Özdemir böllert, um weltweit neoliberale krankgeschriebene Drachen zu töten – Vermischtes 16.1.2025

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Gegen Böllergewalt hilft nur die harte Hand

Der Artikel thematisiert die wiederkehrende Gewalt in Berlin an Silvester und fordert strengere Maßnahmen zur Eindämmung des Problems. Der Autor kritisiert die Eskalationen, die von Jugendlichen, oft aus sozioökonomisch benachteiligten Kontexten, ausgehen. Diese greifen Rettungskräfte und Zivilisten an oder verursachen durch gefährlichen Umgang mit Feuerwerkskörpern erhebliche Schäden. Die angebotenen sozialen Programme, wie kostenfreie Kita-Plätze und Bildungsgutscheine, scheinen viele Jugendliche nicht zu erreichen. Ein Böllerverbot wird als Lösung vorgeschlagen, da härtere Maßnahmen in anderen Bereichen, wie etwa in Berliner Schwimmbädern, nachweislich gewirkt hätten. Der Artikel argumentiert, dass der Staat Verantwortung übernehmen muss, um die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten. Bundesweite Unterstützung für ein lokales Verbot fehlt jedoch bisher. Abschließend plädiert der Autor für mehr Handlungsspielraum der Städte, um solche Eskalationen zu verhindern und Silvester zu einer sicheren Feier zu machen. (Hannes Schrader, Spiegel)

Ich finde den Artikel deswegen faszinierend, weil er eine Argumentationsweise, die mir fremd ist (härtere Strafen, strenge Durchsetzung, etc.) für ein Thema nutzt, das mir sehr nahe liegt (Einhegung des wilden Böllerns). Ich bin total für Verbotszonen für diese Böllereien (oder, besser, für die Einrichtung spezieller Gebotszonen, in denen man es machen kann). Aber gleichzeitig wehrt sich alles in mir gegen das Framing des Artikels. Ziemlich faszinierend, wenn das so quasi quer gegen alle politischen Richtungen und Festlegungen läuft.

2) Bist du noch krank – oder machst du schon blau? // Kein Lohn am ersten Krankheitstag? Das ist der falsche Weg

Die Kolumne thematisiert die Diskussion um Veränderungen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und neue Ansätze wie Teilzeitkrankschreibungen. Angestoßen von Wirtschaftswissenschaftler*innen und dem Chef der Allianz, Oliver Bäte, wird vorgeschlagen, die Lohnfortzahlung erst ab dem zweiten Krankheitstag zu leisten. Hintergrund sind steigende Krankenstände in Deutschland, die im Vergleich zur Schweiz deutlich höher sind. Ein zentraler Punkt ist die Frage, ob eine flexible Handhabung von Arbeit im Krankheitsfall sinnvoll sein könnte. Dank Digitalisierung können viele Menschen, auch mit leichteren Erkrankungen, von zu Hause aus arbeiten. Kritiker argumentieren, dass dies nicht für alle Berufe umsetzbar sei und eine Ungleichbehandlung nach sich ziehen könnte. Die Lohnfortzahlung bleibt ein Gradmesser des sozialen Klimas. Während Gegner*innen solche Vorschläge als Angriff auf Arbeitnehmerrechte sehen, betont die Kolumne, dass neue Modelle eine Chance für Fortschritt und Effizienz darstellen könnten, wenn sie umsichtig gestaltet werden. (Ursula Weidenfeld, Spiegel)

Der Artikel setzt sich kritisch mit der Forderung nach der Streichung der Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag auseinander, die Allianz-Chef Oliver Bäte angestoßen hat. Diese Maßnahme soll angeblich den hohen Krankenstand reduzieren und Kosten sparen, jedoch wird ihre Kausalität infrage gestellt. Der Vorschlag unterstellt, dass viele Arbeitnehmer „blau machen“, was pauschalisierend und sozial problematisch sei, insbesondere für Menschen mit niedrigen Einkommen. Die veränderte Arbeitsmoral und der Fokus auf „Work-Life-Balance“ werden als gesellschaftlicher Fortschritt gesehen, der jedoch nicht pauschal als Nachlassen der Disziplin gewertet werden sollte. Der gestiegene Krankenstand ist auch auf die Einführung der elektronischen Krankschreibung und die zunehmende Arbeit im Home-Office zurückzuführen. Der Artikel argumentiert, dass Karenztage das falsche Signal senden. Stattdessen seien Maßnahmen wie eine frühzeitige Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und ein gutes Arbeitsklima effektiver, um die Arbeitsmoral zu stärken und Krankenstände nachhaltig zu senken. (Hanna Bethke, Welt)

Ich finde es eine wahnsinnig problematische Idee, Schikanen einzuziehen, um die Krankenstände zu verringern. Mich erinnert das an die Einführung der Praxisgebühr seinerzeit, die aus guten Gründen wieder abgeschafft wurde. Abgesehen von der wuchernden Bürokratie zu ihrer Verwaltung war sie eine klare Belastung von Menschen mit wenig Einkommen, die davon abgehalten wurden, ärztliche Hilfe aufzusuchen (was ja auch die Intention war). Aber dieses Anreizsystem ist schlecht, das sieht man ja mit Medicaid in den USA auch: am Ende bekommt man schlimmere und teurere Fälle. Krank zur Arbeit zu gehen ist einfach eine dumme Idee.

Vielleicht müssen die Arbeitgeber ggf. auch stärker auf das Mittel verpflichtender ärztlicher Krankschreibungen oder gar Attesten zurückgreifen, aber das führte dann zu demselben Problem, das wir an den Schulen haben, wo die Ärzt*innen zu Recht beklagen, dass sie als pädagogisches Instrument zweckentfremdet werden – was ja dann auch wieder das Gesundheitssystem belastet und zu Fließbandausstellungen von Krankschreibungen führt. Egal, welche Methode man anwendet, es gibt in jedem Fall gravierende Nachteile. Eine einfache „one size fits all“-Lösung gibt es hier sicher nicht.

Und natürlich hat Bethke völlig Recht damit, dass das Betriebsklima eine wichtige und unterdiskutierte Rolle darstellt, nur erklärt das kaum die Situation. Die Krankentage stiegen mit Corona massiv an; so weit, so nachvollziehbar. Warum sie seither nicht wieder auf das vorherige Maß gesunken sind, ist unklar. Ist es Arbeitsmoral? Ist es die Korrelation mit der elektronischen Krankschreibung? Sind es Langzeiteffekte der Pandemie? Wenn ich das richtig im Überblick habe, ist es ein deutsches Problem, was letzteres ausschließt. Und die Arbeitsmoral verändert sich auch nicht derart drastisch innerhalb eines solch kurzen Zeitraums. Aber solange die Ursache nicht klar ist, bleibt nur Moralisieren.

3) Gescheiterte Drachentöter

Der Artikel analysiert den Aufstieg der FPÖ in Österreich und zieht Parallelen zur AfD in Deutschland. Vor 25 Jahren ließ Wolfgang Schüssel die FPÖ unter Jörg Haider erstmals in die Regierung. Die Strategie, Rechtspopulisten durch Einbindung zu mäßigen, scheiterte langfristig. Heute steht mit Herbert Kickl ein radikalerer FPÖ-Chef vor Koalitionsgesprächen, und die Partei hat deutlich an Stärke gewonnen. Der Artikel zeigt, dass der Versuch, Rechtsparteien durch Verantwortung zu zähmen, die demokratische Kultur untergräbt. Die FPÖ profitierte von Protestwählern, während Korruptionsskandale und internationale Sanktionen ihren Aufstieg nur kurzzeitig bremsten. Ähnlichkeiten zur deutschen AfD sind erkennbar, da auch dort konservative Parteien Gefahr laufen, Brandmauern gegen Rechts zu lockern. Die Lehre für Deutschland ist klar: Brandmauern gegen Rechts müssen nicht nur errichtet, sondern konsequent aufrechterhalten werden, um rechtspopulistische Parteien nicht weiter zu stärken und demokratische Grundwerte zu schützen. (Sebastian Fischer, Spiegel)

Der Artikel beschreibt sehr ausführlich den Umgang mit der FPÖ und die verschiedenen Koalitionen. Von daher lohnt er die Lektüre. Inhaltlich aber drehen wir uns im Kreis. Die Brandmauer aufrechtzuerhalten hat in Österreich nicht funktioniert, und in Deutschland hilft es zwar, die Extremisten von der Macht fernzuhalten, aber nicht, ihre Ergebnisse um 20% anzukratzen. Nur: die gegenteilige Strategie, ihre Themen aufzugreifen und quasi demokratisch zu kanalisieren, ist auch katastrophal fehlgeschlagen (und anders als bei der Brandmauer gibt es sogar genug wissenschaftliche Unterfütterung, die die Wirkungslosigkeit demonstriert). Letztlich schreien sich beide Seiten der Debatte an und versuchen, ihre Position durchzusetzen, was glaube ich vor allem am inhärenten Interessenkonflikt liegt: ich profitiere als eher linksliberale Person deutlich von der Brandmauer, weil es eine Rechtskoalition unmöglich macht (genauso wie übrigens die Brandmauer zur LINKEn 2005 bis 2021 dasselbe für eine potenzielle Linkskoalition tat). Umgekehrt profitieren eher rechtsliberale Personen davon, die Themen aufzugreifen, weil es ihre Themen sind und sie sie aufgegriffen wollen. Jede Strategie für den Umgang mit der AfD erfüllt gleichzeitig die eigenen politischen Ziele; die Partei bleibt dann nur ein Spiegel.

4) How the mainstream abandoned universal economic principles

Branko Milanović analysiert in seinem Text das schleichende Ende der neoliberalen Globalisierung und ihre grundlegenden Prinzipien, wie freier Handel, Bewegungsfreiheit von Arbeitskräften und Kapital sowie Technologietransfer. Er argumentiert, dass diese Prinzipien nicht erst mit der Amtsübernahme von Donald Trump, sondern bereits über ein Jahrzehnt zuvor schrittweise aufgegeben wurden – ironischerweise von den neoliberalen Befürwortern selbst. Milanović kritisiert insbesondere die widersprüchliche Haltung westlicher Länder, die früher für Globalisierung eintraten, heute jedoch auf Protektionismus setzen, etwa durch steigende Zölle, Handelsblöcke und wirtschaftliche Abschottung gegenüber Ländern wie China. Er hebt hervor, dass der Erfolg Chinas im Technologietransfer oft als „Diebstahl“ diskreditiert wird, während Entwicklungsländer zuvor wegen mangelnder Innovationsfähigkeit kritisiert wurden. Ein zentraler Punkt seiner Analyse ist das Fehlen eines neuen internationalen Wirtschaftssystems, das die aufgegebenen Prinzipien ersetzt. Die aktuelle Lage führt zu inkonsistenten und ad-hoc Regelungen, die den globalen Entwicklungsdiskurs in Chaos stürzen. Milanović sieht in diesem Wandel nicht nur nationale Interessen als treibende Kraft, sondern auch eine Rückkehr zu merkantilistischen und regionalistischen Ansätzen, die die universalen Regeln der Globalisierung verdrängen. (Branko Milanović, Brave New Europe)

Mir scheint ebenfalls deutlich zu sein, dass der vorherige neoliberale Konsens mittlerweile weitgehend tot ist. Noch steht nichts Neues an seiner Stelle, da gebe ich Milanović vollkommen Recht. Ebenfalls Recht hat er damit, dass dieser Konsens als Erklärung für den Aufstieg der Populisten immer noch unterschätzt wird. Aber der Hauptteil bleibt der Abschied vom System der Globalisierung und des Freihandels. China scheint mir da schon der relevanteste Aspekt zu sein, unter dem Gesichtspunkt, dass es eben doch ein Schönwettersystem war: gut, solange wir davon profitierten, aber nun nicht mehr, da andere ebenfalls aufsteigen – was zu Abschottung führt. Und, natürlich, der Aspekt, dass die Aufsteiger kein Interesse haben, nach diesen Spielregeln zu spielen, das sollte man auch nicht unerwähnt lassen.

5) Wie die Pläne fürs gesunde Essen gescheitert sind

Der Artikel beleuchtet das Scheitern der Pläne der Ampelkoalition, gesunde Ernährung in Deutschland zu fördern. Zwar hat die Bundesregierung eine Ernährungsstrategie verabschiedet, doch Experten kritisieren die Umsetzung als unzureichend. Verbindliche Standards für Schul- und Kitaessen sowie finanzielle Unterstützung wurden angekündigt, jedoch fehlen die notwendigen Investitionen. Statt der benötigten Milliarden fließen nur geringe Mittel in einzelne Projekte. Ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel, das Kinder schützen sollte, scheiterte an Widerstand aus der Industrie, der FDP und der CDU. Wissenschaftler argumentieren, dass neben Bildungsmaßnahmen auch politische Eingriffe wie Zuckersteuern notwendig seien, um gesündere Lebensmittelangebote zu schaffen. Beispiele wie Großbritannien zeigen, dass solche Maßnahmen wirken können. Zusammengefasst mangelt es an finanziellen Ressourcen und politischer Durchsetzungskraft, um die Ziele einer gesünderen Ernährung in Deutschland flächendeckend zu realisieren. Das erschwert es der Bevölkerung, gesündere Entscheidungen im Alltag zu treffen. (Eva Huber, ARD)

Ich meine, es ist recht klar, warum diese Pläne scheitern: so wenig Ambition kann die Ziele ja gar nicht erfüllen. Ein Pilotprojekt und eine Homepage irgendwo sind Tropfen auf einem Brand. Das verpufft völlig. Wie Huber in ihrem Artikel ja völlig richtig schreibt erfordert allein die Umrüstung der bestehenden Kantinen und Cafeterien an den Schulen zwei Milliarden Euro – und bei weitem nicht alle Schulen HABEN überhaupt so was. Meist versorgen sich die Schüler*innen ja immer noch im Umfeld. Ich kann das aus meiner eigenen Erfahrung sagen; wenn ich mir nicht was von zu Hause mitbringe, habe ich praktisch keine Möglichkeit, in der Mittagspause etwas Gesundes zu essen. Es findet sich nur Fastfood im Umkreis. Maßnahmen wir ein Werbeverbot wären natürlich schon mal hilfreich, aber alleine ausreichend werden sie kaum sein, genauso wenig wie Zuckersteuern. Das heißt natürlich nicht, dass man das nicht machen sollte, aber da schon diese eher niedrigschwelligen Sachen nicht gemacht werden – natürlich wird da kein Fortschritt erzielt. Das ewige Problem der Grünen: viel zu niedrigschwellig und doch wird nur dran gemeckert.

Resterampe

a) Wer noch was zum ttt-Thema lesen will. (Spiegel)

b) Guter Punkt zu Trumps Reaktionen auf die Brände. (New Republic)

c) AfD zeigt offen wie nie ihre völkische Agenda: Analyse des Parteitags in Riesa (Spiegel). Die AfD entlarvt sich seit 2015 permanent selbst. Schadet ihr nicht. Das Overton-Fenster verschiebt sich nur ständig weiter.

d) Ich stimme den Thesen zum Verhältnis BSW und AfD zu (Spiegel). Ich fand die Idee, dass der BSW die AfD schwächen würde, auch von Anfang an suspekt.

e) Do they know it’s Christmas? Das Problem mit Auslandsreportagen (54books).

f) lol (Twitter)

g) Heuchlerei festzustellen ist natürlich immer ein recht parteiisches Vergnügen, aber ich bin manchmal sehr genügsam. (Twitter) Aus Fairnessgründen. (Twitter) Die Insolvenz der Flugtaxis ist auch so eine Schlagzeile, die sich von selbst schreibt. (FAZ)

h) Die Wahrnehmung der Wirtschaft mal wieder. (Twitter)

i) Ich sag es immer wieder, die CO2-Bepreisung kommt gegen Politik nicht an. (Twitter)

j) Zuckerberg ist schon etwas peinlich. (Bloomberg)

k) So langsam verliert die Strafverfolgung der Klimakleber echt jedes Maß. (FR)

l) Keine Äquivalenz. (Deutschlandfunk)

m) Enshittification von Google (Bluesky).

n) Probleme mit Milliardären und Pressefreiheit. (Open Windows)

o) „Cum-Ex läuft weiter.“ (FAZ) Natürlich, das sind ja auch die Anreize.

p) Es ist schon faszinierend, wie dieser Skandal um die Iran-Geiseln nie einer wurde. (NYT)

q) Spannende Retrospektive auf Galaxy Quest und was es über Nerdkultur aussagt. (Digital Trends)

r) Interessanter Punkt zu Kritik am ÖRR. (Bluesky)

s) Weidel-Porträt der NZZ. (NZZ)

t) Diese Argumentation für den Entzug der Staatsbürgerschaft à la Merz überzeugt mich nicht, weil er das Thema völlig ignoriert. (The European)

u) Why has Silicon Valley turned against Democrats? (Kevin Drum)

v) Unterwerfung. (beimwort)

w) Guter Beitrag zu Russlands Kriegswirtschaft. (Chartbook)

x) Has the Right won the Culture War? (Drezner) Interessante Gedanken, aber letztlich falsche Frage. „Is the Right now dominant in the Culture War?“ wäre besser. Die Linke hat den ja 2020 auch nicht gewonnen. Es gibt keine permanenten Siege im Kulturkampf.


Fertiggestellt am 15.01.2025

{ 117 comments… add one }
  • Thorsten Haupts 16. Januar 2025, 08:30

    Zu l)

    Nö, keine Äquivalenz! Warum? Weil in Deutschland die Verwendung linksextremer Symbole nicht verboten ist und man sogar für den Stalinismus werben darf, ohne wegen Volksverhetzung angeklagt zu werden. Denn die 95%ige Masse der „Propagandadelikte“ entsteht nur dadurch, dass ausschliesslich rechtsextreme Symbole verboten sind. Bei den Gewalttaten ist die Äquivalenz dagegen sehr sichtbar – 700 zu 1100 ist die gleiche Grössenordnung.

    Also: Verbietet endlich die Verwendung kommunistischer und linksautonomer Symbole und schon im darauffolgenden Jahr werden linksextremistische „Propagandadelikte“ durch die Decke gehen.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • CitizenK 16. Januar 2025, 09:38

      Damit uns die drohende Machtergreifung der Stalinisten bewusst wird? Die Stimmen für dito Parteien und der Rückhalt in der Bevölkerung sind kaum messbar.

      • Thorsten Haupts 16. Januar 2025, 16:43

        Ist das ein Argument? Der DF-Artikel wurde von Stefan mit „Keine Äquivalenz“ verlinkt – ich habe schlicht dargelegt, was der Hauptgrund für diese Nichtäquivalenz ist. Im übrigen hatten wir auch schon Phasen in Deutschland, in denen der Linksextremismus deutlich stärker war und das hat trotzdem nicht zu einem Verbot linksextremer Symbolik geführt, also folgt der Staat Ihrer Logik (verboten wird, was aktuell gefährlich aussieht) offenkundig nicht.

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • CitizenK 16. Januar 2025, 17:48

          Ja. Die Frage ist doch: sollte er?
          Immerhin war meine „Logik“ auch die des BVerG beim NPD-Verbot.

          War Ihr Vorschlag ernst gemeint? Wo immer Hammer&Sichel/Zirkel auftaucht – Strafverfolgung? Polizei und Gerichte würden sich bedanken. Ist das Emblem „verfassungswidrig“? Das ist doch das Kriterium.

          Da wäre es doch sinnvoller, bei der Statistik deutlicher zu unterscheiden und das auch zu kommunizieren.

          • Thorsten Haupts 16. Januar 2025, 19:58

            Warum wehren sich eigentlich Leute – Sie sind nur einer von sehr vielen im Laufe der Jahre – so sehr dagegen, Symbole des Kommunismus/Linksextremismus genauso zu behandeln, wie Symbole des Nationalsozialismus/Faschismus? Die historische Bilanz ist für Kommunisten genauso zutiefst menschenfeindlich, wie für Faschisten.

            Trotzdem danke. Sie bestätigen nur meine Meinungsänderung vor vielen Jahren, als ich mich von der Illusion verabschiedete, man könne sich über Politikgrenzen wenigstens darauf verständigen, menschenverachtende Systeme ohne wenn und aber zu ächten. Anscheinend nicht. Zur Kenntnis genommen.

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • Stefan Sasse 16. Januar 2025, 22:35

              Ich habe wahrlich keine Sympathie für die Kommunisten, aber „genauso menschenfeindlich“? Für Stalin können wir das ggf. noch argumentieren, Pol Pot und Mao auch, aber ist Breschnew oder Gorbatschow genauso menschenfeindlich wie Hitler? Ist Deng Xiaopeng dasselbe wie Mao?

              • Thorsten Haupts 17. Januar 2025, 10:10

                Lass uns das Argument versuchsweise mal akzeptieren. Dann wären bestimmte Faschisten (Franco oder Mussolini) ebenso „weniger schlimm“, als Adolf. Willst Du Verbote tatsächlich auf der Ebene „Der hat nur ein paar tausend Menschen auf dem Gewissen statt einiger Millionen“ diskutieren? Bei allem Respekt vor Deng oder Gorbatschov – unter beiden funktionierte ihr Diktaturapparat nach wie vor reibungslos und Deng trägt bspw. die Verantwortung für das Tiananmen-Massaker.

                Gruss,
                Thorsten Haupts

                • CitizenK 17. Januar 2025, 14:13

                  Gilt das nur für Opfer innerhalb der eigenen Grenzen? Sonst müssten wir mindestens Bush und Blair mit reinnehmen.

                • Stefan Sasse 17. Januar 2025, 18:59

                  Soweit ich weiß sind die Fasces oder das Joch mit Pfeilen nicht verboten. Und hey, ich bin da ja grundsätzlich immer ein Freund von, aber wo man da anfängt und wo aufhört ist immer arbiträr. Aber klar, verbiete von mir aus gerne Hammer und Sichel.

                  • Thorsten Haupts 17. Januar 2025, 19:10

                    Ich finde das ganze Vebots-Gedöns reichlich albern. Aber wenn es jahrzehntelang benutzt wird, um die Schrecklichkeit der rechtsextremen Gefahr immer wegen tausender von „Propagandadelikten“ nachzuweisen, verliere ich einfach die Geduld.

            • CitizenK 17. Januar 2025, 10:01

              Ein heftiger Vorwurf also auch an die Verfassungsrichter. Die haben doch sicher (mehr als ich) gründlich nachgedacht? Wir kehren vor der eigenen Tür. Damit haben wir genug zu tun.
              Immerhin haben die Adepten des anderen Systems in den 70ern die bisher schärfte Verfolgung erfahren. Weil sie wirklich gefährlich zu werden drohten. Damals wurden auch die Symbole durchaus ernst genommen.

