Faust gibt Sahra Wagenknecht in der Deutschklausur Abzug, weil sie von Sebastian Kurz ein Alternativszenario für den Iran abgeschrieben hat – Vermischtes 31.10.2022

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.

Fundstücke

1) Kein „bok“ auf Faust I

In der bürgerlichen Presse ist seit Jahren eine Auseinandersetzung mit der Kritik zu lesen, unser Kanon sei zu weiß, männlich, heteronormativ, eurozentristisch, und das alles stimmt natürlich. Aber das Problem sind gar nicht „Faust I“ oder Goethe, und auch nicht Schiller, Lessing und wie sie alle heißen. Das Problem ist der Kanongedanke an sich. Und dieses Problem wird sich nicht lösen, indem wir den Kanon um ein paar diverse Quotenautor_innen erweitern. Denn der Kanon ist in sich eine elitäre Erzählung, die identitätsstiftend für bestimmte Schichten, ja gar für eine Nation ist, seine Bedeutung thront immer auch auf dem Stolz auf eine Zugehörigkeit zu diesen, und somit gehört er gänzlich abgeschafft – wenn wir denn den literarischen Werken auf ihm jemals gerecht werden wollen. Denn nicht nur die Schüler_innen müssen vom Kanon befreit werden, sondern auch die Texte selbst. Wie schön wäre es, wenn wir uns in der Schule unsere Lektüren selbst aussuchen könnten? Selbst herausfinden, welche Text uns interessieren und dann lernen zu formulieren, warum das so ist? Zwanzig Jahre habe ich gebraucht, um zu verstehen, warum ich dachte, der „Faust“ sei „bok“ – und warum er es möglicherweise doch nicht ist. (Fatma Aydemir, taz)

Ich kann Aydemir gar nicht genug zustimmen. Dieser verfluchte Kanon macht seit Jahrzehnten den Deutschunterricht kaputt. Das ist dezidiert kein Aufruf dazu, nichts mehr zu lesen das älter als 20 Jahre ist. Ich mag Faust sehr gerne. Nur ist diese Vorstellung normierter Lektüren ein echtes Problem. Hier in Baden-Württemberg sind die Lektüren nicht im Bildungsplan vorgeschrieben (wie in manchen anderen Bundesländern), aber die „Pflichtlektüren“ (über deren fragwürdige Auswahl ich einmal geschrieben habe), die im Abitur Prüfungsgegenstand sind, erzwingen zumindest für die Jahrgangsstufen den Kanon, und effektiv auch mindestens für die Klasse 10/11, wenn man die Vorbereitung ernst nimmt. Wie auch bei Fundstück 3 ist meine Antwort auf diese Thematik mehr Freiheit. Freiheit für die Schulen, mindestens, aber eigentlich sogar Freiheit für die Lehrkräfte, diese Entscheidungen selbst zu treffen. Und diese sollten dann die Schüler*innen aktiv mit einbeziehen.

2) Der Albtraum aller Arbeitgeber

Der Klempner, so sagt es ein geflügeltes Wort der Gallier, verdient sich „goldene Eier“. Dennoch will niemand mehr Klempner sein. Aber auch Maurer, Koch und Kellner, Haushaltshilfe, Weinbauer, Busfahrer nicht. Die jungen Krankenschwestern arbeiten oft nur drei oder vier Jahre im Beruf. Mehrere tausend Lehrerstellen mussten mit Quereinsteigern besetzt werden, Hunderttausende von Jobs sind offen. Doch die Arbeitslosigkeit geht nur minimal zurück. Es ist der „Albtraum der Arbeitgeber“ […] Es geht den Abgängern keineswegs um radikale Selbstverwirklichung. Wie vergiftet, erzählt ein junger Ingenieur, habe er nach dem Abschluss des Studiums geschuftet. Das Geschäftsviertel La Défense war seine Welt. Das künstliche Licht und die gefilterte Luft setzten ihm zu. Konkurrenz am Arbeitsplatz, Dichtestress im öffentlichen Verkehr. „Darunter litt das Privatleben“, vor einem Jahr hat er geheiratet, „jetzt erwarten wir unser erstes Kind“. Die angehenden Eltern wollen es in einer „gesunden Umwelt“ aufziehen. Sie verließen die Wolkenkratzer und gingen in die Berge. In der Provinzstadt Chambéry arbeitet der Ingenieur in der Logistik und bereut nichts: „Alles ist gelassener.“ […] Die Ökonomen zumindest versuchen, die Panik der Wirtschaft zu besänftigen: Drei Prozent Kündigungen pro Jahr zeugen von einem vitalen, attraktiven Arbeitsmarkt. […] Der Niedergang („décadence“) ist auch für Julliard unausweichlich. Bei ihm sind nicht die Sklaven, sondern die Eliten verantwortlich. Die Politik sei zum „Klientelismus“ verkommen, „er ist der Feind“. Der Staat und der Individualismus bildeten ein „teuflisches Paar“. Weit und breit kann Jacques Julliard keinen Politiker erkennen, der wie Charles de Gaulle im Dienst des Gemeinwohls handeln würde. „Reformen tun weh“ – auch Macron sei an ihnen gescheitert. „Die Mächtigen müssten mit gutem Beispiel vorangehen.“ (Jürg Altwegg, FAZ)

Ich bin zutiefst skeptisch gegenüber dem 2021 populär gewordenen Narrativ, dass es eine große Kündigungs- oder Jobänderungswelle gäbe. Der Diskurs kommt als „Great Retirement“ aus den USA, und er wurde dort als genau der Nachrichtenzyklus-Hype entlarvt, der er vermutlich auch in Frankreich ist. Es ist eine verkleidetete Wiederkehr der ewig gleichen Narrative: die Leute (immer andere, nie man selbst) wollen nicht mehr „richtig“ arbeiten, es gibt eine Hinwendung zu Werten wie Selbsterfüllung und Freizeit, und so weiter. Dran war zumindest in den USA nichts. Es ist effektiv Kaffeesatzleserei ohnehin dubioser Statistiken.

Auffällig ist auch, dass zwar immer wieder genannt wird, dass die Arbeitsbedingungen im höher qualifizierten Umfeld mit der persönlichen Lebensplanung kollidieren, daraus aber entweder keine Konsequenzen gezogen werden („ist halt so“, „ist unvermeidlich“) oder wie oben Narrative eines Niedergangs gesponnen werden. Die viel gelobte Anpassungsfähigkeit der Marktwirtschaft greift hier aus irgendeinem Grund nicht – stattdessen ertönt der Ruf nach staatlicher Intervention, die natürlich (auch hier ein Klischee aller Reformdiskurse) „wehtun“ muss. Auch hier natürlich immer nicht man selbst, sondern andere, wenngleich Julliard hier immerhin einen machtlosen Aufruf an die Eliten startet.

3) Schülervertreter fordern: Gendern darf in Prüfungen nicht als Fehler bewertet werden!

Nach Ansicht des Landesschülerbeirats Baden-Württemberg darf die Verwendung geschlechtergerechter Sprache in schriftlichen Prüfungen nicht als Fehler gewertet werden. Jeder Schüler und jede Schülerin solle selbst entscheiden können, ob er oder sie gendert, teilte das Gremium mit. Die GEW unterstützt das Anliegen. Es sei nicht mehr zeitgemäß, wenn Lehrkräfte Sternchen, Unterstrich oder Doppelpunkt negativ markierten. Vielmehr müsse die Akzeptanz für das Gendern steigen; Ziel sei, dass diejenigen, die gendern wollen, dies auch tun könnten, ohne dabei belächelt oder verurteilt zu werden oder sich rechtfertigen zu müssen, betonten die Schülervertreter. […] Die Lehrergewerkschaft GEW befürwortet einen differenzierten Ansatz: Bei einem Diktat, bei dem die Rechtschreibregeln des Duden im Vordergrund stehen, müsse das Gendern anders bewertet werden als bei einer Textaufgabe in Mathematik oder in einem mehrseitigen Essay, bei dem kreative Freiheit möglich sein müsse. Das Thema sei auch nicht für die erste Klasse Grundschule geeignet, sondern eher für weiterführende Schulen, erläuterte ein GEW-Sprecher. «Wenn sich die Sprache verändert, muss sich auch die Schule damit auseinandersetzen.» Die Lehrer seien Profis genug, die richtigen Maßstäbe zu setzen. (News4Teachers)

Es ist leicht ironisch, dass im Titel nicht gegendert wird. Aber Scherz beiseite: ich unterstütze diese Forderung vollumfänglich. Weder sollten die Schulen den Schüler*innen (oder die Unis den Studierenden) vorschreiben zu gendern, noch sollten sie es als Fehler werten. Die im Artikel genannten Maßstäbe sind absolut sinnvoll und auch recht eingängig. Hält man sich mit Regulierungswut zurück, so wird sich da dank der Professionalität der Beteiligten ziemlich schnell ein Modus Vivendi herausschälen, der völlig problemlos ist und weder den gesellschaftlichen Wandel vorwegzunehmen noch zu behindern versucht.

4) The Wreckage of Neoliberalism

For millions of Americans—especially those who don’t live in the high-income urban mega-economies—it feels like life itself is unspooling. This sense of dislocation is what Donald Trump’s politics of grievance seized upon when he launched his campaign for the presidency in 2015. He offered easy scapegoats—immigrants, Muslims, and economic elites—to blame for the loss of meaning and economic autonomy felt by many Americans. He signaled an intent to break America apart from the world economy and the international order. He railed against the technology companies that had seemed to replace families and churches as the new enforcers of moral order. Tragically, it worked. And frankly, given that Trump is running even with President Joe Biden in a hypothetical 2024 matchup, it’s still working. […] Although Trump’s anti-neoliberal messaging has been successful, his policies have never matched his rhetoric. By the time he left office, there were fewer, not more, well-paying manufacturing jobs in America. Trump did nothing to curb corporate excess or restore power to families and workers—his primary domestic legislative accomplishment was a tax cut in which 83 percent of the benefits would go to the same 1 percent of the population he attacked in his speeches. […] Democrats would also be wise to address Americans’ other complaints with postwar neoliberalism. For instance, Democrats, not Republicans, are the natural party to make sure that technology works for people, instead of people working for technology. Republicans’ hostility toward regulation will make them allergic to setting new rules for social media. But the fact is that no technology company should be so big that a single CEO’s decision about an algorithm moves markets or redefines political conversation. (Chris Murphy, The Atlantic)

Ich würde den Begriff des „Neoliberalismus“ nicht mehr verwenden, das ist nur noch ein linker Kampfbegriff ohne jeden Inhalt, den man einfach auf alles draufklatschen kann, das man ablehnt – ungefähr so, wie viele Rechte „Sozialismus“ oder „Planwirtschaft“ nutzen. Inhaltlich bin ich völlig bei Murphy; die Konzentration auf wirtschaftliche Themen scheint mir angebracht, gerade angesichts der sehr guten Regierungsbilanz der Democrats und der weit weniger überzeugenden Bilanz republikanischen Wirtschaftens. Ob in den Bundesstaaten oder auf der nationalstaatlichen Ebene liefern die Democrats seit Bill Clinton hier wesentlich überzeugender.

Was die ganzen Diversitätsthemen angeht, ist mein aktueller Eindruck folgender: das ständige Gerede von „woke“ (siehe dazu auch Fundstück 9) ist mittlerweile eine solche Obsession auf weiten Teilen der Rechten geworden, dass es völlig unnötig ist, von progressiver Seite darüber zu sprechen (was ja die meisten auch gar nicht machen; von Keir Starmers Labour über Scholz‘ SPD zu Bidens Democrats gibt es praktisch keine Äußerungen dazu; im progressiven Lager sind das vor allem die (allerdings lauten) Aktivist*innen. Da durch den unsäglichen Diskurs ohnehin eingepreist ist, dass alle vage progressiven Kandidat*innen völlig unabhängig von ihren Positionen auf jeden Fall radikale Woke sind, können die Democrats ihre „street cred“ bei dem Thema einfach als gegeben annehmen und versuchen, über andere Themen zu sprechen.

Genau das scheinen sie mir auch zu tun. Nur, das „wie“ ist nicht eben leicht. Es ist eine Sache zu sagen „Hey, es wäre echt gut für uns, wenn der Diskurs sich um X drehen würde!“ und es ist eine völlig andere Sache, das hinzubekommen. Einerseits torpedieren die genannten Aktivist*innen das immer wieder, weil sie die Gemäßigten zu Stellungnahmen zwingen, die notwendig immer wischi-waschi sind – man unterstützt ja irgendwie das Anliegen, aber nicht in der Form, blablabla. Andererseits haben Politiker*innen nicht unter Kontrolle, über was Medien berichten und was bei den Wählenden ankommt, ganz egal, wie lange sie wo sprechen. Das sieht man immer und immer wieder.

5) Warum die AfD die Linke Sahra Wagenknecht fürchtet

Alarmiert haben dürfte Weidel nicht zuletzt eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa im Auftrag der „Bild“-Zeitung: Wagenknecht ist demnach die beliebteste Politikerin Deutschlands, beliebter als alle Minister der Ampelkoalition. Nur ein Mann, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, schneidet noch besser ab als Wagenknecht. Die Umfrage liefert gerade auch für die AfD brisante Details: So ist Wagenknecht bei deren Wählern die zweitbeliebteste Politikerin, direkt hinter Alice Weidel. Erst auf Platz drei folgt Tino Chrupalla, Weidels Co-Partei- und Fraktionschef. Schlimmer noch aus Sicht der AfD: 63 Prozent ihrer Wähler fänden es demnach gut, wenn zur Bundestagswahl eine Partei mit Sahra Wagenknecht als Spitzenkandidatin anträte. […] Für den Politikwissenschaftler und AfD-Beobachter Johannes Hillje sind Weidels Sorgen nachvollziehbar. Wagenknecht propagiere Grünen-Bashing, Antiamerikanismus, Putin-Nähe und arbeite angesichts der Russland-Sanktionen am Narrativ eines Wirtschaftskriegs der Bundesregierung gegen die eigene Bevölkerung und Industrie. Das sei nichts anderes als das, was die AfD mache. „In vielen Punkten ist Wagenknechts Populismus schon lange nicht mehr von dem der AfD zu unterscheiden“, so Hillje. […] Experte Hillje schätzt: Wäre Wagenknecht zur AfD gewechselt, hätte die Partei wohl am stärksten profitiert. Denn der AfD fehle, was Wagenknecht biete: eine starke Führungspersönlichkeit. „Kein Höcke, kein Chrupalla, keine Weidel kommen an das Charisma und die rhetorischen Fähigkeiten von Sahra Wagenknecht heran.“ […] „Wagenknecht ist mittlerweile eine Ikone im rechtsradikalen Milieu, sie wird dort regelrecht vergöttert“, sagt Hillje. „Sie gilt als Kronzeugin der etablierten Parteien.“ […] Am Ende dürfte das größte Hindernis für eine Wagenknecht-Partei aber wohl vor allem Wagenknecht selbst bleiben. Sie gilt als eher schwache Netzwerkerin und als jemand, der auf eigene Auftritte fokussiert, aber nicht an der oft nervenaufreibenden Parteiarbeit interessiert ist. (Annika Leister, t-online)

Ich hoffe ja wirklich, dass Sahra Wagenknecht eine eigene Partei gründet. Die LINKE, die Wagenknecht-Partei (Aufstehen für Deutschland?) und die AfD können dann jeweils 4,7% der Stimmen einfahren. Das wäre echt der Best Case für die ganze Republik. Aber vermutlich wird aus den letztgenannten Gründen im Artikel da eh nichts draus. Wenn Wagenknecht ihre Grenzen nicht aus dem #Aufstehen-Desaster gelernt hat, dann weiß ich auch nicht.

Interessant ist aber ihre unglaubliche Beliebtheit bei den Rechten. Überraschend ist das nicht; Partei-Renegaten werden im gegnerischen Lager immer geliebt. Konservative mögen Boris Palmer und Thilo Sarrazin, Progressive Andreas Püttmann und Heiner Geißler, und so weiter. Dass Wagenknecht inzwischen de facto die Positionen der AfD vertritt, dürfte Anhänger*innen der Hufeisentheorie auch Freude bereiten. Überraschend ist auch das nicht. Oskar Lafontaine etwa war auch schon immer ziemlich gut darin, dieses Genre mit zu bespielen, und vielleicht war es auch die Basis früherer linker Erfolge. Ob das Konzept heute noch tragfähig ist, wage ich aber zu bezweifeln.

6) In einer toxischen Beziehung mit Sebastian

Blockieren, Mauern, Vernebeln, das ist die panische Strategie der ÖVP, die gar nicht merkt, dass sie umso tiefer im Sumpf versinkt, je mehr sie hysterisch strampelt. […] Die ÖVP ist kopflos, reagiert nur mehr instinktiv. Der Instinkt sagt: Abstreiten, andere angreifen, Vorwärtsverteidigung. Sie ist panisch und in einem Tunnelblick. Man kann das verstehen. Solange sie nicht den Befreiungsschlag schafft und aus dem Tunnel herauskommt, ist das die aus ihrer Sicht naheliegende Reaktion. Jeder sieht, so kommt sie nicht mehr raus – nur die Partei selbst nicht, weil sie die Realität nicht richtig wahrnimmt. Weil sie nicht mehr checkt, wie es eigentlich um sie steht. Dass die gegenwärtige Lage so ist, dass du nur mehr mit ehrlichem Aufräumen aus der Kacke raus kommst, nicht mehr mit Abstreiten. […] Doch die bittere Wahrheit ist: Es wurden Dinge gedreht, manche größer, manche kleiner, die sich aber zu einem Gesamtbild summieren. Selbst wenn keine einzelne für sich genommen eine große Sache war, summiert sich alles zu etwas bisher nie Dagewesen. Sie hat sich einem Blender an den Hals geworfen, der wie Trump, Johnson, Orban und Co. fest überzeugt war, dass für ihn keine Regeln gelten, dass der Erfolg alles rechtfertigt. Sie hat sich euphorisch auch auf einen scharfen Rechtskurs führen lassen, der die Polarisierung, Hader und Zerrissenheit in der Gesellschaft vergrößerte, kalt die eigenen Vorteile kalkulierend, was zugleich eine Atmosphäre des inneren Bürgerkriegs verbreitete, in dem auch das Unerlaubte als lässliche Sünde erscheint, da ja der Sieg das ist, dem alles unterzuordnen ist. Man hat die gesetzliche Wahlkampfkostenobergrenze beinahe um das Doppelte (!) überschritten, man hat mit gefakten Umfragen gearbeitet, den Gegner mies gemacht, Steuergelder zugleich zweckentfremdet, um sich feiern zu lassen. Man hat den Staat als Eigentum behandelt. Man hat die Wahrheit verdreht, wie man es brauchte. Man hat die absurdesten Dinge behauptet, und darauf vertraut, dass Wahrheit und Lüge ja nur zwei Meinungen seien, und da kann ja jede etwas für sich haben. Man betrieb Politik mit Gefühlen, vornehmlich mit miesen, mit Aufhussen und Gemeinheit. Als man die Macht erobert hatte, übte man sie hemmungslos aus, drohte der Zivilgesellschaft, setzte die kritischen Künstler in Angst und Schrecken, organisierte sich gewogene Berichterstattung und bedrohte kritische Journalisten, wechselte sie dort aus, wo man direkt oder indirekt Zugriff hatte, und winkte mit dem ökonomischen oder juristischen Zaunpfahl, wo man eine gewisse Anpassung an die neuen Verhältnisse bewirken wollte. Das Land war nicht nur in der Hand einer Clique, sondern auf einer schiefen Bahn ins Autoritäre, die nur durch den Glücksfall der Ibizaenthüllungen gestoppt wurde. Sebastian Kurz hat zur Absicherung seiner Herrschaft einen schleichenden Staatsstreich begonnen, und die ÖVP, glückselig über den Erfolg, hat dazu gejubelt. Der Staatsstreich hat nur nicht funktioniert. Wegen Ibiza und den Dummheiten von HC Strache und Johann Gudenus. Die Maß- und Ruchlosigkeit der Machtausübung durch die Kurz-Truppe ist vom Rechtskurs und der Politik der Niedertracht nicht zu trennen. Und insofern sind auch die Affären und Gesetzesbrüche, die jetzt untersucht werden, keine „Einzelfälle“ im Rahmen einer Politik des üblichen Unsauberen. (Robert Misik, Vernunft&Ekstase)

Die Korruption in Österreich ist ein ganz eigenes Kapitel, und sie ist wahrlich nicht auf die ÖVP begrenzt. Aber Sebastian Kurz und seine Bagage scheinen das schon auf ein ganz neues Level getrieben zu haben. Was mich irritiert und ehrlich gesagt auch erschreckt ist, wie wenig Österreich generell bereit zu sein scheint, Lehren aus dieser Geschichte zu ziehen. Was Misik hier anspricht – die Einflussnahme auf Medien, die Unterdrückung abweichender Meinungen, etc. – geht eben über persönliche Bereicherung und Proporz-Mauscheleien hinaus. Gibt es irgendeine Vorstellung, wie man das künftig vermeiden will? Eine Stärkung der Resilienz von Rechtsstaat und Demokratie? Da scheint die Versuchung, das alles auf Kurz zu schieben und für beendet zu erklären, wesentlich stärker zu sein. Mal sehen, ob der anstehende Prozess gegen Kurz da angetan ist, die Türen zu dem Stall aufzustoßen und durchzulüften. Ich bin nicht sonderlich optimistisch. Wahrscheinlich steht mir Wirecard zu sehr in Erinnerung.

