Rezension: Kyle Harper – Fate of Rome: Climate, Disease, and the End of an Empire

Kyle Harper – Fate of Rome: Climate, Disease, and the End of an Empire (Hörbuch)

Spätestens seit Edward Gibbon lässt die Frage, warum das Römische Reich fiel, die westliche Welt nicht los. Zu faszinierend ist das Narrativ von Zivilisation und Dekadenz, von Hochkultur und Niedergang. Allzu offensichtlich ließen sich Parallelen zur stets als prekär empfunden eigenen Lage ziehen, im deutschen Sprachraum am bekanntesten in Oswald Spenglers „Untergang des Abendlands“. Die moralisch überhöhten Untergangsnarrative hat die Forschung (wenngleich nicht die populäre Wahrnehmung) mittlerweile glücklicherweise hinter sich gelassen. Trotzdem bereitet der Untergang als Ereignis immer noch zahlreiche Fragen. Kyle Harper legt mit diesem Buch eine neue These vor, die er explizit als komplementär zu bestehenden Argumentationen sieht, für die er aber zuversichtlich einen erhöhten Erklärungsbedarf sieht: das Römische Reich fiel, weil es ihm nicht gelang, ein Gleichgewicht zwischen Ausbeutung und Natur zu schaffen. Es war eine Kombination aus Viren und Klimakrise. Es ist eine starke These, aber es dürfte unbestreitbar sein, dass dies bisher in Narrativen über den Untergang des Reiches keine große Rolle gespielt hat.

Harper beginnt seine Erzählung mit einigen Grundthesen, die er im Verlauf des Buches stärker ausarbeitet. Die erste dieser Thesen lautet, dass das Römische Reich seinen Höhepunkt im 2. Jahrhundert erreichte: materieller Wohlstand, praktisch keine Gefahr einer Hungersnot, neue technologische Entwicklungen und stark entwickelte Bürokratie und Militär vereinten sich zu einem nie gekannten Wohlstandsniveau. Harper lässt allerdings keinen Zweifel daran, dass dies alles in malthusischen Grenzen verlief: das Römische Reich war massiv abhängig von der Nahrungsproduktion, deren Effektivität sich nur sehr begrenzt steigern ließ. Zwar brach im 5. Jahrhundert Westrom zusammen und Ostrom dagegen blieb als staatliche Einheit und Imperium intakt. Harper fügt dem aber noch einen zweiten Gedanken hinzu: Die Effektivität Konstantinopels wurde durch die Seuchen des 6. und 7. Jahrhunderts sehr stark behindert und geschwächt und weit hinter sein Potenzial zurückgeworfen.

Seine zweite These lautet, dass Klima und Krankheiten in ihrer Bedeutung für den Untergang Roms völlig unterschätzt werden. Er identifiziert drei große Seuchen, die den Mittelmeerraum entvölkern und das Reich in die Knie zwingen. Die schiere Größe des Reichs und seine Integration und Vernetzung wirkten dabei als Brandbeschleuniger. Harper sieht das Reich als inhärent instabil, weil sich Pandemien erstmals in der Menschheitsgeschichte entwickeln können. Deren erste stellt dann die Justinianische Pest dar.

Die dritte These befasst sich mit der Rolle des Klimas. Roms Aufstieg fällt in einen extrem günstigen klimatischen Zeitraum, das „Römische Klimaoptimum“ (RCO): Sehr hohe Durchschnittstemperaturen (vergleichbar zu den heutigen Temperaturen) bei gleichzeitig hohen Regenmengen (ganz und gar nicht vergleichbar mit heute) verschoben die Wachstumsgrenzen bis tief in die Sahara und hoch in die Berge (Harper verweist etwa auf archäologische Funde von Ölmühlen im griechischen Gebirge, die nur Sinn machen, wenn damals Olivenbäume in diesen Höhen wuchsen, in denen sie es heute nicht tun). Dies erlaubte allein in Italien rund acht Millionen zusätzliche Einwohner*innen innerhalb der erwähnten malthusischen Grenzen. Diese Periode kam im 4. und 5. Jahrhundert zum Ende, als eine deutliche Abkühlung eintrat und damit großer malthusischer Druck auf die Bevölkerungszahlen entstand – eine freundliche Umschreibung für ein Massensterben durch Hunger.

