Ich besuchte mit meinem Geschichte-Leistungsfach ein Seminar des Studienhaus Wiesneck (eine Einrichtung der Landeszentrale für Politische Bildung) zum Thema „Protestkulturen im Ost-West-Konflikt“. Die Thematik ist Sternchenthema im Abitur, weswegen das Seminar Gelegenheit für eine gute Vertiefung war. Neben einer Betrachtung der Aufstände 1953, 1956 und 1968 sowie der Solidarnosz im Ostblock und den 68ern, der Frauenbewegung, der Friedensbewegung, den Querdenkern und Fridays for Future im Westen hatten wir am letzten Tag auch einen Aktivisten der Letzten Generation zu Gast. Sein Besuch war in eine generelle Diskussion zu den Formen und Grenzen von demokratischem Protest eingebettet. Die anwesenden insgesamt 19 Schüler*innen sollten dabei in eine kritische Diskussion mit ihm gehen. Diese will ich im Folgenden für das interessierte Publikum protokollieren.
Der Vortrag begann mit dem Werdegang. Während des Studiums war dem 25jährigen immer mehr klar geworden, dass er eine moralische Verantwortung empfand, aktiv etwas zu tun, bevor er in den Beruf eintreten würde, in dem er dann vielleicht andere Spielräume haben wird. Den Aktivismus mit dem Studium zu verbinden ist dabei eine seiner persönlichen Hauptherausforderungen. Nach dieser kurzen Vorrede begann er mit seinem Vortrag.
Die Klimakrise – ein Begriff, den er wegen des fortgeschrittenen Standes derselben vor „Klimawandel“ bevorzugte – stelle ein globales Problem auf mehreren Ebenen dar, von Umweltfolgen zu Migration. Das Hochwasser im Ahrtal nannte er als eine Art Wasserscheide, anhand der ein stärkeres Bewusstsein für den Klimawandel entstanden sei. Die Klimakrise sei eine Krise sui generis, die nicht mit anderen Krisen vergleichbar sei. Daraus resultiere eine andere Legitimationsgrundlage für Protest.
Dafür entscheidend seien die Kipppunkte, auf die auch der Name der Gruppe Bezug nimmt: „Letzte Generation vor den Kipppunkten“. Das Konzept markiert Punkte, die einen Point of No Return darstellen, nach dem keine Reparatur von schädlichen Dynamiken durch den menschengemachten Klimawandel mehr möglich ist. Wo diese genau liegen, ist natürlich unklar; Wissenschaftler*innen entwickelten deswegen Szenarien. Das positive Szenario sehe vor, dass wir die Emissionen auf null reduzieren, während das negative Szenario von einer Beibehaltung des Status Quo ausgehe. Bei nur 2° Erwärmung, ein zunehmend unrealistisches Ziel, träten bereits eine große Menge Kipppunkte auf, vom Auftauen der Permafrostböden bis zur Änderung von Meeresströmungen.
Die wissenschaftliche Grundlage derart gelegt, leitete er zum Thema „Ziviler Ungehorsam“ über. Diesen sieht er in einer längeren historischen Tradition, als ein legitimes Mittel, um auf aktuelle Missstände und Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen. Der genutzte Vergleich war (natürlich) Martin Luther King. In die Tradition dieses aufmerksam Machen von Missständen stellt er auch die Letzte Generation. Er definiert zivilen Ungehorsam als bewusstes Überschreiten von Grenzen, um auf Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen. Die Verbindung von zivilem Ungehorsam und der Klimakrise machte er am Beispiel eines niederländischen Protests gegen klimaschädliche Subventionen deutlich, weil hier sowohl Schädlichkeit als auch Ungerechtigkeit der aktuellen Politik deutlich würden. Diese Proteste entstanden durch Extinction Rebellion und erreichten fünfstellige Teilnehmendenzahlen pro Tag. Diese Demos waren unangekündigt, das Erzeugen einer Störung war bewusstes Ziel der Proteste, um so Aufmerksamkeit zu erzeugen. Über 27 Tage Protest und 9000 Festnahmen überforderten die Behörden derart, dass es ihnen nicht möglich war, sie zu unterdrücken. Dies habe eine Reaktion der Politik erzwungen. Die Regierung entwickelt derzeit einen Plan, bis 2030 aus fossilen Subventionen auszusteigen, was in Deutschland nicht eben auf der Tagesordnung steht.
