Klingbeil, Youngkin und Thatcher sprechen in Polen ein Machtwort und bekennen sich zu radikalen Verfassungsgerichten – Vermischtes 24.10.2022

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.

Fundstücke

1) Noch ist Europa nicht verloren

Die Zukunft der Erweiterung findet geographisch im Osten statt, und die Vertiefung hängt politisch von den Osteuropäern ab, somit geht es nicht ohne Polen. Polen hat – genau wie Frankreich – eine zentrale wirtschaftliche, geographische sowie sicherheitspolitische Bedeutung. Hier muss man aus der Not eine Tugend machen und im Weimarer Dreieck über Reformen nachdenken und im aktuell wichtigsten Politikfeld der EU, der Sicherheitspolitik, gemeinsam handeln. Das Trio muss Führungsverantwortung übernehmen und den Kern einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft bilden. Sie sollten de minimis gemeinsame sicherheitspolitische Leitlinien der drei Staaten erarbeiten, dem sich andere Europäer anschließen können. Mit mehr Mut könnten die drei auch ihre nationalen Streitkräfte operativ zu einer zusammenführen, über deren Einsatz gemeinsame entschieden wird. Da ein solcher Schritt kraft der französischen Nuklearteilstreitkraft zur Frage „force de frappe européenne?“ führen wird, sind die Beratungen darüber in den Staaten des Weimarer Dreiecks, der EU und der NATO unumgänglich. Darf man im Herbst 2022 Fragen der nuklearen Abschreckung in Europa an­sprechen? Weil Russland den Einsatz atomarer Waffen nicht mehr ausschließt, muss Europa diese Frage jetzt behandeln und einen Doppelbeschluss fassen: die eigene nukleare Abschreckung weiterentwickeln und gleichzeitig eine Plattform für Abrüstung von taktischen Atomwaffen und Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa initiieren. All das muss in den Rahmen der strategischen Planung der NATO eingebunden sein. Anders werden es Polen, die anderen Osteuropäer und demnächst die Skandinavier wegen ihrer unmittelbaren Wahrnehmung russischer Bedrohung auch nicht machen. So stärken europäische Verteidigungskapazitäten zugleich den lebensnotwendigen Zusammenhalt im atlantischen Bündnis und mittelfristig eine Abrüstung in Europa. Das fordert Vertrauen, und es fördert Vertrauen. (Wolfgang Schäuble, FAZ)

Die Bedeutung Polens für die deutsche Außenpolitik wird in meinen Augen tatsächlich unterschätzt. Große Teile der außenpolitisch interessierten Öffentlichkeit scheinen mir immer noch einer Nostalgie der deutsch-französischen Partnerschaft anzuhängen, die gerne als „Motor“ der EU verklärt wird. Das war zutreffend, als die EG noch aus 15 Staaten bestand; vielleicht sogar in den frühen 2000er Jahren, als die Osterweiterung gerade ablief und diese Staaten noch Bittsteller in Brüssel waren. Aber es scheint immer wieder vergessen zu werden, dass Polen eines der größeren EU-Länder ist, auf einem Level mindestens mit dem (ebenso unterschätzten) Spanien, aber in unserer direkten Nachbarschaft und sicherlich wirtschaftlich wie politisch bedeutend.

Gerade in der Ukrainekrise zeigt sich das sehr gut. Ohne Polen läuft nichts. Das Land nimmt eine Menge Geflüchteter auf, die das deutsche Engagement von 2015 in den Schatten stellt, sein Militär und die militärische Nutzung seines Territoriums sind entscheidend für die Aufstellung der NATO und sein Stimmgewicht macht es als Partner unumgänglich. Gleichzeitig sind die außenpolitischen Instinkte Polens, anders als bei seinem ebenfalls illiberal geisterfahrenden zeitweise Verbündeten Ungarn, wesentlich westlicher orientiert, als das manchmal den Anschein hat. Deutschland sollte die Gelegenheit für ein rapprochment mit Warschau nutzen, das auch helfen könnte, die Allianz von Fidesz und PiS zu sprengen.

2) Machtwortmumpitz

Dass der Streit allerdings eskalierte, dass eine Nebenfrage zum Grundsatzkonflikt aufgeblasen wurde und die gesamte politische Elite des Landes wie besessen um drei funzelige AKW herumtanzte – das alles lag durchaus im Interesse des Bundeskanzlers. Je mehr die anderen streiten, desto besonnener wirkt er. Und wen die Leute für besonnen halten, dem vertrauen sie. Und wem sie vertrauen, den wählen sie. So ist das nun mal. Das vermeintliche Machtwort wurde nur nötig, weil Olaf Scholz zuvor jeden Anschein einer eigenen Haltung in der Frage vermied. Für die politische Kultur des Landes war das bestimmt nicht hilfreich, für die Person Olaf Scholz womöglich schon. […] Wer etwa in den vergangenen Tagen mit führenden Grünen sprach, hörte auffällig laut den Wunsch, dass der Kanzler die Sache entscheiden müsse. Dies ist im Übrigen ganz und gar logisch: Die meisten führenden Grünen wissen, wie der Eiertanz der vergangenen Wochen um die Notfallreservekraftwerke der Partei geschadet hat. Doch die Grünen hätten in der Koalition ihre Verhandlungsposition mit der FDP geschwächt, wenn sie vor ihrem Parteitag am Wochenende eine weniger harte Formulierung in den Leitantrag des Delegiertentreffens geschrieben hätten – denn irgendein Kompromiss in der Regierung war da bereits zu erwarten. […] Auch der FDP kommt das sogenannte Machtwort durchaus gelegen. Natürlich wussten die Liberalen, dass die Grünen einer Verlängerung der AKW-Laufzeit bis 2024 niemals zustimmen würden. Die dafür notwendige Beschaffung neuer Brennstäbe war schließlich die „rote Linie“, die die Parteichefs vor dem Delegiertentreffen gezogen hatten. Doch bereits mit der Eskalation des Atomstreits hatten sie ein wesentliches taktisches Ziel erreicht: Sie hatten die Erzählung der Grünen als verbohrte Ideologen etabliert, die lieber die Versorgungssicherheit des Landes opfern als die eigenen Prinzipien – und damit auch die Möglichkeit, die Schuld für hohe Strompreise oder etwaige Blackouts bei den Grünen abzuladen. (Robert Pausch, ZEIT)

Ich bin über diesen Artikel so froh, weil er gegen den in den Medien leider endemischen Trend geht, diesen ganzen Berliner Theaterdonner immer mit größter Ernsthaftigkeit und ohne den Versuch jeder Einordnung 1:1 zu berichten. Die Tagesschau ist da ja ein besonderer Täter, was das angeht. Denn ich stimme Pausch voll zu. Nichts von alledem ist in irgendeiner Weise substanziell. Scholz profiliert sich, die Grünen beschwichtigen ihre Basis und die FDP die eigene, plus ein bisschen den Rivalen in schlechtes Licht stellen. Ein tatsächlicher Sachstreit existiert hier nicht, und das künstliche Drama um einen möglichen Koalitionsbruch ist einfach nur albern.

3) Klingbeil gesteht Fehler der SPD ein

Klingbeil nannte in seiner Rede konkret vier Fehleinschätzungen der SPD in der Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges: Man habe daran geglaubt, dass die Geschichte beide Länder einander verpflichte. Dabei habe die SPD verkannt, dass der russische Präsident Wladimir Putin das anders sehe und die Geschichte für die autokratische Konsolidierung nach innen und seine Großmachtpolitik nach außen instrumentalisiere. Das Paradigma Wandel durch Annäherung habe zudem nicht funktioniert. Immer engere wirtschaftliche Verflechtungen hätten nicht zu einer stabileren europäischen Ordnung beigetragen. Drittens habe sich Deutschland mit seiner Energiepolitik abhängig von Russland gemacht. „Eine solch einseitige Abhängigkeit darf nie wieder passieren.“ Und zu guter Letzt seien die Interessen der ost- und mitteleuropäischen Partner nicht ausreichend berücksichtigt worden. Das habe zu einem massiven Vertrauensverlust geführt. (Tagesschau)

Es ist sehr gut, dass Klingbeil hier ein bisschen Aufarbeitung betreibt. Denn die SPD hat sich außenpolitisch schlicht verrannt, und die Unwilligkeit, diese Fehler einzugestehen, sorgt aktuell für eine sowohl widersprüchliche als auch schädliche Außenpolitik; von den bisher angehäuften Kosten (die nun durch die „Zeitenwende“ im Eilverfahren aufgeholt werden müssen) einmal ganz abgesehen. Die CDU hat es hier leichter; in der Opposition kann sie so tun, als hätte sie diese Erkenntnisse immer schon gehabt. Und die FDP wird kaum beachtet, weil sie von den Ostpolitik-Nostalgikern der kleinste und unbedeutendste war.

Was mir sprachlich bei Klingbeil allerdings auffällt, ist die starke Nutzung des Passivs. Das Paradigma hat nicht funktioniert, Verflechtungen haben beigetragen, das Land sich abhängig gemacht, Interessen wurden nicht berücksichtigt. Wer vertrat das Paradigma? Wer schuf die Verflechtungen? Wer machte das Land abhängig? Wer beachtete Interessen nicht? Die konkreten Personen verschwinden im nebulösen, irgendwie „uns alle“ umfassenden Passiv. Kein Wunder. Auch wenn es deutlich weniger sind als noch 2017-2021, so sitzen immer noch genügend dieser Leute im Bundestag und an entscheidenden Schaltstellen. Eine davon ist sogar das Kanzleramt. Das hat, als Baerbock das Thema im Wahlkampf anmahnte, niemanden interessiert, weil ihr Lebenslauf so viel wichtiger war. Aber wahr bleibt es trotzdem.

4) The Last Thatcherite

The outcome resulted in a divergence between the incentives of existing capitalism and the fairy tale of liberal utopia. Just as Brexiteers had discovered after the departure of the country from the European Union that the City of London actually didn’t want to be freed of the regulations that they were promising, the money markets were not waiting for an act of faith in Laffer Curve fundamentalism after all. This was “Reaganism without the dollar.” Without the confidence afforded to the global reserve currency, the pound went into free fall. […] The framing captures the situation well. The scientists at the bench discovered that the money markets would not only punish left-wing experiments in changing the balance between states and markets, but they were also sensitive to experiments that pushed too far to the right. A cowed Ms. Truss apologized, and Mr. Kwarteng’s successor has reversed almost all of the planned cuts and limited the term for energy supports. (Quinn Slobodian, New York Times)

Ich muss ehrlich sagen, dass ich die wirtschaftlichen Hintergründe der Regierungskrise in Großbritannien jenseits von „Liz Truss hat eine reichlich extreme und stupide Politik betrieben“ kaum durchdringe. Was mir hier allerdings auffällt, abgesehen von der Isolierung einer radikalen Blase innerhalb der Tories, die ich bereits im letzten Vermischten angesprochen habe, ist, dass die Regierung Großbritanniens effektiv wie die Griechenlands durch ein Misstrauensvotum der Finanzmärkte gestürzt wurde. Das ist für die Demokratie keine sonderlich erbauliche Position, even if it couldn’t have happened to a nicer person.

5) Glenn Youngkin Believes in “Parents’ Rights”—But Only for the “Right” Kinds of Parents

So if the trans kid—or any kid—and the kid’s parents and the kid’s teacher all want to call the kid Sonny, or Red, or Lefty—well, they’re out of luck. Governor Youngkin has reserved that decision, value, and belief for himself. Out of “respect.” For parents. Or something. […] You would be forgiven for thinking that when Youngkin talks about parents’ rights, he only means the rights of certain, preferred groups of parents. Because if you belong to a class of parent which Youngkin does not prefer, then the governor will make decisions for you. And for your kid. And for the school. […] The argument against gender-affirming care is that it is harmful to a child, akin to child abuse, and children must be protected from themselves and their parents who want them to receive it. And just for the sake of argument, let’s grant that this is an emerging field, that we don’t know all of the best-practices yet, and that surely there are some sensible regulations for treatment that even most trans activists would agree are prudent. What’s odd is that if you want to send your gay or trans children to “conversion therapy”—which there is evidence causes psychological trauma and other adverse effects—well, in 21 states that’s your right as a parent. You may be shocked to learn that four states which have passed ban on gender-affirming care—Alabama, Arkansas, Arizona, and Tennessee—also have legal regimes which protect conversion therapy. There’s a reason why “parents’ rights” was a campaign-winning issue for Youngkin. […]  Historically, Republicans have mostly been correct on the merits when it comes to parental involvement in education. The basic unit of American society is the family, not the public school. Parents should be the decision-makers for their children and they should be able to convey their own values and beliefs to their children without being undermined by school bureaucracies. (Ansley Skipper, The Bulwark)

Bei solchen Dingen frage ich mich immer wieder, wer ernsthaft irgendetwas anderes erwartet. Niemand, jemals, hat moralische Prinzipien, die er oder sie völlig unbeachtet der eigenen Wertvorstellungen durchsetzt. Rechte werden immer das Scheinwerferlicht auf linke Verfehlungen richten und umgekehrt. Die Forderung, doch bitte die Rechte von Eltern, Bundesstaaten, Minderheiten oder was auch immer durchzusetzen, gelten immer nur für die eigene Klientel. Oft genug sind diese Ausnahmen ja auch gut genug begründet. Es ist ja nicht so, als hätten Youngkin und Co keine Argumente für ihre Vorlieben. Die haben die Linken ja auch. Und welche davon man überzeugend findet, hängt massiv von den eigenen Wertvorstellungen ab.