Harper erklärt nun die „biologische Verfassung“ des Römischen Reichs. Die Römer waren generell kein gesundes Volk und litten sehr stark unter Krankheiten. Die Kindersterblichkeit war extrem hoch. Die Römer waren wesentlich kleiner als der Durchschnitt der antiken Menschen davor und danach, was sich archäologisch nachweisen lässt; so etwa sorgte die römische Eroberung Britanniens zwar für eine Zunahme des Lebensstandards, erhöhte aber gleichzeitig massiv die Sterblichkeit und sorgte für einen deutlichen Rückgang der durchschnittlichen Körpergröße. Die Krankheitsphasen sind auf den Spätsommer (wegen der Hitze), den Herbst und den Winter (Feucht, kalt) konzentriert und weisen je ihre eigenen deutlich wahrnehmbaren Sterblichkeitsspitzen auf.

Zusätzlich wandte sich das Klima in dieser Zeit langsam, aber wahrnehmbar gegen Römer. Das Klima kühlte langsam ab und wurde trockener, was die vorherigen Rekordernten des Römischen Reichs unter malthusischen Bedingungen nicht mehr möglich machte und einen wahrnehmbaren Druck auf die Bevölkerungszahlen auszulösen begann, der dann Folgeeffekte in Form sinkender Rekutierungszahlen für die Armee, sinkenden Steuereinnahmen und steigendem Migrationsdruck an den Außengrenzen hatte.

Aber: diese Krankheiten waren selbst in ihren schlimmsten Ausprägungen praktisch immer lokale Ereignisse und konnten sich nicht über ganzes Imperium ausbreiten. Das schafften erst ganz neue Erreger, die überhaupt erst dadurch entstehen konnten, dass das Reich durch die „einigenden mikrobischen Kraft“ des Imperiums geeint war: die starke Urbanisierung und die Verbindung von besonders seuchenträchtigen Regionen innerhalb Europas. Das erste pandemische Großereignis, mit dem sich Harper näher beschäftigt, ist die antoninische Pest. Die Todeszahlen müssen horrend gewesen sein, und die Zeitgenoss*innen nahmen die Pest als einschneidendes, apokalyptisches Ereignis war. Welche Krankheit es genau war, ist historisch sehr schwierig zu rekonstruieren. Sie wütete vor allem in den Städten, in denen sie hervorragende Bedingungen fand, während das Land – wo der Großteil der Bevölkerung lebte – noch weitgehend verschont blieb. Da allerdings damals wie heute die ökonomische Aktivität und die Innovationskraft weitgehend in den urbanen Zentren konzentriert war, waren die realen Wohlstandsverluste nichtsdestotrotz immens.

Das Imperium erholt sich aber von dieser Pest, wenngleich mit deutlich geringerer Bevölkerung, ohne je wieder den Höhepunkt des 2. Jahrhunderts zu erreichen.Rom etwa dürfte eine Größe von 700.000 Einwohner*innen erreicht haben, deutlich unter dem vorherigen Höhepunkt von knapp einer Million, und zudem künstlich aufgebläht durch die Sozialleistungen, die eine unproduktive Masse an Ort und Stelle hielten. Harper betont für diese Phase des Imperiums noch einmal die Bedeutung von Handelsnetzen, die Rolle der Metropolen, die Integrationskraft der Bürokratie (vor allem ihrer provinzialen Eliten, die nun mehr denn je in die imperiale Bürokratie drängten und dort auch reüssieren konnten) sowie die Bedeutung Ägyptens und des Geitreidehandels. Letzteres verdient besondere Aufmerksamkeit: die Fruchtbarkeit Ägyptens durch die Nilüberflutungen machte es zur „Getreidekammer“ des Reichs, besonders Italiens, das von den Lieferungen abhängig war, die in einer unglaublichen Masse von Getreideschiffen über das Mittelmeer gekarrt wurde.

Ab dem Tod Marc Aurels rutschte das Reich dann erneut in eine Krise: wieder wurde es von Seuchen geschüttelt, die die römische Resilienz schwächten, und barbarische Angriffe wesentlich verheerender machten als zuvor. Zudem schlug der Klimawandel härter zu. Eine Zunahme von El-Nino-Ereignissen im Pazifik ließ die Nilflut ausfallen (solche Ausfälle kamen vorher in einem von 20 Jahren vor und wurden mit einem von drei nun zu einer regelmäßigen Erscheinung), das Wetter wurde weiterhin schlechter und kälter. Das fein austarierte System der Getreideimporte, von dem die römische Urbanisierung abhing, geriet damit aus dem Gleichgewicht.