Damit ging er zur Letzten Generation über und thematisierte auch gleich die Frage, warum Farbanschläge und Straßenblockaden durchgeführt werden, da dies ja „normale“ Menschen störe. Er sieht in der Letzten Generation eine Art Feueralarm, der darauf aufmerksam macht, wie relevant das Problem ist. Ihre Perspektive sei, dass der Staat permanent gegen das Grundgesetz verstoße, da Artikel 20a den Schutz der Lebensgrundlagen vorschreibe und dies nicht eingehalten werde. Den Vorwurf des Pessimismus wies er zurück, wenngleich er das Klimaschutzgesetz (2019) und das BVerfG-Urteil (2021) durchaus würdigte. Als Rückschritt empfindet er die Aufweichung der Sektorziele, vor allem für Volker Wissings Verkehrssektor.
Die Strategie der Letzten Generation bestehe daraus, die Regierungen zu einer vollkommenen Abkehr von den fossilen Energieträgern zu bringen. Das passiert offenkundig nicht (siehe COP28), weswegen die Letzte Generation Druck und Aufmerksamkeit erzeugen wolle. Sein Protestverständnis folge dabei dem unbedingten Primat der Gewaltfreiheit, wodurch neben der Gemeinwohlförderlichkeit eine moralische Überlegenheit gegenüber der Gewalt anwendenden Regierung entstünde. Dieses Verständnis sieht er in der Letzten Generation verwirklicht wird. Die Forderungen der Letzten Generation seien die Wiedereinführung des 9€-Tickets, ein Tempolimit von 100km/h, ein Gesellschaftsrat und der Ausstieg aus fossilen Energieträgern. Bezüglich der Effizienz der Proteste zeigte er sich offen für Kritik und bezeichnete sich selbst als in einem Findungsprozess.
Damit ging es in die offene Diskussion.
Die erste Frage war, dass die Proteste viel Unmut in der Bevölkerung hervorriefen und ob es nicht Sinn mache, sich vor ein Kohlekraftwerk zu kleben. Der Aktivist antwortete, dass alle Menschen gleichermaßen von der Klimakrise betroffen seien. Da wir im globalen Norden wesentlich mehr Emissionen verursachten als der globale Süden, seien wir quasi alle Täter*innen. Zudem würden die fossilen Energieunternehen bereits durch andere Gruppen wie Ende Gelände abgedeckt. Die Sicherung der Unternehmen durch Versicherungen und Lobbyismus führe zudem dazu, dass die Kosten umgelegt würden und die Unternehmen den längeren Atem hätten. Zudem gebe es zu wenig Interesse an solchen Protesten, müsse aber in die Breite getragen werden; es entstehe kein Transfer, kein gesamtgesellschaftliches Verständnis. Die Protestkationen der Letzten Generation erzwängen diese Auseinandersetzung, ein Protest vor dem Kraftwerk nicht, gerade weil der Alltag gestört werde.
Natürlich folgte die Nachfrage nach dem Backlash. Der Aktivist lehnte die Prämisse ab, dass radikaler Protest unweigerlich zu einer Ablehnung des Anliegens führe. Er betonte, dass die Verschiebung des Diskurses von institutioneller Ebene auf die individuelle wenig hilfreich sei, das Fingerzeigen auf individuelle Handlungen sei falsch. Es brauche gesamtgesellschaftliche Resilienz. Er habe das auch getan – Flugscham erzeugen etc. – und sei davon abgekommen, weil er diese Attacken ablehne. Stattdessen brauche es politische Handlungen, verbindlich für alle. Dazu sei eine gesamtgesellschaftliche Debatte über grundlegende Themen wie Individualverkehr notwendig. Seitens der Schüler*innen kam die Kritik, dass das auf die Straße Kleben ja aber genau eine solche Individualisierung betreibe. Der Aktivist erwiderte, dass die Letzte Generation nicht die Weisheit gepachtet habe und nur Aufmerksamkeit erzeugen wolle; die Debatte müsse gesamtgesellschaftlich geführt werden. Abschließend lasse sich die Wirksamkeit der Methoden noch nicht beurteilen, das sei zukünftigen Historiker*innen vorbehalten. Es werde gerade experimentiert, mit offenem Ausgang.
Die nächste Frage war, warum die Proteste in den Niederlanden erfolgreicher seien als in Deutschland. Laut dem Aktivisten seien die Größe des Landes und Zentralität von Den Haag Gründe dafür. Die Niederlande hätten zudem viel früher mit ihren Protesten begonnen. Er sei deswegen optimistisch, dass eine Mobilisierung für Massenproteste stattfinden werde.
