Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Anmerkung: Dieser Artikel ist vom 9.4.2024. Ich habe gerade erst gemerkt, dass WordPress ihn nicht veröffentlicht hat. Daher mit…leichter Verspätung.
Fundstücke
1) Tweet
I am not getting sick of sharing this data. Growing up in Germany I fell for the myth that Germans are hard workers. Nobody in fact works as much and as hard as Germans. I have failed to find any data that backs that up. Just a national myth at this stage. HT@landgeist pic.twitter.com/dCiSl4p7ZT
— Simon Kuestenmacher (@simongerman600) March 19, 2024
Küstenmacher liegt hier im Endeffekt demselben Irrtum auf wie andere Leute, die ständig von „hard working“ reden. Er perpetuiert einen Mythos, dessen Fundament in einem bescheuerten Präsentismus liegt. „Harte Arbeit“ definiert sich nicht durch die Menge geleisteter Arbeitsstunden. Nehmen wir ein Extrembeispiel: in der realsozialistischen Wirtschaft der DDR galt auch ein Acht-Stunden-Tag, aber was sagt das aus, wenn es zehntausende von Stellen gibt, die im Endeffekt keine echte Beschäftigung haben und auf denen die Zeit nur abgesessen wird? Umgekehrt kann ich in vier Stunden unglaublich fokussiert und produktiv arbeiten. Das hat mit der Zahl der insgesamt geleisteten Stunden nur mittelbar zu tun (weder lässt sich die Arbeitszeit beliebig senken noch steigern, ohne die Qualität zu beeinflussen). Die deutsche Produktivität ist eine der höchsten im weltweiten Vergleich. Die Vorstellung, dass eine reine Erhöhung der Arbeitszeit 1:1 in Produktivitätssteigerungen zu übertragen wäre (oder gar „harte Arbeit“ bedeuten würde) ist einfach bekloppt. In manchen Fällen mag das zutreffen; in anderen könnte man sie vermutlich auch kürzen. Solche Vergleiche sagen schlicht: überhaupt nichts. Außer der durchschnittlichen Anwesenheit an der Arbeitsstelle.
2) Supreme Court Puppetmaster Explains How Billionaires Can Push America Right
Leonard Leo, konservativer Aktivist und Drahtzieher am Obersten Gerichtshof, erläuterte kürzlich sein Konzept für Milliardäre, wie sie die Regierung und Gesellschaft der USA nach rechts bewegen können. Er forderte dazu auf, die Gerichte mit Klagen gegen den Missbrauch der Vett.rfassung durch den Verwaltungsstaat und den Kongress zu überfluten. Leo, Mitvorsitzender der Federalist Society, bekannt als Architekt der konservativen Mehrheit am Obersten Gerichtshof, leitet ein dunkles Geldnetzwerk, das Einfluss auf die Gerichtsentscheidungen nimmt und Entscheidungen formt. Er hat auch versucht, sein Netzwerk auszubauen. Leo geriet wegen Ethikfragen ins Rampenlicht, etwa wegen arrangierter Luxusausflüge für Richter oder geheimer Zahlungen an die Ehefrau eines Richters. In einem Podcast-Interview sprach Leo über sein 1,6 Milliarden Dollar schweres dunkles Geldfonds und wie Milliardäre konservative Ziele unterstützen können. Er betonte die Notwendigkeit, das Bildungssystem zu beeinflussen, und sprach von der Schaffung von Talent-Pipelines für eine konservative Ausrichtung von K-12-Bildung und höherer Bildung. Leo betonte auch die Bedeutung der Medien- und Unterhaltungsindustrie für konservative Ziele sowie die Reformierung religiöser Institutionen. (Andrew Perez, Rolling Stone)
Es ist immer wieder erhellend, wenn das so offen formuliert wird. Genau wie im Rahmen des Project25 sind die Pläne kein Geheimnis, liegt alles auf dem Tisch – und trotzdem wird gerne so getan, als sei dies nicht der Fall. Dass die Republicans aktuell eine klare Mehrheit an den Gerichten besitzen und dies skrupellos für ihre politischen Ziele ausnutzen, ist ein besorgniserregender Trend, der schon länger anhält; die Besorgnis kommt aber weniger von der parteipolitischen Prägung. In Deutschland wäre völlig egal, welche Parteizugehörigkeit unsere Richter*innen haben (sofern nicht AfD). Dass das ein so relevanter Faktor ist zeigt, wie verrottet das Justizsystem bereits ist. Die Konservativen waren und sind auch schlicht wesentlich besser darin, Kandidat*innen auszuwählen, zu fördern und in Positionen zu bringen. Noch unter Reagan und Bush Senior wurden Kandidat*innen ernannt, die zwar grundsätzlich konservativ waren, aber eigenständig – und deswegen auch unvorhergesehene Entscheidungen trafen. Das ist nicht mehr der Fall. Absolute Linientreue ist das Gebot der Stunde, und das ist es, was zunehmend in Entscheidungspositionen ist.
3) Wie realistisch ist Jens Spahns Forderung nach einer Migrationspause?
Jens Spahn, Fraktionsvize der Union im Bundestag, äußerte erneut seine Forderung, die irreguläre Migration „auf null“ zu reduzieren. Er betonte, dass der Aufenthalt ohne gültige Papiere strafbar sei und drängte darauf, die Asylanträge an den EU-Außengrenzen zu prüfen. Eine Senkung der Migration sei ein realistisches Ziel, obwohl eine Reduzierung auf null unrealistisch sei, da das Asylrecht im Grundgesetz verankert sei. Legale Zugangswege nach Deutschland sind begrenzt, vor allem für Geflüchtete aus Ländern wie Afghanistan oder Syrien. Die Idee, Asylanträge in sicheren Drittstaaten außerhalb Europas zu entscheiden, wird weiterverfolgt, jedoch gestaltet sich die Umsetzung komplex. Die Zahl der Schutzsuchenden in der EU und Deutschland bleibt hoch, wobei die Neuankömmlinge aus der Ukraine die Zahl der Asylanträge aus anderen Ländern übersteigen. (Rasmus Schreiner, Spiegel)
Wir haben diese Thematik im Zusammenhang mit Merz‘ Forderung nach einer völlig aus der Luft gegriffenen Zahl schon einmal diskutiert; wie seit dem Regierungswechsel üblich und Spahns neuer Rolle entsprechend legt er noch einmal eine Schippe drauf. Warum da stehen bleiben? Warum nicht eine Mordpause fordern? Oder eine Einbruchspause? Ist auch alles illegal, wollen wir auch alle nicht haben. Die Vorstellung, dass das irgendwie möglich sei, ist völlig absurd und nur wegen der Unterstellung möglich, dass die Politik bewusst Verbrechen zulasse oder gar fördere. Auffällig ist auch, dass die Gegenmaßnahmen vor allem darin bestehen, möglichst viel Grausamkeit an den Tag zu legen, unter weitgehender Missachtung der geltenden Rechtslage. Diese Dynamik sieht man in Großbritannien gerade an Rishi Sunak und seinen verzweifelten Versuchen, mit Abschiedungen nach Ruanda politisches Stroh zu dreschen.
Der Artikel berichtet über die Lage der FDP in Deutschland, insbesondere in Bezug auf die interne Parteidynamik und die politische Ausrichtung. Trotz innerparteilicher Unzufriedenheit und einem Mitgliedervotum über den Austritt aus der Regierungskoalition zeigt sich die FDP in einem Zustand der Ratlosigkeit und Unsicherheit. Ein Bezirksvorsitzender wird gelobt für seine Fähigkeit, die Parteibasis zu mobilisieren. Die Partei kämpft mit sinkenden Umfragewerten und Mitgliederzahlen. Es werden Meinungsverschiedenheiten über die politische Ausrichtung diskutiert, wobei einige Mitglieder eine konservativere Linie bevorzugen. Trotzdem scheint die FDP nicht in offene Konflikte zu geraten wie in der Vergangenheit. Einige Mitglieder äußern sich kritisch über die Beteiligung an der Regierungskoalition und die Zusammenarbeit mit den Grünen. Die Führung der Partei zeigt jedoch Zuversicht, dass sich die Situation verbessern wird, und hofft auf eine stärkere Positionierung bei der nächsten Bundestagswahl. (Christoph Schult/Severin Weiland, Spiegel)
Ich glaub das alles sofort, allein, man könnte den Artikel zu großen Teilen copypasten und „2012“ drüberschreiben und hätte eine akkurate Beschreibung der FDP in ihrer letzten Koalition. Ab einem bestimmten Punkt muss die Frage gestattet sein, ob es systemisch ist, wenn eine Partei sich jedes Mal zerreißt, wenn sie in einer Koalition ist. Schwarz-Gelb 2009-2013 war ein Desaster, in dem permanent eine Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik geäußert und eine Rückbesinnung auf „liberale Werte“ gefordert wurde; nun in der Ampel wiederholt sich dasselbe Muster. Normalerweise kennt man das eigentlich eher von linken Parteien. Mir ist ja klar, dass man als Liberale*r nicht 100% zufrieden sein kann mit dem, was da geschieht, aber dasselbe gilt für Sozialdemokrat*innen und Grüne ja auch. Koalitionen sind immer Kompromisse, und vor allem die Erfahrung von 2009-2013 spricht sehr dagegen, dass das nur an den Koalitionspartnern liegt. Mir ist – vermutlich auch mangels kultureller Verankerung – nicht klar, woher das kommt.
5) Der gefährliche Pessimismus der Deutschen
In Deutschland herrscht weit verbreiteter Pessimismus, insbesondere unter den jüngeren Generationen, die mit Sorgen über den Klimawandel und das Ende des Friedens in Europa konfrontiert sind. Dieser Pessimismus hat politische Auswirkungen und könnte dazu führen, dass Menschen das Vertrauen in die Demokratie verlieren und sich von der Politik abwenden. Parteien wie die AfD nutzen diese Stimmung aus, um Ängste zu schüren und profitieren davon, wenn Menschen das Gefühl haben, dass die Politik ihre Probleme nicht lösen kann. Die aktuelle Regierung konzentriert sich hauptsächlich darauf, negative Entwicklungen zu verhindern, anstatt eine positive Vision für die Zukunft zu präsentieren. Es ist wichtig, dass Politikerinnen und Politiker eine solche Vision entwickeln, die Hoffnung und Zuversicht vermittelt und die Bürgerinnen und Bürger dazu motiviert, sich für eine bessere Zukunft einzusetzen. (Maria Fiedler, Spiegel)
„Pessimismus kann dazu führen, dass sich Menschen von der Demokratie verabschieden. Dass sie, überfordert von der Flut an negativen Schlagzeilen, keine Nachrichten mehr lesen. Dass sie das Vertrauen verlieren in den Staat und seine Institutionen. Und dass sie aus dem Gefühl heraus, die Politik könne die Probleme ohnehin nicht lösen, am Wahltag zu Hause bleiben.“ Nachrichten waren schon immer eher negativ geprägt. Aber dass ein Vertrauensverlust in Staat und Institutionen besteht, ist kaum von der Hand zu weisen. Das Ansehen ist auf einem Tiefstand. Ich habe zuletzt im Vermischten vom 02.04.2024 argumentiert, dass deswegen ein offensiveres Werben notwendig ist, dass Staat und Institutionen um dieses Vertrauen kämpfen. Das passiert viel zu wenig. Ich bin auch nicht sicher, ob das ursächlich mit dem Grundpessimismus zusammenhängt. Ich kann ja Vertrauen in das Funktionieren des Bundestags haben und trotzdem Furcht vor der Klimakrise haben, oder Vertrauen in die Rechtsprechung und dennoch gesellschaftliche Konflikte durch Migration, und so weiter.
Resterampe
a) The era of random right-wing terrorism is over. Ich finde das Wort „Terrorismus“ völlig fehl am Platz hier.
b) Und deswegen, meine Freunde, ist die CDU die erfolgreichste Partei Deutschlands. Die können einfach Politik wesentlich besser als ihre Konkurrenten.
c) Das Sozialstaatsdilemma gut auf den Punkt gebracht.
f) Christian Stöcker im Interview über sein neues Buch. Wird sicher keine Stoecker-Hasser auf seine Seite bringen, aber wen’s interessiert…
g) Gleiches gilt für dieses Interview mit Christian Lindner.
h) Spannendes Interview zum Thema Friedman vs. Tobin, wobei ich sagen muss, dass es mir ein wenig zu hoch ist. Ich bin einfach kein VWLer.
i) Benjamin Netanyahu Is Israel’s Worst Prime Minister Ever. Ich habe mich gefragt, ob die Democrats darauf als Wahlkampffthema setzen sollte. Meine Bekannten aus der Politikberaterbubble: I’m sure people who know the polling will know better than I, but my short answer: yes. I think Dems will win on 2 things nationally: abortion and Trump is a threat to democracy. Local races: abortion (including how IVF and how miscarriage care are tied to abortion – esp in R leaning areas). Other things are nuanced and matter to an extent, but I’d say everyone knows someone who is impacted by this issue in an emotionally visceral way. Eine Reaktion darauf: Abortion yes. Threat to democracy doesn’t work as an issue except for people who have bought in. We have to run on abortion and jobs/the economy. Wenn das wen interessiert.
j) Benjamin Netanyahu Is Israel’s Worst Prime Minister Ever.
k) A conservative takes on right-wing social media. Für Thorsten. 🙂
l) Chartbook 271 Reasons of State: Memory politics, U-Boats, Iran & the German-Israeli relationship. Super lesenswert! Siehe auch: Annalena Baerbocks neue Härte gegenüber Israel. Und: Gaza-Krieg: Israel begibt sich weiter ins Abseits.
m) Wenn Politiker für jedes Problem die immergleiche Lösung haben. Ist natürlich richtig, aber auch so eine Sache, die man immer nur bei politischen Gegnern bemerkt. Kann mir nicht vorstellen, dass Franziska Zimmer sich über die immer gleiche Forderung nach Steuersenkungen von der FDP beschweren würde.
n) Dieses Abschiebe-Regime ist echt völlig kaputt.
o) Sehr wichtiger Punkt zur Rückschau auf Corona.
Deine Lektüre- und Kommentierungspensum ist immer wieder beeindruckend. Noch einmal vielen Dank, dass Du uns so viele und so interessante Diskussionen hier ermöglichst.
Danke sehr! Ich mach das gerne. Danke fürs Beteiligen und Einbringen deiner Perspektiven.
(c – Das Sozialstaatsdilemma gut auf den Punkt gebracht.)
Offenbar wieder jemand, der noch nie vom Modell der negativen Einkommensteuer gehört hat.
c) Kann man nicht kennen. Das Konzept ist ja gerade ein halbes Jahrhundert alt. Wir beschäftigen uns lieber mit der Bilanz-/Schulden- oder was auch immer „Mechanik“.
Das ist eine größere Diskussion, aber: so gerne ich die einführen würde, das Problem lösen würde sie nicht.
1) Tweet
„Harte Arbeit“ definiert sich nicht durch die Menge geleisteter Arbeitsstunden.
Klar. Deswegen hatte noch unsere Elterngeneration eine deutlich kürzere Lebenserwartung, weil die einfach wegen Nichtstun in ihrem Leben umgekippt sind. Und warum erzählt die Sprecherin der Grünen Jugend Stolla seit Monaten den Quatsch, ihre Generation habe keine Lust, sich totzuarbeiten? Abgesehen davon, dass Grüne ohnehin eine ganze Menge Unsinn erzählen, passen beide Erzählungen ja nicht so recht zusammen. Das mit der Logik und links schenke ich mir mal an der Stelle. 🙂
Umgekehrt kann ich in vier Stunden unglaublich fokussiert und produktiv arbeiten.
