Die Verweigerer der Klimakrise haben einen wahren Kern in der Rettung der SPD vor den Sozialreformen – Vermischtes 04.11.2025

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Warum die Rede vom „wahren Kern“ keinen wahren Kern hat

Der Text kritisiert, dass Gerichte Trumps Einsatz der Nationalgarde mit der Logik eines „wahren Kerns“ stützten: Auch wenn übertrieben werde, fänden sich „andere Fakten“. Dies werde als gefährlich beschrieben, weil Propaganda so legitimiert werde und Recht vor Macht kapitulieren könne („No Kings?“). Grundsätzlich werde die Redewendung vom „wahren Kern“ verworfen: Einzelereignisse belegten keine Groß-Erzählung. Statt „wahrer Kern“ sei entscheidend, welches Narrativ die Wirklichkeit besser abbilde; Punkte ließen sich so verbinden, dass ein Zerrbild entstehe. Als Beispiel diene „Cancel Culture“: Sie werde als propagandistisches Machtmittel der extremen Rechten gedeutet; die Rede von Bedrohung der Meinungsfreiheit sei irreführend. Auch die These, die CDU bereite eine Zusammenarbeit mit der AfD vor, werde als falsche Erzählung bewertet – trotz realer Grenzverschiebungen und Tabubrüchen, die ihre Plausibilität erhöhen. Fazit: Die Suche nach „wahren Kernen“ solle enden; gefragt sei die Konstruktion tragfähigerer Erklärungen, um gefährlichen Unsinn zurückzuweisen. (Jonas Schaible, beimwort)

Ich sage schon länger, dass ein großes Problem der demokratischen Parteien ist, dass sie verlernt haben, Geschichten zu erzählen. Es fehlen Gegennarrative, die positive Geschichten erzählen würden. Seit zwei Jahrzehnten ist die Botschaft der SPD nun „wie die anderen, nur ein bisschen weniger scheiße“, während die CDU das Bild eines Deutschlands im Niedergang zeichnet. Die Grünen erklären beständig, dass sie gar nicht so sind, wie ihre Gegner behaupten, und die FDP inszeniert sich vor allem als Blockade für die bescheidenen Pläne der anderen. Ansonsten bin ich völlig bei Jonas: die Idee eines „wahren Kerns“, dem man dann einen eigenen Spin gebe, hilft wenig. Wenn an den Narrativen der anderen ein wahrer Kern ist, warum sollte ich dann nicht diejenigen wählen, die den Kern im Kern ihres Programms haben statt diejenigen, die einen Teil davon als Unterpunkt 8 in Unterkapitel 3 führen?

2) Vom Verweigerer zum Straftäter?

Die Kolumne kritisiert, dass Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas einen neuen Straftatbestand „Sozialleistungsmissbrauch“ fordere und damit im Fahrwasser der „Stadtbild“-Debatte die Stigmatisierung von Leistungsbeziehenden verschärfe. Es werde berichtet, Fälle organisierten Betrugs seien als Beleg genannt worden; zugleich verweise die „taz“ auf 421 registrierte Fälle 2024 mit nur drei Verurteilungen – ein „Randphänomen“. Aus Netzreaktionen werde zitiert, der „Tritt nach unten“ funktioniere, während gigantische Steuerschäden unbeachtet blieben. Zudem werde die SPD für einen Rechtsruck kritisiert: Die Umstellung vom Bürgergeld zur „neuen Grundsicherung“ mit härteren Sanktionen sei laut Ökonomen „kontraproduktiv“; ein Mitgliederbegehren fordere, „keine Politik, die Armut bestraft“. Medienüberschriften („Sozialbetrug“) würden einen brutalen Generalverdacht verstärken und die frühere Figur des „Totalverweigerers“ in Richtung „Kriminelle“ verschieben. Bas’ Hinweis auf „Deeskalation“ wirke widersprüchlich; gefordert werde, Missstände präzise zu benennen, ohne ganze Gruppen zu diskreditieren. Fazit: Skandalisierung ersetze Differenzierung – mit fatalen Folgen für Debatte und Betroffene. (Antonia Groß, MDR „Das Altpapier“)