Daraufhin kam die Frage eines DRK-Mitglieds, wie sich die Kollateralschäden – Stichwort Behinderung von Rettungsarbeiten – auf die Allgemeinheit auswirkten und wie das gerechtfertigt werde. Der Aktivist erklärte das zu einer Abwägungssache; der Schaden für Dritte lasse sich nie zu 100% ausschließen. Er schwanke selbst immer wieder bei diesem Thema und empfinde es als schwierig. Es gebe aber ein Sicherheitskonzept, weswegen er die notwendige Gewissensabwägung üblicherweise für den Protest entscheide.In 99% der Fälle funktioniere die Bildung von Rettungsgassen; die Proteste würden so geplant, dass Rettungswägen durchkämen. Für die meisten Menschen bestünde zudem immer die Gefahr von Staus.
Eine weitere Frage betraf die relative Aussichtslosigkeit europäischer Maßnahmen im globalen Maßstab, weil Länder wie Indien, China, die USA etc. viel gewichtiger seien und die Letzte Generation keinen Einfluss auf diese habe. Der Aktivist beantwortete dies damit, dass einerseits die Pro-Kopf-Emissionen der entwickelten Länder immer noch viel höher seien und wir zudem inzwischen die klimaschädlichen Unternehmen weitgehend outgesourced haben, so dass die Berechnungen nicht korrekt seien. In autokratischen Systemen seien die Proteste zudem schlicht nicht möglich. Wir hätten in demokratischen Rechtsstaaten daher eine höhere Verantwortung. Zudem sei etwa China Vorreiter bei Erneuerbaren Energien. Er äußerte die Hoffnung, dass dieses Bewusstsein dann mittelfristig in diese Länder umschwappe.
Die nächste Frage bezog sich auf den Energiemix: bauten andere Länder nicht verstärkt Atomkraftwerke? Der Aktivist erklärte, dass sie auch viele Erneuerbare bauten und ein anderes Wirtschaftssystem hätten, ging aber schnell zum grundsätzlichen Punkt, dass er anderen Ländern nichts vorschreiben wolle und eher über ein globales System nachdenken wolle. Eine weitere Nachfrage postulierte, dass bisher eine Zentralisierung der Produktion von Erneuerbaren in China gewesen sei und dies nun wegen des zunehmenden Konflikts diversifiziert werde. Der Aktivist stimmte hier zu.
Daraufhin kam die Frage, wie die Letzte Generation mit staatlichen Maßnahmen wie dem Einfrieren von Konten umgehe. Der Aktivist bedankte sich für die „empathische Frage“ und erklärte, es sei erschreckend, wie die Debatte um eine „kriminelle Vereinigung“ betrieben werde. Es gebe weder Gewalt noch Extremismus. Ein Systemsturz werde nicht beabsichtigt. Das Einnisten solcher Ideen in den Köpfen durch ständige Wiederholung sei problematisch. Das Szenario einer zukünftigen AfD-Regierung sei hier besonders angsteinflößend, weil diese dann auf Kriminalunterlagen zurückgreifen könne, um Aktivist*innen politisch zu verfolgen; gleichwohl sei er optimistisch, dass diese Einschätzung nicht haltbar sei.
Eine weitere Frage betraf das Missverhältnis der geringen Größe der Letzten Generation gegenüber der Wirkung: sei das nicht undemokratisch, weil sie sich gegen eine klare Mehrheit stellten? Dies, so der Aktivist, treffe auf jede Protestbewegung zu. Er nutzte erneut den Vergleich mit Martin Luther King, der ebenfalls unbeliebt war und mit einer Minderheit gegen eine Mehrheit antrat. Er sieht die Letzte Generation auch als Weiterentwicklung aus der Grundlagenarbeit von Fridays for Future. Er sieht die Kritik aber auch als Indikator für den Erfolg der Proteste.
Eine persönliche Frage war, wie der Aktivist zur Letzten Generation kam. Seine Geschichte ist der Ausbruch aus dem Alltag während eines Erasmus-Jahrs in Frankreich, bei dem er Aktivistinnen der Letzten Generation kennenlernte. Vorher sei er nie politisch gewesen, weil er privilegiert und nicht betroffen sei. Bei der Klimakrise habe er aber eine persönliche Betroffenheit gefühlt. Er ging zu Vorträgen, machte ein Protesttraining, stellte kritische Fragen und wurde überzeugt. Er habe aber nie Interesse gehabt, an gewalttätigeren, gegen die Polizei gerichteten Protesten wie in Lützerath teilzunehmen.
