Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Der seltsame Proteinhype in Deutschlands Supermärkten
Deutschlands Supermärkte erleben einen Proteinhype, mit Produkten wie Proteinjoghurt, -chips und -pizza, die mehr Kraft und Leistung versprechen. Dieser Trend ist ein Milliardengeschäft für die Industrie, aber laut Experten wertlos für die Gesundheit. Konsumenten geben jährlich über eine Milliarde Euro für proteinreiche Produkte aus, fast 50 Prozent mehr als vor zwei Jahren. Die Lebensmittelindustrie erzielt allein mit Milchfrischprodukten, die mit Eiweiß angereichert sind, rund 500 Millionen Euro pro Jahr. Experten warnen vor der Irreführung durch den Proteinzusatz und betonen, dass eine ausgewogene Ernährung ausreichend sei. Kritik wird auch an den hochverarbeiteten und teuren Proteinprodukten laut, da sie oft Zusatzstoffe und minderwertige Inhaltsstoffe enthalten. (Claus Hecking, Spiegel)
Das ist eine Art Artikel, die ich so richtig nicht leiden kann. Gleichzeitig sind sie Evergreens, weil sie sich so leicht schreiben und genau die Reaktionen hervorrufen, die hervorgerufen werden sollen und damit solide Klicks bringen. Kurz gesagt: „Weniger schädliche Variante von Junk Food nicht so gesund wie frisch zubereitetes Gemüse!“ Ja, no shit Sherlock. Natürlich sind fettreduzierte Chips immer noch nicht gesund und das abendliche Knabbern an einer Möhre gesünder, aber fettreduzierte Chips sind üblicherweise besser als nicht fettreduzierte. Gleiches gilt für viele der Protein-Lebensmittel. Es sind immer noch verarbeitete Lebensmittel; da kann man als Daumenregel annehmen, dass die minderwertig sind gegenüber aus frischen Zutaten zubereitetem Zeug. Keine Frage. Aber sie sind halt meist Ersatzprodukte für Dinge, die im „Originalzustand“ weniger gesund sind. Paradebeispiel die vielen Proteinjoghurts, mit denen der Hype begann: klar, schlechter als Naturjoghurt, aber besser als die Zuckerbomben, die normaler Fruchtjoghurt ist. Mann, was für ein Blödsinn.
2) Verhandeln Arbeiterkinder schlechter ihr Gehalt?
Die Bildungschancen in Deutschland sind ungleich verteilt, stark abhängig vom sozioökonomischen Hintergrund. Akademikerkinder haben deutlich bessere Chancen im Studium und in der Karriere als Kinder aus Arbeiterhaushalten. Die soziale Mobilität in Deutschland ist eine der geringsten in Europa. Wenig erforscht ist jedoch der Class-Pay-Gap im Arbeitsleben, also ob Arbeiterkinder mit erfolgreicher Ausbildung die gleiche Bezahlung und Karrierechancen haben wie Akademikerkinder. Eine Untersuchung der Boston Consulting Group deutet darauf hin, dass dieser Gap in Deutschland erheblich ist. Arbeiterkinder mit Hochschulabschluss haben schlechtere Informationen, Netzwerke und erleben mehr Schwierigkeiten in der Arbeitswelt. Eine höhere Diversität im sozioökonomischen Hintergrund bringt nicht nur gesellschaftlichen, sondern auch unternehmerischen Nutzen, doch dieses Potenzial bleibt oft ungenutzt. Großbritannien könnte hier als Vorbild dienen mit seiner Social Mobility Commission. Unternehmen sollten Bewusstsein schärfen, Barrieren abbauen und Diversität fördern. (Marcel Fratzscher, ZEIT)
Das verwundert wohl kaum. Wir kennen dieselben Ergebnisse ja auch seit mittlerweile Jahrzehnten aus der Forschung über den Gender Pay Gap. Und wie dort ist ziemlich sicher nicht nur der fehlende Skill in Verhandlungen ein Thema, sondern auch, dass die Arbeitgeber Bewerbern*innen mit dem richtigen „Stallgeruch“ von Beginn an mehr Geld geben, genauso wie sie im Schnitt Männern direkt mehr Gehalt zubilligen als Frauen. Das sind alles psychologisch ziemlich klar erforschte Zusammenhänge, die übrigens auch nichts mit Marktmechanismen zu tun haben. Die Benachteiligung durch soziale Herkunft schlägt logischerweise auch auf diese Bereiche durch; warum sollten die immun sein? Dasselbe Ergebnis wird sich bei Beförderungen finden, genauso wie man es in der Schule bei der Notengebung beobachten kann, und so weiter.
3) Im Würgegriff der toten Hand
Die Frage, inwieweit sich die Toten in die Angelegenheiten der Lebenden einmischen dürfen, ist historisch durch das Erbrecht verbunden. Die Bindung von Eigentum durch Fideikommisse, Entails und Substitutionen in feudalen Gesellschaften wurde im Zuge der bürgerlichen Revolutionen abgeschafft, doch Deutschland verbot Fideikommisse erst 1919 mit der Weimarer Reichsverfassung. Liberale des 18. und 19. Jahrhunderts lehnten Eigentumsbindungen an den Willen verstorbener Generationen ab, da sie die persönliche Freiheit im Eigentumsgebrauch einschränkten. Die Fideikommisse waren Instrumente der Aristokratie, und ihr Kampf war ein Kampf für die demokratische Gesellschaft. Die Aufhebung verlief in Deutschland nach 1919 schleppend, und trotz formalem Verbot bestehen heute noch andere Rechtsinstitute zur Bindung von Eigentum. Dieser Artikel fordert eine Auseinandersetzung mit der langfristigen Bindung von Vermögen und deren demokratischen Folgen. (Jens Beckert/Peter Rawert, FAZ)
Ich finde einen Artikel besonders interessant, inwiefern ein restriktives Erbrecht als ein liberales Instrument geframet wird. Die aktuelle Orthodoxie, das Verfügungsrecht über das Eigentum über den Tod hinaus zu erhalten und über alle anderen Erwägungen zu stellen, ist sicher eine Schlussfolgerung einerseits aus dem Grundrecht auf Eigentum und andererseits aus liberalen Vorstellungen; sie ist aber gleichzeitig bei weitem nicht die einzige. Es gibt ja schließlich tatsächlich gute Gründe, die Verfügung über das eigene Einkommen und den eigenen Besitz mit der Existenz als Lebende und atmende Person zu beenden. Gerade im Hinblick auf die Chancengleichheit, die für Liberale eine so große Rolle spielt, ist dies durchaus vorstellbar, der hier ein Normenkonflikt zwischen der Chancengleichheit und der Verfügung über das eigene Einkommen und den Besitz auch über den Tod hinaus besteht, dessen Lösung sich alleine aus der liberalen Ideologie nicht eindeutig ableiten lässt. So oder so sind die ausführlichen historischen Erklärungen zum Fideikommiss lesenswert; mir war das vorher noch nicht bekannt.
Die Studie von Steffen Mau, die Deutschland aufgrund von sozialen und politischen Konflikten als gespalten erscheinen lässt, widerlegt erstaunlicherweise diese Wahrnehmung. Trotz vieler Krisen und kontroverser Themen zeigt die Untersuchung, dass die Bundesrepublik eine starke, ideologiefreie Mitte hat. Die Menschen stimmen in vielen gesellschaftlichen Fragen überein, unabhängig von Alter, Geschlecht, Wohnort oder Bildung. Konflikte und Wut mögen existieren, aber die Gesellschaft spaltet sich nicht wirklich. Mau bezeichnet gängige Erzählungen von zwei Lagerkämpfen als „Behauptungsprosa“ und warnt vor den Gefahren der ständigen Polarisierungsdiskurse durch Politiker, Journalisten und soziale Medien. Die Analyse deckt auch auf, dass die zunehmende Wut in Deutschland eher auf Erschöpfung und „Veränderungserschöpfung“ zurückzuführen ist, insbesondere in Bezug auf Migration und den Klimawandel. Es besteht die Gefahr eines „Allmählichkeitsschadens“, der das Fundament der Demokratie beeinträchtigen könnte. (Anant Agarwala/Anna-Lena Scholz, ZEIT)
Gerade angesichts der vergangenen Landtagswahlen sind die hier vorgestellten Ergebnisse beachtenswert. Ich halte die hier im Artikel dargestellte Synthese der Studie für stichhaltig. Die Idee der „Veränderungserschöpfung“ Erklärt vergleichsweise wertneutral die allgemeine Unzufriedenheit mit dem Status quo. Natürlich schadet dies denjenigen Parteien mehr, die Veränderung erwirken wollen, allen voran den Grünen. Das Konzept hilft aber auch zu erklären, warum die FDP so leidet, weil ja auch sie eher auf die Veränderung des Status Quo zielt, wenngleich in eine andere Richtung. Generell stimmt es hoffnungsfroh, dass – wenn – die Gesellschaft weniger polarisiert und gespalten ist als gemeinhin behauptet wird. Meine Dauerthese, dass die ständige Beschwörung von Spaltung etwa in der Migrationsfrage diese Spaltung maßgeblich erst befördert, erhält dadurch weitere Nahrung.