Kann man. Tun die wenigsten, weil die wenigsten über ein gutes Zeitmanagement verfügen. Beispiel Studenten: Seit Generationen überschätzen sie völlig ihren Aufwand fürs Studium, fühlen sich aber, als hätten sie 60-Stunden-Wochen. Gibt dann schöne Studien, die zeigen, dass Studenten selten über eine 18-20 Stundenwoche hinauskommen.
Deutschland ist ein Land der Teilzeit. Die meisten wollen aber nur von Montag bis Donnerstag und in der Morgenschicht arbeiten. Wenn wir das Wirtschaftsleben und die Pflege von Menschen freitags und an den Nachmittagen stilllegen könnten, wäre das ja in Ordnung. Und es ist Krankenpflegern durchaus zuzutrauen, dass sie die gleiche Anzahl an Patienten morgens betreuen können wie eine Ganztagskraft am ganzen Tag. Im Erziehungswesen wollen übrigens gefühlt 99,9 Prozent der Beschäftigten halbtags arbeiten, übrigens gerade 25jährige. Das ist ziemlich unproblematisch, da viele Eltern ihre Gören ohnehin nur von 8-10 betreut wissen wollen und sie um 10:15 (akademische Viertelstunde) abholen.
Die Teilzeitarbeit ist seit dem Jahrtausendwechsel rasant gestiegen. Seit dem Jahrtausendwechsel ist die Produktivität linear gefallen und liegt heute bei deutlich unter 1 Prozent pro Jahr Zuwachs. Zum Vergleich: In den USA, wo wesentlich mehr Arbeitsstunden geleistet werden, wird für dieses Jahr ein Produktivitätswachstum von 2,4 Prozent erwartet. Das hatten wir auch mal, aber nicht zu Zeiten der Teilzeitarbeit.
3) Wie realistisch ist Jens Spahns Forderung nach einer Migrationspause?
Warum nicht eine Mordpause fordern? Oder eine Einbruchspause?
Migration liegt in der Natur der Sache? Kann man einfach nichts machen, is‘ klar. Im Gegensatz zu Mord könnte man einfach Grenzkontrollen einführen, das, was unsere ach so fähige Innenministerin erst als unwirksam erklärt hat und, nachdem sie von den Ländern zur Umkehr gezwungen wurde, als ein wirksames Instrument. Bei solchen Ansichten fragt man sich unwillkürlich, warum eigentlich die Amerikaner ihre Waffen abgeben sollten. Gegen Mord kann man ja schließlich keine „Pause“ einführen.
Also, das Argument ist nicht gerade intelligent.
Ich finde ihr Argument trägt aber nicht in den Strukturen die wir EU nennen – für Deutschland wäre ihr Ansatz praktikabel, weil wir eben keine echten Außengrenzen haben und die Menschen dann in unseren Nachbarstaaten hängen blieben würden. Aber wir können eben die Außengrenzländer nicht mit dem Problem allein lassen, da sich sonst deren Grenzregime zunehmend radikalisiert und letztlich auch nicht gut für die Gesellschaften wäre, da der ständige Rechtsbruch zersetzend wirkt.
Diese ganze Diskussion um die Asylverfahren in Drittländer halte ich für Augenwischerei: Es wäre enorm teuer und wer sagt uns, dass die Staaten, nachdem sie das Geld kassiert haben, nicht die Leute wieder auf die Reise schicken? Es ist nicht nachhaltig.
Ich bin aber dabei, dass unser Grenzregime funktionieren muss. Unsere Menschlichkeit wird von den Schleusern ausgenutzt. Die EU müsste hier viel mehr tun bei der nachhaltigen Bekämpfung der Schleusernetzwerke und deren Ressourcen. Wenn die Menschen erst gar nicht in die Boote steigen können, dann müssen wir sie auch nicht aus dem Mittelmeer fischen. Das Hauptproblem ist Libyen – seit der Revolution von 2011 versinkt das Land im Chaos und eine Migrationssteuerung kann gar nicht stattfinden. Europa müsste sich betreffend der Stabilisierung des Landes viel mehr engagieren. Aber seit Afghanistan ist die Lust auf solche Abenteuer erloschen…
(..) weil wir eben keine echten Außengrenzen haben und die Menschen dann in unseren Nachbarstaaten hängen blieben würden. Aber wir können eben die Außengrenzländer nicht mit dem Problem allein lassen, (..).
Das war das passende Argument vor 10 Jahren. Inzwischen stehen die anderen EU-Länder in Opposition zu Deutschland, weil unsere Rechtspraxis aus ihrer Sicht wie ein Magnet auf illegale Migration wirken würde. Polen, Tschechien, Österreich und die Schweiz arbeiten gerne mit der Bundespolizei zusammen, illegale Migranten aus den Zügen nach Deutschland zu fischen. Das macht Bayern seit 2016, als Seehofer mit Merkel ein entsprechendes Abkommen schloss, das übrigens Nancy Faeser weiterführte – aber nur eben für Bayern.
Unser System aus Transferzahlungen und Bleiberecht für abgelehnte Asylbewerber wirkt enorm attraktiv auf Illegale. Noch dazu wird der Grenzübertritt ohne Ausweis gestattet und damit der Zugang zu den großzügigen sozialen Leistungen. Im Frühjahr war ich auf Kreuzfahrt in Südafrika / Namibia. Obwohl schon bei der Einreise nach Südafrika als auch beim Einschiffen die Kontrollen scharf gestellt sind, wurden die Passagiere (ernsthaft) ohne Grenzübertritt in Durban als auch beim Übertritt nach Namibia und zurück sowie beim Ausschiffen insgesamt fünfmal neben den Einreise nach Südafrika kontrolliert.
Dazu erlaubt Deutschland Asylbewerbern Mehrfachanträge. Das ist so nicht im europäischen Recht vorgesehen, sondern eine Besonderheit unserer Humanität. Doch wer bereits in Griechenland als Asylaspirant abgelehnt wurde, warum sollte er bei uns Asyl erhalten können?
Unser System aus Transferzahlungen und Bleiberecht für abgelehnte Asylbewerber wirkt enorm attraktiv auf Illegale. Noch dazu wird der Grenzübertritt ohne Ausweis gestattet und damit der Zugang zu den großzügigen sozialen Leistungen
Aus dem Bauch heraus würde ich dieser These zustimmen und ich denke, dass da sicherlich einige Lücken geschlossen werden müssen. Auf der anderen Seite liest man aber auch, dass die sogn. ökonomischen Pull-Faktoren überschätzt werden.
Nach meiner Betrachtung ist eines der größten Problemen, dass Menschen die Asyl bei uns suchen viel zu lange nicht arbeiten dürfen, sondern zum Warten verdammt werden. Einige kommen dann aus Not auf dumme Gedanken und verdingen sich kriminell. Andere Länder sind hier durchaus pragmatischer unterwegs.
Auf der anderen Seite liest man aber auch, dass die sogn. ökonomischen Pull-Faktoren überschätzt werden.
Ja, das liest man von jenen, die die Zahlungen an Asylbewerber vergleichen und dann, klar, zu dem Schluss kommen: Deutschland zahlt nicht am meisten, deswegen keine Pullfaktoren. Damit erklärt man Flüchtlinge für besonders doof, jedenfalls völlig ungeeignet, uns bei den Fachkräften zu helfen.
Was ist die allerwichtigste Frage, wenn ich auswandern will – egal ob als Flüchtling, Unternehmer, Rentner oder zur Karrierebildung? Eine Frage, die sich übrigens selbst Fußballtrainer von Zeit zu Zeit stellen müssen. Ganz einfach: Darf.ich.bleiben?
Schon bei diesem Faktor bietet Deutschland beste Bedingungen. In keinem der uns umgebenden Staaten ist die Chance so groß, selbst dann zu bleiben, wenn man eigentlich nicht bleiben darf. Abschiebung praktisch null. Glauben Sie nicht, dass das eines der entscheidenden Kriterien für Migranten jener Länder ist, statistisch keine Chance haben, als Asylbewerber anerkannt zu werden?
Vor kurzem ergab eine staatliche Auswertung, aus jenen Herkunftsländern, die eine Anerkennungsquote weit unter 90 Prozent haben, über 90 Prozent der Flüchtlinge ohne Ausweispapiere einreisen. Das sagt uns doch, dass die Flüchtlinge sich vor der Einreise sehr genau überlegen, unter welchen Bedingungen sie die besten Chancen haben, ein Bleiberecht zu erhalten.
Ich kenne keinen Auswanderer, der sich nicht elementare Fragen stellt: Wie sind meine Verdienst- und Einkommensmöglichkeiten? Wie komme ich dauerhaft finanziell über die Runden? Wie ist dauerhaft die Versorgung mit Sozialleistungen und Familiennachzug?
Diejenigen, die so vehement bestreiten, Deutschland habe keine monetären Pull-Faktoren, erklären wie gesagt Flüchtlinge für blöd. Und wundern sich, dass das kaum jemand glauben mag.
Asylbewerber haben kein besonderes Beschäftigungshindernis. Das ist ein Argument, dass die Linken aus den Neunzigerjahren in die Jetzt-Zeit transportiert haben. Einfach mal auf der Seite des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nachschauen:
1.) Asylbewerber haben einen Arbeitsmarktzugang
nach drei Monaten für Asylbewerber, die nicht verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen,
nach sechs Monaten Asylbewerber mit minderjährigen Kindern,
nach neun Monaten Asylbewerber ohne minderjährige Kinder (auch trotz Verpflichtung in Aufnahmeeinrichtung zu wohnen).
2.) Geduldete haben nach sechs Monaten einen Arbeitsmarktzugang, wenn sie zum Wohnen in der Aufnahmeeinrichtung verpflichtet sind, ansonsten nach drei Monaten.
https://www.bmas.de/DE/Arbeit/Migration-und-Arbeit/Flucht-und-Aysl/Arbeitsmarktzugang-fuer-Gefluechtete/arbeitsmarktzugang-fuer-gefluechtete-art.html
Warum behaupten Linke also Gegenteiliges? Sie verteidigen die großen Misserfolge und das Ausnutzen unseres liberalen Rechts.
„Ich kenne keinen Auswanderer, der sich nicht elementare Fragen stellt: Wie sind meine Verdienst- und Einkommensmöglichkeiten? Wie komme ich dauerhaft finanziell über die Runden? Wie ist dauerhaft die Versorgung mit Sozialleistungen und Familiennachzug?“
Das hört sich logisch an, aber ich lese, dass sie sich vor allem eine Frage stellen: wo gibt es schon Menschen aus meinem Land? Und zwar so nahestehend wie möglich: Verwandte, Freunde, Clan, Stamm, Nation. Dadurch werden indirekt eventuell Ihre Fragen schon beantwort, denn wenn da schon mir ähnliche Menschen leben, sind die Rahmenbedingungen möglicherweise günstig.
Das ist ein Argument, aber sind Sie nach Mexiko, weil es dort schon so viel Deutsche gab? Meine Schwester ist auch nicht nach Spanien, weil es dort schon viele Deutsche gab, sondern weil es für ihre Absichten gut geeignet war. Und Finanzen spielten und spielen immer eine Rolle. Auch Hanni wie mein väterlicher Freund sind nicht in die USA ausgewandert, weil es dort germanische Enklaven gibt.
Also, ja, ist eine Kategorie, aber eine unter mehreren. Das Materielle ist aber meist die dominierende Kategorie. Und wieso gibt es hier von allem viel: Syrer, Afghanen, Iraner, Iraker, Sudanesen, aber in Spanien und Frankreich nicht?
Ich kenne keinen Auswanderer, der sich nicht elementare Fragen stellt: Wie sind meine Verdienst- und Einkommensmöglichkeiten? Wie komme ich dauerhaft finanziell über die Runden? Wie ist dauerhaft die Versorgung mit Sozialleistungen und Familiennachzug
Solche Fragen stellen sich Ingenieure aus Toronto, wenn sie eine Stelle in Berlin angeboten bekommen, aber doch keine „Bootfluechtlinge“ aus Mali oder Eritrea. Fuer diese Leute sind „Europa“ und „Deutschland“ Synonyme für Wohlstand. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass auch nur ein Flüchtling in Lampedusa eine realistische Vorstellung vom deutschen Sozialsystem hat. Die wollen zu allererst nach Europa und dann dorthin wo sie jemanden kennen oder zumindest die Sprache sprechen. Und wenn sie sich Gedanken machen dann vor allem wie sie dorthin kommen. Und selbst darueber haben wahrscheinlich die allermeisten keine realistischen Vorstellungen bevor die Reise losgeht.
Solche Fragen stellen sich Ingenieure aus Toronto, wenn sie eine Stelle in Berlin angeboten bekommen, aber doch keine „Bootfluechtlinge“ aus Mali oder Eritrea.
Ja, aber das sind doch eher Geschichten. Im Grunde sind die Unterschiede zwischen Ingenieur und Bootsflüchtling gar nicht so groß. Die Geschichte, die meisten Flüchtlinge würden in Europa einfach aus lauter Verzweiflung stranden, ist weitgehend ein Märchen. Ein Märchen, dass viele für ihr gutes Gewissen brauchen.
Migrationsforscher kommen einhellig zu dem Ergebnis, wer es nach Europa schafft, gehört zu den wohlhabensten, körperlich fittesten, wagemutigsten und smartesten seines Landes. Ich ergänze: Und meist zu den Rücksichtslosesten. Wir sollten aufhören uns etwas vorzumachen: Wer es durch die Sahara, durch schlimmste Transitländer wie Libyen über tausende Kilometer und mit den Schlepperbooten schafft, gehört mit Sicherheit nicht zu den zartbesaitesten Naturen.
Das Gros der Flüchtlinge bilden einzelne junge Männer. Glauben wir ernsthaft, die seien besonders verzweifelt? Warum fliehen sie allein? Und warum sind die Zahlen der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge so hoch? Sind die auf der Suche nach ihrer Verwandtschaft in Deutschland?
Mit Verlaub: Ich finde die Annahmen der Linken in Bezug auf die Flüchtlingswellen nicht nur naiv. Ich finde sie verdummend. Sowohl aus diesem Sachverhalt als auch den vielen jungen Männern und dem späteren Familiennachzug wissen wir längst: Es gilt das „Anker-Prinzip“: Die Familien in Eritrea, Äthopien, Somalia schicken die Jugendlichen und jungen Männer als Vorhut. Sie sollen hier die Bedingungen schaffen, damit die Familien nachkommen können. Das sind nüchterne, rationale Überlegungen der Menschen.
Eine solche Flucht kostet zwischen 8.000 und 15.000 Euro für Schlepper und gefälschte Papiere. Mindestens. Ein solches Vermögen hat nicht jeder in den ärmsten Regionen der Welt. Wie soll ein junger Eritrea schon mit 18, 20 ein solches Vermögen angehäuft haben? Auch diese Annahme ist an Naivität nicht zu überbieten.
Das ist das Vermögen der Familien, die in ihre jungen Männer regelrecht investieren. Und die müssen „Beute“ machen. Deswegen ist es aus Sicht der jungen Flüchtlinge so wichtig, dass sie nach ihrer Ankunft regelmäßig Geld überweisen können. So gibt es seit Kriegsbeginn in der Ukraine hohe Überweisungen in das osteuropäische Land, die um 530 Prozent angestiegen sind.
