Olaf Scholz diskutiert Star Wars mit Mitch McConnell, Dirk Moses, Barack Obama und Gerhard Baum – Vermischtes 10.06.2022

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.

Fundstücke

1) In Osteuropa ist das Bild des hässlichen Deutschen zurück – schuld daran ist Olaf Scholz

Die Bundesregierung weiss nicht, wie sie den Konflikt für die eigenen politischen Interessen nutzen soll. Daher wird Deutschland gegenüber Ländern verlieren, die eine Strategie besitzen. […] Emmanuel Macron weiss wenigstens, was er nicht will. Er möchte in alter französischer Tradition den Charakter der EU als einer im wesentlichen westeuropäischen Union bewahren, um die französische Vormachtstellung in Europa zu zementieren. […] Was aber will Deutschland? Olaf Scholz verzettelt sich in Kleinigkeiten, in einer Fehde mit dem ukrainischen Botschafter in Berlin etwa oder in einer Debatte, woher die Munition für den als Rüstungshilfe an Kiew vorgesehenen Gepard-Panzer kommen soll. […] Ein bisschen Gratis-Pazifismus geht immer, solange die USA und die Nato die Sicherheit garantieren. Mit dieser Haltung setzten Politiker aller Parteien den Wunsch der Volksmehrheit um. Viele Menschen in Deutschland – und auch in der Schweiz – haben vor ihre Türe ein Schild mit der Aufschrift «Bitte nicht stören» gehängt. Sie wollen in Ruhe gelassen werden von den Zumutungen der Weltpolitik. Putin, der Störenfried, erinnert daran, dass dies eine Illusion war. […] In der Euro-Krise gab Berlin noch die Richtung vor und entschied schliesslich über das Schicksal Griechenlands. Jetzt kann die Bundesrepublik dank ihrer Grösse und Wirtschaftskraft die Entwicklungen in der EU bremsen, aber sie gestaltet nicht. […] Für Berlin hingegen hat sich der Einsatz im Osten gegenüber den neunziger Jahren noch einmal erhöht. Die deutsche Industrie hat Polen, Tschechien, die Slowakei zu ihrer verlängerten Werkbank erkoren. Je länger der Krieg dauert, je erbitterter gekämpft wird, umso mehr steigt das Risiko, dass die östlichen Mitglieder der EU destabilisiert werden. Es läge daher im deutschen Interesse, die eigenen Investitionen im Osten zu schützen. Dafür braucht man allerdings eine Strategie. (Eric Gujer, NZZ)

Gujers Beitrag ist schon insofern relevant, als dass er Frankreichs Deutschland durchaus entgegengesetzte Interessen thematisiert. Ja, Macron spricht viel über Europa, aber er sieht in der Union – wie Deutschland im Übrigen auch – vor allem ein Instrument zur Durchsetzung französischer Präferenzen. Das ist nicht grundlegend falsch; kein Land ist aus reiner Menschenfreundlichkeit Mitglied in der Union. Aber man muss es eben im Kopf behalten.

Ebenfalls relevant ist die Identifikation der deutschen Interessen als zu einem guten Teil mit denen Polen überlappend, zumindest was die Sicherung Osteuropas angeht. Die Chancen auf eine Art innereuropäisches „realignment„, das auch die Achse Warschau-Budapest aufbrechen würde, wurden in den vergangenen drei Monaten immer wieder skizziert. Es ist eine merkwürdige Situation, aber ich sehe da wenig Potenzial. Deutschland und Polen mögen hier einige Interessen teilen, aber sie sind auf vielen anderen Feldern einander diametral gegenübergestellt. Eine wertegeleitete Außenpolitik macht es praktisch unmöglich, da einfach drüber wegzusehen. Und die ist nun mal auch im deutschen Interesse.

2) Den Kolonialismus erklären und die lähmende Opfermentalität in den Geschichtsbüchern Afrikas und des Nahen Ostens überwinden

1975, an der Universität Zürich, konnte der Historiker Rudolf von Albertini, noch ohne von uns Studenten ausgebuht zu werden, fragen: «Wie würden Südamerika, Nordamerika, Afrika, Indien, China heute aussehen, wären die Europäer zu Hause geblieben, hätte es also keinen Kolonialismus gegeben?» […] Mit Engländern, Franzosen und Niederländern folgten die Dampfmaschine, der Explosionsmotor, die Elektrizität, das Flugzeug, der Transistor. Kolonialismus brachte beiden Amerika, Schwarzafrika und der Südsee die Schrift (so wie das römische Kolonialreich uns das Alphabet gebracht hatte) und den meisten Kolonien viel moderne Infrastruktur, zuerst in den Städten, später fast überall. Der Preis für diesen Transfer technischer Innovationen über 500 Jahre war hoch, besonders für die Sklaven. Weshalb trotzdem über entwicklungsfördernde Seiten des Kolonialismus sprechen? Nicht aus Stolz – sondern weil sich Europa gegenüber seinen Statuen-Stürmern und gegenüber Autokraten in Entwicklungsländern schwächt, wenn die Kolonialzeit nur diabolisiert wird. (Toni Stadler, NZZ)

Dieses Argument ist „Aber die Autobahnen!“ für den Kolonialismus. Der Kolonialismus hat nichts entwickelt, er hat ausgebeutet. Allen kolonisierten Landstrichen ginge es heute besser, wären sie nie kolonisiert worden. Was die Europäer an Infrastruktur zurückließen, die nachher brauchbar war, ist zufälliges Nebenprodukt brutaler Ausbeutungsregime und wenig nutzbar. Und selbst wenn einige Eisenbahnlinien dabei herausgesprungen sind, so stehen sie in etwa im gleichen Missverhältnis wie der Yangtse-Staudamm und die Opfer des Großen Sprungs nach vorne, die Toni Stadler sicher auch nicht aufrechnen wollen würde. Es ist erschreckend, dass es immer noch Leute gibt, die diese These vertreten. Das dann auch noch als „Opfermentalität“ zu bezeichnen ist schon ein starkes Stück.

