies. Zwar ist sein Job weg, aber es muss Technologie entwickelt und gebaut werden die ihn ersetzt.

        Gerade im Bereich der niedrigen Entlohnung gibt es die Technologie längst. Sie ist weder anspruchsvoll (wofür man Hoch- und nicht Geringqualifizierte bräuchte) noch teuer. In dem Beispiel führt der Mindestlohn nur zu einer Monopolisierung der Überwachung und weniger Arbeitsplätzen. Im Fall der Friseure ist eher zu erwarten, dass der Turnus gestreckt wird, nicht jedoch, dass die Kunden überhaupt nicht reagieren. Wenn ich z.B. statt 4 nur alle 5 Wochen mir die Haare schneiden lasse, so erleidet der Friseur eine Umsatzeinbuße von 25%. Der optische Nachteil für mich ist dagegen gering. Die Friseurin hat dementsprechend weniger Arbeit, verdient aber vielleicht 13% mehr. Das geht schon nicht auf. Die Hauptumsatzbringer von Friseuren sind allerdings Frauen (betreiben Sie unbedingt empirische Forschung!!!) und zwar deswegen, weil sie neben einem Haarschnitt umfangreiche Leistungen wie Färben, Locken, Typberatung nachfragen. Die Leute mit schmalem Portemonnaie werden hier verstärkt in den Do-It-Yourself-Bereich gehen. Gerade diese Klientel ist nämlich besonders preissensibel. Leute, die also mit dem Friseurhandwerk argumentieren, reden damit direkt einer Premierisierung der Dienstleistung das Wort: Haare schneiden nur für Wohlhabende!

      • In Dubio 21. Oktober 2013, 08:04

        Da faktisch jedes entwickelte Land einen Mindestlohn hat und damit keine Probleme hat, sehe ich das Ganze nicht so kritisch.

        Ich habe schon weiter unten geschrieben, dass ist Teil der unehrlichen Argumentation. Die meisten Länder haben eine Untergrenze, die bei 60% des Durchschnittseinkommens liegt und von der man nach hiesigen Maßstäben nicht leben könne. Die Mindestlohnbefürworter wollen eine Grenze, die deutlich darüber läge. Das sind zwei Paar Schuhe. Das Problem ist nicht ein gesetzlicher Mindestlohn, sondern die Höhe und die Zielsetzung.

        Warum haben es die Befürworter eigentlich so eilig? Würden wir mit 7 EUR beginnen, wären die volkswirtschaftlichen Schäden selbst nach Ansicht der striktesten Gegner überschaubar. Das gibt uns Zeit auszutesten. Funktioniert das Gesetz ohne das Beschäftigung abgebaut wird, kann man erhöhen. Doch wenn ich die neusten Argumente richtig verstehe, geht es nun auch darum, bestimmte Jobs zu vernichten. Wir wissen, wie das bei Schlecker gelaufen ist: erst werden die miesen Arbeitsverhältnisse beklagt, dann über die Insolvenz des Unternehmens gejammert. Anschließend stellt die BfA fest, dass die Schlecker-Frauen deutlich besser als der Branchenschnitt verdient hätten, weshalb sie schwerer einen neuen Job fänden.

        • Nicolai Hähnle 21. Oktober 2013, 08:19

          Es hat sich hier mit In Dubio ein sehr penetranter Geist, der stets verneint, im Thread eingenistet. Was besonders auffällt ist, dass von ihm keinerlei positiven Beiträge kommen.

          Der Niedriglohnsektor wird von den meisten Menschen als gesellschaftliches Problem angesehen. Es sollte möglich sein, von ehrlicher Arbeit leben zu können, und heute ist das für mehrere Millionen Menschen in Deutschland nicht der Fall.

          Wie würde also In Dubio das Problem lösen? Oder findet In Dubio die Situation am Ende gut und freut sich darüber? Letzteres würde zumindest seine Kommentare hier sehr gut erklären.

          • Theophil 21. Oktober 2013, 09:27

            Ich bin nicht In Dubio, aber ich wage mal eine Antwort was er und ich als bessere Lösung sehen würden.

            Erstmal zur Problemdefinition: Das primäre Problem sind niedrigqualifizierte Arbeitnehmer und wirtschaftsschwache Gegenden Deutschlands wie z.B. die Uckermark. Diese beiden Probleme müssen wir ursächlich lösen, auch oder weil sie die schwierigeren sind.

            Für diejenigen, die trotz ihrer eigenne und gesellschaftlicher Anstrengungen schlecht qualifiziert bleiben und/oder in strukturschwachen Gegenden leben wollen/müssen, möchten wir zwei Dinge zusammen garantieren:

            Eine Beschäftigung und ein gesellschaftliches Mindesteinkommen. Die private Wirtschaft organisiert Beschäftigung, weil sie besser darin ist, Probleme zu identifizieren, die gelöst werden wollen. (Unbezahltes Engagement halte ich für keinen Ersatz für bezahlte Arbeit.) Gleichzeitig können wir nicht Mindesteinkommen garantieren ohne die Arbeitsbereitschaft zu reduzieren. Die Lösung ist eine Form von Workfare, z.B. einer negativen Einkommenssteuer, die Unterstützung an Arbeit koppelt. Tatsächlich hat sich unser HartzIV Regime dahin entwickelt, aber dafür einen grotesken und tatsächlich unwürdigen Gängelapparat entwickelt.

            Ich sehe das als die einzige Lösung, die Beschäftigung und soziale Unterstützung verbinden kann, auhc wenn die Lösung nicht jedem gefällt.

          • In Dubio 21. Oktober 2013, 15:52

            Tja, ich empfinde es nicht als guten Stil, Diskutanten nur indirekt anzusprechen. Irgendwie daneben. Was ist bitte ein „positiver“ Beitrag, was ein „negativer“? Ist „positiv“, für ein Mehr an Staat zu plädieren, für ein Mehr an Markt dagegen „negativ“?

            Wo ist denn das Problem des Niedriglohnsektors? Wer einen Niedriglohn bezieht, der bekommt nicht automatisch einen geringen Lohn, wie man denken würde. Denn was niedrig ist, liegt immer auch im Auge des Betrachters und hängt davon ab, was man sich davon kaufen kann. Hat der Niedriglohn also eine Relation zur Kaufkraft? Nein. Er hat einzig eine Relation zu dem, was andere Menschen auf dem gleichen Staatsgebiet verdienen. Lebe ich in Genf an der Grenze zu Frankreich mit einem Niedriglohn, so geht es mir ziemlich gut, denn die meisten Mittel des täglichen Bedarfs kaufe ich einfach ein paar Kilometer weiter im billigen Ausland. Lebe ich in Duisburg mit einem Niedriglohn, so kenne ich Besserverdienende nur aus dem Fernsehen, mir geht’s dennoch nicht gut.

            Der Niedriglohn definiert den Rang in einer Gesellschaft. Angeblich leben wir ja in einer Bildungsgesellschaft. Was jemand ist und bekommt, bemisst sich immer weniger damit, an welcher Maschine jemand arbeitet als was er im Kopf hat. Da die Unterschiede dort viel größer sind als bei den handwerklichen Fähigkeiten, ist es naheliegend, dass die Einkommen auseinandergehen. Das scheint aber nur bei den unteren 50% beklagenswert, niemand echauffiert sich, dass heute ein Vertriebsmitarbeiter weit mehr verdient als ein Buchhalter. Auch dort sind die Unterschiede in den letzten 20 Jahren in ähnlichem Tempo gewachsen.

            Deutschland hat eine der höchsten Zahlen bei den Geringqualifizierten und bei den Schulabbrechern. Die Probleme mit verhaltensauffälligen Kindern wie mit nicht-ausbildungsreifen Schulabgängern wachsen stetig. Die Bildungsforscher bemängeln seit langem, dass ein Hauptschulabgänger nicht wesentlich mehr Sprachkenntnisse besitzt als ein Grundschüler. Wenn Sie diese Entwicklungen umkehren können und wir dann immer noch einen sehr hohen Niedriglohnsektor haben, können wir weiterreden.

            Aber das war jetzt wirklich negativ.

