Die gewerkschaftliche Märchenerzählung vom maßvollen Sozialstaat

Es gibt Wissen, das zur DNA eines Ökonomen zählt wie das Radfahren für Teenager. Der Grund sind nicht verfestigte Vorurteile, sondern wiederum Wissen, dass sich Strukturen von Menschen und Gesellschaften nicht im Zeitraum von wenigen Jahren verändern lassen. Dies gilt vor allem, wenn der Staat, das behäbigste Wesen auf diesem Erdball seit dem Aussterben der Dinosaurier, wesentlicher Akteur dabei ist. Der Staat kann sein Verhalten, seine Strukturen und seine Ausgaben nicht über Nacht ändern. Egal ob Bürger oder Untertanen, sie sind von Leistungen monetärer wie nicht-monetärer Art abhängig. Genauso sind Entscheidungen, was des Staates und was des Bürgers ist, grundsätzlicher Natur. Sie werden nicht nach Legislaturperioden neu verhandelt, sondern sind doch meist mit einer Art Ewigkeitsgarantie versehen. Umso mehr erstaunt, wenn politisch Interessierte mit angeblich brandneuen Erkenntnissen vorpreschen, die so den großen Mehrheitsüberzeugungen diametral widersprechen. Eine solche lieferte Stefan Sasse vor kurzem, als er auf eine neue Studie der Böckler-Stiftung hinwies, die den aufsehenerregenden Titel trägt: Die Mär vom aufgeblähten Sozialstaat. Die deutschen Linken sind begeistert, während der Fachmann sich wundert.

Bis zur Veröffentlichung der Studie war die Erkenntnis tief verhaftet: Deutschland gibt sehr viel und viel Unnützes für soziale Zwecke aus. Dank der Autoren Sebastian Dullien und Katja Rietzler weiß es nun der aufgeklärte Teil der Leser besser. Die deutschen Sozialausgaben sind in ihrer Höhe absolut normaler internationaler Durchschnitt. Mehr noch: die deutsche Politik hat sich in den letzten 20 Jahren enorm zurückgehalten, während andernorts die Ausgaben davongezogen sind. Der Autor dieser Zeilen beschäftigt sich seit 40 Jahren mit Sozialpolitik und den Staatsausgaben. Eigentlich sagen alle bekannten Kennzahlen das Gegenteil. Wer liegt also falsch? Einfache Antwort: Die Böckler-Stiftung. Der Grund ist einfach und steht im Teaser.

Die Studie ist im Kontext der seit einigen Monaten tobenden Debatte in Deutschland entstanden, in der die Sozialausgaben so unter politischem Druck stehen wie seit Anfang des Jahrhunderts nicht mehr. Die CDU hat gerade Linien eines Programms vorgelegt, nach denen der Etat des Arbeitsministers stark gerupft und die Transfers des Staates sowie seiner Leistungsversprechungen deutlich gekürzt werden sollen. Die Skizzen folgen damit der Politik des Sozialreformers Gerhard Schröder, dessen Agenda-Maßnahmen Schritt für Schritt rückabgewickelt wurden. Die regierende Ampel-Koalition droht im Herbst diesen Jahres genau an der Frage der zukünftigen Sozialausgabenentwicklung zu zerbrechen. Da kommt die Studie den Etatisten in der Regierung, namentlich Sozialdemokraten und Grünen, gerade recht.

Die Hans-Böckler-Stiftung ist das Forschungs- und Studienförderungswerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Die Position der Gewerkschaften ist seit Anbeginn der Nachkriegsrepublik klar: Jedes Einfrieren von Sozialausgaben bedeutet den Aufzug einer sozialen Eiszeit nach Manchester-Art. Aktuell stehen wesentliche Errungenschaften der Gewerkschaften jüngerer Zeit auf dem Prüfstand. Union und FDP wollen am liebsten schon gestern die Rente mit 63 beenden, das Renteneintrittsalter soll schrittweise weiter erhöht werden, während gleichzeitig das Rentenniveau von heute 48% der früheren Bezüge at risk steht. Gleichzeitig sind die Truppen der Sozialstaatsverteidiger geschwächt. SPD und Grüne kommen zusammen auf deutlich weniger Wähleranteile in Umfragen als die Konservativen allein. Zeit also, sich für kommende Schlachten zu wappnen.

Doch wie verbiegt man als Wissenschaftler die statistischen Fakten, wenn ein Minimum an Seriosität gewahrt werden soll? Mit knapp 27 Prozent der öffentlichen Sozialausgaben liegt Deutschland in der Spitzengruppe der führenden Industrieländer, weit vom OECD-Mittelwert von 21 Prozent entfernt. Davon rangieren ausschließlich EU-Staaten aus der Mitte Europas – Frankreich, Italien, Belgien, Österreich, Spanien – die in den fraglichen 20 Jahren große Probleme hatten, ihre Staatsausgaben unter Kontrolle zu bringen und die vor allem für wirtschaftliche Lethargie stehen.

Social Spending OECD
Quelle: OECD

1. Der Trick mit relativen Zahlen

Auch 2022 lagen Deutschlands öffentliche Sozialausgaben mit über 13.000 US-$ weit über dem internationalen Standard von 9.200 US-$. Die Rangfolge hat sich über die Jahrzehnte kaum geändert. So ist das eben mit langfristigen Strukturen. Ist der Zähler groß, muss der Nenner größer werden, damit die relative Zahl klein oder zumindest maßvoll wirkt. Genau mit diesem Trick arbeiteten die Studienautoren. Sie stellten zur Einleitung eine Frage, die für das Erkenntnisziel keine Relevanz besitzt: Wie haben sich die staatlichen Sozialausgaben seit 2002 entwickelt? Doch schon damals waren eben die absoluten Beträge außerordentlich hoch.

Bei einer solchen statistischen Bezugsgröße zeigen dynamische Länder ein hohes Ausgabenwachstum, zumal wenn sie generell niedrige Transfers an ihre Bürger ausschütten. Doch der Trick fällt nur mit tieferer Sachkenntnis ins Auge: Das geringste Ausgabenwachstum zeigen solche Staaten, die an der Spitze des Rankings stehen, neben Deutschland z.B. Frankreich, Italien, Niederlande, Österreich. Das größte Wachstum zeigen dynamische Volkswirtschaften, neben Neuseeland auch Irland, Polen und die USA. Das Ziel ist erreicht, die Fakten sind völlig verfälscht.

Wird an der einen Stelle der Nenner genutzt, um Deutschland als tugendhaft darzustellen, funktioniert der Trick umgekehrt mit dem Zähler. Staaten mit verhältnismäßig geringen Sozialausgaben werden „gehebelt“. So wiesen die USA und Großbritannien zum Ende des Vergleichszeitraums ziemlich hohe Sozialausgaben des Staates von 22,7 Prozent auf. Nur, 2022, da war doch was? In den Jahren 2020 bis 2022 hatten sämtliche Staaten der Welt mit den gravierenden Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen. Rasant gestiegene Erwerbslosigkeiten, Unternehmensinsolvenzen und Ausgaben für das Gesundheitswesen zogen tiefe Furchen in die staatlichen Budgets.

Social Spending Curve OECD
Quelle: OECD

Die statistischen Folgen zeigen sich auch bei den Sozialausgaben. Nur so ist der Unterschied zwischen dem Vor-Corona-Jahr 2019 zu 2022 zu erklären, denn damals lagen die Kosten des Sozialen in beiden Ländern gerade um 19 Prozent. Es ist also eine völlige Irreführung der Leser, wenn die Studienautoren ausgerechnet 2022 als Referenz nehmen, aber kein Wort über die besonderen Umstände verlieren. Deutschland übrigens wie auch andere Staaten mit traditionell sehr hohen staatlichen Ausgaben für Soziales, zeigt in diesen Krisenjahren keine Ausschläge nach oben. Dieser Fakt lässt sich auch so interpretieren, dass die Wohlfahrtsstaaten selbst in konjunkturell guten Jahren im Krisenmodus fahren und damit Geld verschwenden. Das ist die Umkehrung der zentralen Studienaussage.

2. Gleichsetzung von staatlichen mit privaten Aufwendungen der Daseinsvorsorge

Spätestens mit Antritt der Ampelregierung gewann die Ansicht Konjunktur, dass es zwischen staatlichen und privaten Ausgaben eine Gleichartigkeit gibt, da Aufwendungen für Alter und Gesundheit ohnehin getroffen werden müssen. Ob dies der Staat in seiner Weisheit tut oder es den unberechenbaren Neigungen der Bürger überlässt, beides gehört zusammen. In Deutschland herrscht ohnehin die Meinung vor, etwas so Wichtiges wie Ruhegeld und Gesundheit könne man nicht dem Bürger überantworten.