Nach Schätzungen der Deutschen Bundesbank gingen von den 6,8 Milliarden Euro Rücküberweisungen knapp 900 Millionen Euro in die Türkei, nach Syrien 360 Millionen Euro, in den Irak 109 Millionen Euro oder Afghanistan 139 Millionen Euro. Hier leben nicht so viele wohlhabende Syrer, Iraker und Afghanen als dass das mit „Investitionen“ erklärbar wäre. So schätzt die Bundesbank auch, dass das Geld hauptsächlich von Geflüchteten stammt.
https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/MEDIENDIENST_INTEGRATION_Remittances_Factsheet_final.pdf
Die Grünen kämpfen dafür, dass Flüchtlinge auch aus den Mitteln der Sozialhilfe ihre Familien in den Herkunftsländern unterstützen können. Die Vertreter der anderen Parteien sehen genau diese großzügigen Möglichkeiten als wichtigen Pullfaktor.
Die Flüchtlingsströme reagieren sehr schnell auf politische Veränderungen. Als Belarus anfing, gezielt Flüchtlinge nach Europa zu schleusen, änderten sie die Routen. D.h. auch, dass die Flüchtlinge durchaus gut informiert sind. Und sie wissen, was sie mit ihren Ausweispapieren zu machen haben, wie sie sich gegenüber der Polizei zu verhalten haben und so weiter. Das sind klare Belege für ihre Informiertheit.
Hören wir bitte auf, mit naiven, weltfremden Argumenten solche Debatten zu führen.
@Pietsch
Sie meandern herum, so dass ich Ihnen kaum antworten kann. Ich weiss auch nicht, wie sie jetzt auf die Ukraine zu sprechen kommen, ich dachte es ging hauptsaechlich um Wirtschaftsfluechtlinge aus der 3. Welt?
Migrationsforscher kommen einhellig zu dem Ergebnis, wer es nach Europa schafft, gehört zu den wohlhabensten, körperlich fittesten, wagemutigsten und smartesten seines Landes. […] Wer es durch die Sahara, durch schlimmste Transitländer wie Libyen über tausende Kilometer und mit den Schlepperbooten schafft, gehört mit Sicherheit nicht zu den zartbesaitesten Naturen.
Die gehoeren mit Sicherheit nicht zu den zartbesaitesten und wahrscheinlich auch nicht zu den alleraermsten. Aber Sie glauben, die wohlhabensten Afrikaner senden ihre Kinder via Schlepper nach Europa, um hier die Sozialhilfe abzugreifen? Das glaube ich nicht!
Die Oberschicht laesst den Nachwuchs hier studieren. Das kostet 10000 Euro pro Jahr.
Die Ukrainer sind im Bericht der Bundesbank prominent angeführt. Es belegt, das Flüchtlinge nicht solo sind. Sie haben großes Interesse, ihre zurückgebliebenen Familien zu versorgen.
Die Schicht in afrikanischen Ländern, die ihre Kinder auf westeuropäische Schulen schicken kann, ist dann doch extrem dünn und im Promillebereich zu sehen. Das ist bei uns die Gruppe der Millionäre und Milliardäre, nur mal zum Vergleich.
Noch ein Vergleich: In Deutschland liegt das Medianvermögen der Haushalte bei 106.000 Euro, in den osteuropäischen Mitgliedsländern im mittleren fünfstelligen Bereich. Wenn ein sehr junger Flüchtling aus einem Entwicklungsland da eine deutlich fünfstellige Summe für den Transit aufbringen kann, dann dürfte er damit in seinem Heimatland sehr vermögend sein.
Es geht mir um eine nüchterne Betrachtung. Das können unsere Partnerländer in der EU ja auch. Da sieht man Flüchtlinge weit weniger verklärt.
Dann könnten wir uns irgendwann der durchaus humanitären Frage zuwenden, ob wir eigentlich die „Richtigen“ aufnehmen, oder ob wir nicht eher proaktiv Menschen eine Chance geben sollten, die fliehen wollen, es aber aufgrund fehlender Mittel nicht können. Sie werden möglicherweise wissen, dass es solche Diskussionen längst gibt. Dann bekommen wir vielleicht nicht die härtesten Überlebenskämpfer, sondern wirkliche Flüchtlinge.
Das wäre doch der Ansatz für eine interessante Debatte, oder?
„wer es nach Europa schafft, gehört zu den wohlhabensten, körperlich fittesten, wagemutigsten und smartesten seines Landes.“
Also bestes Rohmaterial für unseren Arbeitsmarkt. Künftige Leistungsträger.
@Pietsch
Niemand hier im Forum hat bestritten, dass Migranten Geld in ihre Heimat senden. Niemand hier hat behauptet, dass „[…] die Menschen sind ganz sicher guten Willens, die haben Schlimmes durchgemacht (was ich mir vorstelle).“ .
Es hat auch niemand behauptet, dass die aermsten der Armen kommen. All das kann man ja auch gerne mal diskutieren, aber hier ging es doch darum, ob Sozialleistungen in Deutschland signifikante Pull-Faktoren sind. Ich kann mir das weder fuer Fluechtlinge aus der Ukraine vorstellen, noch fuer Fluechtlinge aus Afrika. Sie behaupten zwar, dass die Migrationsforschungs das festgestellt hat, aber meine Suche findet da lediglich sowas hier: https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/februar-2024/nr-2426
Falls Sie da andere Infos haben ist das bestimmt fuer viele hier von Interesse.
Habe nochwas hier gefunden (von 2021): Ausschlaggebend für die Attraktivität Deutschlands sind laut Umfragen unter Geflüchteten neben der hiesigen Achtung der Menschenwürde und dem Bildungssystem zwei weitere Pull-Faktoren: das positive Deutschlandbild sowie zahlreiche migrantische Netzwerke. Diese sogenannten Anker-Communitys sind ein wichtiger Faktor für die Auswahl eines Ziellandes, weil Flüchtlinge und Wirtschaftsmigranten verständlicherweise bevorzugt dorthin gehen, wo sie einen vertrauten Umkreis vorfinden.
Bei Frontex-Umfragen unter Migranten 2016 und 2017 gaben fast alle an, in ihren Wunschländern Freunde oder Verwandte zu haben. Die Sogwirkung der Diaspora-Gemeinden hat durch die Einwanderung von 1,1 Millionen Schutzsuchenden in den Jahren 2015/16 also einen Schub bekommen, der noch jahrelang nachwirken wird. Sie wirkt wie ein Mega-Pull-Faktor. Laut Ausländerzentralregister lebten am 31. Dezember 2020 offiziell 1,9 Millionen Geflüchtete in Deutschland, so viele wie seit der Nachkriegszeit nicht mehr.
Sei mal nicht so naiv mit deinen Fakten!
@CitizenK
Ist die Frage, ob „die wohlhabendsten, fittesten und smartesten“ in Eritrea auch identisch ist, was wir im Westen darunter verstehen. Machen Sie doch mal einen Besuch in Berlin Görlitzer Park. Da finden Sie eine, die wir als gute Facharbeiter brauchen könnten.
2016 kamen Bildungsforscher zu dem Ergebnis, dass die schulische Ausbildung in Syrien 4 Jahre hinter Deutschland zurückhänge. Sie wissen, wie es hier mit der Bildung von Kindern aussieht? Ich weiß zugegebenermaßen nicht viel von Syrien (außer dass es in Südamerika liegt) und noch weniger von Eritrea. Aber ich gehe mal davon aus, dass das Bildungsniveau Syriens Lichtjahre über dem von Eritrea liegt. Dass jemand aus dem afrikanischen Land hier mit einem Hauptschüler (ohne Migrationshintergrund) mithalten kann, ist nicht so superwahrscheinlich.
@Detlef Schulze
Jetzt bin ich ziemlich beruhigt. Migranten schätzen hier die Rechtssicherheit, das Bildungssystem (sic!) und die Menschenwürde. Was werden wohl jene 700.000 Flüchtlinge geantwortet haben, die eigentlich kein Aufenthaltsrecht besitzen, aber trotzdem blieben dürfen? „Tolle Menschenwürde!“ „Rechtssicherheit!“
Wo kam eigentlich „Schutz vor Abschiebung“ und „garantierte Sozialleistungen“ vor? Gar nicht, gell? 50 Prozent der Bürgergeldbezieher sind gar keine Bürger, sondern Ausländer. Berücksichtigt man noch diejenigen mit Migrationshintergrund (ein Elternteil nicht in Deutschland geboren) sind es über zwei Drittel. Die meisten der Ausländer, die Bürgergeld beziehen, kommen aus dem Flüchtlingsstatus. Das sind Millionen. Natürlich ist das nur reiner Zufall und war nie ein Anreiz, ebensowenig, dass praktisch niemand abgeschoben wird.
Vor 20 Jahren hörte ich einen Vortrag des renommierten Unternehmensberaters Reinhard K. Sprenger. Er erzählte uns eine Geschichte. Er befragt direkt Führungskräfte. Als erstes sollten sie eine Liste erstellen, was ihnen im Leben besonders wichtig sei. Ganz vorne: Ehe & Familie, Freunde, Hobbys. Ehepartner werden sich an der Stelle so die Augen gerieben haben wie ich bei Ihrem Kommentar.
Dann sollten sie eine zweite Liste erstellen über die Zeit, die sie mit Aktivitäten verbringen. Ganz oben: Arbeit und Karriere, ganz unten Ehe & Familie, Freunde. Sprenger zog das Fazit: Die zweite Liste ist die Ehrliche.
Und so ist es mit der Migration und den Pull-Faktoren: Was wir sehen, ist das Ehrliche. Stark gestiegene Gewalt und sinkende Aufklärung, Bleiberecht für Abgelehnte, Sozialbezug. Sie erklären das für reinen Zufall, schließlich geben die Flüchtlinge in Befragungen ganz andere Motive an.
Ich habe mal die Zuzüge von Deutschland und Frankreich verglichen. In Frankreich ist der Anteil der Migranten mit 10% nicht sonderlich niedriger als in Deutschland. Ziehen wir in der Betrachtung jene Gruppen ab, auf die das Argument „kulturelle Nähe“ zutrifft – in Frankreich Algerier und Marokkaner, in Deutschland Ukrainer und Rumänen, dann fällt auf, dass in Frankreich die größten Gruppen aus der EU migrieren: Spanien, Portugal, Italien. Deutschland jedoch erlebt hauptsächlich einen Zuzug von Syrern, Afganen und Türken. Briten wollen erstaunlicherweise in viel größerer Zahl in unser Nachbarland als zu uns.
Neben den von Ihnen schon genannten Faktoren ist in Frankreich der Haupttreiber für Migration die Sprache. Das gilt für Deutschland eindeutig nicht.
https://home-affairs.ec.europa.eu/system/files/2023-07/arm2022_France_Part%20II_final.pdf
https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/BundesamtinZahlen/bundesamt-in-zahlen-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=4
Zu den Pull-Faktoren:
Für die Migration in ein fernes Land nach einer konkreten Flucht braucht man Ressourcen. Oft legen Großfamilien zusammen, um Schleuser, Flüge oder Bootsfahrten zu bezahlen. Die Familien hoffen natürlich auf ein „return on investment“ durch Rücküberweisungen und Angehörigen-Nachzug.
WELT: In der deutschen Migrationsdebatte ist umstritten, ob es Pull-Effekte, also Auswirkungen der Höhe von Sozial- und Integrationsleistungen, auf die Attraktivität für illegale Zuwanderung gibt. Was spricht dagegen?
Luft: In der Migrationsforschung wird nicht bestritten, dass es Abstoßungs- und Anziehungseffekte gibt. Sie können aber nicht erklären, warum manche Länder Ziel von Migration sind und andere nicht – bei vergleichbaren Bedingungen. Menschen reagieren unterschiedlich auf gleiche Bedingungen.
Ob sich Wanderungswünsche in Wanderungsentscheidungen umsetzen, hängt von vielen Faktoren ab: So müssen Wanderungsgelegenheiten und Realisierungsmöglichkeiten bestehen. Unbestritten ist die Anziehungskraft von bestehenden Netzwerken im Zielland. Migration schafft Migration, sie ist ein dynamischer, sich selbst verstärkender Prozess. Einige gehen voraus, andere ziehen nach, das ist das Prinzip der Kettenwanderung. In diesen Netzwerken spricht sich herum, dass es in den Ländern unterschiedliche Chancen auf Anerkennung, wirtschaftlichen Erfolg und auch staatliche Transferleistungen gibt.
Wer behauptet, dass die Attraktivität des Lebensstandards und der Rechtsansprüche auf Sozialleistungen sowie Bleiberechte keine Anreizwirkung haben, muss Migranten für völlig dumm halten. Flüchtlinge sind keine willenlose Masse, sondern handlungsfähige Akteure. (..)
Es gibt eine starke ideologische Ausrichtung in Teilen der Migrationsforschung, und wer da einsteigt, für den steht mit wenigen Ausnahmen außer Frage, dass er die normativen Grundannahmen dieser Institutionen teilt. Dazu gehört etwa: Migration ist der Normalfall. Das ist zunächst unzutreffend; Sesshaftigkeit ist der Normalfall, 95 Prozent der Weltbevölkerung wandern nicht.
Die Konsequenz aus der ersten führt zur zweiten Grundannahme: Wanderungsbewegungen zu steuern, also staatlich zu reglementieren, gleicht dem Versuch, eine Mondfinsternis abzuwenden. Vergesst es, ihr habt nur eine Chance, nämlich mehr legale Wanderungsmöglichkeiten zu schaffen, um irreguläre Migration über das Asylsystem zu reduzieren, ist die Botschaft.
https://www.welt.de/politik/deutschland/plus245590432/Migration-Sozialleistungen-seien-kein-Pull-Faktor-Wer-das-behauptet-muss-Migranten-fuer-voellig-dumm-halten.html?icid=search.product.onsitesearch
Exakt. Vielleicht sollte man auch einfach mal schauen, was diese Leute wirklich denken und nicht immer irgendwelche Annahmen treffen.
Wie bitte, willst Du herausfinden, „was diese Leute wirklich denken“? Solltest Du eine Methode gefunden haben, die das sicher herausfindet, bist Du morgen Spitzenkandidat für den Nobelpreis.
Ich halte mich an die beobachtbaren Fakten. Die hat Stefan P. oben vorgetragen.
Gruss,
Thorsten Haupts
Nein. Er stellt Behauptungen über die Motive der Leute auf.
Gegenfrage: Wieso glaubst Du Flüchtlinge seien ganz persönliche Menschen?
Es ist doch nicht so, als wüsste die Migrationsforschung nichts über die Motive von Flüchtlingen. Das ist wieder diese zur Schau getragene Naivität. „Ich weiß nix, die Menschen sind ganz sicher guten Willens, die haben Schlimmes durchgemacht (was ich mir vorstelle).“ Das ist doch keine nüchterne politische Analyse.
Du mit deinem „nüchtern“.
Ich bezweifle nicht, dass die sich hier ein ökonomisches Schlaraffenland vorstellen, ich bezweifle, dass sie die Feinheiten des Sozialrechts kennen.
Nicht „persönliche“, sondern „besondere“.
Naivität ist jedenfalls schädlich. Sowohl in der Politik als auch im Geschäftsleben.
Ich habe doch aufgeführt, was für Einwanderer – aus welchen Gründen auch immer – entscheidend ist, weil es entscheidend sein muss: Welche Chancen auf Bleibe habe ich dauerhaft und wie sieht mein finanzielles Überleben aus.