          • techniknörgler 23. Oktober 2013, 15:16

            „Der Niedriglohnsektor wird von den meisten Menschen als gesellschaftliches Problem angesehen. Es sollte möglich sein, von ehrlicher Arbeit leben zu können, und heute ist das für mehrere Millionen Menschen in Deutschland nicht der Fall.“

            Aber das ist es doch auch nicht, wenn die Arbeitsplätze wegfallen!

            Moral ohne Logik, ja als Ersatz für Logik führt zum üblichen „gut gemein ist nicht gute gemacht“-Phänomen.

          • Nicolai Hähnle 24. Oktober 2013, 07:50

            Klar. Aber dazu zwei Dinge: Zum einen ist es ja nicht so, dass bei Einführung eines Mindestlohns alle Arbeitsplätze, die unter diesem Lohn liegen, verschwinden würden.

            Die Verteilung in unserer Gesellschaft reflektiert immer auch die Machtverhältnisse (und umgekehrt). Ein Mindestlohn ist faktisch eine verbesserte Machtposition von abhängig Beschäftigten. So erklärt sich, was die Erfahrung aus anderen Ländern zeigt, nämlich dass die Einführung bzw. Erhöhung eines Mindestlohns durchaus Löhne anhebt.

            Zum anderen wäre es in der Tat dumm, sich mit einem Mindestlohn zufrieden zu geben. Man muss die Wurzel des Problems angehen, und das heißt: Massenarbeitslosigkeit abschaffen.

          • In Dubio 24. Oktober 2013, 08:51

            Zum einen ist es ja nicht so, dass bei Einführung eines Mindestlohns alle Arbeitsplätze, die unter diesem Lohn liegen, verschwinden würden.

            Jetzt wird’s kurios: Inzwischen befürworten Enthusiasten des Mindestlohns ja, dass genau diese Jobs vernichtet werden sollten. Daneben soll die Lohnuntergrenze ja keine Jobs vernichten. Sie hatten sich, wenn ich das richtig verstanden habe, ebenfalls in diese Richtung einsortiert. Nun sagen Sie, ein bisschen Jobvernichtung ist gut (Massenarbeitslosigkeit dagegen schlecht), es müssen ja nicht alle dieser schlecht entlohnten Tätigkeiten verschwinden. Außerdem ist Ausbeutung gut, solange es für den guten Zweck einer NGO geschieht. Das finde ich sonderlich konsistent.

            So erklärt sich, was die Erfahrung aus anderen Ländern zeigt, nämlich dass die Einführung bzw. Erhöhung eines Mindestlohns durchaus Löhne anhebt.

            Hm, wo? In Frankreich? In unserem Nachbarland oszillieren weit überdurchschnittlich viele Löhne genau um die gesetzlich festgelegte Grenze. Darüber hinaus wird das Land seit vielen Jahren (nicht erst seit der Finanzkrise!) von einer sehr hohen Jugendarbeitslosigkeit und Arbeitslosenquote geplagt. Deswegen kennen die Mindestlohngesetze in den Niederlanden oder in Großbritannien viele Ausnahmen. Und wo der Mindestlohn relativ niedrig liegt, hat er keinen nennenswerten Einfluss auf das allgemeine Lohnniveau.

            Man muss die Wurzel des Problems angehen, und das heißt: Massenarbeitslosigkeit abschaffen.

            Prima Idee! Machen wir ein Gesetz, das Arbeitslosigkeit verbietet.

          • Nicolai Hähnle 24. Oktober 2013, 10:00

            Da ist jemand aber schwer von Begriff 🙂

            Löhne können sich ändern, und in Folge einer Einführung des Mindestlohns wird das auch passieren. Ist es jetzt klarer?

            Im Übrigen, was die Massenarbeitslosigkeit angeht: Es wäre schon einmal ein guter erster Schritt, die Gesetze abzuschaffen, durch die Massenarbeitslosigkeit überhaupt erst als Dauerphänomen etabliert wird. Ich meine damit besonders den M.O. der Zentralbanken. Diese erzeugen ganz gezielt Massenarbeitslosigkeit als Teil ihres normalen Betriebs. Das ist nur leider viel zu wenigen Menschen bewusst – und diejenigen, die darunter leiden, nämlich die Arbeitslosen, werden natürlich auch nicht darüber aufgeklärt.

          • In Dubio 24. Oktober 2013, 10:30

            Löhne können sich ändern, und in Folge einer Einführung des Mindestlohns wird das auch passieren. Ist es jetzt klarer?

            Klar, wir schreiben zukünftig jede Tariferhöhung dem Mindestlohngesetz gut. Mann, Mann, Mann, merkt Ihr eigentlich, dass Ihr Euch das perfekte Argument zimmert: passt immer. Der Mindestlohn führt zu keinen Jobverlusten. Und wenn doch, ist das auch gut. Ein Mindestlohn führt zu Lohnerhöhungen, sieht man ja an den Tarifsteigerungen. Das ist das Wichtigste für Euch Linke: Ihr werdet in Euren Augen immer Recht haben. So konnte man das gestern übrigens bei Anne Will am Beispiel Olaf Scholz studieren.

            Ich meine damit besonders den M.O. der Zentralbanken. Diese erzeugen ganz gezielt Massenarbeitslosigkeit als Teil ihres normalen Betriebs.

            Klar, es ist zu wenigen Leuten bewusst, dass für die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht sie selbst, sondern hohe Institutionen verantwortlich sind. Also ein Nicolai Hähnle würde unternehmerisch tätig werden, würde die Notenbank nur eine fördernde Geldpolitik betreiben. So habe ich das noch gar nicht gesehen. Wie konnte ich nur so die Bedeutung meiner Kostenstruktur, die Steuerlast und die nervige staatliche Bürokratie so überschätzen! Und wenn sich für Unternehmen keine Firmennachfolge findet, dann liegt das natürlich an der Geldpolitik! Vielen Dank für die Aufklärung.

        • Stefan Sasse 21. Oktober 2013, 14:19

          @InDubio: Zu deiner Frage: das Thema wurde jahrelang ignoriert und hart bekämpft, ehe es zu wirkungsmächtig wurde. Hätte man 2004 im Rahmen der Agenda oder während der ersten GroKo einen Mindestlohn eingeführt, hätte man das so machen können. Heute hat sich einfach zu viel Druck angestaut, als dass man noch ein „lasst erst mal ausprobieren“ fahren könnte. Das passiert halt, wenn man Entwicklungen zu lange verschleppt, und das Gleiche ist mit dem Merkel’schen Atomausstieg auch passiert.

          • In Dubio 21. Oktober 2013, 15:35

            Okay, dann sage, warum es so drängend ist? Hat sich, wie z.B. zu den Asylgesetzen Anfang der 1990er Jahre, der Druck durch Wahlen entladen? Wenn ich richtig gerechnet habe, so haben die Bürger durch ein deutliches Minus von rund 3% für die Mindestlohnparteien ihr Wollen deutlich gemacht. Oder ist es wie bei der Rente, wo die wachsenden Zahlungen an die Alten Reformen erzwingen, weil sonst die kein Geld mehr in der Kasse wäre?

            Der Punkt ist doch: machen wir jetzt ein Gesetz, das sich innerhalb kurzer Zeit als falsch und mit hohen Nebenwirkungen behaftet herausstellt, können wir das nicht einfach zurückdrehen. Wir müssten dann mit den neu geschaffenen Problemen leben. Einen Mindestlohn kann man immer hoch, aber nie heruntersetzen. Richter wägen in solchen Fällen ab: sind die Schäden durch Handeln oder Nichtstun voraussichtlich größer? Kein Mensch würde, abgesehen von kalkulatorischen Größen (Milchmädchen), einen Einkommensverlust erleiden, wenn vorsichtig begonnen würde. Und die Politik hat Zeit, die Legislatur hat noch gar nicht begonnen.

            Völlig anders verhält es sich bei einer Novelle des EEG: hier entstehen Tag für Tag neue Ansprüche, für die zukünftige Generationen haften müssen.

          • Stefan Sasse 21. Oktober 2013, 16:32

            Das Argument mit den Wahlergebnissen taugt nicht. Sie sind schizophren, seit Jahren: nach Sachthemen befragt wollen über 80% den Mindestlohn, aber sie wählen die andere Partei.