Vorsichtig ausgedrückt ist diese Position unter den führenden Volkswirtschaften nicht mehrheitsfähig. Die Interessen der Bürger sind nun einmal höchst unterschiedlich. So wollen viele Menschen im Alter im eigenen Haus, der eigenen Wohnung leben. In Deutschland erschwert dies der Staat auf vielfältige Weise, nicht zuletzt, weil die Sozialabgaben auf die Einkommen sehr hoch sind. Aber der Euro kann nur einmal für die Renten der Alten oder für die eigene Immobilie ausgegeben werden. Die gerade bei uns beliebten mehrwöchigen Kuren haben nicht für jeden eine gleichermaßen hohe Bedeutung. Der Autor und seine Frau „kuren“ lieber in fernen Ländern, weshalb eigentlich zwingend die privaten Urlaubskosten zu den Sozialausgaben zuzurechnen wären.

Begibt man sich erstmal auf dieses Feld, ist die Abgrenzung unmöglich. Der Staat nimmt eben nicht seinen Bürgern Ausgaben ab. So einfach ist die Geschichte nicht. Der Blick auf die Alterseinkommen verdeutlicht dies. Mit seinen Vorkehrungen für den Ruhestand liegt Deutschland im Spitzenbereich der OECD, 10,4 Prozent des BIP gehen für staatliche Maßnahmen drauf. Mehr verausgaben nur hoch verschuldete Länder wie Frankreich, Griechenland, Italien oder Spanien.

Pension Spending OECD
Quelle: OECD

Auf der Ertragseite sieht das Bild jedoch anders aus. Hier zeigt sich, wie gut oder eben schlecht der Staat mit den Vorsorgeaufwendungen der Bürger aushaltet, die er quasi treuhänderisch verwaltet. Obwohl die Deutschen über ein Drittel mehr als die Amerikaner in staatlicher Hand vorsorgen, erhalten sie doch nur ähnlich hohe Erträge zurück. Die sogenannte „Net pension replacement rate“, also die Höhe der Rentenzahlungen in Relation zum früheren Einkommen, liegt nur bei 55 Prozent, deutlich unter dem OECD-Durchschnitt von 61 Prozent, und fällt weiter. Würde der deutsche Staat so gut wirtschaften wie er einnimmt, dann müsste diese Kennziffer bei 82 Prozent liegen.

Net Pension Replacement Rates
Quelle: OECD

Offensichtlich ist der Staat ein ziemlich schlechter Verwalter des Geldes seiner Bürger. Auf der anderen Seite liegen die amerikanischen Ausgaben für Gesundheit mit weit über 16 Prozent des BIP auf einem absurd hohen Niveau, ohne dass dem entsprechende Werte wie Lebenserwartung und der allgemeine Gesundheitszustand der Bevölkerung entgegenstehen. Gelänge es den USA, diese Ausgaben auf ein mittleres Maß zu drücken, hätte die einen erheblichen Einfluss auf die staatlichen Sozialausgaben.

Fazit

Die Studienautoren der Hans-Böckler-Stiftung haben mit ihrem Werk „Die Mär vom aufgeblähten Sozialstaat“ eher ein politisches Pamphlet denn eine wissenschaftliche Arbeit vorgelegt. Sie manipulieren geschickt mit relativen Zahlen um den eigentlichen Fakt vernebeln zu wollen. Und dieser Fakt ist unbestreitbar, Deutschland hat eines der höchsten Sozialbudgets der entwickelten Länder. Dabei hantiert der Staat nicht einmal wirtschaftlich, was sich an den „Erträgen“ der gesetzlichen Altersvorsorge zeigen lässt. Zur Recht verweisen daher die bürgerlichen Parteien auf die Notwendigkeit, den deutschen Sozialstaat endlich eine generellen Revision zu unterziehen.

{ 58 comments… add one }
  • Mr. Hans-Heinrich Hartmann Hanni 27. März 2024, 00:38

    Kann man komprimieren auf meine „Weisheit“ die Ich seit 50 Jahren predige: “ Soviel Staat wie nötig, so wenig Staat wie möglich …“

  • Kning4711 27. März 2024, 07:46

    Danke für die Aufbereitung.

    Hier im Blog haben wir schon ein einige Mal festgehalten, dass der Sozialstaat im Prinzip ausreichend finanzielle Mittel hat, jedoch die Effizienz stark verbesserungswürdig ist, wie sie mit den von ihnen aufbereiteten Charts deutlich aufgezeigt haben.
    So sehr ich eine Reform der Rente befürworte, so skeptisch bin ich, dass die Union eine Reform der Rente gegen ihre Kernwählerschaft forciert. Die bislang bekannten Maßnahmen (Kopplung Renteneintrittsalter an Lebensarbeitszeit, Stärkung der privaten Altersvorsorge, Weiterarbeiten bei Erreichen des Renetenalters finanziell attraktiver machen) aus dem Grundsatzprogramm sind letztlich wichtig und richtig um die Kosten langsamer ansteigen zu lassen, aber eine echte Antwort auf die „Bommerwelle“ für die Rentenkosten bleibt auch die Union schuldig. Aber genau hier muss angesetzt werden, denn allein hier werden fast 72 % des rund 176 Mrd Eur schweren Etats aus dem Haus von Herrn Heil ausgegeben. Nicht nur wird dieser Posten in den kommenden Jahren weiter steigen. Zusätzlich drohen die Beiträge zur Rentenversicherung auf fast 22 % zu steigen.

    Die starke kommunikative Fokussierung auf eine Bürgergeldreform ist wichtig für das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen, aber der finanzielle Hebel ist dann doch eher gering, denn eine substantiell größere Anzahl von Arbeitsverweigerern gibt es so nicht. Handlungsbedarf besteht aber dennoch, dann am besten auf Vorfeldern, damit der Sozialstaat erst gar nicht eingreifen muss: Es wird immer noch viel zu wenig Vorsorge im Bildungs­system, bei der Beratung und in der Alltagshilfe getroffen, um Menschen vor Langzeit­arbeitslosigkeit zu bewahren. Erst, wenn es so weit ist, greift der Sozialstaat systematisch ein. Gleiches gilt für Schul­abschlüsse. Es fehlt an Unterstützung dafür, dass kein Jugendlicher ohne Abschluss die Schule verlässt.

    • Thorsten Haupts 27. März 2024, 13:37

      … aber eine echte Antwort auf die „Bommerwelle“ für die Rentenkosten bleibt auch die Union schuldig.

      Die einzige wirkungsvolle Antwort, die ich erkennen kann – Umstieg auf eine staatliche Grundrente für alle, Rest Privatvorsorge – ist politisch vermutlich für niemanden machbar, solange das System nicht erkennbar für alle vor die Wand gefahren wurde. So 2040 wäre meine Prognose. Alles andere ist nur die leichte Verzögerung dieses Kollaps, leider nicht mehr.

      Gruss,
      Thorsten Haupts

      • Kning4711 27. März 2024, 17:58

        Vor 20 Jahren hätte man das sukzessive abschmelzen und umbauen können, aber hätte hätte…

        Spätestens 2030 kommt dann ein großer Knall, wenn auch die letzten Jungen kapieren, dass sie für ihre Rentenbeiträge keine adäquate Gegenleistung bekommen.

        • Thorsten Haupts 28. März 2024, 14:15

          Vor 20 Jahren hätte man das sukzessive abschmelzen und umbauen können, aber hätte hätte…

          Machen Sie da dreissig draus 🙂 . Der „Generationenvertrag“ funktionierte erkennbar und unabwendbar schon damals nicht mehr, mangels Nachwuchs.

          Die Politik hätte auf zwei Weisen reagieren können:
          1) Umbau des Systems
          2) Drastische Erhöhung der Rentenbeiträge Kinderloser/ Kinderarmer, weil diese das System gefährdeten (objektiv, subjektive Gründe für Kinderlosigkeit sind für diese Betrachtung irrelevant)

          Sie hat statt dessen, mit Zustimmung ihrer Wähler, das gemacht, was Menschen am betsen können – nichts. Und man verschone mich bitte mit Hinweisen auf kosmetische Anpassungen.

          Gruss,
          Thorsten Haupts

          • Erwin Gabriel 29. März 2024, 14:29

            @ Thorsten Haupts 28. März 2024, 14:15

            Machen Sie da dreissig draus . Der „Generationenvertrag“ funktionierte erkennbar und unabwendbar schon damals nicht mehr, mangels Nachwuchs.

            Mir war klar, dass die Sache einen Haken hat, als Norbert Blüm anfing mit „die Rente ist sicher“.

      • Stefan Pietsch 27. März 2024, 19:48

        Entschuldigung, in 10 Jahren bin ich rentenbezugsberechtigt. Dann möchte ich vereinbarungsgemäß die Höchstrente beziehen. Alles andere ist für mich nicht mehr verhandelbar.

        • R.A. 30. März 2024, 09:32

          „Alles andere ist für mich nicht mehr verhandelbar.“
          Eine verständliche Einstellung – aber unrealistisch.
          Es wird der Punkt kommen, an dem der Staat es nicht mehr leisten kann, die gegebenen Versprechen zu halten. Dann wird Schluß sein mit „vereinbarungsgemäß“.
          Das haben schon Generationen vor uns schmerzlich lernen müssen.

