Rezension: Tristan Donovan – Replay: The History of Video Games

Tristan Donovan – Replay: The History of Video Games (Hörbuch)

Noch immer sind Videospiele ein vergleichsweise junges Medium. Wenn sie überhaupt als Kunst anerkannt werden, dann üblicherweise in einem sehr eingeschränkten Rahmen. Diejenigen, die das ändern wollen, versuchen durch allerlei Meinungsstücke, Analysen und Geschichtsschreibung, hier Fortschritte zu machen. Ein solcher Versuch liegt mit „Replay“ vor, dessen Autor Tristan Donovan versucht, eine Gesamtgeschichte des Mediums vorzulegen, die sich vor allem auf die Innovationen und wichtigen Entwicklungsschritte und weniger auf die berühmtesten und bekanntesten Titel fokussiert.

In Kapitel 1, „Hey! Let’s Play Games!„, starten wir in den 1940er und 1950er Jahren mit den ersten Computern, die damals noch Lochkarten nutzten und ganze Zimmerkomplexe füllten, um die Funktion der heutigen Taschenrechnerapps auszufüllen. Diese ersten Ansätze kamen von den wenigen Computer-Nerds der damaligen Zeit und waren natürlich blanke Spielerei, weil schon allein die Vorstellung, dass die sündteuren, riesigen Geräte jemals für private Spielereien gebraucht werden können, völlig absurd schien. Als in den Universitäten und im Pentagon in den 1960er Jahren aber erstmals halbwegs brauchbare Computerformate standen, gab es auch Leute, die darauf erste – sogar grafische – Spiele programmierten. Der überwiegende Teil der Informatiker war allerdings der Überzeugung, dass Computer eine unglaublich ernsthafte Sache seien, zu denen keinesfalls Spielereien passten.

Das änderte sich allerdings, als die privaten Spielereien einige Systemadministratoren von Leuten entdeckt wurden, die Begeisterung für das neue Medium mit Geschäftssinn und paarten. Kapitel 2, „Avoid missing ball for high score„, führt uns zum ersten Phänomen des Computerspielzeitalters: Pong. Das Spiel verbreitete sich rasant in den Arkaden, die bisher die Heimat von Pinball-Maschinen waren und denen ein Image von Sünde und organisierter Kriminalität anhaftete. Anders als Pinball aber begeisterten die neuen elektronischen Automaten nicht die Arbeiterklasse, die nach Feierabend ihr hat erarbeitetes Geld in den Maschinen verschwinden ließ, sondern die Jugendlichen#, die damals zum ersten Mal als eigene Konsumentenklasse entdeckt wurden.

Die Technik, selbstverständlich, ließ damals noch zu wünschen übrig. Es war vor allem der Neuigkeitswert der Maschinen und die Erschließung bisher ungenutzter Kundenpotentiale, die sie plötzlich interessant machten. Nachdem bei den ersten Computersystemen die Auseinandersetzung vor allem zwischen den ernsthaften Informatikern und den Spielern gewesen war, trat in den 1960er Jahren zum ersten Mal ein prägender anderer Konflikt auf: der zwischen Geeks und Unternehmern. Während erstere vor allem die Grenzen der Technik ausreizen und möglichst anspruchsvolle Spiele gestalten wollten, Interessierten sich letztere für die Vermarktbarkeit. Immer wieder prallten diese Vorstellungen aufeinander, befruchten sich aber gleichzeitig gegenseitig und sollten in den 1970er Jahren zur Eroberung der Wohnzimmer beitragen.

In Kapitel 3, „A Good Home Recreation Thing„, sehen wir die Entstehung der ersten Konsolen. Sie wurden als TV-Spiele vermarktet und benutzt, was der Technik klare Grenzen auferlegte. Zwar war es, anders als bei den existierenden und ihren Privathaushalten praktisch nicht verbreiteten Computern, auf diesen Konsolen möglich, grafische Spiele zu erstellen. Diesen Bemühungen waren allerdings klare Grenzen gesetzt, wie die Hardware von Computern, entsprechende Bildschirme und finanzielle Feuerkraft vorausgesetzt, würde sprengen können. Dies allerdings war zu jener Zeit noch Zukunftsmusik.

Auf Computern indessen fanden Ernsthaftere Spiele eine Heimat, eine Dynamik, die den Gegensatz zwischen Computern und Konsolen noch über viele Jahre prägen sollte. In dieser Periode war der König des Computers das Textadventure, bei dem die Spielenden Texte lasen und sprachliche Befehle eingaben, die je nach Programmierfähigkeiten des Studios unterschiedlich gute Ergebnisse hervorbringen konnten.

In diese Zeit fällt auch der kometenhafte Aufstieg der Firma Atari, den wir in Kapitel 4, „Chewing Gum, Bailing Wire and Spit„, verfolgen. Die titelgebenden Materialien waren in einem geflügelten Wort in den Anfangsjahren der Firma das einzige, das die Kisten zusammenhielt. Bei Atari zeigte sich der Konflikt zwischen den Geeks und den Unternehmern am deutlichsten: die hochfliegenden Visionen der Geeks produzierten einige innovative Produkte, die großen Erfolg hatten, aber ihnen fehlten die unternehmerischen Fähigkeiten, um diesen zu verstetigen. Das war dann die Rolle der Unternehmer, die aber gleichzeitig zu einem Abfall der Produktqualität führten – der dann 1982 zur Katastrophe führen sollte.

