Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Joe Biden, MSNBC and 2024: Is liberal propaganda distorting our perception?
Der Artikel kritisiert die Berichterstattung von MSNBC und anderen liberalen Medien in den USA. Es wird behauptet, dass diese Medien oft selektive Informationen liefern und eine positive Darstellung der Biden-Regierung fördern, während sie gleichzeitig die negativen Aspekte ignorieren. Dies wird als Form von Propaganda bezeichnet. Der Autor weist darauf hin, dass MSNBC und ähnliche Medien sich oft auf die politischen Gegner von Biden und diejenigen, die von reichen rechten Spendern unterstützt werden, konzentrieren, aber nicht genug Kritik an mächtigen Oligarchen und Spendern aus dem eigenen politischen Lager üben. Dies wird als einseitige Berichterstattung kritisiert. Es wird auch argumentiert, dass MSNBC und andere liberale Medien die Erfolge der Biden-Regierung überbetonen, während sie deren Schwächen und politischen Kehrtwenden ignorieren. Einige konkrete Beispiele werden genannt, wie die fehlende Erklärung eines Klimanotstands durch Biden und seine zögerliche Haltung zur Studentenverschuldung und Gesundheitsreform. Der Artikel schließt mit der Behauptung, dass Biden ein schwacher Kandidat für die Wiederwahl im Jahr 2024 sei und dass die Demokraten möglicherweise einen neuen Kandidaten benötigen, um die Republikaner und Trump zu besiegen. (Jeff Cohen, Salon)
Es gibt einige Genres politischer Berichterstattung, die einfach nicht totzukriegen sind. Auf Seiten der Linken ist dieser hier ein herausragendes Beispiel. Die Suche nach einem liberalen Jesus (as of yet unidentitied), der den ungeliebten zentristischen Kandidaten ersetzen kann, war bereits während der Obama-Ära ein ständiges Desiderat der radikaleren Linken. Es basiert auf dem, was während der Obama-Ära als „Green Lantern Theory of the Presidency“ bekannt wurde, der Vorstellung, dass wenn man nur die richtige (sprich: linientreu linke) Person an die Spitze wähle, alle Probleme magisch gelöst würden. Es ist und bleibt eine stupide Fantasie, völlig wirklichkeitsfremd, die zu nichts führt als der Demobilisierung der eigenen Anhänger*innen und der Fokusverschiebung im Wahlkampf in ungünstige Richtungen. Aber wenn die Linke in etwas gut ist, dann darin, sich selbst in den Fuß zu schießen.
2) A working class Tory is something to be
Der Artikel analysiert die Veränderungen in der politischen Landschaft Großbritanniens im Hinblick auf die Beziehung zwischen sozialer Klasse und politischer Zugehörigkeit. Früher war die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Klasse ein starker Prädiktor für die politische Parteipräferenz, aber diese Verbindung hat sich im Laufe der Zeit gelockert und ist inzwischen fast vollständig verschwunden. Der Autor argumentiert jedoch, dass das Verständnis der Arbeiterklasse nach wie vor wichtig ist, insbesondere für die konservative Partei. In jüngerer Zeit neigen Arbeiter eher dazu, die Konservative Partei anstelle der Labour-Partei zu wählen. Dies wird als eine Art Verrat an den wirtschaftlichen Interessen der Arbeiterklasse wahrgenommen, da die Konservative Partei in der Regel mit wohlhabenderen Schichten in Verbindung gebracht wird. Der Artikel argumentiert, dass die konservative Partei die Motivation der Arbeiterklasse nicht richtig versteht und sich stattdessen auf Themen wie Einwanderung und politische Korrektheit konzentriert, die die Arbeiterklasse weniger ansprechen. Die Arbeiterklasse habe historisch gesehen den Wunsch nach sozialer Aufwärtsmobilität und einem besseren Leben für ihre Kinder und Enkelkindern gehabt, und das sei der eigentliche Antrieb für ihre politische Unterstützung gewesen. Der Artikel kritisiert die Art und Weise, wie die konservative Partei Einwanderungsthemen anspricht und argumentiert, dass die Ängste und Sorgen der Arbeiterklasse oft missverstanden werden. Es wird auch darauf hingewiesen, dass es innerhalb der konservativen Partei unterschiedliche Ansichten gibt, wie die Arbeiterklasse angesprochen werden sollte, wobei einige für eine stärkere Betonung von Gemeinschaft und lokale Entwicklung plädieren. Schließlich wird argumentiert, dass die konservative Regierung von Rishi Sunak die Arbeiterklasse falsch versteht und ihre politische Botschaft nicht auf ihre tatsächlichen Hoffnungen und Bedürfnisse ausrichtet. Die Arbeiterklasse sehne sich nach sozialer Mobilität und einer besseren Zukunft und nicht nach Angst und Stillstand. (Philipp Collins, The Time)
Ich bin mir bei solchen Artikeln immer nicht hundertprozentig sicher, inwieweit ist sie einfach nur eine Verschriftlichung der eigenen ideologischen Vorlieben darstellen und inwieweit sie tatsächlich analytischen Gehalt haben. Es klingt soweit alles sehr stichhaltig; allein, ob es tatsächlich signifikante Mengen einer Wählendenschaft gibt, die für eine solche Botschaft empfänglich wären, bleibt abzuwarten. Letztlich ist es genau dieselbe Gruppe, die die potenzielle Wagenknecht-Partei ansprechen möchte: sozial konservativ und wirtschaftlich links. Ich halte es allerdings für gut möglich, dass es sich dabei letztlich um eine Projektion handelt, mit der man für sich selbst unangenehme Realitäten zu übertünchen versucht. Schließlich ist das Beharren darauf, dass die Leute EIGENTLICH (im eigenen Sinne) gut sind und nur durch [ideologisch passende Erklärung einsetzen, etwa den Kulturkampf, Privatmedien, Propaganda, Meinungsmache oder grüne Machenschaften] abgelenkt werden, einfach viel zu attraktiv.
3) The real reasons for the west’s protectionism
In diesem Artikel wird die Entwicklung der Beziehung zwischen dem Westen und China im Kontext der Welthandelsorganisation (WTO) und der Globalisierung diskutiert. In den frühen 2000er Jahren hoffte der damalige US-Präsident George W. Bush, dass die Integration Chinas in die Weltwirtschaft zu mehr Offenheit und Demokratie führen würde. Diese Hoffnung hat sich jedoch unter Xi Jinping nicht erfüllt, da China sich stattdessen autoritärer entwickelt hat. Inzwischen sieht der Westen China als wirtschaftliche Bedrohung und als geopolitischen Rivalen. Der Artikel argumentiert, dass die Aufnahme Chinas in die WTO möglicherweise ein Fehler war, da sie zur Deindustrialisierung des Westens beigetragen haben könnte. Dies wiederum führte zu sozialer Ungleichheit und trug zum Aufstieg von populistischen Bewegungen wie Donald Trump bei. Die USA unter der Regierung von Joe Biden haben daher Schutzzölle auf chinesische Produkte beibehalten und fördern eine industriepolitische Agenda, um die nationale Industrie wiederzubeleben und technologische Führung zu erlangen. Ähnliche Tendenzen sind auch in Europa zu beobachten, wie die Untersuchung von Subventionen für Chinas Elektroautoindustrie zeigt. Die Automobilindustrie ist ein Schlüsselsektor in Europa, insbesondere in Deutschland. China hat jedoch in diesem Bereich aufgeholt, insbesondere im Bereich der Elektrofahrzeuge. Dies stellt eine Herausforderung für die europäische Industrie dar und könnte politisch brisante Arbeitsplatzverluste zur Folge haben. Obwohl Protektionismus verlockend erscheint, ist die Realität komplex. Europa benötigt immer noch chinesische Inputs, um Elektrofahrzeuge herzustellen, und China ist ein wichtiger Markt für europäische Autohersteller. Eine Eskalation von Handelskonflikten könnte daher zu Gegenschlägen führen. Dennoch wächst der politische Druck, die europäische Industrie zu schützen, angesichts des Aufstiegs populistischer Parteien. Es bleibt abzuwarten, wie die EU auf diese Herausforderungen reagieren wird, aber es ist klar, dass Industriepolitik und Protektionismus wieder akzeptabel sind, sowohl in den USA als auch in Europa. (Gideon Rachmann, Financial Times)
Ich lese in letzter Zeit immer häufiger die Idee, dass Liberalismus und Globalisierung vom Westen letztlich nur so lange verfolgt und für gut geheißen wurden, wie ist den eigenen Interessen diente und dass nun eine Rückkehr zu einer nationalstaatlichen und protektionistischeren Orientierung erfolge. Das Auffällige daran ist, dass diese Vorstellung sowohl nach links als auch nach rechts anschlussfähig ist, was für Liberale ziemlich besorgniserregend sein dürfte. Diese sind ohnehin noch nie eine Mehrheitsbewegung gewesen und gegenüber solche Arten eines politischen Sandwiches besonders verletzlich. Dazu kommt, dass die These, die Globalisierung und die WTO hätten zu die Industrialisierung des Westens entscheidend beigetragen, ja nicht einmal kontrovers ist. Die Liberalen hatten nur immer versprochen, dass durch sinkende Preise so große Wohlstandsgewinne entstehen würden, dass dies ein lohnenswerter Deal für alle Seiten sein würde (a rising tide lifts all boats and all that). Und das mag sogar stimmen! Schließlich ist der Lebensstandard unzweifelhaft gegenüber dem 20. Jahrhundert massiv angestiegen. Dieses Argument scheint allerdings immer weniger zu verfangen.