3) What the President secretly did at Sandy Hook Elementary School

I went downstairs to greet President Obama when he arrived, and I provided an overview of the situation. “Two families per classroom . . . The first is . . . and their child was . . . The second is . . . and their child was . . . We’ll tell you the rest as you go.” The president took a deep breath and steeled himself, and went into the first classroom. And what happened next I’ll never forget. Person after person received an engulfing hug from our commander in chief. He’d say, “Tell me about your son. . . . Tell me about your daughter,” and then hold pictures of the lost beloved as their parents described favorite foods, television shows, and the sound of their laughter. For the younger siblings of those who had passed away—many of them two, three, or four years old, too young to understand it all—the president would grab them and toss them, laughing, up into the air, and then hand them a box of White House M&M’s, which were always kept close at hand. In each room, I saw his eyes water, but he did not break. And then the entire scene would repeat—for hours. Over and over and over again, through well over a hundred relatives of the fallen, each one equally broken, wrecked by the loss. After each classroom, we would go back into those fluorescent hallways and walk through the names of the coming families, and then the president would dive back in, like a soldier returning to a tour of duty in a worthy but wearing war. We spent what felt like a lifetime in those classrooms, and every single person received the same tender treatment. The same hugs. The same looks, directly in their eyes. The same sincere offer of support and prayer. (Joshua Dubois, Vox Populi)

Was auch immer man über seine Politik sagen will, es kann keinerlei Zweifel geben, dass Barack Obama der integerste Mensch seit vielen Jahrzehnten war, der im Weißen Haus saß. Auch das ist etwas wert. Wenn die Trump-Jahre eines gezeigt haben, dann, dass der Charakter des Präsidenten auf seine Untergebenen, auf die Institutionen und nicht zuletzt die Wählenden ausstrahlt. Er befriedet auch die eigene Seite. Ich glaube, das ist auch eine der unterschätzten Qualitäten Merkels. Die war auch, was auch immer man von ihrer Politik halten mag, die wohl integerste Person, die je das Kanzleramt innehatte, und es hat die Republik geprägt.

4) Shadows of the First World War loom over Germany’s ambiguous response to Russia

Odd though it seems, his Kaiser Wilhelm comment sheds some light on this. It is clear that parts of the German elite see not the Second but the First World War as the more relevant parallel to the present moment. To grasp the three main lessons they draw from the 1914-1918 conflict is to better understand the country’s actions – and inaction. […] Why is it that these historical lessons seem to eclipse those of the 1930s for so many influential Germans? One explanation is the federal republic’s postwar tradition of treating Nazi crimes as an incomparable evil untethered from the “ordinary” flow of history. The Second World War is also complicated by a sense among some Germans of Russia as both victim and liberator in that conflict (a perspective that overlooks Ukraine’s horrific oppression at the hands of both Hitler and Stalin). The First World War by contrast plays a less complex role in the country’s remembrance culture, so is more easily appropriated for debates today. The collapse of the seemingly peaceful global order in 1914 feels resonant in a Germany that has thrived in the second, post-1989 era of globalisation which now seems to be buckling. Such factors are not only influential on the old-school pacifist left, but also among the corporatist bastions of Germany’s export industries and their political allies, and among older Germans who grew up in the shadow of Nazism’s evils. But these arguments have much less sway among younger Germans, centrist Atlanticists,- and many Greens shaped by their party’s transformative battles over the country’s intervention against ethnic cleansing in Kosovo in 1999. (Jeremy Cliffe, The New Statesman)

Die Frage, warum für uns in der deutschen Debatte die Appeasement-Analogie nicht relevant ist, halte ich für nicht sonderlich schwierig zu beantworten. Einerseits führte der von Cliffe angeführte Gedankengang dazu, dass wir sagen würden: „Ihr hättet uns früher angreifen sollen“, was einerseits eine sehr merkwürdige Haltung ist (merkwürdig im Sinne der kognitiven Dissonanz für die Deutschen), andererseits aber auch uns aus der Verantwortung nähme und quasi den Alliierten über Bande die Schuld am Zweiten Weltkrieg geben, weil sie nicht früher Deutschland angegriffen haben. Das ist zurecht keine, die wir vertreten.

Die nicht unbedingt clevereren Parallelen zum Ersten Weltkrieg, die gerade in Mode sind und die offensichtlich Olaf Scholz‘ Denken ebenfalls prägen, hat Christopher Clarke ja selbst erledigt, indem er darauf hinwies, dass eine „Schlafwandler“-Situation offensichtlich nicht vorliegt, weil Putin bewusst einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen hat. Ein Schlafwandeln in den Konflikt à la 1914 ist da kaum mehr möglich. Als Seitenbemerkung: Clarke scheint mittlerweile resigniert zu haben und den Schlafwandler-Begriff für sich zu übernehmen; er wollte sein Buch ja gar nicht so nennen, das war der Verlag. Spannend, wie Begriffe manchmal ein Eigenleben entwickeln können.

5) Wumms

Das eigentliche Problem ist, dass Olaf Scholz das nicht zu vermitteln vermag. Das wiederum hat mit seinem vulkanischen Kommunikationsverhalten zu tun, das ihn zur ständigen Selbstkorrektur zwingt. Denn Scholz hat in seiner Selbstwahrnehmung immer für alles einen Plan. Das wird zum Problem, wenn sich die Lage ständig ändert und die Pläne angepasst werden müssen. In der Praxis führt es nämlich dazu, dass Begründungen für Verhaltensweisen aufgestellt und wieder einkassiert werden. […] Wenn er dann alle überrascht hat, freut sich Scholz diebisch, dass ihn einmal wieder alle falsch eingeschätzt haben und die Kommentare in den Zeitungen alt aussehen. Aber Genugtuung ist keine Kategorie der politischen Kommunikation. Die Öffentlichkeit ist in einer Demokratie kein Gegner. Sie spendet Legitimation. Durch seine Unfähigkeit – beziehungsweise seinen Unwillen – Politik als Prozess zu verstehen, macht sich Scholz das Leben jedenfalls unnötig schwer. Und weil er Bundeskanzler ist, geht das alle etwas an. (Mark Schieritz, ZEIT)

Ich habe ja schon einen Artikel zum Thema geschrieben: die SPD und Olaf Scholz sind effektiv rotes Teflon, da perlt gerade alle diese Kritik ab. Ich halte das für ein Symptom, dass diese Kritik an seinem Kommunikationsverhalten (im Übrigen genauso wie die an Merkels zuvor) ebenso wenig die Realität der meisten Leute berührt wie das überschwengliche Lob für Habecks. Wie viele Leute schließlich schauen sich schon die Kommunikation von Politiker*innen im Original an? Dass das Journalist*innen ziemlich ankäst, glaube ich sofort, aber ich sehe nicht, dass es für Scholz oder die SPD deswegen schlechte Politik wäre. Ein bisschen Antagonismus zur Presse hat noch niemandem geschadet, bedenkt man wie niedrig sie im Ansehensranking der Bevölkerung steht. Das ist ein ganz eigenes Problem, aber sicher keines, das Scholz‘ Strategie für ihn falsch machen würde.