Dazu kam die Cyprianische Pest in Nordafrika, die „vergessene Pandemie“. Diese entvölkerte weite Teile Nordafrikas (die damals ja noch fruchtbar waren und ebenfalls Getreide exportierten!) und massiv die Christianisierung beförderte. Welche Seuche genau die Region ergriff ist unklar, es könnte eventuell Ebola oder etwas Vergleichbares sein (die Quellen deuten jedenfalls darauf hin), ist aber vor allem deswegen bedeutend, weil es bei solchen Krankheiten bereits massiv hilft, wenn Patient*innen Wasser und Essen bekommen. Wegen der hohen Sterblichkeit und der Nahrungsknappheit aber starben die heidnischen Betroffenen meist für sich alleine, während christliche Patient*innen von ihren Gemeinden versorgt und gepflegt wurden und in wesentlich größerer Zahl überlebten – Harper nennt sie „Leuchtfeuer in der Pandemie“. Eine bessere Werbung für den neuen Kult konnte man sich kaum vorstellen, und für Harper ist hier ein Wendepunkt in der Akzeptanz und Verbreitung des Christentums zu suchen.

Das Reich indessen stabilisierte sich nach dem Tod von Commodus unter Septimius Severus ein letztes Mal, aber das Reich veränderte sich in seiner Grundstruktur unwiderruflich. So wurde die Rolle der Armee wurde wesentlich prononcierter. Ihre Kosten waren gigantisch und stiegen weiter an. Ohnehin war die römische Währung (der silberne Denar) extrem stabil; der Sold der Legionäre war effektiv seit Augustus nicht angepasst worden und die Währung eine Proto-Fiat-Währung, deren Silbergehalt keine großen Auswirkungen auf ihren Wert besaß, sondern stattdessen das Vertrauen in das staatliche Münzprägungsmonopol entscheidend war. Nun aber war eine Anpassung des Preissystems mitsamt dem entsprechenden weiteren inflationären Druck nicht mehr aufzuschieben und veränderte die wirtschaftlichen Gewichte innerhalb des Reiches, das bislang eine sehr geringe Präsenz gehabt hatte (kaum 1000 bezahlte Beamte im ganzen Imperium!) und dessen reale Steuerraten nun massiv stiegen. Die wesentlich involvierteren provinzialen Eliten verzichteten jedoch nicht auf ihre bisherige Ausbeutung, so dass die Belastung der Menschen spürbar anstieg.

Diese Kombination aus Krankheit, wirtschaftlichen Verwerfungen, Bevölkerungsrückgang und Barbareneinfällen subsumiert in der Geschichtswissenschaft gewöhnlich als „Krise des 3. Jahrhunderts“. Harper wendet sich in diesem Buch stark gegen die revisionistische Teilrichtung der Forschung, die diese Krise eher kleiner sieht als es die Historiografie für gewöhnlich tat, und hebt stattdessen die folgende Restauration durch die Soldatenkaiser heraus. Für ihn ist die folgende Erholung nicht Beweis für die vergleichsweise kleine Bedeutung der Krise, sondern eher Beleg für die Leistung von Septimus Severuns und der anderen Soldatenkaiser.

Deren Herrschaft markiert für Harper einen klaren Umbruch im Reich: Ab jetzt herrschen Profimilitärs. Die Soldatenkaiser führen eine scharfe Trennung von zivilen und militärischen Ämtern ein, die bisher in Form der senatorialen Elite untrennbar verbunden waren. Ein zentrales Betätigungsfeld eben dieser Eliten fiel dadurch vollständig weg, was die soziale Struktur des Reiches permanent veränderte.

Ein zentrales Merkmal der „Krise des 3. Jahrhunderts“, das bisher völlig untererforscht ist, sieht Harper erneut im Klimawandel: Das RCO endet endgültig, das Wetter wird wesentlich schlechter. Das sorgt für Dürre in den Steppenregionen und erzwingt eine Massenmigration der dortigen Steppenvölker. In Folge bedrohen die Hunnen zum ersten Mal das Reich. Hier jedoch wird Harper selbst revisionistisch: in Attila und seinen Horden sieht er keine dauerhafte Gefährdung des Reiches; sie sind mehr Episode.

Aus diesen Wirren und Wandlungen erwächst die Spätantike, die ihren „offiziellen“ Beginn üblicherweise mit Diokletian und Konstantin sieht. Diese Kaiser zentralisieren das Reich stark und führen das Christentum ein, eine weitere Wasserscheide in der Geschichte des Reichs und effektiv der ganzen Menschheit. In dieser von Krieg, Pestilenz und Klimawandel geprägten Zeit ist das Christentum wahnsinnig erfolgreich, während gleichzeitig die staatlich organisierten (!) heidnischen Kulte praktisch völlig zerstört werden (heidnischer Volksglauben bleibt noch Jahrhunderte bestehen, wie die klagenden Berichte der mittelalterlichen Missionare überzeugend belegen). Diokletian und seine Nachfolger teilen zudem das Reichs und schaffen mit Konstantinopel einen neuen Schwerpunkt, der näher an der neuralgischen Zone der Donauregion, die der Schwerpunkt des Römischen Reichs geworden ist, liegt.