In Erfurt erinnert ein historischer Schriftzug an den Besuch des Bundeskanzlers Willy Brandt im Jahr 1973, als die Berliner Mauer noch stand. Menschen versammelten sich mutig vor dem Hotel, um für Brandt zu rufen, ein Symbol für Hoffnung, Fortschritt und Einheit in Zeiten der DDR. Heute scheint dieser demokratische Geist in Erfurt verblasst. Kürzlich stimmten die Abgeordneten von Union, FDP und AfD im Thüringer Landtag für eine Grundsteuersenkung, was als Zeichen der Zusammenarbeit mit der AfD gesehen wird. Dies führt zu Bedenken hinsichtlich der Demokratie und des Aufstiegs der AfD unter Björn Höcke, der enge Verbindungen zu rechten Ideologen wie Götz Kubitschek und Renaud Camus hat. Camus‘ Theorie des „Großen Austauschs“ propagiert eine Verschwörung gegen weiße christliche Einheimische und dient als Rechtfertigung für rassistische Gewalttaten. Die Zusammenarbeit von CDU und FDP mit der AfD in Thüringen gefährdet die Grundprinzipien des Grundgesetzes und spaltet die politische Landschaft. Solche Entwicklungen bedrohen insbesondere Migranten, Minderheiten und alle, die nicht in das rechte Weltbild passen. Der Autor mahnt zur Wachsamkeit und warnt vor den Gefahren dieser rechten Bewegungen. (Nils Minkmar, Der Siebte Tag)
Die Kritik über den Tabubruch in Erfurt ist natürlich besonders im progressiven Spektrum sehr laut, zieht sich aber bis weit in die liberale Mitte hinein, während auf der demokratischen Rechten eher die Zustimmung dominiert. Ich bin bei dem spezifischen Fall etwas hin und hergerissen. Auf der einen Seite besitzt die Regierung im Parlament schlichtweg keine Mehrheit. Andernfalls wären all diese Probleme nicht gegeben. Das Tabu, jemals auf dieselbe Art wie die AfD abstimmen zu dürfen, ist daher transparent ein gewaltiger Vorteil für die Regierung Ramelow, die auf diese Art die CDU effektiv ausschalten kann. Hier keinen Umgang gefunden zu haben und auf Konfrontation zu setzen ist die Schuld der Regierung, die sich durchaus auch den Vorwurf gefallen lassen muss, für 2% Grunderwerbssteuer die Demokratie aufs Spiel zu setzen.
Gleichwohl schlägt dieser Vorwurf umso stärker auf die bürgerlichen Parteien zurück, die ausgerechnet diese Frage für einen solchen Tabubruch nutzen. Es ist wenig glaubwürdig, eine Zusammenarbeit mit der AfD bei solchen relativen Kleinigkeiten zu legitimieren und dann in größeren Fragen ablehnen zu wollen.
Ich bin mir unsicher, inwieweit Thüringen repräsentativ für die gesamte Problematik sein kann. Es zeigt sich in dem Bundesland aktuell, warum die Politik in Deutschland stets so skeptisch gegenüber Minderheitenregierungen war. Sie sind schlichtweg instabil und neigen zur Produktion solcher Krisen. Ich habe das selbst in der Vergangenheit deutlich unterschätzt.
Aktuell hadere ich auch mit meiner eigenen Einstellung zum Umgang mit der AfD. Mir scheint der Ansatz der Brandmauer und des Tabus letztlich gescheitert. Die Forderung zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung ist unter dem Gesichtspunkt zu begrüßen, als dass die Partei mit ihrem Forderungen im Programm ja massenhaft Angriffsfläche bietet. Ich bin allerdings auch skeptisch, dass eine solche Auseinandersetzung tatsächlich stattfinden und zu dem gewünschten Ergebnis führen würde. Vielmehr steht eine weitere Normalisierung der Zusammenarbeit und eine graduelle Zerstörung der Demokratie zu befürchten. Ich bin allerdings natürlich auch in dieser Sache kein neutraler Beobachter.
Weitere Links zum Artikel: Die Salonkolumnisten blasen in dasselbe Horn. Siehe zu historischen Analogien auch diesen Tweet. Bei der ZEIT gibt es auch was Gutes. Dito Tagesspiegel.
5) Wer mit Strauß und Adenauer wirbt, hat keine Idee von der Zukunft
Die CDU und CSU setzen im Wahlkampf auf die Vergangenheit, indem sie die Namen und Orte von Konrad Adenauer und Franz Josef Strauß verwenden. Dies wird als rückwärtsgewandt und peinlich kritisiert und spiegelt den aktuellen Zustand der Union wider. Die neue Corporate Identity der CDU mit den Farben Cadenabbia-Türkis und Rhöndorf-Blau wird als stilistischer Fehltritt angesehen. Die Wahlkampfstrategie offenbart, dass die CDU keine klare Vision für die Zukunft hat und sich auf vergangene Zeiten stützt. Dies wird als reaktionär betrachtet. Die CSU geht noch einen Schritt weiter, indem sie Franz Josef Strauß posthum in ihrem Wahlkampf einsetzt. Die Autorin argumentiert, dass die CDU und CSU in der aktuellen politischen Landschaft keine neue Politik bieten und von gestern sind. Sie fehlen an Ideen und frischer Aufgabe. Die Äußerungen eines CDU-Vertreters, der die AfD als Ziel hat, die Union zu zerstören, verdeutlichen die interne Problematik der Partei und ihre potenzielle Selbstzerstörung. Dies wird als konsequent, wenn auch traurig, bezeichnet. (Fréderic Schwilden, Welt)
Es ist generell auffällig, das nur die Union einen so stark vergangenheitszentrierten Wahlkampf betreibt. Es ist ja nicht so, als würden anderen Parteien Bezugspersonen fehlen. Die FDP hätte Theodor Heuss, Walter Scheel und Friedrich Genscher (oder sogar Guido Westerwelle), die Grünen können sich auf Joschka Fischer oder Petra Kelly berufen, die SPD kann immer Helmut Schmidt oder Willy Brandt ausgraben. Aber bei keiner dieser Parteien passiert das. Ich denke daher, dass die These Schwildens, dies hänge mit einer generellen Ideenlosigkeit bei der Union zusammen, durchaus tragfähig ist. Ich habe einen ähnlichen Gedanken ja seinerzeit im Wahlkampf mit meinen drei neuen Parteipaarungen formuliert und sehe bislang wenig Grund, diese Analyse zu revidieren.
Resterampe
a) Spannende Rezension zu einem neuen Sammelband zu Queer Studies in der FAZ.
b) Hohle Phrasen, Bildungs-Edition.
c) Spannender Artikel über die Geschichte der IQ-Obsession.
d) Porträt der Politikbeziehung Spahn-Wüst.
f) Interessante Rezension des Liberalismus-Buchs von Elif Özmen.
g) Eine der weniger überraschenden Folgen der EZB-Politik ist ein deutlicher Einbruch bei den ohnehin nicht berauschenden Wohnungsbauzahlen.