Kein Flüchtling muss das deutsche (oder französische) Sozialrecht studiert haben, um an allen zugänglichen Statistiken zu wissen: Abschiebungen sind in Deutschland am seltensten und im Gegensatz zu Frankreich erhält in Deutschland ein abgelehnter Asylbewerber weiterhin finanzielle Unterstützung und wird spätestens nach drei Jahren mit anderen Bürgern des Landes gleichgestellt. Und dann betreibt die Außenministerin des Landes noch Werbung in Afrika, Flüchtlinge könnten in Deutschland sehr leicht die Staatsbürgerschaft erhalten und wären damit aller Sorgen ledig.
Dafür braucht kein Somali studiert zu haben, um das innerhalb von Minuten in Erfahrung zu bringen. Und Du wirst einem Menschen, der einen Fluchtweg von mehreren Monaten mit Kosten eines schönen fünfstelligen Eurobetrages auf sich nimmt, wohl zubilligen, dass er ein paar einfache Basisinformationen über seine Zielregion einholt. Sich auf eine solch teure, aufwendige und langwierige Flucht zu begeben, ist nie eine spontane Entscheidung. Die Spontanen enden in den Nachbarländern.
4) Ratlos in der Todeszone
Ab einem bestimmten Punkt muss die Frage gestattet sein, ob es systemisch ist, wenn eine Partei sich jedes Mal zerreißt, wenn sie in einer Koalition ist.
Die Frage von FDP-Wählern ist eher, was man überhaupt mit seiner Stimme bewirken kann. Wenn der SPIEGEL als großen Erfolg der Partei das Deutschlandticket aufführt, dann muss man als nüchterner FDP-Anhänger sein Wahlabo kündigen.
2009 erzielte die FDP einen ihrer größten Wahlerfolge. In der Koalition mit der Union hatte sie so viel Gewicht wie nie zuvor in einer Regierung. Sie stellte ein Drittel aller Koalitionsabgeordneten. Dafür erhielt der enthusiastische FDP-Wähler:
1. Eine Senkung der Umsatzsteuer auf Hotelübernachtungen, wie sie im europäischen Ausland längst üblich war und sich auch in den Wahlprogrammen der CSU und LINKEN fand.
2. Eine Erhöhung des Kindergeldes (Trommelwirbel!)
3. Die Abschaffung der Praxisgebühr, für die ein Jahrzehnt zuvor FDP-Spitzenpolitiker gestritten haben. Die SPD übrigens war angetan.
2021 erzielte die FDP wieder ein Bombenergebnis. Dafür bekam sie:
1. Das Versprechen der Einhaltung der Verfassung, mit Ausnahme für die Haushaltsjahre 2022, 2023 und 2024.
2. Das Versprechen, keine Steuersenkungen, da sich der Staat Einnahmeverzicht nicht leisten könne. Im Gegenzug erhielten die Grünen einen Topf von 60 Milliarden Euro, den sie nach eigenem Gutdünken verwenden könnten.
3. Kein allgemeines Tempolimit, wobei die Grünen meinen, das sollte die FDP schon auf dem Altar des Klimaglaubens opfern.
Soweit man die Wählerbefragungen kennt, sollte bekannt sein, dass keines der Punkte FDP-Wähler glücklich machen kann. Daraus ergeben sich zwei alternative Schlussfolgerungen: Das Personal der Partei ist nicht in der Lage, Beute zu machen, selbst wenn sie in eine gute Verhandlungsposition geschoben wurde. Oder liberale Vorstellungen sind auf Dauer nicht durchsetzbar. Soweit man zu letzterem neigt, müsste man sich entweder mit der Oppositionsrolle begnügen, in der sich Liberale in diesem Land ohnehin permanent befinden. Oder man sollte liberale Kräfte in anderen Parteien stärken. Die gibt es aber derzeit höchstens in der CDU mit dem Parteivorsitzenden (nicht schlecht) und dem Generalsekretär (auch eine gute Option).
Aber kein Wähler irgendeiner Partei wird sich damit abfinden können, dass seine politischen Vorstellungen selbst dann nicht ansatzweise Regierungspolitik werden, wenn er dafür Politiker gewählt hat, die genau das versprechen.
Zumindest auf dem Papier hat die FDP durchaus einiges bekommen:
https://www.fdp.de/sites/default/files/2021-11/Liberale%20Schwerpunkte%20im%20Koalitionsvertrag_0.pdf
Aber die Ukrainekrise hat letztlich die Geschäftsgrundlage massiv über den Haufen geworfen und eigentlich hätte es eine Rekalibrierung der Partner bedurft. Hat man aber Unterlassen und naher streitet sich dieses Bündnis zu Tode. In meinen AUgen hat die FDP inzwischen den Punkt zum Ausstieg aus der Ampel verpasst – ich fürchte fast alles schlechte an dieser Koalition wird man ihnen überstülpen, auch weil die Minister eben nicht die glücklichste Figur machen und eigentlich auch keine Gewinner-Themen verantworten.
Das war das Verkaufsargument der Parteiführung. Auch Westerwelle wollte einstmals die Abschaffung der Praxisgebühr als Verhandlungserfolg seiner Partei verkaufen. Schlechte Verkäufer kasschieren mit Nebensächlichkeiten ihren Misserfolg.
Die Parteibasis und die Wähler denken völlig anders. Die FDP wird daran gemessen, inwieweit sie Erfolge bei Steuererleichterungen – insbesondere dem Einkommensteuer- und Körperschaftsteuerrecht – als auch bei der Verringerung von Verwaltungsauflagen erzielt. Ganz einfach. Hat die Partei hier nichts vorzuweisen, kann keine Cannabis-Legalisierung das kompensieren.
Ich gehöre zur Kategorie der besonders Genügsamen. Ich wäre zufrieden gewesen, wenn die Verfassung eingehalten worden wäre und die Steuerbelastung nicht zunehmen würde. Beides konnte die FDP jedoch nicht gewährleisten. Im November 2023 bekam es die Regierung amtlich, dass ihre Haushaltsführung verfassungswidrig sei. In diesem und 2025 wird die Steuer- und Abgabenquote eher zulegen. D.h., nicht einmal auf solche Mindeststandards konnte die Ampel sich unbedingt festlegen.
Seit 2015 leben wir in einem dauernden behaupteten Krisenmodus. Krise ist das neue „Normal“. Es gehört zu den Aufgaben der Politik, hier zu navigieren und nicht permanent einen „Sonderstatus“ auszurufen. Mein Leben besteht auch nicht aus einem langsam fließenden Fluss – wie bei den meisten.
Ich denke, der richtige Zeitpunkt zum Ausstieg kommt erst. Ich kann mir kaum vorstellen, dass SPD und Grüne sich auf einen verfassungskonformen Haushalt verständigen können. Und am Horizont winkt das Klassenkampfthema Soli. Das Bundesverfassungsgericht hat angekündigt, noch in diesem Jahr über die Verfassungsmäßigkeit der Reichensteuer für die oberen 5% und Unternehmen entscheiden zu wollen. Sollte das Gericht die Abgabe für nicht zulässig erklären, ist das sowohl für die Linken als auch für Konservative und Liberale der Wahlkampfschlager.
SPD und Grüne haben für diesen Fall bereits angekündigt, auf einen Ausgleich zu bestehen. Den linken Parteien schwebt dabei eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes vor. Und das wird neben dem Haushalt den Bruch provozieren. Die Frage ist, wie weit Karlsruhe die Politik rettet. Im vergangenen Jahr haben die Richter eine veritable Regierungskrise verursacht. Urteilen sie jetzt mit mehr Bedacht? Oder darf das einfach nicht interessieren? Es wird hochspannend.
Klar, aber das gilt ja für alle.
Das Personal der Partei ist nicht in der Lage, Beute zu machen, selbst wenn sie in eine gute Verhandlungsposition geschoben wurde. Oder liberale Vorstellungen sind auf Dauer nicht durchsetzbar.
Das erste stimmt offensichtlich, dass zweite halte ich aber für Quatsch.
Das Problem der FDP ist nicht die generelle Unvermittelbarkeit liberaler Vorstellungen sondern m.E. das Mindset, das sich spätestens seit Westerwelle unter ihren Mitgliedern und Wählern etabliert hat: Alles ist Wettbewerb, und Wettbewerbe muss man gewinnen.
Politik ist aber üblicherweise kein Spiel mit klaren Siegern und Verlierern sondern ein ständiges Ausloten von Kompromissen. Wenn man es jedoch jedesmal als Niederlage begreift, sich nicht soweit durchgesetzt zu haben, wie man es gerne hätte, dann sorgt das verständlicherweise für Frust.
Sie demonstrieren es ja selber sehr schön: Für die Bewertung der Erfolge der FDP spielt es überhaupt keine Rolle, ob die SPD von irgendwas angetan ist oder den Grünen ein Geldtopf zugebilligt wird. Aber für Sie sind Siege Ihrer Feinde gefühlt gleichbedeutend mit einer Niederlage Ihrer Freunde, obwohl das gar nicht immer zwingend miteinander zu tun hat.
Solange sich die Partei und ihre Fans nicht wenigstens ein Stück weit von diesem strikten Freund/Feind- und Sieg/Niederlage-Denken lösen können, solange, da muss ich Ihnen zustimmen, geht es der FDP zwangsläufig nirgends besser als in der Opposition, wo sie folgenlos Dinge fordern und Ratschläge erteilen kann. Vermutlich hat sie dort letztlich sogar bessere Möglichkeiten, ihre Kernanliegen nachhaltig im Diskurs zu verankern als beim erfolglosen Versuch, dieselben als Teil einer Regierung tatsächlich umzusetzen.
Was konkret haben SPD und Grüne in den vergangenen Jahren der FDP „gegönnt“? Nichts. Im Frühjahr stellten die Spitzen der linken Parteien die Anpassung des Kinderfreibetrages zur Disposition, die ihm Rahmen zweier Erhöhungen des Kindergeldes fix vereinbart war und verfassungsrechtlich geboten ist. Im vergangenen Jahr verweigerten SPD und Grüne lange die im Gesetz bestimmte Anpassung des Einkommensteuertarifs an die Inflation, während das Bürgergeld genau mit diesem Argument auch von der FDP durchgewunken worden war. Die FDP stellte sich auch nicht quer, als der Mindestlohn politisch auf 12 Euro angehoben wurde.
Das Problem der FDP ist nicht die generelle Unvermittelbarkeit liberaler Vorstellungen
Wo sehen Sie positive wirtschaftsliberale Entscheidungen in den Ampeljahren? Wir haben jede Woche (!) Debatten über die Erhöhung der Einkommensteuer für Investoren, wir haben eine starke Tendenz zur Industriepolitik, wir haben fast ultimative Forderungen nach einer Aussetzung der Schuldenbremse und Finanzierung von zusätzlichen Sozialausgaben über Schulden. Ich finde mich da kein Stück wieder.
Für die Bewertung der Erfolge der FDP spielt es überhaupt keine Rolle, ob die SPD von irgendwas angetan ist oder den Grünen ein Geldtopf zugebilligt wird.
Die Vorstellungen von SPD und Grünen einerseits und der FDP andererseits sind in steuer-, wirtschafts- und finanzpolitischen Themen nunmal entgegengesetzt. Das bestreitet keiner. Aber die Frage ist doch berechtigt, warum der einen Partei mit verfassungsrechtlich strittigen Mitteln ein Topf von 60 Milliarden Euro zugebilligt wird, der anderen aber beschieden wird, 12 Milliarden Euro (Soli) oder nur 6 Milliarden Euro (Entlastungspaket Wirtschaft) seien einfach zuviel. Und warum kommt Stefan immer mit der Subvention Tankrabatt (der ein paar Monate galt) und hat kein Problem mit der Dauersubvention Deutschlandticket? Das sind doch starke, sichtbare Inbalancen.
2021 wurde die Ampelkoalition von 80 Prozent der FDP-Wähler abgelehnt. Ich gehörte zu den 20 Prozent. Ich kann die Frage auch anders stellen: Wenn man von linker Seite nicht einmal diese 20 Prozent gewinnen kann, wen will man überhaupt für seine Politik gewinnen? Die Union des Friedrich Merz ist seit zwei Jahren der Punchingball auf SPD- und Grünen-Parteitagen, die CDU betreibe eine Politik der sozialen Kälte. Die AfD ist ein No-Go, das BSW wird ignoriert. Mit wem wollen SPD und Grüne eigentlich zu einer Mehrheit kommen?
Und wir sollten nicht vergessen: Die Grünen hatten 2021 insgesamt 16 Jahre in der Opposition hinter sich. Nach zwei Jahren sind sie in einer Situation, wo man in den Zentralen der Union, der SPD und der FDP sagt, mit denen auf keinen Fall mehr. Die FDP hat in den 16 Jahren einmal regiert. Über sie sagen aber weder Sozialdemokraten noch Unionsten: Mit denen auf keinen Fall mehr. Wer ist der Fundi?
Was konkret haben SPD und Grüne in den vergangenen Jahren der FDP „gegönnt“?
Mal abgesehen davon, dass mir diese Frage sehr von Ihren persönlichen politischen Präferenzen eingefärbt zu sein scheint und Anhänger der beiden anderen Ampelparteien sicher ähnliche Listen von Dingen, die ihnen die Liberalen nicht „gegönnt“ haben, vorlegen könnten: Was ist denn das für eine Vorstellung von Regierungsarbeit? Niemand muss irgendwem irgendwas „gönnen“. Man einigt sich auf gemeinsame Ziele, dann erarbeitet man Vorschläge, wie man die erreichen will, und wenn es dazu divergierende Ansichten gibt, schließt man einen Kompromiss.
Wenn es wirklich (und nicht nur gefühlt) so sein sollte, dass einer der Partner überhaupt keine seiner Vorstellungen mit einfließen lassen kann, dann sollte er sich eingestehen, offenbar nicht gut verhandeln zu können, und in letzter Konsequenz die Koalition verlassen.
Es ist hingegen wenig zielführend, trotzig „Wenn ich schon nicht gewinne, dann sollen die Anderen auch nicht gewinnen“ zu rufen und alles zu blockieren, was man dem Gegner nicht „gönnen“ möchte. Das wird völlig zu Recht als rein destruktives Verhalten wahrgenommen und entsprechend vom potentiellen Wähler, sofern der nicht zu den Hardcore-Fans gehört, auch nicht goutiert.
Eine im Kern kompromissunfähige Partei ist strukturell regierungsunfähig. Das ist zwar kein Alleinstellungsmerkmal der FDP sondern findet sich auch in weiten Teilen der Linken, aber dementsprechend weit sind diese Teile ja auch von irgendwelchen Regierungsbeteiligungen entfernt.
Aber die Frage ist doch berechtigt, warum der einen Partei mit verfassungsrechtlich strittigen Mitteln ein Topf von 60 Milliarden Euro zugebilligt wird, der anderen aber beschieden wird, 12 Milliarden Euro (Soli) oder nur 6 Milliarden Euro (Entlastungspaket Wirtschaft) seien einfach zuviel.
Die Frage ergibt überhaupt keinen Sinn, es sei denn man begreift Regierungspolitik als Wettbewerb um den höchsten Geldpreis. Mir scheint diese Vorstellung von Politik eine Spezialität des liberalen Milieus zu sein, meine ist es jedenfalls nicht.
Die Grünen hatten 2021 insgesamt 16 Jahre in der Opposition hinter sich. Nach zwei Jahren sind sie in einer Situation, wo man in den Zentralen der Union, der SPD und der FDP sagt, mit denen auf keinen Fall mehr. Die FDP hat in den 16 Jahren einmal regiert. Über sie sagen aber weder Sozialdemokraten noch Unionsten: Mit denen auf keinen Fall mehr.