Davon abgesehen finde ich den letzten Hinweis des oben verlinkten Artikels relevant. Was auch immer man von Youngkins heuchlerischer, grausamer Politik halten mag (ich deute hier sehr subtil meine Präferenzen an), sein Vorgehen ist politisch gewieft. Bereits seine Wahlkampagne in Virginia, die die „Rechte der Eltern“ betonte, ließ die unvorbereiteten Democrats im Staub zurück, die auf diese offensichtlichen Attacken so gut vorbereitet waren wie die Grünen auf den Bundestagswahlkampf 2021. Und zu versuchen, offen gegen diese Festsetzung zu kämpfen, ist genauso Erfolg versprechend wie die Botschaften der Letzten Generation oder Extinction Rebellion.

6) Capitalism worked fine during the pandemic, thanks very much

Where do these brain farts come from? I see this particular one with surprising frequency, as if capitalism were somehow responsible for the fact that condoms and aluminum cans were in short supply during an unprecedented global pandemic. This is dumb enough as it is, but to toss it off as a casual aside? It’s bizarre. After all, it was the most socialist part of our economy—the emergency supplies stockpiled by centralized command and control—that were in the shortest supply during the first year of the pandemic. The fact that this shortage lasted only a few months is largely thanks to the remarkable ability of the free market to adapt to an emergency in practically the blink of an eye. People are weird. The COVID-19 pandemic was, if anything, a triumph for the robustness of our global supply chains. Considering how big and how deadly the pandemic was, it’s nothing short of a miracle that we did as well as we did. Cars and video game consoles were probably the most visible items in short supply, and it’s hardly the end of the world if you have to wait a year to buy a new Jeep or Playstation. (Kevin Drum, Jabberwocky)

Die ständigen Abgesänge auf den Kapitalismus und die linke Obsession mit der Suche nach einer „Alternative“ sind einfach nur langweilig. Da kommt nichts Vernünftiges raus. Der Kapitalismus ist eine Wohlstandsmaschine, wie es sie in der menschlichen Geschichte noch nicht gegeben hat, und bislang gibt es keinerlei vernünftige Alternativen. Er hat krasse Schattenseiten, die uns permanent (Ungleichheit, Machtkämpfe) oder neuerdings (Klimakrise) beschäftigen, aber er hat sich als wandlungs- und anpassungsfähig genug erwiesen. Und wie Drum richtig sagt hat die Pandemie wohl eher gezeigt, dass er stärker ist als alle Kritik annimmt, nicht schwächer.

7) Rechte Rechtskämpfe

In der Forschung über Rechtsmobilisierung fristete die Rechtsmobilisierung von rechts lange Zeit ein Nischendasein, weil sie im strategischen Repertoire eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielte. Das Recht ist aber in den Fokus aktueller autoritärer Strategien gerückt. Dabei kopieren sie nicht nur die Strategie der Rechtsmobilisierung durch die US-Bürger:innenrechtsbewegung und andere Menschenrechtsakteure, denn die Rechten gehen einen Schritt weiter: Sie versuchen das Rechtssystem insgesamt zu kapern und als Handlungsfeld emanzipatorischer Strategien zu verschließen. […] Diese Eigenlogik des juridischen Feldes, seine teilweise Unabhängigkeit von politischen Prozessen, seine Widersprüchlichkeit sind die Bedingungen dafür, dass im Recht gekämpft werden kann. […] Autoritäre Bewegungen und Agitator:innen auf der ganzen Welt haben daher Strategien und Instrumente entwickelt, um in der Regel schrittweise, manchmal aber auch abrupt, die relationale Autonomie des Rechts auszuhöhlen. Der Rechtswissenschaftler Günter Frankenberg zählt zum autoritären Repertoire Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz, die Ausweitung exekutiver Machtbefugnisse, normalisierte Ausnahmezustände und informalisierte Machttechniken. […] Die „Waffenstillstandsbedingungen“ in Bezug auf die formale Unabhängigkeit des Rechts wurden von rechten Akteur:innen aufgekündigt. Der globale Autoritarismus arbeitet daran, das Recht als Feld von Kämpfen für emanzipatorische Akteur:innen dauerhaft zu verschließen. Das ist eine Gefahr für die Demokratie und die politische Handlungsfähigkeit: Denn bei aller angebrachten Skepsis gegenüber dem Recht lernt man, so der Staatstheoretiker Nicos Poulantzas, die „sogenannten ‚formalen‘ Freiheiten (…) erst wirklich schätzen, wenn sie einem genommen werden.“ (Maximilian Pichl, Geschichte der Gegenwart)

Die Rolle der Übernahme von Justizsystemen in der Unterhöhlung der Demokratie durch Rechtspopulisten scheint mir immer noch unterschätzt zu sein. Gerade im Falle Polens, aber auch Ungarns, spielt das eine zentrale Rolle, von den USA gar nicht erst zu reden. Die Gründe werden hier im Artikel schön dargelegt, aber es lohnt sich noch einmal besonders darauf zu verweisen, dass ein funktionierendes Justizsystem als Blocker wirkt. Die Justiz ist inhärent konservativ, weil sie sich am Status Quo ausrichtet und diesen beschützt. Richterlicher Aktivismus ist in beide Richtungen ein Problem (und einer meiner zentralen Kritikpunkte etwa am BVerfG wie auch Supreme Court etc.). Schlägt also eine Regierung zu sehr vom Status Quo weg, ob nun in eine linke oder rechte Richtung, wird ein funktionierendes Justizsystem das einhegen (was keine qualitative Feststellung ist; diese Verengung auf den Status Quo kann auch sehr problematisch sein; sie ist schlicht systemimmanent). Es kann deswegen kaum überraschen, wie unbeliebt Verfassungsgerichte üblicherweise an den Rändern sind.

8) „Die KPD wartete auf den Zusammenbruch“ (Interview mit Gerd Koenen)

ZEIT Geschichte: Die KPD zog in diesen Wahlkampf mit dem Slogan: „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler; wer Hitler wählt, wählt den Krieg!“ Muss man heute sagen: Die KPD hat die Gefahr erkannt, die auch von Hindenburg ausging?

Koenen: Nein. Dieser Slogan war sehr problematisch, weil er suggerierte, dass von der SPD bis zu Hitler alles eine Soße war. Darin zeigt sich aus meiner Sicht, wie wenig die KPD im April 1932 verstanden hatte, dass Hitler eben kein rechter Hampelmann war, sondern eine tödliche Gefahr für alle.

ZEIT Geschichte: Warum verpasste die SPD auch noch den Zeitpunkt, zu den Waffen zu greifen?

Koenen: Sie hätte im Januar 1933 zumindest zu einem bewaffneten Generalstreik aufrufen und ihre Kampfverbände aufmarschieren lassen müssen; so wie 1920 der Kapp-Putsch erfolgreich abgewehrt wurde. Damals war der Funke im Land schnell übergesprungen. Aber es gab 1933 natürlich keinen Putsch, sondern eine parlamentarisch halb reguläre Machtübernahme. Das hatte für viele Demokraten etwas Lähmendes. […]

ZEIT Geschichte: Welche der beiden Parteien, SPD oder KPD, trägt mehr Verantwortung für das Ende von Weimar?

Koenen: Verantwortlich für den Fall der Republik sind zuallererst die bürgerlichen Kräfte, die Hitler auf den Schild gehoben haben. In zweiter Linie aber auch die KPD, die im Zweifel den Direktiven der Moskauer Weltpolitik folgte. Dort war man sich im Frühjahr 1933 noch gar nicht schlüssig geworden, ob die Machtübernahme Hitlers nicht auch positive Perspektiven biete. Einen Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion verlängerte Hitlers Regierung im Mai 1933 noch einmal, und die Reichswehr arbeitete weiterhin mit der Roten Armee konspirativ zusammen. Erst als alles zu spät war, 1935, wechselte die KPD – auf Geheiß Moskaus – zur „Volksfront“-Strategie; auf einmal verkündete sie: „Wir verteidigen die demokratische Freiheit.“ (Markus Flohr, ZEITGeschichte)

Eine wichtige Betrachtung. Ich möchte am Untergang Weimars (übrigens bald auch Thema im Podcast…) vier wichtige Dinge aus dem Artikel festhalten.

Nummer eins ist, dass der entscheidendste Faktor für den Sieg der Rechten, damals wie heute, die Unterstützung der bürgerlichen Eliten ist. Ohne die schaffen es die Rechtsradikalen nirgends (wie noch kein kommunistisches Regime es je ohne die Macht der Bajonette geschafft hat). Der Mythos, dass es für dieses Gesocks Mehrheiten gäbe oder gegeben hätte, ist nicht totzukriegen.

Der zweite Punkt ist die „Soße“, von der Koenen spricht. Das inflationäre Zusammenwerfen von allen Kräften jenseits der eigenen randständigen Position ist eine Vollkatastrophe (siehe auch Fundstück 10), die unglaublich schädlich ist. Demokratisch-parlamentatische Prozesse sind praktisch immer nervtötend und enttäuschend, aber dieses „alles die gleichen Verbrecher“ spielt nur den Extremisten in die Hände.

Der dritte Punkt gehört thematisch zum ersten dazu: die Rechten werden die Macht nicht übernehmen, indem sie putschen (das ist irgendwie mehr so ein Kommunistending), sondern mit einem „Marsch durch die Institutionen“. Das ist inkrementeller und unauffälliger, und wie wir gerade in den USA sehen zersetzt es die Abwehrfähigkeiten der Demokratie wesentlich effektiver als alles andere.

Der vierte Punkt ist die enge Partnerschaft mit Russland. Die ist seit den alten KPD-Tagen ein Dauerthema bei Linken, und die außenpolitischen Frontstellungen der 1920er Jahre werden bis heute mitgeschleppt. Ich versteh das einfach nicht, aber es ist kaum zu leugnen.

9) Die Konservative Partei

Ich bin kein Tory. Mich geht das alles überhaupt nichts an. Selbst wenn ich Brite wäre, was ich nicht bin: Da hätte ich mich nicht drum zu bekümmern. Rein interne Angelegenheit. Die Tories, eine nicht korporierte private Organisation, sucht eine neue Vorsitzende*n. Hat sie diese gefunden, wird sie, da die Tories im Parlament in der deutlichen Mehrheit sind, vom König mit der Regierungsbildung beauftragt und damit zur Premierminister*in Ihrer Majestät. Das ist dann natürlich ein öffentlicher Vorgang. Aber der Leadership Contest? Rein privat. […] In Deutschland ist die Situation schon deshalb anders, weil unter Bedingungen des Verhältniswahlrechts parteiinterne Personalentscheidungen nur selten so klar und hart und umfassend die Machtfrage beantworten wie in UK. Aber auch verfassungsrechtlich ist die Lage völlig anders. Hier weist das Grundgesetz den Parteien eine explizit öffentliche Funktion zu, nämlich bei der „Willensbildung des Volkes mitzuwirken“ (Art. 21 Abs. 1). Das Grundgesetz mischt sich auch in die Frage ein, wie sie sich intern zu strukturieren und zu organisieren haben, nämlich demokratisch. Wie wenig sich die strikte Grenzziehung zwischen Staat und in Parteien organisierter Gesellschaft von selbst versteht, bezeugt schon die stetig länger werdende Kette von BVerfG-Urteilen zur staatlichen Parteienfinanzierung. Mit der altliberalen Vorstellung, den Staat des Königs sein und die Gesellschaft ihren privaten, mittels Parteien und Parlament vor staatlichen Ein- und Übergriffen geschützten Geschäften nachgehen lassen zu wollen, hat das alles schon lange nicht mehr viel zu tun. Partei heißt politisch, und politisch heißt öffentlich, und öffentlich heißt, dass man der Öffentlichkeit Rechtfertigung schuldet für das, was man tut, in welcher Rechtsform man auch immer organisiert ist. Auch im Vereinigten Königreich scheint mir die Position, es sei vertrauliche Privatsache der Tories, ob und wie und aus welchen Gründen sie Archie die Schildkröte zur Wahl von Liz Truss zugelassen hat oder nicht, nur noch schwer zu rechtfertigen. Wenn schon nicht verfassungsrechtlich, so doch jedenfalls verfassungspolitisch. (Maximilian Steinbeis, Verfassungsblog)

I’m of two minds about this: Auf der einen Seite bin ich absolut der Überzeugung, dass in einem parlamentarischen System es das Parlament und damit die gewählten Abgeordneten sind, die die Regierung bestimmen. Die Argumente, dass Liz Truss kein „Mandat“ gehabt hätte, überzeugen mich nicht, schon alleine deswegen, weil eine Wahl kein „Mandat“ zu irgendwas ist außer dazu, bis zur nächsten Wahl als Repräsentant*in des Volkes tätig zu sein.

Auf der anderen Seite ist es natürlich völlig albern, wenn die Tories sich als ein eingetragener Verein inszenieren. Da hat das deutsche politische System (wie in so Vielem) klare Vorteile, gerade weil es, wie Steinbeis ja auch zurecht bemerkt, den Parteien eine verfassungsmäßige Rolle zuweist. Für meinen Geschmack ist das Grundgesetz da auch noch viel zu zurückhaltend, aber die entsprechende Rechtsprechung hat das glücklicherweise über die Jahrzehnte felsenfest verankert.

Das britische Problem haben die USA ja auch. Auch hier sind „Parteien“ ein verfassungsmäßiges Paradoxon. Der Text der Verfassung kennt sie nicht, aber sie sind de facto (wenn auch schwache) Institutionen im politischen System. Aus diesem schattenhaften Zwischenzustand ergeben sich dann alle Arten von Fragen und Merkwürdigkeiten. Das ist immer das Problem mit Verfassungen: je älter sie werden, desto mehr entfernt sich der Text von der Realität. Und irgendwann ist diese Belastung nicht mehr auszuhalten, und ein neuer Status Quo wird gebildet – gegebenenfalls mit einem neuen Verfassungstext, gegebenenfalls mit einer kompletten Neuinterpretation von zentralen Passagen.