Schließlich erreicht das Narrativ den Zusammenbruch des weströmischen Reiches. Das Ende des ROC und die Nachwirkungen der Pest zusammen mit den Barbareneinfällen sorgten für eine Fragmentierung und einen Zusammenbruch der staatlichen Strukturen, die nicht mehr aufrechtzuerhalten waren. Es ist keine sonderlich neue Analyse, dass das alles eher ein Prozess als ein Ereignis war, egal wie sehr die Plünderungen Roms die Zeitgenossen geschockt haben mögen. Sie waren auch nicht zwangsläufig; Stilicho und andere hätten mit etwas mehr Glück das weströmische Reich vielleicht erhalten können. Es ist aber sicher nicht übertrieben zu sagen, dass die Chancen für das weitere Bestehen des Imperiums zumindest im Westen zu diesem Zeitpunkt eher schlecht standen.

Der Blick Harpers wendet sich deswegen nun weitgehend nach Osten, wo das Römische Reich nicht nur weiterbesteht, sondern sich auch wieder erholt. Die kaiserliche Bürokratie und Armee funktionierten weiter, aber der demografische Druck bleibt weiter deutlich spürbar: die Bevölkerungszahl ist schlicht geringer, wenngleich sie erneut wächst. Besonders Justinian wird hier hervorgehoben: seine frühe Regierungszeit ist die Blüte der Spätantike. Die Truppen, wenigstens nominell auf einem Allzeithoch, werden mittlerweile in Gold statt Silber bezahlt (Zeichen der monetären Verwerfungen aus der Krise des 3. Jahrhunderts, in der zum ersten Mal eine Goldzahlung stattfand), das  Reich wird weiter zentralisiert (mittlerweile gibt es über 30.000 bezahlte Beamte) und das Amt des Kaisers sakralisiert – kein primus inter pares mehr, sondern eine göttliche, durch Rituale entrückte Figur an der Spitze des Staates. Starke innere Reformen wälzten das Reich so sehr um wie nie zuvor in der römischen Geschichte; wohl kein Kaiser hat je so sehr die mos maiorum ignoriert wie Justinian. Sein loyaler und fähiger General Belisarios eroberte sogar Italien zurück. Es sah gut aus für das Römische Reich. Dann jedoch wurde es von einem verheerenden Doppelschlag mikrobischer und klimatischer Natur getroffen: die Justinianische Pest einerseits und die „Spätantike Eiszeit“ andererseits zwangen die ganze Region in die Knie.

Die Pest war vermutlich die Beulenpest, die auch im 14. Jahrhundert Europa verheerte, mit ähnlichen Todeszahlen. Die Beulenpest wird durch Nagetiere übertragen und ist damit grundsätzlich unabhängig von menschlichen Migrationsmustern – anders als bei Antoninus Pest oder der des Cyprian ist nun auch das Land betroffen gleichermaßen betroffen. Die Strukturen des Reiches begünstigen die Verbreitung der Krankheit gleichwohl massiv – sowohl die immer noch zu tausenden das Mittelmeer überquerenden Getreideschiffe als auch die Städte sind riesige Reservoirs für Ratten, die Träger der Flöhe sind, die die Ratten töten und dann auf den Menschen überspringen. Die Bevölkerung sinkt wohl um rund 60% – ein massiver Aderlass, die Tödlichkeit der Infektion selbst liegt für Betroffene bei gut 80%! Damit geht ein weitgehender Zusammenbruch von Rekrutierungszahlen für die Armee einerseits und der Steuerbasis andererseits einher, was einen massiven Anstieg der Steuerlast für die Überlebenden bedeutet, weil die Steuern als Gesamtsumme für die Distrikte und nicht pro Kopf erhoben wurden (anders als im 14. Jahrhundert, als die Pest den Überlebenden große Wohlstandsgewinne durch steigende Löhne brachte).

Die „spätantike Eiszeit“ auf der anderen Seite wurde vermutlich durch eine Serie von Vulkanausbrüchen ausgelöst. Das Reich erlitt ein „Jahr ohne Sommer“ mit massiven Ernteausfällen. Der Klimawandel bedeutete zudem einen endgültigen Verlust von weiten früher landwirtschaftlich genutzten Zonen, die bereits in den Jahrzehnten vorher mehr und mehr marginalisiert wurden und bedeutete den Rückzug der Menschen aus den betroffenen Gebieten. In Rom lebten nun kaum mehr 30.000 Menschen – das füllte nicht einmal mehr eine Ecke des Kolosseums, wie Harper eindringlich beschreibt.