Die nächste Frage betraf die Grünen. Die Frage nahm die Prämisse an, dass diese zu wenig täten und zu sehr andere Themen belegten, so dass unklar sei, wen man denn in dieser Frage überhaupt wählen solle. Es bestehe etwa eine Sympathie für die CDU, aber deren Position zu Klima sei indiskutabel. Der Aktivist antwortete, dass dies Stärke und Schwäche der Demokratie sei: ein Zwang zum Kompromiss. Diesem unterlägen natürlich auch die Grünen. Deswegen sei es wichtig, sowohl zu wählen als auch kritisch zu sein. Er vertraue demokratischen Werten und der Demokratie, aber es gebe keine Partei, mit der er sich 100% wohlfühle, und das könne es in der Demokratie auch nie geben. Deswegen seien andere Partizipationsformen wie Protest und ziviler Ungehorsam so wichtig. Er schloss mit einem Aufruf, immer wählen zu gehen.
Daraufhin wurde gefragt, ob an der Letzten Generation medialer Rufmord betrieben würde; die Person empfinde die Proteste zwar nicht als super, aber auch nicht als so schlimm wie oft dargestellt. Der Aktivist erklärte, grundsätzlich frustriert über die Berichterstattung zu sein, betonte aber, dass Angriffe auf den Status Quo immer kritisiert würden. Es gehe ja nicht um das wissenschaftliche Wissen (das eindeutig sei), sondern um die Kommunikation dieser Ergebnisse und ihrer Dringlichkeit. Deswegen sei er auch froh, dass niemand über das „beknackte“ Tempolimit diskutieren wollte, das nur Symbolpolitik sei. Er sei frustriert über das Derailing des Hauptthemas durch solche Nebensächlichkeiten.
Eine weitere Frage war, wie viele Möglichkeiten die Letzte Generation habe, Themen in den Medien zu platzieren. Der Aktivist erklärte, dies sei ein Auf und Ab, wie auf einer Sinuskurve. Manchmal gelinge es, in die Nachrichten zu kommen, manchmal nicht. Zudem seien nicht alle Medien wegen ihrer jeweiligen Haltung interessiert, die Letzte Generation zu Wort kommen zu lassen. Vielleicht bestehe auch die Furcht einer Art Gehirnwäsche durch die Letzte Generation. Deswegen empfinde er Austauschformate wie das aktuelle auch als wertvoll. Ein kompletter Konsens sei aber weder erreichbar noch erwünscht.
Das rief die Nachfrage hervor, wie man sich über Stereotype beschweren könne, die durch die eigene Protestform direkt hervorgerufen werden müssten. Aktuell funktioniere es ja wohl nicht, weil die Ablehnung groß sei. Dem Aktivist war wichtig, dass die Letzte Generation nicht geliebt werden wolle. Fridays for Future sei geliebt worden, und sie seien geliebt worden von der Politik, die Verantwortung auf die Bewegung abgeschoben habe. Die Letzte Generation wolle aber die Verantwortung klar der Politik zuweisen.
Eine weitere Frage betraf seine persönlichen Kosten. Der Aktivist, der auf Lehramt studierte, erklärte, dass er ein Problem habe, weil er vermutlich bald einen Eintrag im Vorstrafenregister wegen Nötigung haben würde, der eine Einstellung an der Schule verhindere. Er habe in einem langen Prozess aber die Entscheidung getroffen, dass ihm sein Gewissen wichtiger sei, und drückte die Hoffnung aus, dass eine spätere Neubewertung erfolgen werde. Wenn dies nicht passiere, wolle er auch kein Teil dieses Systems werden. Er wolle auch nicht nur fachliche Inhalte vermitteln, sondern Menschen zum kritischen Hinterfragen erziehen. Das müsse er dann anderweitig tun.
Danach wurde gefragt, was geschehe, wenn die Regierung das Klimaschutzgesetz nicht hinreichend überarbeite. Der Aktivist drückte Vertrauen in die Gerichte aus. Demokratie bestehe zudem aus ständigen Aushandlungsprozessen, so dass Nachbesserungen möglich seien. Gleichzeitig laufe aber die Zeit davon; es seien nur noch wenige Jahre Zeit, bevor sich die Zeitfenster (Kipppunkte!) schlössen. Der Rechtsstaat und die Demokratie seien naturgemäß langsam und könnten auch durch Proteste nur eingeschränkt beschleunigt werden.
Damit endete die Runde. Ich hoffe, das war für euch einigermaßen interessant. Für mich sehr beruhigend war einerseits der Realismus des Aktivisten, andererseits sein klares Bekenntnis zur Demokratie. Egal wie man zu den Protestmethoden steht, Antidemokrat*innen sind es nicht. Das ist schon viel wert.
Die Forderungen der Letzten Generation seien die Wiedereinführung des 9€-Tickets, ein Tempolimit von 100km/h, ein Gesellschaftsrat und der Ausstieg aus fossilen Energieträgern.