          • In Dubio 21. Oktober 2013, 16:58

            Wieso ist das schizophren? Ich wünsche mir auch einen Lottogewinn, eine andere Euro-Politik, Städte mit viel Parkraum. Ich verrate hoffentlich kein großes Geheimnis: das sind entweder keine wahlentscheidenden Themen oder ich sehe die politischen Vorschläge bestimmter Parteien als nicht glaubwürdig / seriös / tragfähig ein. Ein wichtiges Entscheidungskriterium war für mich die Steuerpolitik. Am Wochenende habe ich mich mit jemandem unterhalten, der hätte den Piraten nahegestanden. Da er jedoch kein Vertrauen in deren Personal hatte, ist er nicht wählen gegangen. Will sagen: Ein Thema kann populär sein, das bestimmt jedoch noch nicht die Priorität für den Bürger.

          • Nicolai Hähnle 21. Oktober 2013, 17:12

            Die Unterscheidung zwischen täglich anfallenden bzw. nicht anfallenden Ansprüchen ist absurd. Wir haben nun einmal Verteilungsmechanismen in der Gesellschaft, und alle davon agieren täglich.

            Ja, das EEG wirkt täglich, und wenn man das nicht mag, dann ärgert einen das. Aber auch die Aufspreizung der Vermögensungleichheit wirkt täglich, und ärgert einen, wenn man das nicht wag.

            Daraus lässt sich kein grundsätzlicher Dringlichkeitsunterschied ableiten.

          • In Dubio 21. Oktober 2013, 17:26

            Auf diese Art ist das Philosophie. In unserem Rechtsstaat gibt es jedoch Grundsätze. Und diese parallel angewendet führen zu dem, was jeder gescheite Unternehmer tut und die meisten Wissenschaftler raten: wenn ich nicht weiß, wie eine Sache ausgeht, fange ich langsam an und gehe nicht gleich in die Vollen. Nur ein Kind setzt gleich zu Beginn alles auf Rot.

          • Nicolai Hähnle 21. Oktober 2013, 18:48

            Auf einmal ist also auch bei der Novellierung des EEG Vorsicht geboten… witzig, wie sich die Story so ändert 😉

          • Stefan Sasse 21. Oktober 2013, 20:53

            Generell sollte man in die Ergebnisse nicht zu viel reinlesen. Mir ging es auch mehr um den politischen Druck als solchen, und der kommt nicht von „dem Volk“, sondern von den Zwängen aller politischen Institutionen. Im Fall der SPD sind es vor allem die Wählerschaften der LINKEn und die eigenen Parteimitglieder, also die SPD-Wähler, die den flächendeckenden Mindestlohn haben wollen und die nicht bereit sind, weitere Verzögerungen hinzunehmen.

    • techniknörgler 23. Oktober 2013, 05:10

      „Wem das bekannt vorkommt, war vielleicht schon mal im Bordell. Dieses legale Gewerbe funktioniert genau nach diesem Modell. Aber Euch fällt nur ein: höhere Preise oder ein Betrieb muss verschwinden.“

      Ihnen ist schon klar, dass sie damit jetzt eine Steilvorlage für noch mehr Verbotsforderungen gestellt haben?

      Das zeigt doch nur, dass wenn man mit staatlichen Regulierungen wie einem Mindestlohn und gut gemeinten Gesetzen „zugunsten“ der Beschäftigten eine Branche nicht auf den Pfad der Tugend zurück bringen kann, sondern sich die Lage noch verschlechtert, der Staat diesem Sundnpfuhl entdüglit das Wasser abgraben muss.

      Unsittliches wie Prostitution war ja schon einmal illegal. Also: Prostitution verbieten. Und danach gewerbliche Frisuerdienstleistungen.

    • techniknörgler 23. Oktober 2013, 05:12

      “Wem das bekannt vorkommt, war vielleicht schon mal im Bordell. Dieses legale Gewerbe funktioniert genau nach diesem Modell. Aber Euch fällt nur ein: höhere Preise oder ein Betrieb muss verschwinden.”

      Ihnen ist schon klar, dass sie damit jetzt eine Steilvorlage für noch mehr Verbotsforderungen gestellt haben?

      Das zeigt doch nur, dass wenn man mit staatlichen Regulierungen wie einem Mindestlohn und gut gemeinten Gesetzen “zugunsten” der Beschäftigten eine Branche nicht auf den Pfad der Tugend zurück bringen kann, sondern sich die Lage noch verschlechtert, der Staat diesem Sündenpfuhl entdügltig das Wasser abgraben muss.

      Unsittliches wie Prostitution war ja schon einmal illegal. Also: Prostitution verbieten. Und danach gewerbliche Frisuerdienstleistungen.

      • In Dubio 23. Oktober 2013, 11:57

        Das zeigt nur, dass jedes Beispiel nur ein Stück des Weges trägt. Die linken Parteien wie die meisten Mindestlohnbefürworter verhalten sich wie Kinder: ich will, ich will, ich will. Tatsächlich weiß der erwachsene, gebildete Mensch doch, dass die Veränderung des Ist-Zustandes nicht zwingend zu einer Verbesserung der Situation führt. Aus (kindlicher) Unzufriedenheit werfen wir etwas über den Haufen, ohne besser abzuwägen, was sind möglicherweise auch die Vorteile des IST. Kein Fußballverein schmeißt nach einer Niederlagenserie alle Spieler raus, sondern verändert punktuell. Kein Unternehmen trennt sich von sämtlichen Zulieferern und Kunden, wenn Verluste erwirtschaftet werden. So etwas machen nur Menschen, die geistig in der Kindheit stecken geblieben sind.

  • Theophil 20. Oktober 2013, 18:16

    Ein prinzipieller Widerspruch, der auf die gesamte Diskussion um den Mindestlohn zutrifft.

    Bei der Eurokrise haben wir den Trade-Off von Inflation und Arbeitslosigkeit diskutiert. Sollten wir mehr in Deutschland mehr Inflation aka Lohnsteigerungen zulassen um die notwendige Anpassung in der Eurozone zu erreichen oder erwarten wir Lohnsenkungen in unseren Nachbarländern und akzeptieren die resultierende Arbeitslosigkeit.

    Ein dabei hofft gehörtes Argument: Arbeitslosigkeit ist in ihren Folgen fatal und deutlich schlimmer als Inflation.

    Bei der Diskussion um die möglichen Folgen eines Mindestlohns wird die drohende Arbeitslosigkeit plötzlich beiseite gewischt oder wie hier sogar wünschenswert genannt. Da wittere ich einen inneren Widerspruch.

    Übrigens ist ja sogar das eher gewerkschaftsnahe DIW vom Mindestlohn nicht überzeugt. Es gibt hier also nicht nur die „prinzipiellen Ablehner“.

  • Stefan Sasse 20. Oktober 2013, 19:52

    Ich habe den Tenor des Artikels absichtlich im Ungefähren gehalten – ich bin keineswegs überzeugt davon, dass die positiven Effekte eintreten. Es ist möglich, dass sie es tun, aber nicht sicher. Das bitte ich bei der Einschätzung mit zu bedenken. 🙂

  • In Dubio 21. Oktober 2013, 07:18

    Das Problem ist nicht der Mindestlohn, das Problem sind die Ziele, die damit verfolgt werden sollen. Entweder sind sie nicht erreichbar oder hoch umstritten.

    Es beginnt mit der Schaffung des perfekten Arguments, wie der Spiegelfechter das vorexerziert hat. Jens Berger behauptet in schöner Wiederholung, eine Lohnuntergrenze würde keine Beschäftigung vernichten. Letzte Woche schreibt sein Kompagnon, und wenn der Mindestlohn Arbeitsplätze vernichtet, dann ist das wünschenswert. So ein Unsinn widerspricht doch unserem gesunden Menschenverstand: entweder die Geschäftsstrategie funktioniert, prima. Wenn nicht, haben wir auch unser Ziel erreicht. Die Menschen werden immer ehrlich sein, das ist gut. Und wenn nicht, ist das auch gut.