Diese Katastrophen hatten starke Auswirkungen auf den Glauben und die Religion, besonders das ohnehin endzeitaffine Christentum. Gregor der Große kann als bedeutender Papst stellvertretend hierfür stehen. Er sah sich und seine Zeit an der Schwelle zur Apokalypse, was die besondere Wichtigkeit der missio beförderte: die Seelen der Heiden mussten rechtzeitig vor dem Untergang konvertiert werden. Die einzigen Großbauten jener Zeit, die überhaupt noch entstehen oder erhalten werden, sind Kirchen, was das Aussehen der stark geschrumpften Städte dominiert. Der massive Wohlstandsverlust (Harper stellt sich auch hier gegen den Revisionismus jüngerer Forschung, der den Untergang des Römischen Reiches nicht so sehr als katastrophalen Zivilisationsverlust beschreibt und hebt eben diesen hervor) ließ die Kirche als mit Abstand reichste Institution zurück und schwächte gleichzeitig den Staat. Damit waren die Voraussetzungen für das Mittelalter gegeben.

Die Pest selbst blieb für zwei Jahrhundert endemisch und traf im Schnitt knapp alle 20 Jahre die Region; die Bevölkerung betrug nun noch maximal die Hälfte des früheren römischen Reichs. In dieser Endzeitstimmung vereinte Mohammed die arabischen Stämme unter dem Banner einer neuen, monotheistischen Religion mit starkem Missionierungsaspekt und Idee der „letztgültigen“ Offenbarung. Mit diesem Großereignis, das die römische Macht vollends brechen und Ostrom zu einer puren Regionalmacht herunterstutzen sollte, endet Harpers Buch.

Ich bin kein Experte für die Antike, aber aus meinem beschränkten Wissensstand fand ich wenig zu kritisieren. Harper betont immer wieder, dass seine Thesen komplentär zu sonstigen Erklärungen für den Untergang Roms sind und verwahrt sich gegen allzu deterministische Ansichten; besonders in seiner Betonung wirtschaftlicher Zusammenhänge innerhalb des Imperiums sichert er sich dagegen immer wieder ab. Gleichwohl ist es gerade das den Lesefluss erleichternde und zum Genuss machende starke Narrativ, das diesem Ziel immer wieder im Weg steht, weil Harper – eine generelle Tendenz angelsächsischer Geschichtsschreibung – zu einer Überbetonung eben dieses Narrativs neigt. Solange man das aber im Hinterkopf behält, ist das kein grundsätzliches Problem. Und angesichts der Klimakrise, in der wir selbst stecken, und den Erfahrungen der Corona-Pandemie, ist dieses Buch mit Sicherheit eines, das nicht nur von Expert*innen antiker Geschichte gelesen werden sollte.

{ 48 comments… add one }
  • CitizenK 17. Oktober 2022, 08:16

    Vielen Dank, wieder mal.

    Beim Lesen immer unsere gegenwärtige Situation im Hinterkopf. Sind die genannten Klimaveränderungen wissenschaftlich gesichert? Denn auch für das sonst rätselhafte Verschwinden früherer Hochkulturen werden Klimaveränderungen als Ursache oder Auslöser vermutet.

    • Stefan Sasse 17. Oktober 2022, 10:11

      Ja, die sind wissenschaftlich gesichert. Harper beschäftigt sich im Buch ausführlich mit den wissenschaftlichen Hintergründen sowohl für die Krankheiten als auch den Klimawandel, und wie das archäologisch belegt wird; ich wollte das nur nicht in diese eh schon lange Besprechung reinziehen.

  • Erwin Gabriel 17. Oktober 2022, 10:21

    @ Stefan

    Vielen Dank, kommt auf meine Liste.

  • cimourdain 17. Oktober 2022, 22:37

    ich hatte vor einiger Zeit schon eine Review zu dem Buch gelesen, die trennt zwischen belegt und Spekulation:
    https://www.spektrum.de/rezension/buchkritik-zu-fatum/1720866

    Zumindest ist der (eigentlich naheliegende) Vorwurf ungerechtfertigt, Harper projiziert nur den Zeitgeist in die Vergangenheit. Das Buch ist auf Englisch schon 2017 erschienen, vor FfF und COVID.

    Aber ein paar Dinge sind mir doch aufgefallen:

    Wenn das Klima feuchtwärmer war, sollten Tropenkrankheiten relevant gewesen sein. Malaria drängt sich bei den Feuchtgebieten um Rom auf (Pontinische Sümpfe). Wird das diskutiert?