Ihre Fixierung auf die Grünen sollten Sie mal im Auge behalten, das kann doch nicht gesund sein, sich immer so über die aufzuregen, selbst wenn die gar nicht das Thema sind.
Dass man über die FDP nicht so redet, führe ich zu diesem Zeitpunkt darauf zurück, dass niemand davon ausgeht, dass sie in naher Zukunft eine relevante Größe als Mehrheitsbeschaffer haben werden. Indes gehe ich davon aus, dass man nach der nächsten Bundestagswahl im Falle beider Parteien die Lage entsprechend dem Wahlergebnis neu bewerten wird, allem jetzigen Wortgeklingel zum Trotz.
Ich erwarte von Sozialdemokraten und Grünen nicht, dass sie FDP-Politik machen, wenn es das ist, was Sie mit „persönlicher politischer Färbung“ meinen. Das Wesen von Partnerschaften ist, dass sie nur funktionieren, wenn jeder der Partner seine Ziele zumindest in Teilen dadurch besser erreicht. Das gilt für Menschen, für Arbeitsverhältnisse, aber eben auch in der Politik. Warum sollte eine Partei anderen zur Mehrheit verhelfen, wenn diese sie nicht auch in ihren Anliegen unterstützen? Das macht nur für einen Sinn und so funktioniert eben keine Beziehung.
Ich hatte es vor kurzem bereits geschrieben: Der Deal der Ampel war, dass Sozialdemokraten und Grüne unter drei Bedingungen Rot-Grün machen können:
1. Die Schuldenbremse der Verfassung wird eingehalten.
2. Die sozial- und klimapolitischen Projekte werden ohne Rückgriff auf den Steuerzahler bewerkstelligt.
3. Die Leute können auf der Autobahn manchmal auch schneller fahren.
Rot-Grün konnte viele ihrer Projekte durchziehen, obwohl sie strategisch eine Mehrheit in Deutschland haben. Die meisten haben die FDP nicht gewählt, damit Deutschland ein ultraliberales Staatsbürgerschaftsrecht erhält. Die FDP hat auch nicht ihre Stimmen bekommen, damit der Bund Industrieprojekte und Großkonzerne fördert. Sie wurde auch nicht gewählt, damit der Mindestlohn um 25 Prozent erhöht oder die Rente Haltelinien auf Ewigkeit erhält.
Das alles trage ich als FDP-Wähler mit. Was ich nicht mittrage, ist, wenn die genannten drei Punkte dauerhaft verletzt werden. Das ist wie wenn man der Frau einige Splinigkeiten durchgehen lässt. Aber wenn sie dauernd fremdgeht oder das Konto abräumt, ist Schluss mit lustig.
Jenseits von Union und SPD sind die übrigen Parteien eng Milieus verhaftet. Die Grünen bekommen abseits der gebildeten Schichten in den Großstädten keinen Fuß auf den Boden. Die FDP wird hauptsächlich von sehr leistungsorientiert denkenden Menschen mit gutem Einkommen gewählt. Diese Milieus haben Erwartungen. Werden sie regelmäßig enttäuscht, sucht man sich irgendwann eine andere Partei.
Als Anhänger eine 11-Prozent-Partei kann ich nicht erwarten, dass das Land neoliberal gestaltet wird. Aber das gilt umgekehrt auch für eine 14-Prozent-Partei. Wenn eine große Mehrheit der Wähler die Grünen als sehr dominierend in der Regierung wahrnimmt, stimmen die Gewichte nicht. Das freut zwar die eigenen Anhänger, aber sonst niemanden.
Der FDP kann man sich nicht mangelnde Kompromissfähigkeit vorwerfen. Als man 2022 aufgrund der rasant steigenden Energiepreise die Notwendigkeit einer Rabattierung von Benzinkosten für angezeigt erachtete, schrien die Grünen, man müsse aber auch etwas für die Bahnfahrer machen. Daraufhin wurde eine Subvention begründet, die jährlich ein paar Milliarden kostet. Den Tankrabatt gibt es jedoch längst nicht mehr.
Obwohl eine Mehrheit für eine längere Laufzeit der Kernkraftwerke war, bekamen die Grünen ihren Wunsch erfüllt, sie (fast) fristgemäß abzuschalten und damit eine Energieknappheit mit höheren Preisen zu riskieren. Hohe Energiepreise, die heute zur Abwanderung vieler Industrieunternehmen wie aktuell BASF führen.
Als das Bundesverfassungsgericht im November 2023 den Haushalt kassierte, kam der von der FDP gestellte Bundesfinanzminister seinen „Partnern“ auf zweierlei Wegen weit entgegen: Zum einen wurde entgegen der Absprachen auch für 2022 die Haushaltsnotlage erklärt. Zum anderen wird sich der Bund auch dieses Jahr bis zur Grenze des Möglichen mit knapp 40 Milliarden Euro verschulden, rund 10 Prozent der Steuereinnahmen. Darüber hinaus wurde die vom Gesetz vorgesehene Tilgung der Corona-Kredite von 2023 auf 2028 verschoben.
Den politischen Preis für diese Kompromisse zahlt alleine die FDP. Wo bekam sie dafür im Gegenzug Kompromissbereitschaft ihrer „Partner“? Sie sagen, das sei nicht notwendig. Aber eine Partnerschaft funktioniert nicht, wenn nur immer der eine zahlt.
Dass man über die FDP nicht so redet, führe ich zu diesem Zeitpunkt darauf zurück, dass niemand davon ausgeht, dass sie in naher Zukunft eine relevante Größe als Mehrheitsbeschaffer haben werden.
Nein, so ist es nicht. Im politischen Berlin signalisieren Unionisten wie Sozialdemokraten den Grünen seit längerem, dass sie ein Kassengift sind. Deswegen wurde von außen betrachtet ohne Not die rot-rot-grüne Koalition im Berliner Rathaus gesprengt. Deswegen wurden die Grünen in Hessen auf die Oppositionsbänke verbannt. Deswegen beendeten die Sozialdemokraten in Hannover die Koalition. Das alles innerhalb eines Jahres und ohne, dass die Grünen wegen verändeter Mehrheiten geschasst worden wären.
Erklärt ein CDU-Politiker derzeit, er wolle mit den Grünen regieren, gehen sofort die Zustimmungswerte nach unten. Das ist bei der FDP nicht der Fall. Friedrich Merz will, soweit möglich, nur mit einem Partner regieren. Reichen die Stimmen nicht für Union und SPD, wird also ein weiterer Partner gesucht, wäre die erste Wahl die FDP und nicht die Grünen.
Eine Ampel hat in der Geschichte der Bundesrepublik mit Ausnahme Rheinland-Pfalz nirgends funktioniert und wurde immer vorzeitig beendet. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass dies auf lange Sicht der letzte Versuch war.
Ich erwarte von Sozialdemokraten und Grünen nicht, dass sie FDP-Politik machen, wenn es das ist, was Sie mit „persönlicher politischer Färbung“ meinen.
Nein, das meine ich nicht. Ich meine, dass Ihr Blick auf die Dinge nicht so objektiv ist, wie er Ihnen möglicherweise selbst erscheint. Sie sehen halt alles durch Ihre Grüne-doof-FDP-super-Brille, wodurch Ihnen die Kröten, die letztere schlucken müssen, im Vergleich außergewöhnlich groß und ungenießbar erscheinen.
Mein Punkt ist, dass bereits diese Vergleicherei der falsche Ansatz ist. Erfolgreiches Regieren geht nicht ohne Kooperation. Wenn jeder immer nur eifersüchtig darüber wacht, was der Andere kriegt, kommt man nicht weit.
Dieses Denken scheint mir in der FDP aber besonders stark verankert zu sein (und bei Ihren Fans, wie Sie hier zeigen), und daher stammt m.E. der Großteil des Frusts. Wo übersteigertes Konkurrenzdenken nicht direkt verhindert, sich konstruktiv in die Gestaltung einzubringen, verhindert es das Anerkennen der eigenen Erfolge, weil es ja immer irgendeinen Erfolg des Konkurrenten gibt, der einem größer und wichtiger erscheint. Zack, schon fühlt man sich gekränkt und zurückgesetzt.
Wie Stefan richtig bemerkte ist das Lamento, der fiese Koalitionspartner gönne der armen kleinen FDP nicht einmal die kleinsten Erfolge, ja weder neu noch originell. Das gab es wortgleich schon unter Schwarz-Gelb, was in der Tat nahelegt, dass es eher nicht am jeweiligen Koalitionspartner liegt. Sie kennen das vom Fußball: Immer Pech ist Unvermögen.
Ich bin liberal-konservativ verortet. Da würde jeder hier zustimmen. Das bedeutet auch, dass ich eine ziemlich gute Selbsteinschätzung habe. Mein Job besteht nicht darin, meine Meinung zu verkaufen. Ich bin in einem Gewerbe zuhause, wo es allein darum geht, die Vergangenheit objektiv korrekt abzubilden und die Zukunft aus Daten, Zahlen und Fakten ein Stück vorhersagen zu können. Gelingt mir das nicht, attestieren wir Wirtschaftsprüfer, meine Buchhaltung würde große Lücken aufweisen und die Lage wäre falsch dargestellt (die IFRS geben da wenig Spielraum), dann bin ich im wahrsten Sinne des Wortes erledigt. Im Beamtenbereich kann man sich möglicherweise nicht vorstellen, welche Bedeutung anderswo Glaubwürdigkeit, Objektivität (Fair Value-Ansatz) und Kompetenz haben. In meinem Bereich ist es alles. Ich kann es mir sprichwörtlich nicht leisten, einfach meine Meinung hochkompetenten CEOs, Investoren und Wirtschaftsprüfern ins Gesicht zu blasen.
Warum sollte ich im Politischen meine Persönlichkeit so stark verändern?
Denn erstaunlicherweise zweifeln schon am Anfang viele Deutsche an der Dauerhaftigkeit der Ampel, zu widersprüchlich ist sie zusammengesetzt. (..)
Politisch betrachtet ist es eine rot-grüne Koalition mit liberalem Beiboot. Mental gestaltet es sich als ein sozial-liberales Bündnis mit grünem Störenfried. Das sieht nach „Nicht Fisch, nicht Fleisch“ aus. In der Haushalts- und Finanzpolitik sind die Rollen klar erkennbar: Links-grüne Ausgabenwünsche werden eingehegt durch die liberale Bremse, die hier sogar einen Namen hat: Christian Lindner. Eine Bremse kann nur Geschwindigkeit wegnehmen, zum Stoppen bedarf es außerordentlicher Kraft.
Steuerpolitisch konnte die FDP nicht mehr als eine Blockade der linken Parteien durchsetzen. (..) Die liberale Klientel ist da ob nicht begeistert. Das gelbe Etikett steht immer noch zuvorderst für Entlastung vor dem kalten Zugriff des Staates. Dieses Versprechen konnte Christian Lindner in den Verhandlungen mit den Ampelpartnern nicht einlösen.
Als Anhänger von Steuerentlastungen braucht man in diesen Zeiten vor allem Geduld. Und die Anbetung höherer Mächte. (..) Aller Voraussicht nach wird 2022 / 2023 über die Fortführung des Solidaritätszuschlages entschieden. Sollte das Verfassungsgericht die Ergänzungsabgabe mit Auslaufen des Solidarpakts II (Finanzierung Deutsche Einheit) für grundgesetzwidrig erklären, hätte der Finanzminister eine Verhandlungsmasse von 11 Milliarden Euro in der Hand. Von einem solchen Urteil würden nach jetziger Rechtslage nur die oberen 10% der Steuerzahler profitieren.
https://www.deliberationdaily.de/2022/01/ampel-unter-spannung/
Und so geht es weiter. Das schrieb ich Anfang 2022, also vor fast zweieinhalb Jahren. Können Sie mir zugestehen, dass das objektiv richtig prognostiziert war? Wenn Sie mir also unterstellen, ich sähe möglicherweise die Dinge zu sehr durch eine parteipolitische Brille – messen Sie mich an meiner Prognosefähigkeit, die aus einer richtigen Analyse resultiert.
Was soll denn Ihrer Meinung nach eine Regierung machen? Demokratietheoretisch ist es die Aufgabe der Regierung, die Verwaltung zu kontrollieren und politische Vorgaben zu machen. Wie soll das Ihrer Ansicht nach geschehen?
Ich wiederhole mich: Mich ärgern nicht Erfolge der Grünen, die im Koalitionsvertrag vereinbart wurden. Ich halte es für inakzeptabel, wenn sozialdemokratische und grüne Minister Projekte deutlich über die Grenzen des Vereinbarten dehnen wollen. So ist das in den ersten Regierungsjahren häufig passiert: Staatsbürgerschaftsrecht, Migration, Kindergrundsicherung, Bürgergeld um nur einige Gesetzesmaßnahmen zu nennen. Das widerspricht einfach meinem bürgerlichen Verständnis: Ich halte mich an Vereinbarungen.
Auf der anderen Seite verlangen Regierungsparteien nur für den Vollzug von Gesetzen einen politischen Preis: Inflationsausgleich im Einkommensteuertarif, Anhebung des Kinderfreibetrages und vor allem Einhaltung des Grundgesetzes in Bezug auf die Haushaltsführung. Können Sie da nicht verstehen, dass an dieser Stelle bürgerliche Wähler nicht mitgehen? Das könnten die Grünen und Sozialdemokraten mit der Union genauso wenig machen.
Mehr verlange ich gar nicht. Und, ich wiederhole mich: Nicht nur die FDP hat aus der Ampel einen Imageschaden davongetragen. Der Schaden der Grünen ist wesentlich größer. Von der beliebtesten Partei in Deutschland runter zu einer Partei, welche die größten Widerstände in der Bevölkerung hervorruft. Das muss man erstmal schaffen.
Die FDP ist 2022 in Schleswig-Holstein und NRW aus der Regierung geflogen sowie aus den Landtagen im Saarland und Niedersachsen. Die Stimmenverluste betrugen wenige Monate nach Installierung der Ampel rund 50 Prozentpunkte. Damals vollzog die FDP weitgehend rot-grüne Politik. Offensichtlich fanden die eigenen Wähler das nicht gut. 2023 traf es dann auch die Grünen: Enttäuschende Wahlergebnisse und, anders als bei der FDP, Amtsverluste ohne dass dies vom Wahlergebnis erzwungen worden wäre.
Das gilt es sehr wohl zur Kenntnis zu nehmen, um zu einer richtigen Analyse zu kommen.
Und: Wenn Ihr Anwalt sich häufiger als schlechter Verhandler erweist, würden Sie ihn dann immer wieder mit neuen Mandaten betrauen?
Erfolgreiches Regieren geht nicht ohne Kooperation. Wenn jeder immer nur eifersüchtig darüber wacht, was der Andere kriegt, kommt man nicht weit.
Yup. Und jetzt kommt die Einschränkung:
Was genau haben Wirtschaftsliberale und Konservative in den letzten Jahren bekommen, was nicht auf eine Verhinderung WEITERER Anliegen der Sozis und Linksliberalen hinauslief?
Was diese bekommen haben (an zum Teil drastischen gesetzlichen Änderungen wie an Kohle), liste ich hier mal exemplarisch auf:
– Ehe für alle
– beliebiger jährlicher Geschlechterwechsel für alle
– Bürgergeld
– deutliche Erhöhung der Sozialausgaben
– Deutschlandticket
– Massenimmigration
– Endgültiger Kernkraftausstieg
– Faktische Entwaffnung Deutschlands
Was mir so auf Anhieb ohne Nachzudenken einfiel. Vielleicht kann ja jemand aus einer anderen politischen Richtung aufzählen, was Wirtschaftsliberale (in der jetzigen) oder Konservative (in der vorigen Koalition) an wirklich mess- und sichtbaren Konzessionen ihrer „Partner“ einfahren konnten?
