„What ever it Takes“-Politik mit Inflationszuschlag

Eine Wissensfrage gleich zu Anfang: Wer ist in der Europäischen Union und damit auch Deutschland für die Sicherung der Preisstabilität zuständig? Sie kommen nicht drauf? Gut, die Frage ist auch tricky, denn so genau wissen das selbst ausgewählte Finanzexperten und Regierungspolitiker nicht. In dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union findet sich in Artikel 282 der bemerkenswerte Satz:

Das ESZB (Europäische System der Zentralbanken; d.Verf.) wird von den Beschlussorganen der Europäischen Zentralbank geleitet. Sein vorrangiges Ziel ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten.

Der naive Beobachter meint, damit sei alles gesagt. Mitnichten. Die Europäische Zentralbank, gemeinhin mit den Initialen E Z B abgekürzt, weiß das so genau auch nicht. Was ist eigentlich Preisstabilität? Die vertraglich ernannten Währungshüter hatten da über die Zeitabläufe so ihre unterschiedlichen Definitionen. Anfangs wollte man in Frankfurt den Euro so stabil halten wie zuvor die Kollegen von der Deutschen Bundesbank die DM. Doch dann übernahm mit Trichet ein Franzose die Leitung der Notenbank und der Rat quantifizierte sein Ziel der Geldwertstabilität. „Nahe 2%“, aber darunter sollte die Inflationsrate im Euroraum liegen. Das Wort „mittelfristig“ wurde noch ergänzt, was eigentlich gar nichts heißt. Im Mittel sind wir alle tot, so ungefähr. Seit kurzem wurde noch das Wieselwort „systemisch“ ergänzt, was wenigen etwas sagt, aber der Währungspolitik sehr freie Hand gewährt.

Lesedauer: 6 Minuten

2011 kam der Italiener Mario Draghi und mit ihm die europäische Staatsfinanzkrise, was nicht ursächlich miteinander zu tun hat, sondern einfach eine Koinzidenz war. Aber mit der Bedrohung des europäischen Finanzsystems durch ausufernde Staatsschulden machte sich der frühere Investmentbanker einen Namen. Sein „What ever it takes“ – nicht in Deutsch, Französisch oder Italienisch gesprochen, sondern in Englisch, obwohl die Briten gar nicht Mitglied der Währungsunion waren – machte der Finanzwelt klar: Die EZB war gekommen, um zu bleiben. Ein damals möglich erscheinendes Ende des Europäischen Währungssystems und damit der EZB war für die EZB-Spitze kein Thema. Draghi verkündete, die Notenbank werde sich von niemanden abschaffen lassen, weder von Politikern und schon gar nicht von der Wirkungsmacht der Finanzmärkte.

Eben um den Preis „What ever it takes“. Und das ist inzwischen ziemlich viel. Über 8,7 Billionen Euro beträgt die Bilanzsumme der Notenbank, vor zehn Jahren waren es noch 3,1 Billionen Euro gewesen. In diesen zehn Jahren hat die EZB also 5,6 Billionen Euro an Geld in die Finanzmärkte gepumpt, wovon Experten sagen, nur eine Billion sei davon durch Wirtschaftswachstum gerechtfertigt gewesen. Bleiben über 4 Billionen Euro, die auch angelegt, verbracht usw. werden müssen.

Auch wenn nicht-diplomierte, selbsternannte Finanzexperten immer das Gegenteil erzählen, ist es mit dem Geld eine einfache Sache. Geld ist dafür da, den Austausch von Waren und Dienstleistungen zu ermöglichen und zu finanzieren. Die wichtigste Voraussetzung: Es muss Waren und Dienstleistungen geben, die zum Verkauf stehen und es muss Leute geben, die sie wollen. Vielleicht merken Sie es bereits, wir nähern uns langsam dem Kern des Inflationsproblems.

Um eine Vorstellung zu bekommen, was überhaupt 4 Billionen Euro unnützen Geldes sind, dem nach Ansicht der Wachstumsstatistik keine Waren und Dienstleistungen gegenüberstehen: Das gesamte Bruttoinlandsprodukt (BIP) Deutschlands – also das, was im Herzen Europas produziert wird – beläuft sich gerade auf 3,6 Billionen Euro.

2020 kam Corona und die Leute hatten gerade keine Lust, ihr verdientes Geld auszugeben. Anfang diesen Jahres, die Masken der Pandemie fielen gerade, war die Lust am Erleben wieder da. Die Kaufhäuser sind wieder voll, die Flüge in den Urlaub auch, aber es gibt neue Probleme. Im fernen China, längst Hauptlieferant unzähliger Billigprodukte in die ganze Welt, hat Impfstoffe verabreicht, die nicht wirken und Lockdowns verhängt, die wörtlich zu nehmen sind. Die Chinesen dürfen nicht zur Arbeit und nicht exportieren. Der russische Überfall auf die Ukraine hat den Westen erst auf Energiediät gesetzt und droht durch den Ausfall der Ernten in den beiden slawischen Staaten die Welt in eine Lebensmittelknappheit zu stürzen.

Es braucht nicht unbedingt ein Studium der Volkswirtschaftslehre um zu verstehen: viel Nachfrage, wenig Angebot – das kann eigentlich nur zu steigenden Preisen führen, erst recht, wenn viel (freies) Geld im Markt ist. Das wäre im Prinzip verkraftbar, wenn nicht die westlichen Staaten, namentlich die USA, Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien, noch mit ihrer Politik für den perfekten Sturm sorgen würden.

Frisch im Amt und ausgestattet mit einer Mehrheit im Kongress, beschloss Präsident Joe Biden einen 1,9 Billionen Dollar Stimulus, natürlich auf Pump. Das lässt sich in die Sprache der Ökonomen übersetzen mit „noch mehr Geld“. Genau die Ökonomen wie der ehemalige Finanzminister Larry Summers hatten auf breiter Front den alten Mann im Oval Office gewarnt. Der Push könnte die Umdrehung zu viel sein in der seit bald 20 Jahren auf Kredit finanzierten amerikanischen Wachstumsgesellschaft. Anfangs hatte die Börse ihre Freude, die Kurse erlebten eine Hausse in der Hausse. Aber die Rallye war nur von kurzer Dauer, im Oktober 2021 beschloss die amerikanische Notenbank Fed das Ende des Bondaufkaufprogramms und die erste Zinserhöhung seit Jahren. Der doppelte Obama kam als Bumerang zurückgeflogen. Der frühere Präsident hatte in seiner ersten Amtszeit einen Stimulus von 850 Milliarden Dollar aufgelegt.

Die Europäer marschierten in die gleiche Richtung. Angeblich zur Bekämpfung der Pandemiefolgen beschlossen die Mitgliedsstaaten ein lupenreines Kreditprogramm von 750 Milliarden Euro (1 Obama), was die Spitze der EU-Kommission bis heute nur als Ouvertüre der Organisation ohne Haftung versteht. Damit lebt es sich in der Politik ohnehin besser. Die Kommission mit ihrer gleichzeitig so ehrgeizigen wie populistischen Präsidentin Ursula von der Leyen schärfte die ohnehin ambitionierten Reduktionsziele bei den CO2-Emissionen weiter nach. Doch Verknappung der Zertifikate im EU ETS (Emissions Trading System) bedeutet Verteuerung von Energie. Einer der renommiertesten Klimaforscher, Lennart Bengtsson, meint dazu:

Die Pariser Ziele sind meines Erachtens insbesondere für die Europäische Union zu ehrgeizig und sollten an das technisch Machbare angepasst werden, um schwerwiegende und akute wirtschaftliche Probleme für die Industrie und die Öffentlichkeit zu vermeiden. Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um die Emissionen überall zu reduzieren, auch in Schwellenländern. Werden Treibhausgasemissionen nicht weltweit umgesetzt, lässt sich die Erwärmung kaum aufhalten.

Doch die Message verhallt ungehört. Die gesamte westliche Politik ist stark auf Expansion getrimmt, in den Sozialsystemen, im Umwelt- und Klimaschutz, in der staatlich finanzierten Infrastruktur und inzwischen auch bei der inneren und äußeren Sicherheit. Alles muss gleich, mindestens jedoch sofort erfüllt werden. Da jedoch die Ressourcen an Mensch, Kapital und Produktionskapazitäten fehlen, erreicht die Politik vor allem eins: steigende Preise.