6) Anatomy of a fake

Thus the piece has failed the most basic journalistic standard: it has not provided evidence either for the sensationalistic headline or its core claims.  […] What is the LGIS News Service you ask? The answer reveals much more about our media environment, and is even more disturbing than the botched story suggests. Local Government Information Services is the publisher of lots of local news media in Illinois, with titles like “Southern Illinois News” and “SW Illinois news.” LGIS is part much larger network of local news in multiple states. As local news media has disappeared “pink slime” outlets like LGIS have taken their place, relying on low-cost or automated content repeated across sites, and eschewing basic journalistic practices. Just how big and how connected these local news outlets is difficult to discern. In 2020, the New York Times counted about 1,200 connected local news outlets that had arisen in just 10 years. Behind this empire of pink slime is Brian Timpone, a conservative businessman and former journalist with a record of plagiarism and fabrication. It is not just that his media has an ideological outlook, or that it frequently uses deceptive practices such as the story detailed here. They are also directly funded by conservative advocates, a fact that is rarely disclosed to readers. […] So why should intelligent people share a sensationalistic headline story from an unfamiliar source, with some pretty large gaps if they cared to look closely at the details. Blame it on motivated reasoning, a form of confirmation bias that makes us more critical of information that runs contrary to our ideological beliefs, but more credulous of information that aligns with those beliefs. In my own research I’ve pointed to the ways that motivated reasoning causes policymakers both to make decision-making errors and then double down when challenged. (Don Moynihan, Can we still govern?)

Grundsätzluch: motivated reasoning passiert allen Menschen, denn es ist einfach eine menschliche Grundeigenschaft. Wir müssen ständig aktiv dagegen arbeiten und kognitive Ressourcen aufwenden, um dem Effekt zu entgehen, und das kann einfach niemand 24/7 leisten. Deswegen ist es ja auch so wichtig, sich gegenüber Informationen aus unterschiedlichen Quellen zu öffnen und der Kritik zu stellen. Nur, das kostet ebenfalls kognitive Ressourcen, die die meisten Menschen gar nicht und niemand 24/7 aufbringen kann und will, weswegen auch das kein Panacea sein kann.

Richtig eklig wird diese Angelegenheit aber wegen der Menge des involvierten Geldes. Hier nutzen reiche Interessen offensichtlich diese psychologischen Mechanismen, um die Welt aktiv schlechter zu machen. Und das nicht, weil sie konservative Ideen und Interessen vertreten (obwohl, das natürlich auch), sondern weil sie aktiv den Diskurs schlechter machen, Blasen schaffen und Menschen in zerstörerische Verhaltensmuster ziehen. Das ist falsch, egal für welche Seite es passiert, und ist nur möglich, weil diese Leute zu viel Geld haben, das sie in solche politische Beeinflussung und breitflächige Veränderung der Gesellschaft investieren können – was auch nur einmal mehr die demokratiezerstörende Wirkung großer Vermögen zeigt.

7) The Star Wars fandom’s racism problem

Ingram plays the main villain in the new Star Wars show Obi-Wan Kenobi, a Jedi hunter named Reva. After the series‘ debut, the actress, who is Black, revealed on Instagram she’s been bombarded with „hundreds“ of racist and threatening messages, with one telling her „you’re [sic] days are numbered“ and another using the N-word. […] Ingram’s performance has drawn largely positive reviews, though some viewers have voiced criticism of her character. But even before the series came out, certain fans were already targeting Ingram online. One YouTube video released prior to the series premiere claimed Lucasfilm was „hiding behind diversity,“ using a racist slur in the thumbnail. Lucasfilm evidently saw the backlash coming, as Ingram told The Independent the studio warned her to prepare for racist abuse. […] This sort of abuse has plagued the Star Wars community for years. But it has especially ramped up since 2015 as Lucasfilm strived to add greater diversity to the franchise with more women and people of color in lead roles. […] This toxicity has grown more prevalent with the rise of social media, but even before Twitter, some actors in the Star Wars prequel trilogy had a similar experience. Ahmed Best, who played Jar Jar Binks, has said the backlash he faced was so intense, he considered suicide, and series stars Jake Lloyd, Hayden Christensen, and Daisy Ridley were also met with fan blowback. […] Toxicity surrounding diverse casting has been particularly prevalent in the Star Wars community, but it’s far bigger than one franchise. Some past examples include backlash to the casting of a Black actress to play Rue in The Hunger Games and a Black actress to play Hermione in the stage show Harry Potter and the Cursed Child. (Brendan Morrow, The Week)

Obi-Wan hat diverse Probleme, aber sicher nicht, dass Reva schwarz ist. Ich würde da eher auf die bestenfalls durchschnittlichen Drehbücher verweisen, die Ingram wahrlich keinen Gefallen tun. Aber das ist letztlich nicht der Kern dieser Debatte, denn den Hassenden geht es ja weder um ihren Charakter, noch das Drehbuch, noch ihre schauspielerischen Fähigkeiten. Ihnen geht es darum, dass die Welt von Star Wars (Star Wars!!!) keinen Platz für Schwarze und Frauen haben soll.

Diese Leute sind eine schmale Minderheit, aber sie sind sehr laut. Disney hat sehr lange gebraucht, um das zu erkennen, und wie der Artikel ausführt war die Reaktion des Konzerns auf solche Vorfälle in der Vergangenheit ziemlich schlecht. Das scheint sich wenigstens langsam zu bessern. Die Toxizität von Teilen des Nerd-Fandoms mag überraschen, aber dieselben Leute waren auch von Gamergate überrascht. Das ist die gleiche trübe Ursuppe, aus der diese Leute kommen, und ihre Stimme wird dadurch potenziert, dass ein gewisses Unbehagen über Diversität und Wandel vergleichsweise weit verbreitet ist.