(g – Folgen der EZB-Politik)
Hätte uns doch in den vergangenen 15 Jahren bloß jemand gewarnt, dass die fahrlässige EZB-Politik fahrlässig ist und uns künftigen währungspolitischen Spielraum nimmt! Dass dieses verfluchte neoliberale Lumpenpack uns aber auch immer schon dann die Stimmung versemmelt, wenn an der Oberfläche alles noch ganz rosig aussieht …
Interessant übrigens, dass Du die Folgen „weniger überraschend“ findest. Hätte jemand vor ein paar Jahren diese Entwicklung prognostiziert, hättest Du ihn wahrscheinlich ausgelacht, oder? Aber da bist Du in guter Gesellschaft. Auch der Economist ist noch vor kurzem nicht auf die Idee gekommen, dass Zinsen auch mal wieder steigen können. Nach dem Motto: Wettrüsten gegen China, Rohstoff-Run und globale Energiewende, so groß kann der Kapitalbedarf schon nicht sein.
Manchmal frage ich mich, wie weit die Leute eigentlich vorausblicken. Zwei Monate? Fünf?
q Tim 25. September 2023, 09:17
g) Folgen der EZB-Politik
Hätte jemand vor ein paar Jahren diese Entwicklung prognostiziert, hättest Du ihn wahrscheinlich ausgelacht, oder?
Hat er 🙂
„Wenig überraschend“ bezog sich auf „steigende Zinsen sorgen für Rezession“. Deswegen war ich ja immer so skeptisch gegenüber diesem Instrument. Wie ich in meinem großen Artikel zum Thema ja aber auch dargelegt habe, bin ich von meinen früheren Überzeugungen mit einem kleinen mea culpa etwas abgerückt.
e) Gauck ist völlig lost.
g) Folgen der EZB-Politik
Ich habe Dich schon 2016 gefragt, ob Du glaubst, dass unsere Gesellschaft 1.000.000 Flüchtlinge pro Jahr aufnehmen können. Deine Antwort: Nein, natürlich nicht. Ich habe auch gefragt, ob wir 10.000 Flüchtlinge pro Jahr aufnehmen könen. Deine Antwort: Ja, natürlich. Als ich dann fragte, wo denn die Obergrenze für die Flüchtlingsaufnahme liege, hast Du Antwort und letztendlich auch die Diskussion verweigert mit dem Kommentar, dass es ein Asylrecht gäbe, eine Obergrenze nicht greifen könne. Das bedeutet aber im Zweifelsfalle auch „Ja“ zu 500.000 pro Jahr.
Aus meiner Wahrnehmung ist ein Riesenproblem, WER zu uns kommt, bzw. mit welcher Motivation das geschieht. Wer aus dem Elend, in dem er steckt, raus will, wer eine gute Kranken- oder Sozialversorgung sucht, kommt zu uns. Wer sich eine Existenz aufbauen will, geht woanders hin.
Die ganze Diskussion über Bürgergeld, Schuldenbremse bzw. -aufnahme etc. ist derart scheinheilig, dass mir regelmäßig schlecht wird.
Wir erwürgen uns mit Bürokratie (@ Citizen K.: Wenn ich die Latte so hoch lege, dass niemand mehr drunter durch passt, baut beispielsweise niemand mehr Wohnungen; gilt genauso für Ärzte, Lehrer, Autos, Lebensmittel etc.). Wir sind nicht mehr in der Lage, unsere Bevölkerung am unteren Ende der Gesellschaft zu versorgen, den Kita-, Schul- oder Universitäts- oder Pflegebetrieb aufrechtzuerhalten, Polizei und Behörden können ihren Aufgaben nur noch eingeschränkt nachkommen.
Und wir tun fast ALLES Menschenmögliche, dass sich diese Situation verschlimmert. Wir lassen dieses Jahr 300.000 Flüchtlinge in unser Land, von denen die allermeisten in unserem sozialen Netz landen werden; die wenigen, die hier ihre Existenz aufbauen wollen, werden ausgebremst. Wenn man diese Problematik anspricht, verweist die Politik schulterzuckend auf erforderliche „europäische Lösungen“. Die wird es in diesem Europa vermutlich nie geben, und die Politik weiß das.
Wenn dann mal jemand wie der ehemalige Bundespräsient Gauck (den ich, wie Du Dich vielleicht erinnerst, als BP total Panne fand) den Mund aufmacht, heißt es, „Gauck ist völlig lost“.
Manchmal scheint mir, Du kannst nicht mal fünf Minuten weit in die Zukunft gucken. Bei der seit Jahren hohen Zahl von Flüchtlingen (die wir nicht gesittet unterbringen können, wo uns Kräfte für Sprachkurse fehlen, wo bei den Flüchtlingen allzu häufig das Verständnis für europäische Werte wie „Gleichberechtigung von Frau und Mann“ oder „Politik vor Religion“ fehlt) sind Parallelgesellschaften unvermeidbar. Man sieht in anderen Ländern (z.B. die Banlieus in Frankreich) aber auch schon in mehreren deutschen Großstädten, dass wir diese Situation schon jetzt nicht mehr im Griff haben.
Die Realität wird sich durchsetzen, nicht die Theorie, nicht die Ideologie, nicht der Idealismus. So, wie es läuft, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Bundeskanzler Bernd Höcke heißt, und damit wäre auch der Weg verbaut für jegliche Zuwanderung in den Arbeitsmarkt.
Als 65jähriger gut versorgter (Fast-)Rentner muss ich mir immer noch Gedanken um meine Zukunft. Wenn ich in 20 Jahren Pflege benötigen sollte, wird es die nicht mehr geben – jedenfalls nicht hier.
Ich kann Carola Rakete nicht leiden und bin für eine Begrenzung der ungeregelten Zuwanderung. Sehr interessant in diesem Zusammenhang übrigens diese Jung & Naiv Folge: https://www.youtube.com/watch?v=HfK5g6fAf5E
Dieser ganz früher mal mit der Hausbesetzerszene verbundene niederländische Soziologe Koopmans vertritt da Thesen, die ich so nicht erwartet habe.
Die Mehrheit der großen Flüchtlingswelle von 2015/16 sind aber offenbar inzwischen auf dem Arbeitsmarkt angekommen.
https://mediendienst-integration.de/integration/arbeitsmarkt.html
Dort dann „Wie viel Flüchtlinge haben Arbeit“ ausklappen.
54 Prozent der Personen, die vor sechs Jahren kamen, hat einen Arbeitsplatz, davon zwei Drittel in Vollzeit
70 Prozent üben eine qualifizierte Tätigkeit aus. Dennoch sind viele unterhalb des Ausbildungsniveaus beschäftigt, das sie vor ihrer Ankunft in Deutschland hatten, und zwar 41 Prozent der Personen, die seit sechs Jahren in Deutschland sind. Zwölf Prozent haben inzwischen eine höhere Ausbildung und eine dem entsprechende Stelle gefunden.
Trotzdem müssen wir beim Thema ungeregelte Einwanderung ganz sicher etwas tun. Auf der anderen Seite sollten wir das Land aber auch nicht völlig abriegeln wie das Japan tut. Das erzeugt nämlich wg Demographie auch Probleme.
@ Lemmy Caution 25. September 2023, 12:02
Ich weiß, dass das eine reine Wunschvorstellung von mir ist: Für mich sind die angekommen, die nicht vom Staat abhängig sind. Wenn viele prekär beschäftigt sind, hält das die Löhne unten, und sie sind direkte Konkurrenz für unsere Abgehängten.
Ich bin sehr für Einwanderung, weil ich weiß, wie viele Fachkräfte fehlen. Aber die Art von Einwanderung, die wir jetzt haben, senkt die Akzeptanz für Einwanderung der Art, wie wir sie bräuchten. Darüber kommt dann das Layer, dass wir inzwischen von der gesamten Infrastruktur (von der Kindesbetreuung über Bildung, Wohnen, Ämter oder Pflege) nicht mehr in der Lage sind, den Bedarf aufzunehmen; ein Mangel treibt den nächsten.
Ich plane gerade einen Grundsatzartikel zum Thema, würde die große Diskussion daher verschieben. Nur so viel: mein Kommentar zu Gauck bezieht sich nicht auf die Frage „open borders ja oder nein“ (ganz klar: nein), sondern auf seine Aussage über Menschenrechtsverbrechen.