Währenddessen übten sich die europäischen Kollegen der Fed in Appeasement Politik. EZB-Chefin Christine Lagarde und ihre deutsche Adjutantin Isabel Schnabel taten es trotz steigender Inflationsraten im vierten Quartal den berühmten drei Affen gleich. Erst mochte man im Frankfurter Elfenbeinturm den Preisanstieg nicht erkennen, dann wähnte man ihn ohnehin nur von kurzer Dauer und Frau Schabel verkündete zu morgentlicher Stunde im deutschen Gebührenfernsehen, die Preise seien ohnehin zu niedrig. Kann man so sehen, muss man nur noch den Leuten klar machen, die nicht über ein sechsstelliges Salär verfügen.

Solche Prognosefähigkeiten liegen weit unter dem Können eines typischen Anfängers im Controlling. Die einfache Erklärung für solchen offenkundigen Dilettantismus wäre Unfähigkeit. Doch Madame Lagarde ist mit Sicherheit kein Gimpel. In diesen Tagen vollzieht sich die Aufdeckung einer Lüge, die mindestens in die frühen Tage des Mario Draghi zurückreichen und die der Französin erst ihr Amt verschaffte. Der heutige Ministerpräsident Italiens wollte den schon 2012 klammen Südländern, voran Italien und Spanien, Zeit beim Abbau ihrer kritischen Schuldenstände verschaffen.

Am vertraglichen Auftrag vorbei ist die Geldpolitik der EZB darauf gerichtet, die Zinsspreads zwischen den Staaten gering zu halten. Der technische Begriff bezeichnet den Unterschied der Zinsen, den die Staaten für ihre Anleihen an Gläubiger zahlen müssen. Lag der Spread zwischen deutschen und italienischen Bonds in den letzten Jahren gerade etwas über 100 Basispunkten (entspricht einem Prozentpunkt) hat sich der Wert inzwischen mehr als verdoppelt, Tendenz stark steigend. Die Entwicklung auf den Anleihemärkten hat die EZB-Spitze in diesen Tagen so in Sorge gebracht, dass eine Krisensitzung anberaumt wurde. Wohlgemerkt, die Notenbank ist nicht über die Inflation im Euroraum besorgt, sondern um die Staatsfinanzierung.

Als die europäischen Regierungschefs sich vor drei Jahren ob der Besetzung der Kommission verhakt hatten, vereinbarten Emmanuel Macron und die in Personalfragen durchsetzungsschwache Angela Merkel einen typischer Hinterzimmerdeal. Die in arge innenpolitische Bedrängnis geratene Verteidigungsministerin von der Leyen sollte die Brüsseler Behörde übernehmen, dafür machte Deutschland den Weg frei für einen weiteren Franzosen auf dem Chefsessel der mächtigen Notenbank. Die Fortsetzung der ultralockeren Geldpolitik war im Prinzip für den französischen Präsidenten nicht verhandelbar. In den Nullerjahren hatte sich der frühere Stabilitätsanker Frankreich nämlich zu einem Krisenland gewandelt. Die Staatsschulden sind von 90% auf 120% gestiegen, den Tripple-A-Status hat die Grande Nation bereits im Laufe der Eurokrise verloren. Bei einem angenommenen Spread von 200 Basispunkten zu deutschen Anleihen muss Paris 40 Milliarden Euro mehr an Zinsen zahlen.

Die EZB, in deren Gremien die Vertreter der Südländer den Ton angeben, hat sich zum Gefangenen ihrer vertragswidrigen Rettungspolitik gemacht. Das heutige Lavieren bestätigt die Rechtsposition des Bundesverfassungsgerichts und widerlegt die Richter am EuGH. Die Hüter der Maastricht-Verträge am ständigen Sitz in Luxemburg konnten bisher kein vertragswidriges Verhalten feststellen. Eins zu eins übernahmen sie die Position der EZB, dass die Anleihenkäufe nur dem Ziel dienten, die Geldwertstabilität im Euroraum sicherzustellen.

Das ist, das muss so hart gesagt werden, immer eine Lüge gewesen. Das trickreiche Verhalten der wichtigen Institutionen der Europäischen Union, an Recht und Verträgen vorbei, ist ein schwerer Schlag für das Rechtsempfinden der Menschen in den Nordländern. Während alle wichtigen Notenbanken längst abgekehrt sind vom Quantitive Easing, hält Frankfurt weiterhin an der expansiven Geldpolitik fest. Gerade beschloss der Rat der Bank, Italien weiterhin durch Fortführung der Anleihenkäufe zu helfen.

Ein Staatswesen kann nicht funktionieren, wenn seine Institutionen die ihnen durch Vertrag und Verfassung zugewiesenen Aufgaben nicht wahrnehmen. In Zeiten galoppierender Inflationen muss die Geldpolitik alles dafür tun, die Entwertung von Einkommen und Vermögenswerten zu stoppen. Denn, so sagte die Bank einstmals selber:

Unser vorrangiges Ziel besteht darin, Preisstabilität zu gewährleisten, also den Wert des Euros zu wahren. Preisstabilität ist unabdingbar für das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen – zwei Ziele der EU. Sie stellt den wichtigsten Beitrag dar, den die Geldpolitik auf diesem Gebiet leisten kann.

Anders ausgedrückt: die Politik der Geldschwemme, die erst die heutige Inflation möglich gemacht hat, zerstört die Grundlagen für Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Es ist ein Verarmungsprogramm, die in der Wirtschaftsgeschichte viele Vorbilder hat – in Italien, Spanien, Griechenland. Bevor die mediterranen Staaten der Währungsunion beitraten, versuchten sie sich regelmäßig über ihre Notenbanken und hohe Inflationsraten zu sanieren. Über Jahrzehnte verloren ihre Bürger so Wohlstand gegenüber den auch heute prosperierenden Ländern im Norden. Seit Sommer 2021 hat der Euro gegenüber dem Dollar um 14% abgewertet. Selbst der Schweizer Franken, der sich eigentlich eng an die Gemeinschaftswährung bindet, wertete binnen Jahresfrist um 7% auf. Weichwährungen führen zu Wohlstandseinbußen.

Lange behaupteten Vulgär-Keynesianer, die einstmals bei 1,3 – 1,7 Prozent rangierenden Preissteigerungen seien Ergebnis einer viel zu zurückhaltenden Lohn- und Tarifpolitik in Deutschland, die das gesamte Währungssystem in Schwierigkeiten bringen würde. Sie leugneten den Effekt der Globalisierung, der niedrige Preise für Importgüter ermöglichte. Seit den Zehnerjahren steigen die deutschen Lohnstückkosten schneller als in fast allen anderen OECD-Ländern, ohne dass dies spürbare Auswirkungen auf die Preisentwertung gehabt hätte. Geldpolitische Ideologen wie Lafontaine und der emeritierte Hamburger Professor Heiner Flassbeck sind widerlegt.

Die Politiker fürchten die Wut der Bürger. Als Getriebene der Krisen von Corona, Ukraine und Klima agieren sie immer kopfloser und konterkarieren die eigenen Ziele. Jahrelang herrschte Einigkeit, dass Energie verteuert werden müsse. Kaum bekommen die Wähler zu spüren, was eine grüne Klimapolitik im Raw-Modus bedeutet, schreckt die deutsche Politik vor den Konsequenzen zurück. Mit Rabatten im Dutzend günstiger wird gewedelt, Entlastung an vielen Stellen versprochen.

Die Mobilität sollte den Deutschen ausgetrieben werden. Stattdessen fährt nun jeder, der will, quer durch Deutschland zum Preis von 9 Euro. Die Züge sind hoffnungslos überfüllt, verdreckt, verspätet in drückender Enge. Also eigentlich der normale Bahn-Wahnsinn, nur im Quadrat. Und weil alles so sozial ist, werden nun die Billigheimer in die 1. Klasse vorgelassen, um der Staatsbahn die letzten gutzahlenden Kunden abspenstig zu machen.

Der Staat verschuldet sich entgegen den Regeln der Verfassung in atemberaubenden Tempo. Allein die Rettungspakete in der Corona-Pandemie verschlangen eine halbe Billion Euro, also die Hälfte der Kosten für die Deutsche Einheit. Damals wurde immerhin ein ganzes Land mit moderner Infrastruktur ausgestattet. Diesmal wurde nur gezahlt, damit Menschen nicht arbeiteten und marode Unternehmen nicht untergingen. Und die Politiker von SPD und Grünen meinen, es könne immer so weitergehen.

Die Bundesregierung verausgabt 500 Milliarden Euro. Das Problem: die Einnahmen aus Steuern, Beiträgen und Gebühren belaufen sich gerademal auf 340 Milliarden Euro. Die Existenz der FDP und damit die Kanzlerschaft von Olaf Scholz hängt nun daran, dieses gigantische Loch im Staatshaushalt zu schließen. Die grünen und sozialdemokratischen Partner sind aber nicht gewillt, dabei mitzumachen, ihre Ausgabenwünsche sind unermesslich.