8) No, Post-Nazi Germany Isn’t a Model of Atoning for the Past

Italians like the idea of the “uniqueness” of the Nazi crimes: this means that fascism was not so bad, and Italy clearly prefers to commemorate the victims of the Holocaust than those of its own genocide in Ethiopia. For the Ukrainians and the Tutsis, comparing the Holodomor to Auschwitz and speaking of a “tropical Nazism” does not mean diminishing the Holocaust, but giving recognition to their own victims. Those exhuming the corpses of the Spanish Republicans today speak of a Francoite Holocaust, whereas neoconservatives and “revisionist” scholars prefer to depict the Republic as a “Trojan horse” of Bolshevism and Franco as a patriot who, while despising democracy, ultimately saved Spain from totalitarianism. […] Very often, comparison reveals historical entanglements. This is valid for synchronic events: Stalin’s crimes do not justify or trivialize Hitler’s crimes, and vice versa, but undoubtedly Stalinism and Nazism deeply interacted and influenced each other, by creating a spiral of radicalization that resulted in the apocalyptic clash of World War II. A similar entanglement — even if not synchronic — binds Nazi violence with the history of European and German colonialism. Holocaust studies usually ignored this genealogical link […] (Enzo Traverso, Jacobin)

Das ist ein sehr langer Artikel, der die Katechismus-Debatte aufnimmt und einerseits gut zusammenfasst (inklusive Historikerstreit der 1980er Jahre und einem Gesamtüberblick über die jüngere deutsche Holocaust-Historiografie), andererseits aber auch wertvolle Punkte für den Vergleich mit dem Kolonialismus und vor allem dem Holocaustgedenken anderer Länder macht. Es ist tatsächlich auffällig, wie zentral das Holocaust-Gedenken für die ganze EU in den letzten 20 Jahren geworden ist, und Traverso hat sicher Recht damit wenn er feststellt, dass dies in vielen Ländern gerne genutzt wird, um von eigenen historischen Diskursen abzulenken.

So sehr ich grundsätzlich mit der Kritik an der deutschen Holocaustbewältigung auf dem Feld des Kolonialismus und des Vergleichs übereinstimme und so sehr ich in den letzten ein, zwei Jahren begonnen habe, von der Singularitätsthese abzurücken, so wenig kann ich Traversos in der Überschrift anklingende These unterschreiben, dass die deutsche Vergangenheitsbewältigung so schlecht wäre. Ja, es gibt viel zu kritisieren; der Kolonialismus ist eine mehr als peinliche Leerstelle und der Katechismus ist ein gewisses Problem. Aber: Deutschland geht mit den dunklen Seiten seiner Vergangenheit trotz aller Schwächen besser um als jedes andere Land. Wenn man sich im Vergleich Italien oder Japan (als Achsenmächte) ansieht, die USA und Großbritannien (mit Sklaverei und Empire) oder Frankreich und Belgien (mit ihren eigenen Kolonialverbrechen), dann sehen wir da echt nicht schlecht aus.

9) How Mitch McConnell Made the Senate Even Worse

The striking element of the tax cuts and the attempted repeal of the health law was the degree to which McConnell threw out the “regular order” to accomplish his ends. Instead of having the bills go through the Senate committees, with hearings, markups, and amendments, he convened a rump group of Republican senators behind closed doors to write the bills, leaving out key members of his own party in addition to shutting out Democrats. But despite sidelining most of them, McConnell did not lose any of his own on the tax cuts, although he did lose the key vote of John McCain on the repeal of Obamacare. […] And it is clear that the Senate was pivotal—using and misusing the rules to stymie Obama, including his nominees for executive positions and especially judges; filibustering every initiative big and small; and then protecting and coddling Trump and his corrupt nominees from any significant consequence. […] McConnell’s Senate was not just a body of “Hear no evil, see no evil, speak no evil” when it came to Trump; it was also a body where truth no longer meant anything and hypocrisy was the norm. […] We are just beginning to see the dire consequences of this in radical Supreme Court decisions disrupting the fabric of American life. […] Trump showed no appreciation for the reality that his presidency, with all its outrages, scandals, traitorous behavior, and widespread corruption, had been saved over and over by McConnell. Of course, larger trends in society and the political system are largely responsible for the current cancer in the American polity, a cancer that has metastasized from Washington to the states to the public as a whole. The Republican Party was on its way to becoming a radical cult before Donald Trump came along, and before Mitch McConnell became his party’s Senate leader. But individuals can matter in shaping the environment and determining the course of events. And McConnell has mattered—in a way that ensures he will be in the top list of villains when the history of this sorry period is written. (Norman Ornstein, Washington Monthly)

Ich lasse diese Rezension hauptsächlich hier um noch einmal darauf hinzuweisen, was für eine destruktive Kraft Mitch McConnell ist. Wenn es irgendwelche Leute in der Politik gibt, auf die das Label „böse“ passt, dann ist er es. Der Mann hat ein Schreckensregime im Republican Caucus des Senats aufgebaut, hat so viel wie keine andere Person zur Polarisierung beigetragen, hat so viele Normen zerstört wie nie jemand zuvor und ist die größte Bedrohung für die US-Demokratie, die irgendeine einzelne Person haben kann. Dass er so harmlos scheint und aus dem Hintergrund wirkt, ist Teil seines Erfolgsrezepts. Man sollte diesen Mann keinesfalls unterschätzen.

10) FDP-Urgestein wirft eigener Partei Corona-Populismus vor

Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) übt scharfe Kritik an der Corona-Politik seiner Partei und sieht darin einen Grund für das schlechte Abschneiden bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.  […] Der Streit der FDP mit SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach habe viele Wähler verschreckt: „Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, dass alle anderen demokratischen Parteien, alle Bundesländer und die Wissenschaft auf dem Holzwege waren.“ Die FDP sollte „sich endlich selbstkritisch darüber klarwerden, dass ihre Verweigerung, dem Staat diese Schutzaufgaben zuzuweisen, zur Wahlniederlage, insbesondere bei älteren Wählern, wesentlich beigetragen hat“, sagte Baum weiter. Besondere Verantwortung sieht Baum beim stellvertretenden FDP-Vorsitzenden und Bundestagsvizepräsidenten: „Wolfgang Kubicki, der diesen Kurs medienwirksam in vorderster Linie vertreten hat, gehört zu den Wahlverlierern in seinem Heimatland Schleswig-Holstein.“ Baum fügte hinzu: „Seine jüngsten Äußerungen lassen befürchten, dass er und ein Teil der FDP diese Politik im Herbst fortsetzen.“ Die Politik der FDP-Spitze sei „zeitweise ein Stück Populismus, dem die Wähler nicht gefolgt sind“. (afp, T-Online)

So sehr ich Baums Kritik inhaltlich teile, so wenig halte ich von seinen Schlussfolgerungen. Ich habe absolut keine Geduld mehr für dieses Genre des „Weil die Partei nicht macht, was ich sage, verliert sie in den Wahlen“. Es ist einfach nutzlos und reiner Krach, der die Debatte keinen Millimeter voranbringt und nur das in andere Worte verpackt, was man eh schon immer geglaubt hat. Ich finde die Haltung der FDP in der Corona-Debatte auch falsch, aber ich glaube keine Sekunde, dass sie deswegen in den Umfragen verlieren. Das ist genauso wie dieses „die SPD hat keine 40% mehr weil [hier Lieblingspolitik einsetzen]“, das uns fast 15 Jahre lang begleitet hat.