1) Darum geht es im Artikel doch gar nicht. Entscheidend ist der Vorwurf, dass Medien (auch liberale) eine Beisshemmung haben, wenn es um Nahcrichten geht, die die eigene Seite schlecht aussehen lassen. EIn relevanter Vorwurf, nicht nur in den USA, sondern auch hier.
3) Fällt die ein historisches Beispiel ein, wo abgeschottete Wirtschaften einen Vorteil gegenüber offenen hatten ?
4) Am Ende des Tages läuft es darauf hinaus, was Stefan Pietsch im letzten Vermischten zu den freien Wählern kommentiert hat: Wer mehr Optionen haht, hat mehr Macht. Wenn die CDU die AfD als Mehrheitsbeschaffer nutzt, hat sie einen Vorteil gegenüber denen, die es nicht tun Können/Wollen. Wenn die AfD kein Mehrheitsbeschaffer ist, dient das den Grünen, die am besten mit den anderen Parteien kompatibel sind. Und interessanterweise gilt das umso mehr, je stärker die AfD ist.
5) Der Kontext ist imho ein Eigentor: In München wirbt die CSU mit dem Strauß-Zitat: „Wir wollen mit rechtsradikalen Narren und Extremisten nichts zu tun haben“. Die älteren werden sich sicher erinnern, wie viele Zitate von dem großen Vorsitzenden (oder seinem Generalsekretär) es gibt, in denen er genau die rechtsradikale Sprache gesprochen hat, die sich heute die AfD zu eigen macht.
a) ganz ehrlich: Die Rezension lässt schlimmstes über das Buch vermuten. Sehr viel feiern von sich selbst (als Bewegung), unglaubliche Buzzword-Cluster, eigene Terminologie – es bestätigt ziemlich viele Vorurteile. Wenn du den Mut hast und das Buch liest, wäre deine Rezension vielleicht interessanter.
b) hast du den Spiegel-Artikel gelesen, auf den sich Stark-Watznger bezieht ? Da drin sind ziemlich viele Forderungen, die dir gefallen könnten.
h) Eigenes Fundstück: Rate mal, welche Nimbys WIndkraftanlagen in Bayern verhindern?
https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL2JyLmRlL3ZpZGVvL2QyODBiNWE2LTVhY2YtNDc5My04NGQ0LTRjYjI2YWZiNGRiOA
1) Das ist sicher richtig.
3) „Abgeschottet“ ist ja auch ein Extrem, das nirgends in Aussicht steht. Die USA sind ja auch mit BBB nicht „abgeschottet“.
4) Korrekt. Nur sagt mir das nichts darüber aus, wie gefährlich diese Strategie ggf. ist.
5) Wie meinen=?
a) Danke für die Blumen 🙂 Mich interessiert das Thema aber zu wenig, und die Rezension hier reicht mir für ein „ich brauch das nicht“.
h) lol
5) Dass es etwas unredlich ist, jemanden als Kronzeugen gegen Rechtspopulismus zu nehmen, der z.B. gesagt hat
„Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen.“
oder
„Ich bin ein Deutschnationaler und fordere bedingungslosen Gehorsam.“
Ich denke, die beziehen sich immer auf das Blatt Papier nach rechts.
@ cimourdain 25. September 2023, 12:18
3) Fällt die ein historisches Beispiel ein, wo abgeschottete Wirtschaften einen Vorteil gegenüber offenen hatten ?
DDR
(Duck und wech … 🙂 )
1) Joe Biden, MSNBC and 2024: Is liberal propaganda distorting our perception?
Was in die Köpfe vieler Linker, aber teilweise auch Rechter nicht rein will: Menschen machen Politik, nicht Programme. Es bedarf Können und Talent, um aus Absichten eine gute reale Umsetzung zu machen. Deswegen halte ich von Politikern von Merz über Habeck und Baerbock bis Wagenknecht wenig. Nette Personen, die Phantasien bedienen, aber in der Wirklichkeitswerdung von Politik so ihre Probleme haben.
3) The real reasons for the west’s protectionism
Welcher Westen? In dem Westen gibt es zwei Blöcke, Nordamerika und die EU. Europa wehrt sich gegen die protektionistische Linie, was ja auch zum BREXIT geführt hat. Die Verlierer von Handelsprotektionismus sind die vielen kleinen und mittleren Staaten, was ja nicht zuletzt die Briten zu spüren bekommen. Sie wähnten sich als Empire und sind doch nur eine kleine Nummer.
4) Die Wiedergänger
Die schlichte historische Tatsache ist, dass Rechtspopulisten durch Ignorieren oder Verteufeln klein werden. Es bringt allerdings auch nichts, sich ihnen anzubiedern oder ihre Themen aufzugreifen und sie widerlegen zu wollen. Populisten sind wie Haie und Wölfe: Sie lösen keine Probleme, machen aber auf welche aufmerksam. Wer das ignoriert, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Herden an Haien und Wölfen wachsen.
Vor Monaten konnte die Regierung Ramelow den Untersuchungsausschuss zur Personalpolitik der Landesregierung nur deswegen erweitern, weil er die Stimmen der AfD erhielt. Die schräge Begründung des Ministerpräsidenten: Die Unterstützung der Höcke-Partei sei ja gar nicht entscheidend gewesen, schließlich habe Rot-Rot-Grün mehr Stimmen als CDU und FDP. Da müsste jemand dem LINKEN-Politiker mal sagen, dass es für den Beschluss eines Gesetzes normalerweise der absoluten Mehrheit bedarf.
Es wird noch lange dauern, bis die bürgerlichen Parteien einen Modus Operandi gefunden haben, wie mit der AfD umgehen. Angesichts dessen, wie langsam der Tanker Bundesrepublik auf tektonische Verschiebungen der Verhältnisse reagiert, fürchte ich Schlimmstes für die Demokratie. Ich möchte nicht erleben, dass die AfD mit 30 oder 35 Prozent im Deutschen Bundestag sitzt. Doch jeden Tag höre ich mehr Menschen, die regelrecht verzweifelt fragen, wie sie die regierenden Parteien zur Einsicht und Rücksicht auf ihre Lebensverhältnisse bringen sollen.
Ja.
Korrektur:
Die schlichte historische Tatsache ist, dass Rechtspopulisten durch Ignorieren oder Verteufeln eben nicht klein werden.
5) Wer mit Strauß und Adenauer wirbt, hat keine Idee von der Zukunft
Die Union ist in einer schweren Sinn- und Orientierungskrise. Das ist, das sagte schon Gerhard Schröder zur Zeit der Spendenaffäre, ein existenzielles Problem für die Demokratie. Zuflucht in längst vergangene Zeiten zu nehmen, ist da nicht der beste Ratgeber. Auch erfolgreiche Vorbilder gibt es immer weniger: Da wäre die Ära Sebastian Kurz in Österreich oder die spanische Partido Popular, die eine offensichtlich moderne konservative Politik verfolg(t)en. Doch die Lage hierzulande mit im Grunde zwei politischen Deutschlands ist da schon verzwickter.
e) Gauck ist völlig lost.
Warum? Gauck spricht aus, was die große Mehrheit seit Jahren sieht. Es ist die regierende Politik, die sich so schwer tut, auf die harten Realitäten der ungesteuerten Migration praktikable Antworten zu finden.
5) Ich finde, meine These „SPD:2004ff.=CDU:2015ff.“ bewährt sich weiterhin.
Das hoffe ich nicht. Und zwar nicht deshalb, weil ich es mit den Konservativen halten würde, sondern weil der Wegfall eines solchen Ankers die Demokratie instabiler werden lässt.
Ja, aber ich sehe aktuell wenig Anlass, von der Analyse abzurücken.
Die Union ist in einer schweren Sinn- und Orientierungskrise.
Deutschland ist halt das letzte grosse westeuropäische Land, in dem das Konzept der Volkspartei zusammenbricht, die Union war bis zur letzten Bundestagswahl die letzte Volkspartei Europas. Die Krise existiert schon lange, nur konnte die Union sie als guter Kanzlerwahlverein solange unter der Decke halten, wie ihr Merkel Regierungsverantwortung bescherte.