          • Stefan Pietsch 30. März 2024, 09:52

            Nun, das Schöne an einem Rechtsstaat ist eben, dass es immer Grenzen gibt. Meine Rentenanwartschaften sind durch die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes in Artikel 14 geschützt. Das gilt unter Verfassungsrechtlern auch als völlig unumstritten. D.h., der Staat muss mindestens das eingezahlte „Kapital“ in Form einer Rente über die gewöhnliche Restlebenserwartung auszahlen. Auch wenn Saskia Esken & Co. davon träumen, ein Abschmelzen der Höchstrenten sind enge verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt, da diese bereits heute am niedrigsten „verzinst“ werden.

            Allen, die immer noch von einer Aufhebung der Schuldenbremse träumen, sei ein Blick in den Entwurf des neuen Tragfähigkeitsberichts der Staatsfinanzen empfohlen. Die hohen Rentenanwartschaften bringen schon ohne weitere Schuldenaufnahmen die öffentlichen Haushalte an eine Belastungsgrenze und darüber hinaus. Wer höheren Schulden das Wort redet, möchte die Staatsfinanzen kolabieren lassen.

            • R.A. 30. März 2024, 10:14

              Auch der Rechtsstaat kann keine Ansprüche durchsetzen, wenn der Schuldner nicht zahlen kann.
              Das in die Rentenkasse eingezahlte Kapital ist längst weg und eben weil der Staat nicht beliebig mehr Schulden machen kann, wird er die Verpflichtungen irgendwann nicht mehr komplett bedienen können.

              Die gängige Methode von Staaten ihre überbordenden Schulden zu bedienen ist Inflation. Da die übrigen europäischen Staaten mindestens so große Finanzprobleme haben wie Deutschland wird es da auch Konsens geben.
              Dann bekommt man vielleicht nominal sein „eingezahltes Kapital“ zurück, kann sich dafür aber nur noch eine Bratwurst kaufen.

              • Stefan Pietsch 30. März 2024, 12:16

                Meiner Rentenanwartschaft stehen die zukünftigen Steuer- und Beitragszahlungen entgegen. Ja, und notfalls müsste der Staat Schulden aufnehmen, um die Ansprüche zu bedienen. Das kann er so lange, bis er nicht mehr kreditfähig ist. Das liegt sehr weit in der Zukunft, nach Tragfähigkeitsbericht der Bundesregierung könnte das frühestens kurz vor meinem voraussichtlichen Tod der Fall sein.

                Doch zurück zu den Steuern und Beiträgen. Deutschland hat hier fraglos ein sehr hohes Niveau. Es gibt aber keine bestimmte Beitragshöhe, die sich aus dem Grundgesetz ableiten ließe. In Italien und Österreich müssen die Erwerbsfähigen jedenfalls noch mehr an die Rentenversicherung entrichten, um die Ausgaben zu stabilisieren. Da ist selbst gegenüber den Planungen der Bundesregierung noch Luft nach oben.

                Die Frage der Inflation ist schwer zu berechnen. Nehmen wir den Worst-Case: Die EZB ist der Geldwertstabilität verpflichtet. Wollten einige Mitgliedsländer den Staatsvertrag ändern, wäre das unter Garantie das Ende der gemeinsamen Währung. Skandinavier, Niederländer, Balten, die Osteuropäer und Österreich würden nicht mitziehen. Das mit dem Weginflationieren ist in der Eurozone nicht so einfach. Alternativ könnten einige Mitgliedsländer ihre Zahlungsunfähigkeit erklären. Aber auch das wäre das Ende des Euros.

                Faktisch gibt es in Deutschland keine demokratisch legitimierte Möglichkeit, eine Weichwährung einzuführen. Ich bin ziemlich sicher, dass der deutsche Staat in den nächsten 2 Jahrzehnten den Weg gehen wird, mit höheren Abgaben, weiterhin hohem Steuerniveau und mehr Schulden die Staatshaushalte zu stabilisieren. Mehr ist ohnehin nicht drin. Dass wir mit hohen, schuldenfinanzierten Wirtschaftssubventionen und Transformationskosten das Land zur Klimaneutralität führen können, halte ich für Spinnereien nicht realitätsnaher Zeitgenossen.

                Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich halte die skizzierte Finanzpolitik wahrlich nicht für seriös. Aber so viele Alternativen bleiben nicht, nachdem Politik und Gesellschaft viele Jahrzehnte ein offensichtlich existenzielles Problem nicht nur ignoriert, sondern auch noch befeuert haben. Ich war vor 30 Jahren für die steuerfinanzierte Grundrente. Auch vor 25 Jahren. Ich wäre bereit gewesen, doppelt zu zahlen: In die Bedienung der bestehenden Anwartschaften und in den Aufbau einer eigenen Vorsorge, so wie es Meinhardt Miegel und Kurt Biedenkopf damals skizziert haben. Die große Mehrheit war dagegen und zwang mich mein bisheriges Erwerbsleben lang in ein unsolides System Höchstbeträge abzuführen.

                Meine Toleranz ist an der Stelle erschöpft. Und auch meine Bereitschaft, aus „Solidaritätsgedanken“ auf Einkommen zu verzichten. Ich habe meinen Beitrag mehr als geleistet.

              • Stefan Sasse 30. März 2024, 14:20

                Genau hier liegst du falsch. Es ist wie bei der Verteidigung eine Sache der Prioritäten. Wir werden die Rente schon zahlen können; die Frage ist halt, ob die Bevölkerung die Einschnitte an anderer Stelle wird tragen wollen. Und dann kommen wir in das übliche deutsche Problem: der finanzpolitische Spielraum ist extrem eng. Stefan hat ja zurecht auf den Eigentumsschutz hingewiesen.

            • Stefan Sasse 30. März 2024, 14:19

              Wie kann Saskia Esken zugleich davon träumen, den Leuten viel zu viel Rente zu geben und andererseits diese Rente zu beschneiden…?

              • Stefan Pietsch 30. März 2024, 14:42

                Esken vertritt die Position, dass die Spitzenrenten reduziert werden sollen, um so leichter ein höheres (oder gleiches) Niveau bei den unteren und mittleren Renten finanzieren zu können. Diese Sicht wird im linken Lager immer populärer, zuletzt präsentierte sie die Co-Chefin der Grünen Jugend Katharina Stolla. Allerdings zeigen Studien von Versicherungsmathematikern, dass die oberen Beitragszahler bereits heute die geringste „Rendite“ auf ihre Einzahlungen erhalten. Diese liegen zwischen leichtem Minusbereich und 2 Prozent. Zum Vergleich: im unteren und mittleren Bereich werden „Renditen“ von 5-8 Prozent realisiert. Der Spielraum ist also bereits weitgehend ausgeschöpft.

                • Stefan Sasse 31. März 2024, 19:18

                  Ah, verstehe. Wäre das nicht grundsätzlich das Schweizer Modell?

    • Stefan Pietsch 27. März 2024, 19:37

      Ich habe aus meinem Urlaub heraus die Blog-Debatte verfolgt. Da war von manchen schon ein Triumphgefühl über die neue Einordnung. Daraufhin hatte ich mir die „Studie“ angesehen – und bei aller Zurückhaltung: Das ist erbärmlich, was da zusammengeschustert wurde. Normalerweise sage ich nichts gegen die Studien der führenden deutschen Forschungsinstitute (auch nicht dem DIW), weil sie seriös arbeiten. Doch das von der Hans-Böckler-Stiftung ist keine seriöse Arbeit.

      Das Zeitfenster für eine Reform der gesetzlichen Rente ist geschlossen. Das wussten Politik und Wissenschaft seit über 40 Jahren. Jahrzehntelang galt der Zeitpunkt Anfang des Jahrtausends als entscheidend. Es ist kein Zufall, dass die führenden politischen Parteien 1994 bis 2007 noch ernsthafte Anstrengungen unternommen haben, Reformen einzuleiten. Die Union hat das 1998 mit dem Machtverlust bezahlt. Heute müssen sich Politik und Gesellschaft Gedanken machen, wie die laufende Kostenlawine noch ein bisschen beherrscht werden könnte. Längere Lebensarbeitszeit und weniger sonstige Transferempfänger sind die wenigen Stellschrauben, die der Politik für die nächsten 15 Jahre verbleiben. Doch hier blockieren allein die linken Parteien.