              • Thorsten Haupts 17. Januar 2025, 17:14

                Sie waren nie verboten und ihre Verwendung hat nie zu Verurteilungen geführt. Case closed.

          • cimourdain 17. Januar 2025, 12:19

            Zum Thema Hammer & Sichel schon wieder Heraldik: hier das Wappen Österreichs
            https://de.wikipedia.org/wiki/Wappen_der_Republik_%C3%96sterreich#/media/Datei:Austria_Bundesadler.png

            • CitizenK 17. Januar 2025, 14:16

              Krass. Wusste ich nicht. Aber da wäre Thorsten sicher nachsichtiger – schon wegen der Kette.

    • Stefan Sasse 16. Januar 2025, 09:50

      Good point.

  • Thorsten Haupts 16. Januar 2025, 08:33

    Zu 1) …(genauso wie übrigens die Brandmauer zur LINKEn 2005 bis 2021 dasselbe für eine potenzielle Linkskoalition tat) …

    Das ist einfach faktisch falsch. Diese Brandmauer existierte für GRÜNE und SPD nicht, Beweis dafür sind Regierungskoalitionen in den Ländern.

    • Stefan Sasse 16. Januar 2025, 09:51

      Auf Bundesebene schon. Und in den Ländern haben sie mit den gemäßigten Verbänden zusammengearbeitet. Das sehe ich bei der AfD auch passieren, sobald die welche haben.

      • Stefan Pietsch 16. Januar 2025, 12:05

        Wenn SPD und Grüne mit Unterstützung der AfD etwas durchsetzen, ist das in Ordnung?

        So geschehen Mitte Dezember, als der Deutsche Bundestag beschloss, die Anhörung zur Reform des Abtreibungsrechts auf die Tagesordnung der letzten Sitzung dieser Legislaturperiode zu setzen. Dies gelang Rot-Grün nur mit den Stimmen der AfD und das Ziel ist, die konservative Opposition mit Hilfe der Rechtsextremisten vorzuführen.
        https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1034588

        Warum empört sich darüber keiner der sonst Empörten? Warum dürfen Sozialdemokraten und Grüne sich von der AfD zur Mehrheit verhelfen lassen, Union und FDP jedoch nicht? Ich würde mir hier eine Antwort von Dir oder CitizenK wünschen.

        • CitizenK 16. Januar 2025, 16:22

          Ich sehe kein „Vorführen“ – das Thema war ihnen wichtig, deshalb noch vor der Wahl. Die Motivation der AfD war doch genau entgegengesetzt, die will ja schärfere Abtreibungsregeln.

          Beifall (bzw. Stimmen) von der falschen Seite sollte man mMn im jeweiligen Fall beurteilen.

          Im nächsten BT wird es voraussichtlich viele solcher Fälle geben. Union (und ggf. FDP) werden bei der Verschärfung des Asylrechts Stimmen der AfD bekommen – vielleicht aber auch nicht, weil sie dennen nicht weit genug gehen.

          Was bedeutet „Brandmauer“? Keine institutionelle Zusammenarbeit – „nicht mit diesen Leuten“ von Merz klingt schon mal gut. Hoffentlich hält er das durch.

          • Stefan Pietsch 16. Januar 2025, 18:31

            Das ist doch der Punkt. SPD und Grüne haben der Union gedroht, sie als unsichere Kantonisten zu brandmarken, sollten sie aus der Opposition heraus mit „zufälligen“ Stimmen der AfD Gesetzesentwürfe durchzubringen versuchen.

            Das Gleiche haben SPD und Grüne nun in Bezug auf die Tagesordnung gemacht. Da geht es ja gar nicht mehr um eine Gesetzesreform. Es geht allein darum, dass der Bundestag Tage vor der Wahl über ein Thema debattiert, bei dem die beiden linken Parteien die Union bei der Wählergruppe der Frauen öffentlichkeitswirksam vorführen wollen. Und dieses Vorführen wurde möglich, in dem sie sich die Stimmen der AfD besorgt haben.

            Das ist keine Kleinigkeit, denn bei der ersten Abstimmung über die Tagesordnung hatten die beiden linken Parteien noch Manschetten. Tage später waren die Skrupel für den kurzfristigen Ländegewinn gefallen.

            Wer so agiert, braucht der Union nicht vorzuwerfen, sie würde die Brandmauer durchlöchern. Die gilt ohnehin immer nur, wenn es zum Vorteil der linken Parteien ist. Die AfD hat Spaß an dem Spiel, denn wie Sie richtig sagen, ist sie ja nicht für die Abschaffung von 218. Aber auch sie kann die CDU vorführen, dass nur sie sich einer Zusammenarbeit verweigert.

            Merz hat bisher konsequent gesagt, wenn ein Gesetzesentwurf nur mit den Stimmen der AfD eine Mehrheit findet, machen wir das nicht. Der Mann hat Ehre. SPD und Grüne nicht.

            Wie sollen CDU-Abgeordnete das ihren Wählern erklären? Die Linken dürfen bei uns wichtigen Themen gemeinsame Sache mit den Extremen machen, wir aber nicht. Und das zahlt auf das Konto der AfD ein, zulasten der Union. Sorry, das ist politisch wirklich schäbig.

            • CitizenK 17. Januar 2025, 10:10

              Überschätzen Sie da nicht die öffentlich Wirkung einer Anhörung? Das „Vorführen“ ist in diesem Fall eine Deuting, die ich nicht teile.
              Die Frage ist, ob man die AfD als eine Partei sieht, für die „normale“ Regeln gelten. Weil demokratisch gewählt.

              Zwar ist die AfD (noch?) nicht so verkommen wie die Reps in den USA, aber sie wird nicht nach demokratischen Regeln spielen. Die reine Lehre (if they go low….) wird nicht durchzuhalten sein. Das alte Problem: Demokratie mit nicht so demokratischen Mitteln schützen? Aber auch wenn sie super-demokratisch „in Ehren“ untergeht, ist sie dann weg.

              • Stefan Pietsch 17. Januar 2025, 10:25

                Sie eiern rum.

                Die Frage nach der Effektivität dürfen Sie nicht an mich, sondern müssen Sie an die Grünen und die SPD richten. Fakt ist, dass dies offensichtlich so beabsichtigt ist. Warum sonst wollten die beiden anfangs in der ersten Abstimmung über die Tagesordnung nicht mit der AfD stimmen, änderten dann aber ihre Meinung?

                Was soll zukünftig eine „Brandmauer“ sein? Keine Koalitionen bilden? Okay. Aber, so verstehe ich Sie jetzt, alles andere ist okay, beispielsweise sich die Zustimmung zu Gesetzesentwürfen von der AfD zu holen.

                Dann sollten wir so zukünftig diskutieren.

                • Thorsten Haupts 17. Januar 2025, 17:19

                  Wenn sich die Union in Parlamenten nicht fortlaufend vom linken Lager vorführen lassen will, kann sie bei einer AfD-Stärke zwischen 20 und 30% gar nicht anders, als ab und an auch mit der AfD Mehrheiten für ihre Anliegen zu finden. Das müsste jedem klar sein – wer hier eine ultimative Brandmauer fordert, will bewusst den Untergang der CDU/CSU.

                  • Stefan Pietsch 17. Januar 2025, 18:29

                    Als ich von der Geschichte erfahren habe, dachte ich nur: Was für eine miese Nummer! Da vermeidet die Union nach dem Ampel-Aus jeden Verdacht, dass die AfD ihnen bei Gesetzesentwürfen zu Mehrheiten verhelfen könnte, und dann ziehen diese gewissenlosen Linken eine solche Nummer ab. Da soll keiner mehr kommen, die CDU müsse unbedingt an der Brandmauer festhalten.

                    Wer so etwas durchzieht hat genauso jeden moralischen Anspruch verloren wie diejenigen, die ohnehin immer vor einer Aufwertung der AfD warnen.

                    • CitizenK 19. Januar 2025, 07:27

                      Vor einem solchen Verdikt sollte man sich den Sachverhalt genauer anschauen:
                      „Als es am Mittwochmorgen zur Abstimmung über die Tagesordnung kam, stellte die Union einen Antrag zur Absetzung des von der SPD eilig angefügten Tagesordnungspunktes zu den erwähnten Vorhaben. Union und FDP stimmten für die Absetzung und damit gegen die Anhörung. Doch sie allein hätten eigentlich keine Mehrheit gehabt.

                      Die AfD aber stimmte für die Anhörung, obwohl sie laut eigenen Angaben gegen die Gesetzesänderung ist. Daraufhin enthielten sich SPD und Grüne, wodurch CDU/CSU und FDP plötzlich eine Mehrheit hatten und der SPD-Antrag zur Anhörung abgeschmettert wurde.

                      Die SPD- und Grünen-Mitglieder enthielten sich deshalb, weil sie NICHT mit der AfD stimmen wollten.

                    • Stefan Pietsch 19. Januar 2025, 09:02

                      Genau das hatte ich zweimal geschrieben. Die Vorgeschichte war, dass SPD und Grüne erst erschrocken nicht mit der AfD gestimmt hatten, um schließlich doch mit AfD-Stimmen eine erste Lesung zur Abschaffung von 218 durchzusetzen. Kritiker wie Thorsten Haupts und ich sagen schon länger, dass die Linken Lust verspüren, das Land anzuzünden.

                      Und dann wollen sie ausgerechnet noch Tage vor der Wahl mit ihrer letztmalig bestehenden relativen Mehrheit die Stimmung emotional aufladen und anzünden. Wie wenig gerade die Grünen (allerdings auch die SPD) von Anstand und Regeln halten, zeigen sie derzeit. Man amüsiert sich über illegale Wahlwerbung auf öffentlichen Bauwerken und dem Herumtrampeln auf der Unschuldsvermutung, einem Pfeiler unseres Rechtsstaates. Peinlich scheint diesen Linken nichts mehr zu sein.

                      Ja, CitizenK, so bringt man die AfD zu Rekordergebnissen.

  • Thorsten Haupts 16. Januar 2025, 08:37

    Zu 4)

    Jedes menschliche System ist ein Schönwettersystem – sobald sich systemrelevante Akteure nicht mehr an die Regeln halten, ist das System tot. Und was Milanovic entweder nicht weiss oder verschweigt – China hat sich von Anfang an nicht an die Regeln gehalten, nur brauchte diese Erkenntnis Zeit, um in die Köpfe von politischen und wirtschaftlichen Entscheidern einzusickern.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

  • WiesoWeshalbWarum 16. Januar 2025, 09:06

    Nicht nur ist der «vorherige neoliberale Konsens mittlerweile weitgehend tot», auch die Neoklassik als Wirtschaftstheorie wurde mittlerweile ihrerseits als reines Fantasiegebilde entlarvt. Vor allem US-amerikanische Wissenschaftler entzaubern die Sinnlosigkeit der Neoklassik (unter andrem hier nachzulesen: https://fckaf.de/nbw), aber leider wird das in Deutschland wohl nichts ändern. Hier wird weiterhin Wirtschaftspolitik a la Bibi Blocksberg gemacht (»Angebotspolitik – Hex hex») und sich anschliessend gewundert, warum das überhaupt nichts ändert. Außer natürlich die reichen noch reicher zu machen. Da mag man nicht glauben, dass mit Wilhelm Lautenbach (mit der Kreditmechanik) und Wolfgang Stützel (mit der Saldenmechanik) ausgerechnet zwei deutsche Ökonomen, das Fundament dafür gelegt haben.

  • Lemmy Caution 16. Januar 2025, 09:18

    4) Branko Milanovic: Aufgabe des Neoliberalismus
    Was wir jetzt viel eher verlieren ist der Versuch eines regelbasierten Systems, das nicht zuletzt auch kleine Staaten schützten könnte, weniger „den Neoliberalismus“. Letzterer konnte seine Versprechen des sozialen Ausgleichs via trickle down effect nicht einlösen und er generierte neue Instabilitäten.
    Beispiele für letzteres sind zum Beispiel
    – die Probleme von Arbeitern in Hochlohnländern, den verlorenen Industriearbeitsplätzen vergleichbar attraktive Jobs im Dienstleistungssektor zu finden
    – die Wirkung von plötzlichen und in Relation zur Ursache starken Ausflüssen von Finanzkapital aus Schwellenländern aufgrund von kleineren externen Schocks.
    – die Instabilitäten neuer Finanzstools (Weltfinanzkrise von 2007/8)

    Vor allem Derregulierung, also Punkt 9 des Washington Consensus, gewinnt ja auch bei uns an Beachtung im Rahmen des immer stärker geforderten Bürokratie-Abbaus.
    https://en.wikipedia.org/wiki/Washington_Consensus#Original_sense:_Williamson's_Ten_Points
    Für Schwellenländer haben diese 10 Punkte nach wie vor eine starke Relevanz. Die „pink tide“ als Sammlung linker ideologischer Gegenpositionen ist oft und dramatisch gescheitert. Auch in Afrika hat das eine Unterstützerbasis: https://www.youtube.com/watch?v=Q9Deq3eg1CM

  • Stefan Pietsch 16. Januar 2025, 09:34

    1) Gegen Böllergewalt hilft nur die harte Hand

    Bei mir ist es exakt umgekehrt: Ich sehe die Beschränkung auf die Zeit zwischen den Jahren als nicht sinnvoll und notwendig. Das funktioniert auch in anderen Ländern gut, wenn sich die Leute an die Regeln halten und diese notfalls mit Härte durchgesetzt werden. Doch wenn ich den Kommentar unten zu permanenten Regelbrechern wie Klimakleber lese, dann fehlt dazu bei einigen die Bereitschaft.

    Ein System, dass die Einhaltung seiner freien Regeln nicht mit Härte und Konsequenz durchsetzen kann, wird immer scheitern.

  • Stefan Pietsch 16. Januar 2025, 09:54

    2) Bist du noch krank – oder machst du schon blau?

    Ich bin immer wieder erstaunt, wie unglaublich naiv und gleichzeitig fern betrieblicher Realitäten über das Thema geschrieben wird. Zum Grundsätzlichen: Ein Arbeitsvertrag ist eine Vereinbarung über den Leistungsaustausch unter gleichgestellten Vertragspartnern. Ein Arbeitgeber beschäftigt einen Arbeitnehmer, wenn es eine Leistung benötigt, die anders nicht sinnvoll am Markt zu beziehen ist. Der Arbeitnehmer erhält dafür ein Entgelt.

    Wenn der Arbeitnehmer dauerhaft nicht zur Arbeitsleistung befähigt ist, darf er gekündigt werden. Das trifft z.B. in bestimmten Fällen auf Langzeitkranke zu. Ein Unternehmen ist keine soziale Einrichtung. Und niemand muss den Mechaniker seines Autos oder den Handwerker motivieren, damit er den Job erledigt, für den man ihn gerufen hat. Das vielleicht mal in aller Deutlichkeit.

    Jeder, wirklich jeder hat in seinem Berufsleben Blaumacher kennengelernt. Und mit der Zeit erkennt jeder sie. Kollegen wissen, wann derjenige wieder seine Auszeiten nimmt. Statistisch lässt sich das auf 80-90 Prozent tadellose Mitarbeiter eingrenzen, denen 10-20 Prozent „Kollegenschweine“ gegenüberstehen. Das ist branchen-, job- und unternehmensabhängig. Das Problem ist, wenn Unternehmensleitungen die Blaumacher nicht permanent angehen und aufzeigen, dass sie ein solches Verhalten nicht hinnehmen, reißt es immer weiter ein. Menschen lassen sich nämlich auf Dauer nicht ausnutzen – auch nicht von „Kollegenschweinen“. Irgendwann haben Unternehmen dann Fehlquoten von 20 bis 50 Prozent und damit lässt sich nichts mehr wirtschaftlich betreiben.

    Meine Erfahrung ist: an die harten Fälle kommt man als Führungskraft mit dem heutigen rechtlichen Instrumentarium nicht heran. Arbeitnehmer, die es seit Jahren gewöhnt sind, regelmäßig krank zu feiern, kennen ganz genau die Rechtslage – und die zwingt Unternehmen zur Duldung des betrügerischen Tuns.

    Es wäre daher sinnvoll, wenn Unternehmen bei hohen Fehlzeiten ein Kündigungsrecht haben. Ebenso ist die Gängelung durch Lohnkürzung sinnvoll. Wenn man den Leuten ans Portemonnaie geht, gesunden sie ziemlich schnell. Das sieht man regelmäßig, wenn sich die Krankheitsphasen der sechswöchigen Lohnfortzahlungsgrenze nähert.

    Unsinnig ist, die Leute bereits ab dem 1. Krankheitstag zum Arzt zu zwingen. Damit beschädigt man die Motivation der Anständigen, während die Blaumacher dies als Rechtfertigung begreifen, die Fehlzeiten auszudehnen. Nochmal, ganz klar: Krankmacher sind Betrüger. Für Betrug bedarf es ein gewissen Maßes an krimineller Energie.

    • CitizenK 16. Januar 2025, 10:37

      Zustimmung. Hat das jemand hier anders gesehen?

      Ein Problem sind die Grenzfälle. Ich kenne inzwischen einige Leute, die nach Covid nicht mehr richtig krank sind, aber auch nicht richtig gesund. Bitter, wenn einem da Simulantentum unterstellt wird. Und nein, Amtsärzte sind keine Lösung.

      • Stefan Pietsch 16. Januar 2025, 11:24

        Grenzfälle sind immer ein Problem. Überall. Amtsärzte sind Greenwashing für Blaumacher. Die Professionellen wissen, wie man richtig simuliert.

        Mir ist der Fall einer Leiterin einer Kita bekannt, die Long-Covid-Patientin ist. Seit einem halben Jahr ist sie nicht arbeitsfähig, wann sich das ändert, ist nicht absehbar. Die Einrichtung hat ihr nun angeboten, einen Schritt zurück auf die Stelle der Stellvertretung zu gehen – unter Kürzung der zukünftigen Bezüge natürlich. Sie überlegt.

        Das Angebot ist außerordentlich großzügig. Die Einrichtung könnte sowohl aus Mangel des Kündigungsschutzes als auch personenbedingt kündigen. Der Job der Leitung muss getan werden und das geht nicht mit jemanden, der dauerhaft ausfällt. Das muss man verstehen.

        Meine jahrzehntelange Berufserfahrung ist nicht, dass Mitarbeitern und Kollegen fahrlässig schnell Simulantentum unterstellt wird. Menschen haben ein feines Gespür dafür, ob jemand ehrlich zu ihnen ist oder ein Betrüger. Doch wer Betrügern nicht Einhalt gibt, riskiert, dass die Ehrlichen in Versuchung geführt werden. Broken Window.

    • Thorsten Haupts 16. Januar 2025, 10:51

      Um das mal mit Beispielen aus der betrieblichen Praxis zu veranschaulichen:

      Fall 1)
      Langjähriger Mitarbeiter, verheiratet, drei Kinder. Schlief – regelmässig – mehrere Stunden des tages sichtbar am Arbeitsplatz. Brauchte für jede Aufgabe, die ein Kollege in 1 Woche erledigte, drei Monate. Bekam regelmässige Abmahnungen, wurde aber vom Betriebsrat vor der Kündigung geschützt. Das zog sich nach Aussage seiner direkten Co-Arbeiter bereits über 5 Jahre.

      Fall 2)
      Ein ausgebildeter Diplomingenieur erregte meine Neugierde, als ich feststellte, dass seine einzigen verbliebenen Aufgaben die Inventarisierung von Büromöbeln und das Abhalten der jährlichen Arbeitssicherungsunterweisung war. Der Mann war exakt die geforderte Mindestzeit seines tarifvertrages in der Firma anwesend. Auf die Minute genau. Als man mir den Mitarbeiter für ein Projekt andrehen wollte, ging ich mit dem Abteilungsleiter in ein hartes Gespräch. Tja. Der Mann stellte sich bei jeder seiner Ausbildung (und Intelligenz!) angemessenen Aufgabe über Monate hinweg so dämlich an, dass absolut niemand ihm mehr eine Ingenieuraufgabe geben wollte. Und die von mir geforderte Rückendeckung für meinen Vorschlag – ich hätte ihn genommen und zum Arbeiten gebracht – wurde mir verweigert, zu aufwendig für den Disziplinarvorgesetzten.

      Fall 3)
      Eine mittelalte (40) Mitarbeiterin, nach deren Krankheiten man eine Uhr stellen konnte. Immer exakt die maximale Krankheitszeit (afair 6 Wochen), Pause, nach Ablauf der Frist für eine fortgesetzte Krankheit (die ein Kündigungsgrund gewesen wäre) eine neue 6 Wochen-Krankheit. Wenn man sie darauf ansprach, markierte sie empört die verfolgte Unschuld, die von der Firma gebrochen worden war, wegen Überlastung. Allerdings berichteten ihre Co-Arbeiter und ihre Chefs, dass sie das letzte Mal vor ungefähr 5 Jahren irgendetwas produktiv geleistet hatte.

      Das sind natürlich Ausreisser, aber in der Richtung (wenn auch nicht so extrem) gab es deutlich mehr Leute.

      Das ist vor allem in grösseren Firmen Alltag! Ich halte Stefan Ps Schätzung von 10 bis 20% für deutlich zu hoch, meine Erfahrung sagt mir irgendwas von 5%. Das deutsche Arbeitsrecht im Verein mit der Scheu von Disziplinarvorgesetzten vor der Anstrngung und so manchen Betriebsräten verhindern (auf Kosten der Moral aller anderen), dass diese Leute einfach rausfliegen. Obwohl das sogar deren Kollegen jeweils unisono befürwortet hätten.

      Gruss,
      Thorsten Haupts

  • Stefan Pietsch 16. Januar 2025, 10:59

    3) Gescheiterte Drachentöter

    Die Darstellung geht sehr locker-zusammenfassend über die Fakten hinweg. Die FPÖ erlitt noch nach jeder Regierungsbeteiligung deftige Wahlniederlagen. Das nennt man in der Demoskopie „entzaubern“.

    Es stimmt auch nicht, dass wenn man die Themen von Populisten aufnimmt („übernehmen“ ist eine unsinnige Beschreibung), dass damit die Populisten gestärkt würden. Populisten sind immer dann stark, wenn die herrschende Politik zentrale Probleme ignoriert. Als vor drei Jahren das Thema Klimawandel obenauf war, profitierten davon die Grünen, die so aufgepumpt wurden wie in keinem anderen Land. Als sich die Partei nun in Regierungspolitik üben durfte, zahlten ihre Lösungen nicht auf ihr Konto ein.