Ein Großteil der europäischen Asylanträge erfolgt in Deutschland, was von Politikern der FDP, AfD und Union auf das deutsche Sozialsystem zurückgeführt wird. Sie argumentieren, dass dies ein Anreiz für Flüchtlinge sei und schlagen vor, Leistungen zu reduzieren. Experten wie der Ökonom Herbert Brücker betonen jedoch, dass bisherige Studien keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Leistungen und Ziellandwahl zeigen. Die Politiker können keine klaren Grundlagen für ihre Behauptungen nennen. Andere Forscher, wie Ruud Koopmans, erwähnen Dänemark als Beispiel, doch dies basiert auf einer umstrittenen Studie. Generell wird die Idee, dass Sozialleistungen allein entscheidend sind, von verschiedenen Experten in Frage gestellt, die betonen, dass Faktoren wie Sicherheit, Schutz und Arbeitsmöglichkeiten eine größere Rolle spielen. Es wird darauf hingewiesen, dass aktuelle Behauptungen oft auf unzureichenden Beweisen beruhen. (Wiebke Becker, FAZ)
Ich empfehle die Lektüre dieses Artikels als eine wertvolle Ergänzung zu meinen eigenen Überlegungen im großen Migrationsartikel. Ich möchte für meine Kommentierung hier vor allem einen Aspekt herausgreifen, den ich auch im Zusammenhang mit der Bildungsdiskussion immer wieder betont habe: Wir haben einen eklatanten Mangel an einer empirischen Basis in ganz vielen Bereichen, die ständig erhitzt diskutiert werden. Im Bildungssektor betrifft dies die Wirksamkeit und Aussagekraft von Noten oder den Wirkungsgrad von Hausaufgaben; in der Migrationsdebatte sind die Pullfaktoren herausragende Beispiele dafür, das zwar im Brustton der Überzeugung Behauptungen aufgestellt werden, es aber keinerlei Faktenlage gibt (oft genug übrigens auch in die andere Richtung nicht). Umso ärgerlicher ist es in Fällen, in denen die empirischen Fakten zwar vorliegen, aber schlichtweg ignoriert werden, wie etwa bei der Auswirkung von Sozialleistungen auf Flüchtlingsdestinationen. Von Seiten der betreffenden Politiker*innen verstehe ich das ja, weil es valide politische Strategie ist. Aber die Medien schlafen einfach nur am Schreibtisch.
Resterampe
a) Very bad news for the Democrats.
b) Eine Reihe von Leuten findet gerade heraus, warum Studienkredite mit variablen Zinsen eine blöde Idee sind.
c) Mal wieder Daten zu einem Obdachlosigkeitsexperiment.
d) Spannendes Interview mit Heinrich August Winkler.
4) Hinweise (wenn auch schwache) aus Dänemark. Aber selbst die FAZ nennt die Studie „umstritten“.
https://www.zeit.de/2023/42/gefluechtete-ziellaender-sozialleistungen-wirtschaft-sprache/seite-3
danke!
3) Der entscheidende Punkt ist doch: Seit 2007 betrifft das nur noch Altlasten:
https://www.gesetze-im-internet.de/fideiauflaufhg/BJNR262200007.html
Deshalb wäre es interessant über wie viel Vermögen überhaupt noch gesprochen wird, wenn man diese exotische „Juristennische“ mit z.B. den populären Stiftungen (auch eine erbrechtliche „Vermögensprivilegierung“) vergleicht. Und jetzt möchte ich mal den advocatus diaboli (oder hier advocatus fidei) mimen. Wenn du die Art der betroffenen Vermögensgegenstände betrachtet, kann man sagen, dass es nicht ein Privileg des Erblassers, sondern des Vermögens selbst: Zum einen handelt es sich um Antiquitäten, die als Kulturgüter ihren Wert verlieren würden, wenn der „Familienschatz“ zerstreut wird. Zum anderen geht es um Grundstücke, die möglichst unzerteilt in der Familie bleiben sollen. Auch hier kann man ein gewisses Verständnis aufbringen, wenn man mitgekriegt hat, wie Immobilienbesitz zwangsversteigert wird, weil sich Erben nicht einigen können.
4) Weniger wertneutral, schlägt aber in die gleiche Kerbe, nur von der gesundheitlichen statt politischen Seite:
https://www.telepolis.de/features/Deutschland-Land-mit-posttraumatischer-Belastungsstoerung-9330719.html?seite=all
5) Du hast grundsätzlich recht, das große Problem ist nur, dass Medien wie Politiker eine einheitliche Erzählung brauchen, die ihre (vorgefasste) Ansicht begründet. Die Empirie gibt natürlich ein uneinheitliches Bild, einfach weil unterschiedliche Menschen verschiedene Motivmischungen (das kommt noch dazu, den einen Grund gibt schon für eine Person selten) haben. Was für eine politische Erzählung kannst du aus (Zahlen frei erfunden) „ Für 20% sind wirtschaftliche Gründe im Vordergrund, für 50% Sicherheit und Stabilität und für 30% funktionierende Aufnahmeinstitutionen“ herleiten? Da ist „Die kommen alle, um sich die Zähne richten zu lassen.“ effizientere politische Kommunikation.
3) Ich fand es nur historisch interessant.
5) Yes!
Die Idee der „Veränderungserschöpfung“ …
Veränderungserschöpfung? In Deutschland? Gott, ich widerhole gerne noch mal mein Mantra vom betreuten Kindergarten … Anders ist dieser Küchenpsychologie-Quatsch nicht mehr zu erklären.
Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Leute das durchaus so empfinden. Man sieht ja an der politische Diskussion, welche Kleinigkeiten heute als unerträgliche Zumutung verstanden werden. Die Menschen haben sich an eine weichgespülte Wohlstandsoase angepasst.
Leider. Mag mir gar nicht vorstellen, die deutsche Wiedervereinigung heute durchziehen zu müssen …
@ Thorsten Haupts 12. Oktober 2023, 13:17
Leider. Mag mir gar nicht vorstellen, die deutsche Wiedervereinigung heute durchziehen zu müssen …
🙂
Zu 3)
Woher genau stammt eigentlich die völlig absurde Idee, die Gesellschaft habe die selbstverständliche Verfügungsgewalt über das Vermögen eines Verstorbenen, auch gegen dessen erklärten und dokumentierten Willen? Die Frage finde ich viel faszinierender, als irgendwelche Reminiszenzen zu Fideikommissen, die unter den Bedingungen einer adligen Herrschaftsschicht in einem Agrarstaat funktional und sinnvoll waren. Und vor mehr als 100 Jahren abgeschafft wurden, als sie ihren Sinn verloren.
Gruss,
Thorsten Haupts
Aus der gleichen Quelle, aus der die Idee kommt, Tote könnten die Lebenden binden.
Einem Lebenden gehört das Vermögen und er verfügt darüber VOR seinem Tod. Ich glaube kaum, dass Du mehr als einen von 10 finden wirst, der das für ebenso verrückt hält, wie die Vorstellung, das Vermögen eines Menschen fiele nach dessen Tod einem Haufen von Wildfremden zu. Du wirst aber 8 von 10 finden, die das für Diebstahl halten 🙂 .
Hab die Zwei gefunden: John Locke und Thomas Jefferson.
Die leben noch? Unglaublich…
Das zqE nicht, aber ihre Erbe, „immaterielle Werte. Mit dem Tod des Eigentümers verlieren sie weder ihren Wert und schon gar nicht ihre Existenz. Sie sind da.“
Verstehe ich nicht. Sie zitieren mich nur weitgehend, sagen aber nichts.
Als Antwort auf die Frage „Woher genau stammt eigentlich die völlig absurde Idee, die Gesellschaft habe die selbstverständliche Verfügungsgewalt über das Vermögen eines Verstorbenen“ zwei berühmte liberale (keine Linken!) Vor-Denker zu Eigentum und Erbschaft:
Locke („Zwei Abhandlungen über die Regierung“):
„Das Recht auf Eigentum ist ein natürliches Recht, das nicht durch die Gesellschaft geschaffen wird. Das Recht auf Erbschaft ist jedoch ein künstliches Recht, das von der Gesellschaft geschaffen wird.“ Locke argumentierte, dass die Erbschaft zu einer Konzentration von Eigentum in den Händen weniger führen könne. Dies würde zu sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit führen.