      Die Reduzierung der Anzahl Langzeitarbeitsloser ist der wichtigste Hebel. Hier gibt es den Double Ditch: Der Unterhalt von 100.000 (Flüchtlingen) im Bürgergeld kostet 800 Millionen Euro (so war glaube ich die Relation). Über die Hälfte der Bürgergeldempfänger haben keinen deutschen Pass, diese Relation ist seit 2014 völlig gekippt. Würden wir statt 20 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge 80 Prozent in Arbeit bringen, würde das nicht nur die Sozialkassen um 4-5 Milliarden Euro entlasten, zusätzlich entständen Steuereinnahmen. Genau aus diesem Grund können wir uns die ultraliberale Migrationspolitik nicht leisten, sie ruiniert das Land, und das schon aus finanzwirtschaftlichen Gründen.

      Die Bundesagentur für Arbeit hat vor kurzem eine Studie über Qualifikationsstand und Motivation der transferbeziehenden Flüchtlinge herausgebraucht. Da steht leider nichts davon, dass vor allem Ingenieure und Ärzte zugewandert sind, im Gegenteil. 90 Prozent besitzen keine für OECD-Länder vergleichbare Ausbildung. Und genauso hoch ist der Anteil der Flüchtlinge, die dauerhaft nur einfache Hilfsarbeiten machen wollen. Wer die Studie liest und wer dann noch davon redet, wir bräuchten die Flüchtlinge um unser Fachkräfteproblem zu lösen, der hat jeden Bezug zur Realität verloren.

      • Mr. Hans-Heinrich Hartmann Hanni 27. März 2024, 19:53

        Das ist die brutale Realitaet! Es ist schon schockierend wie wir bewusst auf den Abgrund zusteuern; nein zurennen….Wie hiess das Key Word nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft in Europa? Europa brennt und der Kongress ( in Wien ) tanzt… So agiert diese Polit Kaste in Berlin und in Brüssel….

  • Jens Happel 27. März 2024, 11:43

    Danke. Das führt dann dazu, dass sich Leistung für die meisten kaum noch lohnt. Mehr brutto führt teilweise zu nur geringfügig mehr Netto.

    https://www.reddit.com/r/Finanzen/comments/18qh50x/arbeit_lohnt_sich_immer/?rdt=55722

    Im Chart fehlen noch einige Dinge die schwer zu quantifizieren sind. Zuschüsse zu Schulreisen der Kommune, und elternunabhängiges Bafög. Wer kein Bafög bekommt, dessen Eltern dürfen gerade einmal 900 Euro pro Jahr und Kind deswege von der Steuer absetzen.

    Stütze plus Schwarzarbeit ist lukrativer.

  • R.A. 27. März 2024, 12:53

    Noch schlimmer sind die Lügen, die der Hauptlobbyist der deutschen Sozialbranche, der paritätische Wohlfahrtsverband, gerade wieder verbreitet.

    Angeblich habe die Armut in Deutschland weiter zugenommen, angeblich wären besonders die Kinder betroffen, und angeblich wäre es deswegen nötig die Sozialhilfesätze massiv zu erhöhen.

    Das ist alles absurd falsch:
    – das verwendete Kriterium für „Armut“ hat nichts mit irgendwelchen objektiv überprüfbaren Faktoren wie Versorgung mit Wohnung/Nahrung/anderen Notwendigkeiten zu tun, sondern ist ein theoretisches Konstrukt daß auf das allgemeine Einkommensniveau abhebt.
    – selbst innerhalb dieser sinnlosen Definition lügt der Verband, weil er die dort berechneten Zahlen für „Armutsgefährdung“ als „Armut“ bezeichnet, obwohl dafür andere Grenzen gelten.
    – die Zunahme an „Armut“ liegt nicht an weniger Sozialpolitik oder dem pösen Kapitalismus, sondern alleine am Zustrom von Millionen „Flüchtlingen“, die hier versorgt werden und natürlich nicht überdurchschnittlich verdienen können.
    – und besonders krass: Die vom Verband vorgeschlagene Erhöhung der Transfers würde an der behaupteten „Armut“ überhaupt nichts ändern – denn auch die neue Stütze würde natürlich unter der angeblichen Armutsgrenze liegen. Selbst wenn die Politik die Forderungen des Verbandes komplett umsetzen würde, könnte dieser nächstes Jahr trotzdem erneut die Katastrophe ausrufen.

    Das ist insgesamt extrem unseriös.

    • Stefan Sasse 27. März 2024, 12:59

      Eine Definition, die du ablehnst, ist keine Lüge.

      • R.A. 28. März 2024, 09:42

        Das mit der abzulehnenden Definition bezieht sich nur auf den ersten Punkt.
        Bei den anderen dreien wird vom Verband definitiv gelogen.

        • Stefan Sasse 28. März 2024, 17:57

          Es gibt keine objektive Armut. Das ist alles Definitionssache. Das hatten wir doch schon mehrfach.

          • Stefan Pietsch 28. März 2024, 18:21

            Es gibt objektive Armut. Aber nicht in Westeuropa.

            • Stefan Sasse 29. März 2024, 09:40

              Ja, sicher. Genau deswegen sind ja Armutdefinitionen in Europa immer relativ. Und damit nicht objektifizierbar.

              • Erwin Gabriel 29. März 2024, 14:33

                @ Stefan Sasse 29. März 2024, 09:40

                Ja, sicher. Genau deswegen sind ja Armutdefinitionen in Europa immer relativ. Und damit nicht objektifizierbar.

                Wie „soziale Gerechtigkeit“ auch. Aber ist damit nicht jede „Diskussion“ zu diesem Thema, jede in diese Richtung zielende Argumentation für höhere Sozialleistungen ad absurdum geführt?

                • Stefan Sasse 30. März 2024, 14:17

                  Nein, überhaupt nicht. Ich plädiere ja FÜR die Diskussion. Über objektive Dinge müssen wir ja nicht diskutieren.

                  • Erwin Gabriel 31. März 2024, 00:11

                    @ Stefan Sasse 30. März 2024, 14:17

                    Über objektive Dinge müssen wir ja nicht diskutieren.

                    🙂

                    Echt jetzt?
                    Schon die objektiven Fakten werden angezweifelt, und die Bewertungen anhand der Fakten liegen weit auseinander.

                    • Hanni 31. März 2024, 11:37

                      @ERwin Gabriel : „Schon die objektiven Fakten werden angezweifelt, und die Bewertungen anhand der Fakten liegen weit auseinander.“ Das ist ja das Dilemma. Die Ideologen von Rot-Gruen scheuen ja tatsächlich nicht davor zurueck, Fakten und Tatsachen zu verbiegen und zu manipulieren. Somit wird ein fairer und fruchtbare Austausch und notwendiger Fortschritt torpediert…

                    • Stefan Sasse 31. März 2024, 19:21

                      Ja, ok, das war von mir zu polemisch.

              • R.A. 30. März 2024, 09:38

                „Genau deswegen sind ja Armutdefinitionen in Europa immer relativ. Und damit nicht objektifizierbar.“
                Es gibt durchaus eine objektifizierbare Armutsdefinition: Die Berechnung des Bürgergelds.
                Da wird ja genau aufgegliedert was ein Mensch an Wohnung, Kleidung, Nahrung etc. braucht, plus der „Teilnahme am sozialen Leben“ – und das bekommt er vom Staat bezahlt. Natürlich sind einzelne Punkte immer umstritten, aber grundsätzlich ist die Konzeption so, daß ein Bürgergeldempfänger alles hat was zu einem menschenwürdigen Leben nötig ist – und er damit objektiv nicht arm ist.

                Daß die Lobby-Verbände das nicht sehen wollen ist klar. Nur die beständige Armut sichert ihnen ihre Jobs (die weit besser bezahlt werden).
                Deswegen dieses Blubber-Kriterium „es gibt aber immer noch Leute die mehr Geld haben“.

                • Thorsten Haupts 30. März 2024, 14:10

                  Ja! Armut zu definieren als „verdient weniger als x% von Summe y“ war und bleibt eine Vernebelungsmission zur Begründung der Notwendigkeit der eigenen Organisation/Mission.

                • Stefan Sasse 30. März 2024, 14:18

                  Das ist das definierte soziokulturelle Existenzminimum. Man kann das natürlich als Armutsgrenze sehen, aber „Existenzminimum“ und „arm“ sind immer nich zwei Paar Stiefel. Aber: Bürgergeld ist sicher schon mal eine konkrete Zahl, an der man sich orientieren kann. Letztlich wird Armut in Deutschland aber immer relativ zum Median bestimmt werden müssen.

    • Stefan Pietsch 27. März 2024, 19:46

      Nach Monaten habe ich am Montag „Hart aber fair“ gesehen. Ich fühlte mich um Jahrzehnte zurückgeworfen: Die gleichen Argumente wie zu Zeiten der früheren Massenarbeitslosigkeit. Eine Anke Rehling und Ricarda Lang sind in der Zeit stehengeblieben. Zu heutigen Debatten können sie nichts beisteuern.

      Der Paritätische Wohlfahrtsverband ist eine Lobbygruppe, deren Hauptziel darin besteht, die Sozialtransfers zu erhöhen. Ich habe nicht den Eindruck, das deren Einfluss in den vergangenen 10 Jahren gestiegen wäre.