Und solange diese Forderungen nicht erfüllt werden, machen die Aktivisten mit klar illegalen Aktionen weiter. Egal, ob sie für diese Forderungen eine Bevölkerungs- oder politische Mehrheit haben.
Egal wie man zu den Protestmethoden steht, Antidemokrat*innen sind es nicht.
Aber sind natürlich perfekte Demokraten. Siehe oben. Mann, Mann, Mann …
Gruss,
Thorsten Haupts
Solange die Forderung nach Gleichberechtigung der Afroamerikaner*innen nicht erfüllt war, machten MLK und seine Weggefährten auch weiter, egal ob sie für diese Forderungen eine Bevölkerungs- oder politische Mehrheit hatten.
Solange die Forderung nach Aufhebung der CoronaSchutzmaßnahmen nicht erfüllt war, machten die Aktivisten auch weiter, egal ob sie für diese Forderungen eine Bevölkerungs- oder politische Mehrheit hatten.
Usw.
Wer eine Mehrheit hat, braucht nicht zu protestieren. Sorry, aber das ist einfach dummes Gerede.
Es ging konkret um die Frage, ob jemand Demokrat ist, der versucht, demokratisch ihm nicht genehme Mehrheiten durch illegale Aktionen zu erzwingen, hier sogar zur Umsetzung sehr konkreter Einzelmassnahmen!
Nein, ist er nicht.
Die Proteste gegen Corona-Schutzmassnahmen waren übrigens nicht illegal – den Unterschied kannst also auch Du erkennen.
Der Vergleich mit der Unterdrückung der Schwarzen in den USA hinkt gewaltig – hier lag a) ein eindeutig klarer Menschenrechtsverstoss bereits aktiv vor (und nicht ein vermuteter in der Zukunft) und b) war dieser Verstoss nationalstaatlich zu heilen. Beides trifft auf die „Letzte Generation“ nicht zu!
Gruss,
Thorsten Haupts
„…und nicht ein vermuteter in der Zukunft“
Dafür muss man sich aber schon Augen und Ohren ganz fest zuhalten. Der Klimawandel ist längst da.
https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimafolgen-anpassung/anpassung-auf-bundesebene
Menschenrechte gelten nicht nur dann, wenn sie „nationalstaatlich zu heilen“ sind. Auch steht im „Klimaruteil“ aus Karlsruhe nicht: Weil Deutschland so klein ist, brauchen wir nicht so viel tun.
„Die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden sind durch die angegriffenen Bestimmungen aber in ihren Freiheitsrechten verletzt. Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030. Dass Treibhausgasemissionen gemindert werden müssen, folgt auch aus dem Grundgesetz.“
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html
Die Argumentation der LG ist, dass die Regierung aktuell rechtswidrig handelt und dass sie sie zu rechtskonformem Handeln zwingen wollen. Dem muss man nicht zustimmen, aber die Parallele zu MLK ist offenkundig. Ist ja nicht so, als wäre deine Bewertung (der ich voll zustimme!) damals auch nur entfernt mehrheitsfähig gewesen.
Gerade wenn man das übergeordnete Rahmenthema „Ost-West-Konflikt“ betrachtet, hätte sich mir die Frage nach meinem Lieblingsthema aufgedrängt: Wie steht die LG zum neuentdeckten deutschen Bellizismus (der in opportunistisch breiter Querfront auftritt) – oder genauer, warum interessiert sie sich weder für die massiven Klimaschädigungen durch die Militärs noch für das Verschwenden der für eine Transformation nötigen gesellschaftlichen Mittel im Rüstungsapparat ?
Weil sie sich bewusst aus anderen Themen raushalten. Das wäre Greta Thunberg auch gut zu Gesicht gestanden.
Ist das seine (geäußerte) Ansicht gewesen oder jetzt deine Interpretation? Nach deinem Bericht ist das Thema (leider) gar nicht aufgekommen.
Denn das Militär ist national wie international der größte Klimakiller. Eine Betriebsstunde Kampfflugzeug entspricht dem jährlichen CO2 Abdruck eines Durchschnittsdeutschen.
Und da ist die in deinem zweiten Satz implizierte Drohung entlarvend: Ihr könnt euch gerne unbeliebt machen, die Autofahrer ärgern – aber wenn es gegen das Mil-Ind-Kartell geht, werden wir einen Spiegel-Journalisten auf eure Reputation ansetzen.
„Denn das Militär ist national wie international der größte Klimakiller“
Und das besonders im Krieg. Deshalb frage ich mich, warum besonders betroffene Länder wie Indien und Brasilien weiter mit Putin Geschäfte machen, statt ihn zum Aufhören zu drängen.