Jefferson sah die Erbschaft als eine Bedrohung für die Demokratie. In seiner Rede „Über die Erbschaft“ von 1778 schrieb er: „Die Erbschaft ist ein Übel, das nicht nur die Gleichheit der Bürger bedroht, sondern auch die Freiheit.“
Geistiges Erbe als Denkanstoß.
Gibt schon gute Gründe, warum ich kein Liberaler bin und auch nicht sein möchte 🙂 .
Das ist kein Denkanstoß, das ist Populismus.
Zur Zeit von John Locke und Thomas Jefferson gab es praktisch keine Besteuerung der Einkommen. Damit gab es nicht einmal den Gedanken der Verteilungsgerechtigkeit. Chancengerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit sind die Contrapunkte.
Deutschlands Ziel der Einkommensbesteuerung, zum Ausdruck gebracht in dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, will weitgehende Gleichheit der Einkommensverhältnisse herstellen. Und das zeigt sich auch in den Ergebnissen: Obwohl die Einkommen in der primären Verteilung bei einem Gini von 52 liegt, wird er mittels der Besteuerung auf rund 30 herunternivelliert. Während die deutschen Markteinkommen weit über dem Durchschnitt liegend ungleich verteilt sind, sind die verfügbaren Einkommen gleicher als im OECD-Mittel.
Das sind politische Entscheidungen. Wir wünschen vor allem Verteilungsgerechtigkeit. Dann spielt aber die Chancengerechtigkeit eine weit untergeordnete Rolle, andernfalls sprechen wir nicht mehr von einer freien Gesellschaft, sondern von Sozialismus.
Der Staat nimmt dem Bürger sehr weitreichend die Möglichkeiten, selbst Vermögen zu bilden. Das habe ich hier in Artikeln gezeigt, das zeigen die Vergleichsstudien von Eurostat, Europäischer Zentralbank, Deutsche Bundesbank, IW.
Aus liberaler Sicht ist damit der Anspruch des Staates, auch noch über das relativ geringe Vermögen seiner Bürger verfügen zu dürfen, perdu. Machen Sie Vorschläge, den Zugriff des Staates auf die Einkommen spürbar zurückzunehmen und damit die Vermögensbildung zu fördern. Und ja, das gilt vor allem für die oberen 50 Prozent, denn sie sind es, die hauptsächlich Vermögen bilden und auch vererben können. In jeder Gesellschaft.
Solange Sie das nicht tun, den Widerspruch zwischen Chancengerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit nicht respektieren, so lange betreiben Sie mit solchen „Denkanstößen“ bloßen Populismus.
Nein. Die Rechtspopulisten argumentieren genau entgegengesetzt. Mit den Linken gibt es eine erstaunliche Übereinstimmung mit den Wurzeln liberalen Denkens. Deshalb mein Rückgriff auf die Ideengeschichte: Besteuerung von Vermögen und (vor allem von Erbschaften) wird allgemein als linkes bzw. extrem-linkes Politikziel verstanden. Ich wollte (mal wieder) auf die liberalen Wurzeln hinweisen.
Dass es hierzulande eine deutliche Nivellierung durch Besteuerung gibt, bestreitet niemand. Wird auch nicht in Frage gestellt. Über das Ausmaß wird gestritten.
„Widerspruch zwischen Chancengerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit“.
Das ist nicht nur ein Widerspruch. Es ist komplizierter: Wer mehr hat (im Zweifel: erbt) hat mehr Chancen. Wer viel mehr hat/erbt, hat viel mehr Chancen. Dieser Logik können auch Sie sich nicht entziehen.
„vor allem für die oberen 50 Prozent, denn sie sind es, die hauptsächlich Vermögen bilden“
Wer hat, dem soll gegeben werden?
Christopher Clark hat in einem Interview nochmal betont, dass Soziales und Liberales zusammen gedacht werden sollte. Dass dies 1848/49 nicht gelungen sei, habe Auswirkungen bis heute.
https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/krisen/id_100250788/russland-im-krieg-gegen-ukraine-putin-hat-ungewollt-ein-geschenk-gemacht-.html
Im Hinblick auf die Weltlage fürchte ich, dass wird bald ganz andere Themen diskutieren werden.
@ CitizenK 13. Oktober 2023, 13:33
Ich bin da, wie Du Dir Denken kannst, deutlich eher bei Stefan Pietsch. Und ich finde, die Linke (also auch Du) muss sich schon mal festlegen. Was ich von Dir lese, ist allzu häufig idealisierte Theorie nach dem Motto „wasch mich, aber mach mich nicht nass“.
Ich habe viel gearbeitet in meinem Leben, viel verdient, wohne in einem abbezahlten, großen Haus. Die teilweise enormen Plackereien habe ich auf mich genommen, damit meine Frau und ich im Alter ein gutes Leben führen können, damit es meinen Kindern gut geht und sie alle Bildungschancen wahrnehmen können, die sie wollen. Will man mir die Ergebnisse meiner Arbeit nun wegnehmen, verzichte ich genau auf diesen Betrag und will meine Freizeit und meine Gesundheit zurück.
Und komme mir bitte nicht mit gesellschaftlicher Verantwortung. Der bin ich bereits in weit überdurchschnittlichem Maße nachgekommen.
Exakt. Das ist gar nicht so selbstverständlich, wie gerne getan wird.
Du hast John Locke quasi das Wort aus dem Mund genommen- oder er Dir?
Sie können nicht ein Prinzip mit seinem Gegenteil kreuzen. Das Ergebnis ist immer ein Bastard.
Beim Prinzip der Chancengleichheit in Reinkultur muss der Staat auf Verteilungsgerechtigkeit verzichten. Wer allein mit seinen eigenen Fähigkeiten verdient, muss dies bis zu seinem Tod behalten dürfen. Dennoch wird es nur einem Teil der Menschen möglich sein, Vermögen und Wohlstand zu bilden.
In Deutschland wurde der Regler nicht nur in Zustimmung von Bürgern wie Ihnen über die Nulllinie in Richtung Verteilungsgerechtigkeit geschoben. Sie wollen ihn noch weiter zum Anschlag bringen. Was hat da die Chancengleichheit zu tun? Gar nichts, sie dient nur Leuten wie Ihnen als Vehikle, noch mehr Einnahmen für den Staat zu fordern. Und das ist Populismus. Das hatten Locke und Jefferson ganz sicher nicht im Sinn. Anmerkung: es gibt auch linken Populismus, Sie sind das beste Beispiel.
Erbschaften sind in Deutschland ein wichtiger Bestandteil der Vermögensbildung – gerade für die unteren 80 Prozent. Ursache ist, dass der Staat die eigene Vermögensbildung so erschwert. Daran wollen Leute wie Sie nicht das Geringste ändern.
Sie müssen sich schon fragen lassen, welches Menschenbild Sie eigentlich vertreten wollen und welches Sie pflegen. Der Sohn einer Bürgergeldempfängerin mit IQ von 80 und Schulabbrecher wird es nur selten zu einem durchschnittlich bezahlten Job und Vermögen im sechsstelligen Bereich bringen. Nach der von Ihnen verfochten liberalen Philosophie soll er in Armut vegetieren. Die Erbschaft, die er von seinem Opa bekäme, kann er nicht nutzen, ebensowenig den Lottogewinn seiner alten Mutter.
Sein Job bringt ihm wegen der hohen Abgaben kein Auskommen ohne dass er zum Amt gehen müsste. Dafür bekommt er aber vom Sozialamt Zuschüsse bei Wohlverhalten und der richtigen Ansprache.
Das war übrigens immer, wogegen Friedrich August von Hayek argumentiert hat. Einer der großen Liberalen der Geschichte.
@ Stefan Pietsch
Ursache ist, dass der Staat die eigene Vermögensbildung so erschwert. Daran wollen Leute wie Sie nicht das Geringste ändern.
Zustimmung
Nebenbei bemerkt geht es im verlinkten FAZ-Artikel gar nicht um die Frage, ob das Zeugs Verstorbener an eine wie auch immer definierte Allgemeinheit/Staat zu fallen hat, also der/die Verstorbene rein gar nichts zu testieren hat. Es geht also nicht um das Erbrecht an sich, sondern darum, ob es eine gute Idee ist, wenn die Verfügungsberechtigungen privater Erben durch Vorschriften wie den früheren Fideikommiss eingeschränkt werden. Heutzutage sind das – verbürgerlicht – üblicherweise Stiftungen und/oder Nacherbeanordnungen.