      • Erwin Gabriel 28. März 2024, 15:07

        @ Stefan Pietsch

        Nach Monaten habe ich am Montag „Hart aber fair“ gesehen. Ich fühlte mich um Jahrzehnte zurückgeworfen: Die gleichen Argumente wie zu Zeiten der früheren Massenarbeitslosigkeit.

        Ging mir ähnlich. Abgesehen davon, dass es mir unglaublich schwer fiel, Riccarda Lang zu folgen, da sie unter Stress unglaublich schnell und intensiv zu reden beginnt – es wird nur die Seite gesehen, dass es irgendwelche Menschen gibt, denen es schlecht geht (was ja stimmen mag), was man dann verallgemeinert (was ich für nicht korrekt halte), und daraus leitet man dann weitere Forderungen ab. Wo das Geld herkommt? Egal. Wie man damit wirtschaftet? Egal. Dass eine aufsteigende Spirale zwischen Bürgergeld, Mindestlohn, Kosten, Preisen, Bürgergeld gibt? Egal.

        Kommentare zur Forderung nach mehr Mindestlohn wie „Die Leute gehen doch trotz gestiegener Preise noch in Restaurants oder zum Friseur“ sind schon sehr … bedenklich.

        Und keine Seite stellt das System in Frage. Geld wird eingenommen, es geht in eine Blackbox, Geld wird ausgegeben – die Geschehnisse in der Blackbox interessieren offenbar niemanden.

        Erschreckend.
        Ist schon wild

        • Stefan Sasse 28. März 2024, 18:02

          Respekt, dass ihr euch diese Shows antut.

          • Stefan Pietsch 28. März 2024, 18:21

            Wie gesagt, Monate nicht gesehen. Die Sendung war in mehrere Hinsicht eine Zumutung. Neben dem Erwähnten: 6 Gäste. Anke Rehlinger von der SPD, Ricarda Lang (Grüne), Ostermann (Unternehmensverbände), Amthor (CDU), Henry Maske (sozial engagiert) und ein Bürgergeldempfänger. Eine Zweidrittel-Mehrheit für das gegenwärtige Bürgergeld bzw. dessen Ausweitung. Daneben ist Klamroth mit der Führung der Sendung schlicht überfordert. Dabei sollte es um den Entwurf der CDU für die Reform des Bürgerggeldes gehen. Natürlich falsch alles.

            Es wird ein paar Monate dauern, bis ich mir die Sendung wieder antue.

            • Stefan Sasse 29. März 2024, 09:40

              Ich brauche bei „6 Gäste“ nicht mehr weiterlesen. Was soll da rauskommen als eine Kakophonie?

        • Stefan Pietsch 28. März 2024, 18:29

          Was ich meine: Die exakt gleichen Argumente. Warum wir so viele erstmal ins Bürgergeld stecken? Damit sie von staatlichen Behörden ertüchtigt und qualifiziert werden. Das hat zwar schon in den Achtzigern, Neunzigern und Nullerjahren nicht geklappt. Aber einen Versuch ist es ja wert.

          Wer ins Bürgergeld rutscht, hat Jahre verpasst. Jahre. Wer nicht rausfindet, muss sich selbst fragen, was er falsch macht. Existenzsorgen können da manchmal Wunder bewirken, wie erfindungsreich und aktiv Menschen werden können. Wir haben inzwischen den Irrsinn – anders lässt es sich nicht bezeichnen – dass wir über unendlich viele Jahre Menschen dreitausend, viertausend Euro monatlich überweisen und die dann noch das Etikett „arm“ angeheftet bekommen.

  • Thorsten Haupts 27. März 2024, 13:42

    Die Studienautoren der Hans-Böckler-Stiftung haben mit ihrem Werk „Die Mär vom aufgeblähten Sozialstaat“ eher ein politisches Pamphlet denn eine wissenschaftliche Arbeit vorgelegt.

    Nur als Anmerkung – das gilt letztlich für alle Arbeiten derartiger Stiftungen und Institute. Egal, aus welcher Richtung. Wirklich unabhängig und streng wissenschaftlich arbeitet da erstens niemand, zweitens ist das auch bei solchen Themen gar nicht möglich, weil die Grundlage der Beurteilung ideologische Axiome bilden. Und nicht, wie bei statischen Berechnungen, die Physik.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Pietsch 27. März 2024, 19:49

      Das stimmt nicht. ifo, IW, DIW, Rheinisch-Westfälische und noch einige andere arbeiten sehr seriös, da habe ich selten etwas auszusetzen. Die genannte „Studie“ dagegen ist ein Pamphlet.

    • Stefan Sasse 28. März 2024, 17:50

      Genau. Die produzieren wissenschaftliche Unterfütterung für den politischen Prozess. Nicht mehr, nicht weniger. Das ist wie Anhörungen im Bundestag. Davon abgesehen würde ich schon sagen, dass die wissenschaftlich arbeiten; das ist ja eher der Fokus der Arbeit, den man da in Frage stellen müsste, weil die ja nicht ergebnisoffen arbeiten. Aber erneut, dafür sind die ja auch nicht da.

  • Mr. Hans-Heinrich Hartmann Hanni 27. März 2024, 18:13

    Unser Sozial Staat ist „an die Wand gefahren “ worden. Wir haben mittlerweile in der Gesellschaft eine derartige Anspruch Vorstellung und „Voll Kasko Mentalität“ das es ein zurueck drehen nicht mehr geben wird. Das Heisse Eisen“ wagt ja kein Politiker mehr anzufassen; es sei denn es ist einer vom Schlage des Donals Trum. Aber wer will schon den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Ergo werden wir auf eien großen Knall zutreiben. Das kann durchasu ausgelost werden wenn Putin die Ukraine massakriert hat und und sein Geniest nach West (Moldavien, Baltikum -Finnland etc..) ausweitet. Das sind keine Hirngespinste mehr; redet mit Bürgen/Menschen in diesen Ländern. Nur unsere Rot-Gruenen Spinner und Träumer verlachen diese Szenarien …Noch…

    • Erwin Gabriel 28. März 2024, 15:43

      @ Mr. Hans-Heinrich Hartmann Hanni 27. März 2024, 18:13

      Unser Sozial Staat ist „an die Wand gefahren “ worden. Wir haben mittlerweile in der Gesellschaft eine derartige Anspruch Vorstellung und „Voll Kasko Mentalität“ das es ein zurueck drehen nicht mehr geben wird.

      Das befuerchte ich auch …

  • CitizenK 28. März 2024, 08:44

    „die privaten Urlaubskosten zu den Sozialausgaben zuzurechnen wären.“

    Dann aber müssten die Leistungen der Tafeln (einschließlich der fiktiven Löhne für die Ehrenamtlichen) abgezogen werden.
    https://www.tagesschau.de/inland/tafeln-krise-100.html

    • Stefan Pietsch 28. März 2024, 18:35

      Es ist offensichtlich, dass ich das nicht befürworte. Wenn Arbeitnehmer in eine Betriebsrente einbezahlen, wird das unter „private Sozialausgaben“ subsummiert. Kauft er ein Haus, das ihm im Alter den gleichen Zweck erfüllt, zählt das zur privaten Lebensführung. Viele sorgen privat vor, legen sich ein Wertdepot zu (keine privaten Sozialausgaben), andere setzen allein auf die gesetzliche Rente. Es ist absurd, willkürlich hier private Kosten zu erfassen und sie dem Komplex „Sozialausgaben“ zuzurechnen.

      Fakt ist: Erhebt der Staat Steuern und Sozialabgaben, um Sozialausgaben zu finanzieren, sind sie der privaten Disposition entzogen. Allein das kann gezählt werden.

  • Erwin Gabriel 28. März 2024, 14:26

    @ Stefan Pietsch

    Vielen Dank für Deinen Kommentar. Es bleibt, wie es ist: Wenn man schaut, wie viel Geld ausgegeben wird, ist es zu viel; wenn man auf die Leistungen schaut, ist es zu wenig. Da lässt sich wenig dran herumdeuteln. Auch die steigende Tendenz des Staates, den Menschen die Verantwortung für ihr Handeln abzunehmen, sehe ich als unbestreitbar bewiesen an.

    Da machen Diskussionen wie vor ein paar tagen bei „hart aber fair“ schon über das grundsätzlich Sinnlose hinaus keinen Sinn, weil hier jede Seite Einzelfälle hervorkramt, die für sich genommen nachvollziehbar sind, aber eben auch nichts besagen. Aber keine Seite stellt das grundsätzliche System, dass sich inzwischen zu einer permanenten Aufwärtsspirale verselbstständigt hat, in Frage.

    Auf der einen Seite tue ich mich schwer, über Menschen zu urteilen, die mit Hartz-IV-Sätzen bzw. nun Bürgergeld auskommen müssen, zu urteilen. Auf der anderen Seite will auch nicht so recht in meinen Kopf, dass jemand, dem aufgrund von selbst- oder fremdverursachten Gründen nicht arbeitsfähig ist, vom Staat auf den Lebensstandard der Vollzeit-Arbeitenden (untere Mittelklasse) gehoben werden muss.