Das ist auch so etwas, das mir unklar ist: warum glaubt die SPD, dass dieses Nach-unten-treten für sie vorteilhaft sein könnte? Natürlich sind Sozialleistungsbeziehende nicht ihr Klientel, aber trotzdem, das ist doch nicht ihr Markenkern. Man kann ja für Reformen der Grundsicherung (oder wie auch immer sie gerade heißt) eintreten, aber das geht auch, ohne dass man diese Hetze nebenher ausführt. Die ganze Chose dient aber wieder einmal gut als Beleg für den aktuellen Rechtsruck in der Politik, der eben doch auf allen Feldern vor sich geht, auch wenn das diejenigen, die immer einen gefordert haben, natürlich nicht sehen können.

3) Michael Mann to Bill Gates: You can’t reboot the planet if you crash it

In dem Essay wird Bill Gates vorgeworfen, den Klimawandel mit technokratischen „Reparaturideen“ statt mit konsequenter Emissionsreduktion bekämpfen zu wollen. Der Autor beschreibt, Gates habe mit einem Memo zur Klimakonferenz COP30 die Dramatik der Krise verharmlost, während zugleich ein Bericht über den Zustand des Planeten veröffentlicht worden sei. Gates’ Konzept, technologische Innovationen wie Atomkraft, CO₂-Abscheidung oder Geoengineering über die Energiewende zu stellen, werde als gefährlich bewertet. Der Autor kritisiert, solche „Technofixes“ verdrängten realistische Lösungen und lieferten Vorwände, um fossile Energien weiter zu nutzen. Gates’ Denken erinnere an Microsofts Praxis, fehlerhafte Software mit „Patches“ zu flicken – nur sei der Planet nicht neu zu starten, wenn er „abstürzt“. Seine Rhetorik über angeblich teure Erneuerbare, Anpassungsfähigkeit und die angebliche Belastung der Armen entspreche längst den Argumentationsmustern fossiler Lobbyisten. Die Lösung, so wird betont, liege nicht bei „plutokratischen Wundermännern“, sondern bei kollektiver, politisch entschlossener Dekarbonisierung. (Michael E. Mann, Bulletin of the Atomic Scientists)

Mann beschreibt hier sehr gut einige der Probleme, die ich selbst mit Milliardären und ihren massiven Einmischungen in Politik habe. Nicht nur verzerren die absurden Vermögen dieser Leute die demokratischen Kräfte, ihnen fehlt auch die Kompetenz, um das sinnvoll einzusetzen. Die Arroganz dieser Leute ist in der Tat atemberaubend, und man könnte darüber lachen, wenn es nicht so ernst wäre. Hier werden Ressourcen in völlig unproduktive und ineffiziente Richtungen geschoben. Da lobe ich mir doch Deutschlands Superreiche; die konzentrieren sich darauf, ihr Vermögen zu mehren und setzen ihre Lobbymacht nur dazu ein, es möglichst groß zu halten. Die glauben immerhin nicht, dass sie besser wüssten als die Wissenschaft, wie der Klimawandel funktioniert.

4) Die Wirtschaft muss sich selbst retten

Der Leitartikel beschreibt die Chipkrise bei Volkswagen als Symbol einer größeren Fehlentwicklung in der deutschen Industrie. Es werde kritisiert, Unternehmen wie VW hätten trotz früherer Warnungen aus Pandemie und geopolitischen Spannungen weiterhin riskante Abhängigkeiten in ihren Lieferketten zugelassen. Der Fall, dass VW bestimmte Halbleiter nur von einem chinesischen Zulieferer beziehe, gelte als „Offenbarungseid“. Der Autor führt aus, die Manager hätten in einer globalisierten Komfortzone verharrt, während sich die Weltwirtschaft zu einem „geoökonomischen Kampfplatz“ zwischen den USA und China gewandelt habe. Firmen müssten die neue Realität akzeptieren, sich diversifizieren und eigene Sicherheitsstrategien entwickeln. Auch beim Rohstoffzugang, etwa zu seltenen Erden, bleibe die Industrie passiv, obwohl staatliche Förderprogramme existierten. Zwar brauche es politische Reformen und bessere Infrastruktur, doch Forschung, Entwicklung und Innovation seien originäre Aufgaben der Wirtschaft. Der Text schließt mit dem Appell, die Unternehmen müssten wieder Pioniergeist beweisen, anstatt auf staatliche Hilfen zu warten. (Gerald Traufetter, Der Spiegel)