7) Britain and the US are poor societies with some very rich people

Starting at the top of the ladder, Britons enjoy very high living standards by virtually any benchmark. Last year the top-earning 3 per cent of UK households each took home about £84,000 after tax, equivalent to $125,000 after adjusting for price differences between countries. This puts Britain’s highest earners narrowly behind the wealthiest Germans and Norwegians and comfortably among the global elite. So what happens when we move down the rungs? For Norway, it’s a consistently rosy picture. The top 10 per cent rank second for living standards among the top deciles in all countries; the median Norwegian household ranks second among all national averages, and all the way down at the other end, Norway’s poorest 5 per cent are the most prosperous bottom 5 per cent in the world. Norway is a good place to live, whether you are rich or poor. Britain is a different story. While the top earners rank fifth, the average household ranks 12th and the poorest 5 per cent rank 15th. Far from simply losing touch with their western European peers, last year the lowest-earning bracket of British households had a standard of living that was 20 per cent weaker than their counterparts in Slovenia. Please use the sharing tools found via the share button at the top or side of articles. It’s a similar story in the middle. In 2007, the average UK household was 8 per cent worse off than its peers in north-western Europe, but the deficit has since ballooned to a record 20 per cent. On present trends, the average Slovenian household will be better off than its British counterpart by 2024, and the average Polish family will move ahead before the end of the decade. A country in desperate need of migrant labour may soon have to ask new arrivals to take a pay cut. Across the Atlantic it’s the same story, only more so. The rich in the US are exceptionally rich — the top 10 per cent have the highest top-decile disposable incomes in the world, 50 per cent above their British counterparts. But the bottom decile struggle by with a standard of living that is worse than the poorest in 14 European countries including Slovenia. (John Burn-Murdoch, Financial Times)

Irgendjemand hat letzthin Großbritannien als „DDR mit Wasser außenrum“ bezeichnet. Das ist natürlich schon wegen der Freiheitsrechte ein überzogener Vergleich, aber ein Qualitätsunterschied zwischen Großbritannien und dem Großteil des Kontinents scheint mir schon zu bestehen. Es ist dasselbe wie in den USA: die große wirtschaftliche Freiheit hat einfach die Schattenseite, dass es am unteren Ende der Gesellschaft wesentlich rauer zugeht als anderswo. Das war schon immer so. Eine historische Anekdote zu dem Thema: die britische Armee im Ersten Weltkrieg war die einzige an der Westfront, bei der es dem Großteil der Soldaten BESSER ging als im Zivilleben. Nicht, weil die britische Armee eine so tolle Versorgung hatte, sondern weil die davor so schlecht war. Das kann man an der durchschnittlichen Körpergröße der Soldaten gegenüber Franzosen oder Deutschen ebenso festmachen wie an Zahngesundheit und vielen anderen Faktoren. Natürlich kann jede Gesellschaft sich entscheiden, dass es ihr das wert ist, und das tun die angelsächsischen ja auch mit schöner Regelmäßigkeit. Aber man sollte nicht leugnen, welchen Preis diese Art der Freiheit fordert.

8) Was heißt „Singularität des Holocaust“?

Es ist deutlich, wie sehr dieser mehr politische als wissenschaftliche Historikerstreit von der damals noch herrschenden Systemkonkurrenz, vom Denken in den Kategorien des Kalten Krieges, geprägt war. Den Hintergrund für die öffentliche Debatte bildete jedoch vor allem die Befürchtung, dass der politische und kulturelle Aufbruch, der vom Regierungsantritt der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt 1969 ausgegangen war, durch eine nationalkonservative Geschichtspolitik zurückgedrängt werden könnte. Die Regierung Helmut Kohls schrieb seit ihrem Amtsantritt im Herbst 1982 die Forderung nach einer »geistig-moralischen Wende«, die Rückgewinnung konservativer Werte und nationaler Selbstvergewisserung auf ihre Fahnen. […] Grund genug also, dass linksliberale Intellektuelle fürchteten, die »geistig-moralische Wende« ziele auf die Renaissance eines nationalistischen Selbstverständnisses der (west-)deutschen Gesellschaft, mit dem unter die NS-Vergangenheit der berühmte Schlussstrich gezogen werden sollte. Dieser Historikerstreit, der in der Tat nahezu ausschließlich von Männern geführt wurde, endete bekanntermaßen mit einem klaren Sieg der Linksliberalen. Ein Vergleich des Massenmordes an den europäischen Jüdinnen und Juden mit anderen Genoziden, hier vor allem mit den Massenverbrechen des Stalinismus, wurde fortan zurückgewiesen, weil damit der mögliche Anspruch einer Gleichsetzung verbunden sei. Der Holocaust wurde »einzigartig«, und zwar primär aus politischen Gründen. […] Der damalige Deutungskonsens von der Singularität des Holocaust, dem sich im Kontext der deutschen Einheit auch die Konservativen anschlossen, ging einher mit einer »Verstaatlichung« der Erinnerungspolitik. (Michael Wildt)

Diese Betrachtung des Historikerstreits ist nur der Einstieg in einen kompletten Vortrag Wildts zum Thema, den ich zur kompletten Lektüre unbedingt empfehle. Ich wollte allerdings diesen Passus herausnehmen, weil ich ihn aus mehreren Gründen für interessant halte. Einerseits arbeitet Wildt sehr gut die politische Dimension der Erinnerungspolitik heraus, die auf beiden Seiten galt. Nolte versuchte eine konservative Umdeutung (in diesen Jahren begann die Auseinandersetzung mit dem Holocaust überhaupt erst ernsthaft), während Habermas dagegen hielt, um eine liberale Vision zu stützen. Beide Seiten rangen um die Deutungshoheit.

Es ist ironisch, dass ausgerechnet der Verursacher des Streits – Nolte – ihn so krachend verloren hat. Wildt arbeitet schön heraus, wie die Singularität des Holocaust überhaupt erst aus seinem Generalangriff entstand und dann sogar für die Konservativen selbst common sense wurde. Die größte Ironie liegt für mich darin, dass die Singularitätsthese, 30 Jahre lang erbittert und sogar strafrechtlich abgesichert als Staatsräson verteidigt, der wohl größte Triumph der linksliberalen Intellektuellen, nun wiederum von linksliberalen Intellektuellen in Frage gestellt wird, während ausgerechnet Konservative ihn erbittert verteidigen. So haben sich die Frontstellungen gedreht. Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal in der Geschichte.

9) Gärung und Grundsatz

Es gab mal eine Zeit, da war Andreas Rödder der geistreichste Konservative in Deutschland. Das ist in der jüngeren Geschichte unseres Landes mal mehr, mal weniger schwer zu erreichen gewesen, aber bei Rödder waren es immerhin ein paar Jahre, in denen man sich für spannende, interessante, herausfordernde Perspektiven an seinen Output wenden konnte. […] In der letzten Zeit hat sich Rödder, auch wenn er das selbst weit von sich weisen würde, radikalisiert und damit banalisiert: Hinter den Satzbausteinen des geübten Autoren stehen immer häufiger doch nur dieselben Ressentiments über alles, was als links angenommen wird, insbesondere die beiden großen Schreckgespenster des rechten und „liberalen“ Establishments: Grüne und sog. „Woke“. Aus dem konstruktiven Konservativen ist ein zynischer Kulturkämpfer geworden. Man kann das an verschiedenen Entwicklungen ablesen. […] Das hat alles nichts mehr mit einem Ausloten gesellschaftlicher Debatten zu tun, hier geht es um einen Kampf um Hegemonie, um die Vernichtung eines politischen Gegners, die Majer und Gröpl angeblich selbst befürchten. Es ist ein Tiefpunkt der Diskussion, die asymmetrisch geführt wird zwischen üppig von der öffentlichen Hand finanzierten Professor:innen mit Zugang zu gedruckten Feuilletons auf der einen und budgetlosen Aktivist:innen auf der anderen Seite, die durch Soziale Medien erstmals Zugriff auf die sonst in Privathand befindlichen Mittel der Massenkommunikation haben. Ein solch ungleicher Kampf um die öffentliche Meinung lässt sich für die Privilegierten (allein das auszusprechen scheint schon eine Unverschämtheit) nur gewinnen, wenn sie sich gleichzeitig zur wahrgenommenen Minderheit und schweigenden Mehrheit erklären, wenn sie die schlimmsten der (zweifelsohne vorkommenden) Unflätigkeiten von Twitter aufpusten, von den Beleidigungen der Mitglieder des eigenen Netzwerks aber wohlfeil schweigen. (Moritz Hoffmann, Schicht im Schacht)

Ein gutes Beispiel für die von Hoffmann genannte Obsession findet sich im Programm dieser Tagung. Was hier stattfindet ist ein Mechanismus, den ich schon oft beobachten konnte und der auch völlig farbenblind ist. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit bei den NachDenkSeiten und Co. Was mit einer begründeten Kritik am Mainstream beginnt – Albrecht Müller hatte ja 2004 nicht Unrecht damit, dass die Medien alle einseitig in eine Richtung berichteten, auch wenn das diejenigen, die das heute von rechts tun, immer noch gerne verdrängen – wird schnell immer stärker. Die Thesen werden absoluter, die Idee der „kritischen Gegenöffentlichkeit“ (oder wie auch immer man das dann nennt) immer abgeschotteter und sektenartiger, der Kampf immer totaler. Und irgendwann bist du eine Karikatur deiner selbst. Man sieht das auch gut bei Leuten wie Reichelt, der den Prozess mittlerweile hinter sich hat, und ich sehe etwa Anna Schneider und Ulf Poschardt auch stark von dieser Dynamik gefährdet. Oder man nehme Richard David Precht. Die machen alle ihre Kohle damit, grundsätzlich dagegen zu sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass man da irgendwann übertreibt, ist sehr hoch. Nicht garantiert, aber sehr hoch.

10) The West Should Be Ready for All Scenarios in Russia and Iran

Those examining the trajectory of events in Iran or Russia today should not fall prey to overoptimism that a sudden outbreak of popular revolt will bring down regimes that have brutally repressed domestic dissent and waged vicious military operations in other countries. But it is nonetheless essential to look out for possible signals that the systems governing societies of such enormous geopolitical importance might be approaching a point of no return. […] Rather than dismissing out of hand the possibility that they will fall, analysts should instead engage with developments in Russia and Iran through the lens of multiple potential scenarios, each depending on various social factors, with an emphasis on how future developments will be shaped by the shifting power balances within these two weakening authoritarian systems. With developments across Europe and Eurasia in such a state of flux, it is also important to confront head on the uncertainty that a potential fragmentation of both countries’ state and social structures would create. […] Having well-resourced contingency plans in place is particularly important if one considers one of the other crucial lessons for the West from the collapse of the Soviet Union and the shah’s regime. In both cases, activists and prominent political figures initially emerged who backed full democratization and friendly relations with the West. Yet over time, they were overwhelmed and either purged or exiled by other factions that, thanks to support from security services and corrupt economic networks, were better positioned to seize the levers of power. (Alexander Clarkson, World Politics Review)

Alex Clarkson (mit dem wir schon dreimal im Podcast gesprochen haben, zuletzt über Italien) hat hier einen wichtigen Punkt. Die Zukunft ist inhärent unsicher, und gerade weil schlicht unklar ist, wie explosive Situationen wie in Russland und Iran sich verändern, sollte man verschiedene Szenarien durchplanen. Es ist durchaus möglich, wenngleich nicht sehr wahrscheinlich, dass es zu einem Umsturz und der Etablierung pro-westlicher Regime in beiden Ländern kommt. Da sollte man dann wissen, wie man denen entgegenkommt und gleich ein Hilfspaket parat haben (gut investiertes Geld, bedenkt man, was mit Iran 1979 und Russland seit 2000 geschehen ist). Genauso sollte man auf eine neue Welle Repression und eine VERSCHÄRFUNG der antiwestlichen Haltung vorbereitet sein und nicht mit heruntergelassenen Hosen erwischt werden. Diese strategische Weitsicht fehlt der deutschen Außenpolitik ganz besonders. Baerbock wäre gut beraten, sich einen Thinktank einfach nur dafür anzuschaffen, Alternativszenarien und Pläne zu entwerfen, auf die man dann zurückgreifen kann. Selbst wenn man sie nicht braucht. Dieses blinde Fahren auf Sicht der Merkel-Zeit jedenfalls kommt uns wesentlich teurer zu stehen als das.

Resterampe

a) Die AfD offenbart bisweilen schon bizarre Kinks.

b) Ich finde diese „Suppen auf Gemälden“-Aktionen ja reichlich beknackt, aber…die Logik hält leider auch. Und die BILD ruft zu Gewalt auf, was ich persönlich jetzt ein kleines bisschen schlimmer finde.

c) Wer sich für konservative Fundamentalkritik an den Tories interessiert, wird hier fündig.

d) Sönke Neitzel zu deutschen Militärhilfen an die Ukraine und Friedensverhandlungen.

e) Zur Debatte um „wokes“ Militär.

f) Dieser Artikel erinnert mich daran, was für ein Verbrechen an der körperlichen Entwicklung von Kindern die Möbel in Schulgebäuden sind.

g) Wen das interessiert, der sei hier auf die Geschichte von faschistischer und anti-faschistischer Kooptierung des Warhammer-40k-Universums verwiesen.

h) Als Hinweis für die „die Medien sind mehrheitlich alle links“-Fans.

i) Eine Analyse von Kanye Wests Antisemitismus.

j) Das neue Buch „Iron Blood“ von Peter Wilson wurde von der FT rezensiert. Es ist auch auf meiner (viel zu langen) To-Read-Liste.

k) Ein Mädchen in Frankfurt wurde verurteilt, weil es mit dem Massenmörder von Uvalde Chatkontakt hatte und niemanden informiert hat. Spannender Präzedenzfall für Verantwortung und Haftbarkeit in sozialen Medien.

l) Wenn jemand ein weiteres Plädoyer für vernünftige Vermögens- und Erbschaftssteuern braucht.

m) Spannende Veranstaltung zum Erbe und der Neubewertung von Willy Brandts Ostpolitik.

n) Humor und Comedy wurden schon öfter totgesagt.

o) Einer der dämlichsten Artikel, die ich in einer ganzen Weile gelesen habe.

 

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  • Tim 31. Oktober 2022, 08:18

    (3 – Schüler sollen gendern dürfen)

    „«Wenn sich die Sprache verändert, muss sich auch die Schule damit auseinandersetzen.»“

    Was ist das bitte für ein Argument? Es würde im schlimmsten Fall doch auf anything goes hinauslaufen bzw. everysiderism. Nicht jede Sprachmode muss von der Schule aufgegriffen werden. Jeder mag selbst beurteilen, wie wichtig Grammatik für ihn ist, aber der Deutschunterricht sollte schon ein Verständnis korrekter Sprache vermitteln. Manche Genderformen sind nun mal Sprachmüll und sollten auch als solche behandelt werden.

    • Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 11:07

      Diese Meinung darfst du natürlich haben. Ich bin da liberal und gegen Denk- und Sprechverbote.

      • Thorsten Haupts 31. Oktober 2022, 12:32

        Du meinst, Du verlässt Dich auf den massiven Gruppendruck der Mitschüler und den subtileren der Lehrer, das Problem in der anderen Richtung zu lösen? Klug von Dir :-).

        • Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 12:51

          Es gibt keinerlei Gruppendruck. Und ich als Lehrer übe auch keinen aus. Ich hab bisher insgesamt (!) glaube ich vier Schüler*innen, die gendern. In all meinen Klassen. Und das nicht, weil ich sie gedrängt hätte; die haben das schon gemacht, als ich die Klassen übernommen habe. Aber wie gesagt, ihr dürft gerne eure Sprech- und Denkverbote behalten.

          • Ariane 31. Oktober 2022, 15:01

            Ich denke, hier ganz ohne vorgegebene Formen zu arbeiten, ist sowieso insofern am besten, damit dann die Zeit entscheiden kann, was sich am besten durchsetzt. Ich persönlich finde die Sternchen auch unpraktisch, weil ich die beim Blind-Tippen nie sofort finde^^

            Und maskuliner Infinitiv ist übrigens auch Gendern^^

            • Ariane 31. Oktober 2022, 15:02

              generisches Maskulin natürlich

            • Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 15:33

              Ich finde Sternchen besser als Doppelpunkt oder Unterstrich vom Tippen her, aber letztlich ist es reine Gewohnheit. Ich mache an der Stelle mal eine nur halb ernstgemeinte Vorhersage: wir kriegen eine Form des Genderns, aber nicht den Stern, einfach weil der das Feindbild der Reaktionären ist 😀 Am Ende einigen sich alle auf den Doppelpunkt deswegen, weil er in der Debatte kaum vorkommt.

              Absolut!

          • Tim 31. Oktober 2022, 15:45

            Verstehe ich Dich jetzt richtig: Rechtschreibregeln sind für Dich Denkverbote?

          • Thorsten Haupts 31. Oktober 2022, 16:27

            Es gibt keinerlei Gruppendruck.

            Unter minderjährigen Schülern? ROFLMAO.

            • Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 19:03

              Bezüglich dem Genderstern, Mann. Ich weiß nicht was du glaubst mit was sich Minderjährige bzw. Teenager so befassen, aber das sicher nicht.

  • Tim 31. Oktober 2022, 08:23

    (10 – Iran und Russland)

    „Diese strategische Weitsicht fehlt der deutschen Außenpolitik ganz besonders. Baerbock wäre gut beraten, sich einen Thinktank einfach nur dafür anzuschaffen,“

    Das Auswärtige Amt ist wahrscheinlich nicht der richtige Platz für strategische Außenpolitik. Das AA ist für Diplomatie zuständig, d.h. für die Schaffung und Pflege internationaler Gesprächskanäle. Dort gibt es keine Kompetenz für die vielen Sachthemen, die man bei der Strategieentwicklung benötigt. Strategie gehört ins Kanzleramt. Aber selbst dort gibt es sowas ja (noch) nicht. Es wird sicher noch Jahrzehnte dauern, bis sich Deutschland in dieser Frage professionalisiert hat.

    • Kning4711 31. Oktober 2022, 08:53

      Ich frage mich ohnehin, wie sich Politik hier organisiert. In der freien Wirtschaft gehen immer mehr Unternehmen zu Matrix-Organisationen über. Crossfunktional besetzte Teams arbeiten dann dann entsprechenden Lösungen. Strategieabteilungen binden dann die Teams mit Methoden und Zielsystemen zusammen, damit das Unternehmen dann entsprechend gesteuert wird. Das wäre in meinen Augen auch die zentrale Aufgabe des Kanzleramts, die Initiativen und Arbeiten der verschiedenen Ministerien miteinander zu verbinden, so dass es am Ende in nachvollziehbares Regierungshandeln übersetzt wird.

      In Punkto der Außen und Sicherheitspolitik sehe ich sehr viele Überschneidungen zwischen dem Verteidigungs-, Außen-, und Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungsressort. Sicherheitspolitik hat hat viele Facetten, aber als gemeinsames Unterfangen dieser drei Häuser würde ich hier die Strategiearbeit sehen.

      • Tim 31. Oktober 2022, 10:01

        Nicht zu vergessen Agrarpolitik, Forschungspolitik, Justiz, Verkehrspolitik und alles andere. Strategie umfasst fast alles.

      • Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 11:08

        Ja, sehr gute Punkte!

    • Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 11:08

      Diese institutionelle Verflechtung ist ja mit ein Problem deutscher Außenpolitik. Die Konzentration der AA im Kanzleramt ist ein jüngeres Phänomen, das vor allem unter Merkel Einzug gehalten hat. Dazu kommen die starken institutionellen Rechte des Bundestags. Das ist hierzulande anders als in USA, F oder UK, wo das alles viel mehr exekutive Funktion ist.

    • Maniac 1. November 2022, 17:22

      Ich hatte bisher gedacht, Think Tank für Außenpolitik wäre die Aufgabe der SWP.

      Gruß, M.

  • Lemmy Caution 31. Oktober 2022, 11:49

    zu 7) Großbritannien war nicht über den ganzen Zeitraum liberal.
    In den Koalitions-Kriegskabinetten galt der Labour Mann Clement Atlee als den systematischen Arbeiter, den der eher spontane Churchill als Balance dringend benötigte. Labour gewann dann mit Atlee die Nachkriegs-Wahlen und diese Regierung stellte dann erstmal die Weichen für einen langen Zeitraum.
    Es wurde viel stärker staatlicher Kontrolle, Planung und den Gewerkschaften vertraut als in Adenauers Bundesrepublik. Großbritannien kannte noch bis in die 60er staatlich verordnete Preise bei Lebensmittel. Die Gewerkschaften waren noch mächtiger als in Frankreich. Dass man zunächst nicht der EWG und späteren EG beitrat, führte zu recht hohen Handelsbarrieren, zumal damals ja die allgemeinen Zölle noch nicht von zahlreichen GATT Runden auf unbedeutend geschleift worden sind. Auch Konservative Regierungen blieben dieser Richtung treu. Deshalb bedeutete ja Thatcher eine solche Revolution.
    Ich weiss noch aus der persönlichen Erinnerung, wie stark Großbritannien in die frühen 80er als kranker Mann Europas galt. Meine anglophile Mutter verfolgte das Geschehen dort recht intensiv. Ich hatte auch in der Unterstufe stark politisierte native Englisch-Lehrer auf beiden Polen des Spektrums. Aus liberaler Sicht galt das Land wirtschaftlich als semi-sozialistischer, iwf finanzierter failed state, in deren Städten sich Müllberge türmten, weil die Gewerkschaften die Macht übernommen hatten.

    • Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 12:49

      Ja, das ist korrekt. In die Periode fällt ja auch ein Großteil des Aufholprozesses des UK gegenüber dem Rest des Kontinents auf dem Gebiet, etwa mit dem NHS. Hätte ich einbauen sollen.

  • sol1 31. Oktober 2022, 12:12

    5) Ich habe mich mal kundig gemacht, wieso Wagenknecht in den INSA-Umfragen so viel besser abschneidet als etwa bei der Forschungsgruppe Wahlen (bei der Top Ten des ZDF-Politbarometers steht sie auf dem neunten Platz).

    Die BILD ist zwar hinter der Paywall, aber als INSA das Ranking noch für den Focus ermittelte, lautete die Frage „Inwiefern vertreten die folgenden Politikerinnen und Politiker Ihre Interessen?“:

    https://www.focus.de/politik/ranking/focus-ranking-rangliste-der-deutschen-politiker-spahn-im-freien-fall_id_13132331.html

    Das Politbarometer fragt stattdessen „Was halten Sie von…?“ Es liegt auf der Hand, daß populistische Politiker, erst recht wenn sie in der Opposition sind, mit der INSA-Frage weitaus besser abschneiden (auch Söder belegt beim Politbarometer nur den sechsten Platz), während Regierungspolitiker, die Krisen bewältigen müssen, benachteiligt sind.

  • sol1 31. Oktober 2022, 12:15

    8) Das muß ich mir in Ruhe durchlesen. Hier der Hinweis, daß Wildt mit Susan Neiman gerade einen Sammelband heruasgegeben hat, zu dem die beiden hier interviewt werden:

    https://www.spiegel.de/geschichte/historikerstreit-2-0-niemand-will-in-dieser-debatte-den-holocaust-einebnen-a-4d90bafa-2b65-470d-9e08-381943a617f1

    • Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 12:50

      Hab leider keinen Zugang zu Spiegel+.

      • sol1 31. Oktober 2022, 17:30

        Ich habe auch erst Zugang seit meiner Installierung von BypassPaywalls Clean, das einen zu dieser archivierten Version führt:

        https://archive.ph/KUQXB

        • Thorsten Haupts 1. November 2022, 10:32

          Yup, es geht also um die Einordnung des Holocaust in den enorm ausgeweiteten „Kolonialismus“-Diskurs der Antikolonialisten aus vorrangig politischen Gründen, der die „Singularität“ im Wege steht. Danke für die Bestätigung.

  • Erwin Gabriel 31. Oktober 2022, 14:39

    1) Kein „bok“ auf Faust I

    … ist meine Antwort auf diese Thematik mehr Freiheit. Freiheit für die Schulen, mindestens, aber eigentlich sogar Freiheit für die Lehrkräfte, diese Entscheidungen selbst zu treffen. Und diese sollten dann die Schüler*innen aktiv mit einbeziehen.

    Ich hatte als Jugendlicher auch „kein bok“ auf Theaterstücke etwa von Schiller, weil sich mir beim Lesen („A sagt: …“, „B sagt: …“) die Geschichte nicht erschlossen hat. Faust mochte ich nicht – zu gedankenschwer, aber den Werther habe ich verschlungen. Wir hatten einen „progressiven“ Deutschlehrer, der – 1973 ! – die Kalendergeschichten von Brecht auf dem Plan hatte; fand ich gut.

    Andererseits bin ich (aus, sagen wir mal, Menschenkenntnis) kein großer Fan Deines Vorschlags. Der engagierte Lehrer mag hier zusätzliche Möglichkeiten bekommen, andere könnten sich das Leben leicht machen. Und Schüler:innen zu fragen, was sie lernen wollen …? Ich weiß nicht so recht. Mir wäre damals nicht viel eingefallen, was mich schlauer gemacht hätte, und obwohl ich das Auswendiglernen von Gedichten (wie auch von Vokabeln) hasste, hat es doch mein Gedächtnis trainiert.

    • Ariane 31. Oktober 2022, 15:09

      So unterschiedlich ist das, ich fand Faust richtig gut und Wahlverwandtschaften auch und hab Werther gehasst wie die Pest 😉

      Grundsätzlich bin ich schon dafür, den ganzen Kram viel freier zu handhaben, obwohl das vermutlich in Deutschland schwer durchsetzbar ist. Entrümpeln wäre ja auch schon ein Fortschritt.

      Der engagierte Lehrer mag hier zusätzliche Möglichkeiten bekommen, andere könnten sich das Leben leicht machen. Und Schüler:innen zu fragen, was sie lernen wollen …?

      Ich wäre nicht dagegen, die Frage ist, wieviel es bringt. Wir hatten im Deutsch-LK später auch noch mehr Freiheiten und da kam ziemliche Grütze raus, dann lieber sämtliche Goethe-Werke.
      Was ich eher unterstützen würde, wäre, sich von den Nationalitäten zu lösen und auf Literatur im Allgemeinen zu setzen, so dass zb auch Shakespeare, Hugo oder Voltaire mit bei Deutsch reinkönnten. Da geht es ja eh hauptsächlich ums Interpretieren und das kann man bei Shakespeare genausogut und wäre vermutlich auch ein Gewinn für diejenigen, die bestimmte Sprachen nicht lang genug haben.

      • Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 15:34

        Voll dafür!

      • Erwin Gabriel 31. Oktober 2022, 17:09

        @ Ariane 31. Oktober 2022, 15:09

        Wir hatten im Deutsch-LK später auch noch mehr Freiheiten und da kam ziemliche Grütze raus, …

        Genau meine Befürchtung

        Was ich eher unterstützen würde, wäre, sich von den Nationalitäten zu lösen und auf Literatur im Allgemeinen zu setzen, so dass zb auch Shakespeare, Hugo oder Voltaire mit bei Deutsch reinkönnten. Da geht es ja eh hauptsächlich ums Interpretieren und das kann man bei Shakespeare genauso gut und wäre vermutlich auch ein Gewinn für diejenigen, die bestimmte Sprachen nicht lang genug haben.

        Guter Punkt, den ich gerne unterstütze. Auf die Idee bin ich selbst noch nicht gekommen. Wenn man aus einem vorgegebenen Angebot an Büchern die Schüler:innen wählen lässt – vielleicht sogar mit grundsätzlichem eigenem Vorschlagsrecht nach bestimmten Kriterien – hätte ich das wohl auch gut gefunden.

    • Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 15:30

      Die Schüler*innen zu beteiligen heißt ja nicht völlige Beliebigkeit. Aber was spricht denn dagegen, dass statt „Woyzeck“ einfach „ein Drama“ auf dem Bildungsplan steht?

  • Erwin Gabriel 31. Oktober 2022, 14:44

    2) Der Albtraum aller Arbeitgeber

    Es ist eine verkleidetete Wiederkehr der ewig gleichen Narrative: die Leute (immer andere, nie man selbst) wollen nicht mehr „richtig“ arbeiten, es gibt eine Hinwendung zu Werten wie Selbsterfüllung und Freizeit, und so weiter. Dran war zumindest in den USA nichts. Es ist effektiv Kaffeesatzleserei ohnehin dubioser Statistiken.

    Zur Kaffeesatzleserei von Statistiken kann ich nicht viel sagen, aber zu dem, was auf dem Arbeitsmarkt passiert, schon. Natürlich findet ein Wandel statt – wie nicht? Ich schone mich mehr, als sich mein Vater schonte, meine Töchter schonen sich mehr, als ich mich schon(t)e.

    Das Problem liegt aber nicht dort. Das Problem ist, dass derzeit auf 2,5 Personen, die in den Ruhestand gehen, maximal 1,5 nachrücken (Geburtenquote meiner Generation zu ca. 2000). Von denen ist der Anteil derer, die in einen Beruf gehen, etwas kleiner, der Berufseintritt erfolgt später, und die eingeschlagenen Berufswege orientieren sich weniger am Bedarf, der sich auch noch stark geändert hat.

    Ausbildungsseitig sieht es so aus, dass den 324 anerkannten Ausbildungsberufen über 20.000 unterschiedliche Studiengänge gegenüberstehen. Da hat sich schon ein Ungleichgewicht herausgebildet.

    Ein weiterer Punkt ist, dass viele der neuen Jobs nicht direkt produktiv sind (Social Media etc.), so dass der Anteil derjenigen, die hier alles am Laufen halten, noch geringer wird. Auf dem Bau, wo vieles noch arbeits- und arbeitszeitmäßig wie früher“ läuft, leiden 2/3 aller Unternehmen an Arbeitsmangel. Das betrifft nicht nur Architekt:innen, Planer:innen und Bauingenieur:innen, sondern alle Bereiche (vom Schaufel schwingen bis zum Führen von Baumaschinen, Verwaltung, Planung, Software etc.).

    Wir selbst haben über ein halbes Jahr vergeblich nach einer Besetzung für eine Assistenz- bzw. Bürostelle (Teilzeit) gesucht – ideal für Mütter mit Kindern in der Schule. Es scheiterte nicht am Geld, es hat sich schlichtweg niemand beworben. Wir brauchen insgesamt 4 IT-Fachkräfte, und kommen nicht über zwei, weil die aufgrund von „zu viel Arbeit“ meist nach anderthalb Jahren wieder weg sind, in der Regel in besser bezahlte Jobs in einer Stadt, in der abends mehr los ist als bei uns in Gütersloh.

    Ein Freund von mir hat eine IT-Firma (Aufsetzen von Online-Shops), der jetzt den zweiten Bewerber hatte, der für 30 Wochenstunden Arbeitszeit im Home Office ein Gehalt von 80.000 Euro p.A. plus Dienstwagen forderte. Doch, es verändert sich was an der Einstellung.

    Dennoch ist das Hauptproblem, dass es zu wenig Menschen gibt, die in die Ausbildungen und Studiengänge gehen, die von unserer Wirtschaft benötigt werden. Hier brauchen wir eine (hab ich hier schon vor Jahren geschrieben) eine Zuwanderung in den Arbeitskräftemarkt von (grob geschätzt) 400.000 bis 600.000 Menschen. Kontraproduktiv – hab ich auch schon vor Jahren geschrieben – ist, diejenigen hier aufzunehmen, denen es in erster Linie auf eine staatliche Versorgung ankommt, weil auch die (von den Kosten einmal abgesehen) betreut werden müssen von Menschen, die auch anderswo dringend gebraucht werden.

    • Ariane 31. Oktober 2022, 15:22

      Natürlich findet ein Wandel statt – wie nicht? Ich schone mich mehr, als sich mein Vater schonte, meine Töchter schonen sich mehr, als ich mich schon(t)e.

      Das halte ich generell für eine gute Entwicklung (und hasse die Jammerartikel a la „die Generation xyz ist so verweichlicht“) Vielleicht war früher halt doch nicht alles so toll.

      Aber ja, es fehlt insgesamt an Menschen. Das sind ja eben nicht nur die krassen Fachkräfte, sondern wirklich alles. Wüsste nicht mal, obs aktuell irgendwas gibt, wo es ein Übermaß an BewerberInnen gibt. (was mit Medien – vielleicht^^)
      Unser kleiner Supermarkt an der Ecke hat zb gerade extrem die Öffnungszeiten gekürzt, weil die einfach kein Personal mehr haben und da gabs jetzt – glaub von ALDI Nord – auch so eine Initiative, da wurde zwar Energiesparen als Grund angegeben, aber da vermute ich auch eher Personalsorgen dahinter.

      der für 30 Wochenstunden Arbeitszeit im Home Office ein Gehalt von 80.000 Euro p.A. plus Dienstwagen forderte. Doch, es verändert sich was an der Einstellung.

      Das ist aber auch simple Angebot/Nachfrage. Viele sind jetzt halt in der Position, andere Bedingungen, Löhne, Boni etc zu fordern als früher.

      Ich bin übrigens der Meinung, dass bessere Arbeitsbedingungen oft sogar wichtiger sind als die Kohle, auch oder gerade im öffentlichen Dienst, da kann Stefan bestimmt ein Lied von singen. Gab ja auch bei einem Handwerksbetrieb neulich mal die Meldung, dass jemand eine 4-Tage-Woche (aus der Not heraus) angeboten hatte und plötzlich mit Bewerbungen überflutet wurde.

      Die Verhältnisse scheinen sich da tatsächlich umzukehren, plötzlich ist es die Arbeitgeberseite, die mehr Flexibilität und Lernbereitschaft zeigen muss, sprich das was jahrelang über ArbeitnehmerInnen gesagt wurde.

      Das ist im Grundsatz nicht verkehrt und beendet auch so Merkwürdigkeiten wie Ketten-Leihverträge und endlose Befristungen deutlich fixer als die Politik das schafft.

      • Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 15:35

        Finde ich einen superwichtigen Punkt. Die Arbeitgeber müssen jetzt genau die Flexibilität beweisen, die sie bisher immer nur bei anderen angemahnt haben. Und die Marktprozesse wirken halt auch in beide Richtungen. Aber das findet man halt immer besser, wenn es die andere Seite trifft…

        • Stefan Pietsch 31. Oktober 2022, 16:42

          Geht eher in Richtung Grundkurs: „Wie funktioniert ein Markt?“.

          In einem Markt werden Angebot (Arbeitskräfte) und Nachfrage (Arbeitgeber) zusammengebracht. D.h., dass die Verhandlungsprozesse so lange laufen, bis die Nachfrage nach Arbeit nur noch so groß ist wie das Angebot an Arbeit.

          Darin ist alles enthalten: Arbeitskonditionen, Lohn, Arbeitszeit. Das ist ein nüchterner Prozess und kein mit linkem Moralismus geführter. Das geht einem echt auf den Zeiger.

          • Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 19:04

            lol, ja ist klar.

            • Stefan Pietsch 31. Oktober 2022, 21:10

              Mein Eindruck ist: Dein Wissen über den Sinn von Markt wie seinen Funktionsweisen ist ausbaufähig.

            • Erwin Gabriel 2. November 2022, 10:08

              @ Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 19:04

              lol, ja ist klar.

              Ja, lol, das sollte wirklich klar sein. Wo hakst Du da?

              Stell Dir vor, Lehrer werden nicht nach ihren Lehrmethoden beurteilt, sondern danach, was ihre Schüler:innen später verdienen. Mag für Dich abstrus klingen, aber das wäre die Art von Herausforderung, denen sich Unternehmen stellen müssen.

              Nix für ungut, Du bist mir da schon etwas idealistisch und viel zu selten praxisorientiert unterwegs.

              • Stefan Sasse 2. November 2022, 12:25

                Mein Lachen bezog sich auf die angeblich nüchterne, rationale Art. Da seid ihr viel zu idealistisch und zu selten praxisorientiert unterwegs.

                • Erwin Gabriel 2. November 2022, 12:56

                  @ Stefan Sasse 2. November 2022, 12:25

                  Mein Lachen bezog sich auf die angeblich nüchterne, rationale Art. Da seid ihr viel zu idealistisch und zu selten praxisorientiert unterwegs.

                  Da fehlt mir ein wenig der Bezug. Natürlich ist überall dort ein Schuss Irrationalität dabei, wo es um Menschen geht, und auch in der Unternehmensführung arbeiten Menschen.

                  Aber ja, das angestrebte Ziel ist, Geschäftsprozesse rational zu gestalten. Die Behauptung des anderen Stefan zielt dahin, dass eben nicht nach Gusto und Idealismus Geschäfte betrieben werden können. Selbst wenn sich ein Unternehmer beispielsweise um das Thema erneuerbare Energie oder Klimawandel kümmert, muss er immer noch Gesetze einhalten, Steuern zahlen, Gewinne erwirtschaften.

                  Und nochmal: Der Arbeitnehmer darf gerne mehr Lohn fordern wird wird dabei von weiteren Seiten unterstützt. Der Arbeitgeber darf nicht weniger Lohn fordern, und wird von weiteren Seiten bekämpft.

                  Es gibt gerade in unserem Land extrem viele Regeln, die unternehmerisches Handeln einschränken. Und unabhängig davon, ob der eine oder andere Unternehmer nun ein Arschloch ist oder nicht, sind ihm auch in Richtung „Flexibilität“ durchaus Grenzen gesetzt (Es sei denn, Du interpretierst das Thema nach linker Lesart, also über Geld).

                  Falls Du Deine Bemerkung auf mich bezogen haben solltest, weise mich gerne darauf hin, wenn ich irrational argumentiere. Ich bestätige Dir gerne, dass Du da der größere Fachmann bist als ich 🙂

                  • Stefan Sasse 2. November 2022, 15:07

                    Arbeitgeber fordern oft genug weniger Lohn, und sie finden Unterstützung in diversen Medien und von diversen politischen Akteuren. Spar die Krokodilstränen. Mal davon abgesehen, dass Arbeitgeber WESENTLICH mächtiger sind als Arbeitnehmer.

                    • Erwin Gabriel 2. November 2022, 17:50

                      @ Stefan Sasse 2. November 2022, 15:07

                      Arbeitgeber fordern oft genug weniger Lohn, …

                      Fordern kann man viel. Wann hat es hier den schon mal Lohnsenkungen gegeben?

                      Spar die Krokodilstränen.

                      Was soll das?

                      Mal davon abgesehen, dass Arbeitgeber WESENTLICH mächtiger sind als Arbeitnehmer.

                      Etwa bei „ein VW-Vorstand gegen einen VW-Arbeiter“ mag das stimmen. Bei „VW-Vorstand gegen VW-Belegschaft / VW-Betriebsrat“ nicht.

                    • Stefan Sasse 2. November 2022, 23:33

                      Ich weiß, auf wen ich mein Geld setzen würde, wenn es zum impasse kommt.

                    • Erwin Gabriel 3. November 2022, 01:21

                      @ Stefan Sasse

                      Und wieder mal gehst Du nicht auf das ein, was ich sage.

                    • Sebastian 3. November 2022, 09:48

                      Das gibt es wohl wirklich, dass Unternehmen Löhne senken: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4059303

                      Dürfte es in Deutschland z.B. bei Sanierungen auch geben. Da handeln dann beide Seiten aus, ob es evtl. Entlassungen geben muss, oder sich das (tw.) durch Lohnkürzungen abwenden ließe. Aber ja, das ist auch eher wieder eine Eigenheit des sozialen Rechtsstaats Deutschland. Andererseits sind Unternehmen dadurch auch incentiviert, in technologische Steigerung der Produktivität zu investieren, anstatt sich beim Drücken der Arbeitskosten auf ein „race to the bottom“ einzulassen, um profitabler zu werden.

                      Wenn Arbeitnehmer hohe Lohnforderungen stellen und/oder nette Perks fordern, ist das ja auch einfach nur Kalkül für das Unternehmen: Entweder rechnet es sich für das Unternehmen, dann kommt man zusammen, oder eben nicht, und beide Parteien müssen dann halt schauen, dass sie Ihre Ansprüche anderweitig erfüllt bekommen, oder auf Sicht diese anpassen.

                    • Erwin Gabriel 3. November 2022, 15:13

                      @ Sebastian 3. November 2022, 09:48

                      Das gibt es wohl wirklich, dass Unternehmen Löhne senken: …

                      In Konkurssituationen kaspern Unternehmensleitung bzw. Konkursverwalter dann etwas mit Beleg- und Gewerkschaften aus.

                      Aber das ist hier nicht gemeint. Anders, als es beispielsweise branchen- bzw. unternehmensweite Streiks gibt, um Lohnerhöhungen durchzusetzen, gibt es keine vergleichbaren Aussperrungen etc.

                      Es gibt auch keine Eingriffe des Gesetzgebers etwa in die Richtung, Löhne nach oben zu deckeln; in solchen Fällen verweist der Bund gerne auf die Tarifautonomie. Andersherum mischt er sich aber auf Seiten der Arbeitnehmer ein, um etwa einen Mindestlohn festzulegen bzw. zu erhöhen.

        • Erwin Gabriel 2. November 2022, 10:01

          @ Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 15:35

          Die Arbeitgeber müssen jetzt genau die Flexibilität beweisen, die sie bisher immer nur bei anderen angemahnt haben.

          Au weia. Da will ein zukünftiger Bauleiter nicht auf die Baustelle, also kommt die Baustelle zu ihm?

          Grundsätzlich ist es doch so, dass der Arbeitgeber Arbeit vergibt, um Produkte oder Dienstleistungen anzubieten, die sich nach Kundenwünschen richten. Überspitzt formuliert am Beispiel Supermarkt: Menschen wollen z.B. gerne bis in die tiefe Nacht einkaufen, aber nicht bis in die tiefe Nacht arbeiten – merkste was?

          Da, wo Flexibilität angebracht ist, kriegst Du sie auch, zuletzt gesehen in Richtung Home Office. Das allerdings kein Home Office ist, sondern mobiles Arbeiten. Im offiziellen Home Office muss das heimische Büro die gleichen Unfallverhütungs- und Sicherheitsvorschriften erfüllen wie im Firmenbüro, und die Geschäftsleitung ist dafür verantwortlich; dafür ist der Arbeitnehmer auch vergleichbar geschützt etwa im Falle eines Unfalls. Die jetzt angewandte Lösung lagert die Verantwortung und das Risiko auf die Arbeitnehmer aus – auch blöd, gell?