Gruss,
Thorsten Haupts
Da sind immerhin noch Spanien und Griechenland, die starke konservative Parteien vorweisen können. Und auch in Österreich, Deutschland am ähnlichsten, gibt es mit der SPÖ und der ÖVP noch so Art Volksparteien.
Die letzten regionalen Wahlen in Schleswig-Holstein, dem Saarland und Niedersachsen haben die großen Parteien eher gestärkt. Bei den kommenden Wahlen in Bayern und Hessen werden zumindest die Konservativen eher stabilisiert als runtergewählt. Richtig ist, dass sich das linke Lager in zwei ähnlich starke Parteien aufgespalten hat. Im bürgerlichen Lager ist die Sehnsucht nach dem monolithischen Block noch groß.
Ich dachte auch, dass in Europa noch diverse so „christliche Volksparteien“ rumspringen, wenngleich in verschiedenen Stadien der Vermengung mit Rechtspopulismus. Gerade die ÖVP ist da ja ein gutes Beispiel für.
In den meisten Demokratien sind populistische, häufig rechtspopulistische Parteien Normalität geworden. Das ist in Spanien mit VOX und Podemos so, in Griechenland, in den Niederlanden und eben in Österreich. Gefährlich wird es, wenn diese Parteien die Führung von Regierungen übernehmen, in Frankreich mit Rassemblement National, in Italien mit Fratelli d’Italia, in einigen osteuropäischen Ländern oder in Ostdeutschland mit der AfD.
Jepp. Da sind wir uns völlig einig.
Auf den unteren Ebenen (Landräte, Bürgermeister) seht ihr kein Problem?
Doch, aber ich fürchte, der Zug ist abgefahren. Und es ist um Faktoren weniger schlimm.
Landräte und Bürgermeister sind weitgehend ausführende Organe der oberen Gebietskörperschaften. Ansonsten sind sie Vorgesetzte der Verwaltung. Dass ein AfD-Politiker per se eine schlechtere Führungskraft als ein Grüner ist, konnte bisher auch nicht bewiesen werden.
Mit Gesinnung kommt man auf kommunaler Ebene nicht weit, das haben Sie doch selbst vor Wochen zugestanden. Mag sein, dass eine Welt ohne Populisten schöner wäre. Das ist aber nicht die Realität. Rechtspopulisten sind meistenteils Teil der westlichen Demokratien. Ob uns das gefällt oder nicht, wir haben damit umzugehen.
Da machst du es dir wesentlich zu einfach. Die Leute haben großes Zerstörungspotenzial, dafür gibt es massig Beispiele aus anderen Ländern. Aber ich stimme dir zu, dass wir wohl nicht drumrumkommen.
In den Nullerjahren haben viele Kämmerer ihre Gemeinden in die Schieflage gebracht, weil sie meinten spekulieren zu können. Unzählige Kommunen stehen unter Landesverwaltung, die können nicht einmal Toilettenpapier bestellen, ohne die Genehmigung des Landesfinanzministers.
Mir fehlt die Phantasie, wie da jemand mit rechtsnationaler Gesinnung große Zerstörungsgewalt entfalten sollte. In Frankreich funktioniert das durch Funktionsträger des Rassemblement National so gut, dass die Partei Le Pens inzwischen als kommende Präsidentenpartei gilt. Während sich die Linken fetzen, wirken die Vertreter des Rassemblement National. Das ist aber nicht ein Problem der Rechtspopulisten.
Wir veranstalten dagegen so alberne Übungen wie in Thüringen, wo nach einer allgemeinen Wahl der neue Landrat von Sonneberg einen Demokratiecheck unterzogen wird. So macht man es, wenn man der AfD eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen will.
Die deutsche Kommunalstruktur ist eh total kaputt. Aber das ist so ein Jahrhundertprojekt à la Föderalismusreform, dass da was passiert ist…eher unwahrscheinlich.
Volle Zustimmung, die Linken sind viel zu blöd dafür. Aber: die fehlende Fantasie ist hier echt ein Problem. Die könnten durch selektive Gängelung und Diskriminierung tatsächlich viel Schaden anrichten, bei verwundbaren Bevölkerungsgruppen. Denn klar, das wäre illegal, aber periphere Gruppen haben üblicherweise nicht die Mittel, sich dagegen zur Wehr zu setzen.
Korrekt.
Schließt sich ja nicht aus.
Die Union kann ja noch immer Ergebnisse einer Volkspartei einfahren, sofern man das Personal dafür hat. Zu allererst ein sympathischer Spitzenkandidat: Merz kann sich auf den Kopf stellen, der ist er nicht und wird er auch nicht werden. Also müsste er mit einem Team kommen, dass für rechts und links der Mitte was anbietet: nach 16 Jahren ist die Union hier entkernt, bzw. macht seltsame Wechsel: Jens Spahn war schon als Gesundheitsminister eine Fehlbesetzung, jetzt treibt er das Thema Energie – warum auch immer.
Die Leute trauen dieser Union keinen Neuanfang zu und daher bleibt man in Umfragen unter den Möglichkeiten.
Sympathie ist nicht ausreichend. Von Politikern wird heute vor allem Charisma gefordert, was sehr selten ist. Das gilt für Macron genauso wie für Boris Johnson, Rute, Sebastian Kurz und Donald Trump.
Wie gesagt, ich bleibe bei Markus Söder, bei dem ich Strahlkraft feststellen kann. Lindemann würde ich auch Talent attestieren.
„Heute“, sagt er 😀 Charisma war noch nie ein Nachteil, ich glaube, die Aberration Merkels hat da zu Fehlschlüssen bei vielen geführt. Stimme dir zu, was Söder anbelangt, aber der ist halt Bayer, und dieser CSU-Konservatismus ist bundesweit schwer anschlussfähig.
1983 konnte man sich einen Kohl leisten. Heute mit Sicherheit nicht mehr. Ich versuche zu vergleichen, welcher Politikertypus ist erfolgreich. Und das ändert sich ja im Zeitablauf, länderübergreifend zeigen sich jedoch Parallelen.
Söder ist Franke. Und Franken werden als Bayern nicht für voll genommen, weshalb Söder ja selbst in Schleswig-Holstein gut ankommt. Ich gehöre nicht zum Fanclub Söder, aber Persönlichkeit, Charisma und eine gewisse Ruchlosigkeit lässt sich ihm nicht absprechen. Wie er Merz in den Senkel gestellt hat, war wieder große Klasse.
Geht mir ähnlich. Der liegt mir von Habitus, Lebenswelt und politischer Einstellung völlig fern, aber politisches Talent kann man ihm sicher nicht absprechen. Das gilt aber auch für Lindner und Habeck; das scheinen mir gerade die „Top 3“ der charismatisch-kommunizierenden Politiker zu sein.
Bei Habeck habe ich die Überzeugung verloren. Seit einem Jahr – Beschluss über die Abschaltung der letzten Atomkraftwerke – hat er sich machtpolitisch und kommunikativ ständig maximal unglücklich verhalten. Das ist schon eine Serie.
Aber wie gesagt, bei der Union würde ich voll auf Söder setzen. Das kann natürlich in zweieinhalb Wochen einen ziemlichen Dämpfer bekommen, wenn der bayrische Ministerpräsident bei 36 Prozent einläuft. Die Aiwanger-Affäre war maximales Pech, da Söder mit keiner Entscheidung gewinnen konnte.
Ich finde, das geht über Habeck hinaus. Das ist ein Gesamtproblem der Grünen. Die verweigern einfach komplett Politik. „Wir haben die besten Lösungen, wir haben die richtigen Meinungen, das werden die Leute schon einsehen.“ Damit kannst keinen Blumentopf gewinnen und meist kommst als blasiertes Arschloch rüber. Ich weiß nicht, was in dem Laden los ist. Amateure. Aber: Habeck hat zumindest das Potenzial IMHO. Aber volle Zustimmung bei den Desastern, wobei da dasselbe wie für Söder gilt (volle Zustimmung): bei den Themen gab’s nix zu gewinnen.
Vor einem Jahr hätte ich Dir zugestimmt. Doch die vergangenen Monate erinnerte mich Habeck sehr an Björn Engholm, den ich ja durch eigene Anschauung erlebt habe. Ich erkenne da viele Parallelen.