Sie haben recht, aber ein Denkfehler ist dabei: Der Atmosphäre ist Moral komplett egal. Würden Sie in Ihrer Aussage auch Putin gegen Selensky oder Netanjahu austauschen ? Und wie ist es mit den lauwarmen Kriegen etwa in Syrien ? Wollen Sie deren Akteure auch sanktionieren?
Wer könnte um welchen Preis sofort aufhören?
Zwei würden massiv verlieren. Einer würde gewinnen. Und die Atmosphäre sowieso.
@ Stefan
Erst einmal vielen Dank für den sehr interessanten Beitrag.
In jedem Falle kann ich dem Punkt folgen, dass es sich bei diesem jungen Mann um einen Demokraten handelt. Vielleicht nicht ganz meine politische Geschmacksrichtung, aber dennoch. Nicht jeder, der bewusst gegen Vorschriften oder Gesetze verstößt (Rasen, Alkohol am Steuer, Ladendiebstahl) ist antidemokratisch. Wie auch immer: Die rechtlichen Konsequenzen seiner Handlungen muss er tragen.
Den Wunsch, etwas zu verändern, kann ich gut nachvollziehen, halte das aber angesichts der politischen Situation momentan für recht zwecklos. Jeder Politiker wird sich um das, was ihm heute unter den Nägeln brennt (z.B. Haushalt), eher kümmern als um Probleme von morgen (Folgen des Klimawandels), zumal letztere ihm nicht direkt zugeordnet werden können.
Immerhin hast Du es durch Deinen Beitrag geschafft, bei mir etwas mehr Verständnis zu wecken (solange sie Rettungsgassen freilassen und keine Kunstwerke verschandeln 🙂 ).
Ja, so geht’s mir auch. Toll finde ich die nicht, aber interessant war’s, und man versteht die Leute besser. Danke!
Mit dem Verständnis habe ich überhaupt kein Problem. Mit der Entschuldigung und der umstandslosen Eingemeindung als Demokraten habe ich das Problem.
@ Thorsten Haupts 13. Dezember 2023, 15:59
Mit dem Verständnis habe ich überhaupt kein Problem. Mit der Entschuldigung und der umstandslosen Eingemeindung als Demokraten habe ich das Problem.
Ich glaube herausgelesen zu haben, dass der junge Mann bereit ist, die Konsequenzen der Rechtsverstöße zu akzeptieren. Und wie gesagt, setzen sich genug Leute betrunken hinters Lenkrad, parken falsch, hinterziehen Steuern etc., ohne dass man aus diesen Rechtsverstößen ein grundsätzlich undemokratisches Verhalten ableiten kann.
Explizit sogar. Er sagte, dass er die Einträge ins Vorstrafenregister und das damit drohende Berufsverbot bewusst auf sich genommen hat.
Ist okay Erwin. Ich kann einfach deshalb nicht zustimmen, weil ich das immer in Grundsätze übersetze. Und hier wäre der Grundsatz „Wenn jemand aus für ihn persönlich überragenden moralischen Gründen bewusst Gesetze und Verordnungen missachtet, um frei gewählte Parlamente zu bestimmten Handlungen zu zwingen, ist er (trotzdem) ein Demokrat“.
Und dem Grundsatz kann und will ich nicht zustimmen, Beweisvortrag abgeschlossen.
Gruss,
Thorsten Haupts
@ Thorsten Haupts 14. Dezember 2023, 09:49
…um frei gewählte Parlamente zu bestimmten Handlungen zu zwingen, …
Mit dieser Intention ist er im Einklang mit dem Bundesverfassungsgericht.
(Duck und wech … 🙂 )
Mit der Intention vielleicht, mit den Mitteln ganz sicher nicht. Wegducken erfolglos 😎 .
Kann man so sehen. Muss man nicht.
Was machen Lehrer eigentlich mit unseren Kindern? Die einen schleppen sie zu FFF-Demos, die anderen zu einem Vertreter einer Organisation, die unter dem Verdacht steht, eine Kriminelle Vereinigung zu sein. Es ist nicht den Schülern anzulasten, dass LG das zum White Washing (oder heißt es „Green Washing“) nutzte und 16-18jährige nur mit Wattebäuschchen werfen konnten. Hier ist ein 25jähriger Lehramtsanwärter einfach im Vorteil.
Wenn der Sinn ist, Argumente zu entwickeln und sich mit anderen Positionen auseinanderzusetzen, erhebt sich die Frage: Wann steht eigentlich ein Besuch bei Querdenkern, Reichsbürgern oder zumindest einem AfD-Vertreter an? Ich bin sicher: Danach steht auch das Resumee, es zumindest mit Demokraten zu tun zu haben.