    Wenn allerdings eine Politikerin wie Göring-Eckardt im öffentlichen Fernsehen behauptet, Deutschland habe überhaupt kein Migrationsproblem, obwohl dies in den westlichen Bevölkerungen von Norwegen bis Spanien, von USA bis Chile als wesentlich angesehen wird, dann betreibt sie das Geschäft der AfD, über deren Umweg der Wähler solchen Ignoranten einbläut, was die wichtigen Themen sind. Nebenbei hat die Philosophin („Uns werden Menschen geschenkt!“) einen weiteren Sargnagel in eine schwarz-grüne Koalition getrieben. Solche Ignoranz treibt nüchterne, bürgerliche Wähler auf die Zinne.

    In Dänemark könnten die Gewinne der Rechtsextremen wieder storniert werden. In Spanien wurden VOX Grenzen gesetzt. In Italien redet derzeit keiner von der Lega. Sebastian Kurz machte zeitweise die FPÖ überflüssig.

  • Stefan Pietsch 16. Januar 2025, 11:08

    5) Wie die Pläne fürs gesunde Essen gescheitert sind

    Wie soll gesundes Essen gefördert werden? Wieder eines der Argumente, warum die Grünen bei der Mehrheit inzwischen auf dem Index stehen. Menschen wollen nicht erzogen werden. Die aggressivsten Nichtraucher sind ja bekanntlich frühere Kettenraucher.

    Sehe ich mir die Leute an, weiß ich, wie die Kinder aussehen. Kinder können niemals eine Änderung des Speiseplans durchsetzen, wenn ihre Eltern das nicht wollen. Mein Vater war Intensivraucher. Ich bin nicht deswegen Raucher, weil mir in der Schule beigebracht wurde, dass Rauchen schädlich sei. Ein 15jähriger versteht ziemlich wenig von gesundheitlichen Schäden, die nur nach 50 Jahren auftreten. Aber ich habe das Verhalten und die Beeinträchtigungen für mich als Nichtraucher immer so stark empfunden, dass Rauchen für mich selbst dann kein positives Image hatte, als zeitweise jeder in meiner Klasse mal zur Fluppe gegriffen hat.

    Wenn ich mir nicht was von zu Hause mitbringe, habe ich praktisch keine Möglichkeit, in der Mittagspause etwas Gesundes zu essen. Es findet sich nur Fastfood im Umkreis. Maßnahmen wir ein Werbeverbot wären natürlich schon mal hilfreich, (..).

    Wenn die Fastfood-Kette verschwindet, gibt es halt überhaupt kein Essen mehr. Ist dann vielleicht auch eine Lösung. In der Pandemie hatten zeitweise nur noch Systemgastronomie-Ketten offen.

  • Stefan Pietsch 16. Januar 2025, 11:14

    a) Wer noch was zum ttt-Thema lesen will. (Spiegel)

    Dann doch besser Jan Fleischhauer zum selben Thema. SPIEGEL-Spinnerinnen gibt es schließlich genug.
    https://www.focus.de/politik/deutschland/schwarzer-kanal/focus-kolumne-von-jan-fleischhauer-los-lass-uns-den-tv-kerl-erledigen-wenn-die-meute-zur-menschenjagd-blaest_id_260623550.html

    i) Ich sag es immer wieder, die CO2-Bepreisung kommt gegen Politik nicht an. (Twitter)

    Aber Verbote?

    k) So langsam verliert die Strafverfolgung der Klimakleber echt jedes Maß. (FR)

    Was tun gegen Intensivtäter? Gerade wurde eine solche von einer Berliner Richterin (natürlich) freigesprochen, weil sie keinen (ausreichenden) Schaden angerichtet hatte. Eigentlich sollte das Strafrecht die kriminelle Gesinnung eines Bürgers ahnden. Aber unsere Justiz ist da völlig deformiert.

    t) Diese Argumentation für den Entzug der Staatsbürgerschaft à la Merz überzeugt mich nicht, weil er das Thema völlig ignoriert. (The European)

    Die Staatsrechtsreform der Ampel war ein Irrweg, der die falschen zu Staatsbürgern machte und zum weiteren Kontrollverlust des Staates beiträgt. Gut, wenn dies von der nächsten Bundesregierung korrigiert wird. Ohne die Grünen.

  • Thorsten Haupts 16. Januar 2025, 14:10

    Eigentlich sollte das Strafrecht die kriminelle Gesinnung eines Bürgers ahnden.

    Nein, soll es ausdrücklich nicht! Geahndet werden strafrechtlich relevante Gesetzesverstösse, die Gesinnung meiner Mitmenschen muss dem Staat vollkommen egal sein. Ich habe übrigens gelegentlich auch völlig ungesetzliche Gesinnungen …

    • Stefan Sasse 16. Januar 2025, 14:46

      Ich hätte da jetzt einen Vortrag über mein fehlendes rechtsstaatliches und grundgesetzliches Verständnis von Stefan eingefangen 😀

    • Stefan Pietsch 16. Januar 2025, 15:13

      Das ist eine Theorie. Doch diese ist nicht vollständig. Wir haben zahlreiche Strafrechtsnormen, z.B. Betrug, da wird vom Gesetzgeber schon festgelegt, dass für die Zumessung der Strafe die Häufigkeit des Vergehens ist. So gibt es den normalen Betrug – Baerbock fälscht ihren Lebenslauf – und den gewerbsmäßigen Betrug – Baerbock erwirtschaftet mit gefälschten Lebensläufen ihren Lebensunterhalt. Im letzteren verdoppeln sich die Strafen.

      Hier wird nichts anderes als die kriminelle Energie bestraft. Der BGH hat festgelegt, dass ab einem hinterzogenen Betrag von 1 Million Euro zwingend eine Gefängnisstrafe zu verhängen ist. Reue, Wiedergutmachung spielen dabei keine Rolle. Auch hier wird angenommen, dass der Delinquent ein besonders hohes Maß an krimineller Energie zeigt.

      Und so macht es einen Unterschied, ob ich mich einmal auf die Hanauer Landstraße in Frankfurt setze, um gegen den Klimaschutz zu protestieren, oder ob das ein hauptberuflicher Klimakrimineller tut, der gestern auf Sylt Privatmaschinen mit Farbe besprüht, heute Luxuslabels beschädigt und morgen Sprüche aufs Brandenburger Tor pinnt. Dieser Delinquent hat ein wesentlich höheres kriminelles Niveau und ist daher härter zu bestrafen.

      Leider kann sich Stefan mit diesem Recht nicht anfreunden, wo gilt: Einmal ist keinmal und ansonsten haben sich Richter doof zu stellen.

  • Kirkd 16. Januar 2025, 14:16

    zu 1). „harte Strafen“ is beim Böllern ja relativ. Momentan wird das nicht einmal konsequent verfolgt, von angemessenen Strafen mit dem heutigen Instrumentarium mal abgesehen. Insofern braucht man sich über die momentanen Zustände nicht wundern.

    zu 2) In der Schweiz gibt es auch keinen Karenztag. Also kann es nicht allein das sein.
    Mitarbeitermotivation ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Ende der 90er ging der Krankenstand hoch, seit Mitte der Nuller wieder runter. Die Wirtschaft läuft, die Stimmung stimmt, die Mitarbeiter kommen. Bei uns hat der alte CEO verzweifelt gedroht, die Heimarbeitregelung aufzuheben, weil zu wenige im Büro waren. Kaum war er gefeuert, kamen die Mitarbeiter von alleine.
    Attestpflicht ab Tag 1 ist kontraproduktiv. Dann fehlen die Leute nicht nur 1 oder 2 Tage sondern bekommen gleich Attest für 1 Woche.
    Dazu kommt, dass die Wahrnehmung von Erkältung sich durch Covid komplett gedreht hat. Davor ging man verschnupft ins Büro (was nicht immer gut war) und heute gilt das als respektable Erkrankung.
    Dazu kommt, was Stefan Pietsch schreibt. Das deutsche Arbeitsrecht macht es nicht möglich, chronische Blaumacher ohne vorgeschobene Gründe loszuwerden (wie auch Low Performer, Querulanten, …).

  • cimourdain 16. Januar 2025, 16:22

    Überschrift: Dein Kampf gegen die überkommene Kalenderkonvention („Ich lasse mir doch nicht von toten weißen Männern vorschreiben, wie ich die Monate nummeriere“ ), ist bewundernswert aber verwirrend.

    1) Wieder aus dem beliebten Genre „Illegales Böllern verbieten!“, diesmal mit Law-and-Order Rhetorik. Rechtlich geht ein Haufen (§24 Sprengstoffgesetz), zum Beispiel verbietet die Insel Sylt Feuerwerk komplett. Und die Älteren unter uns werden sich daran erinnern, dass es zum Jahreswechsel 2020/21 sowie 2021/22 Verkaufsverbote für Feuerwerk gab. Das Problem ist nur, dass ein Verbot, das nicht durchgesetzt wird oder werden kann, eher kontraproduktiv ist. Ich erinnere da an die Verbotszone um den Berliner Alexanderplatz letztes Jahr. Nur hat die Polizei gar nicht das Personal, um Verbote großflächig durchzusetzen. Ohne eine Einsicht, dass bei der Knallerei Abrüstung (bei den zum Teil verschossenen Kalibern wörtlich) nottut, wird es ewig so weitergehen, dass alle jammern und niemand etwas ändert.

    2) Kleiner Verschwörungshinweis: Ob Bätes Arbeitgeber Allianz wohl eine private Zusatzversicherung für Lohnfortzahlungen anbieten wird, wenn diese zum Teil wegfallen ?

    3) Bei historischen Betrachtungen hilft es, die Gesamtgeschichte zu sehen.
    i) Die FPÖ war schon von 1999 stark etabliert mit Regierungsbeteiligungen auf Länder und Bundesebene.
    ii) Sie war auch schon klar rechts mit mehreren (Alt)Naziaffären.
    iii) Ihre Wählerschaft war durch die 1990-er Flüchtlingskrise und den darauffolgenden Aufstieg extrem rechter Gruppen auf 26 % herangewachsen
    iv) Für Schüssel war sie probater Mehrheitsbeschaffer, seine ÖVP war bei den Wahlen auf Platz 3 und er wollte lieber Kanzler mit FPÖ als Vize mit SPÖ werden
    v) Es gab verstetigte Proteste (Donnerstagdemos) , die EU-Staaten isolierten Österreich politisch und diplomatisch
    v) Die FPÖ lieferte massiv Vetternwirtschaft und Querelen
    vi) 2002 rasselte die FPÖ wider auf 10 % runter.
    vii) um Ende der 2010er wieder durch Kurz regierungsbeteiligt zu werden und den Tango Corrupti zu tanzen.

    4) Der entscheidende Punkt ist, ob man Welthandel als Nullsummenspiel („Wir gewinnen, wenn die anderen verlieren“) oder Nichtnullsummenspiel („Beide Seiten profitieren“) betrachtet. Durch die Kalter-Krieg Mentalität der 2020er hat erstere Seite Zulauf erhalten.

    c) Nachdem das Thema Verbotsverfahren vom Tisch ist, lebt es sich gänzlich ungeniert…

    e) Völlig richtig, aber die Grundprobleme narrativer Reportagen ( Schwarzweißzeichnung, Bestätigung von Klischees, selektives Hinsehen) gibt es nicht nur im Auslandsresort (da aber ganz besonders heftig).

    g) Hast du jetzt inzwischen so viele Fundstücke, dass die Resterampe eine eigene Rest-Resterampe braucht?

  • Thorsten Haupts 16. Januar 2025, 18:09

    4) Der entscheidende Punkt ist, ob man Welthandel als Nullsummenspiel („Wir gewinnen, wenn die anderen verlieren“) oder Nichtnullsummenspiel („Beide Seiten profitieren“) betrachtet. Durch die Kalter-Krieg Mentalität …

    Das ist – schon fast verschwörungstheoretischer – BS. China hat sich nie wirklich an die vereinbarten Regeln des Freihandels gehalten, was etwas stärker Wirtschafts-Interessierten nicht erst seit gestern bekannt ist. Im Verein mit einer sich verhärtenden chinesischen Führung hatte das irgendwann Konsequenzen. IMHO zu spät, aber nach wie vor ist halbwegs fairer Freihandel kein Nullsummenspiel. Freihandel dagegen, den nur eine Seite ernst nimmt und die andere nicht, ist ein Verlustspiel für den Regeltreuen. Und das ist auch schon alles.

    Ihr ständiger Fokus auf „Kalter-Krieg Mentalität“ produziert keine neuen Erkenntnisse, blendet echte Gefahren aus (wer solche formuliert, kann ja nur ein Kalter Krieger sein?) und hilft Ihnen nur, Ihren Antiamerikanismus vor sich selbst zu rechtfertigen. Dass China ein aktiver Feind liberaler/demokratischer Staaten ist, sollte sich auch zu Ihnen rumgesprochen haben. Dessen Kriegs“spiele“ mit Taiwan ebenso.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Lemmy Caution 16. Januar 2025, 20:42

      Größtenteils stimme ich dir zu. Die Sorge, dass China beim Ausschalten von ausländischer Konkurrenz oft strategisch vorgeht, ist berechtigt.
      Auf der anderen Seite waren die Regeln des Freihandels nie wirklich klar festgelegt und können es auch gar nicht sein. Deshalb sieht die WTO ja für komplexe Handelskonflikte extra Schiedsgerichte vor. Wir kauften sehr gerne extrem billig produzierte Medikamente, Solarpanels oder Lenovo Laptops. Nun ist uns aufgefallen, dass die Abhängigkeit zu groß wird. So ganz unrecht haben die Franzosen auch nicht, wenn sie im Rahmen des kürzlich vereinbarten EU-Mercosur Abkommens wegen Umwelt/Sozialdumping in den nächsten Jahren eine Menge Streß machen werden.
      Ein weiterer Punkt ist, dass plötzlich verbilligte Importe der Wirtschaft insgesamt nutzen kann, dabei aber auch die Interessen von bestimmten Gruppen potentiell empfindlich schädigt.

    • cimourdain 17. Januar 2025, 12:02

      Wie so häufig ist es sinnvoll erst zu prüfen, wie viele Finger für jeden, mit dem man auf andere zeigt, auf einen selber zurückweisen. Aber darum geht es mir gar nicht, ich frage nur, wer profitiert von einer Politik, wem schadet sie. Von der bisherigen deutschen Handelspolitik mit China haben beide Staaten profitiert. Eine Abschottung würde Deutschland einen starken Nachteil bringen , China wohl weniger, da deren Elektroautos dann eben in Indonesien (seit 06.01.2025 BRICS-Mitglied) statt bei uns landen, lachender Dritter wären die USA als größter Konkurrent im Welthandel. Aber das ganze ist sowieso eine komplett akademische Diskussion, faktisch werden wir ohne die Handelsspartner USA UND China sowieso nicht klarkommen. Also bleiben nur die Krokodilstränen über Abhängigkeiten.

      • Lemmy Caution 17. Januar 2025, 16:23

        China verfolgt in verschiedenen Märkten die Strategie Anbieter aus anderen Ländern herauszudrängen, um dann als Monopolanbieter alleine darzustellen. Das ist das übelste ökonomische Verhalten überhaupt.
        Wem das nicht passt, der wandert besser nach Kuba aus. Dort gibt es die Möglichkeit in einem Charter Reisfeld für das vietnamesische Management zu arbeiten 😉 https://cubaheute.de/2025/01/09/kuba-oeffnet-reisfelder-vietnam-frischer-wind-landwirtschaft/
        Ohne die chinesischen Autos zu Dumping Preisen haben Hersteller wie Fiat oder Renault die Möglichkeit, eine eigene Produktion bei uns aufzubauen. Glaubt jemand ernsthaft, dass irgendein Produkt europäischer Autohersteller in den 1920ern gegenüber Fords T-Modell konkurrenzfähig war?
        Wo ist die USA „Konkurrent im Welthandel“? Die Angebotspalette unserer Exporte ist zu MAGA-Land wesentlich komplementärer als die Chinas.
        BRICS bleibt ein loser Zusammenschluß. Hinter BRICS gibt es neben der Zusammenarbeit zwischen Autokratien auch noch gute Gründe. Länder wie China, Brasilien oder Indonesien kämpfen um größere Einfluß auf das Internationale Handels/Finanzsystems. Das ist absolut legitim, nur haben wir da auch Interessen, die nicht unbedingt deckungsgleich zu den BRICS-Mitgliedern ist.
        Europa hat in einer multipolareren Wert gute Chancen. Wir müssen halt an unseren relativen Schwächen arbeiten (Militär) und unsere Interessen wesentlich selbstbewußter vertreten.
        Für manche Leute mag es eine gute Zukunftsperspektive für Deutschland sein, dass wir in Lederhosen und Dirndl vor den anreisenden chinesischen Parteibonzen für eine Schale Reis über Subtilitäten der Frankfurter Schule referieren. Die Mehrheit sieht das aber nicht so.

  • Ralf 16. Januar 2025, 21:23

    zu 3) “FPÖ/AfD”

    Ob die Nationalsozialisten am Rand ignoriert werden oder ob sie politisch zum Zwecke der Entzauberung eingebunden werden, ist gleichgültig. Beides läuft auf dasselbe hinaus. Solange die gesellschaftlichen Mechanismen nicht angegangen werden, die die Menschen immer stärker polarisieren, radikalisieren und in ideologischen Blasen isolieren, werden die Faschisten immer weiter wachsen und schließlich die Regierung übernehmen (siehe USA, siehe Österreich). Das ist so als ob die Feuerwehr statt einen Brand zu löschen nur einen Kordon um das in Flammen stehende Haus einzieht. Sobald der Wind weht, fliegen brennende Teile auf das Nachbargrundstück und bald brennt es auch dort lichterloh. Woraufhin die Feuerwehr den Kordon erweitert. Bis wieder der Wind bläst.

    • Lemmy Caution 17. Januar 2025, 10:44

      Also ich würde etwa für Moskowien-Freunde deren Filtrationslager für Ukrainer nicht unbedingt spiegeln, aber doch wesentlich schärfer gegen die Unterstützer vorgehen.
      https://de.wikipedia.org/wiki/Toleranz-Paradoxon
      Vieles was da abläuft, sehe ich als nicht mehr mit der Meinungsfreiheit abgedeckt.

  • Thorsten Haupts 17. Januar 2025, 10:14

    Solange die gesellschaftlichen Mechanismen nicht angegangen werden, die die Menschen immer stärker polarisieren, radikalisieren und in ideologischen Blasen isolieren, werden die Faschisten immer weiter wachsen und schließlich die Regierung übernehmen (siehe USA, siehe Österreich) …

    Das ist eine mögliche Sichtweise. Eine alternative ist ebenso offensichtlich: Solange die meist lange bekannten politischen Probleme nicht angegangen werden, die die Menschen immer stärker polarisieren, werden autoritäre Populisten (zur Zeict von rechts) immer weiter wachsen und schließlich die Regierung übernehmen (siehe USA, siehe Österreich).

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Ralf 17. Januar 2025, 21:05

      Eine alternative ist ebenso offensichtlich

      Ich gestehe Dir zu, dass das auf den ersten Blick offensichtlich klingt. Aber tatsächlich ist es sachlich falsch.

      In den USA hat zum Beispiel gerade einer der erfolgreichsten Präsidenten der jüngeren Geschichte, der eine brummende Wirtschaft, enormes Jobwachstum und steigende Löhne hinterlässt, krachend eine Wahl verloren. Thema Nummer eins war für die Wähler – das bestätigen Umfragen – die Wirtschaft. Was Umfragen auch zeigen ist, dass die Wähler – überraschenderweise – ihre eigene wirtschaftliche Situation überwiegend positiv einschätzen, die wirtschaftliche Situation der „anderen“ und des Landes insgesamt aber schlecht. Warum ist das so? Es ist so, weil ihnen die Medien und das Internet dieses Bild verkaufen. Und sie verkaufen dieses Bild, weil man mit negativem Messaging signifikant mehr kommerziellen Erfolg erzielt, Zuschauer und User bindet und Zuschauerquoten erhöht. Anderes Beispiel aus Deutschland. Wenn man Menschen auf der Straße fragt, wie sich die Zahlen in der Kriminalität entwickeln, hört man fast flächendeckend, dass die Kriminalität seit Jahren zunimmt. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Warum ist das so? Es ist so, weil ihnen die Medien und das Internet dieses Bild verkaufen. Und sie verkaufen dieses Bild, weil man mit negativem Messaging signifikant mehr kommerziellen Erfolg erzielt, Zuschauer und User bindet und Zuschauerquoten erhöht.

      Es ist also mitnichten so, dass das Lösen von Problemen der politischen Polarisierung entgegenwirkt. Private Medien und Internet schotten stattdessen die Bürger fast vollständig von der Wirklichkeit ab und befeuern mit aggressiver Rhetorik eine profitgetriebene Blase. Desinformation ist tägliches Programm. Deshalb ist es für Politiker übrigens auch so unattraktiv tatsächlich an Lösungen zu arbeiten. Man wird halt nicht belohnt, wenn man erfolgreich ist.

      Dazu kommt, dass keines unserer derzeitigen Probleme ohne drastische Einschnitte in unser Leben und schmerzhafte Opfer gelöst werden kann. Wer in den klimafreundlichen Umbau des Landes, die Digitalisierung, die Bahn, und die Verteidigung investiert – um nur einige Beispiele zu nennen – dem wird an anderer Stelle das Geld für die Pflege, die Schulen, die Bildung und den Wohnungsbau fehlen. Und das Stoppen von Migration ist sowieso mit der Aufrechterhaltung unserer westlichen Werte nicht kompatibel. Was also opfern wir lieber? Kurzum – gute, einfache Lösungen für unsere Probleme, die realitätstauglich sind, gibt es nirgendwo. Stattdessen bleiben uns nur Blut, Schweiß und Tränen. Und Opfer. Und sobald jemandem in Deutschland auch nur ein Fitzelchen eines Privileges genommen wird, darf man sich darauf verlassen, dass sich private Medien und das Internet wie Habichte auf den verantwortlichen Politiker stürzen und den Menschen politisch vernichten werden. Das wissen die Beteiligten natürlich. Und deshalb geschieht nie was.