Es gäbe übrigens u.a. keine Nobelpreise, wenn man diesen Einfluss unterbinden würde bzw. unterbunden hätte. Der Herr N. war zwar unverheiratet und kinderlos, aber entferntere Verwandte oder sonstige nahe stehende Privatpersonen hätten sich über den Zaster zur freien Verfügung vermutlich gefreut. Das, also die freie Verfügung posthum, hat der Verblichene aber testamentarisch unterbunden. In Anbetracht so mancher Nobelpreise kann man sich über die Weisheit des Herrn N. sicher streiten.
Liberalerseits kann es natürlich als mißlich gelten, dass das Zeugs damit der möglichen Vermarktung entzogen wird und insofern genauso tot ist wie der/die Verblichene. Philosophisch – das wurde von Ariane angesprochen – steht da natürlich die Idee des Lebens nach dem Tode im Raum. Ganz früher war ja des Vererben an Kirchen, Klöster und so der große Renner. Davon versprach man sich posthume Vorteile, das war also mitnichten uneigennützig. Später wurde das pragmatischer gesehen. Es ging darum, die Latifundien – obwohl man tot ist – doch irgendwie zu „behalten“, durch allerlei Auflagen und Bindungen mit dem Ziel, auch posthum noch was zu sagen zu haben. Linkerseits wiederum kann man eigentlich nichts dagegen haben, wenn z.B. die Bosch-Stiftung all solche Sachen macht, die zum Teil schon stark nach „woke“ riechen^ :
https://www.bosch-stiftung.de/de
Der Industrieladen Bosch wiederum, der da dranhängt, hat Zaster an die Stiftung abzuliefern (falls was verdient wird^) und ist im Übrigen praktisch unverkäuflich. AG und die Börse kommt nicht in Frage. Eigentlich eine moderne Form von Fideikommiss in philanthropischer Ausprägung. Das grundsätzlich Private an der Verfügung verschwindet aber dadurch nicht. Das ist wiederum nicht so richtig links^.
Wie man so was (also z.B. Bosch) jetzt ideologisch eintütet (links/linksliberal/liberal einfach so ohne linksrechts/konservativ/oder von allem etwas) ist gar nicht so einfach.
Nicht ideologisch eintüten – einfach überlegen:
Jedem, der nachdenkt, drängt sich die Frage auf: Warum soll man seinen Kindern ein großes Vermögen vererben? Geschieht dies aus Liebe – ist es dann nicht eine irregeleitete Liebe? Die Erfahrung lehrt nämlich, dass es, allgemein gesprochen, für die Kinder nicht gut ist, auf diese Weise belastet zu werden. Es ist auch nicht gut für den Staat. Es ist ja längst erwiesen, dass ein großes Vermögen dem Erben häufig mehr zum Nachteil als zum Vorteil gereicht. Kluge Männer werden bald erkennen, dass sie sowohl im Interesse ihrer Kinder als auch dem des Staates ihr Vermögen nicht richtig nutzen, wenn sie es erst nach ihrem Tode verteilen. Von allen Besteuerungsarten scheint die Erbschaftssteuer die vernünftigste zu sein. Männer, die ihr Leben lang ein Vermögen anhäufen, dessen sinnvolle Verwendung für öffentliche Einrichtungen der Gemeinschaft zugute käme, aus der es ja zum großen Teil erwachsen ist, sollten davon überzeugt werden, dass die Gemeinschaft (der Staat) nicht um den ihr zustehenden Anteil gebracht werden darf.
Diese Überlegungen (hier noch die fehlenden „“) stammen von einem wirtschaftlich sehr erfolgreichen Menschen, zugegeben absichtsvoll ausgewählt aus aus einem moralischen Katechismus für Superreiche:
https://www.cicero.de/wirtschaft/wer-reich-stirbt-stirbt-schande/37352
Ja, aber die Frage ist nicht überlegt.
Warum soll man seinen Kindern ein großes Vermögen vererben?
Ja warum? Es kommen eine Reihe von Gründen in Frage. Sie sind klassisch, es bedarf also keiner großen Klugheit oder Überlegung, darauf zu kommen. So sollte man doch eine Debatte beginnen, mit der Kenntnis der Argumente des anderen und der Intelligenz, diesen etwas entgegenhalten zu können.
Kluge Männer werden bald erkennen, dass sie sowohl im Interesse ihrer Kinder als auch dem des Staates ihr Vermögen nicht richtig nutzen, wenn sie es erst nach ihrem Tode verteilen.
Kluge Menschen – und auch besonders Vermögende – denken i.d.R. zuletzt an den Staat, weil sie wissen, dass der Staat ein Verschwender und unternehmerisch völlig impotent ist. Vermögen in Staatshand zu geben, da kann man es gleich verbrennen, weshalb Vermögende andere Auswege finden zwischen ihre Kinder unglücklich machen und in staatlicher Hand verbrennen.
Leider weichen Sie beharrlich der Grundsatzfrage aus, wie Sie es mit der Reglerverschiebung zwischen Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit halten. Oder geht es Ihnen am Ende wirklich nur um mehr Geld in Staates Hand? Wenn Sie es ernst meinen, dass die Erbschaftsteuer eine kluge Steuer sei, müssten Sie als erstes für die Absenkung der Einkommensteuer auf international übliche Größenordnungen plädieren. Denn offensichtlich ist eine so hohe Besteuerung auch in Ihren Augen besonders dumm.
Männer, die ihr Leben lang ein Vermögen anhäufen, dessen sinnvolle Verwendung für öffentliche Einrichtungen der Gemeinschaft zugute käme …
Weswegen es ja bei der Anhäufung auch regelmässig (und hoch) besteuert wurde, um sinnvolle Einrichtungen der Gesellschaft zu finanzieren.
… aus der es ja zum großen Teil erwachsen ist …
Das Argument ist soooo albern. Wenn ein Vermögen zum grossen Teil (!) naturwüchsig in der Gesellschaft entstehen kann, warum sind Sie und ich und 99% aller anderen dann nicht vermögend?
Suchen Sie sich bitte, bitte bessere Argumente.
Gruss,
Thorsten Haupts
q CitizenK 14. Oktober 2023, 10:37
Nicht ideologisch eintüten – einfach überlegen:
Mach doch mal selbst …
Jedem, der nachdenkt, drängt sich die Frage auf: Warum soll man seinen Kindern ein großes Vermögen vererben?
Wenn ich Vermögen (wie groß oder klein auch immer) und Kinder habe, stellt sich mir die Frage „wem sonst?“.
Wenn der Denkansatz ist, dass die Erblasser nicht mehr mitreden sollen, was mit ihrem Vermögen geschieht, gibt es nur eine Lösung: Alles fällt automatisch an den Staat – mit den entsprechenden Nachteilen.
Dürfen Erblasser mitbestimmen, warum sollen Sie ihr Geld / Vermögen nicht an Ihre Kinder geben dürfen?
Denk doch darüber mal ideologiebefreit nach.
@ Citizen K.
… aus der es ja zum großen Teil erwachsen ist …
Wie oft denn noch?
Was ist denn da „erwachsen“? Alles, was der Staat gesellschaftsprägend zur Verfügung stellt, ist durch Steuereinnahmen finanziert. Da meine Steuerleistung überdurchschnittlich ist, habe ich nach Deiner Definition mehr für Gesellschaft, Gemeinschaft und Staat getan als die meisten anderen.
Deine Aussagen laufen immer wieder darauf hinaus: Wer nichts zur Gesellschaft beiträgt, muss belohnt werden; wer viel zur Gemeinschaft beiträgt, wird bestraft – je mehr er beiträgt, um so klarer ist, dass es zu wenig ist.
Solcher Logik kann ich nicht folgen; vermutlich liegt es daran, dass es nicht logisch ist?
Thorstens Bitte, Dir bei Deinen „Agrumenten“ mehr Mühe zu geben, schließe ich mich an.
Archäologen sehen das auch eher locker.
Man könnte hier auch noch die Hohenzollerndebatte einwerfen, da ist ja auch dauernd die Frage, ob denen ihr Kram gehört oder dem Staat. Dann haben wir auch den Aristokratieaspekt wieder dabei^^
Fideigesetze sind ja auch noch was anderes als normales Erben, glaub beim Immobilienkauf gibt es auch immer mal wieder Schwierigkeiten mit komplizierteren erbrechtlichen Konstrukten, Kirchenbesitz ist auch schwierig btw.
Ich fands historisch sehr spannend, weil das ja so eine Sache ist, die normalerweise immer im Mittelalter-Kontext so eine große Rolle spielt, ob der Älteste alles bekommt – was schlecht für die Brüder ist – oder aufgeteilt wird, was schlecht für den Besitz ist.
Ja sicher. Ich sage ja nur, dass all das Normen, Konventionen und Regeln sind, die wir uns als Gesellschaft gegeben haben.