          Sorry, wenn ich Dir hier jetzt ein bisschen von oben komme, aber der weitaus größte Teil der Arbeitsumstände wird von der Art der Aufgabe, vom Gesetzgeber und von den Kundenwünschen bestimmt, und nicht von Domestizierungswünschen arroganter Unternehmer. Das zu managen, ist (wenn man es halbwegs gut macht) keine leichte Aufgabe; jedenfalls deutlich weniger leicht, als von außen Plattitüden hineinzurufen.

          • Stefan Sasse 2. November 2022, 12:25

            Ja, das ist ziemlich von oben herab, weil Plattitüden gegenüber der verweichlichen aktuellen Gesellschaft ja nicht unbedingt fremd sind.

            • Erwin Gabriel 2. November 2022, 12:59

              @ Stefan Sasse 2. November 2022, 12:25

              Ja, das ist ziemlich von oben herab, weil Plattitüden gegenüber der verweichlichen aktuellen Gesellschaft ja nicht unbedingt fremd sind.

              Hier fehlt mir einmal mehr der Bezug Deiner Aussage.

              Ansonsten, falls es Dich tröstet, betrachte auch ich mich als verweichlicht im vergleich zu meiner Eltern-Generation.

              • Stefan Sasse 2. November 2022, 15:07

                Nein, es tröstet mich nicht. Weil es am Problem der Konnotation nichts ändert. Erneut, das ist wie für dich mit meinem hassen.

                • Erwin Gabriel 2. November 2022, 17:55

                  Stefan Sasse 2. November 2022, 15:07

                  Nein, es tröstet mich nicht. Weil es am Problem der Konnotation nichts ändert. Erneut, das ist wie für dich mit meinem hassen.

                  Dann gib mir ein anderes Wort …

                  • Stefan Sasse 2. November 2022, 23:33

                    „haben es leichter“?

                    • Erwin Gabriel 3. November 2022, 01:19

                      @ Stefan Sasse 2. November 2022, 23:33

                      „haben es leichter“?

                      Das bezieht sich nicht auf die Menschen, sondern auf die Situation. Das ist, als wenn ich Dir als Alternative zum „hassen“ den Begriff „haben berechtigten Grund zur Beschwerde“ anbieten würde.

                      Ich rede davon, was es mit Menschen macht, wenn sie es in großem Stil „leichter“ haben und „schwerer“ weder kennen noch begreifen wollen.

                      Ich habe überhaupt kein Problem damit, dass es jemand gut hat, dass er es leicht hat. Mir liegt nur am Herzen, dass er diese Situation versteht, dass ihm bewusst ist, WIE GUT es uns allen geht, statt damit zu hadern, dass es nicht noch leichter ist.

                      Ich will niemanden fertigmachen, dissen, beleidigen, aber ich sehe, was ich sehe, und Du siehst es offenbar nicht.

                      Ich denke, wir können hier aufhören. Das bringt nichts.

          • Richtigstellung 7. November 2022, 13:18

            Nur mal so als Denkanstoß: Warum heißt eigentlich der Geldgeber gleichzeitig Arbeitgeber und nicht derjenige der die Arbeit leistet? 😉

            Außerdem beweinst Du ja weiter oben gerne die unverschämten Arbeitgeber, die auch monetär zuviel fordern würden, dazu bitte ein Blick auf die Entwicklung der Lohnquote oder der Einkommensentwicklung generell. Oder der Vermögensentwicklung. Ich glaube nicht, dass man da von gerechten Verhältnissen sprechen kann, im Besten Fall kann man sagen, dass es nicht allzu sehr verschlechtert hat für die normalen Menschen, also die Arbeitgeber, im Vergleich zum Kapital und seinen Luxussklaven.

      • Erwin Gabriel 31. Oktober 2022, 20:57

        @ Ariane 31. Oktober 2022, 15:22

        Das halte ich generell für eine gute Entwicklung (und hasse die Jammerartikel a la „die Generation xyz ist so verweichlicht“). Vielleicht war früher halt doch nicht alles so toll.

        Nein, früher war nicht alles besser, längst nicht; und ja, ein Gutteil der heutigen Generation ist verweichlicht im Vergleich zu ihren Eltern (ich auch im Vergleich zu meinen). Meine Mutter bekam mit dem vierten Baby (alle im Abstand von einem Jahr; man war katholisch) eine Waschmaschine – davor wurden die Windeln von Hand ausgekocht. War damals normal, ist es heute nicht mehr.

        Aber ja, es fehlt insgesamt an Menschen. Das sind ja eben nicht nur die krassen Fachkräfte, sondern wirklich alles.

        Absolut richtig. Die Handwerker schimpfen, dass die Jugend ins Studium geschickt wird, aber bei vielen studierten Berufen fehlen ebenfalls Fachkräfte.

        Das ist aber auch simple Angebot/Nachfrage. Viele sind jetzt halt in der Position, andere Bedingungen, Löhne, Boni etc zu fordern als früher.

        So sehr ich Dir im Grundsatz zustimme, geht es hier um Abweichungen von über 100 % zu dem, was vielleicht vier Jahre vorher üblich war.
        Und wenn Stefan Pietsch hier vorrechnet, wie sich das in unteren Gehaltsgruppen verhält, wird hier lautstark geschimpft, und die Regierung erhöht den Mindestlohn. Wenn hier die Gaspreise steigen, ist das Geschrei nach Bundeshilfen groß (und Besitzer von Ölheizungen gehen leer aus), aber auch hier hätte „der Markt“ etwas anderes verlangt. Würde ich mit Mitarbeitern so umgehen, wäre ich als das allerletzte Arschloch verschrien, und ähnlich stufe ich auch solche Mitarbeiter ein.

        Ich bin übrigens der Meinung, dass bessere Arbeitsbedingungen oft sogar wichtiger sind als die Kohle, …

        Unterschreibe ich aus eigener Erfahrung. Gehalt halbiert, + nette Kollegen würde ich nicht zurücktauschen.

        Gab ja auch bei einem Handwerksbetrieb neulich mal die Meldung, dass jemand eine 4-Tage-Woche (aus der Not heraus) angeboten hatte und plötzlich mit Bewerbungen überflutet wurde.

        Das ist ja die These, dass man es sich lieber bequem macht.

        Wobei die Kunden dieses Handwerkers kein Verständnis haben, wenn er nicht sofort springt, weil er nicht sofort springen kann. Das habe ich ja schon sehr oft bemängelt, dass sich die Ansprüche an den Arbeitgeber nicht mit den Ansprüchen an Dienstleister decken.

        Die Verhältnisse scheinen sich da tatsächlich umzukehren, plötzlich ist es die Arbeitgeberseite, die mehr Flexibilität und Lernbereitschaft zeigen muss, sprich das was jahrelang über ArbeitnehmerInnen gesagt wurde.

        Das ist im Grundsatz nicht verkehrt und beendet auch so Merkwürdigkeiten wie Ketten-Leihverträge und endlose Befristungen deutlich fixer als die Politik das schafft.

        • Stefan Sasse 1. November 2022, 10:40

          Ich wehre mich etwas gegen den Begriff „verweichlicht“, weil der so eine Wertung enthält. Windeln von Hand waschen produziert ja keine besseren Menschen, nur erschöpftere.

          Grundsätzlich sollten bessere Arbeitsbedingungen wichtiger sein als Geld, ja, aber ich erwische mich selbst immer dabei, dass Prioritäten 1, 2 und 3 beim Geld liegen…ziemlich dumm von mir, aber irgendwie Instinkt.

          • Ariane 1. November 2022, 12:25

            Zustimmung zum Wort „verweichlicht“. Das impliziert immer, dass Windeln von Hand kochen (oder auch gern genommen: 20km zu Fuß und barfuß zur Schule gelaufen!) irgendwie den Charakter stärkt. Und das bezweifle ich ganz massiv!

            Das ist keine Verweichlichung, sondern Fortschritt. Oder wirtschaftlich formuliert sogar Effizienz!

            Grundsätzlich sollten bessere Arbeitsbedingungen wichtiger sein als Geld, ja, aber ich erwische mich selbst immer dabei, dass Prioritäten 1, 2 und 3 beim Geld liegen

            Das Problem ist halt, dass Arbeitsbedingungen deutlich schwammiger ist als die Kohle (und das weiß man schon vorher, Arbeitsbedingungen ist oft etwas, was man selbst erleben muss, wie eben zb ein gutes Team) Soft Skills und so, wenn wir in der neoliberalen Wirtschaftsformulierung bleiben 😛

            Da hilft natürlich, dass die jetzige Situation auch schnellere Wechsel ermöglicht. Klar kann man Arbeitnehmende bequem nennen, die hohe Forderungen stellen, aber es geht eben. Ich erinnere nochmal an die umgedrehte Situation, bei denen Firmen gerne 25jährige mit Berufserfahrung wünschen, die dann über drei Leiharbeitsfirmen mit Befristung für Mindestlohn arbeiten.

            Wie Stefan sagt: wenn es die eigene Seite betrifft, ist immer was Anderes. Und für bestimmte Firmen ist mein Mitleid da arg begrenzt.
            Aber andererseits (das meinte ich mit Flexibilität) erlebe ich auch viele Firmen, die sich mühen, ihre Mitarbeiter auch zu halten und denen entgegenkommen, das kann gerade für kleinere Betriebe auch eine Chance sein.

            • Erwin Gabriel 1. November 2022, 17:24

              @ Ariane 1. November 2022, 12:25

              Das impliziert immer, dass Windeln von Hand kochen (oder auch gern genommen: 20km zu Fuß und barfuß zur Schule gelaufen!) irgendwie den Charakter stärkt. Und das bezweifle ich ganz massiv!

              Du scheinst den Begriff nicht zu mögen, egal, was er (mir) bedeuten mag. Ja, ich bin der Meinung, dass das Bestehen von Herausforderungen den „Charakter stärkt“. Hab nie behauptet, dass das bedeutet, ein besserer Mensch zu sein.

              Das ist keine Verweichlichung, sondern Fortschritt.

              Beides; ich sehe da keinen Widerspruch.

              Oder wirtschaftlich formuliert sogar Effizienz!

              Nun ja, früher musste ich, um meine Freunde zu besuchen, vier Kilometer in den nächsten Ort laufen. Heute würde man fahren. Das kann man auch Effizienz nennen. Oder Verschwendung. Wie man mag.

              Klar kann man Arbeitnehmende bequem nennen, die hohe Forderungen stellen, aber es geht eben.

              Vielleicht habe ich meinen Punkt nicht klar genug gemacht. Wenn ich z.B. auf meine Position schaue, die umsatzrelevant ist, muss meine Arbeit eben mindestens den Ertrag bringen, den ich an Gehalt möchte (natürlich zuzüglich der Kosten, die damit verbunden sind, etwa Arbeitgeber-Anteile an den Sozialkosten, Anteile an den Gemeinkosten des Unternehmens etc.). Natürlich kann man hier eine Team-Betrachtung anstellen: Einer baut ein Produkt, einer verkauft es, einer macht die Buchführung etc. Man sollte diesen Punkt verstanden haben, bevor man sich an Gehaltsforderungen macht. Anders als so viele andere Menschen glauben, kommt bei Unternehmern das Geld nicht aus der Wand, sondern muss verdient werden.

              Ein zweiter Punkt ist, dass viele Menschen inzwischen ziemlich egozentrisch unterwegs sind. Selbst idealerweise nur 30 Stunden arbeiten, aber die Läden sollen bis 22:00 Uhr offen haben, die Kneipen noch länger, und wenn der Wagen oder die Toilette zickt, sollen die anderen Gewehr bei Fuß stehen, um zu reparieren – und zwar bitte möglichst günstig.

              Bei so vielen (ja: jüngeren!!!) Menschen, die ich kenne, klafft zwischen der Anspruchshaltung an Chefs oder Dienstleister und an sich eine gewaltige Lücke.

              Ich erinnere nochmal an die umgedrehte Situation, bei denen Firmen gerne 25jährige mit Berufserfahrung wünschen, die dann über drei Leiharbeitsfirmen mit Befristung für Mindestlohn arbeiten.

              Da gibt es gesetzliche Schutzregeln, in die andere Richtung nicht. Wenn Du das eine Verhalten gutheißt, müsstest Du es auf der Arbeitgeberseite zumindest akzeptieren: Kein Mindestlohn, Löhne herunterfeilschen, bis der Arzt kommt, und bei Schwierigkeiten ruckzuck weg mit dem störenden Kostenfaktor.

              • Ariane 1. November 2022, 22:54

                Du scheinst den Begriff nicht zu mögen, egal, was er (mir) bedeuten mag. Ja, ich bin der Meinung, dass das Bestehen von Herausforderungen den „Charakter stärkt“

                Wir können ja auch einfach unterschiedliche Dinge darunter verstehen, was zu unterschiedlichen Implikationen führt. 😉
                Obwohl ich halt weiterhin bezweifle, dass Windeln kochen eine „Herausforderung“ ist, die zusätzlich noch charakterstärkend ist. Das muss man ja nostalgisch nicht zwingend verklären, ich betrachte mein Nichtvorhandensein einer Spülmaschine ja auch nicht als charakterstärkende Herausforderung, sondern als Malus, der mir eine ätzende und zeitraubende Tätigkeit aufzwingt, die auch noch zu schlechteren Ergebnissen führt.

                Ich hab ja den Grundsatz, dass der Mensch an sich immer gleich bleibt. Das ist wie mit Fähigkeiten, wie oft heißt es heute, die Jugend könne weniger, weil sie nicht mehr weiß, wie Socken gestopft werden oder im Kopf gerechnet wird oder ohne Navi irgendwohin gefunden. Da geht ja nicht die Masse verloren, sondern sie wird ersetzt, man kann einfach andere Dinge (wie ein Navi bedienen zb).
                Das Ganze funktioniert übrigens genauso umgekehrt, wenn ich bei meiner Mutter aufschlage und eine Liste für mich simpler Technikprobleme löse, frage ich mich auch, wie sie denn alleine zurechtkommt. Ganz schön bequem, darauf zu bauen, dass die Tochter sich damit auskennt oder Paypal und Amazon-Konten hat 😛

                Jede Generation für sich hat eigene Herausforderungen und weiß und kann das, was dafür gebraucht wird. An irgendwelche Degenerierungen glaube ich grundsätzlich nicht.

                • Stefan Sasse 2. November 2022, 09:22

                  Übrigens, als Seitenbemerkung: ich glaube, das „verweichlicht“ von Erwin triggert bei mir dasselbe wie mein „hassen“ bei Erwin. Und es ist spannend, dass er genauso reagiert wie ich – „Nein, ich benutze das anders, deswegen ist es ok“ :D: 😀 😀

                  • Erwin Gabriel 2. November 2022, 10:40

                    @ Stefan Sasse 2. November 2022, 09:22

                    … ich glaube, das „verweichlicht“ von Erwin triggert bei mir dasselbe wie mein „hassen“ bei Erwin.

                    Mag sein, dass Dich das Wort triggert. Gib mir ein anderes.

                    Und es ist spannend, dass er genauso reagiert wie ich – „Nein, ich benutze das anders, deswegen ist es ok“

                    Wie benutzt Du den Begriff „verweichlicht“?

                    Ansonsten scheinst Du nicht verstanden zu haben, was mich an Deiner (früheren) inflationären Verwendung des Wortes gestört hat.

                    Wenn Du „diese grünen Penner haben keine Ahnung von Wirtschaft“ als „Hass“ einstufst, wie nennst Du dann „ich bringe Dich um, weil Du Ausländer bist [PENG!]“?

                    Versiehst Du den einen Satz und die andere Handlung mit dem gleichen Etikett, sortierst Du sie auch in die gleiche Schublade.

                    • Stefan Sasse 2. November 2022, 12:27

                      Ich habe das verstanden. Deswegen versuche ich ja, auf den Begriff zu verzichten. Weil ich dich und deine Befindlichkeiten ernstnehme. Ich wünsche mir von dir dasselbe.

                    • Erwin Gabriel 2. November 2022, 13:10

                      @ Stefan Sasse 2. November 2022, 12:27

                      Ich habe das verstanden. Deswegen versuche ich ja, auf den Begriff zu verzichten. Weil ich dich und deine Befindlichkeiten ernstnehme. Ich wünsche mir von dir dasselbe.

                      Du hast es offenbar nicht verstanden.
                      Wenn Du bei bereits bei einer beleidigenden Plattitüde von „Hass“ schreibst, leugne ich nicht die beleidigende Plattitüde. Wie sehen das gleiche, mögen es auch gleich verurteilen. Aber Du benutzt einfach das falsche Wort. So wie man nicht jeden, der einem anderen eine Ohrfeige verpasst, stets Mörder nennen sollte. Dieses Aufbauschen ist das Problem, dass ich sehe, und käme das von rechts, würdest Du es verurteilen mit dem Argument, dass Worte Folgen haben.

                      Andersherum scheint mir Dein Problem nicht im Begriff bzw. im Wort „verweichlicht“ selbst zu liegen, sondern Du nimmst die Situation anders als ich war, bewertest sie anders. Das kann man halt schwer vergleichen.

                    • Stefan Sasse 2. November 2022, 15:08

                      Nein, du verstehst nicht, dass das keine objektive Sache ist. Du nimmst dein Verständnis dieser Worte und setzt es als Maß aller Dinge.

                    • Erwin Gabriel 3. November 2022, 10:34

                      @ Stefan Sasse 2. November 2022, 15:08

                      Nein, du verstehst nicht, dass das keine objektive Sache ist. Du nimmst dein Verständnis dieser Worte und setzt es als Maß aller Dinge.

                      Das stimmt einfach nicht. Ich bin mir der Objektivität bewusst, erläutere ausführlich, was ich damit meine und welche Situation ich beschreiben will, und habe angeboten, andere, von Dir vorgeschlagene Begriffe zu benutzen.

                      Dich triggert nicht mein Begriff, sondern meine Meinung. Aber dann ist eben jede Diskussion sinnlos.

                • Erwin Gabriel 2. November 2022, 17:33

                  @ Ariane 1. November 2022, 22:54

                  Wir können ja auch einfach unterschiedliche Dinge darunter verstehen, was zu unterschiedlichen Implikationen führt.

                  Scheint mir auch so, Beleg folgt hier:
                  Obwohl ich halt weiterhin bezweifle, dass Windeln kochen eine „Herausforderung“ ist, die zusätzlich noch charakterstärkend ist. Das muss man ja nostalgisch nicht zwingend verklären, …

                  Das verkläre ich keineswegs; bin froh, dass es uns erspart blieb. Ich sage nur, dass diese Belastung früher als Normalität wahr- bzw. angenommen wurde, und heute bereits bei deutlich kleineren Belastungen Beschwerden kommen.

                  … ich betrachte mein Nichtvorhandensein einer Spülmaschine ja auch nicht als charakterstärkende Herausforderung, sondern als Malus, der mir eine ätzende und zeitraubende Tätigkeit aufzwingt, die auch noch zu schlechteren Ergebnissen führt.

                  Ich habe in meiner Pendler-Wohnung auch keine Spülmaschine, und wasche mein Geschirr selbst ab. Mit dem Ergebnis, dass mein Geschirr sauberer ist, Messer und Pfannen länger halten, und ich noch nebenbei die Umwelt schone. Und was die Charakter-bildenden Eigenschaften des Abwaschens angeht, ist meine Frau (größer Experte, was meinen Charakter angeht) der Meinung, dass mir das überhaupt nicht schadet.

                  Ich hab ja den Grundsatz, dass der Mensch an sich immer gleich bleibt.

                  Ein Grundsatz, den ich teile. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die absolute Belastbarkeit von früheren Generationen mit heute vergleichbar ist, wie man an den Flüchtlingen aus Syrien oder der Ukraine sieht (es gibt vielleicht inzwischen ein paar physische Nachteile bei Leuten mit Schreibtisch-Berufen).

                  Es ist halt mein Eindruck, dass das größte Problem die Sicht aufs Leben bestimmt. Überspitzt formuliert: Wer im zerbombten Nachkriegsdeutschland gegen den Hunger kämpfen oder zur Wirtschaftswunderzeit Windeln kochen musste, schaut anders aufs Leben als jemand, dessen größtes Problem es ist, wenn sein Smartphone mal schlechten Empfang hat.

                  Jede Generation für sich hat eigene Herausforderungen und weiß und kann das, was dafür gebraucht wird. An irgendwelche Degenerierungen glaube ich grundsätzlich nicht.

                  Kein Widerspruch zu meinen Aussage, wenngleich mich die Einführung des Begriffs „Degenerierungen“ doch stört. das habe ich weder gemeint noch unterstellt.

                  • Thorsten Haupts 3. November 2022, 15:08

                    Wer im zerbombten Nachkriegsdeutschland gegen den Hunger kämpfen oder zur Wirtschaftswunderzeit Windeln kochen musste, schaut anders aufs Leben als jemand, dessen größtes Problem es ist, wenn sein Smartphone mal schlechten Empfang hat.