Die Frage, ist Habeck eher wie sein Landsmann -ein Schöngeist, phantastisch im Aussehen, gut im Reden, aber mit wenig politischer Substanz – oder ein im Zweifel cleverer Machtpolitiker, wird noch in dieser Legislaturperiode endgültig beantwortet.
Da fehlt mir die Referenz. Geben wir ihm mal noch ne Chance 😉
Auch hier ist die Parallele zur SPD ziemlich deutlich. Jens Spahn erinnert mich an einige der Agenda-Boys. Gut vernetzt, viel Regierungsverantwortung, aber in so einer eigenen Blase, die wesentlich weniger tragfähig ist, als er (und Beobachtende) sich einreden.
Zu e)
Also wenn Gauck nach DIESEM Beitrag „völlig lost“ ist, dann habe ich ne schlechte Nachricht für Dich – damit sind jetzt (anders als vor 8 Jahren) 2/3 der deutschen Politik „völlig lost“. Die klare Mehrheit der Bevölkerung war das dann schon 2015, nur wurde das von der Politik arrogant ignoriert.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ja, ich bin sicher, dass die klare Mehrheit der Bevölkerung für mehr Umverteilungsmaßnahmen und stärkere Belastungen der oberen Mittelschicht aufwärts bei euch auf ähnlich geteilte Zustimmung stoßen wird.
Niemand von „uns“ – ich nehme an, Erwin, Stefan P und ich? – würde das mit „völlig lost“ kommentieren …
@ Thorsten Haupts 26. September 2023, 11:10
Niemand von „uns“ – ich nehme an, Erwin, Stefan P und ich? – würde das mit „völlig lost“ kommentieren …
Wohl kaum …
Ihr habt halt auch nicht meine schlafwandlerische Stilsicherheit.
@ Stefan Sasse 27. September 2023, 07:50
Ihr habt halt auch nicht meine schlafwandlerische Stilsicherheit.
Zustimmung – Schlafwandler sind wir nicht 🙂
Touché.
Dieses Raunende, Unkonkrete bei Gauck findet ihr gut?
Challenge accepted. Sie zeigen uns einen konkreten, nichtraunenden Bundespräsidenten oder Bundespräsidentenkandidaten anhand konkreter Rede- und Interviewbeispiele und ich beantworte Ihre Frage. Deal?
Nice try. Es geht nicht um einen BP-Vergleich. Es geht darum, ob die unsympathischen Spielräume nur inhuman klingen oder auch inhuman sind.
Wenn unzählige Menschen auf der Flucht in der Sahara krepieren oder sich gar gegenseitig umbringen, ist das zutiefst inhuman. So ist die Welt.
Was wollen Sie also?
Dass wir das nicht machen. Oder darf ich dich umbringen, nur weil in Russland auch Leute umgebracht werden? Was ist denn das für eine Argumentation? Anderswo werden Verbrechen verübt, also dürfen wir auch?
Die Frage ist die nach dem Ziel.
So wie CitizenK sich ausdrückt – das ist die Konsequenz – wäre es human, einen Shuttleservice nach Afrika einzurichten (für Afghanistan hat das Frau Baerbock gemacht).
Also was ist das Ziel?
In Afghanistan hatten wir wahrlich auch genug Grund, das zu tun.
Ich arbeite gerade an einem Artikel zum Thema, würde das bis dahin zurückstellen.
In Afghanistan hatten wir wahrlich auch genug Grund, das zu tun.
Oh tatsächlich? Bin da vollkommen anderer Ansicht, aber das das wäre hier doch reichlich off topic.
Was ich meine ist, die Ortskräfte zu evakuieren.
„Shuttleservice nach Afrika“
Was könnte damit gemeint sein?
… nur geht es darum nicht. Gute Absichten rechtfertigen nicht, allen möglichen Unsinn zu machen.
Im übrigen macht es einen Unterschied, ob ich einer Bevölkerung gegen deren Willen eine massive Veränderung ihrer Heimat zumute oder ob ich Steuern für eine bestimmte gruppe erhöhe oder nicht. Und das weisst Du auch.
Richtig. Der vergleich hinkt sicherlich.
Sehr interessantes langes Interview in Jung & Naiv mit Fabio Wolkenstein – ein junger österreichischer Professor für Politische Theorie – über die europäische Christdemokratie.
zu 3) Protektionismus.
In den ach so liberalen 80ern gabs andauernd Handelskriege. Damals halt mit Japan. Nur war das Inselvolk ein viel einfacherer Gesprächspartner. Die liessen sich etwa auf freiwillige Exportbeschränkungen ein. Vor allem die USA war damals sehr aggressiv.
Chinas expansive Industriepolitik ist selbst alles andere als Freihandel.
Gablers listet Exportsubventionen als nicht-tarifäres Handelshemmnis. https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/nicht-tarifaere-handelshemmnisse-37062#definition
Die bisherige Diskussion zu dem Punkt in diesem Thread erscheint mir unterkomplex.
Wenn Freihandel nicht zu Frieden führt, verschiebt sich die Argumentation ein wenig. Natürlich nicht total.
3) Ja, aber in den 80ern war Freihandel auch noch nicht die vorherrschende Doktrin, wie es das nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde. Die WTO ist ja schon noch mal ne andere Qualität.
Sehe ich anders. Vor der WTO gab es die GATT Runden, die auf den Abbau immer weitere Bereichte der nicht-tarifären Handelshemmnisse abziehlten.
Washington Consensus wurde 1990 formuliert. Die Lateinamerikanische Verschuldungskrise 1982ff zeigte deutlich das Scheitern der dort zuvor dominierenden Politik der Importsubstituierenden Industrialisierung. Der Zeitgeist der 80er war neben diesen Handelskriegen deutlich von Liberalisierung geprägt.
Ja, aber die richtig heiße Phase begann erst mit der WTO und der Verrechtlichung, mit den Klagemöglichkeiten, Schiedsgerichten etc. Und natürlich DOHA-Runde.
Hab letztens gehört: Viele bilaterale Handelsverträge enthalten Bestimmungen zu Schiedsgerichten für Investitionen der Vertragspartner. Müsste das aber genauer untersuchen.
Hab letztens gehört: Viele bilaterale Handelsverträge enthalten Bestimmungen zu Schiedsgerichten …
Yup. Und taten das auch früher schon. Ebenso grosse Kaufverträge (z.B. für Energieanlagen). Das mit der WTO und der Verrechtlichung ist eine urban legend, wird aber immer wieder gerne erzählt. Und leider geglaubt.
Ok, dafür fehlt mir die Tiefenkenntnis. Danke
5) „Keine Vorstellung von Zukunft“ zu haben scheint derzeit ein Erfolgsmodell zu sein.
/// Zukunftsforscherin Florence Gaub kritisiert vor allem die Rhetorik Wagenknechts. Sie schüre bei den Bürgern die Angst vor der Zukunft. „Was Sie wollen ist, dass alles so bleibt, wie es ist“, sagt die Wissenschaftlerin: „Ich glaube, dass Sie und die Leute, die sich bei Ihnen wohlfühlen, eine ganz große Zukunftsangst haben. Aber Angst vor der Zukunft heißt nicht, sich vor ihr wegzuducken. Die kommt sowieso.“ Dann fasst Gaub die politischen Ziele von Wagenknecht und ihren Anhängern zusammen: „Eigentlich wollen Sie ewig 1995.“ Timo Lehmann geht noch weiter: Wagenknecht sehne sich in Wahrheit zurück in das Jahr 1965 und dem Wohlfahrtsstaat von damals. ///
https://www.n-tv.de/politik/Eigentlich-wollen-Sie-ewig-1995-article24408668.html
Die Einwände verhallten – Wagenknechts rhetorischer Bulldozer ließ sich in der Sendung nicht aufhalten.
jepp
3) Die Liberalen hatten nur immer versprochen, dass durch sinkende Preise so große Wohlstandsgewinne entstehen würden, dass dies ein lohnenswerter Deal für alle Seiten sein würde
Und das zweite Versprechen war, dass freie Märkte auch noch automatisch zu freien Gesellschaften führen. Das Konzept stand in einigen Punkten schon immer auf tönernen Füßen, weil die Realität nun mal leider kein Wirtschaftsmodell ist.