    Bei einem normalen Vollzeitjob mit acht Stunden Arbeitszeit täglich verdient ein Arbeitnehmer bei vier Wochen mit fünf Arbeitstagen im Monat 1360 Euro – brutto. Davon bleiben einem kinderlosen Single 1009,50 Euro.

    Leider siehst Du die eigene Ironie nicht. Steuern, so unser Konzept der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, sollen nur von jenen gezahlt werden, die sich das leisten können. Wenn wir der Ansicht sind, dass 1.300 EUR das Existenzminimum darstellen, dann ist der Grundfreibetrag im Steuerrecht auf diesen Wert anzuheben und nicht Arbeitgeber zu verpflichten, so viel Lohn zu zahlen, damit der Arbeitnehmer nebenbei noch gesellschaftliche Aufgaben übernehmen kann. Das ist sizilianisches Denken: erst wird der Pate bedacht.

    Der Mindestlohn solle verhindern, dass Menschen trotz Vollzeitarbeit zum Sozialamt müssten. Das sind momentan so 400.000 Arbeitnehmer, für die wir nun ein Gesetz schaffen wollen. Nur hat eine Untersuchung auf Basis der SOEP-Zahlen gezeigt, dass selbst bei einer Untergrenze von 8,50 EUR nur ein Bruchteil nicht mehr auf Stütze angewiesen wäre. Die Relationen würden sich selbst bei 10 EUR nicht sonderlich verändern. Man kann das glauben. Wenn nicht, dann blickt man auf die Kommentare beim Spiegelfechter, wo sehr viele behaupten, auch der Mindestlohn der Linkspartei sei bei weitem nicht ausreichend. Die Befürworter zerlegen ihr eigenes Argument.

    Würden bestimmte Geschäftsmodelle verschwinden? Zweifel sind angebracht. Im schlimmsten Fall würden sie anders, eben nicht kontrollierbar, organisiert. Wir kennen das von der Prostitution: Die Gutmenschen hatten die Absicht, mit der Legalisierung die armen Frauen von Zuhälterei und Zwang zu befreien. Die Polizei sieht seit langem dieses gut gemeinte Gesetz als Kardinalproblem zur Überwachung und Schutz des Gewerbes. Wenn wir einen Mindestlohn von 8,50 EUR für Tätigkeiten setzen, wo sich Schwarzarbeiter für 6 EUR finden, so sind wir dreifach angeschmiert: die bisher regulär Beschäftigten verlieren ihren Arbeitsplatz, der Staat verliert Steuern und Abgaben und zahlt dafür noch mehr Stütze.

    Aber wir würden uns gut dabei fühlen.

    • techniknörgler 23. Oktober 2013, 05:19

      „Die Gutmenschen hatten die Absicht, mit der Legalisierung die armen Frauen von Zuhälterei und Zwang zu befreien. Die Polizei sieht seit langem dieses gut gemeinte Gesetz als Kardinalproblem zur Überwachung und Schutz des Gewerbes. Wenn wir einen Mindestlohn von 8,50 EUR für Tätigkeiten setzen, wo sich Schwarzarbeiter für 6 EUR finden, so sind wir dreifach angeschmiert: die bisher regulär Beschäftigten verlieren ihren Arbeitsplatz, der Staat verliert Steuern und Abgaben und zahlt dafür noch mehr Stütze.“

      Das ist jetzt aber ein Widerspruch: Man kann nicht sagen, bei der Prostitution hätte die Legalisierung die Kontrollmöglichkeiten verschlechtert und wie bräuchten jetzt wieder ein enges, gesetzliches Korsett das viel verbietet, und in Bezug auf den Mindestlohn sei ein solches Korsett schädlich und sein fehlen würde eine bessere Kontroll- und Steuermöglichkeit für staatliche Behörden liefern.

  • Nicolai Hähnle 21. Oktober 2013, 17:17

    Wenn wir der Ansicht sind, dass 1300€ das Existenzminimum darstellen, dann können und sollten wir trotzdem genauso der Ansicht sein, dass Unternehmen ganz selbstverständlich auch dann ihren Beitrag zum Gemeinwesen leisten müssen, wenn sie Menschen nur zu einem Lohn einstellen, der eben dieses Existenzminimum gewährt.

    Arme Menschen werden ja auch nicht pauschal von der Mehrwertsteuer befreit oder so.

    • In Dubio 21. Oktober 2013, 17:34

      … arme Menschen werden aber in den bekannten OECD-Staaten von der Einkommensteuer befreit, wenn sie am Existenzminimum leben.

      Wie gesagt, ein Unternehmer muss verdienen, was er seinen Beschäftigten zahlen soll. Bisher waren Löhne immer noch Verhandlungssache und keine der ethischen Weltanschauung. Und wenn Deutschland eine der niedrigsten Selbständigenquoten hat, dann sind auch Leute wie Sie aufgerufen zu fragen, warum das so ist und wie man das ändern könnte. Mit einer Pflicht für Akademiker, entweder als Unternehmer Dienst an der Gesellschaft zu tun, in dem man mindestens 5 Arbeitnehmer beschäftigt oder die Kosten für das sündhaft teure Studium zurückbezahlt?

      Wäre doch eine Idee.

  • techniknörgler 23. Oktober 2013, 04:45

    „Ich bin der Überzeugung, dass die Kongruenz des drohenden Jobverlusts von bis zu einer Million und der Zahl der Aufstocker bei rund einer Million kein Zufall sein kann. Bei den bedrohten Jobs handelt es sich um solche, deren Geschäftsmodelle als Grundlage haben, dass den Arbeitern kein Auskommen gegeben werden kann. Unter Marktbedingungen würde es diese Jobs überhaupt nicht geben.“

    Nur, wenn man Menschen, die nicht von ihrem Job leben können, verhungern lässt. Es setzt außerdem voraus, dass die Situation bei jedem gleich wäre: Wer mit jemand anderem die Wohnung teilt hat auch niedriger Lebenshaltungskosten.

    „Sie können nur existieren, weil der Staat die Gewinne dieser Unternehmen subventioniert.“

    Tut er nicht! Er stellt sicher, das der Einzelne nicht unter das Existenzminimum sinkt. Das ist alles. Auf den Stundenlohn kommt es dabei nicht an. Es kommt auf das Einkommen des Indidivuduums an. Aus welcher Arbeitszeit und ob es sich aus einem oder zwei Jobs zusammensetzt ist hierfür nicht von Bedeutung (höchstens falls jemand in einer Tätigkeit weniger als 15 Stunden die Wocher arbeitet und somit die Grenze zur Sozialversicherungspflicht nicht überschritten wird, gibt es einen Unterscheid).

    Der Markt passt sich sinnvollerweiße daran an, dass niemand in dieser Gesellschaft verhungern muss.

    Klar, dadurch können Menschen angestellt werden, die ansonsten verhungern würden. Aber diese Menschen verhungern hier halt nicht, sondern müssen von der Gesellschaft versorgt werden, egal ob sie ihren eigenen Lebensunterhalt vollständig bestreiten können oder nicht.

    Man verzichtet durch einen Mindestlohn darauf das Arbeitsleistung erbracht wird, obwohl die Kosten der Volkswirtschaft nicht um den vollen Wert dieser nicht erbrachten Arbeitsleistung sinken. Unter dem Strich also ein Minusgeschäft. Das ist nicht sinnvoll und hier erkennt man, warum die Anpassung des Marktes an diese Situation sinnvoll ist.

    • Nicolai Hähnle 23. Oktober 2013, 08:55

      Diese Überlegungen beziehen aber nur oberflächliche Aspekte mit ein, während tiefer gehende Anreizaspekte ignoriert werden.

      Wenn die abhängige Beschäftigung unterhalb eines Mindestlohns nur bei Non-Profits geschehen würde, dann fände ich das gar nicht so schlimm. Das wäre auch nicht ideal – Wohlfahrtsverbände mit dreckigen Arbeitsbedingungen und niedrigem Lohn werden zurecht kritisiert – aber dann würde ich deine Einschätzung tatsächlich weitgehend teilen.

      Das Problem ist, dass der Niedriglohnsektor zum großen Teil bei gewinnorientierten Unternehmen liegt. Konkret: Die aktuelle Gesetzeslage ermöglicht es Unternehmern, von der Notsituation, die durch Massenarbeitslosigkeit erzeugt wird, zu profitieren.