                    Yup, das ist mir bei der Beobachtung von Wokies auf twitter aufgefallen – die bescheinigen sich unironisch und ernsthaft eine posttraumatische Belastungsstörung, weil sie mal verbal hart angegangen wurden. Und praktisch jede Störung oder Herausforderung im Leben führt zu „Traumata“. Wäre irrsinnig komisch, wenn es nicht so traurig wäre – denn die (so mein Eindruck) meinen das wirklich.

                    Gruss,
                    Thorsten Haupts

                    • Stefan Sasse 3. November 2022, 18:01

                      Ist schon weird, wie hart die Leute, die sonst einen Text mit Genderstern kaum ohne Tränen Vergießen lesen können, da plötzlich werden.

                    • Thorsten Haupts 3. November 2022, 19:06

                      Habe ich – echt – nicht verstanden.

                    • Erwin Gabriel 4. November 2022, 09:41

                      @ Thorsten Haupts 3. November 2022, 19:06

                      Habe ich – echt – nicht verstanden.

                      Stefan hat Dich in die Schublade derer einsortiert, die posttraumatische Störungen bekommen, wenn Sie einen (mit Sternchen) gegenderten Text lesen müssen. 🙂

                    • Thorsten Haupts 4. November 2022, 12:34

                      Ah. Äh. ROFL.

          • Erwin Gabriel 1. November 2022, 12:47

            @ Stefan Sasse 1. November 2022, 10:40

            Ich wehre mich etwas gegen den Begriff „verweichlicht“, weil der so eine Wertung enthält.

            Warum? Es gibt Menschen, die schneller laufen, besser singen, mehr Gewicht heben oder Belastungen aushalten können. Und ja, der Durchschnitt der heute lebenden Menschen ist im Vergleich zum Durchschnitt der vor 60, 50 oder 40 Jahren lebenden Menschen verweichlicht. Hat viel damit zu tun, dass der Anteil der körperlichen Arbeit gesunken ist, dass es zu Hoch-Zeiten der Baby-Boomer oft mehr Arbeitskräfte als Jobs gab, dass heutige Technologie das Leben einfach stärker erleichtert etc.

            Wie immer gibt es Ausnahmen, die die Regel bestätigen 🙂

            Grundsätzlich sollten bessere Arbeitsbedingungen wichtiger sein als Geld, ja, aber ich erwische mich selbst immer dabei, dass Prioritäten 1, 2 und 3 beim Geld liegen…ziemlich dumm von mir, aber irgendwie Instinkt.

            Nachvollziehbar. Wer in einen neuen Job geht, kann die dortigen Arbeitsbedingungen deutlich schlechter abschätzen als das Gehalt.

            • Stefan Sasse 1. November 2022, 14:14

              Hat Ariane gut beantwortet.

              • Erwin Gabriel 1. November 2022, 17:27

                @ Stefan Sasse 1. November 2022, 14:14

                Hat Ariane gut beantwortet.

                Nicht gut genug … 🙂

                Charakter- und Willensstärke machen keinen besseren Menschen, aber in den meisten Fällen einen leistungsfähigeren (egal in welche Richtung). Ist ein beschreibendes Kriterium.

                • Richtigstellung 7. November 2022, 14:42

                  Klar, die ganzen traumatisierten Menschen durch Krieg und schwarze Pädagogik. Alles Willensgiganten und Charaktertitanen. Probleme schön unter den Teppich kehren und Zähne zusammenbeissen, denn Leistung ist wichtig.

                  Vielleicht auch einfach nur eine Coping-Strategie in beschisseneren Zeiten.

    • Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 15:32

      Ich widerspreche dir in der Problembeschreibung überhaupt nicht. Aber: ich würde beim Argument, dass ich mich mehr schone als mein Vater, nicht wirklich mitgehen wollen. Unsere Arbeit ist kaum vergleichbar (ich als erster Akademiker in der Familie und so), aber ich weiß, dass er am WE nicht arbeiten muss…

      • Erwin Gabriel 31. Oktober 2022, 20:43

        @ Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 15:32

        Aber: ich würde beim Argument, dass ich mich mehr schone als mein Vater, nicht wirklich mitgehen wollen. Unsere Arbeit ist kaum vergleichbar (ich als erster Akademiker in der Familie und so), aber ich weiß, dass er am WE nicht arbeiten muss …

        Ja, sind andere Zeiten, und viel hat sich von physisch an die Tastatur verlagert. Ich brauche mich von den Stunden her nicht hinter meinem Vater verstecken, aber als Bereichsleiter bei einem Baumaschinen-Hersteller mit 300 Mitarbeitern musste er auf eine andere Art seinen Mann stehen als ich. Im Vergleich habe ich dazu ein Schönwetter-Leben.

        War auch eher allgemein gemeint. Meine Vermutung ist, dass das größte Problem, das man kennt, das Problembewusstsein bestimmt. Und obwohl mein Vater gut verdiente, gab es bei uns Einschränkungen, denen meine Töchter nie gegenüberstanden. Kühlschrank stets voll, Wasser stets warm, Internet und Fernsehen for free – meine Töchter haben das eine oder andere an zu Hause erst nach dem Auszug schätzen gelernt. Große Krisen mit Massenentlassungen hat es bei uns lange nicht gegeben, und wo wir Schlange stehen mussten, werden meine Mädels hofiert. Natürlich verändert das die Einstellung, und einige ziehen daraus den Schluss, dass sie nicht richtig arbeiten müssen, um gutes Geld zu verdienen.

        • Kning4711 31. Oktober 2022, 22:57

          Ich glaube wir haben die physische Belastung getauscht gegen die mentale Belastung. Insbesondere im Büro bist Du heute viel höherem Zeitdruck und Informationsflut ausgesetzt, als noch vor knapp 25 Jahren. Die Arbeit kam drei mal am Tag mit der Hauspost und nicht Non-Stop per Email oder Teams.

          Was ich festgestellt habe ist ein Wandel hinsichtlich des Themas Vorleistung. Die Bereitschaft für Karriere und gutes Gehalt neben guter Leistung auch etwas Geduld mitzubringen ist deutlich zurück gegangen. Der Arbeitnehmer erhält Verlockungen (XING, Linkedin, lassen grüßen) und steht auf der Matte mit krassen Forderungen. Es fehlt häufig das unternehmerische Verständnis, dass ein gutes Gehalt auch erstmal verdient werden muss und eben nicht nur die eigene zugegeben knappe Ressource automatisch bedeutet mehr zu verdienen.

          Gute Arbeit gehört belohnt, aber die Gehaltsvorstellungen die ich heute von Anfang dreissigjährigen um die Ohren geknallt bekomme, da kann ich nur staunen. Zugegeben: ich habe insofern Verständnis, dass diese Leute ansonsten zu Lebzeiten nie wieder zu Eigentum gelangen können, wenn Sie nicht völlig in die Pampa ziehen wollen (ich spreche vom Großraum Köln), es ist schlicht nicht bezahlbar.

          Was die Berufseinsteiger angeht – da ist mein Wissen anekdotisch. Ich glaube Handwerksmeister schimpfen immer auf ihre Lehrlinge – aber was mir meine befreundeten Elektriker, Heizungsbauer, Schreiner oder Steuerberater erzählen, da kommt man schon ins Grübeln. Das können nicht nur die Arbeitsbedingungen sein. Ich bekomme häufig zu hören, dass junge Leute häufig nicht gut mit Kritik umgehen können bzw. es an Dingen wie Beharrlichkeit mangelt.

          Ich will aber kein Bashing der jungen Leute betreiben, da ich durchaus auch andere Beispiele kenne. Ich kann mit das nur so erklären, dass junge Menschen abgekoppelt werden vom Wert von Arbeit. Ich kenne wenige Eltern bei denen sich die Sprösslinge ab 13 oder 14 sich etwas dazuverdienen – nicht um zu Hause abgeben zu müssen, aber eben ihren Teil beitragen das tolle Handy, den schicken Gaming-Pc oder Konzerte zu bezahlen. Hinzu kommt ein Lifestyle-Vorbild, dass für viele nicht zu finanzieren ist, bzw. auf Pump. Dabei sind es häufig die Eltern, die ihre Kinder dort abschirmen. Umso tiefer ist dann der Fall, in die eigene finanzielle Freiheit, wenn es dann raus geht aus Hotel Mama…

          • Stefan Sasse 1. November 2022, 10:43

            Dir ist aber schon klar, dass 30jährigen heute geringere Gehälter haben als die heute 60jährigen als sie in dem Alter waren?

            • Stefan Pietsch 1. November 2022, 11:20

              Das ist eine – eher nicht korrekte – Behauptung.

            • Kning4711 1. November 2022, 11:58

              Woran machst Du das fest?

              Ich glaube es gibt massive Unterschiede betreffend des Anspruchsdenkens: vor 30 Jahren ist man nicht ständig auf Fernreise gegangen, musste den neuesten Technik-Schnick-Schnack haben und hat eben auch nicht so viel Wert auf teure Klamotten gelegt.

              Ich gebe Dir aber durchaus recht beim Punkt Einkommen, diese sind in den letzten Jahren moderat gewachsen, während die Kosten für Immobilien in den Ballungsräumen auf astronomische Werte geklettert sind. Auch mussten frühere Generationen in Punkto Rente nicht in dem Maße privat vorsorgen, wie wir es müssen. Dafür sind wir in Deutschland immer noch erschreckend hinterher, was den Vermögensaufbau am Kapitalmarkt angeht. Wir profitieren im internationalen Vergleich auch sehr günstigem Bildungssystem.

              Am Ende des Tages ist es doch immer der Vergleich. Du ziehst als junger Mensch von zu Hause aus. Deine Eltern sind in ihren 50er und sehr hoch in der Einkommenspyramide angekommen. du kannst doch nicht erwarten dort binnen 5 bis 10 Jahren gleichziehen zu können?

              • Stefan Sasse 1. November 2022, 14:12

                Ich sehe es in diversen Berufen, in denen es so etwas wie tartifliche Gehälter gibt. Ob in meinem eigenen oder bei anderen.

            • Thorsten Haupts 1. November 2022, 12:23

              Das ist vollkommener Unsinn.

            • Erwin Gabriel 1. November 2022, 13:01

              @ Stefan Sasse 1. November 2022, 10:43

              Dir ist aber schon klar, dass 30jährigen heute geringere Gehälter haben als die heute 60jährigen als sie in dem Alter waren?

              Hä?

              Meine Tochter, 35 Jahre alt, Bachelor-Abschluss, zweite Stelle, vier Jahre Berufserfahrung, 75.000 Euro p.A.; ihr Mann, 33 Jahre alt, Bachelor-Abschluss, immer noch im ersten Job nach dem Studium, vier Jahre Berufserfahrung, so um die 110.000 Euro im Jahr. Andere Tochter, 29 Jahre alt, im Logistik-Studium nach Lehre und zwei Jahren Job, verdient nebenbei bei einer Reederei und hat ein Angebot, sich fest einstellen zu lassen und die Bachelor-Arbeit im Rahmen ihrer Arbeitszeit zu verfassen – was heißt, dass sie nur die Hälfte der Zeit für die Firma arbeiten muss und für die andere Hälfte (=Bachelor-Arbeit) auf Unterstützung durch das Unternehmen rechnen kann; derzeit prügeln sich zwei Abteilungen um sie.

              Wenn Du Einsatz zeigst und Dich nicht dumm anstellst, hast Du viele Chancen. Tut halt nicht jeder. Ich habe noch nie jemanden so über „die Jugend von heute“ schimpfen hören wie meine beiden jüngsten Töchter, die mit Azubis und Mitkommilitonen im Alter von so um die 20 konfrontiert sind. Frech, arrogant, wenig leistungsbereit, nicht belastbar, egoistisch, an der Qualität der Arbeit nicht interessiert, lebensfremd – da bin ich mit meinen Kommentierungen außerordentlich tolerant und harmlos.

              Mein Gehalt in dem Alter lag bei 3.200 DM (verheiratet, 2 Kinder).

              • Stefan Sasse 1. November 2022, 14:14

                Über die „Jugend von heute“ zu schimpfen ist Lieblingsbeschäftigung aller Menschen seit ewig. Meine Schüler*innen schimpfen über „die Jugend von heute“ und sind 18 oder 19 Jahre alt!

                • Erwin Gabriel 1. November 2022, 17:33

                  @ Stefan Sasse 1. November 2022, 14:14

                  Über die „Jugend von heute“ zu schimpfen ist Lieblingsbeschäftigung aller Menschen seit ewig.

                  Oft zu recht, und Dir ist auch sicherlich klar, warum.

                  • Stefan Sasse 1. November 2022, 17:48

                    Klar, man fühlt sich selbst wesentlich besser und kann den Neid auf die Jugend ausdrücken, ohne ihn zuzugeben. Was fällt denen auch ein so verdammt gesund und unbeschwert zu sein!

                    • Erwin Gabriel 2. November 2022, 13:52

                      @ Stefan Sasse 1. November 2022, 17:48

                      Klar, man fühlt sich selbst wesentlich besser und kann den Neid auf die Jugend ausdrücken, ohne ihn zuzugeben. Was fällt denen auch ein so verdammt gesund und unbeschwert zu sein!

                      Sorry – so ein dummes Zeug, und das von einem Lehrer.

                      Was meinen Vater nervte, war, dass ich ihn, sein Leben und seine Denke in Frage stellte, und mich in der Regel nicht den (aus seiner Sicht) richtigen, sondern den (aus seiner und meiner Sicht) bequemeren Weg aussuchte.

                      Gilt für meine Frau und mich auf der einen Seite und meine Töchter auf der anderen Seite genauso. Das hat überhaupt nichts mit Neid zu tun.

                    • Stefan Sasse 2. November 2022, 15:09

                      Das ist ja die Unbeschwertheit. Kram hinterfragen ohne jede Ahnung und ohne jede Konsequenz. Ah, nochmal 20 sein und sich seiner und der Welt so sicher sein…

                    • Erwin Gabriel 3. November 2022, 01:32

                      @ Stefan Sasse 2. November 2022, 15:09

                      Kram hinterfragen ohne jede Ahnung und ohne jede Konsequenz. Ah, nochmal 20 sein und sich seiner und der Welt so sicher sein…

                      Wenn Du nochmal 20 sein möchtest – ich möchte das nicht. Wenigstens verstehe ich jetzt, dass Du offenbar neidisch auf die Jugend bist.

                    • Richtigstellung 7. November 2022, 16:10

                      „Was meinen Vater nervte, war, dass ich ihn, sein Leben und seine Denke in Frage stellte, und mich in der Regel nicht den (aus seiner Sicht) richtigen, sondern den (aus seiner und meiner Sicht) bequemeren Weg aussuchte.“

                      Zero self awareness.

          • Stefan Pietsch 1. November 2022, 10:56

            Erstmal: sehr weitgehende Zustimmung, was die Frage aufwirft, in welchem Bereich Sie arbeiten.

            Eine Frage der Anpassung. Wir können die Informationsflut, die auf uns einströmt, so nicht bewältigen. Schon vor 10 Jahren hatte ich CEOs, die ihre E-Mails nur einmal am Tag (abends) abgearbeitet haben. Inzwischen sind viele darauf gebrieft, nicht bei jedem Postempfang den Vorstand in CC zu setzen. Diese Neigung zur persönlichen Absicherung hat doch deutlich abgenommen – und damit das E-Mail-Aufkommen.

            Man kann mit Gehaltsforderungen auch überziehen. Wenn das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht mehr als fair und ausgeglichen angesehen wird, sucht man sich Alternativen. Und die jungen Leute werden sehr schnell merken, ob ihre Leistungen ihren Anforderungen entsprechen. Zu oft gibt es ein Mismatch.

            Meine Mitarbeiter mit osteuropäischen Wurzeln schauen schon ein Stück auf ihre deutschen Kollegen mit ihren Wohlstandsattitüden. Oder wie sagte mir mein einer Teamleiter? Typisch deutsch. Da hatte er recht.

            Mats Hummels wurde nach dem Spiel in Frankfurt nach den Erfolgsfaktoren befragt. Druck- und Stressresilienz. Er habe das sehr früh in seiner Karriere in München beigebracht bekommen. Und das Beispiel aus dem Leistungssport zeigt: den Biss zum Erfolg bekommt man nicht durch Helicopter-Eltern und Dauerstreicheleinheiten.

            • Kning4711 1. November 2022, 12:00

              Zu ihrer Frage:
              Ich arbeite in der IT-Organisation eines großen deutschen Handelskonzerns.

          • Erwin Gabriel 2. November 2022, 17:44

            @ Kning4711 31. Oktober 2022, 22:57

            Ich kann mit das nur so erklären, dass junge Menschen abgekoppelt werden vom Wert von Arbeit. Ich kenne wenige Eltern bei denen sich die Sprösslinge ab 13 oder 14 sich etwas dazuverdienen – nicht um zu Hause abgeben zu müssen, aber eben ihren Teil beitragen das tolle Handy, den schicken Gaming-Pc oder Konzerte zu bezahlen. Hinzu kommt ein Lifestyle-Vorbild, dass für viele nicht zu finanzieren ist, bzw. auf Pump. Dabei sind es häufig die Eltern, die ihre Kinder dort abschirmen. Umso tiefer ist dann der Fall, in die eigene finanzielle Freiheit, wenn es dann raus geht aus Hotel Mama…

            Das geht so in die Richtung, die ich meine.

            Auch meine Töchter sind vergleichsweise verwöhnt aufgewachsen, und haben weder Ferien noch Freizeiten genutzt, um etwas dazu zu verdienen. Warum auch? Alles, was sie wollten, war doch da – eigenes Zimmer, Internet, Fernsehen, Essen, Wäsche. Die Wunschzettel zu Weihnachten waren durchaus anspruchsvoll, und wo wir streikten, sprang Oma ein.

            Wie Du schreibst, war die Überraschung nach dem Auszug groß, und die Jüngste (27 Jahre alt) hatte in der Zwischenzeit angeboten, wieder nach Hause zu kommen, „damit Mama nicht so allein ist“ (und das Sparen für den nächsten Korea-Urlaub leichter fällt).

            Aber Mama hat sich gewehrt, denn zuhause wird diese junge Frau innerhalb von Minuten wieder zum verwöhnten, anspruchsvollen Teenager. 🙂

        • Stefan Sasse 1. November 2022, 10:34

          Ja, das hat sich definitiv verändert. Ich bin nur sehr vorsichtig, was diese angeblichen Trends anbelangt. Die sind praktisch nie empirisch unterfüttert und werden alle Nase lang als Nachrichtensau durch das Dorf gejagt. Ganz besonders das „die Jugend von heute will nicht mehr arbeiten“; Pessimist Archive hat letzthin Artikel aus der New York Times von Anfang des 20. Jahrhunderts ausgegraben, wonach „niemand mehr richtig arbeiten“ will und jetzt alles den Bach runter geht. Das ist eine extrem ausgelutschte Leier.

          • Ariane 1. November 2022, 12:37

            Erstmal Zustimmung zu „keiner will mehr arbeiten und alle verweichlicht“ -> das halte ich auch für Quark und behauptet jede Generation von der Nachfolgenden.

            wonach „niemand mehr richtig arbeiten“ will und jetzt alles den Bach runter geht. Das ist eine extrem ausgelutschte Leier.

            Absolut, man muss auch beachten, dass wir gerade Handwerksberufe munter mit Akademikern und dazu noch verschiedene Generationen zusammenwürfeln. Da hat sich schon enorm viel verändert, in allen Bereichen.

            Eine Generation vorher war es vollkommen normal, dass ein Vollgehalt (das vom Vater, weil Muttern zu Hause oder halbtags) ausgereicht hat, um sich mit Anfang 20 ein Haus zu bauen in vernünftiger Reichweite und der ziemlichen Sicherheit, denselben Job bis zur Rente zu machen.

            Das gilt heute in allen Bereichen meist nicht mehr, bin ja nicht so der Statistikfreak, aber ich denke alleine der Prozentsatz von „Wohnkosten“ ist krass höher als früher. Oder man wohnt sonstwo und hat dann Pendelkosten ohne Ende.

            • Thorsten Haupts 1. November 2022, 16:39

              Eine Generation vorher war es vollkommen normal, dass ein Vollgehalt (das vom Vater, weil Muttern zu Hause oder halbtags) ausgereicht hat, um sich mit Anfang 20 ein Haus zu bauen in vernünftiger Reichweite und der ziemlichen Sicherheit, denselben Job bis zur Rente zu machen.

              Die Diskussion hatte ich vor Jahren mal auf dem Weissgarnix-Blog anhand eines VW-Facharbeiterlohns. Es reichte bis vor ca. 5 (+/-) Jahren definitiv auch heute noch – allerdings zu den Lebensbedingungen von damals (nur als Beispiel – nach bzw. mit dem Hausbau war an echten Urlaub ausserhalb der eigenen 4 Wände, geschweige denn ins Ausland, gar nicht zu denken). Mit den heutigen Ansprüchen tatsächlich unmöglich und mit den Immobilienpreisexplosionen in Ballungsräumen dort sowieso.

              Alles andere ist eine Urban Legend bzw. eine beliebte Fehlwahrnehmung, weil man rückblickend alles an Einschränkungen ausblendet, die der Häuslebau nach sich zog.

              Das tägliche Leben einer Mittelschichtfamilie von 1975 sieht für Heutige wie Armut aus.