      • Lemmy Caution 18. Januar 2025, 06:19

        Wieso ist Migrationsstop nicht mit unseren westlichen Werten vereinbar?
        Es gibt ja eine Einwanderungspolitik, also ist Einwanderung nicht unreguliert. Ein Staat kann da sehr wohl Grenzen setzen, zumal ja Feindstaaten wie Moskowien und Belarus gezielt Flüchtlinge als Mittel der Destabilisierung unserer Gesellschaften einsetzen.

        • Ralf 18. Januar 2025, 08:52

          Dann erklär mal, wie Du Migration stoppst, ohne unsere Werte zu verletzen.

          • Stefan Pietsch 18. Januar 2025, 10:03

            Wieso sollte es gegen unsere Werte sein, Migration zu begrenzen? Gegen welche genau? Die UN-Flüchtlingskonvention räumt explizit die Möglichkeit der Kontingente ein, während hier seit Jahren das Gegenteil (=Lüge) behauptet wird.

            Und vielleicht ist es sinnvoll, willkürlich auf der Straße ein paar Leute zu fragen, ob es ihren Werten entspricht, jemand ohne Aufenthaltsberechtigung mit Aufforderung zur Ausreise ihn über viele Jahre mit einem fünf- bis sechsstelligen Betrag zu unterhalten. Da erfährt man sicher, was „unsere“ Werte sind.

            So lange dies eine 20%-Kaste ignoriert und jeden Andersdenkenden zum Nazi erklärt, wird eine Partei wie die AfD weiter wachsen. Für die Bundestagswahl fürchte ich angesichts dieser Ignoranz Schlimmes.

            • Ralf 18. Januar 2025, 11:16

              Ich bin ganz bei Ihnen, dass Migration begrenzt werden sollte. Eine Begrenzung widerspricht per de auch nicht unseren Werten. Nur jeder machbare Ansatz Migration wirksam zu begrenzen, widerspricht in der Praxis unseren Werten. Das ist es, was mich zunehmend ratlos macht.

              Tatsächlich sehen wir in der Realität oft zwei Arten von Ansätzen: Populistische Pseudolösungen auf der einen Seite und werteverletzende – zumindest begrenzt wirksame – Lösungen auf der anderen Seite.

              Zu populistischen Pseudolösungen gehören zum Beispiel Asylverfahren im EU-Ausland. Italien hat gerade ein “gefeiertes” Programm mit Albanien gestartet. Dort sollen jetzt Kapazitäten für die Abfertigung von 3000 Migranten geschaffen werden. Die, die dann dort Asylrecht erhalten, dürfen anschließend nach Italien kommen. Die, die abgelehnt werden, kommen in der Praxis aber auch nach Italien, denn in Albanien können sie nicht bleiben und das kleine Albanien hat keine Möglichkeiten Abschiebungen in Heimatländer zu erzwingen. Außer dass die Menschen von A nach B und dann wieder von B nach A transportiert werden, ändert sich also garnichts. Ein anderes Modell ist von den Briten mit Ruanda verhandelt worden. Das Modell ist zwar vor den Gerichten gescheitert, hätte aber vorgesehen, dass Migranten in jedem Falle in Ruanda verbleiben (angesiedelt in Ruanda bei Asylrecht und mit Ausreisepflicht ohne Asylrecht. Wie letzteres durchgesetzt werden soll ist unklar). Selbst unter der Voraussetzung, dass man dieses Modell irgendwie juristisch legal machen könnte – und ich persönlich habe da gar keine Vorbehalte – wieviele Menschen könnte Ruanda denn aufnehmen? Jetzt waren die Briten und Dänen schon vor uns da. Zusätzlich zu deren Flüchtlingen, sollen jetzt noch deutsche Flüchtlinge kommen? In 2015 alleine überschritten eine Million Syrer unsere Grenze. Wie oft kann Ruanda eine Million Menschen aufnehmen? Ganz nebenbei, ein Abschiebeflug kostet – wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht – 20.000 Euro pro Person. Andere Pseudolösungen sind etwa die Bezahlkarte. Klar – auch die kann man machen. Aber die Idee, dass Migranten nicht mehr nach Deutschland kommen, weil sie hier kein Bargeld erhalten, ist realitätsfern. Tatsächlich kommen Migranten gezielt nach Deutschland, weil sie hier Anknüpfungspunkte finden (Familie, Freunde, eine “Heimat-Community”) und weil sie sich im wirtschaftsstarken Deutschland Hoffnung auf Arbeit machen.

              Dann gibt es immer wieder Forderungen nach mehr Abschiebungen. Diese Abschiebungen treffen übrigens fast immer die Falschen – nämlich die gut Integrierten, die einen Job haben. Und die, die wir gerne loswerden würden – Straftäter, terroraffine Agitatoren, Integrations- oder Arbeitsverweigerer – können wir meist nicht abschieben. Oft können wir noch nicht einmal deren Herkunftsland bestimmen, weil die Betroffenen keine Papiere haben und die Kooperation verweigern. Selbst wenn Herkunft feststellbar ist, lehnen viele Staaten die Rücknahme ihrer Bürger ab. Und bei vielen wichtigen Herkunftsstaaten gibt es keinerlei Ansprechpartner. Ein Beispiel sind die Taliban. Klar kann die Bundesregierung die Taliban anerkennen und die Terrorexporteure damit international aufwerten. Und klar könnten wir dann mit denen verhandeln, dass sie abgelehnte afghanische Migranten zurücknehmen. Aber wir sollten keine Minute glauben, dass wir denen pro zurückgenommener Person nicht einen Haufen Geld zahlen müssten. Damit würden wir dann nicht nur einen steinzeitlichen Terrorstaat, der seine Bürger mit drakonischen Methoden unterdrückt, ganz offen finanzieren. Wir würden auch einen Moral Hazard produzieren. Alle anderen Diktatoren der Welt würden dann nämlich auch Geld von uns haben wollen für die Rücknahme ihrer Migranten. Und es würde nicht lange dauern, bis die alle kapieren würden, dass sie ein noch größeres Geschäft machen können, wenn sie erstmal mehr Menschen nach Deutschland exportieren, deren Rücknahme sie sich anschließend teuer bezahlen lassen. Am Ende würde im Steady-State die Zahl der Migranten bei uns vermutlich steigen, nicht sinken.

              Neben all diesen Pseudolösungen gibt es auch manches, das zumindest begrenzt funktioniert. Aber das hat meist mit drakonischer Abschreckung zu tun und ist mit unseren Werten nicht vereinbar. Das EU-Abkommen mit Tunesien finanziert zum Beispiel nicht nur einen Diktator – und zwar im einzigen Land, in dem man nach dem Arabischen Frühling zumindest ein bisschen die Hoffnung haben durfte, dass sich ein zartes demokratisches Pflänzchen entwickeln könnte. Sondern wir bezahlen den dortigen Tyrannen jetzt dafür, dass er Menschen abschreckt durch Tunesien in die EU zu reisen. Die Methoden der Tunesier beinhalten das Aussetzen aufgegriffener Migranten in der Wüste ohne Wasser. Passt das zu unseren Werten? Oder Pushbacks auf dem offenen Meer. Oder Versuche völlig überladene Migrantenschiffe aus dem eigenen Seeraum in den Seeraum eines Nachbarstaates – ohne dessen Einverständnis – abzuschleppen. In Griechenland sank bei einem solchen Versuch zum Beispiel letztes Jahr ein Boot mit 800 Menschen. Passt das zu unseren Werten? Oder die Zustände in den völlig überfüllten griechischen Flüchtlingslagern, in denen Menschen nach Berichten nachts von Ratten angeknabbert werden und es kaum Gesundheitsversorgung gibt. Passt das zu unseren Werten? In den USA kann man noch die Praxis unter Trump erwähnen, Kinder an der Grenze von ihren Eltern zu trennen und sie ohne Seife oder Zahnpasta in Käfige zu sperren. Vieler dieser Kinder haben, Berichten zufolge, ihre Eltern permanent verloren und können nicht mehr zusammengeführt werden. Passt das zu unseren Werten? Von Lösungen, die die AfD propagiert, wie etwa ein Schießbefehl an der Grenze, fange ich garnicht erst an.

              Natürlich gibt es auch einiges, was man machen kann. Das Türkeiabkommen war insgesamt ein Erfolg. Obwohl wir auch da einen ekligen Tyrannen finanzieren und stärken, und über dessen Wirken Sie sich dann an anderer Stelle beschweren. Möglicherweise bieten die Entwicklungen in Syrien Anlass zur Hoffnung. Aber bei einer Regierung, die auf eine Al Qaida-Splittergruppe zurückgeht, ist mein Optimismus zunächst mal moderat ausgeprägt …

              • Stefan Pietsch 19. Januar 2025, 10:47

                Seit einigen Monaten sind manche Spitzengrüne total von sich begeistert, weil sie aussprechen, was die große Mehrheit seit Ewigkeiten weiß: Es kann nicht jeder nach Deutschland. Doch statt politischer Maßnahmen, wie die Erkenntnis sich der Realität annähern könnte, folgt, dass wir im Grunde nichts machen können. Denn, wie die Union richtig sagt: Wir sind ein Einreiseland, nicht ein Einwanderungsland.

                Vor zehn Jahren wäre Ihre Positionierung, die das sage ich durchaus respektvoll, Ihnen einige abverlangt, eine Diskussionsgrundlage gewesen. Doch die Zeiten haben sich geändert und die 2015 bestehenden Probleme wurden nicht angegangen. Und ein Unternehmen, dass seit Jahren Verluste schreibt, wird das Management austauschen und harte Sanierer holen, gerade wenn das alte behauptet, Gewinne wären gar nicht möglich. Die Faktenlage: inzwischen sind so 4,4 Millionen Menschen weitgehend aus fernen Kulturen zugewandert, die meisten sind auch nach Jahren auf die finanzielle Unterstützung der Altbürger angewiesen, während es ihnen leicht gemacht wird, Neubürger zu werden, die selbst bei schlimmen Vergehen nicht mehr ausgewiesen werden können. Während 2013 nur jeder fünfte Sozialhilfeempfänger einen Migrationshintergrund hatte, ist es heute drei von vier. Die schwere Gewaltkriminalität ist sichtbar und messbar deutlich gestiegen, soziale Ressourcen knapp geworden.

                Die Mehrheit in diesem Land ist, um einen rechten Slogan aus den Neunzigern zu verwenden, der Überzeugung, das Boot sei nicht nur voll, sondern so voll, dass wir kentern. Und so vermisse ich in Ihrer langen Erwiderung den Respekt vor der Position der breiten Mehrheit, denn was Sie wiedergeben, ist die Position von 20-25 Prozent der Gesellschaft. Es fängt mit einem einfachen Sachverhalt an: Donald Trump ist der gewählte neue Präsident der USA, nach allen demokratischen Regeln, völlig überzeugend auch im sogenannten Popular Vote. Die Amerikaner in ihrer Mehrheit wollen eine Persönlichkeit wie Trump an der Spitze, trotz seiner langen Liste an Vergehen gegen den guten Common Sense. Hier zu sagen, was Trump durchsetzen will, sei gegen „unsere“ Werte, ist da weit hergeholt und missachtet das Offensichtliche.

                Die große Mehrheit in den westlichen Gesellschaften ist längst der Überzeugung, dass wir unsere Gemeinschaften mit den alten Regeln zerstören. Millionen arme Menschen auf dieser Erde haben wie ihre politischen Anführer erkannt, wie diese sich zum eigenen Vorteil ausnutzen lassen. Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde 1953 geboren, das Grundgesetz mit Artikel 16 (damals) sogar vier Jahre zuvor. Das war eine Welt, die ganz anders war als unsere heutige und unter dem Eindruck des Massenmordes eines Regimes stand. Hätte man damals gewusst, dass nicht ein paar hundert oder Flüchtlinge an die Tore einer entwickelten Welt nicht nur klopfen, sondern sie überrennen würden, hätte man die Regeln nicht so gemacht.

                Deswegen werden wir neu und klar sortieren müssen: Echte Flüchtlinge ins Töpfchen, die anderen ins Kröpfchen. Niemand derjenigen, die hier Asyl erbitten, will tatsächlich nach Ruanda oder nur Albanien. Das ist der Punkt. Ein echter Flüchtling will nur Schutz, dem ist es drittrangig, ob er vor einer unmittelbaren Gefahr für sein Leben in einem nicht so schönen Land Unterschlupf findet. Deswegen muss es darum gehen, alle Pseudoflüchtlinge abzuschrecken, damit neu sortiert werden kann. Denn die Frage stellt kein Linker: Warum kommen hier keine echten Armen mit zerrissenen Hemden an? Die ehrliche Antwort: Weil sie gar nicht die Mittel haben. Wer es in den Westen schafft, muss in seiner Gesellschaft wohlhabend sein um die hohen Summen für den langen Fluchtweg aufbringen zu können. Und warum ist der Großteil Männer? Haben Frauen und Kinder oder älteren Menschen keinen Grund zu fliehen? Wollen wir den Bedürftigsten notwendige Hilfe gewähren, ist unsere Auswahlmethode falsch.

                Sie malen ein Ideal von Flüchtlingen, die es außer in Spurenelementen nicht gibt. Wer es lebend durch die von Ihnen geschilderten Umstände schafft, muss ein außerordentlich harter Knochen sein. Doch wer in der Wüste Menschen beim Sterben zusehen kann, ist vielleicht nicht der ideale Charakter, um in einer zivilen Gesellschaft aufzugehen. Das Problem ist doch nicht unbekannt: Auch Deutschland hatte Probleme, die Kriegsversehrten und Heimkehrer in die neue, friedliche, auf Gesetzen aufbauende Bundesrepublik einzubinden.

                Tatsächlich kommen Migranten gezielt nach Deutschland, weil sie hier Anknüpfungspunkte finden (Familie, Freunde, eine “Heimat-Community”) und weil sie sich im wirtschaftsstarken Deutschland Hoffnung auf Arbeit machen.

                Glauben Sie das immer noch? Meine Lebenserfahrung lehrt mich, dass wenn Menschen regelmäßig ihr propagiertes Ziel um Weiten verfehlen, sie entweder dumm und unfähig sind – oder ganz andere Ziele verfolgen. Der Großteil der Flüchtlinge ist auch nach einem Jahrzehnt von Transfers zumindest teilweise abhängig. Ich schließe da mehr und mehr die Erklärung „Dummheit“ aus. Wir sehen das ja auch im Vergleich bei den Ukrainern: In Polen und Dänemark arbeiten 80 Prozent, hier nur 20 Prozent, obwohl eine Arbeitsaufnahme nicht signifikant schwerer ist. Die Unterschiede sind zu krass um sie mit den hiesigen Begründungen akzeptieren zu können. Was für diese spezielle Klientel gilt, gilt für die große Masse umso mehr.

                Dann gibt es immer wieder Forderungen nach mehr Abschiebungen. Diese Abschiebungen treffen übrigens fast immer die Falschen (..).

                Ich sage schon sehr lange: Wenn wir nicht die Richtigen abschieben können, dann müssen wir eben die Falschen abschieben. Irgendjemand muss abgeschoben werden. Auch an dieser Stelle verstehe ich die politische Linke nicht, die ernsthaft behauptet, man könne Vergewaltiger und Mörder von Ungläubigen nicht nach Afghanistan abschieben. Bitte, was soll denen da passieren?! Ach so, wir wissen es doch längst: Nach ein paar Tagen werden sie in Kabul in die Freiheit entlassen. Schlimmes Schicksal!

                Klar kann die Bundesregierung die Taliban anerkennen und die Terrorexporteure damit international aufwerten. Und klar könnten wir dann mit denen verhandeln, dass sie abgelehnte afghanische Migranten zurücknehmen.

                Wir schicken einen höheren dreistelligen Millionenbetrag nach Afghanistan. Was passiert denn damit? Und warum können wir nicht, was Schweden kann? Und warum fliegen wir immer noch monatlich tausende Afghanen nach Deutschland? Da geht, was Sie behaupten sonst nicht ginge. Wir verteilen munter Geld an Nicht-Demokratien, weigern uns aber, Geld einzusetzen, um Zugeständnisse zu erreichen – Argument nicht nur der Grünen: Wir wollen auf „Augenhöhe“ verhandeln.

                Bekanntermaßen flüchtete die Bundeswehr 2021 aus Afghanistan und überließ damals die Menschen, die sie bis dato noch beschützt und wo sie geholfen hatte, zivile Regeln durchzusetzen, ihrem Schicksal. Der Abzug war viele Jahre von Linken gefordert worden mit dem Argument, wir könnten nicht der Welt unsere Regeln aufzwingen. Der Geltungsbereich des Grundgesetzes gilt allein für die Bundesrepublik Deutschland. Und damit seine Werte. Es gilt für Bürger der Bundesrepublik. Wenn Diktatoren in fernen Ländern ihre Bürger niedermetzeln, dann ist das erstmal so. Dann ist das vielleicht ein Fall für die UN, aber nicht für den Deutschen Bundestag oder den Bundesgerichtshof. Wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken, weil sie wissentlich auf ein nicht seetaugliches Boot gestiegen sind, dann ist das auch so. Die Polizei überwacht in Deutschland auch nicht jeden Trassenkilometer der Bahn, ob sich da nicht ein Selbstmörder findet.

                Es ist mit unseren Werten durchaus vereinbar, dass wir uns aus den „inneren Angelegenheiten“ souveräner Staaten heraushalten – wenn es nicht gerade die USA sind. Es ist mit unseren Werten vereinbar, dass wir nicht jeden Selbstmord verhindern können. Es ist nicht mit unseren Werten vereinbar, dass jeder ohne Ausweispapiere einreist um dann für viele Jahre finanzielle Hilfe zu erhalten, ohne dass wir etwas über seine Herkunft wissen. Und es ist nicht mit den Werten der großen Mehrheit vereinbar, Menschen Kost und Logis zu gewähren, obwohl sie gar nicht hier sein dürften und Straftaten begangen haben.

                Vor zehn Jahren schrieb ich die Erkenntnis sämtlicher Einwanderungsländer in einen Artikel: Man kann nicht ein liberales Einwanderungsland sein und ein großzügiger Sozialstaat. Einwanderungsland zu sein, bedeutet, die Sozialleistungen zu reduzieren. Skandinavier und Niederländer haben sich für den Erhalt ihres Sozialstaates entschieden und dafür die Einwanderungskriterien drastisch verschärft. Wir haben die Welt eingeladen und dann noch die Sozialleistungen erhöht. Das Ergebnis ist, dass wir hier jetzt alle möglichen „Communities“ beherbergen.

                Die demokratische Mitte hat noch einmal die Chance, 2025-2029 das Problem der Massenmigration zu lösen – im Sinne der Mehrheit. Gelingt das nicht, dürfen Sie sich nicht beklagen, wenn 2029 die AfD die relative Mehrheit erhält.

                • CitizenK 19. Januar 2025, 11:53

                  „Die Amerikaner in ihrer Mehrheit wollen eine Persönlichkeit wie Trump an der Spitze“

                  Diese Tatsache markiert das Ende der „Wertgemeinschaft“ mit den USA. Diese sind ab Montag kein Rechtsstaat mehr und keine Demokratie im Sinne de Grundgesetzes.

                  • Stefan Pietsch 19. Januar 2025, 11:56

                    Das könnten Amerikaner über uns sagen. Und Ihnen müsste längst aufgegangen sein, dass wir in den wichtigsten Politikfeldern und Werten über Kreuz mit der großen Mehrheit der EU-Partner und der westlichen Wertegemeinschaft liegen. Aber wir sind ja die Guten!

                    • CitizenK 19. Januar 2025, 15:13

                      „Aber wir sind ja die Guten!“
                      Ist das Grundgesetz plötzlich nicht mehr „gut“?
                      Die Mehrheit der Amerikaner will ganz offensichtlich einen anderen Staat. Ein Staatschef über dem Gesetz, bestätigt vom Obersten Gericht mit einem hochkorrupten Mitglied, ist bei uns noch nicht vorstellbar. Noch werden Putschisten hierzulande strafrechtlich verfolgt und nicht als Patrioten hochgelobt. Noch wird Abweichlern in der Regierungspartei nicht schon deshalb mit Strafverfolgung gedroht. Und so weiter.

                      Aber ich sehe, dass manche einige sehr schnell auf die neue Linie einschwenken, die gestern noch als Herolde von Rechtsstaat und Gewaltenteilung auftraten. Auf einmal ist ein Sexualstraftäter und notorischer Lügner als Staatschef gar nicht mal mehr so schlimm.

                    • Stefan Pietsch 19. Januar 2025, 15:45

                      Was wissen Sie von den USA? Nichts.

                      Als 2015 die Bundeskanzlerin die gesellschaftliche Statik fundamental veränderte, fand dies ohne eine einzige Debatte und Abstimmung im Deutschen Bundestag statt. Doch Linke wie Stefan uns Sie fanden, dafür habe Merkel ein Mandat gehabt.

                      2009 erzielten Union und FDP eine überzeugende Mehrheit, als sie auch mit einer Ausweitung der Laufzeiten der Atommeiler warben. Ohne jede Debatte im Bundestag entschied zwei Jahre später die Regierung, die Laufzeiten zu begrenzen.

                      Die Ampelregierung setzte zahlreiche Gesetze durch, die nur bei einer kleinen gesellschaftlichen Gruppe Zustimmung fanden: Reform Staatsbürgerschaftsrecht, Heizungsgesetz, Selbstbestimmungsgesetz, Bürgergeld uva. Irgendwas mit repräsentativ, fasselte da die Minderheit.

                      Und so ein Land will den USA Lektionen über Demokratie (Herrschaft des – Mehrheit – des Volkes) geben? Das soll wohl ein Witz sein?

                  • Thorsten Haupts 19. Januar 2025, 12:23

                    Die USA sind mit dem Tag der Amtseinführung eines legal gewählten US-Präsidenten nach einer freien Wahl automatisch keine Demokratie und kein Rechtsstaat mehr? Staun …

                • Ralf 19. Januar 2025, 13:27

                  Ich sage schon sehr lange: Wenn wir nicht die Richtigen abschieben können, dann müssen wir eben die Falschen abschieben. Irgendjemand muss abgeschoben werden.

                  Diese Logik führt zur Abschiebung des Krankenpflegers und des Bäckerlehrlings, während Terroristen, Vergewaltiger und Räuber in Deutschland bleiben. Wie ein AfD-Verhinderungsprogramm klingt das für mich nicht. Und es ist auch nicht wirtschaftlich sinnvoll, wenn wir anschließend aufgrund unserer dramatisch schrumpfenden Demographie losziehen müssen, um in fernen Ländern Arbeitskräfte anzuwerben.