10) The Making of a Leftist

I will admit to feeling a twinge of embarrassment in describing the innocent and uncomplicated emotions of that night some 14 years later. But I have nonetheless found myself returning to them again and again while reflecting on my own trajectory from teenage progressive to democratic socialist. […] To be on the left was more or less to be a liberal in a hurry and, insofar as there was any distinction to be made, it was not one of substance but rather of degree. That view became untenable during Obama’s early years in office. Elected in the throes of the worst economic crisis since the Great Depression, the administration rejected any serious overhaul of the financial system, moving instead to keep Wall Street leviathans afloat with injections of federal cash while millions of working- and middle-class people were left to sink. If the president’s 2008 campaign had been a populist cri de coeur for democratic transformation from below, his governing ethos would quickly become technocratic and managerial. No reckoning, it seemed, was to be had with the powerful interests complicit in causing the financial crisis or the many other maladies running through the American body politic. Elite brokerage would take the place of democratic confrontation, and the president would ultimately carry out the rousing slogan “Yes we can” by neutering the very grassroots army that had gotten him elected. […] Whereas I had once seen the malaise of contemporary liberalism in terms of diffidence and capitulation, these developments (and countless others like them) cast it in a new light. Perhaps the problem was not so much a dearth of courage or a paucity of ambition, but rather a deeper pessimism about the possibility, and desirability, of a politics that looks significantly beyond the horizons of our stagnant present. As the de facto standard-bearers of American progressivism, institutional liberals continue to draw from a lexicon of social justice and moral urgency. Yet even as they adopt the language of exception and crisis, their leaders reject democratic populism and appeal to moderation and consensus instead. (Luke Savage, The Atlantic)

Ich finde den Artikel unter anderem deswegen so spannend, weil ich die komplett entgegengesetzte Reise durchgemacht habe. Obama war einer der Hauptgründe, warum ich aus dem linksradikalen Spektrum weggewandert bin. Abseits davon halte ich, wie in Fundstück 8 bereits erwähnt, die Gleichsetzung von Obama mit allem anderen Kram für völlig verfehlt. Diese fixe Idee, dass nichts als ein radikaler Bruch mit dem Bestehenden zu einer Heilung führten kann, ist Radikalen beider Spektren gegeben, aber zumindest vom Bauchgefühl her ist es auf der Linken verbreiteter oder doch zumindest akzeptierter, unter anderem, weil es sich bei der Linken immer partizipatorisch und vage demokratisch anhört, während die Revolutionäre von rechts schon alleine deswegen selten geworden sind, weil ihre Bruchideale seit 1945 diskreditiert sind; sie tarnen sich üblicherweise innerhalb der Demokratien und höhlen sie aus.

Resterampe

a) Der CCC führt ein kolossales Versagen im Gesundheitssektor vor, wo miese, überteuerte Technik monopolistisch durchgedrückt wird.

b) Spannender Aufsatz von Philippe Wampfler zur Empörungspolitik.

c) Interessanter Artikel über neue Bezahlmodelle bei Onlinezeitungen.

d) Sehr beeindruckender Erfahrungsbericht von Gewalt gegen Transmenschen. Unbedingt lesen!

e) Die Welt hat eine gute Aufstellung der Waffenlieferungen an die Ukraine (beziehungsweise ihres Ausbleibens) mit all den widersprüchlichen Begründungen. Ich sehe darin vor allem eine politische Auseinandersetzung: der Westen will der Ukraine nicht bedingungslos Waffen liefern, und die Ukraine versucht Druck zu machen, möglichst viel zu liefern. Da keine Seite offen sagen kann, was ihr Ziel ist, kapriziert sich das alles auf diesen technischen Kram.

f) Eine gute Ergänzung zu meinem Midterm-Artikel letzte Woche.

g) Anne Applebaum fasst die deutsche Debatte über Panzer für die Ukraine im Atlantic gut zusammen.

h) Wen die beamtenrechtlichen Hintergründe im Skandalfall um Spionage bei Nancy Faser interessieren – hier wird man bedient.

i) Jonathan Chait zum Aufstieg von Impfgegner*innen in der GOP. Selbes Muster wie überall in der Partei.

j) Ich wünschte, das wäre weitreichender verstanden.

k) Fear of Cancel Culture is worse than Cancel Culture.

{ 67 comments… add one }
  • Joshtree 24. Oktober 2022, 15:29

    Zu Fundstück 8: Du verstehst nicht die Hinwendung der KPD/der deutschen Kommunisten zur Sowjetunion? Das nehme ich Dir nicht ab. Dann hättest Du einen großen Teil der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht nachgelesen oder nur aus einer sehr einseitigen Sicht.

    • Stefan Sasse 24. Oktober 2022, 21:39

      Oh nein das verstehe ich! Ich verstehe nicht warum die LINKE der 2020er Jahre das immer noch macht.

  • Stefan Pietsch 24. Oktober 2022, 16:32

    1) Noch ist Europa nicht verloren

    Polen ist ein schwieriger Partner, aber ein sehr wichtiger Partner. Frankreich positioniert sich längst eindeutig hin zu den mediterranen Mitgliedsländern und gibt seine Vermittlerrolle auf. Deutsche Interessen sind jedoch mit den südeuropäischen am wenigsten kongruent.

    2) Machtwortmumpitz

    Der Punkt ist, die Grünen haben sich in der Atomfrage selbst gefangen und brauchten das Machtwort des Kanzlers. Sie baten geradezu um die Rolle als Kellner. Habeck wagte nicht die Machtprobe mit den Fundis in seiner Partei, nicht mit Jürgen Trittin, der damit noch einmal sein zerstörerisches Machtpotential demonstrierte. Und Baerbock verhielt sich nicht ganz still, signalisierte ab und zu Opposition zu ihrem innerparteilichen Konkurrenten Habeck.

    Das Thema kommt ohnehin im März / April 2023 auf Wiedervorlage. Bemerkenswert ist allein, wie sehr sich die Grünen in der Frage verrannt hatten. Ich habe aktuell unternehmerisch in einem ähnlich gelagerten Fall zu entscheiden: Alle Fakten deuten klar auf eine Lösung, nur die Mitarbeiterin sperrt sich. Am Ende braucht es ein „Machtwort“. Es ist keine kluge Sache, es dazu kommen zu lassen. Das machen schwache, entscheidungsschwache Menschen. Kluge lassen sich das Heft des Handelns nicht aus der Hand nehmen.

    4) The Last Thatcherite

    Es gibt viele Gründe, an denen man, also auch eine Regierung, scheitern kann. Wenn ein Staat sich nennenswert verschuldet, dann sind eben auch Finanzmarktakteure Mitspieler und Entscheider. Verschuldung ist eine politische und damit demokratische Entscheidung. Und damit auch die Konsequenz, den Finanzmarkt zum politischen Akteur zu machen.

    A und B eben.

    9) Die Konservative Partei

    Boris Johnson ist gewählt. Niemand kann bei einem Mehrheitswahlrechtssystem wie in GB oder in den USA bestreiten, dass politische Führer und nicht Parteien gewählt werden. Deswegen müssen die Regierungschefs auch Vorsitzende ihrer Partei sein. Es ist schon eine ziemliche Verbiegung des Wählerwillens, erst Liz Truss und nun Sunak als Premierminister zu präsentieren. Dazu hatte die Tory-Fraktion kein Mandat.

    d) Sehr beeindruckender Erfahrungsbericht von Gewalt gegen Transmenschen. Unbedingt lesen!

    Wann kommt der sehr beeindruckende Erfahrungsbericht von Gewalt gegen Top-Manager? Ich warte.

    • Stefan Sasse 24. Oktober 2022, 21:58

      1) Ich bin unsicher, ob man Frankreich als den großen Vermittler sehen sollte. Die haben schon immer ihre nationalen Interessen verfolgt, genauso wie Deutschland auch. Hast du mir ein Beispiel?
      Ich würde dir außerdem bei deiner Nord-Süd-Dichothomie widersprechen. Da machst du es dir viel zu einfach; Deutschland teilt diverse Interessen mit manchen Südländern. Unsere Wirtschaftspolitik verträgt sich nicht mit deren Konzepten, aber das ist ja nicht alles.

      2) Absolute Zustimmung. Aber du nimmst die FDP denke ich zu sehr raus; auch die wollten dieses „Machtwort“ (das ja gar keines ist) ebenfalls und stehen jetzt auch nicht unbedingt super da. Und Scholz inszeniert zwar Führung, aber das ist Blödsinn.

      4) Gutheißen muss man das ja aber nicht.

      9) Ja, aber das ist ja irgendwo mein Punkt. Dieses System sagt, dass Parlamentarier*innen gewählt werden und und sonst nichts. Und es gibt Möglichkeiten da drum rum, etwa Protest der zu einer Neuwahl zwingt (worauf Labour ja (vermutlich vergeblich) hofft) oder eben die Änderung des Systems. Also ich hab keine Sympathie für das Geweine.

      d) Weiß ich nicht, gibt es da welche?

      • Stefan Pietsch 25. Oktober 2022, 00:07

        1) Die deutsch-französische Achse hat spektakulär in der Zeit der Präsidenten Sargozy und Hollande im Zuge der Finanz- und später Eurokrise funktioniert. Aber auch vorher stimmten sich merklich die Kohl- wie die Schröder-Regierungen mit Frankreich (und umgekehrt) ab. Erst seit Macron entwickelt sich das Verhältnis auseinander. Die Ursache liegt aber nicht in der Person des Präsidenten, sondern in dem gewachsenen wirtschaftlichen Gefälle zwischen Frankreich und Deutschland. Unsere Nachbarn sind heute weit stärker von günstigen Finanzmarktkonditionen abhängig als wir, sie haben anders als noch in den Nullerjahren praktisch keine realistische Chance mehr auf ausgeglichene öffentliche Haushalte. Das ist mir selbst übrigens erst klar geworden, als ich mich im Rahmen einer Artikelserie mit den Daten beschäftigte.

        2) Wie viele Kommentatoren bin ich der Ansicht, dass sich die FDP in der Atomfrage geschickt und klug positioniert hatte. Sie konnte nur gewinnen, die Grünen nur verlieren. Übrigens war das Revanche, 2011 war es genau umgekehrt.

        Meine Meinung zu Scholz ist abweichend zur Mehrheitsposition deutlich positiver. Ich erkenne seine extrem schwierige Lage an: Krisen so groß wie noch nie in der Nachkriegsgeschichte, dazu Kanzler der ersten echten Dreier-Konstellation und dazu noch lagerübergreifend. Und die eigene Partei eher schwach aus der Wahl hervorgegangen. Kein Kanzler vor ihm hatte es so kompliziert.

        Scholz und Lindner hatten lange vor 2021 ein vertrauensvolles Verhältnis, das war insbesondere das Investment des FDP-Chefs. Die Grünen haben dergleichen nicht zu bieten. Tatsächlich ist Lindner zwischen den Parteien deutlich besser vernetzt. Und ich muss Dir sagen: Beziehungen lassen sich im Leben und auch an der Macht durch nichts ersetzen.

        Dazu neigt Scholz von Werdegang, Mentalität und Einstellungen weit eher der FDP zu. Der Abstand zu den Grünen dagegen ist groß, wie bei allen konservativen Sozialdemokraten. Und Scholz ist kein Hassadeur. Jedem ist klar, dass Deutschland nicht binnen 12 Monaten auf den Strom aus 6 Kernkraftwerken verzichten kann. Das wäre aus Sicht des Jahres 2021 noch mit funktionierenden französischen Meilern gegangen. Da aber durch den russischen Krieg die deutsche Energielüge – Gas liefert die notwendige Grundlast – zusammengebrochen ist, konnte sich eigentlich jeder schon im Februar denken, worauf das hinausläuft.

        Falls es Dich befriedigt: FDP und Union haben Glück, dass die Wähler vergessen haben, wer den irrwitzigen Ausstiegsbeschluss fasste. Und wenn Du meine Texte aufmerksam liest, dann findest Du da oft deutliche Kritik an der FDP, aber fast nie Euphorie. Das passt nicht zu meinem Naturell.

        4) Ich verzweifle nie – höchstens an meinen Mitmenschen, wenn sie nicht bereit sind, Konsequenzen aus A als Ergebnis ihrer Entscheidung zu akzeptieren. Siehe oben, die Franzosen haben sich innerhalb einer Dekade so stark verschuldet, dass sie nicht mehr so souverän agieren können, wie sie das jahrzehntelang konnten. Man merkt nicht, wann es kippt. Man merkt eben nur, wenn es gekippt ist.

        9) Das ist eine sehr theoretische Betrachtung. Der Wahlsieg der Tories wäre ohne Boris Johnson nicht möglich gewesen. Das ist unter Demoskopen unstreitig. Das Wahlrecht in den USA wie Großbritannien ist so ausgelegt, dass eine Partei auch mit 38% alleine regieren kann. Das ist so gewollt. In Kontinentaleuropa ist das nicht möglich, auch das ist so gewollt. Deswegen ist es hier auch weit eher zulässig, die Mehrheitsverhältnisse der Zusammenarbeit von Parteien und Milieus zuzuschreiben denn einzelnen Personen.