              Gruss,
              Thorsten Haupts

              • Erwin Gabriel 1. November 2022, 17:43

                Thorsten Haupts 1. November 2022, 16:39

                Das tägliche Leben einer Mittelschichtfamilie von 1975 sieht für Heutige wie Armut aus.

                Zustimmung. Gilt genauso für die Lebensumstände von Mittelschichtfamilien im europäischen Ausland. Da haben sich ein paar Maßstäbe enorm verschoben.

              • Stefan Sasse 1. November 2022, 17:47

                Das ist nicht falsch.

          • MN 2. November 2022, 12:54

            Ein kleiner Einschub.
            Woher er allerdings das Bild hat weiss ich leider nicht.

            https://bp.langweiledich.net/DCCXV/LangweileDich.net_Bilderparade_DCCXV_73.jpg

            • Stefan Sasse 2. November 2022, 15:04

              Danke!

            • Erwin Gabriel 2. November 2022, 17:47

              @ MN 2. November 2022, 12:54

              Ein kleiner Einschub.
              Woher er allerdings das Bild hat weiss ich leider nicht.

              Danke. Das ist der fehlende Beweis: Die Jugend (egal welche) ist faul und arbeitsscheu.

              QED 🙂

  • Ariane 31. Oktober 2022, 15:33

    4/9)

    Sehr guter Artikel.
    Ich habe das Gefühl, Woke-Wahnsinn ist einfach das neue linksgrünversifft. Das wird so entstellt, dass es nur noch als witzige Selbstbezeichnung taugt. Ist mir ganz recht, weil mir der Begriff der Wokeness schon immer zu religiös anmutete. Bin da konservativ und bleibe lieber bei linksgrünversiffte Gutmenschin^^

    Man sieht das auch gut bei Leuten wie Reichelt, der den Prozess mittlerweile hinter sich hat, und ich sehe etwa Anna Schneider und Ulf Poschardt auch stark von dieser Dynamik gefährdet. Oder man nehme Richard David Precht. Die machen alle ihre Kohle damit, grundsätzlich dagegen zu sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass man da irgendwann übertreibt, ist sehr hoch.

    Ich finde das ja zugleich anstrengend und faszinierend, dem als Beobachter beizuwohnen. Irgendwann ist der Hype dann vorbei und sie landen irgendwie wie bei den Nachdenkseiten und keiner bekommt es mehr mit. (zurecht)
    Ich denke, das nimmt auch noch eine andere Eigendynamik an, nämlich die Gefahr, sich darin zu verlieren und das alles furchtbar ernst zu nehmen. Bei Poschi kann ich mir zumindest noch vorstellen, dass er einfach gerne mit diesem Rebellen-Image spielt (was ich auch für gefährlich halte, aber zumindest unterstelle ich mal, dass irgendein Bezug für Realität noch da ist). Leute wie Precht meinen das ja vermutlich völlig ernst, in jeder Talkshow zu sitzen um zu erzählen, dass man ja nix mehr sagen darf!

  • Ariane 31. Oktober 2022, 15:46

    0)

    Oje, jetzt habe ich den verrückten NZZ-Artikel gelesen und bin doch eh schon leicht traumatisiert, weil ich gerade durch Andor und Mandodings irgendwie den Star Wars-Mythos nachhole (obwohl ich mehr und mehr zur Erkenntnis komme, dass man ohne Vorwissen vielleicht sogar mehr Spaß daran hat^^)

    Aber die Interpretationen und Vergleiche sagen immer mehr über diejenigen aus, die sie anstellen, und über das Heute als über die Intention von Tolkien. Der kannte Putin ja schließlich gar nicht^^

    Es gab ja neulich auch mal so einen tollen Artikel von Samira über Death bei Sandman (weil irgendwer durchdrehte, weil Death schwarz ist). Was ähnlich klug ist wie „jeder weiß, dass Meerjungfrauen weiß und rothaarig sind!“). Da fand ich das Zitat ganz toll, dass Fantasyfiguren nicht regelbasiert sind und Vampire nicht zwingend mit einem Pflock im Herzen umgebracht werden müssen.

    • Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 19:03

      So viele von den Leuten aus der Rechtsblase haben Videos rausgehauen mit „Wissenschaftlich betrachtet macht eine schwarze Meerjungfrau keinen Sinn“, ich weiß nicht ob ich lachen oder weinen will.

  • Stefan Pietsch 31. Oktober 2022, 16:56

    2) Der Albtraum aller Arbeitgeber

    Da ist an allem etwas dran. Der Sorge von Unternehmen, geeignete Arbeitskräfte zu finden, steht die Angst von Beschäftigten gegenüber, ihren Job zu verlieren. Diese Jobangst findet sich trotz leerer Arbeitsmärkte in zwei Gruppen: Jenen, für die ein Wechsel mit Unbequemlichkeiten verbunden wäre und den durchaus vielen, die heute sehr gute Gehälter beziehen, woran sich ein Lebensstandard knüpft.

    In meinem Ort hat gerade ein 24/7-Shop aufgemacht. Völlig ohne Personal können die Leute dort zu jeder Zeit einkaufen. Das Geschäft boomt. Ähnlich gefragt sind zunehmend Selbstbedienungskassen, es geht irgendwie schneller. Wenn Arbeit so rar ist (siehe Kommentar oben), dann macht es Sinn, menschliche Arbeit auf bestimmte und nicht mehr auf alle Bereiche zu konzentrieren. Damit haben Unternehmen längst begonnen. Es macht wenig Sinn, mit immer höheren Löhnen und Arbeitskonditionen um Arbeitnehmer zu wetteifern, die sich anders ersetzen lassen. Alles muss auf Dauer in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen.

    Dieser Tage bin ich zum ersten Mal in meiner Karriere gezwungen, eine Mitarbeiterin gegen ihren Willen umzusetzen und zu einer Arbeit zu zwingen, die sie eigentlich nicht machen will. Die Umstände erfordern es. Und was nützen Mitarbeiter, die nicht nach den Notwendigkeiten des Geschäfts arbeiten, sondern allein nach ihren eigenen Interessen? Schließlich kauft auch niemand ein Smartphone, dessen Funktionen er nicht benötigt.

    Wäre mir neu, dass Arbeitgebervertreter jetzt nach dem Staat gerufen hätten, um Menschen an die Werkbänke zu bringen. Der Staat hat ohnehin genug Dummheiten angestellt, Stichwort Rente mit 63.

    • Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 19:05

      Die Arbeitgebervertreter haben was nicht?! Das ist ja wohl ein schlechter Witz.

      • Stefan Pietsch 31. Oktober 2022, 21:09

        Könntest Du mal etwas verlinken, statt Dich mit inhaltslosem Pingpong zu beschäftigten? Verlinke, dann können wir debattieren.

      • Thorsten Haupts 1. November 2022, 10:29

        Auf den ersten 4 Suchergebnisseiten in google nach Arbeitskräftemangel und Fachkräftemangel (Zeitraum „ein Jahr“) findet sich nicht eine einzige Arbeitgeberforderung an die Politik, irgendwie höheren Druck auf potentielle Arbeitnehmer auszuüben. Also, woher kommt Die Arbeitgebervertreter haben was nicht?! Oder war das einfach ein Pawlowscher Reflex?

        Gruss,
        Thorsten Haupts

      • Erwin Gabriel 1. November 2022, 12:36

        @ Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 19:05

        Die Arbeitgebervertreter haben was nicht?! Das ist ja wohl ein schlechter Witz.

        Stefan Pietsch hat Recht, ich tippe hier auf ein Missverständnis Deinerseits.

        Ein Äquivalent für einen Schutz von Arbeitnehmern, wie er von Gewerkschaftsseite ständig gefordert wird (Kündigungsschutz, Mindestlohn etc.), gibt es für die Arbeitgeberseite nicht. Keine Aufforderung zu Gehaltsbegrenzungen (gesetzlicher Maximallohn) in bestimmten Lohnbereichen (wie es etwa die öffentliche Hand mit ihren Gehaltsgruppen vormacht), keine Forderung von finanziellen Hilfsmaßnahmen, um Gewinneinbrüche aufgrund von Personalmangel zu kompensieren, keine Forderung nach (Zwangs-)Maßnahmen, die eine ausreichende Versorgung von Fachkräften sicherstellen sollen.

        Hier liegt, besonders im Inhaber-geführten Mittelstand, die gesamte Last der Verantwortung bei den Unternehmern (nicht, dass es irgend jemand respektiert oder gar dankt); kein Vergleich mit der vergleichsweise geschützten Arbeitnehmer-Situation.

        Natürlich wird immer wieder (mal mit mehr, mal mit weniger Recht) gejammert – natürlich nicht nur bei den Arbeitnehmern, sondern auch bei den Arbeitgebern. das gilt für alle Gevölkerungsgruppen.

        • Stefan Sasse 1. November 2022, 14:13

          Ah, so verstehe ich, was du meinst. Aber es gibt zig Aufrufe der Arbeitgeberverbände, etwa für „mehr Flexibilität“ zu sorgen, Sozialleistungen als „Anreize“ zu begrenzen, etc.

          • Erwin Gabriel 1. November 2022, 17:39

            @ Stefan Sasse 1. November 2022, 14:13

            Aber es gibt zig Aufrufe der Arbeitgeberverbände, etwa für „mehr Flexibilität“ zu sorgen, Sozialleistungen als „Anreize“ zu begrenzen, etc.

            Beides aus meiner Sicht richtige Punkte. Es gibt halt keinen rechtlichen Schutz von Unternehmern, der annähernd mit dem Schutz der Arbeitnehmer vergleichbar wäre (ähnlich wie bei Vermietern, die eine Zumutung nach der anderen schlucken müssen, während Mieter vom Gesetzgeber regelrecht verhätschelt werden).

            Und wenn ich als vierköpfige Familie in Hartz IV besser gestellt bin als eine vierköpfige Familie mit einem Bruttoeinkommen von knapp über 3.000 Euro, läuft auch was blöd.

            • Stefan Sasse 1. November 2022, 17:48

              Ob richtig oder falsch steht ja nicht zur Debatte. Aber zu behaupten, es gäbe die nicht, ist Unfug. Und eine vierköpfige H4-Familie ist damit nicht bessergestellt, sorry.

              • Kning4711 2. November 2022, 12:03

                Sagen wir es mal so, der zusätzliche finanzielle „Gewinn“ der Verdiener Familie gegenüber der H4 Familie beträgt im obigen Beispiel rund 400 EUR. (netto) im Monat.

                Ich persönlich finde, dass diese Spanne nicht angemessen ist, für jemanden der sich an der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme beteiligt und seine Arbeitskraft in den Dienst der Volkswirtschaft stellt. Aber diese Diskussion hatten wir ja schon an anderer Stelle.

                Was die Forderungen der Arbeitgeber angeht:
                Selbstverständlich fordern die Arbeitgeberverbände hier mehr Flexibilität und mehr Anreize Jobs aufzunehmen. Das ist ja eine Default-Position. Das muss man nicht fordern, das ist eine allgemeine Erwartungshaltung.

                Ich schaue eine Ebene Tiefer und dann sieht man schon Dinge, die zugegeben ein zweischneidiges Schwert sind: Es gibt Forderungen bspw. das Arbeitszeitgesetz anzupassen, dass eher auf die Anforderungen der Großindustrie und weniger auf den Dienstleistungssektor ausgerichtet ist.

                In Summe mahnen Sie aber auch Dinge an, die für Arbeitnehmer durchaus attraktiver sein können (z.B. Mitarbeiterbeteiligung besser zu regeln, Reformierung des Rentensystems.)

                Spannenderweise befinden sich viele junge Menschen in einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite wollen sie spannende Aufgaben und ein gutes Gehalt, auf der anderen Seite, sind sie aber von hoher Sicherheit und wenig Veränderungsbereitschaft (raus aus der Komfortzone) getrieben. Ein klassischer Zielkonflikt.

                • Stefan Sasse 2. November 2022, 12:35

                  Ich weiß, dass du mit 3000 brutto nicht eben reichhaltig lebst. Aber das Existenzminimum existiert halt als harte Grenze. Und ja, die 400 Euro sind nicht angemessen. Aber das liegt nicht daran, dass H4 zu hoch ist, sondern dass die Löhne zu niedrig sind. Es ist schlichtweg Fakt, dass Einverdiener-Haushalte praktisch nicht mehr möglich sind.

                  • Stefan Pietsch 2. November 2022, 22:50

                    Hm, angenommen, die Löhne im unteren Segment werden durch eine Fügung Gottes um 20% angehoben. Dann können sie die Niedrigverdiener mehr leisten. Was meinst Du passiert dann? Was meinst Du, wie derjenige reagiert, der bisher 10% mehr verdient hat als diejenigen, denen gerade Gott geholfen hat? Vielleicht auch 20% mehr verlangen? Oder 20% weniger arbeiten? Wäre das logisch?

                    Vielleicht hilft Gott da ja auch. Und vielleicht hilft Gott, das in der gesamten Einkommenspyramide durchzusetzen (wenn es bei mir ankommt, herzlichen Dank an die Geringverdiener!).

                    Super, dann können wir uns alle mehr leisten! Aber Moment, was tun eigentlich die Unternehmen, bei denen wir auf der Payroll stehen? Ob die sich wagen, die Preise dann auch um 20% anzuheben? Angenommen, sie folgen der teuflischen Einflüsterung – was meinst Du, was ein Geringverdiener dann mit seinem Gottes Geschenk verdient hat? Stell‘ die Frage doch morgen mal im Unterricht. Ich wäre auf die Antworten gespannt. Ich schätze, Deine Schüler fragen nach dem Telefonjoker.

                    • Thorsten Haupts 2. November 2022, 23:36

                      Yup, einer meiner beiden Haupteinwände gegen das bedingungslose Grundeinkommen. Obwohl ich die gestiegene Verhandlungsmacht von Arbeitnehmern im Prinzip befürworte, ist auch meine Befürchtung, dass ein allseitiges Ausreizen dieser Position schlicht dazu führt, dass Deutschland (Westeuropa) im grösseren Stil Unternehmen verliert. Und damit die einzige Basis für unseren Wohlstand – eine andere existiert nicht. Und wird auf absehbare Zeit auch nicht existieren.

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                    • Stefan Sasse 3. November 2022, 08:58

                      Ich finde es einfach quatschig, großflächig Geld an Leute zu verteilen, die keines brauchen. Deswegen bin ich kein BGE-Fan.

                      Aber ich glaube nicht, dass irgendein BGE je hoch genug sein könnte um Leute, die bisher arbeiten gehen und halbwegs ordentlich bezahlt werden, dazu zu bringen, zuhause zu bleiben.

                    • Thorsten Haupts 3. November 2022, 15:00

                      Das ist erkennbar gar nicht mein Argument. Das lautet anders – das BGE würde (flächendeckend) zu je nach Ausgestaltung erheblichen Preissteigerungen führen, weil man alle Leute deutlich oberhalb des BGE bezahlen müsste. Also liegt das BGE entweder auf Hartz IV Niveau – dann ist es nahezu überflüssig – oder es muss sofort nach Einführung ständig nach oben korrigiert werden, weil die Preise für Waren und Dienstleistungen nach oben schiessen. Das würde eine BGE/Preis/Lonhspirale, die wir nie zuvor gesehen haben. Hinzu käme (deutlich oberhalb Hartz IV) ein negativer Einfluss auf die industrielle Wettbewerbsfähigkeit aka Arbeitslosigeit.

                      Das Konzept ist, selbst wenn man seine Prämissen akzeptiert (was ich nicht tue – wer sein Leben durch Arbeit selbst finanzieren kann, SOLL das tun und nicht auf Kosten anderer leben), so wenig zu Ende gedacht, dass mir das weh tut.

                      … dass irgendein BGE je hoch genug sein könnte um Leute, die bisher arbeiten gehen und halbwegs ordentlich bezahlt werden …

                      Das hängt sehr stark von der Höhe ab. Bei den häufig genannten 1500 Euro/Monat bin ich mir sicher, dass Du Unrecht hast. Von der weltweiten Sogwirkung auf Immigranten mal ganz abgesehen.

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                    • Stefan Sasse 3. November 2022, 18:00

                      1500€ im Monat ist aber, wenn du keine KdU mehr hast, so viel echt auch nicht…
                      Und ja, Sogwirkung – keine Frage. Ich weiß nicht, ob das rechtlich möglich wäre, dass nur Staatsbürger*innen Anspruch haben.
                      Aber erneut, aus vielen Gründen, unter anderem diesen, lehne ich das BGE auch ab.

                  • Erwin Gabriel 4. November 2022, 09:52

                    @ Stefan Sasse 2. November 2022, 12:35

                    Aber das liegt nicht daran, dass H4 zu hoch ist, sondern dass die Löhne zu niedrig sind.

                    Hast Du überhaupt irgendeinen Schimmer, was es bedeuten würde, wenn sich die Löhne nach den gefühlten Bedürfnissen der Mitarbeiter richten würden?

                    Allein einen VW Golf komplett in Deutschland, also ohne ausländische Zulieferer, zu bauen, würde seinen Preis verdoppeln – und das bereits bei aktuellen Löhnen.

                    Es ist schlichtweg Fakt, dass Einverdiener-Haushalte praktisch nicht mehr möglich sind.

                    Zu den Lebensbedingungen, zu denen sie früher möglich waren, wären sie vermutlich auch noch heute möglich.

                    • Stefan Sasse 5. November 2022, 11:13

                      Ich drehe und wende diese Argumentation ständig in meinem Kopf. Lässt sich das irgendwie empirisch festmachen bzw. gibt es vielleicht sogar jemand, der das mal untersucht hat? Würde mich voll interessieren.

                    • Thorsten Haupts 6. November 2022, 11:46

                      Die Löhne, die Stefan meint, sind vermutlich nicht die eines VW-Arbeiters :-). Sondern die von Kellner/Friseur/Putzkraft/Altenpfleger etc.

                      Und so sehr ich mir eine Erhöhung dieser Löhne deutlich über Mindestlohn wünschen würde, weiss ich eben auch, dass hier Löhne und Preise direkt gekoppelt sind, weil man menschliche Arbeitskraft bis jetzt nicht durch Maschinen ersetzen kann, Löhne also den Grossteil der Preise ausmachen.

                      Sprich, eine Entlohnung nach Stefans vermuteten Masstäben würde die Preise dieser Branchen massiv erhöhen und damit sehr wahrscheinlich Nachfrage kosten, im Ergebnis also erhöhte Arbeitslosigkeit und mehr Schwarzarbeit. Kann man übrigens trotzdem wollen, nur sollte man die Konsequenzen kennen.

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                    • Stefan Sasse 6. November 2022, 15:21

                      Nur zur Klarstellung, ich plädiere jetzt nicht für ein Gesetz, einfach per Fiat die Löhne zu erhöhen. So naiv bin ich nicht. Ich sehe durchaus die Probleme, die du nennst. Allerdings ist das für mich eine recht einfache Sache: das PROBLEM sind die zu niedrigen Löhne, nicht zu hohe Sozialleistungen. Die LÖSUNG dafür ist mir auch nicht klar. Aber es ist in meinen Augen nur nützlich, über die Lösung des echten Problems zu sprechen.

              • Erwin Gabriel 3. November 2022, 10:29

                @ Stefan Sasse 1. November 2022, 17:48

                Ob richtig oder falsch steht ja nicht zur Debatte. Aber zu behaupten, es gäbe die nicht, ist Unfug.

                Ich rede an dieser Stelle nicht von Sozialleistungen, sondern von ernsthaften Forderungen der Arbeitgeberseite an den Staat, Rechte und Leistungen an Arbeitnehmer einzuschränken oder zurückzufahren. Wenn Du das Unfug nennst, bitte ich um einen Beleg Deiner Aussage.

                Und eine vierköpfige H4-Familie ist damit nicht bessergestellt, sorry.

                Vielleicht nicht im Niemandsland an der polnischen Grenze oder im bayerischen Wald. Geh nach Berlin, nach Köln, nach Hamburg oder München. Dann nimm Wohn- und Heizkosten, und Deine Vorstellung passt nicht mehr.

                München:
                3-Zi-Wohnung, 70 – 80 m² = ab 1.000 Euro (kalt) aufwärts; Heizung / Nebenkosten ca. 400 Euro; Hartz-IV- Anspruch für Bedarfsgemeinschaft, 2 Kinder ca. 2.200 Euro; Grundanschaffungen (Waschmaschine, Fernseher) werden gestellt.

                Einkommen 13 x 3.000 Euro, Steuerklasse 2 (verheiratet, 2 Kinder); Netto ca. 2.150 Euro / Monat; Grundanschaffungen, Weg zur Arbeit etc. auf eigene Kappe.

                Es verbessert sich für den Verdiener, wenn er billiger wohnt. Was vermutlich die Energiekosten hochtreibt, aber sei es drum und lass von mir aus die 400 Euro / Monat sein, die Kning4711 erwähnt.

                Bei 8 Stunden am Tag und gemittelten 22 Arbeitstagen im Monat ergibt das einen Stundenlohn von 2,27 Euro. Das ist, was über dem Hartz-IV-Einkommen liegt, von dem aber noch alle Kosten abgehen, die der Betreffende hat, um zur Arbeit zu kommen bzw. zu arbeiten.

                In Städten mit hohem Mietniveau arbeitet der Betreffende umsonst.