Der Staat wirkt mit seinen unbegrenzten Ausgabenwünschen als Treiber der Inflation. Wenn rein schuldenfinanziert Sozialwohnungen gebaut, Windkraftanlagen errichtet, der öffentliche Dienst digitalisiert werden soll, dann treibt der Staat vor allem die Preise. Also großer Mengennachfrager, der schlecht zahlt, setzt der Staat mit seinem Gebaren die anderen Marktteilnehmer unter Preisdruck. Steigende Mindestlöhne und höhere Sozialtransfers verteuern den Faktor Arbeit und schaffen bei geringem Angebot zusätzliche Nachfrage. Und ist das nicht genug, werden mit neuen Regeln und Auflagen neue Schippen aufgelegt.

Viel ist in diesen Tagen von der Gier der Mineralölkonzerne die Rede. Der SPIEGEL-Kolumnist Thomas Fricke mag keine Inflation erkennen, sondern nur Unternehmen, die sich erdreisten, abseits von üblichen Kostensteigerungen die Preise zu erhöhen. Tatsächlich kassiert der Bund allein 2022 über die Energiesteuer 16 Cent pro Liter mehr als im Vorjahr. Er partizipiert anteilig an den Einstandspreisen durch die Mineralöl- und Umsatzsteuer und zur Krönung verteuert der Wechselkurs zum Dollar die Preise an der Zapfsäule, aktuell um 15%.

Das Toxische an hohen Inflationen ist, dass sie ständig die Preisrelationen verzerren. Die Konsumenten verlieren das Gefühl, was günstig, was teuer ist. Vergleiche werden erschwert und die Verbraucher zu irrationalen Verhaltensweisen gezwungen. Sie kaufen schneller zu höheren Preisen, weil schon morgen der alte Preis ein Schnäppchen sein kann. Obwohl die Automobilhersteller 2021 mit Produktionsstopps zu kämpfen hatten, wurde es für einige ein Rekordjahr. Mercedes-Benz verkaufte weniger Autos, steigerte sein operatives Ergebnis (EBIT) aber von 6,6 Milliarden Euro auf traumhafte 29 Milliarden Euro.

Die schlechte Nachricht: die Akteure des Staates sind zu Gefangenen ihrer Fehler in der Vergangenheit geworden. Die Fortsetzung der ruinösen Politik kommt an ihr Ende und die Entzugswirkungen für die Menschen werden dramatisch ausfallen. Alles hat seinen Preis, auch unseriöse Politik. Die allerdings mit exorbitanten Inflationszuschlägen.

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  • Tim 16. Juni 2022, 20:53

    Volle Zustimmung, leider. Die Politik der EZB wird bestimmt von Leuten, die bei ihren Planungen stets vom besten Fall ausgehen – seriöse Währungspolitik muss jedoch genau andersherum denken. Wie Stefan Pietsch richtig schreibt, war die EZB allerdings nie an Währungspolitik interessiert. Es ging ihr vor allem seit der Euro-Krise darum, die Haushalte der EU-Südstaaten zu finanzieren oder zumindest finanzierbar zu machen. Sie hat dieses Bestreben auch nie verheimlicht.

    Wir sind heute in Europa gefangen von einer politischen Klasse, die bei jedem Problem immer nur eine Lösung kennt: mehr Geld. Im Grunde muss man feststellen, dass sich Frankreich in den letzten 25 Jahren wirtschafts- und finanzpolitisch in der EU voll durchgesetzt hat. Von der halbwegs ordnungspolitischen Bangemann-EU ist nichts mehr übrig. Die EU denkt heute so, wie französische Beamte schon immer gedacht haben.

    Allerdings sehe ich auch keine Möglichkeit, diesen Schrotthaufen irgendwie zu reformieren. Es wird immer so weitergehen.

    • Jens Happel 17. Juni 2022, 08:18

      Allerdings sehe ich auch keine Möglichkeit, diesen Schrotthaufen irgendwie zu reformieren. Es wird immer so weitergehen.

      Ich denke die EU ist zu starr geworden. Echte Reformen sind kaum noch möglich. Der Euro zwängt zusätzlich alle in einen Anzug der keinem richtig passt. Dem einen ist die Jacke zu groß dem anderen die Hose zu lang.

      Lesenswert ist die Geschicte der lateinischen Münzunion. Es gibt etwas überraschend sehr viele Parallelen.

      https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/fileadmin/user_upload/RI/Studien/files/studie-190516-die-lateinische-muenzunion.pdf

      Ich tippe der Brexit war nur der Anfang. Aber wie bei der lateinischen Münzunion, wird sich das Trauerspiel noch ein paar Jahrzehnte hinziehen.

      • Tim 17. Juni 2022, 09:37

        Ich tippe der Brexit war nur der Anfang. Aber wie bei der lateinischen Münzunion, wird sich das Trauerspiel noch ein paar Jahrzehnte hinziehen.

        Ja, ich schätze auch, dass einige Nordstaaten irgendwann die Nase voll haben. Irgendwann wird auch Großbritannien wieder ein seriöses Land sein, das würde weitere Abspaltungen aus der EU fördern. Von Deutschland sind allerdings keine wesentlichen Impulse zu erwarten.

        • Stefan Pietsch 17. Juni 2022, 11:45

          Das sehe ich nicht so. Der BREXIT hat gezeigt, dass ein Austritt aus der EU mit extrem hohen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden ist. Und es ist nicht erkennbar, dass mit einer Solitärlösung etwas gewonnen wäre. Die EU allerdings wird sich mehr und mehr zu einem Italien in Groß entwickeln mit einem ausgeprägten Mezzogiorno. Deutschland mit seiner sehr stark alternden Bevölkerung wird keine Kraft mehr für Reformen und Neuorganisation besitzen.

          • Tim 17. Juni 2022, 15:08

            „Extrem hohe“ Kosten? – Sicher nicht im Vergleich zu den Kosten, die etwa Griechenland durch die Euro-Zugehörigkeit entstanden sind.

            Natürlich, in Europa fehlt eine kritische Masse außerhalb der EU, die als Block attraktiv wäre für weitere Abtrünnige (GB+CH+Norwegen + ???). Wettbewerb belebt das Geschäft, darum würde so etwas auch der EU sehr gut tun.

            • Stefan Pietsch 17. Juni 2022, 18:16

              Griechenland hat vor allem viele Vorteile. Für Bürger und Unternehmen ist es enorm angenehm und reduziert Transaktionskosten nahe Null, wenn man in einer stabilen Währung agieren und handeln kann. Die Griechen wussten am ehesten, was sie gewonnen haben und die Referenden haben klar gezeigt: die Wiedereinführung der Drachme wäre der Horror für die meisten gewesen. Und das Gemeinwesen hat deutlich niedrigere Kosten für die Verschuldung.

              Wir haben sicher keinen Dissens über die Dysfunktionalität der EU. Aber eine europäische Konkurrenz zur Gemeinschaft ist schlicht nicht denkbar. Weder Skandinavier noch Benelux und schon gar nicht die Balten bringen genügend Bürger und Wirtschaftskraft mit, dass eine solche Union Gewicht in der Welt hätte. Leider sind die Briten falsch abgebogen und niemand bedauert das so wie ich.

      • Stefan Pietsch 17. Juni 2022, 11:41

        Echte Reformen sind kaum noch möglich.

        Streiche das „kaum noch“.

        • Tim 17. Juni 2022, 15:12

          @ Stefan Pietsch

          Die Verträge von Maastricht und Lissabon galten ja als wichtige Reformwerke. Leider wurde zu erheblichen Teilen falsch reformiert.

          • Stefan Pietsch 17. Juni 2022, 18:10

            Der Vertrag von Maastricht wurde nie eingehalten. Das ist das Drama. Wenn jemand behauptet, die Verträge seien leider nicht praktikabel, so stimmt das nicht. Bei einem Regelwerk, das die Parteien zu keinem Zeitpunkt einhalten, liegt es am Willen.

            Lissabon war durch die vorherigen Vertragsverhandlungen kontaminiert und ist so komplex ausgefallen, dass es niemand lesen will.

    • Stefan Pietsch 17. Juni 2022, 10:53

      Was ich von Übelst finde, ist zum einen, dass es für die Änderung der Funktion der EZB nie eine Grundlage gab, weder eine demokratisch legitimierte, noch eine durch Urteil oder Vertragsänderung – einfach aus eigener Machtvollkommenheit. Die Notenbank legte damit Hand an die Vermögen von Millionen von Menschen – ohne jedes Recht. Das andere ist, dass der EuGH, also die Instanz, welche die Rechte der EU-Bürger schützen und die Durchsetzung der Verträge garantieren soll, so eklatant versagt hat. Die Richter wären die einzigen gewesen, die sich mit den Währungshütern hätten anlegen können (und müssen). Rechtstreue der Bürger gründet darauf, dass sich sicher sein können, dass es eben auch nach Recht und Gesetz zugeht.