Und der zweite Punkt ging ja noch mehr in die Hose als der erste. Steigender Lebensstandard ist ja durchaus richtig, nur mit der annähernd gleichmäßigen Verteilung hapert es ja. Das krasseste Beispiel ist mW Venezuela, weil Chavez damals das Geld der verstaatlichten Ölindustrie wirklich genutzt hat, um die Kinderunterernährung nicht einfach nur zu senken, sondern abzuschaffen. (und zum Glück für alle freiheitsliebenden Menschen passiert das echt selten, sonst wäre die Demokratie morgen tot, freue mich aber trotzdem für die Kinder)
Und das ist doch das Problem, wenn das Konzept der freien Marktwirtschaft keine Lösung für hungernde Kinder hat, dann ist das nicht einfach nur schlecht, sondern dann ist man extrem angreifbar. Im Zweifel tauscht selbst der größte Marktradikale seine Ideale und Hoffnung auf die unsichtbare Hand des Marktes gegen ein Brot ein. Und China ist halt groß genug, um das ganze System endgültig zum Kippen zu bringen.
Und da bin ich dann doch zu links, um dem ganzen eine Träne nachzuweinen. Obwohl ich finde, als ganzheitlich liberaler Mensch (also nicht marktliberal) kann man genauso dagegen argumentieren. Da wir ja schon festgestellt haben, dass freier Welthandel nicht zu einer freien Welt geführt haben, gerät man immer stärker in die Abhängigkeit von Diktaturen. Das hatten wir beim Öl schon immer und – siehe Corona – haben wir jetzt auf ganz anderen Ebenen, weil wir keine Medikamente mehr herstellen. Genauso kann China bei schlechter Laune auch die Autoindustrie plätten, weil wir auf Teile angewiesen sind. Vielleicht bauen die irgendwann einen IWF-Klon auf und sagen, dass nur noch der Geld und/oder Teile bekommt, der die Macht an ein kommunistisches Kommitee abgibt oder sowas. Da stehen wir dann aber dumm da.
Also kann man sowohl von rechts, links und sogar liberaler Sicht argumentieren, dass das mit der Globalisierung und unsichtbarer Hand des Marktes nicht so funktioniert, wie sich das Adam Smith 1790 mal überlegt hat. Und ich glaube, es ist besser jetzt – aus einer mächtigen Position heraus – gegenzusteuern als zu warten, bis man dazu gezwungen ist, weil man noch mehr ins Hintertreffen gerät.
man sollte eh adam smith nicht ständig auspacken, der hat viele dinge ja eh nicht so gesagt und gemeint, wie das in den vulgärversionen immer kolportiert wird. zustimmung zu den verletzlichkeiten.
Gerade deshalb sollte man ihn immer wieder auspacken. Aber halt richtig.
Viel Erfolg 😀
Verbindlichen Dank. Könnte auch für den Erfolg Deines Projekts von Bedeutung sein: Weltverbesserung durch Bloggen.
Die manchmal ahnungslose, meist aber absichtsvolle Falsch-Darstellung der Position von Adam Smith in Schulbüchern bringt mich immer noch auf die Palme. Auch, weil ich selbst lange darauf reingefallen bin.
Nicanor Parra hat das Verteilungsproblem mal auf den Punkt gebracht.
„Es gibt 2 Brote.
Sie essen zwei.
Ich keins.
Durchschnittlicher Konsum: 1 Brot“
Das Verteilungsproblem kann man echt gut von den Außenhandelsrealitäten abgekoppelt denken. Soziale Ungleichheiten können und werden durch Transferzahlungen ausgeglichen.
Die Elfenbein-Modellwelt des ökonomischen Diskurses und die reale Welt sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Ohne diese klare Trennung machst Du dich gemein mit den vulgär-neoliberalen.
Adam Smith besaß ein starkes soziales Bewußtsein. https://www.adamsmithworks.org/documents/martin-smith-rich-poor-just-sentiments
Es tut mir sehr leid, ich wollte eigentlich gar nicht über Adam Smith diskutieren und ihn mit reinziehen. Die unsichtbare Hand des Marktes ist halt so schön plakativ.^^
Es ging mir nur darum aufzuzeigen, dass Marktlogik und Wirtschaftsmodelle nicht so einfach funktionieren, wie sich das die WTO & Co. mal ausgedacht haben. Weil – und wir reden hier ja von internationaler Weltpolitik – es nicht nur um reine Wirtschaftspolitik geht.
Aber natürlich dürft ihr sehr gerne über Adam Smith diskutieren.
So einfach ist das wirklich nicht.
Chávez schafft Kinderunterernährung ab.
Der dude hatte für einen Großteil der Sonntage ein 3 bis 6 stündiges TV-Programm zu füllen, in dem er alles möglich behauptete. Die konnte man damals runterladen. Ich war damals ziemlich fasziniert und hab das wirklich viel geschaut. Nicht weil ich dem irgendwas glaubte, sondern das genaue Gegenteil: Der Chavismus lügt. IMMER. Er war als Volkstribun einfach so krass.
Hier redet er über Unterernährung von Kindern… und Straßenkindern … und den Erzbischof.
https://www.dailymotion.com/video/xid4h4
Fürsorge für hungernde Kinder war im katholischen Südamerika keine so neue Idee. Die von Salvador Allende nominell geleitete Unidad Popular führte 1971 den halben Liter Milch an öffentlichen Schulen ein. Das erweiterte damals bereits bestehende Programme. Der auf Allende folgende brutale Diktator mit Milton Friedman Kontakt behielt den Politik des halben Liters Milch bei. Die Programme wurden später weiter ausgebaut. Heute sind das volle Schulspeisungen. Es gibt private Unternehmen, die das heute bereitstellen. Der Staat finanziert das.
Viele Schwellen- und Entwicklungsländer haben solche Programme.
Über die ersten Jahre des Chavismus habe ich einmal etwas richtig interessantes gelesen. In den ersten Jahren seiner Regierung nahm die Zufriedenheit der Bevölkerung messbar zu. Es wurden angenommen, dass das damit zusammenhing, dass es der (unteren Hälfte der) Bevölkerung besser ging, aber das war gar nicht der Fall. Was tatsächlich passiert sein soll, war dass Chavez die Reichen arm gemacht hat und das soll dazu geführt haben, dass die unteren Schichten glücklicher waren, obwohl es ihnen selber gar nicht besser ging. Neiddebatte auf venezolanisch sozusagen.
Gute Bücher über die frühe Phase sind Rory Carrols, El comandante und Brian Nelson, The silence and the scorpion. Alles war schon damals sichtbar.
Teile der Oberschicht arrangierten sich mit den neuen Machthabern, andere wurden durch andere neue Oligarchen ersetzt. Zwischen 2003 und 2009 und später nochmal kurzzeitig 2010/11 profitierte das Regime von den sehr hohen Ölpreisen sowie auch von der Bereitwilligkeit der chinesischen Entwicklungsbank dort Infrastrukturprojekte zu finanzieren, die übrigens ausnahmslos nicht fertiggestellt wurden.
Zu Anfang existierte in den Führungszirkeln noch eine gewisse Heterogenität. Allerdings wurden interne Kritiker schon sehr früh kaltgestellt. Eine positive Anfangszeit konnte ich nie sehen. Einen Kartenhaus aus Lügen, das irgendwann zusammenbrach. Aus meiner Sicht hatte das schon vor dem Wahlsieg Chavez im Dezember 1998 eher den Charakter einer kriminellen Organisation als einer politischen Bewegung.
Zwischen 2004 und 2009 stürzten sich viele europäische und nordamerikanische Linke auf das Thema. Sie publizierten dazu eine Menge unnötige Bücher.
Nach 2012 wurde die in ihrem Ausmaß einzigartige Zerstörung nun wirklich für jeden offensichtlich. Das noch 1996 reichste Land wurde zum ärmsten. Heute gibt es 8 Millionen venezolanische Flüchtlinge.