Eigentum ging dem Recht vor. Immer. Auch, als man es noch mit seinem Leben gegen die Gier der Nachbarn verteidigen musste. Das Recht hat nur kodifiziert, was unstrittig war.
Zu 2)
Gibt´s eigentlich wenigstens eine Studie oder einen Artikel zu den Vorteilen des Heranwachsens als Arbeiterkind? Aus meinen ganz persönlichen Erlebnissen fielen mir da schon einige ein. Und ausgerechnet schlechtere Verhandlungskunst gegenüber Mittelschichtkindern aus Akademikerhaushalten kann ich aus eigener Anschauung absolut nicht bestätigen, das Gegenteil wäre richtiger.
Gruss,
Thorsten Haupts
Klar, anekdotische Evidenz, verzerrt durch die Selbstwahrnehmung, schlägt jederzeit wissenschaftliche Untersuchungen.
Die „Studie“ eines kommerziellen Consulting-Unternehmens als „wissenschaftliche Untersuchung“ zu adeln, ist … natürlich auch eine Möglichkeit.
Kleines Zitat: “ Die anonyme Online-Befragung, an der 1.125 Fachkräfte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz teilnahmen, stellt eine nach Geografie (Länder), Demografie, Branchen und Unternehmensgrößen repräsentative Mitarbeiterstichprobe in der DACH-Region dar. Etwa 58 % der Befragtengaben an, FirstGen-Professionals zu sein.“
ROFLMAO. Direkt aus dem Handbuch der twitter-Universität …
Gruss,
Thorsten Haupts
2) Verhandeln Arbeiterkinder schlechter ihr Gehalt?
Was mich an solchen Artikeln ärgert, ist, dass sie sich Vulärwissenschaften bedienen.
Und wie dort ist ziemlich sicher nicht nur der fehlende Skill in Verhandlungen ein Thema, sondern auch, dass die Arbeitgeber Bewerbern*innen mit dem richtigen „Stallgeruch“ von Beginn an mehr Geld geben, genauso wie sie im Schnitt Männern direkt mehr Gehalt zubilligen als Frauen.
Das ist totaler Blödsinn. Tatsächlich beziehen akademisch gebildete Frauen beim Berufsstart in der Tendenz ein höheres Gehalt. Das Gleiche zeigt sich auch bei den Vorständen börsennotierter Unternehmen. Das ist eben keine anekdotische Evidenz, sondern statistische Fakten. Und das darf man gerade jetzt wissen, wo Claudia Goldin für ihre Forschungsarbeiten zu dem Thema ausgezeichnet wurde. Okay, ist an den wissensinteressierten Bloggern vorbeigerauscht, weil es ja die eigenen Vorurteile gefährden könnte. Frauen verlieren gegenüber Männern mit dem ersten Kind.
Wo wird am meisten verhandelt? Oh, in der arabischen Welt und in Entwicklungsländern, dort, wo hohe Bildung nicht so weit verbreitet ist. Kopfkratz, warum verhandeln gerade die „Dummen“ am meisten, wo sie doch anscheinend am meisten zu verlieren haben?
3) Im Würgegriff der toten Hand
Es gibt ja schließlich tatsächlich gute Gründe, die Verfügung über das eigene Einkommen und den eigenen Besitz mit der Existenz als Lebende und atmende Person zu beenden.
Wieso? Abgesehen davon, dass Testamente (guck‘ mal in die Bibel) und das Vererben natürliche Bedürfnisse des Menschen sind, wird hier der wesentliche Aspekt des Rechtsstaates – also des modernen Staates – völlig ausgeblendet. Im Rechtsstaat bleibt kein Bereich des Zusammenlebens unreguliert. Das gilt im weiten Sinne, nicht im engen von spezifischen Gesetzen.
Das Problem mit dem Erben ist, dass da etwas da ist, geschaffen wurde. War vorher Null, sind da jetzt hundert Prozent: Ein Haus, ein Unternehmen, immaterielle Werte. Mit dem Tod des Eigentümers verlieren sie weder ihren Wert und schon gar nicht ihre Existenz. Sie sind da. Das mit der Chancengleichheit wäre ja problemlos, würde das Eigentum mit dem Toten verschwinden. Oder der Staat vernichtet es (was er oft genug tut). Dann gibt es nichts zu erben und alle können wieder bei Null anfangen.
Doch so ist es nicht. Eigentum geht durch Rechtsakte über. Und auch wenn der Staat es an sich zieht, ist es ein Rechtsakt. Doch jeder Rechtsakt bedarf einer tieferen Begründung. Die fehlt hier, außer man betrachtet die Welt ausschließlich aus der Perspektive von Hardcore-Linken. Danach ist der Staat der Allmächtige Gott, der der gibt und der der nimmt. Der Bürger ist da gar nichts, nur Gläubiger und Sünder. Im liberalen Verständnis schafft der Bürger den Staat ausschließlich für die Bereiche, die er selbst nicht regeln kann. Das trifft definitiv nicht auf das Erben zu.
Von daher kann der Staat nur seinen „gerechten“ Anteil am Übertrag von Vermögenswerten beanspruchen. Ende der Geschichte. Mit diesem Anteil kann er für Chancengleichheit sorgen, z.B. in dem er die Renten erhöht, die Pflege von alten Menschen umfangreicher gestaltet, das Bürgergeld für ausreisepflichtige Bürger erhöht, so in der Art. Das ist kein Witz: Der deutsche Staat scheitert wiederholt an den eigenen Ansprüchen. So waren sich alle (!) Parteien einig, dass die Zusatzeinnahmen des Staates aus dem CO2-Zertifikatehandel den Bürgern in ihrer Allgemeinheit zustehen und daher gleichmäßig nach Köpfen verteilt werden sollen. Doch der Staat und seine Beamten sind gierig und von daher unterbleibt die Verteilung. Die Politik fördert wie gehabt nach eigenem Gutdünken, vor allem, was der eigenen Ideologie und Wählergruppen dient.
Die Ideologen des „gerechten Staates“ haben danach keine Argumente mehr.
4) Einiger als gedacht
Es bleibt Unsinn, vor allem, da das eigentliche Argument in sein Gegenteil verkehrt wird.
Wenn Deutschland wie untersucht so ideologiefrei ist, dann zeigen die Landtagswahlen mit Gewinnen für Parteien, die eine andere Migrationspolitik wollen, dass die Bürger sehr nüchtern einen Kurswechsel verlangen. In anderen Worten: Veränderung. Damit werden liberale Migrationsbefürworter, vulgo die Grünen, zu den Spaltern der Gesellschaft.
Nicht nur in der Migrationspolitik. So, wie ich Umfragen und Wahlergebnisse lese, rutschen Linksliberale (im Kern die GRÜNEN) in Deutschland gerade in einen gewaltigen Backslash. Grund für berechtigte Schadenfreude – die Bevölkerungsmehrheiten gegen/für bestimmte Politiken sind jetzt seit vielen jahren stabil und bekannt. Und wurden lange souverän ignoriert, bis die Wahlberechtigten die Schnauze voll hatten.
Ich zweifle nicht am Backlash. Die Schadenfreude mag dir allerdings angesichts ihrer Profiteure noch im Hals stecken bleiben.
Yup, das kann tatsächlich passieren.
Ich glaube, das ist ein “Problem“ politisch aktiver bzw. interessierter Menschen. Sie haben in der Regel sehr prononcierte Ansichten und glauben, dass der Rest des Landes genauso ist. Ist er aber nicht. Die meisten Menschen haben politische Meinungen, diese sind aber kein wichtiger Bestandteil deren Lebensstils. D.h. in Umfragen finde sich viele verschiedene Ansichten und theoretisch könnte man daraus eine Spaltung ableiten, in der Praxis ist das aber nicht der Fall. Von einer Spaltung eines Landes könnte man erst sprechen, wenn politische Ansichten echte Konsequenzen im richtigen Leben hätten, ein großer Teil eines Landes also z.B. bestimmte Menschen oder Menschengruppen meidet, einfach weil sie Grüne, Linke, Liberale oder Konservative sind.
Meine provokante Art ist mir bewusst und sie ist Teil meines Stils. Beruflich bin ich nicht provokant, weil es nicht passt. Aber ich erliege nicht der Versuchung zu meinen, meine liberalen Ansichten seien nur annähernd mehrheitsfähig. Gerade als Liberaler weiß ich: das sind sie nicht. Ich stelle aber auch nie solche Behauptungen auf.
Was ich jedoch feststelle, ist, dass zum einen die AfD (erschreckenderweise) konsensfähig wird. Das ist etwas, dass ich gerade in persönlichen Gesprächen im hessischen Wahlkampf mitgenommen habe. Zum anderen wirkt heute gegen die Grünen, was ihnen sehr viele Jahre zum Vorteil gereichte: Mit Grünwählen machte man nichts falsch. Jede Nachfrage des Warums führte zur Begründung, weil man für die Umwelt sei. Grün galt sehr lange als grundsympathisch.