Eine weitere Firma, die in diesen Tagen ihre Gründung erfuhr, war Apple. Auch sie trat an, um Videospiele in das heimische Wohnzimmer zu transportieren. Der Apple II nahm den auch den Kampf mit anderen Heimrechnern auf. Gleichwohl blieben Computer in dieser Zeit noch ein absolutes Nischenprodukt, während Konsolen wie die von Atari den Markt eroberten.

Die Genres unterschieden sich auch entsprechend deutlich. In Kapitel 5, „The Biggest Eureka Moment Ever„, werden die Genres vorgestellt, die die damaligen Computerspiele dominierten. Wegen der Hardwarebeschränkungen konnten Actionspiele, wie sie auf den Konsolen populär waren, nicht hergestellt werden. Stattdessen dominierten Rollenspiele, die sich für eine Adaption auf der Genre der Textadventure hervorragend eigneten und Adaptionen von Brettspielen, vor allem der beliebten Wargames, deren komplexe Regelwerke das Spielen am heimischen Spieltisch neben ihrer großen Länge zu einer Qual machen konnten, beides Faktoren, die der Computer lösen konnte.

Kapitel 6, „High-Strung Primadonnas„, wendet den Blick zurück zu Atari. Die Firma wurde durch Warner übernommen, was ihr den dringend benötigten Cash gabt, um ihre aufstrebende Konkurrenz beseitigen und Marktdominanz erreichen zu können. Für die Corporate Culture war dies jedoch ein Schock: die Profis von Warner Konten mit der Nerdkultur bei Atari wenig anfangen und umgekehrt. Zum größten Streit kam es jedoch, als den Kreativen klar wurde, welch großen Anteil sie an den Verkäufen hatte und wie wenig ihnen relativ dazu bezahlt wurde. Warner lehnte eine Beteiligung der Kreativen an den Gewinnen, wie sie etwa in Hollywood üblich war,  kategorisch ab, zu einem wahren Exodus dieser Kreativen führte, die ihre Kenntnisse in eigene Startup Firmen mit Namen und Atari Konkurrenz machten.

Doch nicht nur dieses Fleisch vom eigenen Fleisch bedeutete Konkurrenz für Atari. Wie Kapitel 7, „Pac-Man Fever„, zeigt, fand in den Arkaden genauso wie bei den Heimkonsolen ein riesiger Boom statt, bei dem technisch ausgereifte und hoch populäre Spiele die sauer verdienten Taschengeldbeträge der Teenager schluckten. Vor allem Space Invaders und Pac Man dominierten diese Phase. Letzteres schaffte es sogar durch seine Themensetzung, den bisher unerreichten Markt für junge Frauen zu erschließen und sie in die Arkaden zu locken. Es gelang der Industrie dadurch auch, das schlechte Image aus der Pinballzeit loszuwerden und sich als Orte für die Familie zu etablieren. Spielautomaten eroberten die neuen Malls und erlebten eine wahre Investmentblase, bei der selbst Friseure die Maschinen bei sich aufstellten, ohne realistische Chance, das Investment je zurückzuerwerben.

Kein Boom kommt jemals ohne Backlash aus. Kapitel 8, „Devillish Contraptions„, zeigt die erste große moral panic über Videospiele, ausgelöst (unbeabsichtigt) durch den damaligen Surgeon General, der in einem Interview beiläufig erwähnte, dass er wenig von den Spielen halte und dann als Kronzeuge für ihre angeblich gesundheitsschädliche Wirkung herangezogen wurde. Seine Versuche, deutlich zu machen, dass er dies so nie gesagt oder gemeint habe, blieben in der aufgeheizten Atmosphäre selbstverständlich ohne Wirkung.

Doch auch jenseits der Tugendwächter*innen geriet die Branche in Schwierigkeiten. Die Blase musste irgendwann platzen, und Anfang der 1980er Jahre tat sie das mit Gewalt. Eine Ursache dafür war die unglaublich schlechte Qualität der damaligen Spiele, weil zahlreiche Drittanbieter Schrottprodukte für die Atarikonsole produzierten. Die Firma hatte nie erwartet, dass jemand außer ihnen spiele für ihr Gerät herstellen würde und deswegen keinen Schutz eingebaut. Aber auch die Spiele der Firma selbst waren unter dem Druck Warners wesentlich schlechter geworden. Legendär war hier das in wenigen Wochen zusammengeklöppelte „ET“, das versuchte, von der Filmlizenz zu leben und den Ruf der Firma und des Mediums nachhaltig ruinierte. Aber selbst bessere Spiele gerieten an die Grenzen der Technologie: zu wenig Arbeitsspeicher und die schlechten Bildschirme des Fernsehers sorgten für sehr repetitives und primitives Gameplay.

Dazu kam die Konkurrenz von einer ganz neuen Technologie, den Videorekorder. Er führte zu einer wahren Renaissance des Films, weil er es den Jugendlichen erlaubte, ihre Lieblingsfilme zu jedem beliebigen Zeitpunkt anzusehen. Damit war eine Konkurrenz für die Bildschirmzeit entstanden, die wesentlich mehr zu bieten hatte als die immer gleichen schlechten Videospiele. Der Konsolenmarkt crashte und würde sich lange Zeit nicht davon erholen. Spiele kehrten in ihre Rolle als Nischenprodukt auf Computern zurück.