    Die Krise des dritten Jahrhunderts betraf nicht den Ostteil des Reiches. Palmyra hatte eine Blütezeit. Wie erklärt Harper das?

    Weder das ‚römische Optimum‘ noch die nachfolgende Abkühlung waren global (bis auf einige kurze vulkanbedingte Kälteeinbrüche im 6. Jh). Das spielte sich im wesentlichen im Mittelmeerraum ab. War da die anthropogene Entwaldung der Region ausschlaggebend?

    Und ein Schreibfehler ist mir noch aufgefallen: Justinians General (6. Absatz von unten) hieß Belisarios.

    • Stefan Sasse 18. Oktober 2022, 07:53

      Ich habe keinen solchen Vorwurf erhoben 🙂 Danke für den Link.

      – Malaria: Ja!
      – Kann ich mich nicht erinnern, sorry.
      – Er bespricht die Entwaldung, ja, aber „ausschlaggebend“ wäre mir zu stark.
      – Danke, korrigiert!

  • Thorsten Haupts 18. Oktober 2022, 08:59

    Wen es interessiert:
    Es gibt ein Strategiespiel aus 2015 – TotalWar: Attila – dessen Szenario im Niedergang Westroms nach 400 sehr stark auf der Klimawandel-Prämisse aufgebaut ist. Sie wird im Spiel modelliert über in mehreren Stufen abnehmende Fruchtbarkeit von Getreideanbau und Tierhaltung. Auch die fragile Gesundheitssituation und der häufige Ausbruch von Epidemien wird dort ebenso modelliert. Das Spiel hat allerdings – für TW Junkies gewöhnungsbedürftig – einen wirklich heftigen Schwierigkeitsgrad.

    Das Buch werde ich mir eher nicht zulegen. Nach der Buchbesprechung scheint mir nämlich, jemand überstrapaziert wieder einmal seine Kernthesen bis zur Überdehnung – und der Einfluss einer Fruchtbarkeitskrise plus Epidemien für das Ende des Römischen Reiches scheint nicht gerade neu zu sein. Wenn es das sogar schon in ein Millionen-Strategiespiel schafft :-).

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 18. Oktober 2022, 11:53

      Ich fand das Konzept damals total attraktiv, aber der Schwierigkeitsgrad hat mich auch abgeschreckt. Ich bin nicht gut genug in Total War.

      • Thorsten Haupts 18. Oktober 2022, 16:58

        Das ist bedauerlich – es ist eigentlich das absolut beste TW ever. Und ein Teil der Schwierigkeit ist menschliche Psychologie – wenige Leute mögen das Gefühl, gegen einen Berg von niemals endenden Schwierigkeiten kämpfen zu müssen (erste 50 Züge).

        Wenn Du´s Dir trotzdem zulegen willst – ich bin zwar nur ein 08/15 TW Spieler, aber die Grundlagen für Erfolg in Attila könnte ich Dir online zeigen. Und Ostrom hat einen bewältigbaren Schwierigkeitsgrad auch für Gelegenheitsspieler.

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • Stefan Sasse 18. Oktober 2022, 18:33

          Ja total! Ich fand das Konzept deswegen auch so spannend, weil fast alle Spiele eine lineare Steigerungskurve haben. Ich hab damals eine Demo gespielt, Iren glaube ich, und brutal eins übergezogen bekommen. Aber ich hab schon TWRomeII nie mit Barbaren gebacken bekommen. Das ist wie die Paradox-Spiele: mir fehlt der Biss, mich da reinzuarbeiten, und für Gelegenheitsspieler*innen ist es nix.

  • Ariane 19. Oktober 2022, 12:29

    Spannend, habe gerade einiges über die Römer gelesen. Bzw über Bande, eigentlich ging es um Germanen und Briten. Und ich finde ja, es sollte erstmal geklärt werden, ob nicht mehr Römer bei Schiffsunglücken starben als in Schlachten. Ehrlich, egal wo sie hinschipperten, eine gesamte Flotte ging mindestens immer drauf!

    Die klimatischen Veränderungen werden aber auch thematisiert, unvorstellbar, was für Entvölkerungen da stattgefunden haben.

    • Stefan Sasse 19. Oktober 2022, 12:47

      Jepp, die Römer waren vieles, aber keine guten Seeleute 😀

      • Stefan Pietsch 19. Oktober 2022, 13:00

        Was war mit Karthago?

        • Stefan Sasse 19. Oktober 2022, 13:20

          Genau da konnte man das super sehen.