Resterampe

a) Bei solchen Sachen ist man dann wieder froh über Gesundheitsminister Lauterbach.

b) Es ist zwar nur folgerichtig, auch Linksextremist*innen Platz in den Debattenspalten zu geben, aber es bleibt eine dumme Idee.

c) Das Ausmaß an Korruption in der Tory-Regierung ist echt krass.

d) Zur Abwechslung stimme ich Luisa Neubauer mal voll zu, ich fand Scholz‘ Reaktion auf den Katholikentagen auch unterirdisch.

e) Wer sich für die 100-Milliarden-Einkaufsliste der Bundeswehr interessiert, findet bei Augen geradeaus eine gute Aufstellung.

f) Ebenfalls für einschlägig Interessierte eine detaillierte Analyse der russischen Performance in der Ukraine.

g) Kreativer Umgang mit Statistiken und Zeiträumen, CSU-Edition. Man muss allerdings die Cojones loben.

h) Ich fand den Skandal um die SZ-Karikatur von Selensky ja übertrieben, aber wer sich für eine detaillierte Kritik mit historischer Unterfütterung interessiert, findet die hier.

i) Die GOP bereitet sich darauf vor, die Biden-Regierung nach der Wahl mit einer Serie von erfundenen Untersuchungen lahmzulegen. Benghazi auf Drogen, quasi. Die New York Times wird sicher ausführlich und neutral über jede davon berichten; das ist absehbar ein Riesenerfolg.

j) Radikale Republicans fangen an, Unternehmen zu canceln, die sich für Klimaschutz engagieren. Die GOP ist ein Todeskult.

k) Alternative Prüfungsformate und der Numerus Clausus, interessante Diskussion.

l) Absolut grandioser Überblick zur Historigraphie des D-Day und der Relevanz der Diskussion für die Gegenwart.

m) Guter Thread zu Timothy Snyders methodischen Problemen.

n) Spannende Studie aus Zürich zu der Arbeitszeitverteilung zwischen Männern und Frauen.

o) Entweder habe ich Stefan und seine Argumente zum Tankrabatt missverstanden oder er hat sich getäuscht.

p) Alan Posener fordert in der ZEIT die Einführung eines Unterrichtsfachs „Wehrkunde“ und ich frage mich, was der Mann raucht.

q) Mal wieder zum Thema Autokultur und dass die Polizei da auf der falschen Seite steht.

r) Als Nachtrag zum Artikel über den Supreme Court hier Ohio, wo die Republicans ein Gesetz verabschiedet haben, dass es jeder (!) Person jederzeit (!!) erlaubt, das biologische Geschlecht von Kindern überprüfen zu lassen. Gar nicht radikal, nein.

s) Gleiches Thema hier noch ein Artikel über die historischen Schwächen von Alitos Argumentation. Die schlechtesten Historiker*innen der Welt, ich sag’s ja.

t) Spannender Artikel über die Unterschiede im Konzept „gerechte Bezahlung“ zwischen China und den USA.

u) Studie um Studie belegt, dass der Mindestlohn kaum negative, aber sehr viele positive Effekte hatte.

v) Täusch ich mich oder ist die Steuersenkung in beiden Fällen ein super ineffizientes Instrument und wären direkte Finanzhilfen WESENTLICH effizienter?

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  • sol1 10. Juni 2022, 13:45

    m) Der Thread wurde gelöscht.

    Hier die überarbeitete Version:

    https://twitter.com/EFDavies/status/1534432350586564608

  • Stefan Pietsch 10. Juni 2022, 17:15

    o) Entweder habe ich Stefan und seine Argumente zum Tankrabatt missverstanden oder er hat sich getäuscht.

    Die Preise sind ja gesunken. Damit keine inflationistische Wirkung. Allerdings können wir etwas beobachten, was meine stille Befürchtung der letzten Wochen war: Unternehmen in Märkten mit geringer Wettbewerbsintensität versuchen Konsumenten an höhere Preisniveaus zu gewöhnen. Setzt der Gewöhnungseffekt tatsächlich ein, werden die Margen auf ein neues Level gehoben. Regelmäßig ist das im Luxussegment zu beobachten. Der Benzinmarkt hat dazu sehr hohe Eintrittsbarrieren, was es Unternehmen erst ermöglicht, höhere Preise durchzusetzen.

    u) Studie um Studie belegt, dass der Mindestlohn kaum negative, aber sehr viele positive Effekte hatte.

    Die Studien haben immer den Haken, dass sie nur in einer Phase des Konjunkturzyklus messen. Das ist wie wenn ich in Sommermonaten feststelle, dass ich auch ohne Pelzmantel auskommen kann.

    Wir sehen gerade, dass die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro das gesamte Lohngefüge nach oben schiebt – auch etwas, was Ökonomen immer reklamieren. Es ist eher ein seltener Fall, dass Mindestlöhner auf Dauer ihre relative Einkommensposition verbessern können. Es gibt einen Drall nach oben und befördert die Lohn-/Preisspirale. Hohe Inflationsraten sind ja aber für manchen kein Problem.

    v) Täusch ich mich oder ist die Steuersenkung in beiden Fällen ein super ineffizientes Instrument und wären direkte Finanzhilfen wesentlich effizienter?

    Wesentlich, ja. Wieder ein Beispiel: der Staat soll sich gefälligst aus der Preisbildung am Markt raushalten. Das geht die Politik nichts an. Es war immer so: wenn die Politik in die Preisbildung an den Märkten reinregiert, wird sie nicht mehr fertig. Aktuelles Beispiel: Benzinpreis. Erst versucht man mit einer zeitlich sehr beschränkten Steuersenkung den Preis auf ein gewünschtes Niveau herunterzuregulieren. Doch der Markt reagiert nicht wie gewünscht, also muss hektisch weiter justiert werden – in diesem Fall wegen drei Monaten! Irre.