      Das ist schlicht eine perverse Anreizsituation.

      Man muss sich das klar vor Augen führen: Es ist für Unternehmen und Unternehmensverbände profitabel, Geld für Lobbyarbeit auszugeben, deren Ziel die Aufrechterhaltung von Massenarbeitslosigkeit ist. Durch die Massenarbeitslosigkeit wird das Lohnniveau derart gesenkt, dass die „Investition“ in Lobbyarbeit am Ende verdammt rentabel ist.

      Aus dieser perversen Anreizsituation müssen wir irgendwie raus.

      Ich denke auch nicht, dass der Mindestlohn dafür das perfekte Mittel ist. Intelligenter wäre es, an der Wurzel anzusetzen und die Massenarbeitslosigkeit abzuschaffen. Aber dafür gibt es in der heutigen politischen Situation leider keine effektive Mehrheit.

      • In Dubio 23. Oktober 2013, 11:50

        Das zeigt ehrlich gesagt, wie ideologisch indoktriniert Sie sind.

        Man muss sich das klar vor Augen führen: Es ist für Unternehmen und Unternehmensverbände profitabel, Geld für Lobbyarbeit auszugeben, deren Ziel die Aufrechterhaltung von Massenarbeitslosigkeit ist.

        Wie wir vor ein paar Wochen von Wissenschaftlern erfahren haben, sind Niedriglöhner weit über überproportional bei Kleinunternehmern beschäftigt. Hätte es dazu einer Studie bedurft? Dazu muss man eigentlich nur in die Kneipe gehen, sich in der örtlichen Presse nach Putz- und Pflegekräften erkundigen oder schauen, wer Ausfahrer sucht. Denken Sie, diese Leute bekommen 20 EUR die Stunde? Anscheinend ja. Was wissen wir wiederum über Kleinunternehmer (also nicht Sie, das setze ich nicht voraus)? Die Profitabilität von Kleinunternehmern ist im Schnitt weit geringer als die von mittelständischen und Großunternehmen. Die Eigenkapitalquote ist ebenfalls gering. Kennzeichnend für Kleinunternehmer ist nicht selten eine Selbstausbeutung. Was Kleinunternehmer eher weniger können: sich in Lobbygruppen organisieren, die Arbeitgeberverbände werden von den großen und mittleren Unternehmen beherrscht. Daher verwundert nicht (Sie natürlich schon), dass es gerade diese Großunternehmen die von ihnen dominierten Verbände sind, die (relativ hohe) Branchenmindestlöhne durchsetzen und es sind die weitgehend einflusslosen Lobbygruppen der Familien- und Jungunternehmer, die sich gegen die Monopolisierungstendenzen stemmen.

        Wenn Sie als heute Abend Ihr Bierchen zischen, fragen Sie mal die Bedienung nach ihrer Entlohnung. Und sollten Sie zu Ihren ethischen Überzeugungen stehen, dann verlassen Sie umgehend das Lokal, sollte sie nicht mindestens 10 EUR Stundenlohn erhalten. Sie ziehen nämlich dann Ihr billiges Bierchen auf dem Rücken dieser Ausgebeuteten.

        • Nicolai Hähnle 23. Oktober 2013, 12:51

          Natürlich: Großunternehmen lagern bestimmte Dinge gerne in Kleinunternehmen aus. Die besagten Paketzusteller sind dafür ein schönes Beispiel…

          Fakt ist, dass hier einfache Marktmechanismen im Spiel sind: Massenarbeitslosigkeit wird gezielt eingesetzt, um Menschen in Notsituationen zu bringen, die ausgenutzt werden kann.

          Um so besser, wenn das indirekt über Subunternehmer geschieht – darauf fallen die Leute offenbar immer noch herein.

          Es ist schon richtig, dass der Mindestlohn kein ideales Werkzeug ist. Eigentlich muss man an der Wurzel ansetzen und gezielt Massenarbeitslosigkeit eliminieren. Aber leider gibt es dafür noch keine politische Mehrheit, leider auch nicht auf der linken Seite des politischen Spektrums. Lobbyarbeit kann sich eben ziemlich gut rentieren…

          • Stefan Sasse 23. Oktober 2013, 13:18

            Hm, In Dubio hat mit dem Argument schon nen Punkt, Nicloai, den du (noch) nicht effektiv widerlegen kannst. Diese Leute können ja tatsächlich keine Lobbyarbeit leisten. Die Erklärung müsste also angepasst werden, oder?

          • In Dubio 23. Oktober 2013, 13:53

            Natürlich: Großunternehmen lagern bestimmte Dinge gerne in Kleinunternehmen aus.

            Stimmt, Unternehmen könnten auch Friseure beschäftigen und dies nicht outsourcen. Oder sie könnten Kneipen unterhalten, damit man sich nach dem Job so richtig besaufen kann. Warum soll ich als Konzern etwas machen, was ich nicht wirklich effektiv steuern kann (wie z.B. Putzkolonnen), mir damit noch zusätzliche Arbeit aufhalsen wie Lohnabrechnungen und bei schlechten Putzhilfen den Ärger in Kauf nehmen? Tun Sie privat ja auch nicht. Oder gehen Sie nicht lieber in den Supermarkt, kaufen dort Ihr Obst statt es mühselig zu pflücken?

            Das mit der Massenarbeitslosigkeit ist bei genauer Betrachtung auch ein Bumerang-Argument. Wann ist den Arbeitslosigkeit rasant gestiegen? als die Lohnabschlüsse in den 1970er und 1980er Jahren deutlich über der Produktivitätsentwicklung lagen. Und in den 1990er Jahren, als in Ost-Deutschland ein „Aufholprozess“ stattfand. Zweiter Einwand: Wie soll man einem qualifizierten Beschäftigten wirksam mit einem Arbeitslosen drohen? Deutschland hat den höchsten Stand an Langzeiterwerbslosen in der OECD, 50 Prozent der Arbeitslosen haben seit mehr als 1 Jahr keine Fabrikhalle von innen gesehen. Demnach wäre das Erpressungspotential in den USA, Großbritannien oder Frankreich weit höher, dennoch soll Deutschland mit den größten Niedriglohnsektor haben. Der Arbeitsmarkt in eine geschlossene Veranstaltung, wer an der einen Stelle rausfliegt, steigt an der anderen wieder ein.

            Das funktioniert also alles nicht als Argument.

            • Nicolai Hähnle 23. Oktober 2013, 14:49

              Wer betreibt denn die ganze Lobbyarbeit, die auf Lohnsenkung mit allen Mitteln abzielt? Folge dem Geld war schon immer eine sinnvolle Perspektive, und die Empirie gibt mir da Recht.

              Was du hier anführst sind im Übrigen auch alles keine Gegenargumente, auch wenn du offenbar recht erfolgreich darin bist, andere in die Irre zu führen. Gehen wir das mal einzeln durch:

              1. Die Sache mit dem Subunternehmertum: Solange das Subunternehmen wirklich eigenständig ist (d.h. für verschiedene Auftraggeber arbeitet) ist da nichts grundsätzlich Anrüchiges dabei – hat auch niemand behauptet.

              Aber natürlich profitieren die Großunternehmen dann auch von dem Lohndumping, das in diesen Subunternehmen geschieht – darum geht es.

              2. Nein, die Großunternehmen profitieren nicht davon, dass Kellner wenig verdienen. So what?

              3. Du versuchst hier so eine merkwürdige Dichotomie aufzubauen, von Großunternehmen, bei denen alles toll ist und die Löhne hoch, und Kleinunternehmen, bei denen das nicht so ist. Aber Großunternehmen machen nur all zu gerne beim Leiharbeiter-Betrieb mit.

              4. Was das „Erpressungspotential“ angeht (ich würde das übrigens nicht so nennen): In jeder Tarifrunde auch bei Großunternehmen wird immer zumindest implizit (meist recht explizit) damit gedroht, dass im Zweifelsfall Arbeitsplätze verloren gehen. Warum wird diese Drohung denn ernst genommen? Natürlich wegen der Massenarbeitslosigkeit.