Auch so eine Argumentationsposition, die viel zu wenig in der öffentlichen Debatte vorkommt, ist die Kritik an den deutschen Wirtschaftslenkenden für ihre Rolle an der aktuellen Misere. Die „Nieten in Nadelstreifen“, um einen 90er-Diskurs wiederzubeleben (Merz fühlt sich gleich wie zu Hause), haben schließlich einen guten Teil des Misthaufens mitproduziert, den sie aktuell nur der Politik anlasten wollen. Nicht, dass Deutschland eine grandiose Wirtschaftspolitik betrieben hätte, das kann man nun wahrlich nicht behaupten. Aber es ist eben auch nicht so, als stünde eine Art Bataillon verhinderter John Galts bereit, deren Brillanz nur von bösen Bürokraten blockiert würde.

5) So sabotiert die SPD notwendige Sozialreformen

Der Kommentar kritisiert, dass die SPD unter Bundeskanzler Friedrich Merz zentrale Sozialreformen blockiere und damit notwendige Strukturveränderungen verhindere. Es werde betont, die Partei wiederhole damit frühere Fehler, statt – wie einst Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 – unpopuläre, aber wirtschaftlich notwendige Maßnahmen durchzusetzen. Das von der SPD initiierte Mitgliederbegehren gegen strengere Sanktionen beim Bürgergeld und für mehr Unterstützung für Betroffene werde als populistisch beschrieben. Die vorgesehenen Kürzungen bei mehrfach versäumten Terminen gälten ohnehin als moderat, während die SPD aus Angst vor Stimmenverlusten an ihrer sozialen Rhetorik festhalte. Laut Autorin sei Merz erpressbar, weil er wegen der strikten Abgrenzung von der AfD keine Koalitionsalternativen habe und somit den linken Flügel der SPD gewähren lasse. Angesichts geopolitischer und wirtschaftlicher Herausforderungen bleibe keine Zeit für symbolische Debatten oder parteitaktische Blockaden. Der Stillstand schade der Regierung und am Ende auch der SPD selbst. (Fatina Keilani, Welt)

Was mich an dem Artikel so amüsiert ist, dass ich einfach nur ein paar Worte austauschen muss, um die Kritik um 180 Grad zu drehen. Ist auch nicht so, als hätte ich dieselbe Kritik nicht oft genug formuliert: die FDP blockiert notwendige Finanzreformen, die Reformen der SPD und Grünen sind ohnehin moderat und kaum mehr als Reförmchen angesichts der Herausforderungen, sie erpresst Kanzler Scholz, der aus strikter Abgrenzung zur LINKEn keine Koalitionsalternativen hat und führt symbolische Debatten oder parteitaktische Blockaden. Letztlich gilt aber dasselbe, was wir hier zur FDP und der Haushaltsgeschichte oft genug diskutiert haben: die SPD wurde nicht dafür gewählt, den Sozialstaat zu demontieren und ein ultraliberales Wirtschaftsprogramm durchzusetzen, genauso wenig, wie die FDP dafür gewählt wurde, ein linksgrünes Investitionsprogramm zu unterstützen. Das mag man bedauern, aber man kann den jeweiligen Parteien kaum vorwerfen zu tun, was sie vorher gesagt haben dass sie tun würden und wofür sie auch gewählt wurden.