          • Ariane 19. Oktober 2022, 13:27

            Haben sie da nicht zwei Flotten verloren? Eine auf der Hin- und danach eine auf der Rückfahrt?^^

            Hatte neulich was über einen Feldzug gegen die Germanen gelesen, hier in der Gegend. Da kamen sie auf die merkwürdige Idee, es mal per Schiff zu probieren und verloren eine ganze Flotte in der Ems!

      • cimourdain 20. Oktober 2022, 08:27

        ich denke, du übersiehst das big picture: Jemanden, der es schafft per Schiffslogistik über das Mittelmeer die Versorgung der Bevölkerung dauerhaft und zuverlässig zu gewährleisten, kann nicht so schlecht in Nautik sein.

        • Thorsten Haupts 20. Oktober 2022, 09:40

          Nein, Sie übersehen das Big Picture – die Punischen Kriege lagen zeitlich weit vor der Nutzung Nordafrikas als Kornkammer Roms :-).

          • cimourdain 20. Oktober 2022, 12:46

            Ich bezog mich auf Arianes Germanen/Briten, also frühe Kaiserzeit. Aber das ist ein weiteres Problem, Wir können nicht 1000 Jahre Entwicklung eines Großreichs über einen Kamm scheren.

            • Thorsten Haupts 20. Oktober 2022, 13:37

              Für die von Ariane genannte Zeit würde ich das Pauschalurteil auch ablehnen, da war das Problem eher, dass für den englische Kanal die gängigen Mittelmeerschiffe dieser Zeit völlig ungeeignet waren. Das Problem hatte ja noch die spanische Flotte von 1588 …

              • Stefan Sasse 20. Oktober 2022, 14:56

                Und die deutsche Kriegsmarine von 1939 😛

                • Thorsten Haupts 22. Oktober 2022, 17:35

                  Die Deutschen hatten 1939 eine Kriegsmarine :-)?

            • Stefan Sasse 20. Oktober 2022, 14:55

              True.

          • Stefan Sasse 20. Oktober 2022, 14:51

            Womit wir wieder beim ROC wären 😉

        • Stefan Sasse 20. Oktober 2022, 14:46

          Kommt drauf an ob die das selbst machen! Die Römer waren auch richtig miese Kavalleristen, deswegen haben sie die aus den Provinzen rekrutiert.

          • Ariane 20. Oktober 2022, 15:43

            Ich geh auch davon aus, dass sie eher einen Getreide-Lieferdienst implementiert hatten. Obwohl sich selbst die Römer vermutlich im Mittelmeerraum etwas besser auskannten als im Norden mit den nicht römertauglichen Flüssen, bei denen auch noch komische Gezeiten eine Rolle spielen.

            Bisschen schade eigentlich, dass Wikinger und Römer zeitlich zu weit auseinander lagen, das wären bestimmt interessante Auseinandersetzungen geworden.

            • cimourdain 20. Oktober 2022, 21:58

              „Lieferdienst“: der antike Wolt-Radler hieß corbita
              https://de.wikipedia.org/wiki/Corbita_(Schiffstyp)
              und sah so aus:
              https://community.foundry.com/portfolio/16360/corbita

              „Wikinger und Römer…“ hängt davon ab, wen du als Römer siehst, aber um 1000 rum bestand die Leibwache der byzantinischen Kaiser aus Wikingern (Warägergarde)

              • Thorsten Haupts 21. Oktober 2022, 12:55

                Der Grund dafür war allerdings weniger die angenommene bessere Kampffähigkeit als die berechtigte Annahme, diese Truppe würde nicht bei nächster Gelegenheit ihr Schutzsubjekt (Kaiser) ermorden – damals die gängigste Methode der Nachfolgeregelung :-).

  • CitizenK 19. Oktober 2022, 14:48

    Nanu? Hab das mal anders gelernt. Schiffe mit Rammsporn und Landkampftaktik.
    Wie dann das?
    https://www.welt.de/geschichte/article157668433/An-den-Rammspornen-kleben-noch-Reste-der-Karthager.html

    • Ariane 19. Oktober 2022, 16:11

      Stefan hat dazu auch mal einen Blogpost gemacht:
      http://geschichts-blog.blogspot.com/2010/09/der-erste-punische-krieg-roms-aufstieg.html

      Die Römer stationierten also deutlich mehr Seesoldaten als gewöhnlich auf ihren Schiffen und bauten große Enterbrücken an deren Bug, die so genannten „corvi“ (von corvus, Rabe). Diese Enterbrücken konnten herumgeschwungen und auf feindliche Schiffe herabgelassen werden, an denen sie sich dank eines schweren Eisensporns am Ende verhakten und diese so manövrierunfähig machten – und damit den Vorteil der Karthager zunichte. Was dann folgte war effektiv die Umgestaltung der See- zur Landschlacht. […]