In Kapitel 9, „Uncle Clive„, wirft Donovan den Blick auf die Industrien Großbritanniens und Spaniens. Der britische Markt litt von Anfang an darunter, dass es keine europäischen (geschweige denn britische) Hersteller von Computern gab, die amerikanische Computertechnologie war weit voraus. Erst der Erfinder Clive Sinclair erfand billige Elektronik für den Massenmarkt, die britischen Spieleentwicklern – zu denen er auch selbst gehörte – einen eigenen Markt erlaubte. Die britische Spieleindustrie fiel vor allem durch surreale Spiele auf, die eine ganz eigene Art von Humor hatten und nicht eben weltweit vermarktbar waren. In Spanien dagegen entstand in jenen Jahren zwar eine leidlich erfolgreiche Firma, die jedoch im großen Crash mit untergingen und ohne Reserven keine Überlebenschance hatte. Damit endete der kleine spanische Markt effektiv komplett.

Die französische Computerspieleindustrie indessen, die in Kapitel 10, „The French Touch„, beschrieben wird, fiel durch „anspruchsvolle“ Spiele auf. Das spezifisch Französische war ihre Betonung des Historischen gegenüber dem Fantastischen, was das Genre anbelangte. Weltweit führend waren die Franzosen allerdings in der Grafik, weswegen sie von amerikanischen Unternehmen immer wieder angeheuert wurden, um den titelgebenden „French Touch“ Anspiele anzubringen.

Anders als in Spanien gelang es der kleinen Spieleindustrie in Italien, die Periode zu überleben und Spiele für den italienischen Markt zu produzieren. Diese erreichten jedoch nie eine Bekanntheit über die Halbinsel hinaus und blieben daher weitgehend unrezipiert.

Der letzte Blick des Kapitels wendet sich auf den deutschen Markt, der zwar größenmäßig durchaus relevant war, jedoch durch einen eigenen Genre-Schwerpunkt auffiel: die Aversion gegen Gewalt in der deutschen Öffentlichkeit sorgte für eine starke Betonung von Aufbauelementen, die sich auch in Brettspielen findet und die bis heute ein Merkmal des deutschen Marktes darstellt. Der geradezu inquisitorische Eifer der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften sorgte zudem dafür, dass zahlreiche Spiele in Deutschland überhaupt nicht erhältlich waren.

In Kapitel 11, „Macintonshization„, wendet sich Donovan der niederländischen Cracking- und Demoszene zu. Die niederländischen Computer-Geeks waren besonders gut darin, Programme zu cracken, um Kopierschutzversuche zu umgehen, und diese dann zu teilen. Die idealistischen Grundlagen der Szene schufen aber gleichzeitig eine neue Subkultur und ein neues Genre, die Demo: auf der einen Seite war dies eine Testversion des Programmes, auf der anderen Seite nutzten die Programmier*innen aber das Cracken, um ihre eigenen Fähigkeiten zu zeigen. Viele der Cracker*innen fanden dann auch Jobs bei den Firmen, deren Produkte sie „crackten“ und oft verbesserten (was in der „Demo“ dann vorgeführt wurde).

Eine weitere Neuerung jener Jahre war die Einführung graphischer Benutzeroberflächen. Die Idee, verschiedene Fenster mit der Maus zu operieren, kam erstmals in den 1980er Jahren auf und würde mit Windows zur Massenreife gelangen. Für Computerspiele war dies insofern relevant, als dass die Steuerung mit der Maus und das Anklicken von Fenstern neue Möglichkeiten für Spiele öffnete. Generell waren PC-Spiele wesentlich komplexer als die auf Konsolen, was sich vor allem im beliebten Genre der Rollenspiele zeigte. Diese eröffneten zahlreiche Möglichkeiten, wobei Richard Garriot („Lord British“, der Schöpfer der Serie Ultima) entsetzt war, dass die Spieler*innen vor allem als Serienmörder durch seine Spielwelten randalierten, weswegen er in Ultima 4 zum ersten Mal ein Moralsystem einbaute, das die Spieler*innen anleitete, „gut“ zu sein. Solche moralischen Spielweisen wurden danach in vielen Games aufgegriffen und sind bis heute relevant geblieben.

Kapitel 12, „A Tool to Sell Software„, erzählt den Aufstieg Nintendos nach. Die Firma, deren Genese mit der Produktion von Spielkarten begann, suchte vor allem nach dem titelgebenden Gerät, mit dem sich Software verkaufen ließ (anders als die anderen Konsolenhersteller der Ära, denen vor allem die Technik ihrer Konsolen wichtig war und die die Software als nachrangig einstuften, was zu der miesen Qualität vieler Spiele führte, die ja auch den Atari-Crash maßgeblich mitbestimmt hatte). Nintendos Erfolg blieb zwar zuerst noch auf Japan beschränkt, aber ihre kartellartige Herangehensweise an die Unternehmensorganisation, die eine klare Kontrolle der Software für ihr System mit sich brachte – eine Neuheit in der Branche – und die rigide Qualitätskontrolle mit Null-Toleranz-Politik für Bugs waren wegweisend. Dazu gehörten auch harte Regeln bezüglich des Inhalts; Nintendo-Spiele enthielten wenig Gewalt und wenig Sexualität, was für das auf Skandalen und Tabubrüchen beruhende Medium eine Neuheit war.