        Allerdings ändert sich das gerade. In Deutschland sehen wir das auf regionaler Ebene, wo die Person der Ministerpräsidenten eine so dominierende Rolle in Wahlen erlangen, dass hieraus die eigentliche Legitimität erwächst und nicht aus den Stimmanteilen der Parteien.

        d) Das war provokativ gemeint. Transmenschen machen gerade einen geringen Promilleanteil an der Bevölkerung aus. Entsprechend gering ist der Anteil der Gewaltdelikte gegen sie an der Summe aller Gewalttaten. Damit ziehe ich kein bisschen in Zweifel, dass sie häufiger Ziel von Angriffen sind. Aber: Gewalt gegen Kinder ist weit häufiger, aber es wird versäumt, das ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Schlimmer noch: in der Pandemie wurde geradezu ein Desinteresse an dem Thema zur Schau getragen. Schutz vor einem Virus war (und ist) wichtiger als der Schutz von Kindern.

        Zur Sache: in Deutschland gibt es wenig Gewalt gegen Manager. Aber sie gibt es, wie ich vor kurzem selbst in meinem Umfeld erlebt habe. In anderen Ländern sieht das deutlich anders aus. Es geht mir nicht darum, das hervorzukehren. Es geht um einen anderen Aspekt: in dem Moment, wo sich Menschen exponieren (oder exponiert werden), werden sie auch Opfer von Aggressionen. Und daher halte ich es auch für keine intelligente Idee, die Rechte und Interessen von Transpersonen so offensiv in der Öffentlichkeit auszutragen, wie wir das inzwischen tun.

        Sich zu exponieren ist immer eine persönliche Entscheidung und muss es sein. Deswegen schütze ich meine Mitarbeiter und deswegen greife ich einzelne Kommentatoren nie in Artikeln an. Das ist meine Grundhaltung.

        • Stefan Sasse 25. Oktober 2022, 05:17

          1) Ah, du meinst hauptsächlich im deutsch-französischen Verhältnis. Ja, das hat sich ziemlich abgekühlt. Auch Merkel hat ja mit Frankreich wesentlich mehr gefremdelt als Schröder und Kohl vor ihr. Aber ich denke, die Ursachen sind ehrlich gesagt weniger hier zu suchen als vielmehr in der gestiegenen Bedeutung anderer Länder, die die „Achse“ Paris-Berlin als wesentlich zu kurz erscheinen lassen, als dass sich Europa da noch drumherum drehen könnte. Über den französischen Haushalt weiß ich recht wenig, muss ich zugeben.

          2) Oh, die FDP war parteipolitisch definitiv clever in der Atomfrage, da haben wir keinen Dissens. Clever zumindest in dem Sinn, dass sie nicht verloren haben und die Grünen in einer unpopulären Ecke halten konnten. Aber das war angesichts der grünen Positionen unvermeidlich; die waren bezüglich der Frage seit Wochen in einer Sackgasse. Das ist effektiv spiegelbildlich zum Doppel-Wumms und der Implosion der Schuldenbremse 2023, die die FDP vorher hatte schlucken müssen. Das ist halt das Problem, wenn die Realität einer Krise deine vorherigen Präferenzen zerlegt.

          Ich habe seit Beginn der Gaskrise gesagt, dass eine Laufzeitverlängerung für mich kein Streitthema ist. Wenn das geht, spricht nichts dagegen, es zu machen. Ich kenn mich mit dem technischen Kram zu wenig aus, um beurteilen zu können, was das tatsächlich hilft. Ansonsten löffeln wir vor allem die Suppe verbockter Energiepolitik unter Merkel aus. Und die hat sowohl gelbe als auch rote Beihilfe. Da hat sich glaube ich niemand mit Ruhm bekleckert, aber wenn wir so eine Art Ranking machen wollen, dann ist unsere aktuelle Lage so 50% CDU, 30% SPD, 15% FDP und 5% Grüne.

          Ich denke allerdings, du unterschätzt Habeck und Baerbock. Die haben die Jahre 2017 bis 2021 auch nicht eben ungenutzt verstreichen lassen.

          9) Ja, das ist mir schon klar. Die CDU hätte ohne Merkel ihre Wahlen so ja auch nicht gewonnen. Aber Fakt ist, dass wenn Merkel sagen wir 2019 abgetreten wäre, kein Zweifel an der Wahl von Krampp-Karrenbauer oder Merz als Kanzler*in bestanden hätte. Und ähnlich ist das auch in GB. Mag sein, dass Johnson etwas zu bieten hatte, dass die Wählenden wollten; aber gewählt haben sie trotz allem die Tories. Noch dazu unter Mehrheitswahlrecht, wo ja angeblich die Verbindung der Wählenden zu ihren Abgeordneten so viel enger ist (was ich schon immer für eine dubiose Annahme gehalten habe). Ich sehe kein grundsätzliches demokratietheoretisches Problem. Wenn den Tories die Legitimität mit Truss und Sunak fehlt, müssen sie neu wählen. Aber solange die Tories diese Regierung stützen, haben sie die Legitimität und können versuchen, ihr Mandat zu erneuern. Der Souverän entscheidet dann 2024 drüber.

          d) Da haben wir einen harten Dissens. Der Vergleich, den du aufmachst, ist auf mehreren Ebenen in meinen Augen nicht haltbar.
          1) Die Größe einer Gruppe ist irrelevant, was den Genuss ihrer Grundrechte angeht. Du sprichst hier gerade en passant einer Gruppe den vollen Schutz der Grund- und Menschenrechte ab, weil sie a) klein und b) exponiert sind. Das ist, höflich gesagt, fragwürdig.
          2) Der Schutz gefährdeter Menschen ist kein Wettbewerb. Nur weil man auf Gewalt gegen Transmenschen aufmerksam macht, nimmt das nicht vom Schutz der Gewalt gegen Kinder (die du übrigens auch noch nie ins öffentliche Bewusstsein gerückt hast, was die Instrumentalisierung hier ebenso in ein fragwürdiges Licht rückt).
          3) Da die Gewalt offensichtlich ein systemisches Problem ist, muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden. Genau deswegen gibt es ja auch Kampagnen für den Schutz von Kindern vor Gewalt. Seit das öffentlich gemacht ist (1980er Jahre? Unsicher wann diese Kampagne losging), passen die Leute viel mehr auf und das Ganze wurde Zug um Zug tabuisiert. Dasselbe muss man auch bei anderen Personengruppen machen. Wenn du Transpersonen hier das Recht absprichst, dafür zu werben, dass sie nicht Opfer von Gewalt werden, finde ich das schon heftig.

          • Stefan Pietsch 25. Oktober 2022, 12:49

            1) Nein, das meinte ich nicht. In der Eurokrise waren die Südländer inklusive ihrer Vormacht Frankreich durchaus für ein großzügigeres Vorgehen gegenüber Griechenland. Das galt vor allem für Italien und Spanien. Die Nordländer, insbesondere die Balten und die Skandinavier, beharrten strikt auf der No-Bail-Out-Klausel. Sargozy und Merkel schufen daraus eine einheitliche Position. Die griechische Regierung unter Tsipras hatte anders kalkuliert und in bilateralen Gesprächen mit Paris sehr wohl versucht, Sargozy auf die eigene Seite zu ziehen. Hollande hat die zuvor formulierte Position Frankreichs übernommen. Doch seitdem ist es mit dem deutsch-französischen Einvernehmen vorbei. Würde Italien es nicht so schwer machen, gäbe es längst mit Paris-Rom-Madrid ein starkes Gegengewicht zu Berlin.

            2) Die FDP hat mit ihrer Wählerschaft ein Problem mit der Schuldenbremse, nicht in der öffentlichen Wahrnehmung. Das ist ein Unterschied zum Problem der Grünen. Und: Lindner hat bisher (in Abstimmung mit dem Kanzler) getan, was notwendig war – und der Koalition mit seiner Flexibilität (Umwidmung der Kredite aus der Pandemie, Sondervermögen Bundeswehr) aus der Bredouille geholfen. Habeck hat, weil er die Machtprobe nicht wagte, erst den Konflikt herbeigeführt.

            Die Grünen wollen Kanzlerpartei werden. Eine Partei, die das Land führen will, darf sich nicht aus ideologischen Gründen selbst blockieren. Da sind ihnen die Konservativen und die Sozialdemokraten vor – und das werden die Wähler sich merken.

            Da hat sich glaube ich niemand mit Ruhm bekleckert, aber wenn wir so eine Art Ranking machen wollen, dann ist unsere aktuelle Lage so 50% CDU, 30% SPD, 15% FDP und 5% Grüne.

            Wenn es eines Beleges bedurft hätte, wie schonend Du mit den Grünen umgehst, dann hier. Fangen wir damit an, dass die Grünen in den vergangenen 20 Jahren auf Bundesebene genauso lange, auf Länder- und kommunaler Ebene wesentlich stärker in der politischen Verantwortung waren wie die Liberalen wirkt Deine Einschätzung schon aufgrund dieser Fakten absurd.

            Die Energiepolitik wurde unter Rot-Grün und dabei maßgeblich von den Grünen unter Trittin konzipiert. Einmal ein System implementiert, lässt es sich politisch kaum noch ändern. Hätte es die dynamische Rente unter Erhard gegeben? Nein. Hätte es Obamacare unter Trump gegeben? Nein. Aber mit all ihrer politischen Macht konnten sie keinen Einfluss mehr nehmen. Es ist also richtig, weitreichende Systeme ihrem Erfinder und Installateur zuzurechnen.

            Die Grünen haben mehr als andere Parteien in den letzten 20 Jahren in ihren Wahlprogrammen den Ausbau von Gaskraftwerken gefordert. Und jeder wusste: das Gas kommt aus Russland. Der Atomausstieg war eine rot-grüne Erfindung, keine konservativ-liberale. Merkel hatte unter großem Protest der Grünen 2009 den Ausstieg verlangsamt und dann 2011 unter dem Applaus der Grünen beschleunigt.

            Zu behaupten, die Grünen hätten den geringsten Anteil an der heutigen Malaise ist Geschichtskittung.

            Habeck und Baerbock sind Konkurrenten. Baerbock antichambriert mit dem linken Flügel, der sie als Kanzlerkandidatin durchsetzte. Habeck setzt klar auf die Union als strategischer Partner, während Baerbock die grünen Kernmilieus nicht verprellen will. Das ist nicht das Gleiche.

            9) Das habe ich auch nicht geschrieben. Zudem war Merkels Legitimität ohnehin stark angekratzt, denn das Wahlergebnis wurde als klares Misstrauensvotum gewertet – von Demoskopen wie von den Unionsstrategen selbst. Das ist bei Boris Johnson etwas völlig anderes. Und wenn Du nicht die Personen nimmst, sondern nur die Parteien, könntest Du nicht den heftigen Swift von Thatcher zu Blair zu Johnson und nun zu Keir Starmer erklären. Dir fehlt da der entscheidende Faktor, der wiederum die demokratische Legitimation ausmacht. Das war Kohl 1983 auch klar, weshalb er Neuwahlen durchsetzte. Die Leute hatten den Sozialdemokraten Schmidt gewählt und nun war Kohl Kanzler? Schwer zu begründen.

            Übrigens: Anders als in Deutschland kann der Premierminister jederzeit Neuwahlen herbeiführen. Auch das spricht gegen die demokratische Legitimation irgendeines Nachfolgers.

            d) Ausgerechnet Du kommst damit, dass die Grundrechte nicht irgendwelchen Mehrheitsvoten unterliegen? Du? In der Pandemie gehörtest Du ins Lager derjenigen, die meinten, man könne Grundrechte durch einfache Mehrheitsentscheidungen einschränken.

            Aber zur Sache: Die Ablehnung von Grundrechtseinschränkungen und deren ggf. strafrechtliche Verfolgung hängt nicht daran, wie öffentlich es gehandhabt wird. Die Berichtspflicht von Medien hängt an ein paar Faktoren. So haben sie auch abzuwägen, welches öffentliche Interesse an Einzelschicksalen hängt.

            Medien berichten aus guten Gründen nicht über Selbstmorde wie persönliche Dramen. Sie schützen damit die Opfer. Personenkreise besonders in den öffentlichen Fokus zu rücken bedeutet auch, sie zur Zielscheibe von Verletzungen zu machen. In der Abwägung, potentielle Opfer zu schützen und auf einen Missstand aufmerksam zu machen, neigen LGBTQ-Aktivisten sehr dazu, über Individuen hinwegzutrampeln. Was ist das Ziel? Auf diese Frage hätte ich gerne eine Antwort.

            Für Dich ins Stammbuch: Ich war der einzige, der in der Pandemie hier die Gefahren für Kinder durch Lockdowns thematisiert hat. Dreh‘ also nicht die Fakten um!

            • Thorsten Haupts 25. Oktober 2022, 13:04

              …neigen LGBTQ-Aktivisten sehr dazu, über Individuen hinwegzutrampeln. Was ist das Ziel?

              Die Frage kann ich nach jahrelanger Beobachtung der Wokies beantworten: Nach deren Auffassung sind Gewalttaten gegen „queere“ Menschen automatisch die Folge von gesellschaftlichen Vorurteilen. Zu diesen gesellschaftlichen Vorurteilen gehört ebenso automatisch alles, was die Aktivisten als solche definieren (also z.B. Einwände gegen die Teilnahme von biologischen Männern am Frauensport oder Einwände gegen die voraussetzungslose Selbstdefinition des eigenen Geschlechts, die in Deutschland gerade Gesetz werden soll).

              Als Folge dieser Definitionen machen sich in Wokie-Sicht alle an Mord und Totschlag mitschuldig, die irgendeines der Trans-Dogmen kritisieren, in Frage stellen oder ablehnen. Weshalb man das gesetzlich unterbinden und Kritik an diesen Dogmen unter Strafe stellen soll. Dann verschwinden die Gewalttaten gegen „queere“ Menschen nämlich automatisch.