              5. Löhne sind untereinander gekoppelt, und die Unternehmen, die in Lobbyarbeit investieren, verstehen das auch.

              Wenn am unteren Ende die Löhne stagnieren, dann dämpft das auch die Entwicklung weiter oben in der Qualifizierungsskala. Diese Kopplung läuft über einen ganz normalen Marktmechanismus: Im Zweifelsfall kann man als Unternehmen jüngere oder weniger qualifizierte Arbeiter einstellen und diese noch ein wenig weiterbilden. Das sieht sogar für beide Beteiligte gut aus, weil der neue Arbeiter dann mehr verdient, als er anderswo verdienen würde. Insgesamt bleibt das Lohnniveau aber trotzdem gedämpft.

          • Stefan Sasse 23. Oktober 2013, 15:33

            Nikolai, consider me on your boat.

            In Dubio, deine Erklärungsansätze für die Ursache der Massenarbeitslosigkeit sind bestenfalls einseitig. Da spielen noch mehr Ursachen als höhere Lohnabschlüsse eine Rolle.

          • In Dubio 23. Oktober 2013, 17:15

            Solange das Subunternehmen wirklich eigenständig ist (d.h. für verschiedene Auftraggeber arbeitet) ist da nichts grundsätzlich Anrüchiges dabei.

            Wo ist dann das Problem? Selbst die Putzkolonnen haben i.d.R. zahlreiche Auftraggeber, genauso die Wach- und Schließgesellschaften. Das sind nun mal die typischen Branchen, wo Niedriglöhne bezahlt werden. Dann reden wir aber auch nicht von Subunternehmern, solche sind vor allem in Projektarbeiten anzutreffen. Alles andere sind Lieferanten. Jedenfalls sollten Sie, solange Sie Ihre Sicht auf die Welt beibehalten, nicht mehr in Kneipen, Restaurants und Supermärkte gehen, denn Sie laufen stets Gefahr, Profiteur von Lohndumping zu werden.

            Du versuchst hier so eine merkwürdige Dichotomie aufzubauen, von Großunternehmen, bei denen alles toll ist und die Löhne hoch, und Kleinunternehmen, bei denen das nicht so ist.

            … schreibt jemand, der sich offensichtlich noch nie beworben hat. Ja, natürlich zahlen Großunternehmen i.d.R. deutlich besser und Mittelständler liegen im Gehaltsniveau über Kleinunternehmen bis 50 Mitarbeitern. Das erfährt jeder, der sich bewirbt und jeder, der sich mit Gehaltsstatistiken befasst hat. Sie machen den Eindruck eines absoluten Theoretikers.

            In jeder Tarifrunde auch bei Großunternehmen wird immer zumindest implizit (..) damit gedroht, dass im Zweifelsfall Arbeitsplätze verloren gehen. Warum wird diese Drohung denn ernst genommen? Natürlich wegen der Massenarbeitslosigkeit.

            Noch so ein Beispiel. In jeder Tarifrunde in jeder wichtigen Branche beginnen die Gewerkschaften mit „Warnstreiks“, kaum das die erste Verhandlungsrunde vorbei ist. Sie drohen mit breit angelegten Streiks, zu denen es häufig allerdings nicht kommt, weil die von den großen Konzernen beherrschten Arbeitgeberverbände zu gerne und zu willig sofort einknicken. Seit 30 Jahren droht kein Arbeitgeberverband mehr mit Aussperrung, obwohl dies doch das spiegelbildlich Instrument der Arbeitgeber zu Streiks ist. Warum wohl? Natürlich können zu hohe Lohnabschlüsse zu Arbeitsplatzverlusten und -verlagerungen führen. Was denn sonst?

            Wenn am unteren Ende die Löhne stagnieren, dann dämpft das auch die Entwicklung weiter oben in der Qualifizierungsskala.

            Wir haben in den letzten 20 Jahren in der OECD genau das Gegenteil erlebt. Wieder schlägt Empirie Theorie.

          • In Dubio 23. Oktober 2013, 17:22

            In Dubio, deine Erklärungsansätze für die Ursache der Massenarbeitslosigkeit sind bestenfalls einseitig. Da spielen noch mehr Ursachen als höhere Lohnabschlüsse eine Rolle.

            Ach ja? Sicher, wir haben dann noch das Problem der Vermachtung von Arbeitsmärkten durch Gewerkschaftsmacht und hohe Eintrittsbarrieren, wie wir das in Griechenland und Italien beobachten können. Aber auch diese Aspekte führen eben zu überhöhten Löhnen.

            Wir haben in der OECD ja in den Staaten nicht einen Gleichklang von Perioden, wo die Arbeitslosigkeit steigt und wo sie sinkt. Wir haben Staaten mit hohem Konsumanteil und niedriger Arbeitslosigkeit und wir haben Staaten mit hohem Exportanteil und hoher Arbeitslosigkeit. Und alles gilt auch umgekehrt. Es ist vorteilhaft, mehr als 30 Jahre Wirtschaftsentwicklung überblicken zu können.

  • Manfred Peters 23. Oktober 2013, 17:27

    Ein dickeres Brett
    „…Zudem senkt das weit bessere skandinavische Bildungssystem* den Anteil der gering Qualifizierten. …“
    Was hat das und noch viel mehr mit dem Thema zu tun? So einiges, wenn man sich außer billiger Polemik und neoliberaler Propaganda damit auseinandersetzen will.

    Anm.: Wollte mich nicht an der Diskussion beteiligen, da aber hier ein „Zweifelnder-Rechthaber“ unter Ausnutzung seiner geduldete Lufthoheit immer neue Blendgranaten verschießt und Andersdenkende als indoktriniert anpöbelt , habe ich es mir anders überlegt.
    Ob seines unendlichen Apologeten-Wissens ist er offensichtlich bei der Verteilung des Wirtschaftsnobelpreises übersehen worden. 🙁

    * OT für den Autoren: In Schweden macht man das Abitur auch nach 12 Schuljahren und es gibt weitere Ähnlichkeiten die aus der DDR-Bildung bekannt sind. 😉

  • In Dubio 24. Oktober 2013, 10:07

    Interessanterweise spielt für so ziemlich jeden, der sich als links definiert und bloggt oder kommentiert, die Seite der Minderheit keine Rolle. Es finden sich sozialpolitische, volkswirtschaftliche und finanzwirtschaftliche Argumente. Nur eins weisen solche – bis hin zu Stefan Sasse und Nicolai Hähnle – weit von sich: eine objektive Position einzunehmen. Gerade die Studierten hätten eine besondere Pflicht, an die Gesellschaft, die sie so lange großzügig unterstützt und gefördert hat, einen Beitrag zurückzugeben, der sich nicht darin erschöpft, nette Kommentare zu schreiben, selbstverstandene Empathie zu zeigen und ansonsten für das eigene Auskommen zu sorgen und den eigenen steuer- und sozialrechtlichen Pflichten nachzukommen. Jede freie Gesellschaft, jede Gesellschaft, die Wohlstand schaffen will, benötigt nicht in erster Linie qualifizierte Arbeitnehmer. Sie benötigt an aller erster Stelle innovative, engagierte Unternehmer. Um so fragwürdiger ist eine Haltung, sich als Akademiker auf die Position zurückzuziehen und sich der Verantwortung für seine Mitmenschen zu verweigern.

    In einer brandaktuellen Studie beklagt der DIHK, dass es für Unternehmen immer schwieriger wird, die Firmennachfolge zu regeln. Es gibt einfach zu wenig geeignete Leute mit unternehmerischem Engagement. Die öffentliche Haltung, wie auch hier vorgetragen – Unternehmen und Unternehmer gibt es einfach und ansonsten stellen wir Forderungen – leistet dem großen Vorschub.

    • Nicolai Hähnle 24. Oktober 2013, 10:23

      Ich finde Diskussionen auch viel besser, wenn ich mir einfach frei ausdenke, welche Haltung mein Gegenüber vertritt.

      Jede freie Gesellschaft, jede Gesellschaft, die Wohlstand schaffen will, benötigt nicht in erster Linie qualifizierte Arbeitnehmer. Sie benötigt an aller erster Stelle innovative, engagierte Unternehmer.