                  Tatsächlich muss es uns – meiner persönlichen Meinung nach – darum gehen, dass wir differenzieren zwischen Migranten, die optimalerweise selbst, deren zweite Generation aber zumindest eine gute Integrationsprognose hat (Integration definiert als kulturelle Assimilation, nicht lediglich als “begrenzte Deutschkenntnisse und Respekt unserer Gesetze und Verfassung”, was Maßstäbe wären, die ich eher an Touristen anlege). Ein Indikator für eine positive Integrationsprognose der zweiten Generation wäre zum Kinder, die das Gymnasium besuchen. Diesen Migranten sollten wir eine Perspektive zur deutschen Staatsbürgerschaft ermöglichen, so wie das in den USA nach fünf Jahren Greencard-Status auch möglich ist. Bei diesen Migranten interessiert mich ehrlich gesagt auch nicht die Bohne, ob die legal oder illegal eingewandert sind, oder ob sie mit den Einwanderungsbehörden kooperiert haben oder nicht. Deutschland braucht dringend integrationswillige Bürger.

                  Bei Migranten, bei denen positive Integrationsperspektiven nicht gegeben sind, sollte der Staat abwägen zwischen gesellschaftlichem Interesse an diesen Bürgern und der Belastung unserer sozialen Systeme und auch der Toleranz, die unsere Communities für Fremde aufbringen können. Ihnen ist sicher auch schon aufgefallen, dass heutzutage kaum ein Pflegeheim zu betreiben wäre, kaum ein Taxi fahren würde und kaum ein kleiner Laden offen bleiben könnte, wenn es keine Migranten gäbe. Kürzlich hatte ich einige Arztbesuche. Fast in jeder Praxis sind die Sprechstundenhilfen Migranten. An jeder Bäckerei, an der ich vorbeigehe, klebt ein Zettel am Fenster: “Suchen Verkäufer”. Unsere Wirtschaft ist – und das kann man durchaus bedauern – in vielen Fällen auf Menschen angewiesen, deren Integrationsprognose suboptimal ist. Zu versuchen in diese Menschen zu investieren und deren Integration zu fördern und Integration zu ermutigen, macht Sinn – auf jeden Fall solange, wie wir niemand anders haben, der bei deren Abschiebung die aufreißenden Lücken füllen könnte.

                  Demgegenüber gibt es eine große Zahl an Menschen, die keinerlei Bemühungen gemacht haben in Deutschland in irgendeiner Weise zum Gemeinwohl beizutragen. Und manche sind sogar straffällig geworden. Mir leuchtet nicht ein, weshalb wir nicht diese Klientel in den Fokus nehmen sollten, wenn es zu Abschiebungen kommt.

                  • CitizenK 19. Januar 2025, 14:54

                    Es wird ja auch beklagt, dass vor allem junge kräftige Männer (durch)kommen. Warum die nicht an die Kandare nehmen und ausbilden? Dann wär auch der (ebenfalls beklagten) Verweichlichung der Jungen etwas entgegengesetzt.

                  • Stefan Pietsch 19. Januar 2025, 15:37

                    Diese Logik führt zur Abschiebung des Krankenpflegers und des Bäckerlehrlings, während Terroristen, Vergewaltiger und Räuber in Deutschland bleiben.

                    In dieser Form, ja, sicher. Es ist ein Manöver aus der Spieltheorie. Derzeit haben 20-25 Prozent der Wählergruppen eine Blockademacht gegen eine restriktivere Abschiebepolitik, welche sie auch ausnutzen. Es braucht einen gesellschaftlichen Konsens, dass und wen wir abschieben. Doch diesen Konsens erreichen wir nicht durch Argumentieren. Das versuchen rechte Schichten seit zehn Jahren. Die harte Fraktion sind Leute wie Ariane und teilweise Stefan, die selbst schlimmste Gewalttäter nicht abschieben wollen. So hat Ariane vor einigen Wochen hier gesagt, sie möchte diese Täter in deutschen Gefängnissen sehen und nach Verbüßung ihrer Strafe sollen sie reintegriert werden. Ich halte das für hemmungslos naiv, aber das ist meine Meinung.

                    Wie bewege ich solche Menschen, wenn ihre Parteien über eine Blockademacht verfügen? In dem ich sie zwinge, für ihre Haltung einen Preis zu bezahlen. In dem ich ihnen Schaden androhe. Ja, es ist nicht sinnvoll, gut integrierte Menschen abzuschieben, weil sie leicht erreichbar sind. Aber es ist auch unsinnig, hier Menschen zu behalten, die kein Aufenthaltsrecht haben, sich nicht integrieren wollen, Straftaten verüben und unsere Kultur bekämpfen. Die Unvernünftigen sagen, wir behalten beide Typen. Die Frage ist, ob die Unvernünftigen so sehr an dieser Position hängen, dass sie es notfalls zulassen würden, dass die „Falschen“ abgeschoben werden. Was meinen Sie?

                    Wie gesagt, das beste Beispiel sind die nach Afghanistan abgeschobenen Vergewaltiger, die dort nach wenigen Tagen von den Taliban auf freien Fuß gesetzt wurden. Und für die empfinden wir ein Schutzbedürfnis? Die meisten halten das für irre.

                    Das Argument, dass wir Zuwanderung brauchen, um unsere demographischen Probleme zu mildern, gibt es seit mindestens 30 Jahren. Während der Eurokrise wanderten viele gut qualifizierte Südeuropäer nach Deutschland ein. Doch sie blieben nicht. Sie selbst behaupten seit über 10 Jahren hier im Blog, nach ihrer Erfahrung blieben hochqualifizierte Auswanderer in die USA nur zeitweise und kämen dann zurück. Doch in diesen 10 Jahren wurde der Saldo der Migration zu den USA nie positiv, obwohl es immer weniger Deutsche im Alter 25-35 gibt. Ihre Theorie stimmt nicht, das zeigen die Zahlen. Überhaupt wandert kaum jemand aus den entwickelten Ländern mit höheren Einkommensansprüchen nach Deutschland ein.

                    Denn jeder, der gut verdient, weiß, dass ihm hier am meisten abgenommen wird. Das ist nicht attraktiv. Die Zahlen zeigen auch: Wir können Zuwanderer nicht systematisch in den Arbeitsmarkt integrieren. Wenn es gelingt, ist das ein reines Zufallsprodukt und den individuellen Charaktereigenschaften der Person geschuldet. Vor anderthalb Jahren hatten wir plötzlich ein Problem an unseren Flughäfen. Es gab viel zu wenige Packer, die die Maschinen be- und entladen. Ein Blick in die Statistik der Langzeitarbeitslosen offenbarte, dass wir einen Zuwachs an geringqualifizierten Migranten ohne Arbeit hatten. Seltsamerweise verfiel die Politik nicht auf den eigentlich naheliegenden Gedanken, diese Leute für die Arbeit zu aktivieren, sondern wollte aus der Türkei zusätzliche Arbeitskräfte importieren.

                    Wenn es uns in zehn Jahren nicht gelungen ist, einen (damals) jungen Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wird es nach dieser Zeit nicht mehr gelingen. Das ist wider jede Erfahrung von Arbeitsmarktexperten. Diese „Flüchtlinge“ werden für alle Zeiten Kostgänger des hiesigen Sozialsystems sein. Für ein Land mit schrumpfender Erwerbsbevölkerung und wachsendem Rentnerheer ist eine solche Entwicklung nicht nur eine Katastrophe. Sie wirkt wie ein Brandbeschleuniger.

                    Die Argumentation, wir bräuchten in den Pflegeberufen mehr Personal und seien auf Migranten angewiesen, ist nicht neu. Die gab es schon vor 10 Jahren und schon damals waren viele Ärzte und Pfleger in öffentlichen Krankenhäusern Menschen mit Migrationshintergrund. Seit dem hat sich nichts verbessert, obwohl wir eine Massenmigration hatten. Aber die fand in die Sozialsysteme statt.

                    Sie haben behauptet, die Menschen kämen aus Gründen der Cluster hierher. Das stimmt nur sehr bedingt. Schweden und Dänemark haben diese Milieus aufgebrochen und die Menschen zur Abwanderung gebracht. Sie haben auch behauptet, die Flüchtlinge kämen hierher, um zu arbeiten. Doch wie kann das sein? Das passt nicht zusammen. Ersteres und zweiteres können zusammen nicht stimmen. Wer in ein Land auswandert und arbeiten will, informiert sich intensiv über die Möglichkeiten der Arbeitsaufnahme. Die Erfahrung ihrer Landsleute sollte sie gelehrt haben, dass es außerordentlich schwer bis unmöglich ist, mit geringer Bildung in Westeuropa sich selbst oder gar eine Familie zu ernähren. Und was ist mit dem Libanesen, der vor einiger Zeit bewilligt bekam, seine acht (!) Kinder und zwei (!) Frauen nach Deutschland zu holen. Zu glauben, jemand aus einem Entwicklungsland mit entsprechend schlechterer Bildung könne in Deutschland mit seinen Fähigkeiten eine so große Familie unterhalten, überfordert die Gutgläubigkeit seiner Mitmenschen in beleidigender Weise.

                    • Ralf 19. Januar 2025, 19:49

                      Mein Eindruck ist, dass die Bereitschaft zu einer robusteren Migrationspolitik unter dem Druck der Wähler auch im eher linken Lager zunimmt. Die Grünen waren zum Beispiel bei Lösungen auf europäischer Ebene durchaus bereit schmerzhafte Kompromisse mitzutragen, während die Führung der Jugendorganisation aus Protest die Partei verlassen hat. Statt zu beklagen, dass nicht alle zu 100% auf Ihrer Linie sind, könnten Sie sich freuen, dass man Ihnen nun selbst beim erklärten politischen Gegner zu 70% entgegenkommt. Ein rationaler Player würde schon mal diese 70% nehmen, deren Implementierung ohnehin Jahre dauern wird, und dann versuchen weiter zu verhandeln.

                      Was die Attraktivität Deutschlands angeht, da gab es gerade kürzlich erst einen Bericht im Spiegel zum Thema, weshalb so viele ausländische Fachkräfte wieder aus Deutschland wegziehen. Der dominierende Grund scheinen nicht die hohen Steuern zu sein, sondern die Tatsache, dass die Menschen sich in Deutschland nicht willkommen fühlen. Ich kann das dadurch, dass ich lange in den USA gelebt habe, sehr gut nachvollziehen. In den USA ist jeder Fremde erstmal „Potential“. Man wird miteingeschlossen. Man wird als frisches Blut für die bunte amerikanische Gesellschaft betrachtet. In Deutschland hingegen, ist man als Fremder erstmal ein „Problem“. Man bleibt dauerhaft Außenseiter. Für Menschen, die sich gerne irgendwann langfristig niederlassen wollen, ist unser Land unattraktiv. Von der überbordenden Bürokratie, dem rückständigen Amtswesen, der Bahn, die nie fährt, den schlechten Internetverbindungen mal zu schweigen. Von außen wirkt Deutschland wie ein Absteiger. Der VfL Bochum der Industrienationen.

                      Was die Repräsentation von Migranten, die zumindest ursprünglich aus den unteren gesellschaftlichen Segmenten kommen, im Berufsspektrum angeht, stelle ich zumindest in den letzten 10 Jahren erdrutschartige Veränderungen fest. Als ich klein war, gab es zum Beispiel zwar sehr viele türkische Mitbürger in meiner Heimatstadt, aber die arbeiteten alle homogen in Fabriken. Die Frauen, wenn sie denn arbeiteten, waren Putzfrauen. Dann – irgendwann in den 2010er Jahren – bekam ich Post von meiner Bank. Unterschrieben von meinem neuen Sachbearbeiter. Mit türkischem Nachnamen. Ich erinnere mich noch an mein Erstaunen. Einen türkischen Mitarbeiter bei einer Bank hatte ich noch nie gesehen. Seither hat mein Sachbearbeiter mehrfach gewechselt. Es sind aber immer türkische Namen geblieben.

                      Gleichzeitig sehe ich immer mehr Verkäufer in kleinen Bäckereien und anderen Läden, die merklich ausländisch aussehen und oft nur mäßig deutsch sprechen. Kürzlich war ich bei einigen Ärzten. Die Sprechstundenhilfen trugen fast alle Kopftuch. Dasselbe gilt für die neuen Helferinnen bei meiner Zahnärztin. Im Pflegeheim, in dem mein Vater zuletzt lebte, waren alle Mitarbeiter Migranten. Ausnahmslos. In einem Restaurant der gehobenen Klasse wurde ich vor einigen Wochen von einem Kellner bedient, der sich sehr bemühte deutsch zu sprechen, aber sichtlich Schwierigkeiten hatte. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal einen Taxifahrer hatte, der Deutscher war.

                      Kurzum – Migranten, die in den 80ern und 90ern noch wenig berufliche Perspektiven hatten, drängen zunehmend in Jobs der regulären Mittelklasse. Da bewegt sich – zumindest meiner Beobachtung nach – gerade sehr viel. Natürlich löst das nicht alle Probleme und viel zu viele Migranten arbeiten nicht oder arbeiten schwarz. Aber es gibt dennoch ein signifikantes Segment von Menschen, das versucht sich hochzuarbeiten. Es ist in unserem Interesse diese Menschen zu ermutigen und zu fördern und nicht mit Gerede über Abschiebungen zu verunsichern. Denn diese Menschen brauchen wir. Und diese Menschen müssen verstehen, dass sie nicht gemeint sind, wenn über „Problemmigranten“ gesprochen wird.

                    • Stefan Pietsch 19. Januar 2025, 20:50

                      Nun, das sind doch hauptsächlich verbale Übungen bei den Grünen. Bei der SPD hat man inzwischen verstanden, dass die ungesteuerte Migration ihnen das Wählerreservoir abgräbt. Deswegen sind sie bei einer Regierungsbildung im Vorteil. Tatsächlich hatte Baerbock 2023 in Brüssel den Migrationsdeal mitgezeichnet, aber dann konnte die Parteiführung diesen nur mit ganz großen Schwierigkeiten auf dem Parteitag, ja, durchsetzen ist das falsche Wort. Eine Mehrheit stand eigentlich gegen die Vereinbarung, also mussten alle Top-Leute am Ende in die Bütt. Es war knapp.

                      Im vergangenen Jahr stand die Vereinbarung zur Bezahlkarte, wurde aber über Monate im Bundestag von der Grünenfraktion blockiert. Baerbock hat eine ausgewachsene Visa-Affäre am Hals, weil ihr Ministerium seit Jahren Afghanen ausfliegen lässt, ohne deren Identität ausreichend zu überprüfen. Außerdem ist die Auswahl der Personen an NGOs ausgelagert. Der sogenannte Spurwechsel ist auch eine Idee, die nur noch von den Grünen verfochten wird. Ein zentrales Ziel der Union (hinter dem Millionen bürgerliche Wähler stehen) ist die Rücknahme der Staatsbürgerschaftsreform. Das wird schon mit der SPD schwer, mit den Grünen als Koalitionspartner ist es unmöglich. Die Grünen waren es auch, die nach der Europameisterschaft 2024 auf die Aufhebung der Grenzkontrollen drängte.

                      Was die Attraktivität Deutschlands angeht, da gab es gerade kürzlich erst einen Bericht im Spiegel zum Thema, weshalb so viele ausländische Fachkräfte wieder aus Deutschland wegziehen.

                      An dieser Position fehlt es doch einigermaßen an Logik. Deutschland ist das Land, das Einkommen am höchsten besteuert. In Deutschland arbeitet deswegen ein relativ hoher Anteil der Beschäftigten schwarz. Deutschland hat auch einen wesentlich höheren Brain Drain als niedrig besteuernde Länder wie die Schweiz, die USA, Kanada oder Luxemburg. Ich beschäftige mich seit 35 Jahren mit Gehältern. Das Entgelt ist in allen Einkommensgruppen ein Top-Kriterium, über alle Nationalitäten hinweg. Zudem bekommen die Hochbesteuerten wenig für ihr Geld, was sich insbesondere bei der Rente zeigt.

                      Deutschland hat einen höheren Migrantenanteil als die USA. Ein Land mit ausgeprägter Ausländerfeindlichkeit zieht wohl kaum Millionen Zuwanderer an. Aber wir sind eben nur für Zuwanderer interessant, die uns wenig zu bieten haben, die aber viel gewinnen, wenn sie nach Deutschland kommen. Das ist eigentlich unbestreitbar und eindeutig in den langen statistischen Reihen ablesbar. Und warum wandern eigentlich seit zwei Jahrzehnten so viele Deutsche aus? Vielleicht, weil wir deutschenfeindlich sind?

                      Mir persönlich sind Namen egal. Da ich ein sehr schlechtes Namensgedächtnis habe, vergesse ich alle und kann sie kaum aussprechen. Ob der Name polnisch, indisch (okay, wirklich schlecht), französisch oder englisch ist, ist für mich völlig unwesentlich. Es gibt eigentlich kein Unternehmen mehr, dass sich eine Auswahl nach Namen und Herkunft leisten kann. Vor allem nicht im Mittelstand unterhalb des Premiummarktes. Aber mangelnde Qualifikation lässt sich im mittel- und hochpreisigen Segment einfach nicht kompensieren.

                      Kopftuch ist so ein Punkt. Erstens arbeiten viel weniger muslimische Frauen als Männer. Zweitens zeigt in unserer Gesellschaft derjenige, der sein Gesicht oder generell seinen Kopf verhüllt, dass er sich abgrenzen will. Das ist das Gegenteil von Integration. Und es ist mit unseren Werten nicht vereinbar, 10-, 12-jährige Mädchen ein Kopftuch aufzuzwingen und in den Sommermonaten zu ausgiebigen Urlauben in die Heimat zu entführen. Genau diese Verbrechen an Kindern haben außerordentlich zugenommen, ohne dass sie ihren Widerhall in der Kriminalitätsstatistik wiederfinden. Wir werden gezwungen es zu akzeptieren und damit unsere Werte zu verbiegen.

                      Halten Sie mich nicht für einen Idioten. Natürlich will ich keine Menschen abschieben, die hier gut integriert sind. Aber ich will die beschriebene Blockademacht brechen. Und zwar, bevor die AfD eine bekommt.

                    • Ralf 19. Januar 2025, 22:13

                      warum wandern eigentlich seit zwei Jahrzehnten so viele Deutsche aus?

                      Ich bin kein Migrationsexperte und kann die Frage nur für mein eigenes Feld, die Wissenschaft, beantworten:
                      Deutschland ist bestenfalls Mittelmaß und im Abstieg begriffen. Die Begeisterung, die Dynamik, die Atmosphäre einer amerikanischen Spitzenuniversität kann Ihnen kein deutsches Institut bieten. Wer etwas werden will, geht dorthin, wo investiert wird und wo gute Leute sind. Im Zweifel ist das eben nicht Deutschland. Mir ist hingegen kein Kollege bekannt, der wegen der Steuern ausgewandert ist.

                      Und lustig, weil Sie die Schweiz ansprachen: Ich hab mal über meinen Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreis nachgedacht. Ich kann mit sechs Beispielen aufwarten, die alle anderswo geboren sind, dann in die Schweiz gezogen sind, mehrere Jahre in der Schweiz gelebt und gearbeitet haben und dann am Ende nach Deutschland oder Österreich gezogen sind, wo Gehälter deutlich niedriger und Steuern deutlich höher sind. Umgekehrt kenne ich niemanden, der dauerhaft in der Schweiz geblieben wäre. Und das obwohl drei meiner sechs Beispiele sogar einen Schweizer Pass haben. Man fragt sich warum?

                    • Stefan Pietsch 19. Januar 2025, 23:18

                      Nun, nochmal zurück zu Ihren Thesen. So behaupteten Sie, Ursache für die Abwanderung von Spaniern und Griechen nach dem Abflauen der Staatsschuldenkrise sowie der Unattraktivität Deutschlands bei Gutqualifizierten sei die Ausländerfeindlichkeit. Wie sich dazu der sehr hohe Migrantenanteil erklärt, dafür bieten Sie nichts an. Und auch von der Logik her fragt sich, ob dann die übrigen 60 Prozent ein stärkeres ausländerfeindliches Klima schaffen als die 75 Prozent eingeborenen Amerikaner. Oder werden auch die Zuwanderer ausländerfeindlich?

                      Es ist eine erstaunliche These, dass die Steuerhöhe anscheinend nur für Millionäre und Milliardäre ein Kriterium ist, die notfalls sogar in Steueroasen wie Monaco auswandern. Geld verdirbt den Charakter. Gut, in Deutschland führen Mitarbeiter auch oft in Unkenntnis ihres Bruttoentgelts Gehaltsverhandlungen. Ich habe hauptsächlich Forderungen hingeknallt bekommen, was ein Mitarbeiter netto haben will – so als wäre ich für Steuern und Sozialabgaben zuständig.

                      Würde Ihre These stimmen, wäre doch zu fragen, warum nicht jedes Land so hoch besteuert wie Deutschland, schließlich ließen sich so viel leichter öffentliche Aufgaben lösen. Wenn die Steuerhöhe keinen Einfluss auf Arbeitsanreize hat, kann man problemlos an der Steuerschraube drehen. Diese Ansicht haben Sie, hat man in Deutschland jedoch exklusiv. Wieder das Bild vom Geisterfahrer.

                      Fallen bei mir die Resultate von Studien gravierend von persönlichen Erfahrungen ab -was extrem selten der Fall ist – macht mich das besonders neugierig. Es ist Ihnen mit Sicherheit bekannt, dass die Schweiz seit Jahrzehnten das beliebteste Auswanderungsland der Deutschen ist. Und auch hier ist der Saldo traditionell negativ, es kommen also nur wenige zurück. Ihre Bekannten bilden also die Abweichung von der statistischen Norm. Macht Sie das nicht neugierig? Die Schweiz ist schließlich gerade für Gut- und Hochverdiener besonders attraktiv, denn das Leben in dem Alpenland muss man sich leisten können. Das geht mit einem hohen Bruttoeinkommen.

                      Ich habe hier mal in einem Artikel aufgelistet, wie viel mehr ein Einkommensbezieher in anderen Ländern behält. In meinem Fall würde ich je 100.000 Euro Einkommen zwischen 10.000 und 40.000 Euro mehr behalten. Pro Jahr. Auf die Dauer summiert sich das. Fakt ist auch, dass die Deutschen über wenig Vermögen verfügen. Und das liegt nicht an ihrer Sparquote.