Wenn Ihnen dabei nichts einfällt, besteht die „Kooperation“ also aus … nichts. Und das ist zu wenig 🙂 .
Gruss,
Thorsten Haupts
Wirtschaftsliberale wie Konservative haben vieles davon halt selbst vorangetrieben. Der Ausstieg war unter schwarz-gelb, keine Konzessionen nach progressiv. Die Abschaffung der Wehrpflicht ebenso; letztere übrigens explizit mit, was auch sonst, dem Spareffekt begründet. Das galt seinerzeit als große Errungenschaft und Coup Guttenbergs. Dass jetzt buyer’s remorse in beiden Fällen da ist ändert das kaum. Die Ehe für alle war eine freigegebene Entscheidung, keine Konzession in irgendeine Richtung. Und die Erhöhung der Sozialausgaben (Stichwort Mütterrente, Erziehungsgeld, Elterngeld) war ein Herzensanliegen der Konservativen.
Schön. Bleibt also nach Deiner Auffassung nur die Hälfte stehen. Diskutier ich nicht mal, weil ich auf die Antwort darauf warte, welche messbaren (also gesetzlichen) Gegenleistungen die Konservativen und Wirtschaftsliberalen für die Hälfte meiner Aufzählung bekommen haben, die Du nicht bestreitest.
Na?
Gruss,
Thorsten Haupts
Die Schuldenbremse. Die Blockade von Versuchen der Vergemeinschaftung von Schulden (die Finanzkrisenpolitik war sicherlich kein Erfolg der Progressiven). Das Killen der Energiewende. Diverse Gesetzesverschärfungen auf dem Feld der inneren Sicherheit (z.B. Staatstrojaner). Föderalismusreform (bipartisan, aber nichtsdestotrotz). Verhinderung eines türkischen EU-Beitritts. Verschärfung des Einwanderungsrechts (Einwanderungstest, erforderliche Deutschkenntnisse etc). Reform der Krankenhausfinanzierung. Erhalt der Dieselsubventionen. Blockade der Verkehrswende. LKW-Maut. Gedenktag Flucht und Vertreibung. Rentenkompromiss. Obergrenze für Zuwanderung. Verschärfung des Asylrechts.
Nur so als schneller Überblick.
Da hast Du wirklich alles reingepackt, was Dir gegen den Strich geht, ohne nach Mehrheiten zu schauen.
Worauf Thorsten Haupts und ich gehen: Die Linke bekam viele Wünsche gegen der Mehrheitswillen der Gesellschaft erfüllt. Demokratie, anscheinend kann man das nicht häufig genug erwähnen, ist die Herrschaft der Mehrheit.
Schuldenbremse. Die Neuregelung zur Verschuldung des Staates ersetzte eine alte Regel, die sich nach aller Einschätzung als nicht wirksam herausgestellt hatte. Der Anstoss zur Reform erfolgte, nachdem der sozialdemokratische Finanzminister Peer Steinbrück ein strukturelles Defizit im Staatshaushalt identifiziert hatte, was weitreichende Maßnahmen erzwang. So wurde, einmalig in der Geschichte, die Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte angehoben, Zuschüsse und Subventionen abgeschafft ohne für die Bürger Ausgleich zu schaffen.
Die Anpassung erfolgte mit einem überragenden Konsens in Politik und Gesellschaft. Du willst zu einer Regelung zurück, die nicht funktioniert hat. Warum? Ist es nicht Sinn staatlichen Handelns, nur solche Gesetze zu beschließen, die auch wirken?
Blockade der Vergemeinschaftung von Schulden. Das Thema ist in der Bevölkerung völlig unpopulär und dennoch wurden über verschiedene EU-Töpfe genau diese Vergemeinschaftung vorangetrieben. Die Spitze ist da nur das 700 Milliarden Euro Kreditpaket der EU, dass eben die gemeinsame Haftung in Reinkultur ist.
Das Killen der Energiewende. Jetzt wird es richtig strange. Die von Rot-Grün eingeleitete Energiewende hat die Energiekosten in Deutschland extrem verteuert, was nicht mehr korrigierbar ist. Kein anderes Land ist diesen ruinösen Weg gegangen. Allein die doch sehr beschränkte Energiewende der maßgeblich von den Grünen konzipierte Politik hat den Staat eine halbe Billion Euro gekostet – den Preis einer Deutschen Einheit. Es war daher der damalige sozialdemokratische Umweltminister Sigmar Gabriel, der die Förderungen zurücknahm.
Verhinderung eines türkischen EU-Beitritts.
Die Frage des Beitritts eines Kandidaten zur Gemeinschaft obliegt der EU. In den europäischen Hauptstädten war dafür nie eine Mehrheit zu bekommen. Es war die Regierung Schröder, die das Thema noch auf die lange Bank schob. Schon um 2010 war erkennbar, dass die Türkei die geforderten Fortschritte beim Rechtsstaat nicht erfüllen wollte und daher keine Aussicht auf eine Mitgliedschaft hatte.
Verschärfung des Einwanderungsrechts. Was? Wir haben zweieinhalb Jahrzehnte stetiger Erleichterungen. Die Linken erzählen ja noch heute die Geschichten von früher, dass Asylbewerber nicht arbeiten dürften. Das hat schon Trump’sche Dimensionen.
Erhalt der Dieselsubventionen. Blockade der Verkehrswende. LKW-Maut.
Jetzt ist Erhalt schon etwas, was jemand politisch bekommt. Fehlt übrigens das Tempolimit. Wenn schon denn schon. Die LKW-Maut war ein Wunsch der Rechten?
Obergrenze für Zuwanderung.. 2022 erfolgten 2,7 Millionen Zuzüge, 2023 über 1,9 Millionen. Welche Obergrenze?!?
Verschärfung des Asylrechts. Das Gegenteil ist richtig. Asylbewerber können in Deutschland Mehrfachanträge stellen, selbst wenn sie nach rechtstaatlicher Prüfung in EU-Mitgliedsländern abgelehnt wurden. Mehr noch: Deutschland nimmt Asylbewerber auf, die in Griechenland, Bulgarien usw. ein Verfahren durchlaufen haben, weil diese angeblich nicht die notwendigen Standards an sozialer Versorgung gewährleisten. Und Deutschland fliegt monatlich nach Auswahl von Hilfsorganisationen Asylbewerber aus Afghanistan und anderen Ländern aus.
Von was redest Du?
Stefan, mit Verlaub …
Die Hälfte Deiner Aufzählung betrifft Punkte, in denen weitreichende Änderungen vermieden wurden. Kein Erfolg, es sei denn, diese Punkte hatten eine deutliche demokratische Mehrheit.
Abschaffung der Wehrpflicht wie Schuldenbremse liegen weit vor dem abgefragten Zeitrahmen.
Das Einwanderungsrecht wurde ausweislich der Einwanderungszahlen mitnichten verschärft, die sogenannten Gesetzesverschärfungen bei der inneren Sicherheit passten eine auf Schriftverkehr und Festnetztelefon ausgelegte Gesetzeslage neuen Technologien an (Bestandssicherung). Und die Energiewende wurde nicht gekippt (kurzer Blick auf den EEG-Anteil meiner aktuellen Stromrechnung), nur wegen Unfähigkeit vergeigt.
Ich finde in Deiner Aufzählung nichts klar Messbares, was auch nur annähernd die gesellschaftliche Reichweite meiner unvollständigen Aufzählung hätte.
Deshalb trotzdem danke, Du beweist letztlich meinen Punkt: Vielen Leuten wurde in den letzten Jahren klar, dass traditionelle Liberale wie Konservative politisch seit längerer Zeit draufzahlen, weil für sie in Koalitionen nichts Erkennbares rausspringt. Nicht mal solche Dinge, die grosse politische Mehrheiten mobilisieren, wie Begrenzung von Massenimmigration.
Und das nur am Rande – auch bei Dir habe ich den Eindruck, Du behandelst Konservative wie viele politische Kommentatoren. Nämlich als eigentlich Linke, nur mit einer längeren Zündschnur. Das war und ist ein heftiger Irrtum und zahlt jetzt aufs Konto von Rechtspopulisten ein.
Gruss,
Thorsten Haupts
Es sind Konservative. Die wollen per Definition Sachen BEWAHREN.
Der Fairness halber solltest Du zugestehen, dass diese Entscheidungen in Sondersituationen von einer Kanzlerin erfolgten, die nichts mit dem Konservativen zu tun hat. Da Du das ja immer bestritten hast, schau‘ Dir Merkels Verhalten nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt an.
– Atomausstieg: Nach dem Tsunami in Japan standen Gesellschaft und Politik unter Schock. Außerdem drohte der CDU der Machtverlust in ihrem Stammland an die Grünen, weshalb man der Bevölkerung die Abschaltung der Kernkraftwerke anbot.
– Abschaffung Wehrpflicht: Sie erfolgte als Sparbeitrag.
Die Ehe für alle erfolgte als Konsequenz aus der Einführung der eingetragenen Partnerschaft unter Rot-Grün. Die Politik hatte danach praktisch keine andere Wahl als die Ehe eben für alle Formen der Partnerschaft zu öffnen.
In den vergangenen zwanzig Jahren zogen die linken Parteien – zugegeben mit dem Zeitgeist – sehr stark in Richtung linker Milieu- und Minderheitenpolitik. Das Resultat ist, nicht das erste Mal in der Geschichte, ein Roll-back, allerdings nicht vorrangig ein konservativer, sondern rechtpopulistischer. Die heutigen Machtgewinne von RN in Frankreich, Fratelli d’Italia, VOX und AfD sind deswegen eine starke Reaktion auf die Übertreibungen der Linken. Die Konservativen und Liberalen sind dafür in den meisten Ländern Europas und sogar in den USA marginalisiert. Wir zahlen einen hohen Preis für diese linken Dekaden.
Ich sehe nur den Beleg für die im Podcast mit Ariane geäußerte These, dass die Bürgerlichen den Platz mit den Linken getauscht haben. Alles ist ein Verrat an den Grundwerten, mit nichts ist man zufrieden, und ständig wird genörgelt.
Das ist doch Unsinn. Dir kann doch nicht entgangen sein, dass Deutschland in den letzten Dekaden enorm viele Alleingänge veranstaltet hat und häufig isoliert ist. Das spricht gegen Deine These, denn Konservative und Liberale drängen ja darauf, sich wieder mehr in den internationalen Konsens einzugliedern. Es sind die Linken, die auf nationale Alleingänge beharren.
Der Blick über den Tellerrand würde helfen: Sozialdemokraten und Grüne sind in den meisten EU-Ländern nach einem Jahrzehnt der Minderheiten- und Milieupolitik oft kaum wahrnehmbar. In Frankreich gibt es nur noch einen aggressiven Links-Nationalismus, PS und Grüne haben sich mit Wokeness-Konzepten unmöglich gemacht. Inzwischen fristen auch die Konservativen ein Schattensein.
In Spanien verfolgt die PP ein klassisch konservatives Konzept, hat damit alte Stärke gewonnen und hält die nationalistische VOX in Schach. Die Sozialisten des Ministerpräsidenten Sanchez sind mit ihrer Wokeness-Politik für Minderheiten geschwächt.
Italien wird inzwischen von Rechts- und Linkspopulisten dominiert. In den Niederlanden regieren nun die Rechtsnationalen des Geert Wilders, nachdem die Vorgängerregierung ob der liberalen Migrationsvorstellungen der linksliberalen Partner von Ex-Ministerpräsident Rutte für Neuwahlen gesorgt – und verloren hatte.
Nur in Dänemark können sich die Sozialdemokraten halten – mit einer klassischen Politik, die auf die Mehrheitsbevölkerung zielt.
Jepp, das meinte vorher mit meinem „Mentalität gewandelt“. Eigentlich war das immer ein total linkes Ding. Inzwischen findest es sich massiv im bürgerlichen Lager.
Ich finde es eh faszinierend, wie Linke und Bürgerliche in den letzten Jahren bei vielen so Mentalitätsfragen die Seiten getauscht haben.
@ Dobkeratops 24. Mai 2024, 12:23
Politik ist aber üblicherweise kein Spiel mit klaren Siegern und Verlierern sondern ein ständiges Ausloten von Kompromissen …
Zustimmung. Aber genau das passiert eben nicht.
„Oder man sollte liberale Kräfte in anderen Parteien stärken. Die gibt es aber derzeit höchstens in der CDU mit dem Parteivorsitzenden (nicht schlecht) und dem Generalsekretär (auch eine gute Option).“
Guter Witz, die „liberalen Kräfte“ in der CDU sind schnell weniger, wenn man doch besser mit Grünen oder Sozialdemokraten an die Macht kommt und bleibt.
Mit irgendjemanden wird auch die Union regieren müssen. Aber das Positive: Merkel ist nicht mehr Kanzlerin und die Union dreht endlich. Die Grünen stehen als potentieller Partner der Union weder an erster, noch an zweiter, sondern an letzter Stelle.
Jepp, deutlich hinter der AfD 😉
Komm‘, das ist fies und nicht einmal lustig. Sollten die Grünen deutlich vor der SPD landen und es dann zwar nicht für eine Mehrheit mit den Sozialdemokraten, wohl aber mit der Partei Habecks reichen, käme es zu Schwarz-Grün – vor der Deutschland-Koalition. Aber das ist aus heutiger Sicht ziemlich unwahrscheinlich. Ich würde Wetten halten, dass die SPD immer noch die Grünen distanzieren kann.
Meine Erwartung ist, dass es zu Schwarz-Rot kommt. Ich sehe nicht:
Schwarz-Gelb – snowball’s chance in hell
Schwarz-Blau – was auch immer man über Merz sagen kann, die Brandmauer hält dieesbezüglich
Deutschlandkoalition – Macht keinen Sinn
Bleiben Schwarz-Rot, Schwarz-Grün, Jamaika oder Ampel.
Letzteres ist die totale Außenseiterposition. WENN die SPD deutlich zulegt, WENN die Mehrheit für eine stabile Ampel da ist, dann KÖNNTE es sein. Aber das ist <10% aktuell IMHO. Jamaika ist die natürliche Wahl, wenn es weder Schwarz-Grün noch Schwarz-Rot reichen sollte.
Schwarz-Rot im Hessenmodell sehe ich am wahrscheinlichsten, sofern die Prozente passen. Die CDU wird SPD und Grüne gegeneinander ausspielen und größtmögliche Konzessionen rausholen.
Vor der letzten Wahl haben weder Olaf Scholz noch Annalena Baerbock explizit eine Zusammenarbeit mit der LINKEN ausgeschlossen. Als das Wahlergebnis kein Rot-Rot-Grün hergab, war es leicht, einer solchen Koalition eine Absage zu erteilen. Nur unterstelle ich: Scholz und seine SPD hätten R2G gemacht, gerade wenn man schaut, wie dysfunktional die Ampel arbeitet.
Nicht nur Merz, sämtliche Spitzenfunktionäre der Bundespartei haben immer eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen. Es steht sogar in der CDU-Satzung. Dennoch unterstellen Linke der Union regelmäßig, mit den Extremisten zu koalieren, wenn es denn die Mehrheiten hergeben würden. Da stellen Linke völlig ohne Grund ihre eigene moralische Überlegenheit wieder ins Schaufenster.