Das hat sich völlig gedreht. Zumindest im mittleren Teil Hessens bekennen sich die Leute eher zur AfD als zu den Grünen. Und was Stefan unterschätzt: die Leute sind tatsächlich auf der Zinne wegen der Migrationspolitik. Das ist ein Megathema, weil es die Lebenswelt für jeden verändert und dann noch gegen jedes Grundprinzip dieses Landes verstößt. Soweit die Politik nicht wie 1993 eine Megawende hinbekommt, halte ich 25% für die AfD bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr für ausgeschlossen. Anders als Stefan – der sich das zuletzt arg schön gemalt hat – wird das Thema Migration nicht einfach verschwinden.
Das habe ich auch lange geglaubt (und gelebt). Ich fürchte nur, das ändert sich gerade, zumindest legen das Entwicklungen in den USA nahe. Politik wird zum integralen Bestandteil der eigenen Identität, d.h., wer eine andere Politik will, stellt mich als Person in Frage, Konsequenz: Kontaktvermeidung. Gilt in den USA zumindest bei Jüngeren wohl zunehmend und ich sehe nicht, wie wir das vermeiden können.
Gruss,
Thorsten Haupts
Die Sache ist: das ist meiner Erfahrung nach kein allgemeingültiger Trend. Die meisten Leute interessieren sich nach wie vor nicht für Politik und sind deswegen in ihrer Identität davon auch wenig berührt. Ich seh das aktiv bei den Schüler*innen: was ich immer lese darüber, wie die Generation angeblich sei, dabei sind die zum größten Teil völlig unpolitisch und interessieren sich null für das ganze Zeug.
Ich hoffe tatsächlich, Du behälst Recht.
Ich auch. Aber ich hab in meiner Familie und im erweiterten Bekanntenkreis so gut wie niemand, der sich großartig für Politik interessiert. Ich mach das hier im Blog, ich mach das mit zwei, drei Freunden, aber das war’s. EINE PERSON in meinem engeren Verwandten- oder Bekanntenkreis liest das Blog hier oder hört den Podcast, schlicht, weil alle anderen sich schlicht nicht genug interessieren.
@ Stefan Sasse 13. Oktober 2023, 14:58
Ich … hab in meiner Familie und im erweiterten Bekanntenkreis so gut wie niemand, der sich großartig für Politik interessiert.
Kann ich nachvollziehen, ich auch nicht. Aber all diese Leute, die kein Interesse an Politik haben, haben Meinungen und Standpunkte; schlimmer noch, sie fällen Urteile über Politiker. Das sind die Leute, die über den nächsten Bundestag entscheiden.
Klar, da widersprech ich dir nicht. Es ging ja aber nur darum, ob alle Leute sich politische Identitäten zulegen.
3) anstelle einer gesellschaftlich eher schädlichen als nützlichen Vermögensaristokratie einer Aristokratie von Tugend und Talent den Weg zu bahnen
Wie Jefferson könnte man natürlich fragen, warum Leistung, Eigenverantwortung und Arbeitsanreize für Erben nicht ebenfalls gelten sollten, bevor sie sich in die soziale Hängematte legen. Aber liberal war damals natürlich noch die Aristokratie von Tugend und Talent, das ja heute auch mehr so linksgrünversifftes Wohlfühlgedöns.
Herrlich, wenn ich jetzt noch darauf hinweise, dass das mein Argument bestätigt, dass die Grünen die neuen bürgerlich-liberalen sind, kann ich vermutlich direkt Asyl bei der FAZ beantragen. 😛
Aber bevor ich ganz gelyncht werde, es ist ja nun über die Jahrhunderte hinweg sehr menschlich, bereits vorhandene Privilegien nicht aufzugeben.
Aber bevor sich alle zu sehr getriggert fühlen: ich finde eigentlich die philosophische Frage, inwieweit die Toten auf die Lebenden Einfluss haben sollten, interessanter.
Die Frage stellt sich ja auch, inwieweit man seine eigenen Beerdigungsmodalitäten regeln sollte oder ob das nicht generell dafür da ist, den Angehörigen Trost zu spenden und es daher ihnen überlassen bleiben sollte. Ich finde Letzteres, aber ich glaube ich bin da eher alleine mit.
Nein, bist Du nicht.
Danke, das ist tatsächlich nett zu hören <3
Also es gab leider einen aktuellen Anlass, weil meine Oma gestorben ist. Sonst kommt man ja nicht so häufig dazu, sich in Gänze mit Fragen der Trauer, Beerdigung etc. zu beschäftigen. Zum Glück unkontrovers, der pragmatische Effekt spielt ja vielleicht auch eine Rolle und es ist ja auch ein relativ neues Phänomen, weil in unserer säkularisierten Gesellschaft die Religion das nicht mehr regelt. Hier oben jedenfalls nicht, in katholischen, süddeutschen Gegenden scheint mir das noch anders zu sein, ich weiß auch nicht, ob die Bootlösung sonst irgendwo so eine große Rolle spielt. Und wie immer: mit mehr Freiheit entsteht auch mehr Entscheidungsverantwortung, die dazu führt, sich mit den Gründen, Ritualen etc. anders auseinanderzusetzen.
Spannende Frage. Wobei ich noch nie jemand in der Verwandtschaft hatte, der seine eigenen Modalitäten geregelt hat. Stimme allerdings völlig zu, dass Beerdigungen Veranstaltungen für die Lebenden, nicht die Toten, sind. Von mir aus kann man mich später in einem Rasengrab verscharren, das überlasse ich (hoffentlich) meinen Kindern.
2) Wenig erstaunlich und gerade der Effekt – man neigt eher zu Leuten, die einem ähnlich sind – ist ja gut erforscht. Ebenfalls interessant ist der Verweis auf Großbritannien, wo das insgesamt stärker diskutiert wird. Und tatsächlich auch bessere Studiengrundlagen existieren (vielleicht ist es da auch eklatanter, weil die Eliteunis so eine große Rolle spielen)
Ich würde hier auch gerne noch das Thema b ) mit den Studienkrediten mit reinziehen, ich kann mir nämlich gut vorstellen, dass das auch mit reinspielt, weil Arbeiterkinder weniger Plan (oder Hilfe) bei sowas haben. Ich auch nicht, wenn ich nicht seit Kindesbeinen an Immobiliengesprächen gelauscht hätte.
Trotzdem Wahnsinn, dass die staatseigene KfW da mal auf 9% kommt, da kann man wirklich bald zum Mafiaboss nebenan gehen und natürlich könnte sie, wenn sie wollte, weil ja die KfW, die gerade bei Energiesanierung 1,5% bietet.
4)
Ich würde da destello Recht geben, die meisten Menschen sind eher wohlmeinend unpolitisch und kümmern sich um ein leckeres Abendessen anstatt sich nonstop mit News und Politik zu beschäftigen. Dummerweise leben aber sowohl die Politik als auch der Journalismus von Zuspitzungen, was sehr schnell den Eindruck einer total gespaltenen Gesellschaft erweckt.
Gleichzeitig ist die Mediennutzung viel fragmentierter, was beides paradoxerweise unterstützt. Man kann problemlos den ganzen Tag Flauschvideos konsumieren oder in der nächstbesten Empörungsspirale und Emotionen sind bekanntlich (oder auch nicht) ansteckend. Also wirkt das wieder zurück oder trennt die Welten. Der Flauschliebhaber ist beim Blick in normale Medien verstört und der Newsjunkie beschwert sich über den eskapistischen Newsverweigerer. Und ich habe tatsächlich schon etliche Artikel über diese Spaltung der Gesellschaft gelesen, gut möglich ist, dass die größer ist als zwischen Grünen und CDU^^
Wo wir gerade bei den „großen Liberalen der Geschichte“ sind:
“ Hayek und „sein Meister Mises gehören in Spiritus gesetzt ins Museum als eines der letzten überlebenden Exemplare jener sonst ausgestorbenen Gattung von Liberalen, die die gegenwärtige Katastrophe heraufbeschworen haben.“ (Alexander Rüstow in einem Brief an Wilhelm Röpke)
Starkes Argument!
Klar, dieser Streitpunkt ist schon beim Kolloquium Walter Lippmann vor schlappen 85 Jahren aufgetaucht. Man muss heutzutage eigentlich deutlich zwischen neoliberal (Rüstow und so) und neo-neo-liberal (Thatcher et al.) unterscheiden. Zu ihren damals noch lebenden Gott Hayek hat Thatcher seinerzeit immerhin eine Wallfahrt nach Freiburg (Hayeks Alterswohnsitz) ins wenig geliebte Deutschland auf sich genommen.