    • Lemmy Caution 10. Juni 2022, 21:41

      direkte Finanzhilfen heißt für mich nicht den Versuch, staatlich direkt in die Preisbildung einzugreifen, sondern Leuten mit weniger Geld mit Transfers zu unterstützen.
      Die Steuersenkungen helfen vor allem Gutverdienern.

      In Chile stiegen im letzten Jahr offenbar tatsächlich Leute aus dem Arbeitsmarkt aus, da für sie die corona-bedingten Transfers ausreichten und die Löhne halt auch sehr gering sind. Für kaufkratbereinigt ungefähr 540 Euro im Monat 45 Stunden die Woche zu arbeiten ist auch im Hinblick auf die Anreize sehr knapp bemessen.

      • Stefan Pietsch 10. Juni 2022, 22:17

        Direkte Finanzhilfen an Haushalte sind keine Markteingriffe. Anders als Tankrabatte oder Pauschaltickets.

        • Lemmy Caution 11. Juni 2022, 08:17

          ja, ok. Die temporäre Senkung der Mehrwertssteuer funktioniert ja momentan nicht so gut. Zur Stärkung des Marktes suche ich inzwischen nach günstigen autobahnnahen Tankstellen mit google maps. Zwischen Bielefeld und Weserbergland bin ich schon fündig geworden. Ausfahrt Veltheim, ca 1 km Richtung Veltheim werde ich wohl noch öfters ansteuern.
          Das 9 Euro-Ticket bewegt vielleicht schon manche Leute mal dem ÖPNV eine Chance zu geben. Ich habe Kollegen, die lieber jede 2 Stunden ihre Parkscheibe vordrehen als sich einfach mal in einen Bus/Straßenbahn zu setzen.

          • Stefan Sasse 11. Juni 2022, 11:04

            Also ich benutz diesen Monat die Bahn schon mal mehr als sonst…anekdotisch, klar, aber wir haben ja noch keine Zahlen.

            • Stefan Pietsch 11. Juni 2022, 21:39

              Das offizielle Ziel des 9-Euro-Tickets ist es, mehr Menschen vom Auto auf die Schiene zu bewegen. Also dem öffentlichen Nah- und Regionalverkehr einen zeitlich befristeten Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.

              Du gehörst folglich nicht zur Zielgruppe. Und das ist das Problem: Nach den bisherigen Erfahrungsberichten (und auch Erwartungen) ist das Ziel bisher klar verfehlt worden. Das Tickelt wird von jenen genutzt, die der Bahn ohnehin bisher einen Vorteil einräumen – nur halt exzessiver. Durch die Überlastung wird das Angebot aber nicht attraktiver, sondern im Gegenteil. Das ist doch normal, oder? Du würdest ja auch einen nicht-überfüllten Urlaubsort einer völlig überlaufenen Destination vorziehen und Dich wohl kaum überzeugen lassen: ist aber super billig!

              • Stefan Sasse 12. Juni 2022, 09:25

                Wieso gehöre ich nicht zur Zielgruppe…? Wenn ich statt des Autos die Öffentlichen nutze erfüllt es bei mir doch das Ziel?

                • Stefan Pietsch 12. Juni 2022, 11:53

                  Du stehst der Bahn sehr aufgeschlossen gegenüber und würdest eine Zugfahrt dem Auto vorziehen – so mein Verständnis. Du brauchst von den Vorteilen des Produkts – günstiger Preis, umweltfreundlich, ohne Last selbst lenken zu müssen – nicht überzeugt zu werden. Du bist es. Du würdest auch ohne 9-Euro-Ticket mit der Bahn fahren.

                  • Stefan Sasse 12. Juni 2022, 14:09

                    Hahahaha, lol, nein. Viel zu teuer. Ich brauch mit der Bahn mehr als anderthalb mal so lang wie mit dem Auto, in günstigen Bedingungen. Dazu ist es teurer.

          • Stefan Pietsch 11. Juni 2022, 21:34

            Wieso?

    • Stefan Sasse 11. Juni 2022, 11:00

      o) Ich meine, es ist natürlich anekdotisch, aber: die Preise sind gefühlt überhaupt nicht gesunken. Vor dem Rabatt habe ich ca. 2€ bezahlt, jetzt zahle ich das immer noch. Lindner hat jüngst bei Illner oder Maischberger (weiß nicht mehr) gesagt, dass ohne den Tankrabatt die Preise noch höher wären, und das mag auch durchaus sein, aber es ist eine Argumentation, die Linke für ihre Programme auch immer bringen und die Liberale auch nicht akzeptieren. Mir scheint das ganze Unternehmen ein ziemlich teurer Reinfall. Aber da sprechen natürlich auch meine priors.

      u) Bisher haben wir keinerlei Lohn-Preis-Spirale, eher das Gegenteil. Es wäre zu befürworten, dass die Löhne den Preisen hinterherziehen.

      v) Lass mal weiterdenken: wäre es nicht sinnvoller gewesen, einen Rabatt direkt an die Leute auszuzahlen? Also den Markt seine natürliche Preisbildung machen lassen und die Menschen direkt entschädigen?

      • Stefan Pietsch 11. Juni 2022, 21:53

        o) Glaube ich Dir kein Stück. 😉 Geht mir zwar genauso, aber das ist falsch. Wir unterliegen einer Preisillusion. Der Benzinpreis verändert sich am Tag mehrere Male und schwankt innerhalb von 24 Stunden meist um 12-15 Cent pro Liter. Du müsstest bei der Tankstelle Deiner Wahl also Zeiten erwischen, wo der Preis bei 2,02 Euro und bei 1,90 Euro liegt. Das erzählst Du aber nicht. OdeAr Dir fällt es nicht auf. Und diese Spanne soll vor 2 Wochen genauso gewesen sein? Nein. Tatsächlich war bei mir der Preis Ende Mai etwas über 2 Euro und liegt heute meist zu den gleichen Zeiten bei 1,92 Euro.

        Die aktuellen Studien zeigen ja auch, dass bei Benzin ungefähr 40% des Rabattes weitergegeben wurde, bei Diesel jedoch nur 4 Cent. Das ist unterhalb der Wahrnehmungsschwelle.

        u) Was beobachtest Du denn? Die bisher abgeschlossenen Branchen sind mit Lohnforderungen von rund 5% ins Rennen gegangen. Das ist gerade angesichts einer labilen Konjunktur ziemlich hoch für die Zeit. Bei den nächsten liegen die Forderungen zwischen 6 und 8 Prozent. So hohe Lohnforderungen über die Breite hatten wir seit den Achtzigerjahren nicht mehr.

        v) Genau. Preise sind Sache des Marktes, des Wettbewerbs und der Marktakteure Unternehmen und Haushalte. Sozial- und Finanztransfers sind Sache des Staates. Das ist seine Kernkompetenz und da kann er zielgerichtet arbeiten.