    • Stefan Sasse 28. März 2024, 18:00

      Wer mit Vollzeit nur Bürgergeldniveau hat, wird auch zu schlecht bezahlt, aber das hatten wir schon öfter. Das Problem liegt ja an einer ganz anderen Stelle: die Familien. Denn das Bürgergeld tritt ja eigentlich erst in Konkurrenz zum Vollzeitjob, wenn ich eine Familie ernähren muss. Und dass die Politik sich einen Scheiß für Familien interessiert ist leider seit Adenauer Konstante.

    • Stefan Pietsch 28. März 2024, 18:30

      Wer heute noch die gesetzliche Rente lobt, sollte sich einfach die beiden Statistiken ansehen. Viel einzahlen, wenig herausbekommen. Da möchte ich einmal eine Rechtfertigung hören für derartige Unwirtschaftlichkeit.

  • Pirat 29. März 2024, 00:16

    Erst einmal möchte ich sagen, dass ich zwei Sätze unterschreibe, die im Text und in den Kommentaren fielen: So viel Staat wie nötig, so wenig wie möglich. Und: Wir geben viel und dabei tatsächlich auch gelegentlich Unnützes für soziale Zwecke aus. Gerade den Punkt mit dem Unnützen könnte man allerdings auch problemlos auf viele Ausgaben zur mehr oder weniger vermeintlichen Förderung der Wirtschaft und durchaus auch Besserstellung der Besserverdienenden anwenden. Denn wahr ist ja durchaus auch das alte Sprichwort: Das Geld kommt zu demjenigen, der schon welches hat (oder so ähnlich). Dass es lange Jahre faktisch eher Umverteilungen von unten nach oben gegeben hat, ist ebenfalls mit vielen Kennzahlen belegbar. Ebenso ist aufzeigbar, dass das mitnichten zum oft als Ziel genannten Trickle-Down-Effekt führt.

    Wer jetzt erwartet „Der wählt bestimmt die Wagenknecht“…ne, mitnichten. Ich finde die Diskussionen aus beiden Richtungen jeweils falsch geführt. Den meisten Diskutanten in der politischen Arena fehlt meiner Meinung nach, auf beiden Seiten Lebenserfahrung gesammelt zu haben. Nehmen wir Herr Lindner. Lindner hat mit Verlaub keine Ahnung, wie das ist, wenn man erstmal in die Hartz4-Mühle geraten war. Auch ein Herr Linnemann weiß das nicht. Umgekehrt fehlt vielen, vor allem den aktivistischeren Teilen, auf der Seite der Sozialverbände der Blickwinkel von der anderen Seite aus – es wird dann CDU-Spitzen oder Wirtschaftsakteuren immer Böswilligkeit unterstellt, man liest es zwischen den Zeilen. Gegen das Böse darf man bekanntlich keinen Zoll zurückweichen. Zusammengerafft: Den einen fehlt die Erfahrung, trotz aller Anstrengungen vom Leben immer nur auf die Fresse zu kriegen; den anderen fehlt die Erfahrung, dank aller Anstrengungen tatsächlich für ihr Leben etwas erreichen zu können. Daraus resultiert, dass die einen den Wunsch nach staatlicher Absicherung übertrieben erscheint und sie stärker die Kosten und Missbrauchsmöglichkeiten sehen, während für die anderen der Wunsch nach staatlicher Absicherung so ungefähr alles ist und sie die Kosten und Missbrauchsmöglichkeiten im Zweifel völlig ignorieren. Bei beiden Seiten wird das mit unterschiedlichen Menschenbildern unterfüttert.