Hat sie? Wusste ich gar nicht. Freiburg, ausgerechnet.
Die Begriffverwirrung ist groß: Neoliberal in der heutigen Verwendung ist ja das“paläo-liberal“ , deshalb nennt sich das alte neoliberal „ordoliberal“. Leider halten sich viele nicht daran. Und vorgebliche Anhänger der Sozialen Marktwirtschaft verehren trotzdem und immer noch den Alten vom Berge Pèlerin.
„Das Argument ist soooo albern“
Nun, es ist immerhin von Andrew Carnegie, der Superreiche wie seinesgleichen in der Pflicht sah, das angehäufte Vermögen noch zu Lebzeiten für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung zu stellen – in Form von Stiftungen. Nicht dem Staat überlassen – davon hält er nicht viel, aber offenbar mehr als ihr. Es aber auch nicht einfach an die Nachkommen geben – die kriegen nur einen angemessenen Anteil.
Diskussionwürde Argumente. Auch für
@Stefan Sasse
– Milliardäre in der Demokratie. Carnegie: „Man darf ja nicht vergessen, dass genauso viel Talent erforderlich ist, das Vermögen so zu nutzen, dass es der Gemeinschaft zum Segen gereicht, wie Begabung nötig war, um Reichtum anzuhäufen“. Daran gibt es berechtigte Zweifel (Ford, Stinnes, Flick).
Kann durch Stiftungen die Kluft zwishen Reich und Arm überbrückt werden (wie Carnegie meint)? Ein Schritt in die richtige Richtung wäre es allemal.
Nun, es ist immerhin von Andrew Carnegie …
🙂 Das macht es nicht weniger albern. Ausserdem glaube ich eher nicht, dass er Vermögen zum grossen Teil aus der Gemeinschaft erwachsend sah. Das aber war Ihr Argument, warum die Gemeinschaft berechtigt sein soll, Vermögen nach dem Tod des Vermögenseigentümers gegen dessen Willen zu beschlagnahmen.
Gruss,
Thorsten Haupts
@ CitizenK 14. Oktober 2023, 15:56
Nun, es ist immerhin von Andrew Carnegie, der Superreiche wie seinesgleichen in der Pflicht sah, das angehäufte Vermögen noch zu Lebzeiten für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung zu stellen – in Form von Stiftungen.
Für „Superreiche“ kann ich das nachvollziehen. Aber in der Regel willst Du dem gehobenen Bürgertum an den Geldbeutel. Da ist eine Argumentation á la Carnegie nicht angebracht.
Es aber auch nicht einfach an die Nachkommen geben – die kriegen nur einen angemessenen Anteil.
Ja, so tickt auch Bill Gates. Der ist inzwischen „nur noch“ über 100 Milliarden schwer, hat einen Großteil seines Vermögens schon für Stiftungen und gute Zwecke ausgegeben, und will 95 Prozent seines Vermögens auf seine Stiftung übertragen. Da müssen sich seine drei Kinder mit den verbliebenen 5 Prozent (= ca. 6 Mrd. Dollar) begnügen.
So werde ich das auch halten: Alles, was an meinem Nachlass 2 Mrd. Euro pro Kind überschreitet, gebe ich in eine Stiftung.
Ich hätte überhaupt kein Problem mit einem Freibetrag von 500k oder 750k oder was auch immer, das überlasse ich Expert*innen. Das reicht für gehobenes Bürgertum locker. Alles, was da drüber liegt, kann besteuert werden. Wir reden ja hier nicht von punitiven Steuern!
Deine Freibeträge sind freundlicher als aktuell. 500.000 kriegt nur die Witwe/der Witwer. Kinder schon 100.000 weniger. Entferntere Verwandte (dazu zählen schon Geschwister) und Nichtverwandte könnten über deine Freibeträge allerdings jubeln. Das wäre locker eine Verzwanzigfachung.
Gut, über all die anderen Aspekte, namentlich natürlich über die Sätze, müsste man noch reden, wenn wir die Freibeträge geklärt haben.
Aktuell ist es jedenfalls so, dass an die 90 % der Sterbefälle zu keiner Erbschaftsteuer führen. Fiskalisch kommt nitt viel bei raus, wenn man „politisch“ auf das Melken von 90 von 100 Kühen verzichtet. Die 10, die man anzapft, können das unmöglich ersetzen. Der kassenwirksame Anteil (einschl. Schenkungen unter Lebenden) ist dementsprechend bescheiden. Grad ’n bissle mehr als 1 % aller Steuern. Das über die ganz, ganz, ganz Reichen signifikant erhöhen zu können, dürfte ein Märchen sein.
Wie gesagt, ich bin kein Experte, die können sich über konkrete Zahlen streiten. Mir geht es um den Rahmen.
Ich betone ja auch immer wieder, dass das Revenue durch die Erbschaftssteuer für mich sekundär ist; mir geht es um die Nivellierungseffekte.
Yup, es ging den Barbaren, die zwecks Plünderung regelmässig in prosperierende Staaten des Altertums einfielen, auch nur um Nivellierung. Schliesslich war die sichtbare Vermögenskonzentration in länger überdauernden Zivilisationen wie Ägypten im Vergleich zu nomadischen Wüstenstämmen einfach obszön.
… nachdem diese sich die billigen Arbeitskräfte zusammengeraubt hatten. Eine Fellachenwirtschaft mit einem Gottkönig an der Spitze als konservatives Wunschbild – man lernt wirklich nie aus.
Ändert nichts daran, dass man problemlos nahezu jeden Raub mit „Nivellierungseffekten“ rechtfertigen könnte. Was die völlig sachfremde Bemerkung „konservatives Wunschbild“ hier soll, weiss ich nicht (Sie schon?). Ich jedenfalls bin kein Konservativer, sondern ein alternder Reaktionär. Und das gerne.
@ CitizenK 17. Oktober 2023, 13:25
… nachdem diese sich die billigen Arbeitskräfte zusammengeraubt hatten. Eine Fellachenwirtschaft mit einem Gottkönig an der Spitze als konservatives Wunschbild – man lernt wirklich nie aus.
Da kommt also ein Gottkönig in eine verlassene gegend, raubt sich billige Arbeitskräfte zusammen, und so entstand eine 5.000 jährige Kultur?
Wusste nicht, dass altertümliche Geschichte so unterhaltend und verständlich sein kann.
Ist in etwa so stimmig wie der Vergleich von Thorsten Haupts.
@ CitizenK 19. Oktober 2023, 06:48
Ist in etwa so stimmig wie der Vergleich von Thorsten Haupts.
Gedanken sind frei, auch Deine …
Polemik als Ersatz für Argumente geht natürlich auch, klar.
🙂
3) Im Würgegriff der toten Hand
Es gibt ja schließlich tatsächlich gute Gründe, die Verfügung über das eigene Einkommen und den eigenen Besitz mit der Existenz als Lebende und atmende Person zu beenden.
Nun ja; wer was zu vererben hat, hat es sich entweder erarbeitet oder aus dem selbst ererbten erhalten. Dass damit (aus dem Blick des Erblassers) kein Schindluder getrieben werden soll, ist nachvollziehbar. Dass aber derjenige, der nichts zu hinterlassen hat, bei Besitzenden „sozialere“ Lösungen der Vermögenskontrolle vorzieht, ist ebenso nachvollziehbar.
Ist letztendlich nur ein weiterer Umverteilungskampf, der wie alle anderen Verteilungskämpfe vermutlich erst damit enden wird, dass es nichts mehr zu verteilen gibt.
4) Einiger als gedacht
Die Analyse deckt auch auf, dass die zunehmende Wut in Deutschland eher auf Erschöpfung und „Veränderungserschöpfung“ zurückzuführen ist, insbesondere in Bezug auf Migration und den Klimawandel.
Für mich nachvollziehbar.
5) Eine Frage der Anziehung
Generell wird die Idee, dass Sozialleistungen allein entscheidend sind, von verschiedenen Experten in Frage gestellt, die betonen, dass Faktoren wie Sicherheit, Schutz und Arbeitsmöglichkeiten eine größere Rolle spielen.
Ich wüsste niemanden, der behauptet, dass einzig und allein die Sozialleistungen ausschlaggebend sind. Sie sind halt ein entscheidender Faktor von mehreren. Frag Dich selbst, was passieren würde, wenn es überhaupt keine Sozialleistungen gäbe, wir aber ein effizientes Strafverfolgungssystem á la Singapur hätten. Die Push-Faktoren, die die Flüchtlinge aus Ihren Situationen und Umständen treiben, blieben die gleichen. Kämen Sie aber noch in solchen Mengen zu uns, oder würde es sie in andere Länder ziehen?