  • Jens 16. Juni 2022, 20:58

    Glückwunsch zu der Überschrift! Sehr gelungen.

    Bei deinem letzten Absatz gehe ich voll mit.

    Bei dem was zwischen Überschrift und letztem Absatz ist. Habe ich ein paar Anmerkungen. Wäre sonst ja auch langweilig.

    Eigentlich war allen klar, dass „What ever it takes“ nur Zeit kauft und die grundlegenden Probleme der Eurozone beseitigt werden müssen. Die Problembeseitigung geriet „etwas“ in Vergessenheit. Die Probleme sind immer noch da, nur die Schulden sind jetzt viel höher.

    Die EZB ignorierte die Assetinflation und verwies immer wieder auf die niedrige Inflation der Konsumgüter. Jetzt haben wir aufgeblähte Aktienkurse und Immobilienpreise. Wenn jetzt die Wirtschaft einbricht, kann die EZB nicht mehr die Zinsen drücken und QE betreiben ohne eine komplett aus dem Ruder gelaufene Inflation zu riskieren. Und vieles deutet daraufhin, dass die Wirtschaft stagnieren oder einbrechen wird.

    Die stockenden Warenflüsse sind Sand im Getriebe der Weltwirtschaft und der Ukrainekrieg tut sein übriges.

    Der Westen beschäftigt sich jetzt mit der Taiwanfrage und insgesamt ist der Tenor wir sind zu Abhängig von China. Davon wieder loszukommen geht nur langfristig und kostet Wachstum, deswegen sind ja schließlich alle da hin.

    Außerdem dürfte der Umbau in eine grüne Wirtschaft ebenfalls Wachstum kosten. Die Umstellung auf eine grüne Wirtschaft ist erstmalig eine industrielle Umwälzung die enorme Investitionen, also Schulden, erfordert, allerdings keine Produktivitäststeigerung mit sich bringt. Im Gegensatz zu den Umwälzungen der Vergangenheit, Eisenbahn, Individualverkehr, Internet etc. geht damit eben keine Steigerung der Produktivität einher. Eher das Gegenteil ist der Fall, Energie wird knapper und teurer. Wer glaubt die Sonne kostet nichts soll sich mal die Kosten für Energiespeicher anschauen. Abgesehen davon, das es bislang keine gibt, für die im Winter üblichen ,so ein bis zwei Wochen dauernden Dunkelflauten (kaum Wind Sonne sowieso nicht). Wer jetzt was von Wasserstoff faselt soll sich mal einlesen wie man große Mengen Wasserstoff lange speichern kann. Kurfassung: Gar nicht! Zumindest nicht irgendwie kostengünstig.

    In der Vergangenheit konnten die Schulden, die für die Umwälzung erforderlich waren, relativ leicht geschultert werden, da die gestiegene Produktivität dies erlaubte ohne den Konsum nennenswert zu drücken. Die Schulden die wir jetzt dafür machen, werden somit zwangsläufig nur durch Konsumverzicht zu schultern sein.

    Der Ausblick auf das nächste Jahrzehnt für Deutschland ist trübe.

    Lange behaupteten Vulgär-Keynesianer, die einstmals bei 1,3 – 1,7 Prozent rangierenden Preissteigerungen seien Ergebnis einer viel zu zurückhaltenden Lohn- und Tarifpolitik in Deutschland, die das gesamte Währungssystem in Schwierigkeiten bringen würde. Sie leugneten den Effekt der Globalisierung, der niedrige Preise für Importgüter ermöglichte. Seit den Zehnerjahren steigen die deutschen Lohnstückkosten schneller als in fast allen anderen OECD-Ländern, ohne dass dies spürbare Auswirkungen auf die Preisentwertung gehabt hätte. Geldpolitische Ideologen wie Lafontaine und der emeritierte Hamburger Professor Heiner Flassbeck sind widerlegt.

    Hier muss ich mal einhaken, (hast du dir sicher schon gedacht 😉 ). Der angebliche „Vulgär“ Kenysianer, wieso muss man Andersdenkenden immer gleich solche häßlichen Ettiketen anhängen, ist mitnichten widerlegt. Denn das Target2 Saldo war, als ich das letzte mal drauf geschaut hatte nicht ausgeglichen. Und die so unglaublich gestiegenen Lohnstückkosten haben in 2021 dazu geführt, dass unsere Handelsüberschuss immer noch so ca. 5% des Bip ausmacht.

    (Die 5% habe ich jetzt nur grob überschlagen
    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1251/umfrage/entwicklung-des-bruttoinlandsprodukts-seit-dem-jahr-1991/

    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/252105/umfrage/handelsbilanz-der-eu-laender/)

    Die Frage ist wo ist das Geld für die ganzen Exporte (über der Null) den hingegangen? Zu den Löhnen der unteren 50% ganz sicher nicht. Und wieso soll das kein Problem für die Eurozone sein, wenn ein Land ständig mehr in ein anderes Euroland exportiert? Das Importland kann Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland nur durch senken des Löhnniveaus gegenüber deutschland erreichen. Das ist nahezu unmöglich, wenn Deutschland seine Löhne real kaum anhebt. Dann müßte das Importland seine Löhne nominal senken, dies führt aber zu einer üblen Abwärtsspirale, da die Nachfrage in diesem Land dann stark einbricht.

    Es ist genau das eingetreten was Flassbeck prognostiziert hat. Wenn Deutschland sein Löhne nicht stärker steigen lässt als der Süden, wird der exorbitante Außenhandelsbilanzüberschuss zementiert und damit die Ungleichheit in der Eurozone. Es ist nämlich schlichterdings unmöglich, dass die Eurozone als ganzes einen Außenhandelsbilanzüberschuß von 5% einfährt, um intern einen Ausgleich zu schaffen. Durch einen europäischen Länderfinanzausgleich ist es übrigens auch nicht zu schaffen, die Summen sind viel zu groß und würden die Schieflage nur noch zementieren und zur Planwirtschaft führen.

    Das Grundproblem der Eurozone it, es schweißt zusammen was wirtschaftlich nicht zusammen passt. In beiden Ländern leiden die Angestellten und Arbeiter, die Einkommenmäßig die unteren 50% stellen. Die einen partizipieren nicht mehr an den realen BIP Wachstum die anderen verlieren gleich den Job. In beiden Ländern profitieren die Top10. Geld kann frei fließen, Waren sind billig und Dienstleistungen sowieso, die Geldpolitik genrriert ihnen leistungslose Vermögenszuwächse an den Börsen und dem Immobilienmarkt.

    Die unteren 50% schaffen es kaum noch Vermögen aufzubauen. Bei jetzt 7% Inflation schon zweimal nicht.

    Das Flassbeck irgendwo bestritten hat, das die Globalisierung einen preisdämpfenden Effekt hat, wäre mir neu.

    Bei dem Rest deines Artikels gehe ich mit. Deutschland ist TakaTuka Land. Ideolgie in allen Bereichen ersetzt rationales Denken und Handeln.

    Das geht alles auf Dauer nicht gut. Schon in den letzten 10 Jahren hat Deutschland netto 0,5 Mio Leistungsträger verloren. Die Kombi aus ideologiegetriebener Pipi Langstrumpf Politik und unfähiger Bürokratie dürften noch mehr Leute aus dem Land treiben.

    Viele Grüße
    Jens

    • Lemmy Caution 17. Juni 2022, 04:53

      Mal abgesehen davon, dass ich Flassbeck nicht leiden kann: Die top 10% haben ihr Geld angelegt. Die Aktien-Kurse haben massiv an Wert eingebüßt und Immobilien vermutlich auch.
      Wie Tim unten sehr richtig andeutet besteht die Lokomotiv-Funktion unserer Wirtschaft (d.h. eigentlich der Nord-Europäischen) für die EU darin, dass wir in anderen dynamischeren Weltregionen Käufer finden.

      • Jens Happel 17. Juni 2022, 10:07

        Wie Tim unten sehr richtig andeutet besteht die Lokomotiv-Funktion unserer Wirtschaft (d.h. eigentlich der Nord-Europäischen) für die EU darin, dass wir in anderen dynamischeren Weltregionen Käufer finden.