    Dieser Gedanke ist mir seit einigen Monaten gekommen, weil ich tatsächlich beide Seiten kenne. Ich hab studiert, einen guten Abschluss gemacht, trotzdem nie in meinem Fach arbeiten können, weil mir mein Diplomvater die Empfehlung verweigerte, stattdessen sogar gegen meine Bewerbungen intrigierte (inzwischen ist er wegen anderen Fällen von Machtmissbrauch übrigens von der Uni geschmissen worden, für mich 15 Jahre zu spät). Damals habe ich gelernt, auf die harte Tour: Wir haben keine reine Leistungsgesellschaft. Die FDP und die Union sollten aufhören davon zu faseln. Klar ist Leistung nicht bedeutungslos, aber ohne Vernetzung (das Vitamin B in der 2.0-Version) reicht sie im Zweifel eben nicht.
    Jedenfalls folgten dann rund 7 Jahre, in denen ich mich als Leiharbeiter in Lager und Produktion durchschlug und das zu Beginn mit einer schwangeren Frau daheim. Eine solche Situation führt völlig egal wie viel man arbeitet praktisch zwangsläufig zur Endstation Hartz4, heute Bürgergeld. Es waren 7 harte Jahre, in denen ich die andere Seite kennenlernte. Es waren übrigens noch die Jahre, in denen man als Hartz4-Empfänger fröhlich sanktioniert und gegängelt werden konnte vom Jobcenter. Ich hätte nicht erlebt, dass das IRGENDWAS bringt. Im Gegenteil, es fördert nach meiner Beobachtung eher, dass man erst recht nicht aus dieser Mühle herauskommt. Vor allem als Aufstocker. Wenn ich vorschlug, eine Fortbildung zu machen, um die Chancen auf eine bessere Stelle zu erhöhen und damit die Bedürftigkeit zu verringern, wurde mir das untersagt, weil ich hätte ja einen Job. Ja, nur einen maximal scheiße bezahlten. Meine damalige Frau suchte als wir endlich Kinderbetreuung hatten übrigens auch Arbeit in ihrem gelernten Beruf. Dieser war eigentlich auch gesucht, sie bewarb sich zigfach – bekam trotzdem keine Stelle. Will sagen: Wir hatten eigentlich viele Skills, die uns gut aufstellten – Willen, Einsatz, Qualifikationen, Bereitschaft zu weiterer Qualifikation etc. – und kamen trotzdem nicht vom Fleck. Auch wegen dem damals harscheren Hartz4-System. Ich habe das angebliche Fordern nicht als förderlich wahrgenommen da rauszukommen – eher als bremsend. Was jahrelang gar nicht ankam: Eine zielgenauere Förderung (außer man definiert das als „wir zahlen euch die Miete“). Was habe ich damals gelernt? Das ein System, bei dem die Löhne so niedrig sind, dass man in der geschilderten Situation auf staatliche Unterstützung angewiesen ist, jegliche Debatte zum Lohnabstandsgebot ad absurdum führt. Letzteres kann nur über höhere Löhne, nicht über Sozialleistungen bis ins Elend runterrechnen erreicht werden. Außerdem habe ich gelernt, dass Ämter, die einen mit dem Grundverdacht, man wolle nur faul Geld abgreifen, niemandem helfen. Den Betroffenen nicht, dem Staat nicht, niemandem. Und ich habe gelernt, wenn ich mit meiner eigentlich guten Basis es schon schwer hab, wie muss das Menschen gehen, die da schlechter aufgestellt sind? Mental, familiär, von Sozialisierung und Bildung her? Gesundheitlich? Eben. Ich hab ein paar harte Fälle von denen kennengelernt, über die man derzeit als Totalverweigerer spricht. Die fallen aus meiner Beobachtung in 2 Kategorien: Arschlöcher, die eh schwarz und kriminell ihr Geld dazuverdienen und mit erstaunlich wenig durchs Leben zu eiern bereit sind. Die kriegste auch mit Komplettsanktionen praktisch nicht. Und die andere Kategorie sind diejenigen, die mentale Pathologien haben, die ihnen schlicht im Weg stehen. Da hilft dann auch maximaler Druck nix – die brauchen eher klinische Hilfe, neu zu lernen mit ihrem Leben klarzukommen. Deswegen halte ich von diesen ganzen „Boah, geil, wir Sanktionieren die faulen Säcke in die Gosse!“-Fantasien nix. ABER: Ich halte auch nix davon, den Leuten einfach nur Geld rüberzuwerfen und zu sagen „Macht mal“. Ich halte es für absolut wichtig und geradezu notwendig, dass die Jobcenter mit ihren Klienten eine enge Zusammenarbeit aufbauen, in der sich auch die Bürgergeldbezieher verbindlich zu abgesprochenen Maßnahmen kommitten. Diese müssen aber kreativer sein als „Schreiben Sie 30 Bewerbungen die Woche“ (das war zumindest damals tatsächlich Usus und ziemlich unnütz…es bringt mehr, vielleicht nur 5 die Woche zu schreiben, die aber gut vorbereitet sind, als 30 dahinzurotzen). Wer z.B. psychologische Probleme hat, sein Leben wieder selbst zu organisieren, für den sollte so eine Vereinbarung durchaus vorsehen, genau das in den Griff zu kriegen. Hier kann das Jobcenter wiederum zielgerichtet unterstützen durch Vermittlung von Beratungsangeboten etc. Anderen hilft dagegen vielleicht eher die Finanzierung einer Umschulung und da sollte es natürlich klare Vereinbarungen geben, dass das auch zu was führen muss.
    So Sachen. Praktisch denken, um das Geld, das in den Sozialstaat fließt – und das sind ja nicht nur die direkten Leistungen, sondern z.B. auch die Ausgaben, die z.B. die Bearbeitung und Durchsetzung von Sanktionsmaßnahmen erzeugen, irgendjemand muss das ja schließlich machen – sinnvoller, zielgerichteter auszugeben. Das Bürgergeld sollte weder ein Almosen sein, noch ein Freibrief für jeden Unsinn, sondern eine Hilfe zur Selbsthilfe – es sollte dem Betroffenen die notwendige finanzielle Luft geben, sein Leben wieder neu auf die Kette zu kriegen (natürlich werden am Ende ein kleiner Teil Fälle sein, wo das aus gesundheitlichen oder anderen strukturellen Gründen nicht klappt, aber wo die Leute dafür nix können, ist ihnen das nicht vorzuwerfen). Denn wenn man in der Dauerfurcht lebt, das Dach übern Kopf zu verlieren z.B., da bewirkt man gar nix in Sachen zurück ins Berufsleben finden. Man trifft keine guten Entscheidungen bei der Jobsuche, wenn man bei jedem zweiten Gedanken an die Zukunft vor Angst erstarrt. Ich weiß das. Ich hab’s erlebt.
    Dieses Verständnis vom Bürgergeld sollte man, ganz pragmatisch haben: Hilfe zur Selbsthilfe. Seitens der links orientierten sich selbst sozial schimpfenden Aktivisten. Aber auch aus der Gegenrichtung seitens der Wirtschaftsliberalen und Leistungsgesellschaftspredigern. (ich sag’s mal so: Lindner ist auch schon mal pleite gegangen mit einer Firma – er hatte aber mehr Rücklagen und Möglichkeiten, sich selbst wieder auf die Beine zu stellen; dieses Privileg haben die MEISTEN Menschen tatsächlich nicht).
    Jetzt kommen wir zu dem Teil, wo ich die andere Seite kennenlernen durfte: Nämlich wo mein Einsatz mir endlich was brachte und es dann auch auf dem Bankkonto bergauf ging.
    Ironischerweise war es erst nötig, von der Frau sitzen gelassen zu werden und alleinerziehender Vater zu sein, um dem Jobcenter endlich etwas anderes als „Schreiben Sie Bewerbungen“ oder idiotische Stellenangebote (Gefordert wird: Führerschein – haha, KANN ich aus gesundheitlichen Gründen nicht, was bekannt war) aus den Rippen zu leiern. Ne Umschulung. Die hab ich durchgezogen, anschließend damit einen Job gefunden, der uns sofort gänzlich aus der Hartz4-Abhängigkeit beförderte. Natürlich hab ich Mitumschüler gehabt, die das nicht ernst genommen haben. Das halte ich für falsch. Hier muss ein gemeinsames Commitment von Betroffenen und Behörde erreicht werden. „Wenn wir Dir das bezahlen, dann zieh das auch durch.“ Das finde ich muss gar nicht diskutiert werden, das muss so, natürlich. Wer dabei noch Probleme hat, aus irgendwelchen z.B. familiären Gründen – mit dem muss man schauen, wie kann man das abfangen? Das wird selten eine Sanktion tun. Eher unterstützende Rahmenmaßnahmen. Aber worauf ich hinauswill: Solche Dinge, die einem helfen, sich selbst zu helfen, die brauchen wir. Dann bringen die Sozialstaatsausgaben auch was. Dann kommen wir irgendwann auch wieder an den Punkt „soviel Staat wie nötig, so wenig wie möglich“.
    Ich hatte ja vorher dem Jobcenter jahrelang gesagt, finanziert mir eine Umschulung und ich komm raus aus der Bedürftigkeit. Damals in der tollen Zeit der Sanktionen und Vorverurteilungen durch Sachbearbeiter. Ich wurde immer abgewiesen.
    Als ich dann endlich die Umschulung hatte und genau das eintrat, was ich angekündigt hatte, dass es mir nämlich aus der Bedürftigkeit half, hab ich der zuständigen Bearbeiterin damals zum Abschied geschrieben: „Ich hab’s euch gesagt.“
    Ich weiß natürlich, dass die das nicht persönlich meinten. Sie haben nur geltende Politik umgesetzt.
    Jedenfalls läuft’s jetzt bei mir und ich bin dankbar dafür. Ich weiß aber auch, was ich dafür getan hab (und an welcher Stelle auch hier wieder Vitamin B bei der Stellensuche dann half). Ich denke, jeder Mensch soll und kann diese Erfahrung der Selbstwirksamkeit machen. Diesbezüglich bin ich bei den Merzens und Lindners dieser Welt. Ich weiß aber auch, dass viele dafür ein wenig Starthilfe brauchen (mal mit mehr Beratung, mal mit Finanzierung einer Umschulung, mal mit medizinischer Unterstützer etc.), das ist der Punkt.
    Und der wird aus meiner Sicht in der derzeitigen Debatte zum Sozialstaat nicht abgebildet.

    • Stefan Sasse 29. März 2024, 09:47

      Danke für die Perspektive!

    • R.A. 29. März 2024, 10:23

      Ein sehr guter Beitrag, vielen Dank. Ich kann auch den meisten Ausführungen zustimmen.
      Mit Ausnahmen:
      „Dass es lange Jahre faktisch eher Umverteilungen von unten nach oben gegeben hat, ist ebenfalls mit vielen Kennzahlen belegbar.“
      Das ist komplett falsch, war seit Bestehen der Bundesrepublik falsch, und die „Studien“ die das behaupten sind von ähnlicher Qualität wie die eingangs besprochene.
      Es gibt in Deutschland nur eine sehr starke Umverteilung von oben nach unten. Anders kann ein Sozialstaat ja überhaupt nicht funktionieren und das ist grundsätzlich auch in Ordnung . In der Tendenz wächst diese Umverteilung immer stärker an.
      Wenn sie sich zwischendurch einmal abschwächt gibt es natürlich ein großes Geschrei der Lobbies, aber das ist dann noch lange keine „Umverteilung von unten nach oben“.

      Der entscheidende Punkt ist natürlich, wie man die organisiert. Praktisch jeder ist dafür, Behinderte, Kranke, wirklich Arbeitsunfähige etc. mit einem angemessenen Lebensstandard zu unterstützen. Dazu gehören auch die von Dir erwähnten „mental Blockierten“.
      Und wenn insgesamt zu wenig Arbeitsplätze da sind (das war wohl so in den Jahren, wo Ihr vergeblich gesucht habt), dann nützen Druckmaßnahmen recht wenig. Da ist dann die Wirtschaftspolitik gefragt, nicht die Sozialpolitik.

      Richtig ist auch, daß man die kleine Gruppe der Totalverweigerer nicht mit Druck zum Arbeiten bekommt. Aber da ist es ein Gebot der Gerechtigkeit gegenüber den Arbeitenden, daß die „Arschlöcher“ nicht auch noch subventioniert werden.

      Es gibt aber durchaus eine sehr große Gruppe, bei denen ein gewisser Druck sehr wohl hilft (wenn Arbeitsplätze da sind). Denn natürlich ist es für viele attraktiver gemütlich zu Hause zu bleiben (mit vielleicht ein bißchen schwarz nebenher) anstatt mit einer 40-Stunden-Woche plus Fahrtzeit und Spesen einen mageren Hunderter mehr in der Tasche zu haben.
      Da muß m. E. noch erheblich nachjustiert werden.

      Und gleichzeitig muß tatsächlich die Förderung endlich vernünftig funktionieren. Da bin ich völlig bei Dir, daß man Kurse etc. nicht auf die beschränken sollte, die arbeitslos sind. Es gibt eine erhebliche Zahl von Leuten, die arbeiten jeden Tag (sind also motiviert und leistungsfähig), und haben das Potential deutlich qualifiziertere Arbeit zu machen. Was ja nicht nur für ihr Gehaltskonto gut wäre, sondern einen Mehrwert für die Gesellschaft brächte.

      Noch ein Punkt: „Vitamin B“ wird deutlich überschätzt. Man kriegt vielleicht ein Schülerpraktikum über die Bekanntschaften der Eltern, oder mal als Selbständiger einen Auftrag am Golfplatz.
      Aber daß man über Bekanntschaft einen guten Job kriegt ist extrem selten.
      Was nicht heißt, daß wir eine perfekte Leistungsgesellschaft hätten – beileibe nicht.
      Aber auch im Berufsleben gibt es halt eine substanzielle Komponente die schlicht mit Glück zu tun hat. Wenn halt zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort (im Sinne von: man ist gerade in Bewerbungsreichweite) ein passender Job frei wird.