                      In meinem Urlaub auf Mauritius habe ich einen Briten kennengelernt, der vor zehn Jahren nach Dubai ausgewandert ist. Dort verdient man faktisch brutto für netto, alles ist besonders sauber und die Menschen sind herausragend ehrlich (auch wegen horrender Strafen). Für ihn gibt es keinen Grund, zurück auf die Insel zu gehen. Warum auch?

                      Und die Steuerhöhe spielt keine Rolle? Haben Sie mal Auswanderersendungen gesehen? Überall wird das höhere Netto vom Brutto hervorgehoben, egal ob die Leute nach Luxemburg, Kanada oder eben Dubai gehen.

                      Also, Ihre Erfahrungen und Positionen passen so überhaupt nicht mit den objektiven Fakten zusammen. Und das sollte eigentlich verwirren.

                    • Ralf 19. Januar 2025, 23:56

                      Ich bezeichne die deutsche Gesellschaft nicht als ausländerfeindlich, sondern als abweisend. Fremde werden als Arbeiter akzeptiert und ansonsten primär als Problem wahrgenommen. Es gibt keine “Du gehörst dazu”-Kultur. Und wer keine Freunde hat, keinen Anschluss findet und keine stabilen Bindungen mit der hiesigen Bevölkerung eingeht, schlägt dann eben auch keine Wurzeln, sondern ist beim ersten alternativen Angebot weg. Egal wie hoch das Gehalt ist.

                      Was die Schweiz als Auswanderungsland angeht, behaupte ich nicht, dass meine anekdotischen Bekanntschaften repräsentativ sind. Aber sie stehen im Einklang mit Motiven von Auswanderern in die USA, wo ich die Situation besser kenne. Alle meine Beispiele von Bekannten, die zunächst in die Schweiz auswanderten, dann aber zurückkehrten, taten das übrigens am Anfang ihrer Karriere, zu einem Zeitpunkt, zu dem sie jung, kinderlos und ungebunden waren. Man könnte argumentieren, dass das die Zeit ist, in der man besonders egoistisch sein und den eigenen wirtschaftlichen Vorteil besonders maximieren könnte. Tatsächlich wendeten zumindest meine Bekannten dem Niedrigsteuer-Hochlohnland bald aber schon wieder den Rücken zu. Wer älter ist, Kinder hat und Rücksicht auf einen Partner nehmen muss, zieht vermutlich seltener um. Wen es also etwa in die Schweiz verschlagen hat und wessen Lebenssituation sich dort stabilisiert, wird möglicherweise eher langfristig dort bleiben. Und sicher ziehen insgesamt mehr Menschen in die Schweiz als nach Slowenien. Das liegt aber nicht nur an den Gehältern und Steuern, sondern an der starken Wirtschaft dort mit vielen Unternehmen und folglich reichen Job-Opportunities in der Alpenrepublik.

                      Interessanterweise ist meine Erfahrung, dass gerade internationale Bewerber bei Vorstellungsgesprächen oft keinen Plan von Gehältern haben. Der Gehaltswunsch der Bewerber wird in der Praxis nicht selten von uns überboten. Das macht mich skeptisch, dass zuvor eine intensive Recherche zur Lage der Steuer- und Abgabenlast im angestrebten Zielland stattgefunden hat.

                    • Stefan Pietsch 20. Januar 2025, 09:36

                      Ich bezeichne die deutsche Gesellschaft nicht als ausländerfeindlich, sondern als abweisend.

                      Das ändert nichts an dem Punkt. Nach den objektiven Zahlen ist Deutschland für Migranten außerordentlich attraktiv, vor allem für diejenigen, die dauerhaft bleiben wollen. Ebenfalls nach den objektiven langen Reihen scheint Deutschland für die eigenen Bürger ziemlich wenig attraktiv, seit 20 Jahren steigen die Auswandererzahlen. Ihr Argument ist jedoch, die Biodeutschen seien abweisend gegenüber Zuziehenden. Da hat man das Bild eines grummelnden Yeti vor Augen. Aber tatsächlich sind diese Deutschen durchaus mobil und aufgeschlossen zu anderen Ländern. Sie wandern gerne nach Spanien, USA und Kanada aus. Das will nicht so passen, schon gar nicht mit Ihren Erklärungen.

                      Fremde werden als Arbeiter akzeptiert und ansonsten primär als Problem wahrgenommen.

                      Das liegt daran, dass sie weit überproportional ein Problem sind. Das bilden sich die Menschen ja nicht ein. Wenn sie doch arbeiten, verdienen sie weit unterdurchschnittlich, sie sind häufiger im Bereich der Schwarzarbeit unterwegs (der Markt der Putzfrauen ist fest in der Hand von Musliminnen). Ausländische Kriminalität ist viel häufiger gewalttätig und in Clanstrukturen. Damit hat der Durchschnittsdeutsche keine Berührungspunkte.

                      Aber das ist in anderen Ländern nicht anders. Im Unterschied zu dem, was uns Hollywoodfilme und -serien suggerieren wollen, leben und heiraten auch Amerikaner in ihren Klassen. Mischehen sind so selten wie in Deutschland. Immer noch heiraten Frauen „nach oben“ und da sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass der Ehemann ein Syrer oder Afghane ist.

                      Und wer keine Freunde hat, keinen Anschluss findet und keine stabilen Bindungen mit der hiesigen Bevölkerung eingeht, schlägt dann eben auch keine Wurzeln, sondern ist beim ersten alternativen Angebot weg. Egal wie hoch das Gehalt ist.

                      Sie kneifen. Denn Sie bleiben die Antwort auf die auf der Hand liegende (und gestellte) Frage schuldig: Warum verschwinden die Spanier und Griechen, nicht aber die Türken, die doch angeblich so schlecht behandelt werden, die Syrer und Somali? Und tatsächlich stimmt auch das nicht. In Frankfurt ist die EZB ansässig. Ihre Mitarbeiter rekrutieren sich aus allen Herren Ländern der EU, deutsch ist da keineswegs dominierend. Und die Leute kommen gern zur EZB, aus Griechenland, Spanien, Frankreich. Das liegt nicht daran, dass die Zentralbank exorbitant hohe Gehälter zahlen würde. Das Einkommensniveau bewegt sich im normalen Bereich der Frankfurter Bankenszene. Es gibt jedoch eine Besonderheit: Die EZB ist exterritoriales Gebiet, dort gilt die deutsche Steuer- und Sozialgesetzgebung nicht. Und das bedeutet, dass die Beschäftigten wenig Steuern zahlen und ein höheres Nettogehalt beziehen. Aber es ist natürlich purer Zufall, dass dieser Arbeitgeber in Deutschland besonders beliebt bei Ausländern ist.

                      Es bleibt dabei: Sie erklären nicht, warum über einen sehr langen Zeitraum von 20 Jahren und mehr der Wanderungssaldo sowohl in die USA als auch die Schweiz deutlich negativ ist, d.h. wenige Amerikaner und Schweizer sowie Auswanderer nach Deutschland (zurück) kommen. Das ist, Ihr Argument zugrunde gelegt, eine statistische Anomalie. Streichen wir jedoch Ihr Argument und setzen dafür „Deutschland ist für High Potentials als Wirtschafts-, Einkommens- und Lebensstandort unattraktiv, löst sich die statistische Anomalie auf.

                      Also ist das sehr wahrscheinlich die wirkliche Erklärung.

                    • Ralf 20. Januar 2025, 11:14

                      Dass Amerikaner seltener nach Deutschland ziehen als Deutsche nach Amerika ist nicht verwunderlich. Erstens existiert eine Sprachbarriere in der einen, aber nicht in der anderen Richtung. Deutsche lernen früh und in der Schule verpflichtend Englisch, während kaum ein Amerikaner Deutsch spricht. Dazu sind Transatlantik-Migranten eher höher gebildet. Wer aber in den USA höher gebildet ist, hat enorme College-Schulden, die sich von typischen europäischen Gehältern – Steuern und Abgaben beiseite – nicht zurückzahlen lassen. Dazu kommt, dass es für Amerikaner steuerlich unangenehm ist, in anderen Ländern zu arbeiten, wegen der globalen Steuerpflicht. Dank Doppelbesteuerungsabkommen muss man zwar meist nicht viel zusätzliche Steuern bezahlen. Aber die Einkommensteuerpflicht schafft Bürokratie. Dazu kommen jährliche Berichtpflichten über Ihr Vermögen, sobald dieses mehr als 10.000 Dollar überschreitet. Private Rentenversicherungen können zudem weitere regelmäßige Berichtpflichten nach sich ziehen. Ich musste z.B. vierteljährlich ein siebenseitiges Excise-Tax-Formular abschicken und zusätzliche Steuern bezahlen. All diese Dinge sind kein Problem in der anderen Richtung.

                      Was die Frage angeht, welche Migranten kommen und welche gehen, hängt das damit zusammen, welche Optionen man für’s Kommen und Gehen hat. Höher Gebildete haben in der Regel geringere Sprachbarrieren. Bei uns in der Firma wird z.B. nur Englisch gesprochen und Englisch sprechen alle höher Gebildeten. Eine niedrig gebildete Kassiererin hingegen müsste Französisch lernen, wenn sie in Lyon arbeiten will. Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass niedrig gebildete Schichten weniger mobil sind als höher gebildete Schichten – zumindest wenn dem Migrationswunsch berufliche Faktoren zugrundeliegen. Dazu wundert mich nicht, dass die wachsende Zahl an Menschen, die komplett im Home Office arbeiten – wiederum meist höher Gebildete – lieber in Barcelona oder Lissabon leben als in Wuppertal.

                    • Detlef Schulze 20. Januar 2025, 14:03

                      @Ralf
                      Dass Amerikaner seltener nach Deutschland ziehen als Deutsche nach Amerika ist nicht verwunderlich

                      Ihre Argumente sind schluessig und nachvollziehbar. Allerdings stimmt diese, von Herrn Pietsche gestellte, Behauptung gar nicht. Es wandern zwar mehr Deutsche in die USA als Deutsche zurueckkehren (netto 2300), aber es wandern mehr US-Amerikaner nach Deutschland, als Deutsche in die USA. Im Jahr 2023 wanderten 9200 Deutsche in die USA und 14900 US-Amerikaner nach Deutschland. Quelle

                    • Stefan Pietsch 20. Januar 2025, 14:14

                      Ihre Kommentierung passt nicht zu den Fakten. Ralfs zentrales Argument, Deutsche zögen nur zeitweise in die USA, trifft nicht zu. Und obwohl es achtmal mehr Amerikaner als Deutsche gibt und jahrzehntelang US-Amerikaner hier stationiert waren, leben doch viel mehr Deutsche indem USA als Amerikaner in Deutschland. Und hier liegt wahrscheinlich auch die zentrale Begründung für den überraschend positiven Wanderungssaldo. Da frage ich mich schon, warum Sie Ralfs Argumentation für schlüssig halten.

                  • Stefan Pietsch 20. Januar 2025, 13:32

                    Noch einmal Ihre Logik:

                    In die USA wandern junge deutsche Akademiker aus, weil sie dort bessere Forschungsbedingungen vorfinden. Allerdings sei dieser Exodus nur kurzfristig, dauerhaft wollten diese Leute nicht in den USA leben. Das sagen Sie seit zehn Jahren in diesem Blog.

                    D.h., wenn diese These stimmt, muss es auch einen Rückfluss geben – auf Dauer ungefähr in der Höhe des einstmaligen Abflusses. Wenn das aber selbst nach 10-20 Jahren nicht im Ansatz erkennbar ist, stimmt Ihre These nicht, weil sie nicht stimmen kann. Es stellt sich die Frage, warum die Leute, top gebildet und mit entsprechendem Einkommen, dennoch drüben bleiben.

                    Auch sonst haben Sie Kleister über Ihre Argumentation gezogen. Bei Investoren und Vermögenden ist absolut erkennbar, dass ihr Einkommen und Vermögen dort entsteht, wo die Steuerlast tendenziell niedriger ist. Gibt es eine solche Sensibilität nur bei Einkommen <500.000 Euro? Wollen Sie das ernsthaft behaupten?

                    Es gibt für Kassierer amerikanischer oder deutscher Bauart keinen Grund, aus Gründen des Broterwerbs auszuwandern. Die Abgabenbelastung im niedrigen Einkommensbereich unterscheidet sich nicht nennenswert und ist schon gar nicht in Bezug zum absoluten Einkommen ein Argument.

                    Aber der Reichtum und Wohlstand eines Landes entsteht weder durch Kassierer noch Pfleger. Das ist die kalte Wahrheit. Das entsteht durch Leute wie Sie und mich. Ich arbeite noch hier, weil mein Markt, in dem ich ein hohes Bruttoauskommen erzielen kann, auf Deutschland und die Schweiz begrenzt ist. Der eidgenössische Markt ist jedoch viel zu klein und ich kenne mich nicht so aus. Aber in ein paar Jahren, wenn ich mein Einkommen flexibilisieren kann, werde ich keine Steuern mehr in Deutschland zahlen.

                    Und auch für diese Veränderungen finden Sie keine Erklärung. Jährlich ziehen 270.000 Deutsche weg, per Saldo sind es 60.000. Bei den Wanderungen von Europäern halten sich Zu- und Fortzüge die Waage. Wenn wir also in den letzten Jahren eine Bevölkerungsexplosion gesehen haben, dann, weil hierher Menschen aus Drittländern kamen. Und das sind Menschen aus besonders armen und bildungsschwachen Regionen.
                    https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Wanderungen/Tabellen/wanderungen-nach-staatsangehoerigkeiten-Jahr-03.html

                    Das sind die Fakten. Warum ist für diese Menschen Deutschland besonders attraktiv, nicht aber für Deutsche und Europäer? Sie lavieren um einfache Erkenntnisse herum.

                    Stattdessen suggerieren Sie, Steuerniveau und Einkommensmöglichkeiten seien gerade für Gebildete und solche mit hohem Einkommenspotential uninteressant. Warum aber dann nicht alle Länder ihre Steuern auf das deutsche Niveau bringen, erklären Sie leider nicht.

                    • Ralf 20. Januar 2025, 21:25

                      Sie geben meinen Standpunkt oben wieder, verzerren ihn dann aber doch ein bisschen zum Strohmann. Um mal damit zu beginnen: Niemand behauptet, dass Deutsche nie permanent in die USA (oder in die Schweiz) auswandern.

                      Meine Beobachtung war aber, dass Westeuropäer, insbesondere aus starken Wirtschaften mit dynamischem Arbeitsmarkt – also Deutschland, Österreich, Niederlande, Frankreich etc. – in der Regel in den USA ein paar Jahre Auslandserfahrung sammeln und dann heimkehren. Trotz höherer Steuern und niedrigerer Gehälter zuhause. Also kann das Finanzielle bei der Mehrheit nicht der treibende Faktor sein. Meine persönliche Schätzung ist, dass möglicherweise etwa 95% der Westeuropäer in ihre Heimat zurückkehren. Demgegenüber versucht die große Mehrheit der Osteuropäer – ich kenne z.B. mehrere Rumänen und Bulgaren – verzweifelt in den USA zu bleiben. Das gleiche gilt für Inder. Das gleiche gilt – etwas abgeschwächt – für Chinesen. Daraus schließe ich, dass es auch dieser Gruppe nicht primär um niedrige Steuern in den USA geht, sondern dass es um die Perspektive eines anständigen Jobs geht, der eine Familie ernähren kann. Die Heimatländer können diese Perspektive oft nicht bieten.

                      Ich habe mir die Mühe gemacht mal alle Westeuropäer durchzugehen, die ich persönlich kenne und die sich entschlossen haben permanent in den USA zu bleiben. Nach fast 13 Jahren Aufenthalt in den USA sind mir lediglich fünf bekannt. Bei dreien ist der Grund jeweils ein Top-Jobangebot gewesen, dass sie so in der Heimat nicht hätten bekommen können (jeweils prestigeträchtige Professuren an UPenn, Fred Hutchinson und Harvard). Und bei den verbleibenden zwei ist es die Hochzeit mit einem amerikanischen Partner gewesen. Die Steuerquote war bei all denen sicher nicht der Grund für den Verbleib in den USA.

                      Nun stellen Sie die rhetorische Frage “Ist das Gehalt denn völlig egal?”. Nein. Natürlich zählt auch das Gehalt (meinem Eindruck nach – nach vielen, vielen Gesprächen – übrigens wesentlich mehr als die Steuerquote). Aber das Gehalt ist nur ein Faktor von vielen. Und je größer der geplante Umbruch – also je weiter man weg zieht oder wenn man überlegt in ein anderssprachiges Land zu ziehen – desto weniger zählt das Gehalt. Und desto mehr zählen Faktoren wie etwa, ob der Ehepartner dort ebenfalls Arbeit finden kann, wie die Kinder einen Neuanfang in der Schule verkraften würden oder wer sich zuhause um die Eltern kümmern würde, wenn sie gebrechlich werden. Die Realität ist, dass der erdrückenden Mehrheit der Menschen diese Fragen wichtiger sind als das Gehalt. Das Gehalt hingegen ist vermutlich einer der entscheidenden Faktoren, wenn Sie sich zwischen einem Job in Mainz und einem Job in Wiesbaden entscheiden müssen.

                    • Stefan Pietsch 21. Januar 2025, 11:03

                      Um mal damit zu beginnen: Niemand behauptet, dass Deutsche nie permanent in die USA (oder in die Schweiz) auswandern.

                      Meine Beobachtung war aber, dass Westeuropäer, insbesondere aus starken Wirtschaften mit dynamischem Arbeitsmarkt – also Deutschland, Österreich, Niederlande, Frankreich etc. – in der Regel in den USA ein paar Jahre Auslandserfahrung sammeln und dann heimkehren.

                      Ja, aber das ist unstreitig. Die Frage, was ist das Prägende und was das Dominierende. Und die Zahlen in Bezug auf die typischen Auswandererländer USA, Schweiz, Kanada, Australien, Spanien zeigen, dass das Prägende die dauerhafte Auswanderung ist. Dagegen steht nicht, dass Menschen scheitern, wenn sie ein Leben in einem neuen Land, einer anderen Kultur gar aufbauen wollen.

                      Mein väterlicher Freund, der leider vor ein paar Jahren mit weit über neunzig Jahren gestorben ist, ging in den Siebzigerjahren über den Umweg Kanada in die USA. Er sagte mir, was er in Amerika erreicht hat, hätte er in Deutschland nicht schaffen können. Er war viele Jahre Managing Director eines Hotel, hatte hier aber in meinem Heimatort selbst ein Hotel geerbt.

                      Dabei war er nicht blind für die Verhältnisse in den USA. Das teure Gesundheitssystem, das Haifischbecken, der Wettbewerbsdruck. Hanni, der hier ja auch oft geschrieben hat, ist einen ganz ähnlichen Weg gegangen und ist dort sehr wohlhabend geworden.

                      Fakt ist, dass die Deutschen im Vergleich zu ihren europäischen Mitbürgern wenig vermögend sind. Der Staat behindert sie seit Jahrzehnten in der Vermögensbildung, Habecks Vorschlag reiht sich da nur ein. Wenn der Staat die Einkommen, insbesondere der oberen Hälfte, hoch besteuert, fehlt das Geld zur Vermögensbildung, zum Kauf von Immobilien, zum Erwerb von Unternehmen.

                      Nun haben Sie vor einigen Tagen geschrieben, Migranten kämen hierher, um sich etwas aufzubauen. Sie gestehen damit zu, dass der Aufbau von Eigentum und die Wohlstandsmehrung ein Urverlangen von Menschen ist. Und damit ist es eine wesentliche Antriebsfeder. In der Summe, über alle, sind Menschen nicht so dumm nicht sehen zu können, dass genau dies in Deutschland besonders schwer ist.

                      Schauen Sie, in Uruguay, einem sehr sozialen Land mit ausgeglichener Gesellschaftsstruktur, gilt für Unternehmen ein Steuersatz von 25%, hier von rund 30%. Die Pauschalversteuerung von Kapitalerträgen beläuft sich auf 10%, hier auf 28%. In der Summe werden die Erträge des Aktionärs damit in Uruguay mit einem Drittel, also 32,5 von 100 Gewinn belastet, in Deutschland dagegen mit fast 50 Prozent. Jahr für Jahr lässt sich in Uruguay damit deutlich mehr Vermögen aufbauen als hierzulande. Und das gilt für die meisten Länder.

                      Uruguay ist für besser gestellte Südamerikaner wie Europäer ein beliebtes Auswanderungsland. Sicher, es gibt mehr als einen Grund, seinen Lebensmittelpunkt in ein anderes Land zu verlegen. So wie es auch mehr als einen Grund für die Partnerwahl oder einen Job gibt. Aber zu behaupten, Menschen, die es sich aussuchen könnten, würden nicht die Möglichkeiten der Vermögensbildung in vergleichbaren Ländern abwägen, ist dann doch weit hergeholt. Warum sonst wandert man nach Dubai aus oder sind Niedrigsteuerländer besonders beliebt? Und warum finden Sie keine Antwort auf die Frage, warum nicht alle Länder so hoch wie Deutschland besteuern, wenn das doch ein unwichtiges Kriterium ist?

                      Sie sagen, das Gehalt würde zählen, mehr als das Nettoentgelt. Finden Sie das nicht etwas absurd? Und dagegen spricht die Erfahrung vieler Führungskräfte und Personaler, die bei Forderungen nach Gehaltserhöhungen regelmäßig mit den Nettoentgelterwartungen konfrontiert werden. Übrigens ein Argument, dass sich linke Parteien zu eigen machen. Wenn selbst vom vergleichsweise hohen Mindestlohn zu wenig für eine mehrköpfige Familie übrig bleibt, sollen die Arbeitgeber doch einfach höhere Löhne bezahlen. Hat Stefan übrigens auch schon häufiger geschrieben.

                      Und um den Bogen zu spannen:
                      Und desto mehr zählen Faktoren wie etwa, ob der Ehepartner dort ebenfalls Arbeit finden kann, wie die Kinder einen Neuanfang in der Schule verkraften würden oder wer sich zuhause um die Eltern kümmern würde, wenn sie gebrechlich werden.

                      Glauben Sie, dass ein Türke oder Afghane sich bei Zuwanderung nach Deutschland sorgt, ob seine Frau Arbeit findet, die Kinder in Kitas gehen können und für die Alten gesorgt ist? Das ist doch ein bisschen ein lustiges Bild, wenn man weiß, dass muslimische Frauen viel seltener erwerbstätig sind als europäische Frauen und auch Männer, dass Menschen aus dem islamischen Einflusskreis ihre Kinder vorzugsweise zuhause erziehen und die Alten nicht in Pflegeheime gehen.