        Lezteres gelingt gerade hervorragend, weil für Deutschland die Währung zu schwach ist. Das sagt/e sogar Prof. Sinn. Eventuell kannst du den besser leiden.

        Die Lokomotivfunktion hat eher was von einer Dampfwalze für den Süden.

        Die Stärke des Euros entspricht letztlich dem Mittelwert der wirtschaftlichen Stärke der Euroländer. Für die produktiven ist es somit unterbewertet und für die schachen Überbewertet. Kann gar nicht anders sein.

        In den USA ist das für die Staaten genausso. Nur dort können zum einen Menschen aus schwachen Regionen vielleichter der Arbeit nachziehen als bei uns in der EU. Die sprachliche Barriere ist hier viel höher kulturelle Unterschiede kommen hinzu. Außerdem gibt es weniger Ausgleichszahlungen um Unterschiede zu glätten.

        Für mich kommen die Probleme der Eurozone im wesentlichen von der unterschiedlichen Produktivitätsentwicklung in Relation zu den Löhnen. Die hohen Schulden sind für mich eine Konsequenz dieser Produktivitätsenwticklung. Von Griechenland mal abgesehen, da war viel Korruktion und Unvermögen im Spiel.

        • Tim 17. Juni 2022, 10:23

          @ Jens Happel

          Für mich kommen die Probleme der Eurozone im wesentlichen von der unterschiedlichen Produktivitätsentwicklung in Relation zu den Löhnen.

          Man muss allerdings zugestehen, dass die deutsche Exportindustrie ab Mitte der 90er gerade im Vergleich zu Frankreich einen starken geografischen Vorteil hatte: die Nähe zu Polen, Tschechien und der Slowakei. Diese günstige Produktionsbasis war von großer Bedeutung für die starke Weltmarktstellung vieler deutscher Unternehmen.

          • Stefan Pietsch 17. Juni 2022, 11:52

            Wo soll der geographische Vorteil liegen, wenn die Produktion immer mehr nach Asien verlegt wurde? In der Welt nach 1990 waren Autobahnkilometer keine wichtige Größe. Vor ein paar Tagen habe ich mit Sky in München telefoniert. Tatsächlich saß der Techniker in Izmir. Ich weiß ja nicht wo das genau liegt, aber es klingt ziemlich weit weg. Mehrmals versuchten internationale Konzerne in Rumänien und Polen sogenannte Shared Service Center zu errichten. Für solche ist es völlig egal, ob die Muttergesellschaft in Deutschland, Frankreich oder Dänemark sitzt.

            • Tim 17. Juni 2022, 15:02

              @ Stefan Pietsch

              Ich sprach über die 90er Jahre, vielleicht noch bis Mitte/Ende der 2000er Jahre. Heute wird kaum ein deutsches Unternehmen noch neue Fabriken zur Herstellung von Vorprodukten/Komponenten in Osteuropa aufbauen, der Kostenvorteil dürfte nicht mehr ins Gewicht fallen.

              Übrigens dient die Produktion in Asien wohl eher dem Markteintritt als der Kostensenkung.

              • Stefan Pietsch 17. Juni 2022, 18:21

                In meiner beruflichen Praxis sind die osteuropäischen Länder weiterhin attraktiv und das für komplexere Tätigkeiten. Das von mir erwähnte SSC ist so ein Beispiel. Um ein solches Finanzsystem aufzubauen und zu betreiben, bedarf es qualifizierter Leute mit teilweise Hochschulabschluss. Konzentration von Aufgaben in günstigen (nicht billigen) Regionen ist da das Stichwort.

                Wir beziehen unsere gesamte Kleidung und Elektronik aus Taiwan, China, Südkorea, Thailand, Bangladesch. Das passiert nicht der Marktnähe wegen.

        • Lemmy Caution 17. Juni 2022, 19:55

          Hans Werner Sinn kann ich auch nicht leiden. Du führst alles auf das eine Thema der Löhne zurück. Leute in der Exportindustrie in ihren 50ern beschäftigen sich eher mit der Reduzierung ihrer wöchentlichen Zeit im Büro auf 32 Stunden als ihren Lohn. Die haben oft genug verdient.
          Der Spanische Betreiber von Windkraftanlagen Gamesa hat sich gegen den Deutschen Mitbewerber durchgesetzt… um dann von Siemens Energys aufgekauft zu werden. Hauptsitz befindet sich aber nach wie vor im Baskenland.
          Ich bin total für Mindestlohn in Niedriglohnsektoren, aber für den technologischen Fortschritt benötigen wir Wettbewerb. Die Kosten manifestieren sich viel eher in aus meiner Sicht toxischen Arbeitsverhältnissen, nicht in niedriger Entlohnung. Mit hinreichend Ersparnissen und Erfahrung lässt sich für mich persönlich dieses Problem umschiffen. Wenn mir das Klima nicht passt, gehe ich von Bord und ich wähle heute Projekte eher nach dem menschlichen Eindruck als dem Technologie-Stack oder dem Stundenlohn.

          The Stranglers versuchten mir das schon in den 80ern zu verklickern und ich habe sehr lange gebraucht bis ich das wirklich verstanden habe:
          „Whatever happened to Leon Trotsky?
          He got an ice pick
          That made his ears burn
          Whatever happened to dear old Lenny?
          The great Elmyra, and Sancho Panza?
          Whatever happened to the heroes?
          Whatever happened to the heroes?
          Whatever happened to all the heroes?
          All the Shakespearoes?
          They watched their Rome burn
          Whatever happened to the heroes?
          Whatever happened to the heroes?
          No more heroes any more
          No more heroes any more

          https://www.youtube.com/watch?v=Pg2np37JNEg

          • Erwin Gabriel 19. Juni 2022, 16:28

            @ Lemmy Caution 17. Juni 2022, 19:55

            Hans Werner Sinn kann ich auch nicht leiden. Du führst alles auf das eine Thema der Löhne zurück. Leute in der Exportindustrie in ihren 50ern beschäftigen sich eher mit der Reduzierung ihrer wöchentlichen Zeit im Büro auf 32 Stunden als ihren Lohn. Die haben oft genug verdient.

            Nun ja, ob ich die Löhne erhöhe oder die Arbeitszeit senke, ist irgendwie eins …
            Aber ich verstehe den Punkt.

            Mit hinreichend Ersparnissen und Erfahrung lässt sich für mich persönlich dieses Problem umschiffen. Wenn mir das Klima nicht passt, gehe ich von Bord und ich wähle heute Projekte eher nach dem menschlichen Eindruck als dem Technologie-Stack oder dem Stundenlohn.

            Schön, wenn man sich leisten kann, ich freue mich für Dich 🙂

            Wenn ich den rapide wachsenden Bedarf an Fachkräften sehe (ein Beispiel: Q2.2021 wurde ein Viertel der deutschen Bauunternehmen in ihrer Geschäftstätigkeit durch Fachkräftemangel ausgebremst, Q2.2022 ist es schon über ein Drittel), frage ich mich, ob es uns nicht immer noch zu gut geht, wenn Unternehmen Mitarbeiter schlecht behandeln.

            PS: Wenn sich Trotzi statt Stalin durchgesetzt hätte, wäre der Terror vermutlich der gleiche geblieben. Nur eine private Einschätzung …
            Und der vorletzte „Heroe“ war dann ironischerweise US-Präsident, die letzte Heroine heißt Greta 🙂

    • Stefan Pietsch 17. Juni 2022, 11:36

      Hallo Jens! Danke für das Kompliment, die Überschrift war eine Spontaneingebung.

      Schön, Du gibst mir etwas zum Raufen. Dann los.

      Außerdem dürfte der Umbau in eine grüne Wirtschaft ebenfalls Wachstum kosten.

      Müsste es nicht, aber ja, jede planwirtschaftliche Ordnung kostet Wachstum.

      Die Umstellung auf eine grüne Wirtschaft ist erstmalig eine industrielle Umwälzung die enorme Investitionen, also Schulden, erfordert, allerdings keine Produktivitäststeigerung mit sich bringt.

      Es gibt so viel freies Kapital, aber nicht genügend renditestarke Anlagemöglichkeiten. Genau deshalb sind ja die Blasen auf den Aktien- und Immobilienmärkten entstanden. Der Umbruch der westlichen Ökonomien kann eine enorme Dynamik entfalten, was attraktive Anlagemöglichkeiten verheißt. Aber der Dynamik steht eben unser planwirtschaftliches Denken entgegen.

      Der angebliche „Vulgär“ Kenysianer, wieso muss man Andersdenkenden immer gleich solche häßlichen Ettiketen anhängen, ist mitnichten widerlegt.