        • Stefan Sasse 12. Juni 2022, 09:27

          o) Die Schwankung in diesem Bereich gab es aber vor dem Rabatt auch schon. Und ja, gelegentlich geht er bis auf 1,91 runter, aber meistens ist er 1,98 bis 2,02.

          u) Die höchste Forderung ist von der IG Metall mit 8% – für zwei Jahre. Das ist deutlich UNTER der Inflation.

          v) Warum wird das dann nie gemacht?

          • Stefan Pietsch 12. Juni 2022, 12:03

            o) Ja. Aber Du nimmst die Überschneidungen der Schwankungsbreiten so wahr, dass der Preis praktisch gleich geblieben sei. Das ist die Preisillusion.

            u) Wir haben erst jetzt in den späten Frühlingstagen eine Inflation von 7%. Die Lohnforderungen wurden jedoch zuvor entwickelt. Wir stehen am Anfang der Lohn-/Preisspirale, nicht mittendrin.

            v) Das ist die Kritik von Liberalen wie mir. Der deutsche Staat setzt vor allem Feuerkraft (falsches Wort in diesen Zeiten oder passend?) ein, um soziale Probleme zu beheben. Die SPD als treibende Kraft verspricht sich seit Jahrzehnten dadurch Wahlerfolge – die Lernkurve in der Politik ist wirklich sehr flach. Die skandinavischen Länder und unsere holländischen Nachbarn arbeiten da weit präziser.

            Aber ja, das ist nicht ein Problem der zur Verfügung stehenden Instrumente, sondern das politische Handwerk, diese einsetzen zu können.

            Im Markt kann der Staat (und sollte er auch) sehr viel tun. Markteintrittsbarrieren wie Vorschriften, Kapitalbedarfe etc. senken, Vermachtungen behindern und auflösen (siehe aktuelle Debatte), soziale Flankierung des Marktgeschehens. Nur aus der Preisbildung, da bin ich absolut strikt, soll er sich gefälligst raushalten.

            • Stefan Sasse 12. Juni 2022, 14:10

              o) Hm. Ich glaub das mal.

              u) Quatsch.

            • Hias 13. Juni 2022, 20:45

              Zu u)
              Da ich da auch ein bisschen mitgemacht habe bei der Lohnforderungssuche: Nein, die Anforderung steht noch nicht fest. Seit Ende April haben die Geschäftsstellen der IGM die Anforderungen eingesammelt und aktuell müssten die Bezirke dran sein. Sowohl die IGM-Forderungen für die Stahl-Branche als auch für die Metall- und Elektroindustrie kamen erst nach den hohen inflationszahlen.

              Übrigens hat die IG BAU für die Gebäudereiniger (zu deren eigenen Überraschung) einen schnellen Abschluss mit 13 Prozent mehr Kohle abgeschlossen. Ist nicht nur die Inflation, die treibt, auch die fehlenden Arbeitskräfte beginnen sich auszuwirken und treiben die Löhne (zumindest hier im Süden) und das in allen Branchen.
              Daher bin ich auch der Meinung, dass die Erhöhung des Mindestlöhne um diesen Sprung genau jetzt genau das war, was die Branchen mit vielen Niedriglöhnern gebraucht hat. Kein einzelner Friseur oder Gebäudereiniger oä kann allein seine Löhne so heben, dass man wieder etwas attraktiver wird und an breitenwirksamen Tarifverträgen fehlt es in diesen Branchen. Aber der Mindestlohn trifft alle und keiner kann ausscheren und weniger zahlen.

              • Stefan Sasse 14. Juni 2022, 09:35

                Jepp, sehe ich auch so.

              • Stefan Pietsch 14. Juni 2022, 11:24

                Ist nicht nur die Inflation, die treibt, auch die fehlenden Arbeitskräfte beginnen sich auszuwirken und treiben die Löhne (..) und das in allen Branchen.
                Daher bin ich auch der Meinung, dass die Erhöhung des Mindestlöhne um diesen Sprung genau jetzt genau das war, was die Branchen mit vielen Niedriglöhnern gebraucht hat.

                Wie geht das zusammen?

                Sie messen dem Instrument des Mindestlohns eine Funktion zu, die er eigentlich nicht haben sollte. Eine Lohnuntergrenze ist dort von Nöten, wo sich durch den Markt keine echte Bodenlinie bildet. Meinetwegen nennen Sie es existenzsichernd.

                Nur das ist ja bereits eine politische Lüge. Bereits heute liegt der Mindestlohn weit über dem sozialen Existenzminimum eines Singles, festgelegt durch das Sozialrecht.

                Der Mindestlohn ist für Erwerbstätige am unteren Ende der Erwerbshierarchie. Unter ihn fallen typischerweise die Beschäftigten mit der geringsten Produktivität, der geringsten Attraktivität im Arbeitsmarkt, dem geringsten Qualifikationsniveau. Und wie jeder Lohn kann auch der Mindestlohn nur gezahlt werden, wenn die Konsumenten bereit sind, die Leistungen entsprechend zu entgelten.

                Geringqualifizierte mit Migrationshintergrund, inzwischen viele Flüchtlinge darunter und Alleinerziehende bilden das Gros der heute Langzeitarbeitslosen (>1 Jahr ohne Beschäftigung). Wenn sie bisher zu dem deutlich über Sozialniveau liegenden Lohn keine Beschäftigung gefunden haben, wird es mit 12 Euro auch nicht leichter. Dazu kommt eine interessante Zahl: 7 Jahre nach der Flüchtlingskrise von 2015 haben trotz Jobbooms in der zweiten Hälfte der Zehnerjahre die Hälfte der damals gekommenen Flüchtlinge immer noch keinen Job. Sie werden, das ist keine schwere Prophezeiung, niemals eine richtige Festanstellung bekommen.

                Bei der Festlegung hoher Lohnuntergrenzen gibt es international zwei Beobachtungen: In Frankreich schoben sich in den Neunziger- und Nullerjahren die Löhne in der unteren Hälfte so zusammen, dass fast 40% der Beschäftigten Mindestlohn oder knapp darüber erhielten.