      Ähhh… nein. Erstens sind in der Regel und mit wenigen Ausnahmen nicht die Unternehmer selbst innovativ; von daher: schöner Versuch des Framings, aber ziemlich transparent unsinnig. Das fällt also schon mal flach.

      Zweitens ist das mal wieder so eine falsche Dichotomie. Die Gesellschaft braucht Leute, die neue gesellschaftliche Strukturen schaffen; Unternehmer gehören dazu, solange sie neue Unternehmen aufbauen. (Firmennachfolge gehört in diesem Sinne also eigentlich nicht zum gesellschaftlich interessanten Teil des Unternehmertums.)

      Aber auch Leute, die neue Strukturen schaffen, erreichen in einem Vakuum nur ziemlich wenig.

      • In Dubio 24. Oktober 2013, 10:43

        Eindeutig wohnen Sie nicht in Berlin oder in einer sonstigen innovativen Gegend.

        Erstens sind in der Regel und mit wenigen Ausnahmen nicht die Unternehmer selbst innovativ.

        Sie kennen sicher nicht das Unternehmen Zalando. Das Unternehmen mit Sitz in Berlin beschäftigte bereits 2011 2.500 Mitarbeiter bei einem Jahresumsatz von einer halben Milliarde Euro. Das Unternehmen wird von den Gründern geführt. Klar, da kam irgendwann jemand mit einer pfiffigen Geschäftsidee zu ihnen und bot ihnen diese im Gegenzug für ein Jobangebot an. Hatte ich fast vergessen zu erwähnen. Jedenfalls sind Unternehmen wie diese dafür mitverantwortlich, dass so alteingesessene Warenhausketten wie Karstadt heute am Stock gehen. Diese sind mitarbeitergeführt. Ich könnte Ihnen zig solcher Unternehmen allein in Berlin nennen – junge, innovative Unternehmen. In keinem Fall ging der Anstoß zur Gründung von späteren, nachgeordneten Mitarbeitern aus. Und die Unternehmen sind in dem Moment tot, wo sich der Gründer zurückzieht.

        Firmennachfolge gehört in diesem Sinne also eigentlich nicht zum gesellschaftlich interessanten Teil des Unternehmertums.

        Klar, ist natürlich besser ein profitables Unternehmen lieber irgendwann zu schließen und die Mitarbeiter zu entlassen.

        P.S.: Bitte seien Sie nicht so selbstverliebt in Ihre Fremdwörter. Ihre Verwendung mag manchmal sinnvoll sein. Üblicherweise setzt man nicht sehr geläufige Worte jedoch einmalig ein und wiederholt sie nicht permanent.

        • Nicolai Hähnle 24. Oktober 2013, 10:57

          Natürlich, die Gründer dieser Unternehmen sind alleine für den Erfolg verantwortlich, genauso wie Cäsar ganz alleine Gallien erobert hat.

          Und ausgerechnet Versandhandel als Beispiel für Innovation durch Unternehmer anzuführen ist schon ziemlich dreist. Da gibt es im High-Tech-Bereich deutlich bessere Beispiele – aber die machen eben auch nur einen kleinen Teil aller Neugründungen aus. Die meisten Unternehmer sind nicht innovativ.

          • In Dubio 24. Oktober 2013, 11:44

            Über den Begriff und den Sinn von Innovation entscheiden zum Glück nicht Sie. Der Begriff Innovation ist nicht auf das produzierende Gewerbe beschränkt. Demnach wären die USA oder Frankreich sehr wenig innovativ, da das produzierende Gewerbe dort für 15% und weniger der Wirtschaftsleistung verantwortlich ist.

            Ja, klar, Sie müssten sich einmal etwas mit Start-ups beschäftigen, sonst würden Sie nicht so wenig bar irgendeiner Ahnung schreiben. Diese Unternehmen beginnen – wie das so ist – sehr klein, eine Weile sind nur die Innovatoren an Bord. Dann stellt man den ein oder anderen Sachbearbeiter ein, organisiert den kaufmännischen Bereich dagegen weitgehend außer Haus. Bis das Unternehmen wächst. Dann holt man Entwickler, Managementkapazität, mehr Sachbearbeiter. Das ist der typische Weg und für jeden Kapitalgeber ist klar, wer das Unternehmen trägt. Wem das nicht klar ist, sind Leute, die sich als Theoretiker gefallen und jede unternehmerische Verantwortung scheuen.

            Hätten die Römer Gallien ohne Cäsar erobert? Historiker verneinen gemeinhin diese Frage, denn das heutige Frankreich galt als nicht zu erobern. Es braucht immer jemanden, der against all Odds etwas risikiert und das organisiert. Hat Hitler allein den Krieg im Osten verloren?

          • Nicolai Hähnle 24. Oktober 2013, 13:14

            Bleiben wir erst einmal bei dieser bizarren Klammer: Es geht nicht um produzierendes Gewerbe oder nicht, es geht um Innovation oder nicht, und ob diese Innovation durch individuelle Unternehmer getätigt wird oder doch eher durch ein Unternehmen als Ganzes.

            Vergleicht man zum Beispiel stellvertretend Google und Amazon, dann sieht man sicherlich zwei Unternehmen, die beide innovativ arbeiten. Aber bei Google steht am Anfang eine ganz klare Erfindung durch die Unternehmensgründer. Bei Amazon gibt es das nicht.

            Die überwiegende Mehrheit der Unternehmensgründungen sieht eher aus wie Amazon als Google. Natürlich gibt es auch echte Technologie-Startups, aber selbst in der sogenannten Web 2.0-High-Tech-Startupszene, mit der ich mich übrigens offenbar besser auskenne als du, gibt es bezogen auf Innovation mehr heiße Luft und „me toos“ als innovative Substanz. Gerade die Internet-Tech-Szene zelebriert sich gerne über die Maßen selbst.

            Wie ich schon vorher geschrieben habe: Natürlich haben echte Unternehmer eine Rolle zu spielen. Es ist wichtig, dass immer wieder neue Strukturen aufgebaut werden. Das ist übrigens auch vollkommen unabhängig davon, ob dabei Innovation passiert oder nicht.

            Aber diese Vergötterung der Unternehmer, die durch Lobbyarbeit in unserer Gesellschaft propagiert wird, und die du auch von dir gibst, ist einfach vollkommen daneben. Unternehmer sind keine wichtigeren Menschen, die man „zuerst“ braucht. Nur im Zusammenspiel kann die Gesellschaft gut funktionieren.

          • In Dubio 24. Oktober 2013, 14:50

            Eine Innovation ist auch eine neue Vertriebsform, eine neue Dienstleistung, eine neue Organisationsform. Schlag‘ nach bei Josef Schumpeter. Das war ein österreichischer Ökonom und Philosoph. Warum funktioniert denn das klassische Warenhaus nicht mehr? Weil die Kunden andere Formen des Kaufens wollen. Und warum macht Zalando so viel richtig und Karstadt so viel falsch? Ich denke, in beiden Konzernen sitzen Mitarbeiter, die ihr Handwerk beherrschen. Das kann es also nicht sein. Sie können nicht sagen, Karstadt hat halt ein schlechtes Management und Zalando gute Mitarbeiter. So schaffen Sie wieder das perfekte Argument.

            Da Sie etwas gegen Amazon haben: Wieso hat der Internet-Buchhändler den Zusammenbruch der New Economy-Blase 2001 überlebt, BOL (das gab’s damals auch) jedoch nicht? Falsche Mitarbeiter? Quark. Ohne Jeff Bezos gäbe es kein Amazon, hätten hunderttausende Mitarbeiter weltweit keinen Job. Zumindest keinen bei einem Internet-Buchhändler.

            Im Zentrum eines tragfähigen Unternehmens steht eine intelligente Geschäftsidee und keine betriebliche Substanz. Die schaffen nicht Mitarbeiter, sondern Unternehmer. Sehen Sie sich Apple an, kaum ist der Gründer gestorben, lässt die Innovationskraft des Unternehmens drastisch nach. Haben die Apple-Leute ihren Spirit verloren? Oder nur ihren Spirit-Rektor?

            Sie kommen immer zu dem selben Punkt: Ohne Unternehmer gäbe es keine Unternehmen. Sie haben die Idee, sie organisieren – von der Beschaffung von Kapital über dem Akquirieren der ersten Kunden bis hin zur Einstellung neuer Mitarbeiter. Wer tut das aus Ihrer Sicht?