                Schau gerne selbst nach; die entsprechenden Rechner findest Du im Netz.

                • Stefan Sasse 3. November 2022, 17:58

                  Ich sag ja, die Löhne sind zu niedrig.

                  • Erwin Gabriel 4. November 2022, 10:01

                    @ Stefan Sasse 3. November 2022, 17:58

                    Ich sag ja, die Löhne sind zu niedrig.

                    Du verschiebst die Pfosten auch, wie Du es gerade brauchst. Ich stelle eine Behauptung auf, die Du bestreitest, und wenn ich die halbwegs belegen kann, machst Du einfach ein neues Fass auf.

                    Was bedeutet „Löhne erhöhen“ konkret, nach Branche, in Prozenten, in Euro, whatever.

                    Höhere Löhne führen zu höheren Kosten.
                    Höhere Kosten führen zu höheren Preisen.
                    Höhere Preise fressen die Lohnerhöhung auf.

                    Der einzige „Profiteur“ wäre der Staat, der höhere Steuereinnahmen hat, die er dann dafür ausgeben kann, Hartz IV zu erhöhen, weil die Lebenshaltungskosten gestiegen sind.

                    Schlau gedacht.

            • Richtigstellung 7. November 2022, 17:05

              Was sind denn das für Forderung? Schutz von Entitäten, die im gesellschaftlichen Spiel Nachteile erleidern während andere Entitäten in den Vorteil geraten? Klingt für mich wie Kommunismus…. Unternehmer, pull yourself up by the bootstraps!

              Achja, Vermieterschutz, Dir ist schon klar, dass die ganzen Coronaboni nichts weiter waren, als die Sicherstellung der Mietzahlungen der Mieter an die Vermieter? Soviel dazu.
              Bisschen Realitätssinn, bitte.

  • Thorsten Haupts 31. Oktober 2022, 17:04

    Zu 4) Tragically, it worked.

    Yup, das war immer meine Einstellung zu den Furcht- und Katastrophenszenarien der Friedens-, Anti-AKW- und Antigentechnikkampagnen, aber da wurde mir von seriösen Medien und Bildungseinrichtungen immer versichert, das sei gesellschaftlicher Fortschritt. Akzeptiert.

    Zu 8) Ja, die rückgratlose Beliebigkeit von Linksliberalen fand ich auch immer faszinierend. Als man einige Konservative damit ärgern konnte, war der Holocaust singulär. Jetzt, wo man nicht nur Konservative lieber mit Dekolonialisierung nervt, ist er es nicht mehr, weil er sonst nicht in die neue Welterklärungsformel passt.

    Zu 9)Sieht man sich den Titel „Identitätspolitik als Bedrohung unserer Freiheit?“ in Verbindung mit dem Programm an, scheint es weniger um offene Debatte und Erkenntnisgewinn zu gehen als um Selbstvergewisserung und Kulturkampfrekrutierung.

    Aha. Na gut. Das ist natürlich bei Tagungen der linksliberalen Vorzeigeszene, sagen wir, re:publica, vollkommen anders. Da wird intellektuell anspruchsvoll, mit sehr diversen Standpunkten und niemals nicht kulturkämpferischen Tönen aufrecht um Erkenntnisgewinn gestritten. Und morgen fallen Weihnachten und Ostern auf einen Tag …

    Zu h) Der Artikel bezieht sich auf die USA. Und die haben inzwischen ein sehr grosses Ökosystem rechter Publikationen und Sendungen, reichweitentechnisch auf Augenhöhe mit dem linken. Während man in Deutschland nach wie vor gezwungen ist, die linke Indoktrination durch den Staats-ÖRR zwangsweise mitzufinanzieren.

    Zu i) Die „Analyse“ der HotTakes eines … Sängers??? Oh Herr, schmeiss Hirn vom Himmel.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • sol1 31. Oktober 2022, 18:51

      /// Die „Analyse“ der HotTakes eines … Sängers??? Oh Herr, schmeiss Hirn vom Himmel. ///

      Er sollte es ins „Ökosystem rechter Publikationen und Sendungen“ werfen, das diesen Menschen politisch relevant gemacht hat:

      „[In Fox News] ist West schon seit langem ein beliebter Gast, schließlich war seine völlig gescheiterte Präsidentschaftskandidatur 2020 ausschließlich dazu gedacht, Schwarze Wählerstimmen von den Demokraten abzuziehen, ist er generell ein großer Trump-Freund und trug er vor kurzem einen Pullover mit der Aufschrift „White Lives Matter“, einer Parole amerikanischer Rassist:innen. West war zu Gast bei Tucker Carlson, dem einflussreichsten Hassprediger der Welt, und breitete dort seine gesamte, nicht logisch nachvollziehbare Weltsicht aus. Viel davon ist anschlussfähig oder deckungsgleich zur amerikanischen Rechten, deren Liebe West ganz offensichtlich sucht. Interessanter ist aber, was herausgeschnitten wurde, jetzt über diverse unabhängige Medien doch noch an die Öffentlichkeit gekommen ist.“

      • Thorsten Haupts 31. Oktober 2022, 23:57

        Ja. Und? Was gibt´s bei dem Schwachfug zu „analysieren“? Scharf, klar und kompromisslos verurteilen – wie jede Art von Judenhass – und fertig. Eine „Analyse“ sollte dem Erkenntnisgewinn dienen – ich wüsste wirklich ums Verrecken nicht, welcher Erkenntnisgewinn aus den 08/15 Versatzstücken des kruden Weltbildes eines Musikers zu ziehen wäre. Wenn ich wissen will, wie die denken, setze ich mich in die Kneipe um die Ecke.

        Gruss,
        Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 19:06

      8) Da könnte man tatsächlich eine interessante Diskussion führen beziehungsweise spannende Analysen darüber anstellen, wenn man nicht einfach nur rumflamen wollen würde.

      • Thorsten Haupts 31. Oktober 2022, 23:48

        Spannende Analysen über die schon immer zeitgeistbestimmte Interpretation historischer Ereignisse? Was genau ist daran „spannend“? Routine fand ich noch nie spannend – und der historische Wechsel von Perspektiven ist zu 100% Routine seit Beginn schriftlicher Aufzeichnungen. Gehört zu den Menschheitskonstanten.

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • Stefan Sasse 1. November 2022, 10:44

          Komisch, gerade war es noch was total Verwerfliches, das Linke machen.

          • Thorsten Haupts 1. November 2022, 11:17

            Habe ich nie und nirgendwo geschrieben. Nur wenn der Perspektivwechsel für politischen Druck genutzt wird – bisher in Deutschland post WW 2 immer und ausschliesslich von links – ist das „verwerflich“. Und genau darum geht es auch hier – siehe den von sol1 dankenswerterweise verlinkten, in dieser Hinsicht sehr offenen, Artikel dazu.

            Mit der „Singularität“ kann man wegen allgemeiner Akzeptanz keinen Druck mehr ausüben, also unterstützt die Linke die „neue“ Perspektive, mit der man das kann. Und macht!

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • Stefan Sasse 1. November 2022, 14:10

              Das stimmt einfach nicht. Es gibt genug Perspektivenwechsel auch von rechts. Stichwort „geistig-moralische Wende“. Und du dämonisierst einfach nur einen Pappkameraden als monolithischen Block.

              • Thorsten Haupts 1. November 2022, 15:29

                Mehr als die ebenso inhaltsleere wie folgenlose Phrase von der geistig-moralischen Wende ist Dir nicht eingefallen, nein? Welche neue Perspektive hat sie aus Deiner Sicht eröffnet und wo wurde sie wirkmächtig in der Gesellschaft? Hast Du überhaupt irgendein Beispiel aus den letzten 50 Jahren, wo es einen gesellschaftlich bemerkbaren historischen Perspektivwechsel von rechts gab bzw. wo ein solcher Versuch erfolgreich war?

                Müsste doch einfach sein für einen Historiker? Ich hätte sogar genau einen (1) Fall für Dich, auch wenn gerade der für Linke besonders peinlich ist :-).

                Gruss,
                Thorsten Haupts

                • Erwin Gabriel 3. November 2022, 15:18

                  @ Thorsten Haupts 1. November 2022, 15:29

                  Ich hätte sogar genau einen (1) Fall für Dich, …

                  Wenn Stefan Sasse nicht fragt, frage ich – welchen meinst Du? Einen ehemaligen RAF-Anwalt, der zum konservativen Innenminister wurde? Aber ich glaube nicht, dass Du eine einzelne Person meinst …

                  Gruss,
                  E.G.

                  • Thorsten Haupts 4. November 2022, 15:36

                    Die Massenverbrechen des Kommunismus. In meiner jungen Erwachsenenzeit gab es nicht nur noch zwei aus der DDR finanzierte Studentenverbände (MSB und SHB) mit Vertretungen in den Studentenparlamaneten von um die 20% (zusammen). Man konnte in der deutschen Mainstream-Öffentlichkeit (und tat das) problemlos Maoist sein, Kuba bewundern und den Ostblock für ein nur bedauerlicherweise vielleicht etwas falsch abgebogenes Experiment halten, das aber im Kern auf einer gesunden Gesellschafstheorie und Menschenfreundlichkeit beruhte.

                    Das alles war mit dem „Schwarzbuch des Kommunismus“ 1997 vorbei. SPIEGEL wie ZEIT räumten zur Ehrenrettung der kommunistischen Menschenschlächter damals über mehrere Wochen noch ganze Druckseiten für „Kritiker“ frei, die versuchten, die Verbreitung dieses Wissens über Diskreditierung des Buches zu erreichen.

                    Ich denke, das ist heute weitgehend vorbei. Mit Ausnahmen in der Grünen Jugend und in der LINKEN ist der Kommunismus über seine jetzt hinlänglich bekannten Massenverbrechen auch bei Linken und Linksliberalen genauso diskreditiert, wie der Nationalsozialismus.

                    Peinlich daran ist für die Linken, dass das bei ihnen nicht schon lange vorher so war. Für alle Rechten war das Schwarzbuch nichts Neues …

                    Gruss,
                    Thorsten Haupts

                    • Stefan Sasse 5. November 2022, 11:13

                      Dafür gibt es heute keine Neokommunisten. Auch was wert.

    • Erwin Gabriel 4. November 2022, 14:28

      @ Thorsten Haupts 31. Oktober 2022, 17:04

      Zu i) Die „Analyse“ der HotTakes eines … Sängers???

      Nun, der Typ ist ein bisschen mehr als nur ein Sänger, war US-Präsidentschaftskandidat, und hat durchaus eine Stimme da drüben.

      Oh Herr, schmeiss Hirn vom Himmel.

      … oder Steine – Hautpsache, er trifft diesen Spacko …

  • Stefan Pietsch 31. Oktober 2022, 17:14

    3) Schülervertreter fordern: Gendern darf in Prüfungen nicht als Fehler bewertet werden!

    Die interessantere Frage wäre doch, wie kommt ein 13jähriger darauf zu gendern? In einer Klassenarbeit! Das erscheint noch weniger sinnhaft wie Blogger, die mit einem fast ausschließlich männlichen Publikum meinen mit Gendern eine höhere Akzeptanz (bei wem?) erreichen zu können.

    4) The Wreckage of Neoliberalism

    Ich finde Neoliberalismus einen schönen und positiven Begriff, den ich mir auch nicht dadurch nehmen lasse, dass politische Gegner ihn gerne verballhornen. In meiner Teenagerzeit haben viele über ABBA abgelästert, heute ist es Kult. Und ich mochte ABBA schon immer.

    Die ständige Neuerfindung von Begriffen raubt dem Eigentlichen seine Substanz. Deswegen lassen sich Worte wie „woke“ so leicht karikieren.

    5) Warum die AfD die Linke Sahra Wagenknecht fürchtet

    Während Rechtsnationale es wie ein Ehrenabzeichen tragen, wehren sich Linke gegen eine einfache Erkenntnis, und das, weil ihnen ihr Moralismus im Wege steht und sie blind macht: Rechts- und Linkspopulismus teilen sich in der Schnittmenge eine Wählergruppe, nämlich die der einfachen Arbeiter, der einfach Gebildeten, die der Zukurzgekommenen in der Gesellschaft. Sie sind wie die meisten Menschen nicht ideologisch gebunden, sondern interessengeleitet. Und wer sich besonders hilflos fühlt, will entweder „Gerechtigkeit“, was die Linken versprechen, oder Wut artikulieren, wobei ihnen beide Populisten behilflich sind.

    Konservative mögen Boris Palmer (..).

    So dummes Zeug. Wenn ein Politiker in einer Studentenstadt in einer grün wählenden Region auf Anhieb deutlich über 50% erreicht, dann nicht, weil ihn Konservative besonders lieben. Boris Palmer zeigt den Grünen, wie sehr sie sich von ihrer Wählerschaft entfernt haben und das tut – wie übrigens bei Sarrazin – manchmal weh. Oder anders ausgedrückt: besser ist’s, die Grünen wählen sich eine neue Anhängerschaft.

    7) Britain and the US are poor societies with some very rich people

    Kalifornien (38 Millionen Einwohner) wird nächstes Jahr wirtschaftlich größer sein als die eigentlich reiche Bundesrepublik (84 Millionen Einwohner). Nichts unterstreicht mehr, wie sehr die führende Wirtschaftsmacht Europas im globalen Ranking abgehängt wird. Und Kalifornien ist keineswegs eine arme Gesellschaft.

    • Stefan Sasse 31. Oktober 2022, 19:08

      3) 13jährige mit Sicherheit nicht, das ist eher ein Oberstufenthema. Und aus der rekrutieren sich die Schüler*innensprecher*innen üblicherweise ja auch.

      4) Dir ist schon klar, dass du mit woke genau das machst, was die Linken mit Neoliberalismus machen, nicht?

      5) Dummes Zeug ist, was du schreibst.

      7) Exactly the point. Schau dir mal Alabama an. Oder, wenn es innerhalb Kaliforniens bleiben soll, die Mehrheit der Einwohner*innen von LA.

      • Thorsten Haupts 1. November 2022, 00:06

        Zu 5) ?????

        Palmer wurde in einer Wahl gegen alle Parteien in Tübingen mit mehr als 50% der abgegebenen Stimmen gewählt. Wenn Konservative Palmer mögen, dann ist ausgerechnet Tübingen also über nacht konservativ geworden? Oder ein beliebter und fähiger OB wurde als Parteiloser sogar gegen seine (ehemalige?) Partei gewählt, das ist sowohl der SPD als auch CDU und CSU in der Vergangenheit schon mehrfach passiert. Dann sind die GRÜNEN mit ihrem Parteiausschlussverfahren einfach falsch abgebogen.

        Was genau ist daran dumm?

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • Stefan Sasse 1. November 2022, 10:45

          Ich mag Nobert Röttgen und Andreas Püttmann. Deswegen wähle ich noch lange nicht CDU.

          • Thorsten Haupts 1. November 2022, 11:19

            Du schriebst „dummes Zeug“ zu Stefan Ps Einwurf „Wenn ein Politiker in einer Studentenstadt in einer grün wählenden Region auf Anhieb deutlich über 50% erreicht, dann nicht, weil ihn Konservative besonders lieben. „. Was denn jetzt?

  • Stefan Pietsch 31. Oktober 2022, 21:08

    3) Es bleibt die Frage: Was denke ich mir, wenn ich einen Text nur für mich und für meinen Lehrer schreibe, dort zu gendern? Gendern erfolgt ja in der Absicht, in einem Publikum – wie auch immer das definiert ist – alle angemessen anzusprechen. Nur, bei Klausuren gibt es kein Publikum.

    4) Nein. Neoliberalismus als Bezeichnung einer Philosphie von Wirtschaftstheorie ist ein sehr alter Begriff. Vielleicht ist Dir schon aufgefallen: Ich ehre das Alte. Und vielleicht erinnerst Du Dich an die ersten Sätze, die Du zu meiner Vorstellung geschrieben hast. Ich sehe mich in der Tradition von ehrenwerten Wissenschaftlern, die längst tot sind. „Woke“ ist die Selbstbezeichnung eines vermeintlich neuen Bewusstseins. Es erhält seinen Sinn durch die Abgrenzung zum Vergangenen. Es ehrt nicht, es würdigt herab.

    Menschen machen häufig Witze darüber, wie sie sich verhalten, gerade, wenn sie sich für originell und besonders halten. Und genau das ist der Punkt, wo meine Ironisierung des Begriffs ansetzt.

    5) Es ist dumm, darauf hinzuweisen, dass Ulrike Baumgärtner bei ihrer Parteinominierung selbst kaum mehr als 50% der Stimmen erhalten hat? Ohne Gegenkandidatin? Also selbst in Tübingen war die Grüne Partei ob des Umgangs mit Boris Palmer so gespalten, dass sie sich nicht für eine Alternativkandidatin erwärmen konnten.

    Freundschaftlicher Tipp: Du erhältst mehr Glaubwürdigkeit, wenn Du Fakten zur Kenntnis nimmst und sie nicht als dummes Zeug abtutst und Legenden strickst.

    Kennst Du Alabama? Ich kenne sowohl San Francisco (dort war ich mehrmals und habe kurzzeitig in der Stadt gearbeitet) als auch L.A. Der allgemeine Wohlstand ist sehr hoch, allerdings gibt es auch viel Armut. Die Einkommensungleichheit ist allerdings in New York größer. Wenn Du Dir jedoch Kalifornien als Ganzes ansiehst, dann hast Du dort sehr unterschiedliche Regionen von Ungleichheit.
    https://www.livestories.com/statistics/california/gini-index-income-inequality

    Die Einkommensungleichheit ist überall auf der Welt in den Städten am Größten, auf dem Land am Geringsten. Allerdings ist der Wohlstand in den Städten auch am Höchsten. Streiche aus Deutschland München, Hamburg und Frankfurt, sinkt der Gini erheblich. Nur ist Deutschland dann ein deutlich ärmeres Land.

    Du denkst nicht in Konsequenzen.

    P.S.: Dein Gendern erschwert das Lesen Deiner Kommentare. Und das ist kein Witz.

    • Stefan Sasse 1. November 2022, 10:42

      3) Wenn du dir so was wie Gendern angewöhnt hast, schaltest du das ja nicht einfach an und aus. Das machst du, oder du machst es nicht.

      4) Ich weiß, dass das ein alter Begriff ist. Aber „woke“ ist auch ein sehr alter Begriff; er bezeichnet eine aufgewachte Person. Das führt nirgendwo hin.

      • Stefan Pietsch 1. November 2022, 11:30

        3) Das ist dann aber keine bewusste Handlung mehr. Ich überlege mir bei jedem und jeder Gruppe, wie ich korrekt anspreche. Du beschreibst eine Attitüde, keine bewusste, „aufgewachte“ Tätigkeit. Das ist aber eher ein Argument, Gendern in Klassenarbeiten nicht zuzulassen. Schließlich rede ich zu Hause meine Frau auch nicht mit „liebe Kollegin“ an. 🙂

        4) Warum hat ihn dann erst jetzt das linke Milieu für sich gekapert? Das ist nämlich der Unterschied zum Neoliberalismus.

        • Stefan Sasse 1. November 2022, 14:11

          Den Begriff hat das rechte Milieu gekapert, genauso wie das linke „Neoliberalismus“ gekapert hat: als catch-all-Beleidigung.

          • Stefan Pietsch 1. November 2022, 17:45

            Wie gesagt, ich fühle mich nicht beleidigt. Wenn mich jemand als Neoliberalen bezeichnet, sage ich: Ja, so ist es!

            Solange Du mit „rechte Milieu“ nicht Rechtsradikale und Rechtsextreme meinst, ist das okay. Ja, ich benutze Sternchen und „woke“ um mich darüber lustig zu machen. Ist das schlimm?

            • Stefan Sasse 1. November 2022, 17:49

              Ich versuche, Rechtsradikale und -extreme genau als solche zu bezeichnen. Wenn ich „Rechte“ sage, meine ich damit wertneutral auch jemand wie dich. Einfach als Gegenteil von links. Ich weiß, dass der Begriff problematisch ist, aber wir haben nichts Besseres.

          • Dennis 2. November 2022, 10:23

            Zitat Stefan Sasse:
            „Den Begriff hat das rechte Milieu gekapert, genauso wie das linke „Neoliberalismus“ gekapert hat: als catch-all-Beleidigung.“

            Ja, kann man so sehen, zumal es ja zwei (mindestens^) Neoliberalismen gibt; erstmal das Ding aus den 30ern:

            https://de.wikipedia.org/wiki/Colloque_Walter_Lippmann

            In der deutschen Version sodann Freiburger Schule und so, wobei jeder Theoretiker dann noch seine eigene Duftmarke setzt, mit gewissen Besonderheiten. Die „Deutschen“ wiederum bevorzugten eher „ordo“ statt „neo“. Wie üblich waren sich auch die „Neos“ auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten nicht so ganz einig.

            Gemessen an diesem Ding galt z.B. Hayek als „altliberal“, war insoweit später Stichwortgeber von Thatcher, die ja bekanntlich den britischen „Nachkriegskonsensus“ …

            https://en.wikipedia.org/wiki/Post-war_consensus

            …heftig zu bekämpfen beliebte. Dieser „Konsensus“ war eigentlich mehr oder weniger einigermaßen neoliberal im „alten“ Sinn aber der „neue Sinn“ heutzutage meint eigentlich Thatcherismus und dessen Abkömmlinge, also eigentlich neo-alt-liberal.