              Die Gewalttaten gegen „queere“ Menschen werden beleuchtet, weil man dieser Sichtweise zum Durchbruch verhelfen will. Und da liberale Journalisten als default alle Trans-Dogmen als unumstössliche Wahrheiten betrachten, bekommen die Trans-Aktivisten auch die aus ihrer Sicht noch immer völlig unzureichende Aufmerksamkeit. Das Endziel ist die vollständige, umfängliche und unhinterfragbare Geltung aller Trans-Dogmen mitsamt der gesellschaftlichen wie rechtlichen Ächtung aller Abweichler – also das westliche Gegenstück zu islamistischen Dogmen als „Gottes Wort“.

              Gruss,
              Thorsten Haupts

              • Stefan Pietsch 25. Oktober 2022, 15:06

                Das war gar nicht mein Punkt. Ohne konkrete Zahlen zur Hand zu haben, bezweifle ich nicht, dass Transmenschen statistisch häufiger Opfer von Gewalttaten sind. Die Frage ist allerdings, inwieweit es hilfreich ist, diesen Aspekt breit gesellschaftlich zu thematisieren.

                Wir reden aus guten Gründen nicht von Selbstmördern, die sich vor Züge werfen, obwohl jeder Bahnreisende das in unschöner Regelmäßigkeit mitbekommt. Es ist oft der Sache nicht dienlich, Opfer von Gewalttaten in der Öffentlichkeit abzuhandeln. Es gibt Gründe anzunehmen, dass die breite Debatte Gewalttaten gegen Transmenschen befördert statt sie einzudämmen. Jede öffentlichkeitswirksame Tat zieht Nachahmungstäter nach sich und fördert Ressentiments. Und da frage ich mich: kann das das Ziel sein? Wohl kaum.

                • Thorsten Haupts 25. Oktober 2022, 15:42

                  Verstehe den Punkt, der wurde bisher nach meiner Beobachtung in Aktivistenkreisen nicht diskutiert.

            • Stefan Sasse 25. Oktober 2022, 18:41

              1) Da haben wir keinen Dissens, was ich meine ist: das betrifft nicht alle Policy-Gebiete. Du hast in der EU Allianzen und Blöcke, die sich unterscheiden können. So arbeiten ja Madrid, Paris und Berlin etwa gerne zusammen, wenn es um die Wahrung von Rechtsstaatlichkeit geht; da hast keinen Nord-Süd-Divide, sondern einen zwischen Rechtspopulisten und Demokraten.

              2) Stimme dir weitgehend zu, ich bin nur skeptisch, dass das bei den meisten Leuten hängenbleiben wird.

              Ich rede nur von der Bundespolitik. Da wurden die zentralen Entscheidungen getroffen. Und ich habe schonmal geschrieben: wären die Grünen etwa 2013 an die Macht gekommen, hätte das an der heutigen Misere recht wenig geändert. Aber nichtsdesto trotz waren sie halt seit 2005 außen vor. Und die Idee, dass die Grünen – eine, wie du oft genug betont hast, gerade mal 8%-Partei – CDU und FDP gezwungen hätten (!) den Ausstieg zu machen ist völlig absurd. Da schlägt deine Grünen-Abneigung zu sehr durch.

              Dass dir Habeck näher ist als Baerbock – klar, das würde ich dir nie nehmen wollen.

              9) Gutes Beispiel. Kohl hätte statt konstruktivem Misstrauensvotum auch Neuwahlen erzwingen können. Aber er wollte mit Amtsbonus zu einer genehmen Zeit antreten. Das ist genau das Gegenteil dessen, was du zu beweisen versuchst.

              d) Wir haben nicht über die Pandemie gesprochen, sondern darüber, dass Kinder körperlich misshandelt werden. Diese Gleichsetzung ist ekelhaft.

              • Stefan Pietsch 25. Oktober 2022, 21:22

                1) Der Rechtsstaat ist einer der Grundpfeiler der EU. Und damit die Vertragstreue. Italien und Griechenland haben damit mehrmals gespielt. Nein, auch da haben die Nordländer eher die Gemeinsamkeit als Rom und Berlin.

                2) Zum einen: Du hast den Anteil der Grünen mit 5% und den der FDP dreimal so hoch mit 15% gewichtet. Beide regierten in den letzten 20 Jahren jeweils 4 Jahre. Die Grünen konzipierten die Energiewende, die FDP war daran beteiligt, den Atomausstieg zu beschleunigen. Wenn Du allein auf die Bundespolitik gehst wie Du behauptest, ist Deine Gewichtung nicht nachvollziehbar.

                Zum anderen: Energiepolitik ist sehr weitreichend Ländersache, was Robert Habeck auch klar ist. Wie anders wären die Angriffe auf die CSU zu erklären? Die Grünen spielten immer auf der Klaviatur. Und Flächenausweisung ist Sache der Kommunen. Die Malaise allein nach der Farbenlehre zu betrachten, wer in der Bundesregierung saß, geht an der Sache meilenweit vorbei.

                Ich habe die Grünen als 8%-Partei tituliert, als sie eine waren. Ihr Anspruch ist seit Jahren ein anderer. Das ist der Maßstab.

                Was ich über das Verhältnis von Habeck / Baerbock schreibe, ist ein kaum zu bestreitender Fakt. Außer man schaut mit der grün-rosaroten Brille. Daneben weckt Habeck große Zweifel an seiner Kanzlertauglichkeit. Zum einen wirkt er in Stresssituationen überfordert, zum anderen hat er sich binnen weniger Monate zwei eigentlich nicht entschuldbare rechtliche Fauxpax geleistet. Und für die Personalpolitik seines Hauses ist er alleine verantwortlich. Wenn sein Ministerium nicht leisten kann, was es leisten sollte, weil die Spitzen wenig Ahnung von bürokratischen Kleinklein und Details haben, fällt das auf den Minister zurück.

                9) Kohl hat unverzüglich nach dem Konstruktiven Misstrauensvotum Neuwahlen eingeleitet. Der Sturz Schmidts war im August 1982, im März 1983 wurde gewählt. Das war der frühestmögliche, vertretbare Zeitpunkt. Für Wahlen im September / Oktober war die Frist zu kurz, in den Wintermonaten wird üblicherweise nicht gewählt. Das ist ja nicht nur in Deutschland so.

                Die Einleitung von Neuwahlen war die Bedingung von Kohl, wohlwissend, dass er damit der FDP sehr viel abverlangte. Ich weiß das noch sehr genau, es war meine erste hautnahe Erfahrung mit der Bundespolitik.

                d) Ich hatte mehrmals den Anstieg von Gewalt gegen Kinder im Lockdown thematisiert. Darum ging es.

                • Stefan Sasse 26. Oktober 2022, 10:33

                  1) Deutschland auch. Das ist wahrlich nicht Südlandexklusiv. Jeder spielt gerne mit der Vertragstreue, wenn es den eigenen Interessen dient.

                  2) Wie gesagt, ich sprach nur über den Bund. Und ausschlaggebend ist da halt auch einfach zeitliche Distanz. Die CDU und SPD kriegen von mir die Hauptschuld, weil sie in der letzten Zeit am Ruder waren. Die Grünen haben sicher eine Menge mit verkackt 1998-2005, aber es war 2005-2022 Zeit, das auszubügeln. Ich mach ja auch nicht Kohl für die heutige Misere verantwortlich.

                  Mit Länderpolitik kenne ich mich zu wenig aus, um da fundiert was sagen zu können. Sprechen wir etwa von BaWü, liegt die Schuld der Grünen natürlich weit jenseits der 50%. Reden wir von Bayern, ist sie nahe null – mangels Machtoptionen. Das heißt nicht, dass die Rezepte automatisch besser wären. Dir fiel sicher auf, dass ich LINKE und AfD gar keine Schuld gebe. Die waren halt auch nicht an der Verantwortung. Das heißt nicht, dass ich glaube, dass es mit denen besser gelaufen wäre.

                  Und gerade die 8% damals sind ja mein Punkt! Das heutige Potenzial hat die Partei erst seit, was, 2018/19? Entsprechend kannst du sie für die Zeit davor auch nicht daran messen. Da betreibst du schon Rosinenpickerei. Ich mach ja die FDP auch nicht für 2013ff. verantwortlich, oder für 2005-2009.

                  Habeck ist näher an der CDU als Baerbock? No shit. Das bestreite ich doch gar nicht.

                  9) Oh, er verlangte der FDP viel ab. Arme FDP, armer Kohl. Ist halt kein Ponyhof, so ein Kanzlersturz und Regierungswechsel. Mein Punkt ist: sauber war das auch nicht. Sie hätten direkt Neuwahlen machen können, und sie wollten es nicht, weil sie Vorteile wollten. Das hätte ich an ihrer Stelle auch so gemacht! Und das ist verfassungsrechtlich auch absolut sauber (egal wie viel der sozialliberale Flügel der FDP und die SPD damals gemeckert haben). Aber wir sollten das nicht nachträglich verklären. Es war eine machtpolitisch motivierte Entscheidung, Punkt. Völlig angemessen, klug durchgeführt und alles, aber es war eben nicht das von dir gelobte demokratische Mandat.

                  d) Dir ja. Aber in meinem Fundstück und meiner Argumentation nicht. Du hast da einfach das Thema gewechselt.

                  • Stefan Pietsch 26. Oktober 2022, 12:17

                    1) Das ist nicht nur eine politische Haltung. Das weiß ich als Finanzer ganz genau. So sind Südeuropäer traditionell (also nicht erst seit 2010) wesentlich unpünktlicher bei Zahlungen und werden häufiger vertragsbrüchig. Warum sollte die Politik anders sein als die „Regeln“ einer Gesellschaft?

                    2) Das ist allerdings keine problembezogene Vorgehensweise.

                    Du lebst selbst im Süden des Landes. Baden-Württemberg wie Bayern haben in Bezug auf Windkraft ähnlich gelagerte Situationen. Deutlich windärmer (= weniger ertragreich), dichter besiedelt als Niedersachsen, höherer Energiebedarf aufgrund der Wirtschaftskraft. Das hat wenig mit politischer Farbenlehre zu tun. Wenn Du es so betrachtest, kannst Du Dich echter politischer Verantwortung nicht nähern.

                    Managen bedeutet, mit den Gegebenheiten umgehen, nicht sich ein Luftschloss zu bauen.

                    Die Grünen haben 2009 und 2013 weit unter ihren Möglichkeiten abgeschnitten. Die heutige Strategie hat ihnen maßgeblich Habeck verpasst. Der Wahlkampf hat gezeigt, wie groß da die Differenzen zu Baerbock sind. Habeck sieht die Hinwendung zur CDU strategisch, Baerbock taktisch. Als sie im Sommer 2021 heftig unter Druck geriet, warf sie das Habeck’sche Konzept über Bord und konzentrierte sich die letzten Monate des Wahlkampfs erkennbar nur noch auf die Kernmilieus der Grünen. Entsprechend war das Ergebnis – was mir eine Flasche guten Rotwein eingebracht hat. 😉

                    9) Bekanntlich wäre Kohl ohne die Wende der FDP nicht Kanzler geworden. Das hat die Partei arg zerrissen, viele Funktionäre und Parteimitglieder gingen direkt zur SPD. Allen war klar, dass es bei Neuwahlen knapp werden würde.

                    Artikel 39 Absatz 1 GG sieht vor, dass Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen stattzufinden haben. Das sind zwei Monate. In der Geschichte des Landes wurde diese Frist schon aus organisatorischen Gründen immer ausgereizt. Der frühestmögliche Zeitpunkt für Neuwahlen wäre also der November 1982 gewesen.

                    Innerhalb von wenigen Monaten erwirbt kein Politiker einen Amtsbonus, schon gar nicht, wenn er einen so populären Vorgänger wie Helmut Schmidt mit einem anrüchigen Manöver gestürzt hat. Und nochmal: Ich war dabei, ich verfolgte intensiv die Debatten. Man kann gegen Kohl sehr, sehr viel vorbringen (und ich bin da nicht schlecht). Nur die von Dir unterstellte Intension hatte er nicht. Kohl war Demokrat durch und durch und kein Winkeldemokrat.

                    d) Mein Punkt ist, dass diese öffentliche Überbetonung niemanden Betroffenen nützt. Und mit den aufgeworfenen Fragen könntest Du Dich bei Gelegenheit beschäftigen.

                    • CitizenK 27. Oktober 2022, 08:47

                      „…egal wie viel der sozialliberale Flügel der FDP und die SPD damals gemeckert haben“

                      Hildegard Hamm-Brücher sah den Grund für den Bruch in der Verwicklung von Lambsdorff & Co. in der Flick-Affäre. Die Grand Dame hat die Partei dann auch verlassen und mit ihr eine Reihe von integren Leuten. Die geblieben sind, hatten nichts mehr zu sagen. Davon hat die Partei sich bis heute nicht erholt.

                    • Stefan Sasse 27. Oktober 2022, 10:56

                      Elektoral schon. Die FDP hat heute nicht weniger Stimmen als 1980. Aber dieser Flügel ist seither weg, das ist keine Frage. Ich halte das für den zweiten großen Exodus, nachdem die Partei 1969ff. ihren nationalliberalen Flügel weitgehend verloren hat.

                    • Stefan Pietsch 27. Oktober 2022, 11:24

                      Ein typischer CitizenK mit allen Usancen. Erst eine These ohne nähere Argumentation hingeknallt, dann überhöht und fertig garniert mit einer geschichtsvergessenen Falschbehauptung.