Was ich lese ist plausibel. Merz will nach den negativen Eindrücken der Ampel nach Möglichkeit keine Drei-Parteien-Koalition. Angesichts der großen Abneigungen, welche die Grünen hervorrufen, müsste schon eine ganz besondere Situation eintreten, damit es zu Schwarz-Grün käme: Die Grünen müssten nicht nur vor der SPD landen, sondern die ehemals Große Koalition dürfte allein keine Mehrheit erreichen. Das ist zu viel Konjunktiv. Ansonsten sind die Grünen schlicht nicht vermittelbar.
Bei einem notwendigen Dreierbündnis ist die Deutschland-Koalition das eindeutig favorisierte Modell. Warum sollte Merz Jamaika machen? Dafür gibt es keinen Grund. Auch wieder die Ampel: FDP und Grüne stehen sich sowohl auf der Funktionärsebene als auch in den Milieus völlig konfrontativ gegenüber. In Berlin Mitte und Charlottenburg hasst man von grüner Seite nichts so sehr wie die FDP. Und in Frankfurt Kronberg und dem Taunus kann man in FDP-Milieus die Grünen nicht ausstehen.
LINKE und AfD sind auch nicht äquivalent. Ich finde die LINKE bescheuert, aber die wollen nicht die Demokratie loshaben.
Im AfD-Programm findet sich nichts zur Abschaffung der Demokratie. Auch den Parteivorsitzenden lassen sich solche Ambitionen nicht nachsagen. Und auch bei der LINKEN gibt es Leute, die Reiche und vor allem Milliardäre vernichten wollen, ein damaliger Parteivorsitzender das aber gemäßigt einordnete, man könne sie auch einfach einer „nützlichen Beschäftigung zuführen“.
Aber darum geht es nicht. Wer die Möglichkeit einer Zusammenarbeit offenlässt, der will nicht bei einer Lüge erwischt werden, wenn es tatsächlich zu einer Zusammenarbeit kommt. Deswegen konnte man Scholz und Baerbock zu Recht unterstellen, dass sie im Falle des Falles mit der LINKEN zusammengegangen wären. Viele Wähler vertrauten jedoch darauf, dass es dazu nicht käme, sonst wäre für die SPD nicht ein Wahlergebnis möglich gewesen, dass sie in den vergangenen 18 Jahren nur mit Peer Steinbrück erreichte.
Wenn Friedrich Merz und andere Parteispitzen sagen, es gäbe keine Zusammenarbeit mit der AfD, dann ist es als Demokrat unanständig, das in Zweifel zu ziehen – und das noch regelmäßig.
Es gibt ja ein Vorbild: In Hessen versprach die unselige Andrea Ypsilanti einstmals, keine Koalition mit der Linkspartei bilden zu wollen. Viele hessische Wähler vertrauten ihr und gaben der SPD ihre Stimme. Als die Stimmen dann ausgezählt waren, wurde klar, dass Ypsilanti nur mit den Linkspopulisten – angeführt damals von einer unter Extremismusverdacht stehenden Politikerin – Ministerpräsidentin werden könnte. Also kassierte sie ihre Zusage und versuchte es. Das gilt heute als Paradebeispiel des Wahlbetrugs, denn Ypsilanti erhielt nur deswegen die Stimmen mittiger Wähler, weil sie eben dieses Versprechen der Nicht-Zusammenarbeit abgegeben hatte.
Ich kann es auch persönlich formulieren: An dem Tag, an dem die FDP mit einer rechtsextremistischen AfD (oder anderer Name) eine Koalition bilden will, verliert sie definitiv meine Stimme.
„Auch den Parteivorsitzenden lassen sich solche Ambitionen nicht nachsagen.“
Alice Weidel 2013:
„Der Grund, warum wir von kulturfremden Völkern wie Arabern, Sinti und Roma etc. überschwemmt werden, ist die systematische Zerstörung der bürgerlichen Gesellschaft als mögliches Gegengewicht von Verfassungsfeinden, von denen wir regiert werden. Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermächte des 2. WK und haben die Aufgabe, das dt Volk klein zu halten indem molekulare Bürgerkriege in den Ballungszentren durch Überfremdung induziert werden sollen.“
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/weidel-email-afd-10-jahre-100.html
Da ist Vieles abstoßend, ja verachtenswert, eine Aufforderung zur Abschaffung der Demokratie steht da jedoch nicht.
Ich bekräftige doch ständig mein Vertrauen in Merz‘ Absage…? Ich vertraue einzelnen CDU-Landesverbänden nicht.
Am Ende, Stefan, entscheiden die Wähler und nicht die Parteien, wer regiert. Wenn die AfD über 35 Prozent erreicht, wird es schwer, sie bei Regierungsbildungen zu ignorieren ohne selbst die Demokratie zu beschädigen. Denn der Sinn von Demokratie ist die Ermöglichung des Wechsels. Wenn aber 10 Parteien sich zusammenfinden, um eine Mehrheit von 50 Prozent zu bilden, damit eine einzige Partei, eindeutig dominierend, von der Regierungsbildung ausgeschlossen bleibt, stellt sich das demokratische Prinzip selbst in Frage.
Was wir seit Mitte der Zehnerjahre in Ostdeutschland erleben, geht für eine Übergangsphase, aber nicht als Dauerzustand. Irgendwann – und zwar ziemlich bald – müssen entweder die Zustimmungswerte der AfD deutlich runter oder man wird punktuell mit der Partei zusammenarbeiten müssen – weil es nämlich der Wähler will.
Es ist bemerkenswert, dass das gleiche Argument für die LINKE nicht galt. Grundsätzlich bin ich bei dir.
Verstehe ich nicht. Die LINKE hatte weder im Bund und auch nicht in den Ländern eine so herausgehobene Position wie heute die AfD. Die LINKE spielte immer nur die Rolle der Mehrheitsbeschafferin für Rot-Grün.
So ein Unfug. Darf ich an Bodo Ramelow erinnern? Die LINKE hatte in Ostdeutschland immer mal wieder so eine Position wie die AfD heute. Im Bund war sie nicht so stark, korrekt, aber die 17% dort fallen auch nicht unter dein Argument.
Bitte, Ramelow ist nun wirklich ein Sonderfall. Die LINKE wird in Thüringen nicht wegen ihrer selbst, sondern ihres Landesvaters gewählt. Bodo Ramelow hat sich dabei über viele Jahre und durchaus gegen den Trend seiner Partei in die Position gebracht, in der an ihm als Ministerpräsident kein Weg vorbei führte.
Aber das ist die Ausnahme, welche die Regel bestätigt. Nicht in Sachsen, nicht in Sachsen-Anhalt, auch nicht in Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg schaffte es die LINKE zur dominierenden politischen Kraft zu werden. Und genau das habe ich gesagt.
Bisher schafft es die AfD in zwei Bundesländern.
Das Problem liegt vor uns, nicht hinter uns. Bis vor wenigen Wochen lag die AfD in den meisten ostdeutschen Wahlkreisen vor den anderen Parteien.
In Sachsen-Anhalt liegt die Partei Kopf-an-Kopf mit der CDU bei rund 30 Prozent. In Brandenburg liegt sie deutlich vorn mit 25 Prozent. In Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls. In Thüringen liegt sie zehn Prozentpunkte vor der CDU bei530 Prozent. Und in Sachsen Kopf voraus vor der CDU mit 31 Prozent. Eine solche Position hatte die LINKE niemals annähernd.
Das ist die Realität im Jahr 2024.
„Scholz und seine SPD hätten R2G gemacht, gerade wenn man schaut, wie dysfunktional die Ampel arbeitet.“
R2G wäre noch viel dysfunktionaler gewesen.
Baerbock vor der Wahl:
/// Man werde nach der Wahl mit „allen demokratischen Parteien“ reden, erklärte Baerbock bei einem Pressetermin am Dienstag (31.08.2021), für die Linke gelte das jedoch mit Einschränkung.
Ihre Position begründet Baerbock damit, dass sich die Linken „mit ihrer Abstimmung im Bundestag zu Afghanistan selber ins Abseits geschossen“ hätten. Bei der Entscheidung im Bundestag über die Evakuierungsmission in Afghanistan hatten sich die Linken am Mittwoch (25.08.2021) mehrheitlich enthalten, sieben Linken-Abgeordnete hatten sogar gegen den Einsatz gestimmt. Baerbock betonte, dass eine neue Regierung „außenpolitisch handlungsfähig sein“ müsse – eine Zusammenarbeit mit der Linken könne unter diesen Vorzeichen schwierig werden. ///
https://www.fr.de/politik/gruenen-kanzlerkandidatin-baerbock-bezweifelt-regierungskompetenz-der-linken-90952911.html
Das lässt sich schwer sagen.
Jedenfalls hielt auch Baerbock R2G für möglich. Wobei es mir allein um das zweierlei Maß geht: Der Union angesichts der Geschichte und des Lavierens von SPD und Grünen zu unterstellen, sie würden schon mit der AfD ist eine Unverschämtheit.
c) Das Sozialstaatsdilemma gut auf den Punkt gebracht.
Wie machen das eigentlich die Skandinavier? Oder die Niederländer? Oder die Uruguayaner? Guter Sozialstaat ohne überbordende Bürokratie. Das Sozialstaatsdilemma gibt es nicht, wenn soziale Leistungen zielgerichtet ausgerichtet werden. Merke: Hoher Kontrollaufwand ist ein Zeichen für schlechtes systemisches Arbeiten.
m) Wenn Politiker für jedes Problem die immergleiche Lösung haben.
Deutschlands direkte Steuern sind einfach zu hoch, sagt die OECD. Das deutsche System ist damit leistungsfeindlich. Deswegen gehen die Direktinvestitionen zurück, deswegen ziehen deutsche Unternehmen ihre Investitionen ab. Deswegen wollen die Menschen immer weniger arbeiten, während sie in den USA nicht zur Mehrarbeit gezwungen werden müssen.
n) Dieses Abschiebe-Regime ist echt völlig kaputt.
Eine staatliche Studie hat gerade gezeigt, dass Afghanen, Syrer, Iraker irgendwie gerne auf Urlaub in dem Land sind, wo sie angeblich verfolgt werden. Was ist hier krank?
p) Zur Debatte um Lohnabstandsgebot.
Ah, Lohn beruht nicht auf einer Austauschbeziehung (gebe Leistung gegen Entgelt), sondern eine Schenkung. Dann muss sie allerdings ganz anders besteuert werden, nur mal so.
Der Staat setzt das Bürgergeld, und zwar so, wie er es für angemessen hält. Wenn sich Spitzenpolitiker verbitten, dass Unternehmer daran Kritik üben, sollten sie schweigen, wenn Unternehmer keine höheren Löhne zahlen.
Das Problem ist nicht der Eine, der mit seinem Lohn am untersten Rand der Gehaltstabelle rangiert. Das Problem besteht darin, dass wenn ihm der Lohn um 20 Prozent (14 Prozent gehen ja an den Staat) erhöht wird, auch die übrigen Gehälter kurzfristig um 20 Prozent angehoben werden müssen. Mal so aufgezeigt: Ein Konzern mit sagen wir 1 Milliarde Euro Umsatz und Personalaufwendungen von 300 Millionen Euro würde mit der Verbesserung der Lohnverhältnisse für eine kleine Gruppe sich einen Ergebnisschaden von 60 Millionen Euro einhandeln. Bei einem PBT (Profit before Taxes) von 3-5 Prozent würde der Konzern in die Verlustzone gedrückt.
Damit die Profitabilität gleich bleibt – Basis für den Zugang zu Finanz- und Investitionsmitteln am Kapitalmarkt -, müsste der Umsatz um 120 Prozent gesteigert werden. Klar, das Problem ist nicht das Bürgergeld – aus der Sicht von Wirtschafts-Dummies.
1) Wie auch immer man es bewertet, die Unterschiede sind auf die Teilzeitquote zurückzuführen. Und die ist in Deutschland und den Niederlanden sehr hoch. (Liegt vor allem an der Teilzeitquote bei Frauen)
2) „ In Deutschland wäre völlig egal, welche Parteizugehörigkeit unsere Richter*innen haben (sofern nicht AfD)“ Das ist nicht richtig. Seit 2016 werden Verfassungsrichter nach Parteiproporz (3-3-1-1) zwischen CDU-SPD-FDP-Grünen (ohne Linke) „verteilt“. Der jetzige Präsident des Verfassungsgericht wäre ohne sein „Parteiticket“ niemals an dieses Amt gekommen.
4) Der Unterschied zu 2012 ist: Damals hatte die FDP „nur“ das Wirtschaftsministerium (Brüderle) unter dem mächtigen Finanzminister Schäuble. Jetzt ist Lindner der Finanzminister (und hätte gerne Schäubles Macht). Ansonsten trauert die FDP halt auch der guten alten Zeit nach, als sie als „Königsmacher“ mehr Macht als Prozente hatte.
5) Und b) Das, was im Vergleich zur Vergangenheit wirklich fehlt ist der Glaube an Wirtschaftswachstum und das damit verbundene Prosperitätsversprechen. Und damit geht in sehr „bürgerlichen“ Kreisen das generelle Vertrauen in die Gesellschaft flöten.
e) Das klingt so exakt spiegelbildlich zu „konservativen“ Kommentatoren: „Ich habe absolut keine Lust, mir von (hier stattdessen Grünen-Politikerin einsetzen) oder sonstwem erklären zu lassen, wo es „kulturell“ langgeht. Das ist eine übergriffige Frechheit. Es muss aufhören.“ Auch ‚so true‘ ?
i)/j) : Doppelpost
m) Interessanter Nebeneffekt : Sobald eine solche „ceterum censeo“ – Allzweckforderung erfüllt wird, kann die fordernde Partei kein politisches Kapital mehr daraus ziehen (Beispiel Mindestlohn).
2) Es ist für die Urteile egal. Das ist mein Punkt.
4) Die Macht gaben sie doch noch?
5) Ja.
e) Klar. Dieselbe Gefühlsregung bei derselben Thematik.
m) Ah, interessant, ja.
@ Stefan Sasse 24. Mai 2024, 21:28
e) Klar. Dieselbe Gefühlsregung bei derselben Thematik.
Eher nicht. Die Forderungen, die Friedrich März aufstellt, zielen losgelöst vom eigenen Weltbild auf mehr Toleranz. Es hat durchaus seine Gründe, dass viele hier der Meinung sind, dass in erster Linie Muslime angesprochen werden sollen, aber die von März gewünschte Toleranz fordert er explizit von beiden Seiten.
Nicht vergleichbar mit dem moralisierenden Grünen- und teilweise Linken-Gehampel, beispielsweise Autos aufgrund ihrer Bauform (statt ihres Verbrauchs) abzulehnen.
Ich hoffe, dass deine Interpretation richtig ist. Wenn ja wäre das super.
h) Tobin vs Friedman
Im Grunde ist dieser Text keine Raketenwissenschaft. Man sollte nur diesen sehr einfachen Graphen im Kopf haben: https://de.wikipedia.org/wiki/Phillips-Kurve#/media/Datei:Phillips-Kurve.png
Das ist der Ideal-Verkauf der Phillips-Kurve. Gemäß dieser Kurve kann man einfach die Arbeitslosigkeit senken, indem man eine höhere Inflation zuläßt.
In den 60ern bestätigten die Wirtschaftsdaten vieler Volkswirtschaften diesen „idealen“ Verlauf. Das änderte sich dann in den 70ern und 80ern.
Diese neuen Datenpunkte (x-Achse Arbeitslosigkeit, y-Achse Inflation) lagen weit außerhalb dieses Graphen. Wählt man nur Daten aus den 70ern und 80ern und verbindet diese Punkte, hat die Kurve nun für viele Bereiche einen steigenden und keinen fallenden Verlauf mehr, d.h. mehr Inflation -> mehr Arbeitslosigkeit.