      Der Vulgär-Keynesianer ist nicht von mir. Ich weiß allerdings nicht mehr, wo ich es herhabe, also okay, es ist von mir. 😉 Keynes beschäftigte sich umfangreich mit der Konjunktursteuerung. Konjunktur gliedert sich dabei in Aufschwungphasen, die zum Boom führen (können) und Abschwungphasen, die in Rezessionen enden. Es sind aber immer Zyklen der Kapazitätsvollauslastung und -unterauslastung. Keynes präsentierte keine langfristigen Wachstumstheorien, die wesentlich langfristiger Natur sind als Konjunkturtheorien. Ich hatte dazu mal einen Artikel verfasst.

      Keynesianer berücksichtigen diese Aspekte. Und in Aufschwungphasen verlangen sie den Rückzug des Staates. Solche Anhänger von Keynes‘ Theorien gibt es nur noch selten. Mit Bezug auf Keynes und dem Ignorieren von Boomphasen fordern sie eine ewige Expansionspolitik des Staates. Das sind Vulgär-Keynesianer, die den großen Ökonom nur im Munde führen.

      Die Frage ist wo ist das Geld für die ganzen Exporte (über der Null) den hingegangen? Zu den Löhnen der unteren 50% ganz sicher nicht. Und wieso soll das kein Problem für die Eurozone sein, wenn ein Land ständig mehr in ein anderes Euroland exportiert? Das Importland kann Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland nur durch senken des Löhnniveaus gegenüber deutschland erreichen.

      Ach, ist das so? Weil Flassbeck das sagt? Ich habe auch mal Zeit in der Logistikbranche zugebracht, was sehr lehrreich war, also nicht theoretisch. Mittel- und Osteuropa wird über die 4 Häfen Rotterdam, Hamburg, Bremen und Antwerpen versorgt. Über diesen Weg triggern die Waren aus Asien und Nordamerika ein und werden verteilt. Riesige Containerschiffe aus Südostasien landen in diesen Häfen, vollbeladen mit leichten Billigartikeln. Zurück fahren sie oft nur mit wenigen Containern mit schweren Industriemaschinen.

      In Zahlen ist die Handelsbilanz mit China aus deutscher Sicht leicht defizitär. Exporterlösen von 96 Milliarden Euro (Referenz: 2020) stehen Importe von 116 Milliarden Euro gegenüber. Nach der von Dir präsentierten Theorie wäre längst eine Anpassung der Produktivlöhne gegenüber China erforderlich, um wettbewerbsfähiger zu werden. Umgekehrt hätten die Chinesen ihre komparativen Vorteile nur erlangen können, in dem sie über Jahre Lohndumping betrieben hätten. Beides stimmt nicht. In beiden Ländern gibt es einen starken Anstieg der Produktivlöhne über viele Jahre.

      Auch Griechenland importiert viele Waren aus China, hat aber nicht die Möglichkeit, entsprechend zu exportieren. Sie haben einfach wenig, was die Chinesen wollen. Nein, es gibt viele Gründe für Handelsbilanzungleichgewichte. Unterschiedliche Lohnniveaus ist nur einer von einer Reihe und nicht einmal der dominierende Teil. Die Theorie ist für den Papierkorb, qualitative Vorteile und Know-how spielen eine wesentlich bedeutendere Rolle. Aber dazu hätte Herr Flassbeck halt nach 1990 nochmal lernen müssen.

      Wo die Exporte hingehen? Auch dazu habe ich schon vor Jahren detaillierte Antworten gegeben. So, wie das schon immer war: Das Kapital bleibt im Land mit dem Handelsbilanzdefizit. Nicht von Ungefähr gelten Länder wie die USA, Großbritannien und Australien mit traditionell hohen Defiziten als besonders kapitalstark. Probleme existieren dort, wo es große Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung gibt, also z.B. zwischen Industrie- und Schwellenländern. Aber das ist eben auch ein Argument, warum Griechenland nie in den Euro gehört hätte – oder warum es austreten sollte.

      In beiden Ländern leiden die Angestellten und Arbeiter, die Einkommenmäßig die unteren 50% stellen.

      In wachstumsstabilen Staaten wie den USA und Deutschland wachsen die Einkommen der unteren 50% deutlich – so deutlich, dass sie Anziehungspunkt für Millionen Geringqualifizierte sind. Nur in wachstumsschwachen Ländern trifft Deine Feststellung zu. Das macht aber nun keine Allgemeingültigkeit. Die Analyse muss tiefer gehen.

      Die unteren 50% schaffen es kaum noch Vermögen aufzubauen. Bei jetzt 7% Inflation schon zweimal nicht.

      Auch das trifft nicht zu. Wie vor kurzem gezeigt, leiden in Deutschland die Bürger allgemein unter einer niedrigen Vermögensbildung.

      • Jens Happel 17. Juni 2022, 16:17

        Müsste es nicht, aber ja, jede planwirtschaftliche Ordnung kostet Wachstum.

        Investitionen müssen sich rentieren. Auch wenn das Geld flüssig vorhanden ist, hat der Investor ein berechtigtes Interesse es mit Zins wieder zu erlangen. Ansonsten ist es Hobby. Eine Investition muss deswegen auch dann einen Zins erwirtschaften, wenn der Investor kein Darlehn aufnehmen muss.

        Wenn die Zinskosten dieser Inverstition volkswirtschaftlich etwas bringen soll muss sie die volkswirtschaftliche Produktivität fördern und zwar stärker als die Zinskosten sie schädigen. Das sehe ich nicht. Ob ein Auto mit Benzin oder Elektro fährt ändert nichts an der Produktivität des Autos, außer Elektro ist billiger. Das ist aber nicht der Fall. Bei dieser Betrachtung bitte den nicht ganz unerheblichen Steueranteil beim Sprit vergessen. Der zählt in der Volkswirtschaftlichen Betrachtung nicht als echte Kosten.

        Das gleiche bei der Energieerzeugung. Strom ist Strom, da ist bei der Nutzung kein Vorteil. Ergo muss die grüne Erzeugung billiger sein, wenn etwas für die Produktivität rausspringen soll. Das sehe ich nicht. Die Kombination aus jederzeit verfügbar sein zu müssen plus höheren Netzkosten, um den Strom mal eben 1000 km von der Küste an die Alpen schicken zu können wird unter dem Strich mehr kosten.

        Auch ohne Schilderbürgerstreiche im TakaTuka Land, wie Windkraft mindestens 1.800 Meter weg von Siedlungen (das sind 5 Häuser, bau mal nach diesen Masstäben eine Autobahn) oder Stromtrassen zum 8 fachen Preis untrirdisch zu verlegen und OffShore Windanlagen hinter den Horizont ins Tiefwasser zu verlegen nur damit Touristen nicht am Strand vom Anblick gestört werden, um Ihnen dann für Geld Bootstrips zu den Offshoreanlagen anzubieten)

        Bitte führe mal aus, meine ich ganz freundlich, wieso der grüne Umbau nicht Wachstums schädlich sein sollte. Das es die Umwelt schützt und etwas getan werden muss, stelle ich übrigens nicht in Frage!

        Wir können ja mal anfangen uns wieder über Atomkraft als Ergänzung zu grünem Strom unterhalten. Dann würde ich deinem „müsste nicht“ zustimmen.

        Zu den anderen Punkten in deiner Antwort melde ich mich später nich mal.

        • Stefan Pietsch 17. Juni 2022, 18:39

          Das denke ich mir! 😉

          Mit Planwirtschaft versucht die Politik die Menschen zu Investitionen zu zwingen, die sie nicht für wirtschaftlich halten. Kein Dissens an der Stelle.

          Eruptive Veränderungen schaffen Dynamiken. Der Wandel der Wirtschaft zu einer klimafreundlichen und die digitale Modernisierung entfesseln so viel an Wissen, Lust und Bedarfe, dass sich riesige Wachstumsperspektiven ergeben. Das kommt aber automatisch, dazu bedarf es kaum den Staat. Beispiel Digitalisierung: kein Unternehmen kann es sich heute noch leisten, seine Geschäftsprozesse in Papierform abzuwickeln. Und dennoch tun es noch so viele! Der Marktdruck ist jedoch enorm. Die internationalen Konzerne als Geschäftspartner von SME zwingen diese sich anzupassen. Sonst bekommen sie nämlich erst kein Geld mehr für ausgeführte Aufträge und irgendwann keine Aufträge mehr. Damit diese das können, brauchen sie smarte Lösungen, die von neuen Anbietern kommen.