            Ganz schön kompliziert. Generell sind solche Theorien wesentlich wünsch-dir-was Veranstaltungen, bezeichnen also nicht etwas, was ist, sondern etwas, was sein soll, weswegen das Kämpferische immer dabei zu sein pflegt. Und klar, irgendwas Häßliches, was Gegner den Apologeten vorhalten können, findet sich immer. Irgendwas mit Armut oder andere weniger schöne Sachen beruhen natürlich immer auf „falsche Anwendung“oder noch nicht ausreichende Anwendung. Die Theorie bleibt immer richtig, egal welche^.

            • Stefan Sasse 2. November 2022, 12:27

              Ja, genau das meine ich. Wenn ich Stefan richtig verstehe, will er die 1930er-Variante verwenden, aber die ist halt im umgangssprachlichen Gebrauch schlicht nicht vorhanden. Spannend ist das auf jeden Fall, ich hab dazu ja was rezensiert: https://www.deliberationdaily.de/2021/05/buecherliste-mai-2021/

              • sol1 2. November 2022, 18:20

                „Neoliberal“ ist übrigens auf Reddit eine halbironische Selbstbezeichnung:

                https://www.reddit.com/r/neoliberal/

              • Stefan Pietsch 2. November 2022, 22:55

                Wieso? Ich heiße Stefan. Wenn das jemand verballhornt zu „Steffi“, „Stefus“ oder sonst was, ändert das nichts daran, dass ich Stefan heiße. Da werden sich andere daran gewöhnen müssen, selbst wenn das umgangssprachlich nicht vorkommt.

                Jedes Milieu, jedes Unternehmen, hat seine eigene Sprache. Wenn ich sage, ich bin ein Neoliberaler, ist das ein Begriff. Wenn andere, die mich nicht interessieren, mit „Idiot“ übersetzen, ist das ernsthaft mein Problem? Was interessiert mich die Interpretation von Leuten, die sich nicht für mich interessieren? Werd‘ locker!

            • Thorsten Haupts 2. November 2022, 16:11

              Dieser „Konsensus“ war eigentlich mehr oder weniger einigermaßen neoliberal …

              Nein. Er war im Kern antiliberal.

  • Lemmy Caution 1. November 2022, 06:35

    zu 4) Für die beiden neuen Mitglieder im sehr diversen pinken Club Lateinamerikanischer Regierungen erscheint ihre woke legacy als Balast.
    Der kolumbianische Präsident Gustavo Petro ruderte im Programmpunkt „keine neuen Explorationen für Rohstoffvorkommen“ zurück. Seine oft längeren Statements sollen ziemlich schlecht ankommen. Persönlich find manche sehr gut und andere sehr schlecht.
    In Chile geriet der junge Staatssekretär für Außenhandel José Miguel Ahumada unter Dauerfeuer seitens zentristischer Beobachter. Er versuchte bereits verhandelte Handelsverträge (TPP-11 im Pazifik-Raum, EU-Chile Modernisierungsabkommen) neu aufzuschnüren, ohne dafür ein Mandat von der eigenen Regierung zu haben. Der Fundi ist nun neutralisiert aber nicht entlassen.
    Fun Fact: Inzwischen ist geleakt, dass er offenbar in den letzten turbulenten Wochen der Kabinettschefin EINIGE Pralinenschachteln, Blumensträuße und 14-minütige WhatsApp Nachrichten mit Entschuldigungen „Ein letztes Mal so ein statement“ zukommen liess.
    Ahumada verfügt über einen beeindruckenden internationalen akademischen Lebenslauf, gemeinsame youtube Auftritte mit Theorie-Sympathen wie Ha-Joon Chang und eine Jean-Pierre Leaud Erinnerungsfrisur. Ich hätte auch wieder gerne so eine Haarpracht, aber er erzeugt Gegenwind in Hurrican-Stärke.
    Die Heftigkeit der Reaktion ist der Krise geschuldet, deren Wucht in Chile wirklich heftig ist. Erstmals seit 40 Jahren steigen die Armutszahlen wirklich besorgniserregend.
    Mittel- bis langfristig gilt: Nichts verschafft rechts-populistischen Geiern besseren Aufwind als gescheiterte Regierungen mit starken sozial-reformerischen Versprechungen. In diesem Sinne wünsche ich selbst Luis Inácio da Silva alles gute in der Regierung nach seinem 50,9 zu 49,1 Wahlsieg. Mein Vertrauen in den Vogel ist allerdings sehr gering.

  • cimourdain 3. November 2022, 09:27

    3) Ein gedankenexperiment: Es gibt gute gründe für die kleinschreibung von substantiven, wie sie in fast allen europäischen sprachen praktiziert wird. Würdest du als lehrer eine solche (wenn dies von schülern gefordert wird) als nicht-fehler akzeptieren?

    4) Ich gebe dir soweit recht, dass der Begriff kaum beschreibende Funktion hat – nur haben wir keinen besseren. Für den ‚klassischen‘ Neoliberalismus (Eucken, Rüstow) funktioniert der Ersatzbegriff Ordoliberalismus gut, da er einen wichtigen Kerngedanken (die Steuerung der Marktwirtschaft) beinhaltet. Aber das Ideenkonglomerat aus Shareholder-Value Orientierung, Deregulierung, Standortwettbewerb, Privatisierung etc… , das den postkeynesianischen ‚Neoliberalismus‘ prägt, existiert als mehr oder weniger ausgeprägte Ideologie ja immer noch, und man muss es irgendwie bezeichnen. Du verwendest ja auch den Begriff ‚Faschismus‘ (wenn er zutrifft) weiterhin – trotz sinnentstellend inflationären Verwendung durch manche Linke.

    g) Immer wenn jemand auf gesellschaftlich-politische Fragen bei dem Hobby RPG ansetzt, fällt mir dieses Lied ein:
    https://www.youtube.com/watch?v=LWvZ9Ty3_sg

    • Stefan Sasse 3. November 2022, 17:58

      3) Ich weiß nicht wie ich das sehen würde, wenn Schüler*innen das tatsächlich dezidiert und gezielt machen würden (was aber, erneut, ein absurdes Szenario ist, weil sich die meisten SuS nicht mit Rechtschreibungsfragen beschäftigen); nach geltender Rechtslage müsste ich es im Abitur aber anstreichen und mit Abzug belegen, genauso wie Gender-Markierungen auch. Nur: Groß- und Kleinschreibung ist halt ein ganz anderes Kaliber als ein Genderstern. Das ist fundamentaler. Eher passend wäre vielleicht so was wie die Einführung eines Satzzeichens für Ironie (und ja, da wäre ich auch dafür :D).

      4) Ich verwende „Faschismus“ wenn es mir nicht rausrutscht nur für den historischen Faschismus; bestimmte Ströhmungen wie etwa die GOP bezeichne ich eher als „proto-faschistisch“. Aber auch das gefällt mir nicht wirklich.

    • Lemmy Caution 6. November 2022, 09:54

      Ich sehe Ordoliberalismus und Neoliberalismus wie er heute meist verstanden wird als eher gegensätzliche, widerstreitende Perspektiven.
      Empfehlen würde ich in diesem Zusammenhang der Artikel in Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Neoliberalismus

      Der Ordoliberalismus der Freiburger Schule mag in den 20ern häufiger als Neoliberlismus bezeichnet worden sein, später setzte sich aber der Begriff Ordoliberalismus immer mehr durch, auch zur Abgrenzung des Neoliberalismus von Chicago, Thatcher etc.
      Der interessante Wikipedia Artikel unterscheidet zwischen „kontinentaleuropäisch geprägten Neoliberalismus“ (Ordoliberalismus) und
      „angelsächsisch geprägter Neoliberalismus“ (Neoliberalismus). Dabei fallen die Österreicher wie Hayek und Mises unter „angelsächsisch geprägt“. Tatsächlich emmigrierten sie ja in die USA.
      Angelsächsich geprägter Neoliberalismus läßt sich als „der Markt regelt am Ende des Tages Dinge überall besser mit der Ausnahme des Schutzes privater Eigentumsrechte und Verteidigung nach aussen“.
      Das Vertrauen der Ordoliberalen in die entfesselten Kräfte des Marktes war deutlich eingeschränkter. Für sie stand fest , dass staatliche Eingriffe in vielen Bereichen für einen funktionierenden Markt notwendig sind. Die Ordoliberalen beschäftigten sich etwa stark mit dem Kartellrecht. Hohe Sozialtransfers können als förderlich für den Markt angesehen werden.

      Zwischen Ordoliberalismus und Neoliberalismus existieren Überschneidungen, aus unserer Perspektive von West-Europäern im 21. Jahrhundert überwiegen aber die Gegensätze.
      Ich verstehe mich selbst eher als ordoliberal und Stefan Pietsch als neoliberal.

  • cimourdain 3. November 2022, 16:12

    9) „Die Thesen werden absoluter, die Idee der „kritischen Gegenöffentlichkeit“ […] immer abgeschotteter und sektenartiger,…“ ist eine bemerkenswerte Aussage:
    Diese Gegenöffentlichkeit nimmt subjektiv die Radikalisierung spiegelbildlich in der Mainstreamöffentlichkeit wahr. (Dein Beispiel Albrecht Müller ist gut: Er blieb seit dem 70ern in den Positionen der Brandt-SPD, während die ‚linken‘ Mainstreammedien von ihm aus nach rechts gewandert sind) Man könnte sagen, die ‚Flügel‘ des Overton-Fensters reißen auseinander und verengen sich zu Schießscharten, so dass beide Seiten die jeweils andere als indiskutabel betrachtet.
    Das kenne ich in dieser Form fast genauso bei Religionen. Meine These ist, dass Medienleute als Nachfolger von Priesterkasten gelten können. Sie dienen dazu, der Bevölkerung eine [konforme] Weltdeutung zu präsentieren. Wenn jetzt einer ausschert und die Dogmatik verlässt (bemerkenswert viele der ‚Sektierer‘ kommen ursprünglich aus dem Mainstream), dann kommt es zu der gleichen Deutungshoheit-Dynamik wie zwischen Orthodoxie und Häresie in der Religion, die ganze Palette von öffentlichen Disputationen bis zur Indizierung.

    Apropos „Hohepriester“ (Triggerwarnung: zornige Polemik)
    10) „Baerbock wäre gut beraten, sich einen Thinktank einfach nur dafür anzuschaffen“ Klingt nach einer tollen Investition von Staatsgeld (egal ob steuer- oder schuldenfinanziert): Wir ballern eine Gruppe von grünen Parteifreunden, Rüstungslobbyisten und transatlantischen Spin-doctors mit -zig Millionen zu, damit sie in Talkshows erklären, warum deutsche Kanonenboote im persischen Golf eigentlich Friedensbringer sind.

    • Stefan Sasse 3. November 2022, 17:54

      9) Ich halte es für eine Fehlwahrnehmung, dass sich das Overton-Fenster verengt habe. Es ist GEWANDERT. Das nehmen viele Leute als Verengung wahr, weil sie plötzlich außerhalb stehen, aber für andere ist das genaue Gegenteil der Fall.

      10) Das wäre tatsächlich eine gute Investition, wenn man sich da wirklich Fachleute für Policy ranschafft und das Ding überparteilich besetzt.

      • cimourdain 4. November 2022, 07:16

        9) Mir fällt beim besten Willen keine objektivierbare Metrik für Enge oder Breite des Fensters ein, außer der Statistik: Wie viele Menschen fühlen, dass sie mit ihrer Haltung außerhalb der Grenzen des gesellschaftlich akzeptierten Diskursrahmens stehen. Und das sind – behaupte ich jetzt mal aufgrund eigenen ‚Mikrozensus‘-Gesprächen – deutlich mehr als vor 10 Jahren.
        Ein deutliches Indiz ist, dass dieses Gefühl sowohl auf der linken Seite als auch auf der rechten Seite entstanden ist. Wenn in beide Richtungen Leute ‚herausfallen‘, dann kannst du geometrisch eine Verengung schwer leugnen.

        • Erwin Gabriel 4. November 2022, 10:03

          @ cimourdain 4. November 2022, 07:16

          Ein deutliches Indiz ist, dass dieses Gefühl sowohl auf der linken Seite als auch auf der rechten Seite entstanden ist. Wenn in beide Richtungen Leute ‚herausfallen‘, dann kannst du geometrisch eine Verengung schwer leugnen.

          Überzeugendes Argument. Ich stimme zu.

          Viele Grüße
          E.G.

        • Stefan Sasse 5. November 2022, 11:12

          Doch, kann ich. Der absurde Effekt ist, dass die Ausweitung des Fensters von vielen als Einengung empfunden wird.

          • Thorsten Haupts 6. November 2022, 11:51

            Wo genau hat sich das Fenster nach Deiner Beobachtung ausgeweitet im Vergleich zu den achtzigern des letzten Jahrhunderts?

            • Stefan Sasse 6. November 2022, 15:25

              Bei all dem, was gerne als woke abgekanzelt wird.
              – Frauen können wesentlich stärker darüber sprechen, was ihre Erfahrungen, Erwartungen, Probleme und so weiter sind. Etwa die ganze #MeToo-Geschichte. Bis vor Kirzem wurde so etwas überhaupt nicht besprochen öffentlich. Inzwischen kann man darüber reden.
              – Sexualität. Inzwischen sprechen wir WESENTLICH offener und toleranter über andere Formen der Sexualität, etwa Homosexualität.
              – Geschlechterrollen. Transsexualität etwa wäre noch vor 10 Jahren fast unaussprechlich gewesen.
              – Kinder- und Jugendrechte. Inzwischen wird Kindern und Jugendlichen viel mehr Autonomie und Eigenbestimmung zugesprochen, ihre Erfahrungen, Erwartungen, Wünsche zählen viel mehr.
              – In den letzten Jahren sind Fahrradfahrende und die Gefahren, denen sie ausgesetzt sind sowie ihre Ansprüche viel mehr in die Diskussion gekommen.
              – Die Diskriminierung von Migrant*innen etwa durch die Polizei kann inzwischen besprochen werden.

              Nur um ein paar innen- und gesellschaftspolitische Verschiebungen zu nennen.

              • Stefan Pietsch 6. November 2022, 17:43

                Nein, man kann eben nicht (!) darüber reden. #MeToo wurde als Internet-Pranger konzipiert und fast immer so genutzt. Es geht nicht um Aufklärung, um Zuordnung. Es geht darum ein Forum für bestimmte Typen zu schaffen. Die rechtliche Aufarbeitung scheiterte oft nicht an Verjährung und des öfteren auch nicht an der Beweislage, sondern dem Willen, es überhaupt rechtlich anzugehen.

                Und die Motivlage ist dabei durchaus ekelig. Schau‘ den Fall Depp / Heard an. Seine Ex hatte und hat bis heute nicht das geringste Interesse an einer strafrechtlichen Würdigung. Sie will einfach ihren ehemaligen Partner in den Schmutz ziehen. Die Gründe interessieren dabei nicht.

                Und wenn Du darüber nachdenken würdest, müsstest Du Dir die nicht angenehme Frage beantworten, warum Du solche Verhaltensweisen gutheißt.

                • Stefan Sasse 6. November 2022, 18:11

                  Du darfst diese Sicht auf die Dinge natürlich haben. Ich halte sie aber für falsch. Nichtsdestotrotz ist davon völlig unbenommen war, dass die Debatte das Overton-Fenster verschoben hat. So wie es der Ausbruch an Rassismus und Fremdenhass ab 2015 in die andere Richtung getan hat.

                  • Stefan Pietsch 6. November 2022, 19:18

                    Du meinst auch, alles wäre nur Meinung.

                    Das sind Fakten. Zähle die „Anzeigen“ und strafrechtlich relevante Behauptungen auf #MeToo und setze das in Relation zur Anzahl der Anzeigen und Verurteilungen. Und nehme den Umgang mit gemeldeten Fällen, in denen Frauen die Täter waren.

                    Das kannst Du natürlich ignorieren. Aber Du kannst dann nicht behaupten, Du würdest die Dinge vorurteilsfrei betrachten.

              • Thorsten Haupts 6. November 2022, 20:54

                Sorry, ich kann Dir überhaupt nicht folgen. Da ist nicht ein Thema dabei, über das nicht auch schon in den achtzigern des letzten Jahrhunderts gesprochen wurde. Beim Overton-Fenster geht es nicht um Aufmerksamkeit. Sondern nur darum, worüber öffentlich weitgehend gefahrlos (also ohne gesellschaftliche oder berufliche Rückschläge) gesprochen werden KANN. Und da sehe ich in den letzten 40 Jahren nicht eine einzige nennenswerte Erweiterung – es haben sich lediglich die Scheinwerfer auf bestimmte Ausschnitte des Overton-Fensters sichtbar verschoben.

                Präziser und kürzer: Keines der von Dir genannten Themen hätte (und hat) bei Ansprache in den achtzigern negative gesellschaftliche oder berufliche Folgen gehabt. Schweigen (also Nicht-Resonanz) ist persönlich ärgerlich, aber das war´s dann auch schon.

                Gruss,
                Thorsten Haupts

                • Stefan Sasse 6. November 2022, 22:01

                  Ne, klar, sich als transsexuelle Person zu outen, oder auch nur als homosexuell, hätte in den 1980er Jahren keine beruflichen Nachteile gebracht. Roger.

                  • Thorsten Haupts 6. November 2022, 23:10

                    Wir sprachen über öffentliche Debatte (Overton-Window) und nicht über gesellschaftliche Lebenspraxis. Du konntest in den achtziger selbstverständlich und völlig öffentlich Homo- und Transsexualität diskutieren, ohne Nachteile, Du konntest sie in vielen gesellschaftlichen Milieus nur nicht offen leben. Bitte nicht immer alles mit allem zusammenschmeissen.

                    • Stefan Sasse 7. November 2022, 07:50

                      Nein, konntest du einfach nicht. Das Overton-Fenster ist das:
                      Als Overton-Fenster wird der Rahmen an Ideen bezeichnet, die im öffentlichen Diskurs akzeptiert werden, unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Moral. Nach diesem Modell enthält dieses Fenster eine Reihe von Postulaten, die im aktuellen Klima der öffentlichen Meinung als politisch akzeptabel angesehen werden und die ein Politiker empfehlen kann, ohne als zu extrem zu wirken, um ein öffentliches Amt zu erhalten oder zu behalten. Das Konzept wird auf der ganzen Welt angewandt, insbesondere von politischen Analytikern, zum Beispiel zur Evaluation und Einschätzung von Sachverhalten. Ein verwandter Begriff ist der Meinungskorridor, der in Schweden und Norwegen verwendet wird.
                      (https://de.wikipedia.org/wiki/Overton-Fenster)
                      Nicht:
                      Du kannst es sagen, ohne bestraft zu werden.

      • Stefan Pietsch 4. November 2022, 07:34

        9) Das ist eine weder durch Demoskopie noch durch die Sozialforschung gedeckte Wahrnehmung. Wie kommst Du also darauf?

      • cimourdain 4. November 2022, 09:38

        10) Ganz konkret: Das sind die beiden seriösesten außenpolitischen Thinktanks in DE (Dank an Maniac für die Erwähnung von letzterem)
        https://lobbypedia.de/wiki/Deutsche_Gesellschaft_f%C3%BCr_ausw%C3%A4rtige_Politik
        https://lobbypedia.de/wiki/Stiftung_Wissenschaft_und_Politik

        – beide überparteilich aber dennoch Echokammern für Gleichgesinnte
        – beide eine Spielwiese für Lobbyisten

        Warum sollte also ein neuer Honigtopf keine Fliegen anlocken?

    • Lemmy Caution 6. November 2022, 13:29

      9) Albrecht Müllers Argumentation kann ich da überhaupt nicht folgen.
      Volkswirtschaftslehre ist eine interpretative Wissenschaft. Die Papers werden ja auf Grundlage der Vorstellungen im Kopf der Wissenschaftler über die jeweiligen Gegebenheiten geschrieben. „Die“ Wirtschaft ist einfach zu komplex, als man dies überblicken könnte. Die Wissenschaftler benutzen also abstrakte, vereinfachende und oft mathematische Modelle, die auf den Vorstellungen in ihren Köpfen und nicht auf der Realität beruhen. Die Gestaltung der Modelle hängt wiederum stark von der ideologischen Ausrichung des Wissenschaftlers ab.
      Die Umwelt, in der unsere Wirtschaft stattfindet, unterliegt bestimmten, im Wandel begriffenen Randbedingungen. In den für Müller goldenen Jahren Anfang der 70er waren diese anders als unter den Regierungen Schmidt, Kohl, Schröder, Merkel und Scholz. In den 70er wirkten zunächst die Ölpreisschocks sowie im weiteren Verlauf dann der Eintritt immer geburtenstärkerer Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt und die immer drängendere Konkurrenz aus Ostasien. Da war dann Müllers ultra-keynesianische Einstellung nicht mehr so zeitgemäß. Der Mann wurde da wohl zunehmend zu einem Außenseiter.
      Ich finde, dass radikale Haltungen durch das Internet eine viel einfachere Verbreitung finden. Inhalte, die in den 90ern von einem schlecht rasierten und gekleideten Student als 2-farbiges Flugblatt verteilt wurden, gibts heute auf gut designten Webseiten.

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