                      Sozialliberal war die FDP gerade ein Jahrzehnt und war damit Surferin auf dem Zeitgeist. Machen Parteien des öfteren. Wirtschaftlich hing Deutschland nach dem rasant vorangetriebenen Ausbau des Sozialstaates zu einem Wohlfahrtsstaat in einer Stagflation fest, die Schuldenspirale forderte immer mehr Schulden. Es ist zwar das Ideal, was Sie sich unter sozialliberal vorstellen, auf die Dauer ist es jedoch selbstmörderisch. Auch die Konservativen in der SPD wussten das. Nur war Schmidt damals in der gleichen Situation wie heute Scholz: die ausgabefreudigen Sozialisten seiner Partei sind Grundlage seiner Mehrheit. Schröder hat hingeschmissen als der drohte, zur Geisel dieser Staatsruinisten zu werden. Die Kraft hatten weder Schmidt noch heute Scholz.

                      Die FDP hat unter Westerwelle und Lindner rekordhohe Mitglieder- als auch Wählerzahlen erreicht – und das, obwohl sich die Parteienlandschaft weiter aufgefächert hat. Ihr Verständnis von „sozialliberal“ wird heute von der SPD und den Grünen bedient. Da ist kein weiterer Bedarf. Dafür sind neue Milieus entstanden, die parteipolitisch bedient werden wollen. Die SPD hat daran nie Interesse gezeigt, die FDP dagegen hat ihre Stammwählerschaft verbreitert.

                      Hildegard Hamm-Brücher trat anders als Sie behaupten nicht in Folge des Koalitionswechsel aus. Im Gegenteil, sie war diejenige die aus Überzeugung blieb. Erst zwanzig Jahre später quittierte die Grand Dame ihre Mitgliedschaft in Folge des von ihr empfundenen antisemitischen Kurses durch Möllemann. Das schrieb sie auch in ihrem Abschiedsbrief.

                      Entweder Sie haben keine Ahnung von Geschichte oder Sie lügen.

                    • Stefan Sasse 27. Oktober 2022, 13:02

                      Es ist immer wieder erfrischend zu sehen, dass du anders als andere nie zu persönlichen Angriffen, Pauschalisierungen oder Verunglimpfungen greifst 😀

                    • Thorsten Haupts 27. Oktober 2022, 14:12

                      Tschuldigung Stefan, aber die Darstellung von CitizenK war faktisch zu 100% falsch – und da vermute ich bei einem politisch aufmerksamen und halbwegs gebildeten Mitbürger auch schon mal Absicht.

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                    • Stefan Sasse 27. Oktober 2022, 14:58

                      Ich lache auch eher, weil er vor ein paar Kommentaren noch wie ein Rohrspatz geschimpft hat, dass CitizenK das macht und er selbst so nüchtern ist, dass ihm das nie einfallen würde 😀

            • CitizenK 25. Oktober 2022, 18:51

              „Gefahren für Kinder durch Lockdowns“

              Das Argument war: Es ist schlimmer für die Kinder, wenn ihre Eltern oder Großeltern oder andere Bezugspersonen sterben. War in der damaligen Situation (keine Impfung usw.) eine realistische Abwägung.

              • Stefan Pietsch 25. Oktober 2022, 21:29

                Das ist aus heutiger Sicht Unsinn, das war es aber bereits vor 2 Jahren. Sehr früh wusste man, dass die Erkrankung hauptsächlich bei über 60jährigen tödlich verlaufen kann. Eltern von schulpflichtigen Kindern sind typischerweise zwischen 30 und Anfang 40 und damit nicht sonderlich gefährdet.

                Sie zeigen das typische Argumentationsmuster von Menschen, die etwas um jeden Preis verhindern / durchsetzen wollen und deswegen jede Abwägung verweigern. Wer gegen Atomkraft ist, beschreibt die Gefahren, als würde morgen der Super-GAU drohen, für den vorzubeugen wäre. Wer gegen das Autofahren ist, beschreibt die Risiken für Mensch und Umwelt drastisch als drohte praktisch jedem der Unfalltod. Und so schreiben Sie seit zweieinhalb Jahren zur Pandemie und zur Begründung von Lockdowns. Ich habe übrigens nicht vergessen, dass hier ein anderer Kommentator – übrigens von Ihnen unwidersprochen – noch vor einem Jahr regelmäßige Lockdowns im Frühjahr und Herbst von jeweils 2 Wochen forderte. Das ist die Geisteshaltung, die ich immer heftig kritisiert habe.

                • CitizenK 26. Oktober 2022, 07:38

                  Immer wieder beeindruckend diese Kaltschnäuzigkeit, mit der man Menschen wie mich über die Klinge springen lassen wollte – nur, um ein paar Wochen keine Einschränkungen zu haben.

                  • Stefan Pietsch 26. Oktober 2022, 11:37

                    Wieder typisch: Sie fangen mit einem (falschen) Argument an

                    „Es ist schlimmer für die Kinder, wenn ihre Eltern (..) sterben.“

                    und verteidigen es dann nicht, sondern gehen zum persönlichen Angriff über, wenn Sie argumentativ zerlegt werden.

                    Sie waren derjenige, der noch im April diesen Jahres sich empörte, dass die Maskenpflicht fiel, obwohl Sie jede Möglichkeit haben, sich nach Ihren Bedürfnissen zu schützen. Doch das reicht Ihnen nicht, auch alle anderen haben sich so zu verhalten, dass Sie sich in Ihren diffusen Ängsten geschützt fühlen. Was ist das für ein Egoismus!

                    Sie trampeln über die Interessen und Bedürfnisse von Kindern hinweg. Dass diese schutzbedürftigen Wesen von ihren Eltern in der Enge der eigenen Wohnung misshandelt wurden – notwendige Opfer für die diffusen Ängste von Leuten wie Ihnen. Sollen die Eltern sich halt beherrschen. Dass es mehr Selbstmordversuche bei Kindern gab – notwendige Opfer für die Alten, die sich geschützt fühlen wollten.

                    Sie würden als Polizist auch weglaufen, wenn es irgendwo eine Schlägerei gibt. Sie sind der Soldat, der die Waffe wegschmeisst, Sie sind derjenige, der ohne Eingreifen eine Vergewaltigung geschehen lässt. Wenn wir uns von unseren Ängsten beherrschen lassen, leben wir nicht. Leben bedeutet Risiko und nicht verkriechen. Wir können an jeder Stelle unser Leben verlieren. Aber wer so rumläuft, lebt nicht.

                    Erzieherinnen haben übrigens ganz anders auf die Gefahren des Virus reagiert als Lehrer. Selbst junge Frauen verspüren anscheinend noch eine andere Verantwortung gegenüber ihren Schützlingen als egoistische Lehrer, die nur an sich denken und Schüler als Virenschleudern sehen.

                • Stefan Sasse 26. Oktober 2022, 10:34

                  Ich kenne jemand, der bei Staatsverschuldung und höheren Sozialausgaben dasselbe tut. Fängt mit S an und geht efan Pietsch weiter.

  • Thorsten Haupts 24. Oktober 2022, 17:49

    Zu 4) … dass die Regierung Großbritanniens effektiv wie die Griechenlands durch ein Misstrauensvotum der Finanzmärkte gestürzt wurde.

    Das ist faktisch einfach Unsinn. Die Finanzmärkte haben eine Einschätzung der relevanten Player zu einer Politikankündigung abgegeben. Ob und inwiefern diese von der Politik berücksichtigt wird, ist eine autonome Entscheidung der relevanten Politiker. Die Entscheidungen fallen erst in Abgeordnetenfraktionen des Parlaments und danach gegebenenfalls im Parlament selber. Diese Quatschvariante „Die Finanzmärkte haben gestürzt“ ist extrem dicht an „Die Politik wird von Machtgruppe XYZ gesteuert“ – und das ist eines der beliebtesten Verschwörungstheoreme der westlichen Welt.

    Zu 5) Bereits seine Wahlkampagne in Virginia, die die „Rechte der Eltern“ betonte, ließ die unvorbereiteten Democrats im Staub zurück, die auf diese offensichtlichen Attacken so gut vorbereitet waren wie die Grünen auf den Bundestagswahlkampf 2021.

    Solche Attacken funktionieren gemeinhin nur, wenn es bereits ein gewisses Grundmisstrauen gegen staatliche Institutionen gibt, auf das man aufbauen kann …

    Zu 9) Partei heißt politisch, und politisch heißt öffentlich, und öffentlich heißt, dass man der Öffentlichkeit Rechtfertigung schuldet für das, was man tut, in welcher Rechtsform man auch immer organisiert ist.

    Typischer Steinbeis BS. Öffentlich heisst mitnichten, dass man irgendjemandem in der Öffentlichkeit irgendetwas schuldet, es heisst erst einmal nur, dass man legal nicht verhindern kann, auf der Müllhalde der veröffentlichten Meinungen zum Diskussionsobjekt zu werden.

    Auch im Vereinigten Königreich scheint mir die Position, es sei vertrauliche Privatsache der Tories, ob und wie und aus welchen Gründen sie Archie die Schildkröte zur Wahl von Liz Truss zugelassen hat oder nicht, nur noch schwer zu rechtfertigen.

    Jau. Irgendwoanders, wo ich in jeder Beziehung völlig irrelevant bin, denken die Leute anders, als ich das für richtig halte, deswegen sage ich ihnen mal, was sie gefälligst denken sollen. Deutsche Überheblichkeit vom passenden Subjekt durchdiskutiert (Steinbeis reagiert auf Kritik auf seinem Blog übrigens mit durchweg arroganter Überheblichkeit).

    Zu 10) Diese fixe Idee, dass nichts als ein radikaler Bruch mit dem Bestehenden zu einer Heilung führten kann …

    Yup! Das ist schlicht quasireligiöser Sekten-Fanatismus.

    Zu b) Kampagnen waren bemüht, Shitstorms zu vermeiden, sie hielten an der Vorstellung von politischer Kommunikation als inhaltlicher Verständigung fest …

    Bruhahaha. Wer ernsthaft einen solchen Bullshit schreiben kann ist entweder a) politisch völlig naiv und blind oder b) verfolgt mit dieser bewussten Lüge ein politisches Ziel. Pick one :-).

    Zu k) Paradoxically, concern about cancel culture has itself become a threat to free speech.

    Told you so. Das präzise war und ist die Absicht der Wokies – ein Feature, kein Bug. Führen durch Erzeugung von Furcht war für mich schon immer der Marker für besonders grosse Arschlöcher.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • derwaechter 25. Oktober 2022, 23:33

      k) wenn ich den Artikel richtig verstehe, meint der etwas anderes

      • Thorsten Haupts 26. Oktober 2022, 08:35

        Ganz sicher :-). Ich habe ihn bewusst gegen seine eigentliche Intention gerichtet, weil dem Autoren selbst nicht auffiel, dass man ihn präzise so lesen kann.

        • Stefan Sasse 26. Oktober 2022, 10:34

          Wenn man seine priors bestätigen will, kann man immer alles entsprechend lesen 😉

          • Thorsten Haupts 26. Oktober 2022, 11:35

            In diesem Fall ging das nur besonders einfach, weil der Autor implizit einräumt, dass die Cancel-Culture existiert und enorme Auswirkungen auf den vorauseilenden Gehorsam von Journalisten und Autoren hat :-).

            Ich kenne einen Stefan, der immer bestritt, dass die Cancel-Culture überhaupt existiert bzw. ein Problem darstellt. Kennst Du den auch?

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • Stefan Sasse 26. Oktober 2022, 12:50

              Wenn du meine Artikel aufmerksam verfolgt hast ist dir sicher aufgefallen, dass ich meine Meinung diesbezüglich geändert habe. I’m changeable like that.

              • Thorsten Haupts 26. Oktober 2022, 12:53

                Touche.

  • Kning4711 24. Oktober 2022, 19:20

    Zu 1

    Eine Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks wäre in der Tat wünschenswert, jedoch fehlt es an einer gemeinsamen europäischen Vision. Das Bild der zukünftigen EU ist in Polen, Deutschland und Frankreich viel zu divers, um zu gemeinsamen politischen Strangziehen zu gelangen. Insofern wäre es wichtig im zivilgesellschaftlichen Bereich die Bindung zwischen diesen drei Staaten deutlich zu befördern um so die Basis für mehr konkrete politische Initiative für das morgen zu begründen.

    Die weiteren Einlassungen des Artikels finde ich schwierig. Die europäische Armee bleibt Chimäre und verstellt den Blick auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen. Auch eine europäische Atomstreitkraft wäre eine teurere Alternative gegenüber der Ausweitung der nuklearen Teilhabe innerhalb der NATO.

    Was sicherlich verfolgenswert wäre ist die Wiederbelebung der Rüstungskontrolle, jedoch müssten hier die USA mitspielen und eine GOP geführte US Administration ist immer eine Gefahr für ein langfristiges Rüstungskontrollregime. Insofern sieht es hier (ungeachtet der rein operativen Probleme infolge des Ukrainekonflikt) schlecht aus.

    Zu 3

    Zu echter Aufarbeitung der Vergangenheit hat die SPD inkl. Vorsitz doch gar kein Interesse, aus den von dir genannten Gründen. Da kann Klingbeil noch so auf Änderung drängen, die Beharrungskräfte in Fraktion (siehe die jüngsten Ideen von Herrn Mützenich) und auch in Parteivorstand (wo bleibt dessen kritische Haltung gegenüber Frau Schwesig), sind einfach zu groß.