                    • Ralf 21. Januar 2025, 22:24

                      Ich glaube, Sie werfen Einwanderergruppen durcheinander, die kulturell und sozial sehr unterschiedlich sind, die unterschiedliche Ziele verfolgen und die unterschiedliche Ansprüche haben.

                      Der Fabrikarbeiter aus der Türkei, der Bauarbeiter aus Polen, die Krankenschwester aus Rumänien und auch der illegale Migrant aus Nigeria kommen, um ein bisschen mehr Sicherheit und ein kleines bisschen mehr Wohlstand zu haben als zuhause. Diese Menschen kommen nicht, weil sie den Traum haben ein Unternehmen zu gründen oder weil sie der nächste Elon Musk werden möchten. Die sind zufrieden mit einem gering bezahlten Job in einer Kfz-Werkstatt. Das ähnliche gilt für den Einwanderer aus El Salvador, der illegal die Grenze zu den USA überschreitet. Diese Menschen kommen aus dem Armutsspektrum, sehen daheim keine Perspektive und nehmen einen kulturellen Schock und Sprachhürden in Kauf, um sich in dieser Welt eine kleine Existenz aufzubauen.

                      Eine völlig andere Gruppe sind Menschen, die ohne Druck von außen ihrem Traum folgen. Kreative Menschen, die eine Idee, eine Vision haben. Menschen, die migrieren, um sich selbst zu verwirklichen. Hier reden wir fast ausschließlich vom wirtschaftlich solide abgesicherten Bürgertum. Diese Menschen nehmen Opfer in Kauf, ohne es zu müssen. Dafür kämpfen sie für ihren Traum. Hier reden wir über den Unternehmer, den Wissenschaftler und so weiter. Diese Idealisten zieht es dorthin, wo die Barrieren, die dem Traum im Wege stehen, am niedrigsten sind. Im Zweifel sind die USA da attraktiver. Schon wegen der geringeren Bürokratie, aber auch wegen viel höherer Investitionen z.B. in Forschung (und gegenwärtig auch in die Wirtschaft).

                      Dazwischen gibt es eine Gruppe “kalter Opportunisten”, die dorthin geht, wo sie ihren Vorteil maximieren kann. Diese Menschen sind Söldner, die genau so lange an einem Ort bleiben, bis sie ein besseres Angebot bekommen. Hier handelt sich um Profis – ansonsten wären sie nicht wettbewerbsfähig – die wohl meist alleinstehend und ohne Kinder oder festen Freundeskreis sind. Wer alleine ist und keine Wurzeln hat, der hat auch weniger Barrieren. Menschen in diesem Segment schauen sicher stärker auf das Gehalt und möglicherweise auch auf die Steuersätze. Aber ich bezweifele, dass diese spezielle Gruppe die Mehrheit oder auch nur ein sehr bedeutendes Segment der Migranten darstellt.

                    • Stefan Pietsch 22. Januar 2025, 14:18

                      Ich arbeite mich an Ihren zentralen Thesen ab und versuche hier von Ihnen mehr Tiefe zu bekommen.

                      a) Die (Netto-) Einkommensmöglichkeiten sind für Arbeitsmigranten nicht wichtig, weshalb die hohe Besteuerung Deutschlands keinen Einfluss auf seine Attraktivität bei Hochqualifizierten hat. Flüchtlinge schauen auch nicht auf den Euro und wählen Deutschland ausdrücklich nicht, weil sie hier relativ gut mit Transfers versorgt werden. Dies gilt gerade, wenn ihr Aufenthaltsstatus ungeklärt ist oder sie gar abgelehnt wurden.
                      b) Arbeitsmigranten, gerade Hochqualifizierte meiden Deutschland, weil die (deutsche) Bevölkerung Ausländern gegenüber ablehnend eingestellt ist.

                      Es erscheint mir nicht nachvollziehbar, dass Gutqualifizierte nicht kommen, obwohl wir gute und umfangreiche Sozialleistungen bieten. Umgekehrt ist Deutschland sehr begehrt bei Flüchtlingen und das trotz (nicht wegen) der hohen Garantien im sozialen Bereich, den sie nirgends sonst antreffen. Schon gar nicht, wenn sie sich im geduldeten Zustand befinden.

                      Es passt für mich auch nicht, dass die einen nicht kommen (sollen), weil Deutsche nicht nett zu Fremden seien, die anderen aber in hoher Zahl kommen, obwohl wir das nicht sind und in Summe das zu einem außerordentlich hohen Anteil an Migranten in Deutschland führt. Mit Ihren Begründungen bleiben da doch große Lücken bei der Logik, die Sie mit vielen anekdotischen Geschichten zukleistern – die mir auch gefallen. Aber Sie meiden es völlig, Ihre Argumente mit Fakten, insbesondere objektiven Zahlen und Trends zu unterfüttern. Das höchste sind Studien (aber nur von der einen Gruppe), die auf Befragungen und damit interessengefärbten Meinungen beruhen.

                      Um mir erscheinende Widersprüche Ihrer Thesen aufzuzeigen, setze ich die Gruppen Arbeitsmigranten und Flüchtlinge in Vergleich. Das ist kein Vermischen. Aber entweder ist für Arbeitsmigranten das Finanzielle nicht wichtig (wie Sie behaupten), dann dürfte es auch für Flüchtlinge nicht entscheidend sein. Folglich müssten sich beide Gruppen ähnlich verhalten. Und entweder beide empfinden das behauptete distanzierte Verhalten zu Zuwanderern als störend oder keiner.

                      Meine These ist, dass Deutschland nur für besonders arme und oft ungebildete Menschen interessant ist. Sind sie Arbeitsmigranten, steigern sie ohnehin ihr Erwerbseinkommen gegenüber Bangladesch um den Faktor von einigen hundert Prozent, ohne dass sie die Wirkung der erdrossenden Besteuerung spüren. Haben sie vor allem Bleibeinteressen (Sicherheit etc.), dann lockt sie die Aussicht auf sichere Bleibeperspektive selbst dann, wenn sie abgelehnt werden. In keinem anderen europäischen Land sind sie dann so sicher vor Abschiebung wie in Deutschland. Dazu erhalten sie ungeachtet ihres Status die vollen finanziellen Zuwendungen wie wenn sie nicht ablehnt worden werden. Dieser Mix aus Sicherheit und finanzieller Versorgung ist einzigartig und hoch attraktiv.

                      Ich debattiere mit Ihnen, um diese beiden Grundthesen von uns gegeneinander zu halten und zu prüfen, was realistischer ist.

                      Bisher fehlen mir die Argumente von Ihnen, die zwingend zur Ablehnung meiner Hypothese führen müssen. Unter anderem, weil Ihre Position hauptsächlich auf individuellen, höchst subjektiven Erfahrungen beruhen, die Sie wiederum gar nicht versuchen, mit den Trends und großen statistischen Zahlen in Einklang zu bringen. Also genau das, was ich mir wünschen würde. Die Einordnung in das Big Picture nehmen Sie selbst auf wiederholte Nachfragen nicht vor.

                    • Ralf 22. Januar 2025, 23:08

                      Verschiedene Migrantengruppen unterscheiden sich, wie gesagt,
                      in ihren Ansprüchen, in ihrem sozialen und kulturellen Kontext, aber eben auch in ihren Optionen für einen alternativen Lebensweg.

                      Der Ingenieur aus Italien oder der Krankenpfleger aus Spanien, die vielleicht 2010 unter dem Druck wirtschaftlicher Schwierigkeiten daheim nach Deutschland gekommen sind, haben jederzeit die Möglichkeit nach Hause zu gehen. Schadet ja nichts, wenn man 14 Jahre lang in die Job-Anzeigen schaut. Irgendwann ist etwas dabei. Wer in Deutschland nicht wirklich angekommen ist, wer hier keine Netzwerke und Freunde hat, wer keine Kinder hat, die bei einem Wegzug aus Deutschland entwurzelt würden, der ist dann eben schnell weg. Alternativ entwickelt so jemand auch eher eine “Söldnermentalität” und heuert schließlich da an, wo eine Gehaltserhöhung winkt.

                      Dem hingegen hat der Flüchtling keinerlei Optionen. In keinem anderen Land in der EU wäre er willkommener. Überall wird er als Bürde empfunden, wenn er nicht selbst für seine Existenz aufkommen kann. In Deutschland findet er noch am ehesten Netzwerke, insbesondere in den Großstädten, denn Deutschland hat Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Da gibt es Anlaufpunkte, möglicherweise sogar einige entfernte Verwandte. Da findet man vielleicht einen Job, in dem man sich schwarz ein paar Euro verdienen kann.

                      Dass solche Überlegungen für Flüchtlinge wichtiger sind als der üppige Sozialstaat wird auch dadurch nahegelegt, dass jährlich fast 40.000 Menschen in Booten von Frankreich nach England “fliehen”. Wovor fliehen die eigentlich? Frankreich hat einen wesentlich großzügigeren Sozialstaat als Großbritannien. Und die Flucht ins Paradies Deutschland wäre unendlich sicherer. Weshalb setzen diese Menschen über, in ein Land mit löchrigem sozialen Netz, dramatisch wachsender Obdachlosigkeit, leeren Supermarktregalen, ausgeprägter Xenophobie, einem kaputten Gesundheitssystem und schlechtem Wetter? Vermutlich weil man sich dort Anknüpfungspunkte erhofft.

                    • Stefan Pietsch 23. Januar 2025, 11:20

                      Okay, ich denke wir beenden das hier. Ich mag Ihre anekdotischen Erzählungen, aber sie entfalten keine Überzeugungskraft. Sie mögen auch nicht den Weg, über Kontrollgruppen generelles Verhalten zu untersuchen. Sie bleiben dabei, Ihre Überzeugungen, dass materielle Aspekte für den individuellen Egoismus generell keine oder höchsten eine völlig vernachlässigbare Rolle spielen. Bei den höher Qualifizierten wissen Sie das aus den Erzählungen ihnen nahestehender Personen und bei Migranten durch theoretische Überlegungen.

                      Ich verstehe, dass Ihnen das reicht. Für eine Diskussion mit Andersdenkenden ist es irgendwann nicht ausreichend, weil Gefühle individuell sind. Trotzdem danke ich Ihnen für die Diskussion, hat mir gefallen.

                      In Aschaffenburg, knapp eine halbe Autostunde von meinem Heimatort, hat ein illegaler Migrant gestern ein zweijähriges Kind und einen Mann hingemetzelt. In Aschaffenburg bin ich mit meinen Eltern fast jeden Sonntag zum Motorbootfahren auf dem Main hingefahren.

                      Ich kann jeden verstehen, der im Februar die AfD wählt. Selbst, wenn es mir nicht gefällt.

          • Lemmy Caution 18. Januar 2025, 11:11

            Italiens Verbringung der Flüchtlinge in Albanien finde ich angemessen. Dort dann nicht sehr attraktive Lebensverhätnisse.
            Ende des deutschen Asylrechts.
            Die klare polnische Politik an der weißrussischen Grenze finde ich auch ok.
            Es muss halt entsprechend bekannt gemacht werden, dass es da ruppig zugeht.
            Die EU muss die Kontrolle zurück gewinnen. In der Welt da draussen nimmt uns keiner mehr ernst. Ansonsten bestimmen FSB-kontrollierte Flüchtlingsschlepper unsere Innenpolitik und verdienen damit auch noch Geld.
            Manche Leute in Deutschland verwechseln Immanuel Kants „Zum ewigen Kriegen“ mit realer Außenpolitik.

            Gleichzeitig:
            – eine gewisse Menge an Flüchtlingen – ein Teil auch schlecht ausgebildeter – kontrolliert in die EU lassen
            – Prozesse zum Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft für Leute, die mehrere Jahre in Deutschland steuern zahlen, zügiger gestalten. Erleb das gerade bei einem syrischen Kollegen. Er könnte die deutsche Staatsbürgerschaft in 1 Monat erhalten, vielleicht dauert es noch ein Jahr.

            • Lemmy Caution 18. Januar 2025, 11:13

              Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden.
              War ein Tippfehler.

            • Ralf 18. Januar 2025, 11:24

              Die Flüchtlinge, die Meloni nach Albanien bringt, bleiben laut den Verträgen aber nicht dort. Die kehren als angenommene oder abgelehnte Asylbewerber nach Italien zurück. Selbst wenn die Flüchtlinge in Albanien blieben: Wieviele Migranten kann das kleine Land aufnehmen? Eine Million? Zwei Millionen? Noch mehr?

              Abschaffung des deutschen Asylrechts ist ok. Aber es löst das Problem nicht, dass wir abgelehnte Bewerber nicht wieder loswerden. Das Problem ist ja, dass Abschiebungen in der Praxis schlicht nicht durchführbar sind. Das sehen wir doch seit Jahren.

              • Lemmy Caution 19. Januar 2025, 19:56

                Die Anzahl der Flüchtlinge sind in den letzten Monaten auf ein tolerierbares Niveau zurückgegangen.
                https://de.statista.com/statistik/daten/studie/521604/umfrage/bootsfluechtlinge-in-italien/

                • Ralf 19. Januar 2025, 20:09

                  Und das liegt an Melonis Deal, obwohl erst Ende Oktober 2024 eine erste kleine Gruppe Migranten temporär nach Albanien gebracht wurde?

                  • Lemmy Caution 19. Januar 2025, 21:39

                    Wohl nicht. Ich bin kein Meloni Fan. Ich folge ihr zwar auf twitter, aber ich sehe die wild schuldenmachende Donna Sonnenschein eher skeptisch.
                    Syrien sollten nun erst einmal nicht mehr viele Flüchtlinge produzieren. Dies kann sich ändern, wenn die neue Regierung ihre aktuell offene Politik gegenüber Minderheiten ändert. Mein christlich-syrischer Kollege befürchtet das. Er hat nun nach 9 Jahren in Deutschland seine Familie nicht besucht, weil er Probleme mit der Einbürgerung befürchtete. Die Gründe für das Abflauen der Flüchtlingsströme nach Europa der letzten Monate ist wohl mehr durch Push-Faktoren bedingt.
                    Ich bin beim Thema Migration sehr zerissen.
                    Ich denke aber auf jeden Fall, dass wir unsere Gesellschaft nicht ändern können. Wenn die vielen Leute aus dem Nahen Osten so heftige ablehnende Reaktionen auf die Deutschen bewirken, sollte die Politik etwas ändern. Oder es gefährdet unser System.
                    Ich persönlich habe überhaupt nichts gegen Araber, Berber, Türken, Kurden, etc. Im Gegenteil. Ich habe eher positive Erfahrungen mit diesen Leuten gemacht und die Kultur interessiert mich. Ich habe im letzten Jahr festgestellt, dass ich nicht nur Spanisch sondern Sprache-lernen insgesamt liebe. In den letzten Tagen habe ich ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, levantinisches Arabisch zu lernen. Problem ist, dass ich das dann wirklich mache und mich das vermutlich aus dem Erwerbsprozess ausschliessen würde, weil ich zu wenig Zeit für berufsbezogenes Zeug übrig hätte.

                    Deine in anderen Threads geäußerten Gedanken zu Grundgesetz und westlichen Werten stimme ich so nicht zu. Die Toleranz-Werte des Grundgesetzes sind so hoch gehängt, dass wir immer darunter her schlüpfen konnten. Unsere Form der Verteidigung der Menschenrechte impliziert auch eine Form der Heuchelei. Wir haben den Versuch einer echten Entwicklungshilfe für Afrika seit vielen Jahren praktisch aufgegeben. Historisch entstanden unsere Diskurse über Menschenrechte aus der Situation, dass Europäer andere Völker mißachteten, auspressten und ermordeten. Andere Europäer kritisierten das dann.
                    Araber, Chinesen, Indigene Amerikaner, Afrikaner, etc kamen nicht über einen so langen Zeitraum in diese Position Dominanz. Vielleicht hätten wir die Zeit unserer Vorherrschaft nutzen können, um Ideale wie die Kants „ewigen Frieden“ verwirklichen zu können. Ich denke eher nicht. Das ist aber egal, weil die Zeit unserer Vorherrschaft nun vorbei ist.
                    Viele Europäer laufen mit einem uneingestandenen Schuldkomplex wegen unserer Unterdrückungen in der Vergangenheit herum. Ich beschäftige mich seit Jahrzehnten ernsthaft mit Kolonialismus und Imperialismus. Mein Zugang ist wesentlich ambivalenter und komplexer geworden, gleichzeitig bleibe ich sensibilisiert für Unrecht, nur eben anders. Historische Akteure agieren immer in einem bestimmten Raum von Möglichkeiten. In einer wesentlich regionalisierteren, weniger regelbasierten und kompetitiveren Welt würden wir untergehen, wenn wir einem Hang zur Rettung der Welt ernsthaft nachgehen würden.

      • Thorsten Haupts 18. Januar 2025, 12:22

        Ich kann Ihnen leider wirklich absolut nicht folgen. Wenn ich eine Rückblende in die achtziger mache:
        – Wir hatten eine ganze Palette düsterster Zukunftsprognosen, die zum Teil Millionen von Menschen auf die Strasse brachten: Umweltzerstörung, explodierende Atomkraftwerke, den nuklearen Holocaust, das Waldsterben, die NATO-Nachrüstung
        – Der ÖRR hatte – wöchentlich! – mehrere „Satire“- und mehrere Politmagazine, deren vornehmste Aufgabe darin bestand, aus allen Rohren auf die Regierung von Helmut Kohl zu schiessen
        – Die beiden führenden Printmedien Deutschlands – ZEIT und SPIEGEL – schlossen sich dem an
        Keine positiven Nachrichten nirgendwo. Politik war ein dreckiges und korruptes Geschäft, Deutschlands führende Politiker waren dumm, dick und inkompetent, die Zukunft aussichtslos, die „Cowboy“-Regierung in Washington würde uns in den dritten Weltkrieg führen, die Erde war dem Untergang geweiht.
        Und trotzdem hatten weder links- noch rechtsradikale Parteien auch nur den Hauch einer Chance, in den deutschen Bundestag zu kommen.

        Abgesehen von dieser leichten Dissenz zu Ihrer Vergangenheitsverklärung erlaube ich mir noch eine Abschlussbemerkung, bevor ich diesen spezifischen Diskussionsstrang verlasse, weil wir uns hier nicht auf eine gemeinsame Realitätsbeschreibung werden einigen können:
        Wenn Ihre Einschätzung der unbegrenzten Verführbarkeit im Verein mit grenzenloser Dummheit des Menschen zutrifft, hat keine Demokratie dauerhaft eine Chance. Dann kann man nur mit gelenkten gesellschaften arbeiten, und die sind zwangsläufig sowohl mit Demokratie wie auch mit Liberalismus unvereinbar. Hoffen Sie also besser mit mir, dass Sie Unrecht haben?

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • Ralf 18. Januar 2025, 13:04

          Hoffen Sie also besser mit mir, dass Sie Unrecht haben?

          Die Hoffnung hilft mir nicht, wenn ich in der Praxis sehe, dass ich recht habe.

          Was Du aufzählst ist, dass es auch früher Probleme, Krisen und gesellschaftliche Konflikte gegeben hat. Dem kann man nicht widersprechen. Aber die Auseinandersetzung damit war bei Weitem nicht so toxisch und hasserfüllt wie heute. Nachrichtensprecher lasen z.B. mit eiserner Miene Fakten von einem Blatt ab, ohne jede Wertung oder emotionale Einordnung. Überhaupt konnten sich nur Eliten zu Geschehnissen äußern, weil es ohne Internet kaum Beteiligungsmöglichkeiten für Amateure gab – außer vielleicht abgedruckte Leserbriefe, deren Auswahl wiederum unter der Kontrolle eines editorialen Prozesses stand. Die öffentliche Debatte war dadurch dramatisch professionalisierter. Solide ausgestattete Journalisten bei der Tagesschau mussten nicht unter Konkurrenzdruck ein Feuerwerk von Schockmeldungen verbreiten, um im Business zu bleiben. Politiker schossen manchmal mit Äußerungen über’s Ziel hinaus. Das Fenster des Sagbaren war aber drastisch enger und Verstöße wurden gesellschaftlich sanktioniert. Wer Grenzen überschritt, musste sich entschuldigen und Kreide fressen oder wurde von Parteien still aussortiert und auf’s Abstellgleis geschoben. Die Beliebtheit von Politikern insgesamt war sehr viel höher und lokale Verantwortungsträger wie etwa Bürgermeister waren meist extrem beliebt. Der Zustand heute repräsentiert die krasse Umkehr von all dem.

  • Thorsten Haupts 18. Januar 2025, 14:17

    Zu x)

    Es gibt keine permanenten Siege in Kulturkämpfen? Na, mir scheint, die Kulturkämpfe um Pazifismus, Frauengleichberechtigung oder Homosexualität sind in Deutschland ziemlich dauerhaft gewonnen worden, oder? Und ansonsten hat die Rechte die aktuellen Kulturkämpfe nicht gewonnen, sondern die, die sie sinnloserweise angezettelt haben, haben sie krachend und mit politischen Nebenwirkungen verloren. Ob diese „progressive“ Niederlage dauerhaft ist, werden wir sehen.

    • Stefan Sasse 19. Januar 2025, 09:01

      Angesichts deines Optimismus für die progressive Sache hoffe ich, dass du Recht hast.

      • Thorsten Haupts 20. Januar 2025, 22:59

        Erlaube mir leichte Amüsiertheit darüber, dass Du hoffst, mein „Optimismus“ für Pazifismus erweise sich als richtig 🙂 .

  • Thorsten Haupts 18. Januar 2025, 14:20

    Zu x) Nachtrag:

    Diese Niederlage beschränkt sich bisher auf die USA und möglicherweise (da fehlt mir die ausreichende Kenntnis) Grossbritannien.

  • Lemmy Caution 20. Januar 2025, 00:16

    y) why I stoped grinding Luodingo

    Duolingo ist eine beliebte Sprachenlern-App. Ich lerne aktuell hauptsächlich Französisch und verbessere meine Fähigkeiten, brasilianisches Portugiesisch zu verstehen. Zwei aktive Teilnehmer an den Diskussionen dieses Blogs benutzten Duolingo ebenfalls. Deshalb schreibe ich hier mal, warum ich nach wahnwitzigen ca 800 Tsd Punkten gestoppt habe und was mir besser tut.
    Luoldingo hat Stärken, die ersten 2000 Vokabeln auswendig zu lernen und die Grundzüge der Grammatik zu erfahren. Ich würde bei der nächsten Sprache andere Dinge dafür benutzen. Nach den ersten 2000 Vokabeln gibt es viel bessere Wege.