Der Durchbruch Nintendos in den USA wird in Kapitel 13, „I Could Have Sworn It Was 1983„, nacherzählt. Die Firma tat sich wegen der verbreiteten anti-japanischen Stimmung schwer; das erste Produkt der Firma floppte, schon allein, weil es direkt im Nachgang des Atari-Crashs von 1983 erschienen war. Die hohe Qualität der Spiele allerdings überzeugte im zweiten Anlauf mit der Nintendo-Konsole, die auch dank eines konzentrierten Marketingpushs mit kluger Unternehmensstrategie einen beispiellosen Siegeszug in den USA antrat und den Markt für Konsolen quasi im Alleingang wiederbelebte. Dasselbe gelang in in Europa nicht, wo Atari und Amiga dominant blieben und das Spielen eher auf Heimcomputern als auf Konsolen stattfand, ein Trend, der bis weit in die 2000er Jahre anhalten würde und Europa zu einem von Japan und den USA klar abgetrennten und nach anderen Regeln funktionierenden Markt machte.

Die Qualität änderte sich nur in der Bekämpfung von Bugs. In Kapitel 14, „Interactive Movies„, zeigt sich ein Wandel im Anspruch des Mediums. Die steigenden grafischen Fähigkeiten (16 Farben!) der Hardware brachten neue Ambitionen bei den Programmierer*innen hervor, die sich vor allem am Film orientierten. Ein Beispiel hierfür findet sich im Motion Capturing, das etwa „Prince of Persia“ eine ungewohnte Qualität der Animationen gab. Auch das Level-Design orientierte sich zunehmend an Hollywood und seinen Erzählstrukturen, vor allem was das Pacing anging.

Eine andere Richtung, in die diese Einflüsse und Ambitionen trugen, zeigt sich bei Lucasfilm Games, die mit der SCUMM-Engine das Grafik-Adventure perfektionierten. Dabei nahmen sie bewusst Einflüsse aus Hollywood auf, etwa im bahnbrechenden „Maniac Mansion“, das einen Horror-B-Movie veralberte (und wegen der Möglichkeit, einen Hamster in der Mikrowelle zu rösten, einen Skandal in Japan auslöste). „Monkey Island“, „Loom“ und weitere erzählten ebenfalls einprägsame Geschichten mit markanten Charakteren.

Ein weiterer Höhepunkt dieses Trends war „Wing Commander“, in dem lange Zwischensequenzen mit einprägsamen Charakteren und einer ausführlichen Story mit Weltraumkämpfen kombiniert wurden. Die Serie gehört gleichzeitig in die in Kapitel 19 besprochene Blase der interaktiven Spielfilme, denn Teil 3 und 4 der Reihe erreichten Zwischensequenzen in bis dato unbekanntem Umfang und Aufwand.

Wie jeder Trend gab es dazu auch eine Gegenbewegung. In Kapitel 15, „Ah! You Must Be A God„, begegnen wir den Programmierikonen Will Wright und Peter Molyneux, deren Spiele einen völlig anderen Ansatz verfolgten. Wrights erstes großes Spiel, „Sim City“, war ein riesiger Erfolg – obwohl es weder ein Ziel noch eine Story hatte. Der Sandbox-Ansatz, der Spielenden erlaubte, ihre eigenen Ziele zu setzen, erwies sich als wegweisend und unwiderstehlich. Molyneux hatte weniger Glück; seine ersten Unternehmungen waren Fehlschläge. Erst mit „Populous“ erreichte er einen Durchbruch – nicht, dass jemand daran geglaubt hätte; die Veröffentlichung war eher einem glücklichen Zufall geschuldet. Molyneuxs fehlende Fähigkeiten hatten ihn in das Genre der „Gottsimulation“ stolpern lassen, um quasi den Spielenden die Aufgabe zu geben, die miese KI auszugleichen. Auch „Populous“ hatte kein Spielziel und faszinierte durch die große Freiheit.

An Freiheit mangelte es neben modernen Computern bekanntlich vor allem in der Sowjetunion, in der nichts desto trotz Spiele programmiert wurden. Kapitel 16, „A Plane To Moscow„, erzählt die bizarre geschichte der Tetris-Erfindung durch einen sowjetischem Geek. Das Spiel, das sich wie ein Lauffeuer durch die wenigen Computer in dem totalitären Staat verbreitete, erreichte bald auch das Ausland, und die großen Publisher leckten sich die Finger danach. Einen Verbreitungsdeal in einem kommunistischen Staat zu schließen, der für „geistiges Eigentum“ gar kein Konzept hatte (außer, dass alles dem Staat gehörte), war nicht eben leicht, und die Beschreibungen der Verhandlungen sind geradezu surreal. Die unklare Rechtslage sorgte dafür, dass es Nintendo gelang, sich die Handheldrechte zu sichern (weil niemand auffiel, dass nur über normale Konsolen und Computer gesprochen war) und das Spiel zum Flaggschiff seines neuesten Produkts, des Gameboy, zu machen, was entscheidend zu dessen Erfolg beitrug.