Diese Demos waren unangekündigt, das Erzeugen einer Störung war bewusstes Ziel der Proteste, um so Aufmerksamkeit zu erzeugen. Über 27 Tage Protest und 9000 Festnahmen überforderten die Behörden derart, dass es ihnen nicht möglich war, sie zu unterdrücken. (..)
Sein Protestverständnis folge dabei dem unbedingten Primat der Gewaltfreiheit, wodurch neben der Gemeinwohlförderlichkeit eine moralische Überlegenheit gegenüber der Gewalt anwendenden Regierung entstünde.
So sieht also ein lupenreiner Demokrat aus. Das ist jemand, der gezielt den ordnenden Staat, der das Gewaltmonopol besitzt, so überfordert, dass er seiner ordnenden Funktion nicht mehr nachkommen kann. Und seit wann ist Nötigung „gewaltlos“? Der Großteil der Anzeigen dreht sich um Nötigung.
Tja, aber da hätten etwas weniger wohlwollende Opponenten dabeisein müssen und nicht willfähige Lehrer, die einer ohnehin mit der Einordnung der Informationen überforderte Schülerschaft erzählen lässt, dass selbstverständlich Unternehmen, aber nicht die Bürger den Wandel zur Klimaneutralität bezahlen müssen.
Inhaltlich konnte offensichtlich – und das ist kein Vorwurf an die Jugendlichen – dem Aktivisten Paroli bieten. Dass die Theorie der Kipppunkte in dieser Form Quatsch sind – nichts dagegen. Dass die mittels Nötigung Veränderung der Verfassungsordnung nichts mit demokratischer Gesinnung zu tun hat – das Argument könnte mancher längst kennen. Dass die Forderung nach dem 9€-Ticket reine Klientelpolitik ist – auch das ist als Argument so abgestanden, dass man staunt, solche Aktivisten noch so frei reden zu lassen.
Die Veranstaltung war offensichtlich als Bestätigung der miesen PISA-Ergebnisse gedacht. Das zumindest ist gelungen.
@ Stefan Pietsch 13. Dezember 2023, 17:59
Hier hab ich halt eine andere Sicht.
Deswegen sei er auch froh, dass niemand über das „beknackte“ Tempolimit diskutieren wollte, das nur Symbolpolitik sei.
Lol, das ist doch deren eigene Forderung?
Egal, sehr spannend auf jeden Fall, vielen Dank!
Ich bin da ein bisschen hin- und hergerissen, weil ich durchaus der Meinung bin, dass Arten von zivilem Ungehorsam legitime (und erfolgreiche) Protestformen sein können. Ich finde, er hat auch einen Punkt damit, dass FFF schon vor dem Thunberg-Debakel an einem toten Punkt angelangt war.
Aber ich mag halt die Letzte Generation nicht. Dass ich mit dieser Apokalyptik nichts anfangen kann, ist ja noch mein persönliches Problem. Nur wenn man einen Weihnachtsbaum ansprüht oder sich an ein Ölgemälde klebt, um gegen Öl zu protestieren, passiert eine ganze Menge und man bekommt unbedingt viel Aufmerksamkeit. Nur über irgendwas mit Klima redet halt keiner.
Die Widersprüche in seiner Argumentation sind hier ja auch gewaltig. Ich bin da auch von beiden Seiten genervt, das ist mittlerweile eher wahlloser Vandalismus, der eine langatmige Presseerklärung braucht, um das irgendwie mit zehn Schleifen mit ihrem Thema zu verbinden und die Gegenseite macht ne neue RAF draus. (während 27 bewaffnete Reichsbürger ein paar Wirrköpfe sind) Gott, geht mir das alles auf den Keks.
However, ich nenn mal zwei Beispiele, bei denen ich aus heutiger Sicht denke, dass es besser funktioniert hat: Castor-Transporte und hier das Südstaaten-Busdings. Auch hier wurde absichtlich gegen Gesetze verstoßen und die Polizeiaktionen gehörten dazu. Es hatte aber etwas Selbsterklärendes, niemand brauchte ne Presseerklärung, um zu kapieren, wogegen oder wofür da protestiert wurde. Das machte es für die Massen ja auch einfacher, sich zu positionieren, MLK ist ja auch erst später auf den Zug aufgesprungen.
Jepp, er war da glaube ich kein Fan, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Also nicht inhaltlich, der ist gegen Autos generell, sondern als politische Strategie. Stimme ich ihm auch sofort zu, ich halte das auch für völlig bekloppt.
Mir geht es genauso wie dir ansonsten.