      Der Senat sendet eine neue Flotte (!) um die Überlebenden zu retten und zurückzubringen, die noch einige Inseln vor der afrikanischen Küste einnimmt und sich dann auf den Rückweg macht. Hier endet die römische Glückssträhne. Bei Kap Hermiae gerät die Flotte in einen Sturm. Was folgt ist das größte Schiffsunglück der bekannten Geschichte bis heute. Fast die gesamte Flotte sinkt, über 100.000 Seeleute finden den Tod.

      Was bei den Römern aber absolut faszinierend ist, dass sie einfach immer wieder eine Flotte bauen und losschippern. Und mit Britannien sogar eine Insel erobern (ich glaub, das hat auch erst beim dritten Anlauf wirklich geklappt, weil ihnen davor – natürlich – die Flotte abgesoffen ist.

      • CitizenK 19. Oktober 2022, 20:00

        Ah, Danke!

      • Stefan Sasse 20. Oktober 2022, 07:43

        Das größte Erfolgsgeheimnis der Römer ist ihre Zähigkeit: egal wie sehr sie auf die Fresse kriegen, sie machen einfach weiter. Siehe Hannibal: jeder andere hätte Friedensverhandlungen begonnen. Die verheizen eine Armee nach dem anderen.

        • Thorsten Haupts 20. Oktober 2022, 09:37

          Und diese Zähigkeit ist für Republiken/Demokratien überhaupt nicht ungewöhnlich – de facto führte Rom in dieser Zeit, als es selber noch ein grossgewordener, republikanischer, Stadtstaat war, bereits den Normalfall des 20. Jahrhunderts, nämlich einen totalen Krieg. Was auch erklärt, warum die Karthager damit so ein Problem hatten, denn das war für den Zeitraum aussergewöhnlich und fand seine Entsprechung ausschliesslich in den griechischen Stadtstatten, von denen viele ja ebenfalls demokratisch/republikanisch organisiert waren.

          Gruss,
          Thorsten Haupts

          • Stefan Sasse 20. Oktober 2022, 14:50

            Die römische Zähigkeit ist schon ein besonderer Fall. Im antiken Griechenland hast sowas nicht, Karthago hatte es nicht; mir fiele kein anderes Reich ein, das so stoisch herbe Niederlagen absorbierte und einfach weitermachte.

          • cimourdain 20. Oktober 2022, 15:35

            Richtig, seit der Plünderung Roms durch Brennus (dies ater) war die römische Gesellschaft klar auf Unterwerfung aller (möglichen) Gegner getrimmt.

            Bei den griechischen Stadtstaaten sehe ich das anders: Da fand der größte Konflikt mit Karthago in Sizilien statt und dort war die Tyrannis das prägende System, vor allem die Tyrannis Syrakus, das auch militärisch (Timoleon) dominant war.

          • cimourdain 20. Oktober 2022, 15:36

            Nachbemerkung zu den Griechen: ‚Nikiasfriede‘ ist geradezu sprichwörtlich.

    • Stefan Sasse 20. Oktober 2022, 07:34

      Das war, in den Worten Fernaus, der Versuch, eine Seeschlacht in eine Landschlacht zu verwandeln.

      • Thorsten Haupts 20. Oktober 2022, 09:37

        Ich glaube, Du bist nahezu der einzige in Deiner Generation, der noch Joachim Fernau liest :-).

        • Stefan Sasse 20. Oktober 2022, 14:51

          Ich hoffe doch 😀 Ich hab den als Jugendlicher viel gelesen. Inzwischen würde ich das auch nicht mehr tun, aber ich hab ihn so oft gelesen, dass ich das teils noch verbatim kann. Inzwischen bin ich reifer und klüger. 😉

  • Thorsten Haupts 21. Oktober 2022, 17:00

    Ich hoffe doch Ich hab den als Jugendlicher viel gelesen. Inzwischen würde ich das auch nicht mehr tun …

    Was ganz nebenbei einfach die falsche Schlussfolgerung ist. Er kann einen auch heute noch sehr viel über Ressentiments von Nationalkonservativen (und deren Derivate und Fakes) gegen moderne Gesellschaften lehren.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 21. Oktober 2022, 20:10

      Absolut! Als historische Quelle dafür taugt der. Aber ich hab das intus, ich muss ihn HEUTE nicht NOCHMAL lesen. Weil ich schon so viel gelesen habe.

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