Ähnlich wie in Europa spielten Konsolen im Ostblock generell keine Rolle; eigene wuzrden sowieso nicht entwickelt. Osteuropäische Spielehersteller produzierten deswegen nach der Wende vor allem Computerspiele, gerade eher anspruchsvolle, die eine klare Identität aufwiesen und osteuropäische Themen aufgriffen, etwa die Flugsimulation „IL2“, die die Luftschlachten über der Ostfront thematisierte, oder „Stalker“, das sich mit Tschernobyl beschäfitgte. Die Krone osteuropäischer Spieleproduktion dürfte die „Metro“-Reihe darstellen, die einen spezifisch russischen Post-Apokalypse-Touch mit sich brachte.

In Kapitel 17, „Sega Does What Nintendon’t„, erhält der bis dahin unangefochtene Platzhirsch für Konsolen, Nintendo, von seinem japanischen Rivalen Sega Konkurrenz. Deren Produktstrategie, die im titelgebenden Slogan versinnbildlicht wurde, war der Versuch, den Megadrive als Nintendo für Ältere zu vermarkten. Die Konkurrenz zwischen den beiden Firmen würde sich auf Jahre fortsetzen und war äußerst aggressiv und persönlich. Sega setzte sich bewusst von der Inhaltskontrolle auf Harmlosigkeit von Nintendo ab und produzierte anstößige Games, in der Hoffnung, Nintendo als Kinderprodukt einzuhegen und den Markt für Teenager zu dominieren.

Dazu brauchte es eine eigene Marke, die es mit Nintendos Mario aufnehmen konnte. Die Lösung dafür war Sonic, der superschnelle Igel. Die Geschwindigkeit sollte die überlegende Hardware des Megadrive demonstrieren, weil der Aufbau des Bilds auf dem Bildschirm für diesen wesentlich effektiver möglich war als für den in die Jahre gekommenen Nintendo. Sega setzte sich damit an die Spitze der aktuellen Trends.

Die Neigung von Spielen zu Gewalt rief allerdings, wie Kapitel 18, „Mortal Kombat„, zeigt, ihren eigenen Backlash hervor. Das titelgebende „Mortal Kombat“ gehörte zur Kategorie der vor allem in den Arkaden dominierenden Beat’em’ups, in denen zwei Kämpfer*innen gegeneinander antraten. Die Programmierer*innen machten sich wenig Gedanken über die Implikationen dessen, was sie taten. Als sie den „Finishing Move“ für Mortal Kombat programmierten, bei dem auf blutige Art und Weise der Unterlegene besiegt wurde (ein absoluter Renner unter den Spielenden), kam niemand auf die Idee, dass dies vielleicht nicht das beste Material für Kinder war (in einer gesegneten Tradition kümmerten sich die Eltern wenig um das, was ihre Kinder spielten).

Eine riesige Gewaltdiskussion brach sich in den USA Bann, als der demokratische Kongressabgeordnete Joe Lieberman im Kongress eine Untersuchung ansetzte und eine riesige Moral Panic auslöste. Der Spieleindustrie wurde schmerzhaft bewusst, dass sie keine Lobby in Washington besaß und keine Strategie für den Umgang mit solchen Skandalen besaß, was besonders deutlich wurde, als Nintendos und Segas Repräsentaten sich im Kongress vor laufenden Kameras gegenseitig zerfetzten und einander beschuldigten, dem Trend Vorschub zu leisten. Die moralische Panik hatte zwei bemerkenswerte Konsequenzen. Einerseits stiegen die Verkaufszahlen der krisitierten Spiele massiv an; Kontroverse war die beste Werbung. Zum anderen führte die Industrie ein Rating-System für Altersfreigaben ein, um Zensur durch die Politik zuvorkommen. Dieses hatte den paradoxen Effekt, dass wesentlich mehr gewalttätige und anstößige Spiele als vorher auf den Markt kamen, weil das Aufdrucken einer Altersbegrenzung jeglichen moralischen Druck von den Unternehmen nahm, der sie vorher zurückgehalten hatte.

Wenig überraschend, dass es Hersteller gab, die versuchten, pädagogisch wertvolle Spiele zu programmieren. Kapitel 19, „A Library In A Fish’s Mouth„, verfolgt die Entwicklung des ersten ansprechenden Lernspiels nach. Das Genre war bisher eine Halde für Müllsoftware gewesen, von bestenfalls drittklassigen Programmierer*innen nebenbei auf den Markt geworfen. Aber ein neues Medium, die CD,  ermöglichte neue technologische Sprünge durch wesentlich mehr Speicherplatz, die erstmals ausgerechnet von Lernspielen ausgenutzt wurden. Unter den konkurrierenden Formaten setzte sich die CD-ROM schnell als Marktführer durch und verdrängte die anderen Formate, und die rapide sinkenden Kosten für CD-Laufwerke läuteten das Ende der Disketten-Ära ein.