    Zu 4
    Spätestens im Dezember 2024 müssen die Briten erneut wählen. Ich denke die nächste Wahl der Torys für ihren Parteivorsitzenden ist die letzte Chance Neuwahlen zu entgehen. Die Legitimität wäre dann doch zu sehr angeschlagen und wichtige Aufgaben warten auf den neuen Bewohner von Downing Street No 10. Das Truss an den Finanzmärkten scheiterte sollte nicht verwundern. Auch ein deutscher Bundeskanzler auf solch fiskalpolitscher Amokfahrt würde das politisch nicht überleben. Ich finde das auch nicht undemokratisch, sondern Teil breiter Checks and Balances. Fiskalpolitische verantwortlich Handeln ist dann doch ein Stück Staatsräson.

  • cimourdain 26. Oktober 2022, 17:14

    1) Das Interesse für Polen ist löblich. Aber warum nicht als Wirtschaftspartner, Kulturnation, Nachbar (auch ökologisch, siehe Oderkatastrophe) oder Herkunftsland von einigen Bekannten? Stattdessen ist das Land vor allem als Aufmarschplatz für NATO-Truppen interessant. Check your priorities.

    2) Eigentlich ist die Zuständigkeit ja beim Parlament, es geht um eine Gesetzesänderung des Bundesgesetzes Atomgesetz. So gesehen könnten die Fachminister flugs ihren Ministerhut ab- und den Parteivorsitzhut aufsetzen und in dieser Frage den (sowieso undemokratischen) Fraktionszwang aufheben.

    3) Inzwischen haben diese Selbstbezichtigungen des „Fraternisierens mit dem Feind“ den Charakter des Geständnisses eines Schauprozesses. Fundstück h) bietet ein Anschauungsbeispiel für entsprechende Lustrationen (mit Böhmermann als Joe McCarthy). Sieh dir die konkrete Wirklichkeit an. Wir leben in einer so komplexen Wirtschaft, da sind Abhängigkeiten immer da. Wen interessiert, woher Nickel kommt, Lithium oder Magnesium?

    4) „[…], dass die Regierung Großbritanniens effektiv wie die Griechenlands durch ein Misstrauensvotum der Finanzmärkte gestürzt wurde“ Da passt es ja, dass der neue Machthaber aus deren Reihen kommt.

    7) Du übersiehst noch etwas anderes: Das hochskeptische juristische Denken. Eine Subsumption beginnt immer mit „Es könnte sein, dass ….“, dann wird die Behauptung aus den Gesetzen hergeleitet. Deshalb sind etwa auch Kommentatoren mit entsprechendem Hintergrund (Fischer, Prantl) so häufig gegen den Strich der Verabsolutierten politischen Moral.

    8) Was die Kommunisten betrifft, schaffst du es, in allen Punkten ungenau zu sein
    Punkt 1: Trenne zwischen Machterwerb und Machterhalt (Gerade was Bajonette betrifft siehe2).
    Punkt 2: Die Soße ist aus der subjektiven Perspektive gerechtfertigt: Wenn du in einen Gewehrlauf blickst, dann differenzierst du nicht mehr, ob der Gustav, der ihn in deine Richtung gelenkt hat, von Kahr oder Noske heisst.
    Punkt 3: ‚ Das Militär (und andere Funktionseliten) ziehen nach rechts, wieso sollte es kommunistisch putschen? Deren Mittel zum Machterwerb(!) sind Massenerhebung (Beispiel Ruhrarmee oder paramilitärische Guerilla und nicht zuletzt Wahlen (z.B. Chavez)
    Punkt 4: Interessanterweise war es am Anfang umgekehrt: In der zweiten sozialistischen Internationale, waren es die Exilrussen um Lenin, Kamenjew etc., die von der Organisation der SPD beeindruckt waren.

    d) Es fällt immer wieder auf, wie von Aktivisten emergente (physische) Gewalt und strukturell diskriminierende Äußerungen zusammengeworfen werden. Das wertet paradoxerweise beide Anliegen ab, weil dadurch als Gegenreaktion ein „Wir aber auch“ kommen kann (siehe die Einlassung von Herrn Pietsch)

    e) wer tatsächlich sich über die Waffenlieferungen (und nicht den ‚verzogenes-Kind‘ Wunschzetteln) informieren will, findet die wöchentlichen Rechenschaftsberichte der Bundesregierung:
    https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/krieg-in-der-ukraine/lieferungen-ukraine-2054514

    g) Um mal zu sensibilisieren, auf welchen Wegen Politik gemacht wird: Applebaum (Council on Foreign Relations) zitiert ausgieben Strack-Zimmermann (Gesellschaft für Wehrtechnik) und Claudia Major (SWP, privatrechtliche aber staatlich finanzierte Stiftung)

    • Stefan Sasse 26. Oktober 2022, 20:52

      1) Das schließt sich ja alles nicht aus. Und ich halte deine Einschätzung auch für überzogen.

      2) Der ist nicht undemokratisch. http://oeffingerfreidenker.blogspot.com/2010/08/mal-was-grundsatzlicheszum.html

      4) Ja.

      7) Good point.

      8) Der Machterhalt beruhte genauso auf Gewalt. Zeig mir den kommunistischen Staat, der es anders macht.

      g) Und jetzt…? Und das ist nicht Politik, sondern Meinung.

      • cimourdain 28. Oktober 2022, 13:38

        8) So herum meinte ich ja das mit der Trennung : Der Machterwerb kann relativ unblutig vonstatten gehen. Der Machterhalt gegen den Widerstand der bürgerlichen Eliten findet mit Waffengewalt statt.

        • Stefan Sasse 29. Oktober 2022, 12:04

          Ah verstehe. Aber wenn ich mir das anschaue:
          Kuba 1959 – Waffengewalt.
          Osteuropa 1945ff. – Waffengewalt.
          Russland 1917ff. – Waffengewalt.

          Die einzigen, die ich ohne Waffengewalt sehen würde, also mit popular mandate, ist Vietnam. Und da war halt ausländische Einmishcung von Anfang an dabei.

          • Thorsten Haupts 29. Oktober 2022, 19:41

            Die Kommunisten Nordvietnams wurden in geheimer, gleicher und freier Wahl in die Regierung gewählt??? Staun. Die Geschichte liest sich a weng anders:

            Viet Minh, in full Viet Nam Doc Lap Dong Minh Hoi, English League for the Independence of Vietnam, organization that led the struggle for Vietnamese independence from French rule. The Viet Minh was formed in China in May 1941 by Ho Chi Minh. Although led primarily by communists, the Viet Minh operated as a national front organization open to persons of various political persuasions.

            In late 1943, members of the Viet Minh, led by General Vo Nguyen Giap, began to infiltrate Vietnam to launch guerrilla operations against the Japanese, who occupied the country during World War II. The Viet Minh forces liberated considerable portions of northern Vietnam, and after the Japanese surrender to the Allies, Viet Minh units seized control of Hanoi and proclaimed the independent Democratic Republic of Vietnam.

            The French at first promised to recognize the new government as a free state but failed to do so. On November 23, 1946, at least 6,000 Vietnamese civilians were killed in a French naval bombardment of the port city of Haiphong, and the first Indochina War began. The Viet Minh had popular support and was able to dominate the countryside, while the French strength lay in urban areas. As the war neared an end, the Viet Minh was succeeded by a new organization, the Lien Viet, or Vietnamese National Popular Front. In 1951 the majority of the Viet Minh leadership was absorbed into the Lao Dong, or Vietnamese Workers’ Party (later Vietnamese Communist Party), which remained the dominant force in North Vietnam.

            https://www.britannica.com/topic/Viet-Minh

            Also nix als die übliche leninistische Taktik vor der Ermordung aller Andersdenkenden – eine Scheinallianz mit anderen bilden, bis man diese ausschalten kann. Und nix von freien Wahlen – hätte mich auch wirklich gewundert.

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • Stefan Sasse 30. Oktober 2022, 10:29

              Einen Scheiß wurden die. Aber in Vietnam gab es nie freie Wahlen, und sowohl Franzosen als auch Amerikaner als auch Südvietnams Regierung gingen stets davon aus, dass die Kommunisten in solchen eine Mehrheit erhielten. Der Vietminh war in Vietnam wenigstens eine zeitlang genuin populär.

              • Thorsten Haupts 31. Oktober 2022, 14:12

                Der Vietminh war in Vietnam wenigstens eine zeitlang genuin populär.

                Möglich. Womit wir dann auch hier bei einem sehr alten Problem des demokratischen Liberalismus wären – was macht man mit Parteien, die in freien Wahlen gewinnen können, diese danach aber sofort abschaffen werden? Jede Antwort darauf ist übrigens falsch :-).

                Gruss,
                Thorsten Haupts

  • CitizenK 27. Oktober 2022, 17:43

    Die genannte Aussage von Hildegard Hamm-Brücher stammt aus einem Interview, das der Deutschlandfunk vor einigen Wochen zum Jahrestag des Koalitionsbruchs ausgestrahlt hat.

    Wer das nachprüfen will – bitte. Mir Lügen oder absichtliche Falschdarstellung zu unterstellen – das ist toxischer Diskussionsstil.

    • Stefan Pietsch 27. Oktober 2022, 18:25

      Ihre Aussage ist das Eine:

      Hildegard Hamm-Brücher sah den Grund für den Bruch in der Verwicklung von Lambsdorff & Co. in der Flick-Affäre. Die Grand Dame hat die Partei dann auch verlassen (..).

      Die Fakten das andere. Der Graben zwischen Ihrer Aussage und den Fakten lässt sich überbrücken, durch

      ahnungslos
      geschichtsvergessen
      gelogen

      Bitte ankreuzen.

      • Stefan Sasse 27. Oktober 2022, 19:19

        Jetzt nimm dich mal bitte zurück. Die Schärfe steht in keinem Verhältnis zum Anlass.

        • Stefan Pietsch 27. Oktober 2022, 20:42

          Das kann man auch klären, in dem man erklärt, wie man zu so einer faktenfreien Aussage kommt, statt sich weiter einzugraben.

          Ich war damals 15, CitizenK älter. Das war ein prägendes politisches Ereignis , das jemand politisch Interessiertes nicht vergisst. Ich habe damals die Bundestagsdebatte verfolgt. Die FDP-Fraktion war zerrissen. Mit der Parteispendenaffäre hatte das nichts zu tun. Die betraf – nächste Geschichtsfälschung – ohnehin alle Parteien. Lambsdorff ging übrigens nicht straffrei aus.

    • sol1 28. Oktober 2022, 19:45

      Ich habe es eben nachgeprüft und das Interview innerhalb von zwei Minuten gefunden:

      /// Dann kam der Flick-Spendenskandal und die SPD wollte das nicht amnestieren, da die … Lambsdorff und Friedrich und all diese Leute, die da verwickelt waren. Und dann hat der Genscher dies inszeniert, das Misstrauensvotum. Und dann kam für mich eigentlich der endgültige Bruch.

      Burchardt: Da sind ja viele Leute ausgestiegen aus der FDP, Frau Meier, dann Erhard von Schöler ist ausgetreten, Herr Baum ist drin geblieben, Sie sind auch drin geblieben.

      Hamm-Brücher: Baum und Hirsch und ich, wir waren die drei, die gesagt haben, nein, den Gefallen tun wir nicht, wir versuchen innerparteilich sozialliberale Politik in der Partei weiter zu verankern. Es war natürlich eine Illusion, denn der Kurs mit Kohl ging also schnurstracks weiter nach rechts. Die Entfremdung zwischen mir und auch mit Genscher war durch diese … meinen Widerspruch gegen das Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt – den ich übrigens nach Adenauer für den besten Kanzler halte, den Deutschland je gehabt hat. Ich habe das ja sechs Jahre hautnah mitgekriegt, wenn Genscher nicht war, musste ich ja ins Kabinett. Also ich habe die ganze schreckliche Terroristenzeit sozusagen an der Seite von Helmut Schmidt miterlebt, und seine Persönlichkeit, seine Kapazität ungeheuer schätzen gelernt. Also mich hätten sie foltern können, ich hätte ihm nicht das Misstrauen ausgesprochen. Das hat mir natürlich der Genscher auch wahnsinnig übel genommen und ich ihm auch, also schon da begann die Entfremdung. Und dann kam der Möllemann Ende des Jahrhunderts, und machte nun wieder … derselbe Fehler weiter nach rechts und Fischen im Trüben, antisemitischen Lager. Dann habe ich ein Jahr versucht, durch Briefe den jungen Westerwelle, der gerade erst, der war noch nicht Bundesvorsitzender, aber Fraktionsvorsitzender, um ihn zu bewegen, einzusehen, dass das für mich unerträglich ist, und dann hat er es natürlich nicht gemacht. ///

      https://www.deutschlandfunk.de/wir-haben-eine-parteienoligarchie-und-keine-100.html

      Auf den toxischen Diskussionsstil von Stefan Pietsch habe ich ebenfalls keine Lust, sonst hätte ich oben zu seinen seltsamen Aussagen über die Grünen einiges angemerkt.

      • Stefan Pietsch 28. Oktober 2022, 20:33

        Da steht explizit, dass Hamm-Brücher nicht 1982 aus der Partei ausgetreten ist. CitizenK behauptete das Gegenteil. Darum ging es.

        • Stefan Sasse 29. Oktober 2022, 12:05

          Es geht um die unangemessene Reaktion bei dieser Sachfrage. Die ließe sich mit einem Wikipedia-Link lösen.

          • Stefan Pietsch 29. Oktober 2022, 12:50

            Da machen wir doch mal etwas Grundsätzliches daraus. Vor gar nicht so langer Zeit schriebst Du Dir hier die Finger wund, weil Du der Ansicht warst, nachweislich falsche Aussagen sollten in der Öffentlichkeit nicht den Raum wie „richtige“ Aussagen bekommen. In der Pandemie verstiegen sich einige sogar zu der Forderung, „Fake News“ unter Strafe zu stellen. Hier im Blog forderte ein Kommentator, solche Verbreiter abzumahnen und im Wiederholungsfalle zu sperren.