            Und nun drücken Sie sich nicht, sondern fragen sich, warum Unternehmertum für Sie nicht in Frage kommt und warum Deutschland so viele Unternehmer verloren hat und beispielsweise in der Türkei oder den USA weit mehr Menschen selbständig sind. Wenn wir schon nicht das Unternehmertum anbeten sollen.

          • Nicolai Hähnle 24. Oktober 2013, 15:55

            Sie lassen sich von einem monokausalen Erzählungsmuster blenden, das beim besten Willen nur auf einen winzigen Bruchteil der Wirtschaft anwendbar ist, und selbst bei ihren eigenen Beispielen nicht zieht.

            Immerhin scheinen Sie zu glauben, dass es ohne Jeff Bezos keinen Internet-Handel gäbe. Aber das kauft Ihnen nun hoffentlich wirklich niemand ab. Der Internet-Handel war eine Idee, deren Zeit einfach reif war.

  • Christian 29. Oktober 2013, 07:43

    Eine Sache möchte ich hier jetzt aber nochmal klarstellen. Die Befürworter eines Mindestlohns sind ganz eindeutig in einer absoluten Mehrheit. Und zwar befürworten über 81 % der Wähler einen Mindestlohn. Und jetzt kommt es. Die Mehrheit (56%) dieser Befürworter befürwortet einen Mindestlohn von 10 €. Die Bevölkerung ist offensichtlich sowas von links. Und deshalb wählt die Bevölkerung mit relativer Mehrheit die CDU/CSU, die gegen einen Mindestlohn ist. Diese Betonköpfe 😉

    http://wahl.tagesschau.de/wahlen/2013-09-22-BT-DE/umfrage-wahlentscheidend.shtml

    • In Dubio 29. Oktober 2013, 09:33

      Sie werden auch bei der Frage, ob es keinen Hunger in der Welt geben sollte, eine absolute Mehrheit zusammenbekommen. Demoskopisch sind das Wünsch-Dir-Was-Fragen. Und Sie bekommen bei der Frage nach Steuererhöhungen eine absolute Mehrheit, zumindest, wenn sie „die Reichen“ betreffen. Interessanterweise sehen sich in solchen Befragungen jedoch die wenigsten als „reich“ an, auch solche nicht, die es nach statistischer Definition sind.

      Bei Wahlen funktioniert das alles jedoch nicht und das sollte doch Mindestlohnbefürwortern und Steuererhöhern zu denken geben. Das wäre zumindest intelligent.

  • techniknoergler 29. Oktober 2013, 08:45

    Eine Frage an die Runde: Wie Unterscheidet sich eigentlich eine Job-Garantie, wie sie von MMTlern gerne befürwortet wird, eigentlich von einer ABM mit den von dort bekannten Problemen.

    • In Dubio 29. Oktober 2013, 11:27

      Eine Bitte vorweg: Begriffe, die nicht sonderlich gebräuchlich oder nicht eindeutig definiert sind, sollten in einem Text immer einmal ausgeschrieben sein, damit alle wissen, wovon die Rede ist. Die Modern Monetary Theory (MMT) beschäftigt sich ja mit der Theorie des Geldes und in diesem Zusammenhang mit Staatsfinanzierung und Staatsverschuldung. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) dagegen ist ein arbeitsmarktpolitisches Instrument.

      Interessant finde ich an der Theorie höchstens, dass man in Zeiten der Staatsschuldenkrisen alten Wein in neuen Schläuchen präsentiert, denn tatsächlich ist die Theorie als Chartalism weit über 100 Jahre alt und wurde von dem deutschen Ökonom G. F. Knapp 1895 begründet. Nur hat sich diese Geldtheorie nicht als führende Monetary Theory durchsetzen können. Das hat Gründe.

      • Nicolai Hähnle 29. Oktober 2013, 12:57

        Das hat Gründe.

        Ja, aber keine guten.

        Tatsächlich besteht ein Großteil der Modern Monetary Theory darin, Aussagen zu betonen, die eigentlich Banalitäten sein sollten. So etwa die Saldenmechanik, die nun wirklich nicht von der Hand zu weisen ist.

        Leider werden diese Banalitäten durch die Meinungsmacher aus ideologischen Gründen ausgeblendet. Die Folge ist, dass ein Großteil der Bevölkerung die einfachsten und grundlegendsten Zusammenhänge nicht kennt.

        Kein Wunder ist die Politik so vermurkst…

        • In Dubio 29. Oktober 2013, 14:55

          Klar, seit einem Jahrhundert wird die Theorie verkannt. Alles eine Weltverschwörung. Es gibt nur ein paar Aufgeklärter, unter anderem Sie. Da haben wir ja richtig Glück.

          • Nicolai Hähnle 29. Oktober 2013, 16:09

            Saldenmechanik ist keine Theorie sondern einfache Arithmetik, die sich direkt aus den Definitionen der Dinge ergibt. Das einzige Problem ist, dass sie unintuitiv ist.

            Das ist wie mit der Metallkugel und der Feder: Was davon fällt schneller? Die intuitive Antwort lautet: die Metallkugel – und im Alltag, wo es eben Luftwiderstand gibt, ist diese Antwort auch korrekt. Nimmt man die Luft weg, ist die Antwort auf einmal falsch, weil die zugrundeliegende Wahrheit – nämlich in diesem Fall: Gravitation wirkt auf alle Körper gleich stark – unintuitiv ist.

            Analog verhält es sich mit der Saldenmechanik. Im Alltag erleben wir nicht, dass das Geldwesen ein geschlossenes System bildet, im Sinne von: jede Einnahme des einen ist die Ausgabe eines anderen. Trotzdem ist es wahr, und sobald wir über die gesamtwirtschaftliche Ebene reden dürfen wir es nicht vernachlässigen.

            Im Übrigen wird dem auch von keinem Volkswirtschaftler widersprochen. Es gibt nur kurioserweise ein sehr großes Kontigent an Volkswirtschaftlern die nach einer Diskussion über die Saldenmechanik wieder an ihre Schreibtische zurückkehren und weiter Artikel verfassen, als gäbe es die Saldenmechanik nicht. Da herrscht eine gewisse kognitive Dissonanz.

          • In Dubio 29. Oktober 2013, 18:31

            Interessant, wie Sie es zwei Erwiderungen lang schaffen, sowohl an der Kernthese der Theorie als auch an dem eigentlichen Anlass (Wie unterscheidet sich eigentlich eine Job-Garantie, wie sie von MMTlern gerne befürwortet wird, eigentlich von einer ABM mit den von dort bekannten Problemen.) komplett vorbeizuschreiben. Die Kernthese ist, dass seit Aufhebung des Goldstandards der Wert des Geldes durch die Regeln des Gesetzgebers bestimmt wird:

            In a fiat currency system, the currency has legitimacy because of legislative fiat: the government tells us that’s the currency and then legislates it as such. The currency has no intrinsic value. What gives it value, what motivates us to use the currency that the government suggests, is the fact that all tax obligations are denominated in and have to be extinguished with that currency. We have no choice.

            Darüber kann man streiten. Die klassischen Monetary Theories gehen eher davon aus, dass der Wert des Geldes durch die zirkulierende Menge an Gütern bestimmt wird. Danach wird in den führenden Notenbanken die Geldpolitik gemacht und das ist den meisten Menschen auch einsichtig. Mit „Saldenmechanik“ hat das bestenfalls am Rande zu tun.

            In Bezug auf arbeitsmarktpolitische Instrumente kann MMT also vielleicht in Hinblick auf die These interessant sein, dass der Staat unbegrenzt Geld zur Verfügung hätte, da er Monopolist über das Geld ist und zudem die Regeln bestimmt. Der Staat könnte also mit stets neu gedruckten Scheinchen einen zweiten Arbeitsmarkt finanzieren. Das ist nun schon sehr weit abgeleitet, da die Theorie neu aufgelegt aus den USA kommt und dort ein solches Denken eher wesensfremd ist. Aber Sie haben es nicht mal probiert.

  • money 7. April 2014, 02:32

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