Der nun entstandene Speicherplatz erlaubte den Hollywood-Ambitionen vieler Kreativer völlig neue Möglichkeiten. In den frühen 1990er Jahren war das Genre des interaktiven Films plötzlich der letzte Schrei. Der Höhepunkt dieses Trends kam von Sierra Online, neben Lucasfilm Games wohl dem Hauptprofiteur des Adventure-Booms (man denke an King’s Quest oder Leisure Suit Larry): „Phantasmagoria“. Mit diesem Höhepunkt platzte aber die Blase der „interaktiven Spielfilme“, denen es nicht gelangt, die Kombination von Spiel und Film überzeugend hinzubekommen: die Spiele waren letztlich alle furchtbar schlecht, weil das vefügbare Budget in die Produktion des Films ging. Einen SM-Bondage-Horror-Film als bis dato teuerstes und aufwändigstes Spiel zu produzieren war vermutlich auch nicht Sierras beste Entscheidung.

Eine weitere Blase der frühen 1990er Jahre war Virtual Reality. Sie war damals in aller Munde und mit zahlreichen hochfliegenden Zukunftsvisionen bedacht, die von den technischen Grenzen der Zeit unmöglich eingelöst werden konnten. Zahlreiche Firmen verbrannten riesige Budgets im Versuch, Virtual-Reality-Hardware und Spiele zu erschaffen. Das Gamen im Cyberspace aber bleibt bis heute trotz immer wiederkehrender Versuche ein Desiderat.

Die technischen Voraussetzungen allerdings wurden mit dem Sprung in die Dreidimensionale, wie Kapitel 20, „The Ultimate Display„, zeigt, immerhin grundsätzlich geschaffen. Polygone und Bitmapping stellten Durchbrüche in der Grafiktechnologie dar, die den Computer ab Ende der 1980er Jahre erstmals wesentlich mächtiger machten als Konsolen (wenngleich dies VGA-Grafikkarten erforderte, die damals noch nicht weit verbreitet waren). Diese Technologie wurde von  id Software zur Meisterschaft gebracht. Mit der Jump’n’Run-Reihe „Commander Keen“ schufen sie farbenfrohe Actionwelten, die man bisher nur aus den Arkaden kannte. Wesentlich relevanter aber war der Sprung in den dreidimensionalen Raum, der mit „Wolfenstein 3D“ erreicht wurde (neben einem weiteren Skandal über Gewalt und das Zeigen nationalsozialistischer Propaganda). „Doom“ perfektionierte das Genre 1993 und führte das Deathmatch ein, das 3D-Shooter zu dem Internetphänomen der Zeit machte; „Quake“ würde später auf diesem Erfolg aufbauen. Der Erfolg der Firma gründete sich zu nicht unerheblichen Teilen auf dem Rockstar-Image des Firmengründers John Romero, der dem Ganzen eine glamouröse Übersteigerung gab.

Die Grafiktechnologie wurde allerdings von den Konsolenherstellern schnell adaptiert. Die nächste Konsolengeneration hatte eigentlich in einer Kooperation von Sony und Nintendo entstehen sollen, doch Nintendo verriet seinen Mitbewerber, um das Entstehen neuer Konkurrenz zu verhindern. Der Zug ging nach hinten los, denn Sony arbeitete mit Philipps zusammen und brachte mit Riesenerfolg die Playstation heraus, die ähnlich wie der Megadrive als Konsole für „Große“ vermarktet wurde und wesentlich „erwachsenere“ Spiele als Nintendo anbot – abgesehen vom CD-Format, das mit seinem gegenüber den Kartuschen Nintendos über deutlich mehr Speicherplatz verfügte.

Zum Erwachsenwerden gehörte auch die Diversifizierung der Spielenden. Kapitel 21, „We Take Pride In Ripping Them To Shreds„, befasst sich mit Frauen im Gaming. Die Möglichkeit, überhaupt weibliche Spielfiguren zu benutzen, war lange Zeit praktisch nicht vorhanden (wie übrigens auch Nicht-Weiße Avatare), weil man befürchtete, die fast ausschließlich männliche Spielerschaft zu verprellen. Erste Ansätze in Rollenspielen sorgten denn auch für mehr als hochgezogene Augenbrauen. Der Durchbruch in dieser Hinsicht kam mit Tomb Raider, das eher als Zufallsprodukt entstand, weil Eidos keine Indiana-Jones-Lizenz erhalten konnte. Lara Croft aber wurde zu einem Symbol von Weiblichkeit in Videospielen, im Guten wie im Schlechten.

Frauen als Kundinnen wurden zum ersten Mal aktiv im Barbie Fashion Designer umworben, der ein riesiger Hit war. Mädchen waren generell ein unterentwickelter Markt, der nur langsam entdeckt und erschlossen wurde. Computer galten als männliche Domäne, und die Männer (und Jungs) hielten Frauen offensiv vom Zutritt in diese Sphäre ab. Trotzdem entstanden erste weibliche Clans, die dann durch den grassierenden Sexismus quasi in feminstische Ecke gedrängt wurden: als Reaktion auf die männliche Aggression bildeten sie sich als reine Frauengruppen, die Stolz darauf empfanden, ihre männlichen Konkurrenten zu deklassieren. Mittlerweile haben sich diese harschen Fronten deutlich aufgelöst. Aber ich erinnere mich aus meiner aktiven Zeit noch gut an diese Dynamiken.