    1) Man kommt mit der Kombination Zuhören und Untertitel in verschiedenen yt-Kanälen sehr weit. In der französischsprachigen Welt gibt es viele gute youtuber, unter anderem auch solche, die versuchen, dem geneigten Publikum ihre Sprache näherzubringen. Das ist für mich wesentlich effektiver, weniger anstrengend und interessanter als eine ständige Abfolge von Übersetzungsrätseln auf Luodingo. Für Spanisch sieht für mich Howtospanish sinnvoll aus. Das sind Mexikaner. Mexikanisches Spanisch klingt für mich immer ein bisschen angestrengt, aber es ist halt sehr neutral. Viele synchronisierte Filme und Serien zumindest in Südamerika werden von Mexikanern synchronisiert.

    2) Es gibt für viel gelernte Sprachen wie Spanisch, Französisch oder übrigens auch Portugiesisch eine Fülle an herausragendem Materialien. Ich finde das Lernen mit Textbüchern wie die riesige Serie „progressive du francais“ wesentlich entspannter und strukturierter als die Apps.

    3) Wenn Apps dann finde ich babbel mit seinen Erklärungen und seinem sehr umfangreichen Vokabelteil mit ganzen Sätzen besser als Luodingo.

    4) Ab einem gewissen Punkt habe ich festgestellt, dass ich Französisch zwar ganz gut verstehen und lesen, aber halt nicht selbst sprechen oder schreiben konnte. Sprachkurse mit bis zu 5 oder 6 Teilnehmer bei Babbel oder Lingoda haben Phasen mit Sonderangeboten. Ich bin so an Französisch interessiert, dass ich ein 1-Jahres Abo bei Babbel habe und nun zusätzlich aktuell einen Lingoda Sprint mache, d.h. bei 30 Kursteilnahmen für 380 Euro in 2 Monaten erhalte ich 30 Freikurse. Ich nehme in beiden online Sprachschulen an B1 Kursen teil.
    Ich stelle da fest, dass mir auf spontane Fragen des Lehrers manchmal für einige Zeit nichts einfällt. Manchmal mache ich einfache Fehler. Aber so geht es jedem beim Erlernen einer komplexen Fertigkeit. Man muss halt seinen inneren Narzisten bekämpfen und es mit Humor nehmen. Im Französischen kommt hinzu, dass die alles andere als intuitive und übrigens auch schockierend kontextabhängigen Aussprache (formell/informell) beherrschbar wird. Die Lehrerin am Freitag hat genau erkannt, dass ich eine sehr eigene neue Liaison Regel erfunden hatte. Am wichtigsten ist aber, dass die sehr autistische Veranstaltung eine soziale Komponente erhält. Menschen sind soziale Wesen.

    5) Manchmal lese ich im selben Buch 10 Seiten super-flüssig und dann fehlen mir auf einer Seite 10 Vokabeln. Man nennt das das Intermediate Plateau. Man muss einfach dranbleiben. Es braucht Zeit.

    6) Es gibt ein paar sehr gute yt-Kanäle von „Sprachenlernern“, auf denen die Pros schildern wie sie Sprachen lernen. Ich verdiene mein Geld nach wie vor wissensintensiv als Programmierer. Lerntechniken sind für mein berufliches Leben hilfreich.
    a) https://www.youtube.com/watch?v=I_3GvRAZfvQ
    Iclal ist eine Türkin in ihren jungen 20ern aus Istanbul. Keiner aus ihrer Familie spricht eine Fremdsprache. Sie lernte verschiedene europäische Sprachen und hat im letzten Jahr verschiedene offizielle C1 und C2 Sprachprüfungen in Französisch, Italienisch, Deutsch, Spanisch und Russisch abgelegt. Ich könnte vermutlich nach 4 Wochen Vorbereitung die Spanisch C1 beim Cervantes Institut bestehen, aber niemals das. Die Frau hat natürlich einen starken Drang, es sich selbst oder der Welt zu zeigen, aber das ist kein Verbrechen. Iclal ist der Gold-Standard für effektives Sprachenlernen. Aus ihrem Video habe ich die Wichtigkeit der Generierung eigener kurzer Texte verstanden. Ich lasse das von dem Tool „reverso“ checken und bereite auch vieles für die Kurse sehr genau vor.
    b) https://www.youtube.com/watch?v=uSEeBNBJ3tI
    Dieser Australier hat in 7 Jahren Schwedisch gelernt und seine Lernmethoden stark reflektiert. Hier kämpft er auf A2 Level mit Spanisch. Sehr ehrlich und alles, was er in diesem Video macht, hat Sinn. Man muss sich natürlich nicht die ganzen 9 Stunden anschauen. Auch seine weiteren Videos sind sehenswert. Das gilt für alle in dieser Liste.
    c) https://www.youtube.com/watch?v=ANx6QGLN1JU
    Hier erklärt eine junge Chinesin mit Soziologie-Diplom in Paris, die nach Berlin umzieht, ihren Prozess des Erlernen des Arabischen. Vielleicht ist der Plural hier stärker angebracht.
    d) https://www.youtube.com/watch?v=R14TJmd903A
    Language Simp hat sehr ernste gesundheitliche Probleme mit seinen Augen. Er ist diplomierter Ingenieur, hat den entsprechenden Job geschmissen, um sich ganz auf Sprachelernen-youtuben zu konzentrieren. Seine Stärke ist der Humor. Sein für diesen Monat angekündigtes „The hyperpolyglott Handbook. A Gigachad’s Guide to Language Learning“ ist sicher nützlicher als jede weitere Stunde auf luodingo. Dieser Mann beschäftigt sich seit 10 Jahren mit dem Erlernen von Sprachen.

    7) Ich bin überrascht, wie viel Sachen aus Frankreich nicht in Deutsch übersetzt werden. Erstaunlich unterhaltsame Comics wie Bobigny 1972, Il etait une Fois en France, moderne Romane wie „Shit!“, eine völlig neue Perspektive auf die Französische Revolution, dh. Nouvelle histoire de la Révolution francaise von einem Sorbonne Star-Historiker, eine Serie über die deutsche Besatzung eines französischen Dorfes im Jura schauen (Un village français, 7 Staffeln) und natürlich vieles weiteres. Vieles von dem allen wurde ins Spanische übersetzt, die Serie afaik ins Englische, aber nichts ins Deutsche. Das ist der Zustand der vielbeschworenen Deutsch-Französischen Freundschaft.

    Man kann es mit etwas Geduld mit all dem versuchen, einer börsennotierten Softwarefirma glauben oder Sprachenlernen ganz lassen.

  • CitizenK 20. Januar 2025, 05:54

    „Aber wir sind eben nur für Zuwanderer interessant, die uns wenig zu bieten haben“

    „Nur“ stimmt schon mal nicht.
    „Fakt ist, dass Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit eine immer größere Rolle auf dem deutschen Arbeitsmarkt spielen: Während die Zahl der deutschen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von Ende 2012 bis
    Ende 2023 um gut 8 Prozent stieg, betrug das Plus bei ausländischen
    Personen mehr als 141 Prozent. In den für die Innovationskraft der
    hiesigen Wirtschaft bedeutsamen akademischen Berufen in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) legte die Zahl der ausländischen Beschäftigten sogar um fast 216 Prozent zu. Hier stechen nochmals MINT-Experten aus Indien heraus – ihre Zahl hat sich im
    genannten Zeitraum mehr als verachtfacht“ . Und deren Gehälter liegen deutlich über dem Durchschnitt deutscher Arbeitnehmer.
    (Quelle: iwd 2025 – 1, eine Publikation des Arbeitgeber-nahen IW)

    • Stefan Pietsch 20. Januar 2025, 09:11

      Das Verräterische weil auch das völlig Nivellierende an Ihrer Argumentation sind die ausschließlich relativen Werte. Tatsächlich bewegt sich die Zahl der MINT-Experten aus Indien im Bereich der kaum Wahrnehmbarkeit. Ob sich da ein Wert verdoppelt, spielt keine Rolle. Wenn sich die die Zahl der Erwerbstätigen verdoppelt, ist das ein Sprung um 44 Millionen. Dann wären hier mehr Menschen erwerbstätig als Deutschland überhaupt Einwohner zählt.

      Wir reden von nicht einmal 6000 Indern auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Das ist in allem eine völlig vernachlässigbare Zahl und kein Beleg für irgendetwas. Bei den indischen Beschäftigten im MINT-Bereich ist das Lohnniveau außerordentlich hoch, auch das ist nicht typisch für ausländische Beschäftigte.
      https://www.iwkoeln.de/studien/axel-pluennecke-inder-bauen-ihren-lohnvorsprung-aus.html

      • CitizenK 20. Januar 2025, 10:19

        Es ist nicht „meine Argumentation“, sondern die eines den Arbeitgebern nahestehenden Instituts.
        Verraten Sie mir, das daran „Verräterisch“ ist?

        • Stefan Pietsch 20. Januar 2025, 10:46

          Sie haben weder den Link gegeben noch vollständig zitiert. Und schon gar nicht eingeordnet. Wer mit relativen Zahlen hantiert, gibt seriöserweise auch absolute Werte an. Unterbleibt das, gibt es Gründe dafür.

          Sie benutzen ein seriöses Medium, um Fakten mit tendenziösen Positionen zu mischen, was die Quelle nicht hergibt.

          • CitizenK 20. Januar 2025, 11:35

            Hab keinen Link. Die Info stammt aus einer Publikation für Schulen, die ich vom IW („im Auftrag von SÜDWESTMETALL“!) monatlich per eMail als pdf erhalte. Gerne hätte ich die zugehörige Tabelle mitgeliefert, aber pdfs kann man hier ja nicht einfügen.
            (Wenn Sie’s nachprüfen wollen, Absender: schumacher@iwkoeln.de)

            Als Beleg zur Relativierung Ihrer Aussage taugt der Text trotzdem. Zumal Inder einen viel leichteren Zugang zu englisschprachigen Ländern hätten.

            • Stefan Pietsch 20. Januar 2025, 13:10

              Sie brauchen die Authentizität der Zahlen nicht beweisen. Die glaube ich Ihnen. Aber 4.700 sozialversicherungspflichtig beschäftige Inder auf eine Erwerbsbevölkerung mit Migrationshintergrund von vielleicht 10 Millionen ist nichts, woraus sich nur ein Trendbild ableiten ließe. Und Sie verengen dann noch den Fokus auf ein paar hundert MINT-Beschäftigte und zeigen da grandiose Verdoppelungen. Für mich als Finanzer ist das nix. Wenn ich da mit Jubelmeldungen zum Konzernvorstand oder den Eigentümern kämen, würden die mich für irre erklären.

              Ja, es gibt tatsächlich in Deutschland ein paar gut gebildete Inder. Die beziehen aber ein sehr hohes Gehalt, das fern von den Durchschnittsgehältern von Migranten liegt. Auch in Branchen mit sehr niedrigem, gar prekären Lohnniveau gibt es ein paar Mitarbeiter, die hohe Gehälter beziehen. Würde ich Ihnen da sagen, dass das der Beweis sei, dass man auch im Facility Management top verdienen könne, würden Sie mich einen Ignoranten schelten.

              Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht das Gleiche…

        • Thorsten Haupts 20. Januar 2025, 11:26

          Weil Ihr Argument war, „Aber wir sind eben nur für Zuwanderer interessant, die uns wenig zu bieten haben“ stimmt nicht?

          Bei völlig irrelevanten Zahlen – Stefan P. spricht von 6.000 – bei denen das möglicherwiese anders ist, widerlegt Ihre Quelle das Argument überhaupt nicht. Wir haben Jahr für Jahr mehrere hunderttausend Zuwanderer, 6.000 sind da ein Tropfen im Ozean.

          Gruss,
          Thorsten Haupts

          • CitizenK 20. Januar 2025, 12:18

            Mag sein, aber der Trend ist jedenfalls positiv:

            „Ein besonders dynamisches Wachstum der sozialversi-cherungspflichtigen Beschäftigung in akademischen MINT-Berufen wurde in den vergangenen Jahren bei Personen aus Indien, Lateinamerika und Nordafrika beobachtet (Anger et al., 2024). Diese Entwicklung un-terstreicht die zunehmende Bedeutung von Fachkräf-ten aus Drittstaaten für die Besetzung hochqualifizier-ter Positionen in Deutschland (eigene Berechnungen auf Basis BA, 2024b).“
            Quelle: IWD Kurzbericht 97/2024 (direkt aufrufbar)

            Das müsste Ihnen doch eigentlich gefallen?

            • Thorsten Haupts 20. Januar 2025, 15:35

              Tut es, ändert nur leider nichts am Big Picture.

  • CitizenK 20. Januar 2025, 12:01

    „Warum verschwinden die Spanier ….“

    Hier im Raum (Pflege, Industrie, Handwerk) vor allem wegen: Heimweh, Isolation/Einsamkeit, Mentalität. Typische Aussage: „Während der Arbeit sind die Kollegen nett, aber abends und am Wochenende ist man allein“. Nicht ein/e hat meiner Erinnerung nach die Steuern als Grund genannt.

    • Stefan Pietsch 20. Januar 2025, 13:03

      … und das haben die ebenfalls geselligen Libanesen, Syrer und Äthiopier nicht? Kann man das so selektiv sehen? Und warum kommen hier keine Dänen, Niederländer und Schweden her?

      • Lemmy Caution 20. Januar 2025, 14:44

        Wenn sie ihre Arbeit beherrschen gibt es keine Probleme Kamerunern, Nigerianern, Ägyptern, Marokkanern, Tunesiern und Togolesen. Mit all solchen Leuten durfte ich bereits zusammenarbeiten. Niederländer sind ähnlich weit verbreitet wie Afrikaner. Die haben eine praxisnahe IT-Ausbildung in den Universitäten und in den Niederlanden wird etwas schlechter bezahlt. Einen Dänen habe ich noch nicht gesichtet und einen einzigen Schweden.
        Ich finde solche Initiativen gut. https://www.dw.com/de/fachkr%C3%A4ftemangel-in-deutschland-it-profis-aus-afrika-springen-ein/a-65251148
        Wenn die bei dir nicht aufschlagen… vielleicht zahlt ihr zu wenig?

        • Stefan Pietsch 20. Januar 2025, 15:31

          Du stellst nicht die Frage der Quantität. Sicher gibt es gut ausgebildete Afrikaner. Nur ist deren Anteil der jeweiligen ethnischen Workforce ist weit geringer als bei Deutschen und Osteuropäern. Höhere Gehaltsangebote nützen da nichts.

          Du argumentierst allein mit subjektiven persönlichen Erfahrungen. Aber das hat nichts mit dem Gesamt Picture zu tun.

          • Lemmy Caution 20. Januar 2025, 21:16

            Waere ich vorsichtig. Gerade aus Nordafrika gibts in Deutschland einige, die richtig gut sind, v.a. auch Leute die sich Gedanken um business value ihrer Arbeit machten und sensibel fuer Teambuilding waren. Ich habe schon mit katastrophalen indischen Teams zusammengearbeitet. Darueber hoerte ich auch viele Geschichten von anderen.
            Die H1B-Visa Helden in den USA sind Leute, die aus einem brutalem Selektionsprozess hervorgehen. Der https://x.com/VivekGRamaswamy hat sich ja auch sehr schnell in die Politik verabschiedet.

          • Lemmy Caution 21. Januar 2025, 07:19

            Diese Begeisterung für Inder und die Abwertung von Leuten aus Nahost/Afrika gibt sich als rational, führt aber genauer betrachtet in den Rassismus. Afrikanische Unternehmer haben große Probleme, Wagniskapital zu erhalten, einfach weil sie Afrikaner sind.
            https://www.theguardian.com/business/2020/jul/17/african-businesses-black-entrepreneurs-us-investors

            • Stefan Pietsch 21. Januar 2025, 09:09

              Bitte, Lemmy, jetzt kommst Du noch mit dem Rassismusthema um die Ecke. Das ist ohne Grund.

              Internationale Vergleichstests zeigen, was eigentlich nicht bestritten werden kann: Europäische, nordamerikanische und südostasiatische Schulsysteme setzen den Standard und bieten gerade in der Breite das höchste Niveau. Vor rund zehn Jahren las ich eine Einschätzung der OECD, wonach syrische Schüler gegenüber deutschen einen Bildungsrückstand von 3-4 Jahren hätten.

              Deswegen verwahre ich mich gegen den Vorwurf des Rassismus, wenn ich objektive Fakten benenne.

              • Lemmy Caution 21. Januar 2025, 12:02

                Jeder Mensch hat rassistische Vorurteile. Wenn man sich dieser Tatsache bewußt ist, kann man bewußt dagegen vorgehen.
                Wie viel direkten beruflichen Kontakt hast Du in deinem Job eigentlich mit Ausländern?
                Durchschnittswerte sind immer problematisch. Wenn es viele nicht so sorgfältig ausgebildete Menschen gibt, kann der Schnitt nicht so gut sein, es aber noch viele gute geben. Der von mir verlinkte Guardian Artikel beschreibt ein klares Rassismus Problem von Investoren und nicht von dir.
                Noch ein Aspekt: in Nordafrika existiert – anders als in Deutschland – eine Kultur der Mehrsprachlichkeit. Zu Hause sprechen die ihren Arabisch Dialekt. Aus religiösen Gründen lernen viele Hocharabisch. Französisch wird nach wie vor in Verwaltung, Schule und Uni genutzt und erstaunlich weit verbreitet. Englisch hat sich dort immer mehr ausgebreitet. Nicht wenige sprechen zusätzlich noch Deutsch oder Niederländisch. Manche auch Türkisch. In den Bergen wird noch viel Berber-Sprache gesprochen und alles oben Beschriebene ist on top.
                Ich hatte mal mit einem Berber zusammengearbeitet, der Spanisch als Siebt-Sprache beherrschte. Das übrigens ziemlich gut.

                • Stefan Pietsch 21. Januar 2025, 12:33

                  Seltsame Frage, wenn Du mein Profil kennst. Über alle? Extrem viel, mit Sicherheit mehr als 95 Prozent einer Bevölkerung, egal in welchem Land. Ich habe in multikulturellen Unternehmen mit 50 Prozent Migrantenanteil gearbeitet, in Osteuropa, USA und der Schweiz. Ich war in Start-ups und Konzernen. In Unternehmen mit internationalen High Potentials und prekär Beschäftigten. Ansonsten war ich beruflich und privat auf allen Kontinenten aktiv.

                  Ich arbeite seit 30 Jahren eng mit Personal zusammen und bin seit 20 Jahren für Einstellungen mit verantwortlich. Ich habe unendlich viele Jobprofile auf dem Schreibtisch gehabt. Headhunter haben oft einen Migrationshintergrund. Reicht das, um nicht als Dorftrampel durchzugehen?

                  Was ich von Afrikanern auf dem Tisch hatte, waren (selbstverständlich) sehr gebildete Menschen, allerdings mit einem so theoretischen Background, dass sie für operative Funktionen nicht in Frage kamen. Da sieht es bei Osteuropäern weit besser aus, die hervorragend in Buchhaltungs-, Controlling- und Vertriebsfunktionen funktionieren. Und passen.

                  Und natürlich muss ich beim Bau und der Entwicklung eines Bereichs darauf achten, dass die Mitarbeiter zueinander passen: Kulturell, habituell, charakterlich. Fachliche Kompetenz ist nur eine von einer Reihe. Wer das bezweifelt, sollte auch hier auf den Profifußball schauen. So schauen viele Clubs darauf, dass in den Teams eine Landessprache gesprochen werden kann. Oder es werden nur Spieler aus einem Kulturraum gekauft. Altersmix ist ohnehin ein entscheidendes Kriterium für eine erfolgreiche Mannschaft. Kulturelle Identität (versus Söldnermentalität) wird von jedem Fußballfan verstanden.

                  • Lemmy Caution 21. Januar 2025, 19:46

                    Alles was ich hier versuche zu sagen ist, dass es in meinen Termins durchaus Leute aus Afrika, dem Nahen Osten oder den Problemzonen Südasiens (Bangladesch und Pakistan) gegeben hat, gibt und geben wird.
                    Ich habe nirgendwo gesagt, dass ich dich für einen Dorftrampel halte.

                    • Stefan Pietsch 21. Januar 2025, 22:03

                      Nö, hast Du nicht, habe ich Dir aber auch nicht vorgeworfen. Ich will nur nicht als Dorftrampel durchgehen 🙂

                    • Lemmy Caution 21. Januar 2025, 23:11

                      Hab vielleicht ein bisschen scharf formuliert.
                      Übrigens war da eben in meinem Lingoda Französisch B1 Kurs eine ü30 nigerianische Software-Ingenieurin, die in einem englisch-sprachigen Projekt in Paris arbeitet und Französisch lernt, um besser im Altag zurechtzukommen.
                      Afrikaner in europäischen Software-Projekten ist ein Trend und es ist gut so. In meinem Projekt ist ein Typ aus Kamerun. In dem davor einer aus Togo. Vielleicht sind wir da ein bisschen Vorläufer.

            • Thorsten Haupts 21. Januar 2025, 10:46

              Sorry Lemmy, kaufe ich nicht. Ich bin ganz sicher, dass zu der Zeit, als Südostasien ernsthaft anfing, sich zu entwickeln – vor mehr als 50 Jahren – auch asiatische Unternehmer bei Kapitalsuche in den USA oder Europa auf rassistische Vorurteile stiessen. Südostasien hat sich seither prächtig entwickelt und Afrika praktisch gar nicht. „Rassismus“ kann das nicht erklären.

              • Lemmy Caution 21. Januar 2025, 19:53

                Indien würde ich als Südasien sehen, China als Ostasien.
                Unter Südostasien verstehe ich alles zwischen Myanmar, Vietnam und Indonesien inklusive dieser Länder.
                Ich sage nun wirklich nicht, dass Europa/Nordamerika alles Schuld ist. Nur ist aber die Frage des Guardian Artikels, ob die Schwierigkeiten afrikanischer Unternehmer an Risikokapital zu kommen mit Rassismus zu tun hat, durchaus berechtigt.
                Kein Mensch ist frei von Vorurteilen. Ich auch nicht. Deshalb ist Rassismus ein Problem.

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