Resterampe

a) Stichwort „aus Corona lernen“. (Handelsblatt)

b) Young Republicans: Does the GOP have a Nazi problem? (The Week) Does the bear shit in the woods?

c) Zu oft hat meine Partei nicht gehalten, was sie versprach (Welt). Der nächste Bürgerliche, der der Überzeugung ist, dass Kompromisslosigkeit und mehr statt weniger Ideologie die Lösung ist. Wann haben die das von den Linken übernommen? Echt weird.

d) Neither Board Nor Counters (Space Biff). Eine sehr nachdenkliche Rezension über ein biblisches Brettspiel, mit philosophischen Überlegungen zur Kirche.

e) Chartbook 414: Slouching towards (Red-Green) utopia. Voicing the muted politics of China’s renewable energy revolution. (Chartbook)


Fertiggestellt am 04.11.2025

{ 2 comments… add one }
  • DerDieDas 4. November 2025, 11:59

    zu 2) Das wirklich tragische an dieser wirklich vollkommen überflüssigen Aktion ist
    1. dass Bärbel Bas als «linke» SPD-Politikerin gilt und
    2. dass das Thema «Wir müssen nur bei den Armen sparen und schon wird die deutsche Wirtschaft wieder florieren» seitens der Medien eigentlich schon durch und
    3. damit so überflüssig wie ein Kommentar vom Peitsch war.
    Das Personal der SPD legt wirklich eine verblüffende Fähigkeit an den Tag, sich permanent und ohne jeden Grund und Anlass selbst ins Knie zu schiessen. Man erinnere sich nur an den unsäglichen Versuch der letzten Innenministerin, mit Hilfe von AfD-Politik beim verlogenen Thema «Migrationskrise» Handlungsfähigkeit zu simulieren. Ich prophezeie der SPD bei der nächsten Bundestagswahl 10 % und wenn es überhaupt zweistellig wird, kann sich die SPD wirklich freuen.
    PS: Welches sozialdemokratisches Thema hat die SPD in der aktuellen Koalition eigentlich durchgesetzt?

  • Soeren Schmitz 4. November 2025, 12:20

    Zu Punkt 4
    Ich glaube das ist ein gutes Beispiel für Konzernvorstände, die nur auf die Laufzeit ihres 5 Jahres Vertrags schauen und Unternehmern, die den langfristigen Erfolg ihres Unternehmens im Blick haben.
    In Sachen Automobil sind von der Politik einige Fehler gemacht worden – aber beim Kernthema Innovationskraft und Desrisking haben die deutschen Autokonzerne im wesentlichen die Misere selbst zu verantworten, in der sie nun stecken.
    Die Aufweichung des Verbrennerzulassungs-Aus ab 2035 ist wahrscheinlich genau wegen dieser Managementfehler wahrscheinlich fast unvermeidlich, will man nicht einen ganz harten Crash der Automobilindustrie riskieren. Auch ein Beispiel von „too big to fail“.
    Sehr spannend finde ich in dem Zusammenhang auch die Parallelität der „Wir wollen es nicht wahrhaben“-Strategie: Ebenso wie die Politik notwendige Transformation aufgeschoben hat und jetzt die teuer die Zeche dafür zahlen muss: Energie, Verteidigung, Soziale Sicherung haben auch viele Unternehmen hier geschlampt und ihren Erfolg verwaltet, statt Grundlagen für weiteren unternehmerischen Erfolg zu legen durch Innovation, kluge Investitionen sowie Kompetenzaufbau in der Belegschaft.
    Es ist jeher ein Übel deutscher Wirtschaftspolitik die Interessen der Großkonzerne deutlich stärker zu gewichten, als die Interessen des Mittelstands. Auf dem Weg zur wirtschaftlichen Gesundung Deutschlands führt kein Weg vorbei das Unternehmertum, das auf langfristigen Erfolg setzt, zu stärken. Hier könnte auch für die Sozialdemokratie eine Chance liegen, aber die ist inzwischen ja lieber mit Klassenkampf beschäftigt.

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