@ Ariane 14. Dezember 2023, 10:42
[Deswegen sei er auch froh, dass niemand über das „beknackte“ Tempolimit diskutieren wollte, das nur Symbolpolitik sei.]
Lol, das ist doch deren eigene Forderung?
Mag sein, Recht hat er trotzdem.
Knapp die Hälfte der Autobahnen sind bereits mit einem Tempolimit belegt. Der verbleibende Rest wird durch viele Baustellen ausgebremst. Und dort, wo wirklich freie Fahrt genutzt werden könnte, beschränkten sich die allermeisten Autos bereits freiwillig auf Tempo 120 – 140 km/h. Der flott fahrende Rest tut das in der Regel mit hochmodernen Autos, die auch bei hohem Tempo weniger Abgase ausstoßen als 20 Jahre alte Schlurren bei Richtgeschwindigkeit. Soll heißen: Forderungen für oder gegen ein Tempolimit sind von beiden Seiten nur für die Bühne, das Leid sind Phantomschmerzen.
Nun hört man zwar immer von Rasern, aber das sind Spinner, die in der Regel dort übertreiben, wo die Geschwindigkeit bereits begrenzt ist. Bei denen hilft das vorhandene Tempolimit genauso wenig wie weitere, Zukünftige Beschränkungen.
Ja Zustimmung, aber war halt deren eigene Forderung. (was ja an sich schon widersinnig ist, wenn man den Weltuntergang aufhalten will und dann mit einem Tempolimit kommt)
Die Deutschen wissen es einfach besser. Man müsste unsere Nachbarn halt aufklären, dass ihr Tempolimit Mumpitz ist.
@ CitizenK 14. Dezember 2023, 18:49
Die Deutschen wissen es einfach besser. Man müsste unsere Nachbarn halt aufklären, dass ihr Tempolimit Mumpitz ist.
Sei doch nicht immer wieder so ideologisch unterwegs 🙂
Auf den gut ausgebauten Autobahnen Frankreichs, Hollands oder Dänemarks wäre ein flächiges, von heute auf morgen entfallendes Tempolimit sicherlich mit vielen Toten verbunden. Aber unsere Autobahnen sind nicht ohne Limit; das gilt nur noch für wenige Teilstücke. Und da, wo zu schnelles Fahren Tote verursacht, sind es normalerweise nicht „Autobahn-Raser“; diese Unfälle passieren in der Regel auf landstraßen, die bereits limitiert sind.
https://www.adac.de/news/verkehrstote-landstrasse/
Was ein allgemeines Tempolimit für Auswirkungen auf Klimawandel oder Verkehrstote hat, mag meßbar sein, ist aber nicht relevant. Deshalb von beiden Seiten ein Schaukampf
Deshalb von beiden Seiten ein Schaukampf
Realistisch betrachtet ja. Womit die Verbissenheit und Ausdauer derjenigen, die die wenigen Kilometer ohen Tempolimit unbedingt weghaben wollen, einige Fragen aufwirft. Bzw. bei mir einige bösartige küchenpsychologische Vermutungen über das echte Motiv (Klimaschutz kann´s nämlich nicht sein).
Sehr spannender Einblick, danke!
Ich bin bei der Bewertung bei Erwin und sehe auch kein antidemokratisches Verhalten bei diesem Mann, so wie von Dir Stefan geschildert.
Ich frage mich aber, wie die Letze Generation mit dem zunehmenden Frust umgehen wird, wenn nichts passiert. In der Regel kippen irgendwann Teile solche Bewegungen ins radikal extremistische…
Oder sie lösen sich halt auf, das ist das, was meistens passiert.
In einem Punkt hat Herr Pietsch recht: Diskussionen von Schülern mit politischen Personen, egal ob Parteipolitiker, Lobbyist oder Aktivist, können problematisch sein, wegen Beutelsbacher Konsens, Indoktrination und so.
Aber diese Debatte lief beidseitig geradezu vorbildhaft konstruktiv, was wohl viel zu Stefan Sasses positiveren Einschätzung der LG beigetragen hat.
Die Schüler haben offen Fragen gestellt, sich nicht in kleinteilige „aber“ Diskussionen verhakt und keine Inquisitionsspiele a la „Wegen euch könnte ein Kinderkrankenhaus niederbrennen. Finden Sie das ok?“ gemacht.
Der Dozent hat klargemacht, dass es sich nur um eigene Meinungen handelt, keine ausweichenden „Politikerantworten“ gegeben und nur begrenzt moralisiert.
Ne, das ist überhaupt kein Problem. Solange Kontroverses kontrovers behandelt wird, haben wir kein Problem.