      Mein Eindruck ist, daß diese Glückskomponenten inzwischen deutlich geringer ist als noch vor 20 Jahren, weil die Internet-Jobbörsen deutlich effizienter arbeiten als früher die Zeitungsanzeigen.
      Aber dazu gibt es m. w. keine Untersuchungen oder Belege.

    • Stefan Pietsch 29. März 2024, 11:13

      Ich habe Ihren langen, persönlichen Kommentar sehr aufmerksam gelesen. Jeder hat so seine eigene Geschichte. Ich auch. Auch ich bin nicht mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel geboren. Und wenn es nach den staatlichen Stellen und Ratgebern gegangen wäre, hätte ich Realschulabschluss gemacht und dann eine Verwaltungsstelle angestrebt – die ich dann in den Nullerjahren verloren hätte. In diesem Leben kann man sich nur auf sich selbst verlassen.

      Lindner hat mit Verlaub keine Ahnung, wie das ist, wenn man erstmal in die Hartz4-Mühle geraten war. Auch ein Herr Linnemann weiß das nicht.

      Wofür wäre das nötig? Carsten Linnemann und Christian Lindner stammen wie ich aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Da gibt es kein Zuviel, aber viel Verzicht. Man lernt aber schnell, auf eigenen Beinen zu stehen. Diese Spitzenpolitiker müssen auch keine Mehrfachmillionäre und Milliadäre sein, um sich in die Welt der oberen 5 Prozent reinzudenken, die sie ja auch vertreten sollen. Die Politik ist dafür da, allgemeine Regeln für alle zu entwerfen, nicht für bestimmte (Einkommens-) Klassen.

      Der Normalfall des Lebens ist nicht die Transferabhängigkeit. Zumindest gilt das außerhalb Deutschlands fast nirgends. Die Amerikaner haben das Mitte der Neunzigerjahre in einer sehr prosperierenden Phase sogar zu Gesetzespapier gebracht. Kein Bürger hat mehr als 5 Jahre Anspruch auf Sozialhilfe. Wir fanden das damals kaltherzig. Aber ist es nicht so? Die Fakten: Fast nirgends ist die Langzeitarbeitslosigkeit (>1 Jahr erwerbslos) so hoch wie in Deutschland, allen Agenda-Bemühungen zum Trotz. Auch, dass hier viele Menschen 5, 10 Jahre und noch nie dauerhaft erwerbstätig waren, verschafft unserem Land einen Sonderstatus. Das kann nicht nur am Pech liegen.

      In meinem Berufsleben habe ich sicher eine deutliche dreistellige Zahl von Menschen entlassen und wenige eingestellt. Ich selbst habe auch des öfteren den Job ungewollt verloren, das bringt mein Profil einfach mit sich. Doch kein einziger der Entlassenen hat „unverschuldet“ seine Stelle verloren. Und ich auch nicht. Wobei das mit der Schuld einfach kein passender Begriff ist. Entlassungen liegen (fast) immer in der Person begründet. Das empfindet man selten als fair, aber so ist das Leben, so sind unsere Mitmenschen. Es gibt kein anderes Leben und keine anderen Menschen. Die Frage ist allein, was man daraus lernt.

      Jährlich verschwinden 60.000 junge Leute vom Radar. Nach der Schule machen sie weder Ausbildung noch Studium. Eine rekordhohe Zahl bei rekordniedriger Kohortenanzahl. Es bedarf keiner großen prophetischen Gaben um vorherzusagen, dass die meisten in 10-15 Jahren Dauerkostgänger des Bürgergeldes werden. Das kann nicht so gedacht sein. Der Sozialstaat bietet für viele offensichtlich auch eine Verführung: Egal was passiert, der Staat fängt einen auf. Das ist, das zeigen die oben genannten Fakten, nicht gesund. Auf Youtube stellen experimentierfreudige Leute inzwischen ihre Erlebnisse mit dem Bürgergeld ein und weisen nach, dass Familien da leicht einige hundert bis tausend Euro im Monat sparen können.

      Solche Unterstützungen sind nicht für die Ewigkeit eines Menschenlebens gemacht. Das muss dringend aus den Köpfen raus. Die Frage, ob jemand, der heute über vier-, fünf- oder mehr Tausend Euro Haushaltseinkommen verfügt, auch mit deutlich weniger auskommen könnte, ist albern. Finanzieller Auf- wie Abstieg vollzieht sich nicht schockartig. Keine Frage: für jemanden, der die meiste Zeit gearbeitet hat, ist das Bürgergeld spartanisch, nicht aber für Menschen, die darauf ihr Leben einrichten.

      Mit den Agenda-Reformen wollte Deutschland sich am Beispiel der skandinavischen Länder anlehnen. Es ist nur mäßig gelungen. Wer arbeitslos wird, bekommt großzügige Unterstützung. Aber nach einem Jahr schmilzt sie drastisch ab. Länder mit wenig Langzeitarbeitslosigkeit zahlen weniger Unterstützung als wir.

      Zweidrittel der Bürgergeldbezieher haben einen Migrationshintergrund. Mehr als die Hälfte sind Ausländer. Das steht konträr zu ihren Anteilen an der Gesamtbevölkerung. In Zeiten von Fachkräftemangel und leergefegten Arbeitsmärkten taugen die üblichen Begründungen wie Rassismus und Diskriminierung nicht. Es gibt zwei Erklärungen: Die Leute sind faul. Das ist die moralische Bewertung. Die zweite ist die Ökonomische: die Anspruchslöhne sind zu hoch. Der Anspruchslohn ist der Betrag, den ein Arbeitsloser erwartet, um eine Tätigkeit aufzunehmen.

      Einigen wir uns auf die zweite Begründung. Sie sagen, die Löhne müssen erhöht werden. Das heißt aber, dass Menschen, die heute schon trotz de facto Vollbeschäftigung keinen Job finden, das auch zukünftig nicht schaffen werden. Außerdem legen die objektiven Fakten nicht nahe, dass in Deutschland die Löhne zu niedrig seien. Der Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen sind mit über 70 Prozent auf einem historisch hohen Level. Dementsprechend ist der Anteil der Gewinn- und Vermögenseinkommen historisch niedrig. Ihre These impliziert, dass die Gewinneinkünfte weiter zurückgehen müssen, denn das ist das makroökonomische Ergebnis. Aber der Anteil von Unternehmern und Selbstständigen an der Erwerbsbevölkerung ist ohnehin historisch und im internationalen Vergleich niedrig, kaum ein junger Mensch strebt an Unternehmer zu werden. Hohe garantierte Einkommen erhöhen nicht die Risikobereitschaft in einem Land. Ihre Empfehlung führt zu weniger Menschen, die noch bereit sind, anderen Arbeit zu geben.

      Ihrer Kritik an den Sanktionen folge ich zum Teil, das mag sie überraschen. Sie sind tatsächlich in vielerei Hinsicht ineffektiv. Wer glaubt, nur ein Promilleanteil der Transferbezieher würde sich nicht an die Regeln halten – so sagt es die offizielle Statistik – der glaubt auch an den Weihnachtsmann. Die Sanktionierungspraxis ist komplex und sie ist durch die Reform der Ampel noch komplexer geworden. Ein Sachbearbeiter, der einen unwilligen Bürgergeldempfänger sanktionieren will, hat einen steinigen juristischen Weg vor sich. Naheliegend, dass die meisten darauf verzichten.

      Normalerweise diszipliniert Existenznot die Menschen. Wer kein Geld hat, kann es sich nicht leisten, nichts zu tun. Ich habe Sympathie für das amerikanische Modell. Sie beschreiben ja für sich, es hätte ihnen geholfen, wenn Sie einfach eine frei gewählte Weiterbildung bezahlt bekommen hätten. Das sehe ich auch als vernünftig an. Besser als Beamte wissen wir, was uns helfen könnte. Ich wäre für großzügige Unterstützung und Hilfe beim Anlauf. Aber irgendwann ist Schluss, dann gibt es nichts mehr. Ich weiß, dass ist kaum verfassungskonform hinzubekommen. Aber das sollte der Grundgedanke sein: Großzügig bei der Unterstützung beim Start auf einen neuen Pfad, aber dann sehr geizig.

      Können wir uns darauf einigen?

  • Thorsten Haupts 31. März 2024, 22:44

    Da das auch mal gesagt weden muss: Echt coole und vor allem passende Bilder für die meisten Ihrer Artikel, Herr Pietsch 🙂 . Kudos dafür!

    • Stefan Sasse 1. April 2024, 10:04

      Allerdings. Ich hab da weder die Fähigkeiten noch die urheberrechtsresistenten Eier für.

    • Stefan Pietsch 1. April 2024, 11:46

      Danke! Es macht mir allerdings auch Spaß, ein Motiv zu entwerfen.

Leave a Comment

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.