          Beim Klimawandel sind die Möglichkeiten noch viel umfangreicher. Es geht ja nicht nur um die Vermeidung von CO2, sondern auch um dessen Neutralisierung und Anpassungen an die klimatischen Veränderungen – in Form von Klimaanlagen, Dämmen, technisierter Kleidung usw. Wir erleben solche Aufrisse alter Strukturen immer wieder. Für mich war z.B. die aufregendste Zeit der erlebten Wirtschaftsgeschichte, als um die Jahrtausendwende Internetbuden wie Pilze aus dem Boden schossen. Dann gab es einen Reinigungsprozess, die Rückabwicklung der Übertreibungen und nun gehört die Digitalwirtschaft zu den wichtigsten Branchen.

          Investitionen werden dort getätigt, wo Phantasie und Potentiale sind. In dynamischen Märkten misslingt der Großteil der Investitionen und die anderen machen ihre Anteilseigner (stein-) reich. Aber auch das, was nicht funktioniert, schafft Einkommen, Arbeit und Know-how.

          Wir hätten daraus aber auch lernen können: der Staat darf da nicht viel regeln. Die Leute machen lassen. Heute versucht die Politik mit engen Regulierungen und Vorschriften für die erlaubten Technologien Dynamik zu entfalten. Echt erbärmlich.

        • CitizenK 18. Juni 2022, 12:15

          „kostet Wachstum“

          Die Diskussion über das BIP als Wohlstandsindikator ist an euch offenbar spurlos vorbei gegangen.

          Ist es Wohlstand, wenn ich in der Stadt mit der zweithöchsten Arztdichte auch bei einem Notfall keinen Augenarzt mehr kriege? Aber ein Viertel der Autos nicht mehr auf Parkplätze oder in die Tiefgaragen passt?

        • CitizenK 18. Juni 2022, 12:18

          „…. Steueranteil beim Sprit vergessen. Der zählt in der Volkswirtschaftlichen Betrachtung nicht als echte Kosten.“

          Doch, gerade bei volkswirtschaftlicher Betrachtung. Ersetzt ja nicht mal die direkten Kosten vor allem des Schwerlastverkehrs. Von den externen Kosten (Gesundheits- und Umweltschäden) gar nicht zu reden.

    • Erwin Gabriel 19. Juni 2022, 16:17

      @ Jens 16. Juni 2022, 20:58

      Glückwunsch zu der Überschrift! Sehr gelungen.

      Schließe mich an, die ist genial

  • Tim 16. Juni 2022, 21:27

    @ Jens

    Wenn Deutschland sein Löhne nicht stärker steigen lässt als der Süden, wird der exorbitante Außenhandelsbilanzüberschuss zementiert und damit die Ungleichheit in der Eurozone.

    Ich glaube, da unterliegst Du einer Fehlwahrnehmung. Die Bedeutung der EU für die deutsche Exportwirtschaft nimmt seit gut 20 Jahren ab. Das Problem z.B. der französischen Industrie ist nicht, dass die deutsche Industrie ihr den Heimatmarkt abnimmt, sondern dass sie auf Nicht-EU-Märkten(!) eine stärkere Position hat. Und etwa die italienische Textilindustrie hat viel stärker unter China gelitten als unter deutschen Firmen. Die Löhne in der deutschen Exportwirtschaft sind grundsätzlich übrigens auch extrem hoch; das Argument mit den zu niedrigen Löhnen war schon immer weit weg von der empirischen Realität.

    Das Grundproblem der Eurozone it, es schweißt zusammen was wirtschaftlich nicht zusammen passt.

    In der Tat. Der Euro war halt von Anfang an ein rein politisches Projekt. Die wirtschaftlichen Folgen für die sozial schwächere Hälfte der Europäer haben damals niemanden interessiert und interessieren auch heute niemanden.

    • Jens Happel 17. Juni 2022, 09:56

      Was heißt schon Fehlwarnehmung.Die Höhe der Löhne muss man in Relation zur Produktivität sehen. Hohe Handelsbilanzüberschüsse und zu hohe Löhne sind ein Widerspruch, man kann nicht beides gleichzeitig haben.

      Und ja klar Italien und Frankreich haben ein Produktivitätsproblem. Nur kann ihre Währung nun nicht mehr abwerten wie früher, um das Problem zu beheben.

      Bei der Konstruktion des Euros haben alle auf die Schulden gestarrt. Vergessen wurde, dass nicht nur die Schuldenstände überall ähnlich sein müssen, es muss auch die Produktivitätsentwicklung an die Lohnentwicklung in den Ländern angepasst sein. Steigen die Löhne im Süden stärker als ihre Produktivitätsfortschritte – verglichen zum Norden- verlieren sie Wettbewerbsfähigkeit. Ergebnis explodierende Target2 Salden.

      Hinzu kommt, dass wir nur sehr wenig Ausgleichszahlungen in der EU haben. Sogar die USA haben größere Ausgleichszahlungen zwischen ihren Staaten.

      Der Ausgleich in den USA erfolgt nicht durch direkte Zahlungen, sondern den gemeinsamen Militärhaushalt und die zentrale Steuererhebung und in geringen Maße auch über die kümmerlichen Sozialausgaben.

      Bei uns geschieht der größte Ausgleich ebenfalls über die Sozialkassen und nicht über den kümmerlichen Länderfinanzausgleich.

      Der Ausgleich in der Eurozone ist marginal.

      All diese Problem wurden mit billigem Geld zugeschüttet in der wagen Hoffnung, Assetinflation ist nicht so schlimm.

      Gruß Jens

      • Tim 17. Juni 2022, 10:39

        @ Jens Happel

        Steigen die Löhne im Süden stärker als ihre Produktivitätsfortschritte – verglichen zum Norden- verlieren sie Wettbewerbsfähigkeit. Ergebnis explodierende Target2 Salden. Hinzu kommt, dass wir nur sehr wenig Ausgleichszahlungen in der EU haben.

        Formulieren wir es doch so: Unter den bestehenden Euro-Regeln sind die TARGET2-Salden das Ausgleichssystem. Die Salden müssen ja im Gegensatz zur US-Fed eben nicht regelmäßig ausgeglichen werden, d.h. die nationalen Zentralbanken haben im Prinzip Narrenfreiheit. Sozialpolitik via Notenbank.

        Der Ausgleich in den USA erfolgt nicht durch direkte Zahlungen, sondern den gemeinsamen Militärhaushalt und die zentrale Steuererhebung und in geringen Maße auch über die kümmerlichen Sozialausgaben.

        Im US-Bundeshaushalt machen Sozialausgaben den mit Abstand größten Brocken aus, etwa 51 %. Im deutschen Bundeshaushalt waren es 2021 38 %, wenn ich das richtig überschlage. Man kann das natürlich wegen der unterschiedlichen Struktur der Sozialversicherungen nicht wirklich vergleichen, aber die Wertung „kümmerlich“ stimmt sicher nicht.
        https://en.wikipedia.org/wiki/United_States_federal_budget#/media/File:2020_US_Federal_Budget_Infographic.png

      • Stefan Pietsch 17. Juni 2022, 11:48

        Und ja klar Italien und Frankreich haben ein Produktivitätsproblem. Nur kann ihre Währung nun nicht mehr abwerten wie früher, um das Problem zu beheben.

        Das Problem wurde nie durch Abwertung gelöst, sondern vertieft. Genau deshalb wollte Mitterand die Währungsunion, um Deutschland die Möglichkeit zu nehmen, über die DM durch Aufwertung höheren Wohlstand zu generieren. Und es war der Grund, warum gerade Spanien, Italien und Griechenland so unbedingt in den Euro wollten. Deren Begeisterung war stets höher als die von Deutschen, Niederländern und Skandinaviern.

  • Lemmy Caution 17. Juni 2022, 04:37

    Stimme in Teilen zu.
    Es ist halt immer schwer vorauszusagen, WANN eine zu großzügig gestaltete Versorgung der Wirtschaft mit Geld zu Inflation führt. Nun scheint es halt jetzt zu sein.
    Meine zwei Sicherheitspuffer Ersparnisse und in Fonds investierte Rürup Rente haben übrigens seit Anfang des Jahres sogar 13 und 20% zusätzlich im Euro-Nominalwert eingebüßt. Inklusive des aktuellen realen Wertverlustes des Euros sind damit aktuell 18 Monate des höchst anstrengenden ersparnisse-arbeiten lassen der fetten 3 Jahre vorher vernichtet. SKANDAL! Ich hatte mir eigentlich schon überlebt, mit angenehmen ähnlich-altrigen Kollegen eine Art Task-Force für open Source Projekte zu begründen, um mich langsam aber sicher aus dem manchmal hektischen Projekt-Geschäft rauszufaden, ohne mit dem Arbeiten aufzuhören.
    Aus meiner Perspektive wäre eine Rezession das Mittel der Wahl, um unseren Euro wieder groß zu machen. Zumindest in der USA scheint der Hase in diese Richtung zu laufen. Je länger wir warten, desto schwerer wird die benötigte Rezession, um wieder auf den Boden der Tatsachen zu gelangen. In der Theorie denke ich da strikt monetaristisch.
    Aber ich habe leicht reden. Der Großteil der Leute hatte nicht die Möglichkeit, sich solche Polster zu verschaffen. Ein kleiner Teil hatte keine Lust, sich mit solchen Finanzfragen auseinanderzusetzen. Letztere können wegen mir ruhig ein bisschen leiden, erstere nicht.
    Vor diesem Hintergrund beunruhigen die Wahlergebnissen in Frankreich, in denen ja abwechselnd rechts- und linksradikale Positionen erstaunlich viel Rückhalt erhalten.
    Die 20er bleiben politisch interessanter als die 10er, aber in politisch langweiligen Zeiten lebt es sich besser.