Die Bedeutung der Sozialleistungen in der Diskussion hierzulande ergibt sich meiner Meinung nach daraus, dass diese unseren Staat schwächen.
3) Na. Auch hier vermisse ich die Zwischentöne.
5) Und sie passen in die üblichen Schemata der Neiddebatten.
@ Stefan Sasse 15. Oktober 2023, 19:04
3) Na. Auch hier vermisse ich die Zwischentöne.
Gibt es welche in der Diskussion? Vielleicht die weltweit 12 Millionäre, die lautstark verkünden, dass sie zu viel haben, statt einfach das überschüssige Geld abzugeben?
Was ich meine ist: zwischen „volle verfügbarkeit über alles ohne Besteuerung“ und „der Staat nimmt alles weg“ gibt es eine ganze Menge Optionen.
@ Stefan Sasse 17. Oktober 2023, 07:49
Zwischen „volle Verfügbarkeit über alles ohne Besteuerung“ und „der Staat nimmt alles weg“ gibt es eine ganze Menge Optionen.
Eine davon haben wir, und die wird ständig kritisiert, weil zu wenig „der Staat nimmt alles weg“.
„Allerdings spreche ich hierbei von beachtlichen Vermögen, nicht von bescheidenen Summen, die jahrelang mühsam angespart wurden, um die Ausbildung der Kinder und den Lebensstandard der Familie zu gewährleisten.“ (Andrew Carnegie)
Leute wie Du und ich sind also gar nicht gemeint. Es geht um Superreiche. Der Appell zielt auf Stiftungen! Die Verfügung über das Vermögen wird nicht in Frage gestellt und soll schon gar nicht an den Staat abgegeben werden.
Der Text (Link) stammt aus dem Cicero (nicht aus der TAZ oder dem ND). Offenbar nicht ablehnend. In Gänze lesenwert, enthält auch eure Argumente.
Und enthält eben einige allgemeine Überlegungen zum Thema Vererbung. Wenn ich (Halblinker, Mitte-Sozi) meine Gedanken bei einem der reichsten Männer der Geschichte wiederfinde, darf ich die in die Diskussion einbringen? Zumal sie von einem stammen, der mit 13 Jahren als Fabrikarbeiter angefangen hat und damit wie Du behaupten könnte, das alles allein geschafft zu haben.
Trotzdem verweist er immer wieder auf den Anteil der Gesellschaft an seinem Erfolg und die Verpflichtung, etwas zurückzugeben. Obwohl Staat und Gesellschaft dort (USA) und zu der Zeit weit weniger geholfen haben.
Gewiss: Einkommen wurden geringer besteuert, die Überlegungen sind nicht 1:1 auf uns heute übertragen werden können. Das gilt aber graduell, nicht grundsätzlich.
Leute wie Du und ich sind also gar nicht gemeint. Es geht um Superreiche.
Nein, das stimmt nicht. Sie argumentieren ganz klar mit relevanten Einnahmen für den Staat („klügste Steuer“). Relevante Einnahmen lassen sich nur mit einer breiten Bemessungsgrundlage erzielen, das ist unter Finanzwirtschaftlern völlig unumstritten. Werden nur Superreiche – also irgendwo 100 Millionen Euro ohne Unternehmenswerte, echtes Privatvermögen – höher besteuert, bleibt es bei Symbolik.
Das wollen Sie explizit nicht, folglich stimmt Ihre Behauptung nicht, die nur Schutzbehauptung ist. Auch hier argumentieren Sie rein populistisch.
Sie sehen sich als mitte-links, argumentieren aber stark mit Enteignungen, marktfeindlichen Instrumenten („Preisbremsen“) und verteidigen Rechtsbrecher (Klimakriminelle). Das ist nach den Analysen der Demoskopie nicht mehr mitte-links.
Reden wir hier auch generell vom selben, quasi zwischen einer moderaten Besteuerung leistungsloser Einkommen (Erbschaft) oder davon, das komplett wegzunehmen? Weil das sind zwei Paar Stiefel.
Nein, davon reden wir explizit nicht.
CitizenK hat die „Anregung“ gebracht, hohe Vermögen generell der Entscheidungsgewalt ihrer Erblasser zu entziehen. Ralf umriss – unwidersprochen – vor kurzem „Superreiche“, auf die auch CitizenK sich bezog mit Vermögen von 50 Millionen Euro.
Leute wie Erwin, Thorsten und ich, die ein bisschen mehr Ahnung von Wirtschaft und wirtschaftliche Größenordnungen haben, lehnen das sowohl aus grundsätzlichen als auch wegen der Relationen ab.
Ich gebe mal ein aktuelles Beispiel aus meinem Bereich, zumal ich in den vergangenen 25 Jahren immer wieder mit Mergers & Acquisitions (M&A) zu tun hatte. Ein Unternehmer verkauft 2021 sein zweites Unternehmen für 3 Millionen Euro an einen kleineren Berliner Konzern, der auf Portofolio-Management spezialisiert ist. Das Verkaufsobjekt hat zu dem Zeitpunkt 18 Mitarbeiter und erwirtschaftete in den letzten Jahren zwischen 100.000 und 200.000 Euro Nachsteuergewinn. Wer sich allein die Relationen betrachtet, erkennt, dass beim Kauf ein ganzes Stück Phantasie drin war.
Nur ein Jahr später verkauft der Erwerber das Unternehmen wieder an einen weit größeren Branchenkonkurrenten. Obwohl sich die Kennzahlen nicht nennenswert verbessert haben, fließt diesmal ein Kaufpreis von 5,2 Millionen Euro. Der Gründer bleibt auch bei diesem Übergang an Bord, er ist elementar für das Geschäft. Doch auch im neuen Konzernumfeld funktioniert die kleine Klitsche nicht, zudem kommt der Unternehmensgründer nicht mit den neuen Herren zurecht.
Inzwischen werden über 90 Prozent des Umsatzes innerkonzernlich erwirtschaftet, unterm Strich werden dieses Jahr mit etwas Glück ein paar Cent übrig bleiben. Der Konzern steht vor der Vollabschreibung der Investition, zumal der Unternehmensgründer in diesen Tagen den Konzern verlassen hat. Derzeit sind noch 7 Mitarbeiter in ungekündigtem Zustand an Bord, davon die Putzfrau und eine studentische Aushilfe. Die anderen ziehen mit ihrem Patron weiter.
Quizfrage: Angenommen, der Gründer wäre 2021 gestorben, was hätte besteuert werden sollen?
Wer Ahnung hat, weiß, dass in den meisten Fällen Unternehmenswerte maßgeblich vom Engagement des Gründer, des Unternehmers und der Marktphantasie geprägt sind. Der Wert ist meist das Know-how und das Spezialistentum der Mitarbeiter. Beides ist total flüchtig. Wird der Wert des Unternehmens nach dem Tod des Gründers erhalten, dann, weil diejenigen, die es weiterführen, die notwendigen Fähigkeiten einbringen. Dann ist das aber ihre Leistung.
Wer das nicht glaubt: Bei Interesse besteht für jeden die Möglichkeit, für ein paar Centbeträge Unternehmen zu erwerben. Menschen mit entsprechenden Fähigkeiten heben den Wert. Die anderen geraten leicht ins Minus. Oder besser: mit Sicherheit.
DAs meinte ich auch mit Zwischentönen. Neben „nehmt Oma das Häuschen weg“ und „Milliardäre schützen ihr Vermögen über sechs Generationen“ gibt es ein weites Feld.
Yup. Nur glaubt kein Schwein den Beteuerungen von Politikern und Aktivisten, sie wollten – jetzt aber wirklich, Hand aufs Herz – nur an die Vermögen der Leute mit mehr als 50 Millionen und auch da nur – Hand auf die Bibel – ein paar mehr Prozent. Jeder weiss, dass das eine glatte Lüge ist und weniger Wert, als der Schwur eines Drogenjunkies, er würde ab morgen clean sein.
Gruss,
Thorsten Haupts
Wenn „die Politiker“ (!) so drauf wären, hätten sie nicht ein bestehendes Gesetz durch einen Verfahrenstrick ausgehebelt. Dann gäbe es auch keine Freibeträge.
Ich finde diese Politik(er*innen)verachtung auch ebenso befremdlich wie schädlich.
Das ist halt Bullshit.
@ E. G.
Wie an anderer Stelle gesagt: Niemand will Dir (oder mir) was wegnehmen.
Aber ich würde die Diskussion über das Thema gern vertagen. Wir gehen schwierigen Zeiten entgegen – auf Straßen und Plätzen, in den Schulen, evtl. auch bei der Arbeit. Die Nachrichten dieser Tage machen mir große Sorge.