            CitizenK hat in seinem vorherigen Post zur Pandemie behauptet, die Lockdowns hätten verhindern sollen, dass die Eltern am Virus sterben, weshalb es sinnvoll gewesen sei, die Schulen zu schließen. Einfach aus den Fingern gezogen, absoluter populistischer Quatsch. Aber zulässig.

            Nun behauptet er von Hamm-Brücher etwas, das er aus einer seriösen Quelle bezogen habe. Nur sagt die Quelle das exakte Gegenteil und auch die Fakten stehen glasklar dagegen. Nach der Wertung, die wir hier gefordert haben, verbreitet CitizenK bewusst Fake News.

            Nun ist aber nicht dieses Verbreiten von Falschbehauptungen das eigentliche Vergehen, sondern derjenige, der den populistischen Quatscherzähler in den Senkel stellt. Weder von Dir noch sonst jemanden kam ein Wort der Kritik oder gar der Richtigstellung gegenüber CitizenK. Der stellt die Sachen auch nicht richtig, sondern beschwert sich, angegangen zu werden.

            Nur dass ich nicht missverstanden werde: Ich war nie Anhänger der Forderung, Falscherzähler von der öffentlichen Meinungsäußerung auszuschließen. Aber es ist vielleicht die Gelegenheit für jene, die in der Pandemie so manches Maß verloren haben, über ihren damaligen Radikalismus nachzudenken.

            • sol1 29. Oktober 2022, 16:00

              „CitizenK hat in seinem vorherigen Post zur Pandemie behauptet, die Lockdowns hätten verhindern sollen, dass die Eltern am Virus sterben, weshalb es sinnvoll gewesen sei, die Schulen zu schließen. Einfach aus den Fingern gezogen, absoluter populistischer Quatsch. Aber zulässig.“

              Er schrieb „ihre Eltern oder Großeltern oder andere Bezugspersonen“. In deiner Antwort hast du den zweiten Teil weggelassen, um diesen Pappkameraden zu konstruieren:

              „Eltern von schulpflichtigen Kindern sind typischerweise zwischen 30 und Anfang 40 und damit nicht sonderlich gefährdet.“

              Und genau das ist ein Beispiel dafür, was ich als toxischen Diskussionsstil wahrnehme.

              • Stefan Pietsch 29. Oktober 2022, 16:44

                … dann müssen Sie immer meine Zitierweise als toxisch wahrnehmen. Denn tatsächlich zitiere ich immer so, gemäß den allgemeinen Zitierregeln. Ich verändere nicht die wesentliche Aussage – übrigens auch hier nicht, highlighte aber das Entscheidende. Es war kenntlich gemacht, dass ich das Zitat verkürzt habe. Bisher haben Sie sich nie über dieses Verfahren mokiert. Daher wirkt Ihr Protest an dieser Stelle ein Stück unehrlich.

                Fakt ist: Sehr früh in der Pandemie wurde klar, dass das Virus besonders für ältere Menschen über 60 gefährlich ist. Dies hat CitizenK unterschlagen, weil er etwas ganz anderes daraus machen wollte. Und CitizenK hat behauptet, vor dem Auftauchen von Impfstoffen sei es um den allgemeinen Schutz gegangen, wo die Einschränkungen tolerabel waren. Nur: CitizenK hat unterschlagen, dass der selbst noch im April diesen Jahres – 16 Monate nach den ersten Impfungen – strikt gegen die Abschaffung der Maskenpflicht war und im Frühjahr derart liberal Denkende als Egoisten beschimpft hat.

                Er fälscht und türkt und verharmlost. Warum sehen Sie das nicht als toxisch an?

                • sol1 30. Oktober 2022, 00:19

                  „Es war kenntlich gemacht, dass ich das Zitat verkürzt habe.“

                  Wo denn?

                  „Er fälscht und türkt und verharmlost.“

                  Das hast du jedenfalls hier nicht hinreichend belegt.

                  Ansonsten solltest du besser dieses Bibelwort beherzigen:

                  „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“

                  • Dobkeratops 30. Oktober 2022, 07:22

                    Als ich diesen augenzwinkernden Beitrag hier gelesen habe, musste ich tatsächlich spontan an Herrn Pietsch denken. Ersetzte den Teil über Twitter durch „hab ich in der Welt gelesen / bei Lanz gesehen“ und du hast eine erstaunlich akkurate Beschreibung des hier regelmäßig zur Schau gestellten Diskussionsstils.

                    • CitizenK 31. Oktober 2022, 13:04

                      😉

                  • Stefan Pietsch 30. Oktober 2022, 10:58

                    Verkürzungen von Zitaten werden mit (..) gekennzeichnet, ggf. auch ohne Punkte. In wenigen Fällen, in denen ich zensiere, wird dies durch eckige Klammern angezeigt. Des Weiteren darf eine Verkürzung den Sinn des eigentlich Gesagten nicht entstellen. An beide Regeln halte ich mich grundsätzlich.

                    CitizenK arbeitet mit der moralischen Aufladung. Das ist das Populistische. Nicht nur für Stefan sind solche Äußerungen absolut zulässig:

                    Immer wieder beeindruckend diese Kaltschnäuzigkeit, mit der man Menschen wie mich über die Klinge springen lassen wollte – nur, um ein paar Wochen keine Einschränkungen zu haben.

                    Dem anderen niederste menschliche Motive unterstellen, geht nach Stefan. Stylistisch okay. Stefan wäre auch der, der nicht den Brunnenvergifter beschuldigt, sondern denjenigen der den Gifttrank weiterreicht. Schließlich hat er ja nicht gesehen, wer den Brunnen vergiftet hat.

                    CitizenK hat hier im Angesicht seines eigenen Zitats gelogen – er versucht sich ja faktenwidrig rauszureden, da stände ja nicht, wann Hamm-Brücher die Partei verlassen habe. Er lügt in eigener Sache zu seinen Aussagen während der Pandemie. Er lügt, wenn er behauptet, in Deutschland sei anders als in Italien keine Vermögensabschöpfung im Rahmen der Geldwäschebekämpfung möglich.

                    Kann sein – und das halte ich durchaus für eine mögliche Erklärung – dass CitizenK bei vielen Sachfragen einfach keine Ahnung hat und Schnipsel, die er aufgefangen hat, in die Runde wirft. So wirkt es auf mich oft. Aber immer häufiger kommt er mit so moralisch aufgeladenen Geschichten wie eben die Erwähnten herum.

                    Nur, die Verteidiger solchen Verhaltens haben wieder bewiesen, woran wir Konservativen und Liberalen längst keinen Zweifel mehr haben: Linke haben das Mandat auf Moralismus.

                    • sol1 30. Oktober 2022, 13:18

                      „Verkürzungen von Zitaten werden mit (..) gekennzeichnet, ggf. auch ohne Punkte.“

                      Eine solche Kennzeichnung findet sich nicht in deinem Posting vom 25. Oktober 2022, 21:29 Uhr.

                      „CitizenK hat hier im Angesicht seines eigenen Zitats gelogen – er versucht sich ja faktenwidrig rauszureden, da stände ja nicht, wann Hamm-Brücher die Partei verlassen habe.“

                      Das steht ja auch in keinem seiner Postings.

                      „Nur, die Verteidiger solchen Verhaltens haben wieder bewiesen, woran wir Konservativen und Liberalen längst keinen Zweifel mehr haben: Linke haben das Mandat auf Moralismus.“

                      Ach was!

                      Schauen wir mal aufs geradewohl in eins deiner Postings:

                      „Sie würden als Polizist auch weglaufen, wenn es irgendwo eine Schlägerei gibt. Sie sind der Soldat, der die Waffe wegschmeisst, Sie sind derjenige, der ohne Eingreifen eine Vergewaltigung geschehen lässt.“

                    • Stefan Pietsch 30. Oktober 2022, 16:48

                      Ich schrieb:
                      „Es ist schlimmer für die Kinder, wenn ihre Eltern (..) sterben.“
                      https://www.deliberationdaily.de/2022/10/klingbeil-youngkin-und-thatcher-sprechen-in-polen-ein-machtwort-und-bekennen-sich-zu-radikalen-verfassungsgerichten-vermischtes-24-10-2022/#comment-263947

                      Sie haben dazu gemeint, ich hätte nicht kenntlich gemacht, dass ich das Zitat verkürzt wiedergegeben hätte. Das ist offensichtlich falsch.

                      Ich habe das von Ihnen Zitierte geschrieben, nachdem sich CitizenK die Unverschämtheit und Niederträchtigkeit geleistet hat. Ursache und Wirkung.

                    • Stefan Sasse 30. Oktober 2022, 16:54

                      An dieser Stelle ist jetzt bitte Schluss mit dem Blödsinn. Das ist ja nur noch Kindergarten. Seit wann ist es denn plötzlich erlaubt, schlechte Dinge zu machen, weil der andere das auch gemacht hat?! Ich versuche, meinen Grundschulkinderalter-Kindern beizubringen, dass das nicht geht. Das ist ja echt nicht auszuhalten. Die ganze Diskussion führt offensichtlich auch nirgendwo hin. Also bitte, hört einfach auf. Ihr werdet euch beide eh nicht überzeugen. Und für den Rest müllt es nur den Kommentarthread zu.

                    • Stefan Pietsch 30. Oktober 2022, 17:33

                      Alles okay. Wäre nur schön, wenn Du das nächste Mal direkt jemanden verbal aufs Maul haust, wenn er die persönliche Integrität eines anderen angreift und nicht erst dann, wenn das Kind längst in den Brunnen gefallen ist.

            • Stefan Sasse 29. Oktober 2022, 18:26

              Ich sag es nochmal: ich diskutiere nicht zur Sache. Die Kritik war am Stil. Ich bin ziemlich sicher, nicht geschrieben zu haben, dass man Falschinformationen nur begegnen kann, indem man die andere Seite möglichst heftig beleidigt.

              • Stefan Pietsch 29. Oktober 2022, 20:54

                „Kaltschnäuzigkeit“ gehört wohl auch zur Sache, worüber Du nicht diskutierst.

          • CitizenK 29. Oktober 2022, 17:41

            „… dann verlassen“ enthält keine Jahreszahl, schon gar nicht „explizit“.

            Das Transkript des Interviews (Danke sol1, btw.) belegt , dass das Zerwürfnis mit der Parteispitze hier seinen Anfang hatte).

            • Stefan Pietsch 29. Oktober 2022, 20:53

              Das belegt gar nichts. Es belegt nur, dass Hamm-Brücher ihre eigene Legende hatte.

              Sie erzählen halt gerne Ihre weitgehend zusammengedichteten Geschichten. Es gäbe heute noch gute Chancen für Sozialliberal, wenn die gierigen FDPler nicht ihre Wende zum Markt total erfahren hätten. Die Partei Genschers könnte heute besser dastehen, wenn sie nicht die Sozialliberalen vergrault hätte. Und, die Wende gab es nicht etwa, weil die SPD immer höhere Staatsausgaben forderte oder gegen den Nato-Doppelbeschluss gewesen wäre. Das eigentliche Zerwürfnis war der Umgang mit der Flick-Affäre.

              Hamm-Brücher zählte nie zum engeren Führungskreis der FDP, schon gar nicht der Regierungskoalition. Dass ausgerechnet sie genau weiß, woran die SPD-FDP-Koalition zerbrach, ist halt ihre Geschichte. Mehr nicht. Helmut Schmidt übrigens, keine unwichtige Figur in ihrer Legenden-Erzählung, hat nie solche Geschichten wie Sie erzählt. Aber der war wahrscheinlich zu weit weg.

              Dieses Geschichtenerzählen ohne Substanz ist eben das, was mich zunehmend an Ihnen aufregt. Da fehlt jede Seriosität.

  • CitizenK 27. Oktober 2022, 18:00

    „Elektoral schon.“

    Das war eine Achterbahnfahrt – bei LT-Wahlen musste sie oft „zittern“.

    Das Hoch bei der letzten BT-Wahl geht zum großen Teil auf junge Wähler zurück, die das Macher-und-Reform-Image der Partei (vor allem Lindner) goutieren. Da ist ja auch schon etwas in Gang gekommen. Aus meiner Sicht zu wenig, aber immerhin. Durchaus möglich, dass die Partei da einen neuen Kurs findet. Ob sie die Bürgerrechtler von den Grünen und die Sozialliberalen von der SPD zurückholen kann – fraglich. Nach den Reaktionen auf die Niedersachsenwahl bin ich eher skeptisch.

    • Stefan Sasse 27. Oktober 2022, 19:19

      Achterbahnfahrten und Zitterpartien in LT-Wahlen hatte die FDP aber auch vor 1982. Das ist das Schicksal einer kleinen Partei. Geht den Grünen ja auch nicht anders, oder LINKEn.

  • sol1 28. Oktober 2022, 19:37

    2) Für diese Analyse spricht, daß die Umfragewerte für die Koalitionsparteien sich kaum bewegt haben, also keiner sich als Verlierer fühlen muß.

    Andererseits ist die Richtlinienkompetenz, wie Kurt Kister in der SZ geschrieben hat, ein Joker, den man nicht beliebig oft ausspielen kann (du hast, wenn ich mich recht erinnere, mal einen ähnlichen Vergleich gebracht). Die Frage stellt sich, wie Scholz in Zukunft führen will:

    https://taz.de/Das-Atom-Machtwort-von-Olaf-Scholz/!5887451/

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