    • Stefan Pietsch 17. Juni 2022, 11:40

      Aus meiner Perspektive wäre eine Rezession das Mittel der Wahl, um unseren Euro wieder groß zu machen.

      Das sehe ich genauso. Das ist die Lehre aus den Siebziger- und Achtzigerjahren. Hohe Inflationsraten, das zeigt auch die Erfahrung in den Südländern, führen zu Jahrzehnten der Stagnation. Und ein so großes Wirtschaftsgebebiet wie die EU braucht eine Ankerwährung. Wenn der Euro das nicht sein kann, sind wir verloren.

      • Lemmy Caution 18. Juni 2022, 07:36

        Der Euro war einfach eine schlechte Idee.
        Kanada und die USA sind wirtschaftlich sehr eng verflochten und haben jeweils unabhängige Währungen.
        Italien wuchs zwischen 1950 bis 1973 ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 4% und hier sind die Daten der historischen Inflationsraten: https://www.inflation.eu/de/inflationsraten/italien/historische-inflation/vpi-inflation-italien.aspx
        Die Leute unterschätzen die komplexen Interdependenz-Beziehungen, die zu diesen makroökonomischen Daten führen.
        Alle andere Faktoren ausgeblendet hat Inflation Kosten, nur in Verbindung mit anderen Spezialitäten der jeweiligen Volkswirtschaft kann auch eine Währung mit etwas höherer Inflation eine tragfähige Basis für Entwicklung liefern.
        IT VERY MUCH DEPENDS.
        Für Deutschland macht eine längere Phase mit höheren Inflationsraten nur halt keinen Sinn.

        • Stefan Pietsch 18. Juni 2022, 11:24

          Die USA haben traditionell höhere Inflationsraten als Deutschland. Das ist nicht kritisch. Kritisch sind hohe und sehr hohe Preissteigerungen jenseits von vielleicht 5 Prozent, wo Preisrelationen sich stark verschieben. Preise haben einen unverzichtbaren Zweck in der Marktwirtschaft: sie zeigen Knappheiten und Prioritäten an. Wenn sie nahezu beliebig innerhalb kurzer Zeit steigen, können sie diese Funktion nicht mehr erfüllen.

          An Pfingsten waren wir beim Libanesen essen. Essen gut, die Preise auf der Karte auch noch so, dass sie als „okay“ erkennbar waren. Dann kam die Rechnung und die Prüfung ergab einen saftigen Zusatzbetrag. Auf Nachfrage wurde erklärt, das wäre ein Ausgleich für die Inflation.

          Der Euro lässt sich nicht mehr zurückdrehen und auch das zweite Szenario wird nicht umgesetzt: Durch konsequente Einhaltung der Verträge würden schwache Volkswirtschaften rausroutiert. Der Euro entwickelt sich zu einer Mischung aus früherem Franc, Lira und Peseta. Und wie zufrieden die Menschen damals mit ihrer Währung waren, wissen wir ja.

  • Mikefromffm 18. Juni 2022, 07:56

    Wie immer ein nahezu faktenfreier Kommentar:
    Historische Inflationsraten in D
    1962-1972: 31 %
    1972-1982: 63 %
    1982-1992: 25 %
    1992-2002: 24 %
    2002-2012: 16 %
    2012-2022: 14 %
    Einfache Faustregel: Inflation > 20 % DM, Inflation < 20 % €. Frage: Welche Währung ist stabiler?
    PS: Die Quantitätstheorie ist empirisch widerlegt, nur deutsche Makroökonomen halten an der Ideologie des Monetarismus fest, was das erbärmliche Niveau erklärt, in dem in D Geldpolitik diskutiert wird.

    • Stefan Pietsch 18. Juni 2022, 10:42

      Ich komme nicht auf Ihre Werte. Grundlage ist der Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes in der langen Reihe. Bei den Überschneidungen ergeben sich beim Referenzjahr 1995 (Früheres Bundesgebiet) bzw. 2015 (Deutschland gesamt) folgende Werte:

      1962-1972: 36%
      1972-1982: 65%
      1982-1992: 18% (nur früheres Bundesgebiet!)
      1992-2002: 20%
      2002-2012: 18%
      2012-2022: 21%

      Würden Sie sich die Zahlen genau ansehen, dann müsste Ihnen auffallen, dass in den Neunzigerjahren die Preise nur in den Ostländern schneller gestiegen sind. Ohne diesen statistischen Effekt der Deutschen Einheit wäre damals die Inflation im Kanon von 18% geblieben (nur früheres Bundesgebiet). In Ihrer Angabe für die letzte Dekade fehlt das Jahr 2022, obwohl Sie das behaupten. Die Berechnung umschließt also nur 9 statt üblich 10 Jahre. Ich habe 2022 mit 8% Inflation gesetzt. Und der Wert der Dekade ist nur deswegen noch relativ niedrig, weil im Corona-Jahr 2020 die Preise praktisch gleich blieben.

      Der inflationsdämpfende Effekt der Globalisierung ist übrigens in den Vergleichswerten der Dekaden nicht mehr auszumachen. Ohne die Internationalisierung der Komsumgüterproduktion hätten wir in allen Jahren des Euro höhere Preise als zu DM-Zeiten gehabt. Und man sieht, dass die nationale Lohnentwicklung nicht den Einfluss auf die Preisentwicklung besitzt, wie sie Vulgär-Keynesianer wie Flassbeck immer propagierten.

      Und jetzt müssen sie den Leuten mit geringem Einkommen nur noch erklären, warum 8% Inflation 2022 nicht schlimm sind, weil ihre Ausgaben ja 2020 nicht gestiegen seien. Im Mittel ständen sie ja nicht schlechter. Und 0% Inflation und 8% Inflation sind ja genauso gut wie zweimal 3%. Mir müssen Sie das nicht erklären, ich kann damit leben.

    • Lemmy Caution 18. Juni 2022, 14:51

      Für diesen langen Zeiträume sind das – ausser in Teilen der 70er – wirklich keine hohen Inflationsraten. In den 70ern hatte das schon Auswirkungen. Meine Eltern kauften sich 1975 ein Haus und die Zinsen betrugen 10% pro Jahr. Das war für meinen Vater schon ein Brett.
      Ob die Inflationsrate nun über einen Zeitraum von 10(!) Jahren nun 31% oder 16% beträgt, hat einfach keine große Auswirkungen. 31% schafft Argentinien aktuell in 5 Monaten. Das hat Auswirkungen auf Finanzentscheidungen.

  • Erwin Gabriel 19. Juni 2022, 16:15

    Hallo Stefan,

    bin gerade etwas angeschlagen und fachlich eh nicht so im Thema drin, deswegen nur ein oberflächlicher Kommentar.

    Dein Beitrag deckt sich mit meinem Empfinden (was immer das heißen mag 🙂 ), und ich nehme die EZB war wie eine Person, die auf zwei Eisschollen steht, die langsam, aber sicher auseinanderdriften – irgendwann macht es halt „platsch“.

    Was mich (nicht nur bei der EZB, sondern auch bei der EU) komplett nervt, ist dieses „sneaky behaviour“: Wir wollen nur Euer Bestes, aber um Euch nicht zu stören, machen wir es hinter Eurem Rücken; fragt nicht, ihr könnt es eh nicht verstehen (wir verstehen es ja auch nicht).

    Bin da auch bei Tim mit seinen Einschätzungen zu den Vertragsgeschichten.

    Was mir nicht klar ist: Wofür brauchen die Experten? An den Entscheidungen kann ich es jedenfalls nicht ablesen.

    Viele Grüße, und vielen Dank für einen spannenden Beitrag, der mich mal wieder etwas klüger gemacht hat.

    E.G.

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