Nachdem die bisherigen Kapitel sich viel mit Grafik beschäftigten, wendet sich Kapitel 22, „Beatmania„, dem Ton zu. Erste Musikspiele entstanden bereits in den 1980er Jahren. In Japan waren sie sehr populär, während sie in den USA keinen allzugroßen Erfolg hatten. Das änderte sich erst um 2000 herum mit Guitar Hero und Konsorten, die den bestehenden Power-Fantasies rund um das Erledigen von Gegnerhorden, das Brillieren im Sport oder dem Retten fantastischer Welten die Komponente des Rockstars hinzufügten und vor allem als Partyspiele Furore machten und dadurch Gaming auch eher wenig erschlossenen Gruppen öffneten. Generell waren die Musikspiele allerdings über all die Zeit ein Riesending in den Arkaden, gewissermaßen ein letzter Höhepunkt, bevor diese endgültig vor den Heimgeräten kapitulierten und weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwanden.

Zwar verschwanden mit den Arkaden gesellige Orte des Videospiels, aber wie Kapitel 23, „You haven’t Lived Until You Died In MUD„, zeigt, kamen mit Multiplayerfunktionen ganz neue hinzu. Das erste Onlinespiel, Multi-User-Dungeon, erschien 1980 (!). Es war ein textbasiertes Adventure, das über die damals noch seltenen und sündteuren Modemverbindungen gespielt werden konnte (Season 2 der großartigen Serie „Halt and Catch Fire“ beschäftigt sich mit diesem Phänomen). Dabei kam sehr schnell der Konflikt auf, ob die Software eigentlich eine soziale Umgebung bereitstellte oder ein Spiel war. Dadurch, dass die Idealisten hinter MUD das Spiel offen hielten und es eine aktive Modder-Szene gab, existierte beides parallel, entwickelte sich aber zunehmend auseinander.

Die extrem hohen Preise für Onlineverbindungen (4-10$ pro Stunde, in 1980er Dollars) und die sehr geringe Userbase machten die Monetatisierung dieserr Spiele sehr schwierig, und diejenigen Unternehmen, die es in den 1980er und 1990er Jahren versuchten, scheiterten auch damit (darunter kurioserweise auch Lucasfilm Games). Der erste erfolgreiche Durchbruch dieser Ära war Ultima Online, das zugleich viele Probleme aufzeigte, die Multiplayerwelten bis heute plagten. Die Freiheit der Spieler führte zu Player Kills, generell asozialem Verhalten und dysfunktionalen Gesellschaften, gleichzeitig aber auch zu communitybasierten Ansätzen der Lösung. Die hohe Hürde und das frustierende Spielerlebnis für „Newbies“ hielt den Erfolg abseits der technischen Infrastruktur aber zurück; erst Everquest und vor allem World of WarCraft sollten das Problem mit strukturierten Quests lösen, die den Spielenden deutlich mehr Handlungsrahmen zur Verfügung stellten und Massive Multiplayer breitenfähig machten.

Dadurch entstanden die für Kapitel 24 titelgebenden „Second Lives„. Onlinewelten wurden immer mehr zu Orten, an denen die Spielenden signifkante Zeit verbrachten. Ein Vorreiter hier war ausgerechnet das in den 1980er und zu Beginn der 1990er Jahre noch eher arme Südkorea. Durch ein Importverbot japanischer Software und die geringe Attraktivität (und damit Erschlossenheit) des Markts gab es eine große Raubkopienszene. Die Regierung investierte in den 1990er Jahren jedoch massiv in zukunftstechnologie Breitband, weil sie darin eine zukunftsträchtige Infrastruktur sah (eine Erkenntnis, die in Deutschland auch 30 Jahre später noch auf sich warten lässt). Internetcafes schossen aus dem Boden und erlaubten auch ohne den Besitz eines eigenen Computers das Teilnehmen am Onlinespiel.

In Südkorea wurden eigene MMORPGs entwickelt, die auch weitgegehend auf die geteilte Halbinsel beschränkt blieben und die den Fokus auf großen Gruppen legten, die etwa Burgbelagerungen und Ähnliches durchführten. Ein eigenes Phänomen aber war StarCraft, das in Korea gigantische Erfolge feierte, zu einem riesigen Massenphänomen wurde und die eSportsszene eigentlich begründete. Auf Jahre spielte Südkorea bei der Professionalisierung von Videospielen Spielen in einer völlig anderen Liga als der Rest der Welt, selbst als die USA und Japan (Europa sowieso).

Doch nicht alle Spielenden – nicht einmal die Mehrheit – war an so knallhartem Wettbewerb interessiert. Wie Kapitel 25, „Little Computer People„, skiziiert, waren harmlosere Simulationen wesentlich interessanter. Will Wright, der Kopf hinter SimCity, erfand eine Menschensimulation. Zuerst fand er damit bei Maxis kein Gehör, da das Managment nicht glaubte, dass diese Idee als Spiel taugte; erst als EA Maxis aufkaufte, ging „Die Sims“ in die Entwicklung und entwickelte sich zu einem gigantischen Hit. Der natürliche Narzismuss aller Spielenden erwies sich als massiver Anreiz, sich selbst im Spiel zu verwirklichen.