Die Debatte über Inflations-Erwartungen in dem Interview bezieht sich auf das Konzept der Geldillusion. Danach richten z.B. Arbeitnehmer ihren Konsum auf ihr nominales und nicht ihr reales Einkommen (Einkommenszuwächse minus Inflation) aus, d.h. sie ignorieren einfach die Inflation. Dadurch führt Inflation zu mehr realer Nachfrage. Mit dieser Geldillusion gibt es eine Erklärung für den Ideal-Verlauf der Phillips Kurve.
Thomas Palley sagt selbst, dass diese Annahme der Geldilusion insbesondere ab einer bestimmten Höhe der Inflation nicht realistisch ist. Er sagt, dass die Phillips Kurve ab einer Inflation von round about 5% steigend verläuft, also nicht dem Ideal-Verlauf entspricht. Für mehr Inflation gibts dann mehr Arbeitslosigkeit.
Er empfiehlt nun ein Inflations-Targeting von 4 bis 5% als Optimum.
Ich denke, dass dies eigentlich nicht der Punkt ist. Wie viel bringen diese 4 bis 5% Inflation wirklich? Und würde die Geldilusion bei so einer sehr konstanten Inflation nicht völlig in Luft auflösen? Und ist Inflationstargeting auf ein solches Optimum nicht sehr aufwendig und fehleranfällig?
Der Unterschied zwischen den Goldenen Zeiten des Sozialstaats und heute besteht darin, dass damals Unternehmen und einkommensstarke Personen relativ viel mehr Steuern zahlten. Eine wichtige Triebkraft dieser Entwicklung sind bestimmte Entwicklungen der Globalisierung. Unternehmen verlagern ihre Produktion in Billigsteuerländer. Reiche verlagern ihre Ersparnisse in Billigsteuerländer. Heute bestreiten die einfachen Leute einen viel größeren Anteil der Staatseinnahmen und die Qualität der bereitgestellten Öffentlichen Güter bleibt gleich oder verschlechtert sich sogar. Das ist das Problem.
Absolut brilliant dargestellt wird dieser Zusammenhang von dem argentinischen Ökonom Emmanuel Álvarez Agis in einem Interview mit Luis Novaresio von gestern. Der Abschnitt von 33:30 bis 36:15. https://www.youtube.com/watch?v=8pDcEL8u8wU . Man kann sich das auch mit englischen oder deutschen Untertiteln anschauen. Die englischen sind brauchbar, die deutschen habe ich nicht geprüft. Das ganze Interview ist großartig.
Der Mann war Vize-Wirtschaftsminister unter dem hardcore Linksperonisten Axel Kirciloff. Kirciloff für mich ein diabolischer Typ. Vielleicht irre ich mich, vielleicht nicht.
That one absolutedly blew my mind. Marius Müller Westernhagen sang einmal: Gold findet man im Dreck und Straßen sind aus Dreck gebaut.
Der Quest nach dem heiligen Grahl der Rückkehr zu den goldenen Zeiten des Sozialstaats in den 60ern/70ern mittels Geldpolitik wie das auch Modern Monetary Theory zu versuchen scheint, halte ich für einen Holzweg. Geldpolitik wirkt nur kurzfristig und wir nutzen die auch so. In der weltweiten Inflationswelle nach Pandemie und brutalem Überfall Moskowiens auf die Ukraine hätte die EZB gute Gründe gehabt, die Referenzzinssätze auch viel höher ansteigen zu lassen, wie es übrigens in vielen Schwellenländern aus guten Gründen geschah und bei uns aus guten Gründen eben nicht.
Apropos Schwellenländer und Tobin. Wußtet ihr eigentlich, dass ein Eckpfeiler der Geldpolitik der zweiten Mannschaft der Chicago Boys unter Pinochet in der zweiten Hälfte der 80er Jahre eine Tobin-Steuer war? Aber ich schweife ab…
Ich spiele mit dem Gedanken mir die neueste Version von Paul R. Krugman, Maurice Obstfeld, Marc Melitz, International Economics: Theory and Policy, Global Edition zu kaufen. Einer der Autoren hat einen gewissen Ruf, aber als Student wurde mir das an einer neoliberalen Uni in sehr neoliberalen Zeiten empfohlen. Ich habs damals von vorne bis hinten gelesen. Würde ich heute natürlich nicht tun. In jedem Fall habe ich es als sehr gutes Lehrbuch in Erinnerung. Aber einzelne Kapitel kann man sich von Zeit zu Zeit noch mal durchlesen. Vielleicht auch für andere interessant.
q) Manchmal begegnen mir auf youtube wirklich großartige Dokumentationen der Öffentlich Rechtlichen. Hier etwa eine weltklasse Reportage über ok, sagen wir, Rußland-Deutsche: https://www.youtube.com/watch?v=bvwohQavFV8
Ich äußere mich in letzter Zeit ziemlich moskowophob. Dabei hatte ich in den letzten 25 Jahren häufige und oft gute Beziehungen mit Deutsch-Russen auf der Arbeit. Ich sehe da schon gewisse Gemeinsamkeiten, obwohl die als Individuen total unterschiedlich sind.
Ich bin da auch überhaupt nicht dogmatisch. Mein aktueller Arbeitskumpel sieht etwa Stalin eher positiv und das ist übrigens nicht wirklich typisch für die Gruppe.
Vielleicht weil sie mit ihrem oft starken Familienbezug und konservativen Grundwerten viel mit meiner schlesischen Verwandschaft mütterlicherseits gemein haben. Außerdem mag ich deren Humor. Mir sind viele von denen wirklich sympathisch.
l) Wow – das ist wirklich ein augenöffnender Text.
Ich habe dann gleich auch noch den dort verlinkten Spiegel-Artikel gelesen, der mir in der gedruckten Ausgabe entgangen war:
https://www.spiegel.de/panorama/israels-sicherheit-als-staatsraeson-die-wahre-geschichte-von-merkels-israel-vermaechtnis-a-fcbc3d63-33d4-4127-b045-d79186ee8778
4) Ratlos in der Todeszone
Mir ist – vermutlich auch mangels kultureller Verankerung – nicht klar, woher das kommt.
Vermutlich richtig. 🙂
@ Stefan Sasse
3) Wie realistisch ist Jens Spahns Forderung nach einer Migrationspause?
Warum da stehen bleiben? Warum nicht eine Mordpause fordern? Oder eine Einbruchspause? Ist auch alles illegal, wollen wir auch alle nicht haben.
Echt jetzt, Stefan? Das ist echt der mit Abstand dümmlichste Spruch, den ich je zum Thema gelesen habe. Was für ein abstruser Vergleich.
Ich frag mich allerdings auch, wie Du die illegale Einwanderung stoppen willst?
Sehr krass ausgedrückt: Grenzschutz-Leuten Schießbefehl in Böhmerwald (aka Bayrischer Wald), Erz- und Fichtelgebirge geben? Aufgegriffene marokkanische Illegale über dem Atlasgebirge mit Fallschirm aus dem Flugzeug werfen?
@ Lemmy Caution 27. Mai 2024, 13:12
Ich frag mich allerdings auch, wie Du die illegale Einwanderung stoppen willst?
Nicht bös sein – dafür bin ich nicht zuständig. Ich habe aber schon damit ein Riesenproblem, wie Sozialhilfe hierzulande gestaltet wird; jeder ist inzwischen irgendwie diskriminiert, jeder will Unterstützung, und was den selbsternannten „Bedürftigen“ nicht einfällt, fällt den Parteien ein, um sich neue Wähler zu erschließen. Den wirklich Bedürfigen wird dagen kaum geholfen, und das Konzept scheint zu sein, in besseren Einkommensschichten so viel auszuschütten, dass irgendwann auch was bei den unteren ankommt. Und weiterhin bevorzugt unser Bildungssystem nicht die Klugen und Leistungsbereiten, sondern die mit reichen Eltern.
In der EU gibt es darüber hinaus Bestrebungen, die Sozialhilfe zu vereinheitlichen und über die EU zu regeln. Darauf legt man dann einen Bürgergeld-Anspruch für die eine oder andere Milliarde Menschen, die aus irgendeinem Grund verfolgt werden oder sich verfolgt fühlen.
Auf der anderen Seite: Als ich als Zahler ins Sozialsystem einstieg, lag das Rentenversprechen bei knapp 70% des letzten Einkommens unversteuert, nun (nun nach 47 Jahren, davon drei Jahrzehnte mit Höchstbeitrag) bei unter 50%, dass auch noch versteuert werden muss. Darf ich mich nun belogen und betrogen fühlen? Ist das „sozial gerecht“?
Wir können es uns nicht leisten, die halbe Welt durchzufüttern. Aber letztendlich läuft es darauf hinaus: Wer es in unser Land schafft und sich hier meldet, wird auf Bürgergeld-Niveau versorgt.
Es ist Aufgabe des Staates, für die Einhaltung von Gesetzen zu sorgen. Und eine Regierung, die das nicht schafft, versagt (bezieht sich auf Merkel; ich sehe in dieser Regierung zumindest zarte Ansätze, derartige Probleme in den Griff zu kriegen, wenn auch nur bei der FDP).
m) Wenn Politiker für jedes Problem die immergleiche Lösung haben.
Das ist mal wieder ein sehr eigenartiger Artikel, der alles Mögliche in den gleichen Sack stopft. Das Saskia Eskens für jedes Problem nach der gleichen Lösung schreit, ist gleichermaßen albern und zutreffend. Das Alternativ-Beispiel passt dagegen nicht. Durch die Abschaffung der Wehrpflicht wurden auch die Alternativen des Wehrdienstes bzw. der Ersatzdienst abgeschafft. Das ist der gleiche Auslöser für das gleiche Problem – in den Bereichen Bundeswehr, Kitas, Pflege etc.
e) So wahr zur Leitkultur.
Und das sage ich als glücklich verheirateter, weißer Vater von drei Kindern mit Eigenheim und Besuchen bei der Oma. Ich habe absolut keine Lust, mir von Herrn Merz oder sonstwem erklären zu lassen, wo es „kulturell“ langgeht. Das ist eine übergriffige Frechheit. Es muss aufhören.
Was für ein Noob.
Mit dem Begriff „Kultur“ ist nicht viel fest verbunden; die Hauptbedeutung des Worts bzw. was man (bzw. wer auch immer – ob Friedrich Merz, Chris Stöcker, Stefan Sasse oder ich) darunter versteht, spielt sich zwischen den eigenen Ohren ab. So haben also Chris Stöcker (und Stefan Sasse) also eine Vorstellung von deutscher Kultur, die sie Friedrich März unterstellen; diese teilen sie nicht. Abgelehnt wird hier also nicht die deutsche Kultur nach der Definition von Friedrich März (März hat weniger genau definiert als z.B. Saskia Esken den Begriff „Gerechtigkeit“), sondern nur die eigene Vorstellung davon. Wenn Friedrich März das „deutsch“ nennt (kann man machen, muss man aber nicht), ist sicherlich eher der Zielansprache zu verdanken als dem Wunsch, das teutsche Volk zurück zu teutonischem Eigensinn zu führen.
Wenn es eine Definition von kulturellen Vorstellungen gibt, die es hier zu befolgen gibt, sind das die Klassiker: Gewalt geht bestenfalls vom Staat aus; Gesetze schlagen Religion; Respekt vor anderen, unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung, Glauben, Herkunft, Hautfarbe etc.
Aus der Neuen Züricher Zeitung:
Als Beispiele nannte der [CDU-]Vorsitzende [Friedrich März] den Umgang mit Frauen und mit Homosexualität und das Verhältnis zu Israel. Integration sei dann geglückt, wenn «Regeln für alle gelten, und das ist mehr als nur die Artikel unseres Grundgesetzes». Merz sprach von «gelebter Freiheit, gelebten Traditionen, gelebten Überlieferungen, auch Eigenarten eines Volkes». Dazu gehörten «die grossen christlichen Feste – meinetwegen in Zukunft auch grosse Feste anderer Religionsgemeinschaften, mit grosser Toleranz, aber bitte auf Gegenseitigkeit».
Dass Chris Stöcker „… als glücklich verheirateter, weißer Vater von drei Kindern mit Eigenheim und Besuchen bei der Oma“ diese Forderungen ablehnt, spricht offenbar für ein gefestigtes linkes Weltbild, dass ich als glücklich verheirateter Vater von vier Töchtern DEUTLICH ablehne.
@ Stefan Sasse:
Einmal mehr verstehe ich nicht, nach welchen Kriterien Du Aussagen in Artikel lobst („So wahr …“) oder ablehnst. Ich hoffe, dass Du Deine politischen Urteile nicht auch ChatGPT überlässt.
Mir ist nicht ganz klar, wo dein Problem damit ist, wenn ich Merz‘ Vorstellungen von deutscher Leitkultur kritisiere? Der Mann schreibt ja nicht im FAZ Feuilleton, sondern will Kanzler werden mit dem Anspruch, diese Vorstellungen durchzusetzen. Wäre das ideologisch spiegelgedreht, würdest du auf das Moralisieren und den Versuch der Einflussnahme schimpfen.
@ Stefan Sasse
Was lehnst Du von März‘ Vorstellungen ab? Nur dass ich verstehe, was Du meinst.
Wir sind in plurales, liberales Land. Ich finde die Vorstellung einer quasi amtlich vorgeschriebenen Leitkultur, noch zudem (natürlich aus meiner Perspektive) einer konservativen höchst befremdlich.
Die braucht man nicht fordern, die ist schon da. Christliche Feiertage („Fronleichnam“ – kennt wer die Bedeutung?) sind gesetzliche Feiertage, die christlichen Kirchen haben einen Sonderstatus, werden staatlich finanziert und sind in den Schulen durch Religionsunterricht vertreten. Wie weit das in den Kulturbereich wirkt, hast Du selbst beschrieben (Literatur, Geschichte).
Was genau ist dann die Forderung?
@ Stefan Sasse 31. Mai 2024, 09:27
Was genau ist dann die Forderung?
Mein Reden: Du weißt es nicht, bist aber dagegen.
Ich bin durchaus dafür, die christlichen Feiertage nur jenen Bürgern zu gewähren, die sich noch zum Christentum bekennen. Wer Weihnachten und Ostern nur als Geldgeschenketage sieht, kann da auch arbeiten gehen.
Leider ist das eine Minderheitenmeinung. 😉
Wird es auch bleiben. Aber wie wär’s damit: Zwei oder drei davon abschaffen zugunsten der Rentenkasse?
Dann sollte sich niemand über die christliche Prägung des Landes beklagen.
Wieso sollte ich auf Feiertage verzichten? Ich in doch christlich, ich exerziere meinen Glauben, ich zahle immer meine Kirchensteuer. Warum sollte ich auf Feiertage verzichten, weil andere mit dem Christentum nichts mehr anzufangen wissen?
Die Linken echauffieren sich über die Vorschläge von Union und FDP, Fleiß, also Überstunden, steuerfrei zu stellen. Die Menschen sollen nicht nur für sich, sie sollen (hauptsächlich) für den Staat arbeiten. Warum sollten wir aber noch mehr für die Gemeinschaft arbeiten? Was ist da der Sinn und wie wollen Sie dafür irgendjemanden motivieren?
Ja, weil du Rechtsstaat nicht verstehst. 😛
F)
Wie kann man Stöcker „hassen“? Finde, er unterstützt jegliche Argumentation mit Fakten. Ok, dafür kann man ihn hassen…