Ich hatte um 2006 im Netz einige Diskussionen rund um Chavez. Ich habe den Mann immer für ein autoritäres Arschloch gehalten, seine Wirtschaftspolitik für ein Desaster und seine „Sorge“ um die Armen für Augenwischerei. Schien damals für – sehr – viele nicht offensichtlich zu sein, was mich einmal mehr am Verstand von Menschen zweifeln liess …
Gruss,
Thorsten Haupts
Ich habe einen entfernten Bekannten, der als Kind deutscher Eltern in Venezuela aufgewachsen war, aber dann Anfang der 90 das Land verließ, um in Deutschland zu studieren. Ich lernte in 1999 kennen und da erzählte er mir schon, dass seine Eltern Venezuela gerade verlassen hätten, da sie Schlimmes befürchteten. Also wenn man nahe genug dran war, konnte man es wohl schon sehr frühzeitig erahnen.
Ich hab mich da zwischen 2007 und 2014 ziemlich reingesteigert. Die manipulatorischen Diskurse faszinierten mich. Heute sehe ich das als eine gute Vorbereitung für für unsere heutigen dunklen Zeiten. Narrative, Halbwahrheiten, plumpe Lügen. Da gabs das alles.
Hab auch Veranstaltungen besucht. Viele der Vortragenden kamen aus Venezuela. Keiner von denen sprach Deutsch, auch wenn die zufällig Botschafter waren oder beim Konsulat arbeiteten. Die meisten Zuhörer verstanden kein Spanisch, also wurde alles übersetzt. Ich konnte meine Fragen auf Spanisch stellen und übersetzte mich dann selber. Der überwiegende Teil der Zuhörer hat wenig Vorkenntnisse. Denen fallen in aller Regel keine Fragen ein. Und der typische PKK-Kurdin/e, die/der seine Solidaritätserklärung abrattert, ist für die anderen auch nicht so der burner. Das macht solche Veranstaltungen steril.
Meine Liste an Fragen war stets sehr lang und sehr auf den Punkt. In der Regel wurde es mir schon während des Vortrags zu bunt und ich stellte Zwischenfragen. Das mußte dann immer eingefangen werden, wofür ich Verständnis hatte.
Bei einer Veranstaltung war der Organisator echt sauer auf mich wegen meinem aus seiner Sicht respektlosen Vorgehens. Ich sagte ihm nach der Veranstaltung, dass es nicht sein kann, dass eine Konsulatsangestellte einen Vortrag hält, der 4 offensichtliche Lügen in der Minute enthielt. Er meinte, dass er mir inhaltlich Recht gäbe, dass man aber trotzdem die Leute nicht unterbrechen sollte. Wenn die Trulla offensichtlich krasseste Propaganda verbreitet und die mit wenig Hintergrundwissen ausgestatteten Zuhörer das nicht so leicht erkennen können?
Deutsche Propagandisten versuchten mich gerne mit dem Argument auszubremsen, dass dies ja eine Einführungsveranstaltung gedacht sei. Sah ich nie ein, weil gerade Einsteiger sollte ja ein differenziertes Bild vermittelt werden.
Mit den seltenen Besuchern mit Vorkenntnissen habe ich mich nachher manchmal gut unterhalten. Das waren übrigens oft Ostdeutsche.
Faszinierend, danke!
Populismus. So peinlich, dass ich da auch mal drauf reingefallen bin…Erzählungen vom linken Wunderland Venezuela.
4) Ich bin mir unsicher, inwieweit Thüringen repräsentativ für die gesamte Problematik sein kann.
Ja Thüringen ist ein Sonderfall, weil es woanders ziemlich egal ist, wie oder mit wem die AfD abstimmt, nur da dreht sie eben die Mehrheiten und natürlich muss die CDU sich den Vorwurf gefallen lassen, das auch so einkalkuliert zu haben.
Ich fand tatsächlich die Argumentation bedenklicher, weil die genauso auf Tolerierung oder sogar Koalition anzuwenden ist. Die Union bringt sich damit selbst in die Bredouille, weil sie ja schlecht sagen kann, dass bei Fragen der Koalitionsbildung politische Spielchen wichtiger sind als Sachpolitik Mittlerweile schießen die sich tatsächlich genauso häufig in den Fuß wie Linke^^
Mir scheint der Ansatz der Brandmauer und des Tabus letztlich gescheitert. Die Forderung zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung ist unter dem Gesichtspunkt zu begrüßen,
Ich glaube es gibt keine Patentlösung. Insofern kann ich ja auch mal meine eigene Präferenz aufschreiben und behaupten, das wäre die Superlösung^^
Ich glaube, dass eine großtmögliche Ignoranz tatsächlich der beste Weg ist und eine gewisse Gelassenheit, aktuell haben wir wöchentlich einen Aufschrei, weil ein AfD-Bürgermeister droht oder die AfD mit irgendwem stimmt, das nutzt sich nun mal leider auch ab.
Aber: ich glaube, bei inhaltlicher Auseinandersetzung kann man nur verlieren.
1. Das Rentenkonzept der AfD interessiert halt niemanden. Das Gewerkschaftskonzept der Grünen auch nicht btw. Dafür werden die Parteien nicht gewählt. Erscheint mir bei einer Partei wie der AfD mit antidemokratischen Tendenzen auch unsinnig, denen mit der Rente zu kommen.
2. Was du – Sassestefan – auch immer wieder sagst, man kann Radikale nicht toppen. Verlangt die CSU ne Obergrenze, wollen sie gar keine Einwanderungen, will die FDP Sozialleistungen für Asylbewerber kürzen, will die AfD sie streichen. Demokratische Regierungsparteien können nie soweit gehen wie radikalisierte Oppositionsparteien.
3. Müssen Politiker aufpassen, sich nicht selbst ein Loch zu graben, wenn sie zu populistisch sind. Wenn man da zu sehr in Clownsrhetorik (a la „die Grünen wollen uns verhungern lassen“) und allgemeine Politikverachtung abdriftet, dann zielt das nicht mehr auf die Grünen oder die Gelben, sondern auf den ganzen Berufsstand und unser politisches System und damit nehmen sie sich ihre eigene Existenzberechtigung.
Mehr Ernsthaftigkeit und Achtung vor unserem parlamentarischen System wären sowieso eine gute Sache, aber auch gewinnbringender als sich von der AfD in so eine Destruktivität hineinziehen zu lassen und am Ende wollen alle ausm Fenster springen. Ich glaube es ist möglich, sich hart auseinanderzusetzen UND gleichzeitig Werbung für Politik machen.
1) Ja und nein. die präsentieren sich ja als die kümmerer, das wäre schon ein angriffspunkt.
2) genau.
3) ja.
Aber: ich glaube, bei inhaltlicher Auseinandersetzung kann man nur verlieren.
Yup, nur aus anderen Gründen, als Du argumentierst. Die AfD-Wähler wollen bestimmte Dinge und bestimmte andere absolut nicht und die AfD ist die einzige Partei, die öffentlich einem guten Teil der Do’s und Don’ts verpflichtet scheint. Je mehr Du das in der öffentlichen Auseinandersetzung klar machst, desto mehr könnte das der AfD helfen, vorausgesetzt, es gibt gegen Teile des bisherigen überparteilichen Konsenses in bestimmten Fragen eine substantielle Opposition in der Bevölkerung. Genau das aber ist allen Umfragen über die Jahre hinweg zufolge der Fall, bei Themen wie (Auswahl) Gendern, Europa, Aussenpolitik, Migration. Dort gibt es unter den Deutschen substantielle Minderheiten, die bisher parlamentarisch de facto nicht vertreten waren.
TL/DR: Inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD könnte Leute davon überzeugen, dass die AfD die einzig glaubwürdige Opposition in Fragen ist, bei denen es bisher in Deutschland einen überparteilichen Konsens gab.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ja und nein. Die CDU ist ja auch gegen gendern, gegen grün generell, etc., aber wie Ariane und ich im Podcast besprechen, haben die nur mit den Grünen eine Machtperspektive (oder der SPD), weswegen das nie wirklich glaubwürdig ist – anders als bei der AfD.
Als stiller Mitleser möchte ich mich erst einmal für die interessanten Links und Texte bedanken!
Der eigentliche Anlass des Kommentars ist ein Linktip, den ich gerade sehr spannend fand:
https://www.politico.com/news/magazine/2023/09/29/mick-mulvaney-q-a-shutdown-00118934
Hier spricht Mulvaney darüber wie Government Shutdowns funktionieren, überraschend offen wie wenig er darüber wusste nachdem er am mehreren beteiligt war und seine wiederum wenig überraschende Meinung zum Thema
Danke!