Das geschah auch über ein eher randständiges Feature, die Replayfunktion von Quake: sie begann ihr eigenes Genre der Filme durch Spielende, das in der Folgezeit Unmengen von Content in Form von Memes und Videos hervorbringen und die Spielenden auch kulturell untereinander verknüpfen sollte. Diese Verknüpfungen wurden für Wohl und Wehe der Spiele und ihrer Firmen immer wichtiger, so dass professionelles Community Managment zu einem dauerhaften Posten wurde.

Noch immer allerdings blieb Gaming auf einen recht überschaubaren Anteil der Bevölkerung beschränkt Es war, wie Kapitel 26, „All-Access Gaming„, aufzeigt, erneut Nintendo, die hier zu neuen Ufern aufbrachen. Als der Sega Dreamcast Ende der 1990er Jahre kläglich scheiterte und Microsofts XBox dank „Halo“ wie eine Bombe einschlug, schienen die Tage Nintendos, deren Nintendo64 nie die Höhen der vorherigen Maschinen erreicht hatte, trotz des Achtungserfolgs des Nintendo DS gezählt zu sein. Frühe Versuche mit bewegungssensitiven Controllern zahlreicher Firmen waren alle gescheitert. Nintendo allerdings gelang mit der Wii der Durchbruch, und trotz der schlechten Grafik machten die Controller, die Sportspiele und die geringe Hürde solchen Eindruck, dass plötzlich Millionen Menschen eine Konsole kauften, die vorher niemals Berührung mit Videospielen hatten.

Der letzte große Trend findet sich in Kapitel 27, „The Groovies Era Of Crime„, der sich mit der GTA-Serie beschäftigt. Diese brachte die Sandkasten-Welten (open world) zur Perfektion, indem sie glaubhafte Städte mit großer Freiheit der Spielenden vorlegte, was der Firma Rockstar lange Zeit weitgehend ohne Konkurrenz – neben Bethesda mit Elder Scrolls und Fallout – gelang. Daran kann man auch die zunehmende Bedeutung von Storytelling sehen (etwa anhand „San Andreas“), das bislang eher auf das Genre der Rollenspiele beschränkt war und nun auch in die Actionspiele Einzug fand, die bisher eher durch den Ansatz aufgefallen waren, den id-Gründer John Carmack formuliert hatte: Story in Shootern sei wie in Pornos, „expected but unnecessary„. In „Unreal“ wurde dies erstmals versucht, aber „Half-Life“ gelang dies dank des neuen Ansatzes „show don’t tell“ erstmals überzeugend.

Den Abschluss des Buchs macht Kapitel 28, „Magic Shooting Out Of People’s Fingers„, das sich mit der ökonomischen Seite der Branche beschäftigt. Einerseits hatten die großen Spiele mit ihrer Grafik und Komplexität zu einer Professionalisierung der Branche geführt, mit Multi-Millionen-Dollar-Konzernen in der üblichen Struktur solcher Konzerne, was zu „sicherem“ und die Kreativität erdrückendem Geschäftsgebahren führte. Das Internet und das Aufkommen digitaler Vertriebsplattformen, vor allem Steam, ermöglichte aber einer großen Indieszene ein ordentliches Auskommen.

An dieser Stelle endet das 2010 erschienene Buch mit der Feststellung, dass das junge Medium seine besten Tage wohl noch vor sich hat und zahlreiche kreative Entwicklungen noch ihrer Entdeckung harren.

Trotz seines mittlerweile stattlichen Alters von 13 Jahren (in dem Bereich eine halbe Ewigkeit) ist das Buch zu empfehlen. Das liegt daran, dass Donovans Struktur und Ansatz sehr wertvoll sind. Sein Fokus auf den Innovationen sorgt dafür, dass die letzte Zeit ohnehin nicht so bedeutsam ist, weil die entscheidenden Weichenstellungen bis in die frühen 2000er Jahre abgeschlossen waren. Die Struktur hat ihre Nachteile, weil das Narrativ immer wieder zwischen Zeitebenen hüpft, aber ist für den gewählten Ansatz sicherlich die richtige. Es wäre zu wünschen, dass weitere Werke anderer Autor*innen an die Arbeit anknüpfen und Aspekte detaillierter beleuchten.

Der Ansatz sorgt natürlich durch seinen Umfang dafür, dass die großen Unternehmen und Titel nur angerissen werden können. Ich habe, nur als ein Beispiel unter vielen, etwa Bluebyte und die Siedler vermisst. Aber da Donovan kurz darauf einging, dass Wirtschafts- und Aufbauspiele in Deutschland besonders populär waren (und sind, siehe auch der Brettspielmarkt) ist das grundsätzlich schon abgedeckt und mehr der Phantomschmerz der eigenen Nostalgie.

Am auffälligsten fand ich die Leerstelle bezüglich der Rolle der Spieler*innen, vor allem der prominentern, und der Clans. Die Seite der Kreativen wird gut abgedeckt, aber gerade diese fallen weitgehend aus (auch die Business-Seite spielt keine allzugroße Rolle, wo sicherlich auch eine Tiefenuntersuchung gut möglich wäre). Aber das alles ist Meckern auf hohem Niveau. Wer sich die für die Geschichte des Mediums interessiert, kommt an diesem Titel kaum vorbei.

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