                Die andere Entwicklung steht sicher in Deutschland an: der Mindestlohn wird die gesamten Einkommen nach oben verschieben. Bei der derzeitigen Inflation und den Erwartungen für 2023 und 2024 werden die 12 Euro schon bald wieder die 9,50 Euro von heute sein. Die Mindestlohnempfänger werden ihre Einkommensposition nicht verbessern können, werden allerdings die Hauptlast der Umstellung tragen müssen: steigende Arbeitsbelastung, Zeitverkürzung. Die ersten, die ihre Einkommensposition verbessern, sind immer die oberen 20%. Nur mal so.

                Die Frage ist, was ist damit gewonnen? Schreitet die Politik dann 2025 wieder ein? Das wäre ein weiteres Mal, dass die Politik Zusagen bricht.

                In der Pandemie haben die Leute gelernt, auf Friseurbesuche zu verzichten. Fast-Food-Ketten haben ein generelles Problem und auch Unternehmen des Reinigungsgewerbes suchen nach Substitutionsmöglichkeiten der Arbeit. Reinigungsroboter sind derzeit schwer in Mode.

                Ich mache das Problem immer an meinen Schilderhochhaltern fest. Wer durch nord- und südamerikanische Länder cruised, der wird an Baustellen etwas beobachten, was es in Deutschland nicht gibt: Menschen regeln dort mit Schildern den Verkehr. Diese Leute verdienen mit Sicherheit sehr wenig, aber sie haben einen Job. Und sie müssen diesen Job machen, weil sonst zu Hause nichts zum Essen auf den Tisch kommt. In Deutschland sind diese potentiellen Schilderhochhalter arbeitslos. Sie bekommen Hartz-IV. Ohne jede Aussicht, je einer geregelten Arbeit nachgehen zu können, ohne Kollegen, ohne die Befriedigung etwas geleistet zu haben und sei es, nur den Verkehr an einer Baustelle geregelt zu haben. Wir nennen das sozial.

                • Stefan Sasse 14. Juni 2022, 16:22

                  Was genau gewinnen diese Leute, wenn der Mindestlohn nicht steigt?

                  • Stefan Pietsch 14. Juni 2022, 17:25

                    Falsche Frage. Wenn alles relativ ist und ich mich durch eine Maßnahme nicht verbessern kann, dann gibt es zwei Dinge zu beachten:

                    – Lässt sich das Ziel durch andere Maßnahmen besser erreichen?
                    – Was sind die Risiken der nicht effektiven Maßnahme?

                    Jeder, der danach trachtet, sein Einkommen zu erhöhen, tut dies aus mindestens einem der zwei Gründe:

                    – Er will seine Einkommensposition verbessern, weil er sein Tun für wertvoller als das anderer hält.
                    – Er muss sein Einkommen an gestiegene Lebenshaltungskosten anpassen.

                    Anders als bei normalen Lohnforderungen resultiert die Mindestlohnanpassung nicht aus Verhandlungen der Vertragspartner Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der große Schutzengel Staat greift ein. Nur tat er das aus keinem der genannten Motive, sondern schlichtem politischem und damit populistischem Kalkül.

                    Eine vom Staat induzierte allgemeine Anpassung der Löhne und Gehälter ist aus einer Reihe von Gründen fragwürdig und für die Volkswirtschaft gefährlich. Und ausgerechnet Deutschland hat damit ganz schlechte Erfahrungen. Als Heinz Kluncker 1973 dem Staat einen völlig überzogenen Tarif aufzwang, brachte er damit erst das gesamte Tarifgefüge aus dem Gleichgewicht und dann die Volkswirtschaft. Es dauerte ein Jahrzehnt, bis der angerichtete Schaden einigermaßen kompensiert war.

                    Vernünftige Politik wäre, die Finger von Dingen zu lassen, von denen der Staat nichts versteht. Erst recht, wenn nicht mal das Ziel benannt werden kann.

                    • Tim 14. Juni 2022, 19:40

                      Es ist zwecklos, gegen den Mindestlohn anzuargumentieren, denn die Debatte trägt religiöse Züge. Auf der einen Seite die armen Ausgebeuteten, auf der andere Seite die bösen Ausbeuter. Damit können Populisten arbeiten.

                      Die existierenden sozialen Probleme werden nicht gelöst, aber man weiß zumindest, wer die Guten und wer die Bösen sind.

                    • Stefan Sasse 14. Juni 2022, 21:07

                      Das ist doch Nebelkerzen werfen. Die Leute verdienen zu wenig Geld. Sie haben keine Verhandlungsmacht. Vor dem Mindestlohn wurden die teilweise sittenwidrig bezahlt. Löst der Mindestlohn alle Probleme? Nope. Geht’s den Leuten mit Mindestlohn wesentlich besser als ohne? Ja. Case closed.

                    • Stefan Pietsch 14. Juni 2022, 23:16

                      Woran gemessen „zu wenig Geld“? In Relation zu anderen Einkommen oder in Relation zu dem, was man sich dafür leisten kann?

                      Was aber ändert sich auf Perspektive von 2-5 Jahren, wenn die Einkommen der anderen und die Preise nachziehen? Gar nichts. Das, Stefan, ist der Punkt. Es sei denn Du akzeptierst nicht die Bedingungen.

                      Löst der Mindestlohn alle Probleme? Nope.

                      Schönes Totschlagargument, das an der Stelle nie fehlen darf.

                      Geht’s den Leuten mit Mindestlohn wesentlich besser als ohne? Ja.

                      Wir haben gesehen, dass bei Mindestlohnempfängern die Arbeitszeit sinkt, so dass das Monatseinkommen praktisch nicht steigt. Wir haben gesehen, dass oft selbst eine Erhöhung der Lohnuntergrenze das verfügbare Einkommen für diese prekär Verdienenden nicht steigt.

                      Was bezeichnest Du also als „es geht ihnen besser“? Geringverdiener mit vergleichsweise niedriger Arbeitszeit bekommen mehr Freizeit und sie erhalten weniger Sozialtransfers (ohne sich aus der Abhängigkeit befreien zu können). Sehr fragwürdig.

  • Tim 10. Juni 2022, 18:11

    u) Studie um Studie belegt, dass der Mindestlohn kaum negative, aber sehr viele positive Effekte hatte.

    Ach ja? Der Mindestlohn hat überhaupt keinen Einfluss auf die Armutsgefährdung in Deutschland gehabt:
    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/72188/umfrage/entwicklung-der-armutsgefaehrdungsquote-in-deutschland/

    Doch dafür wurde er schließlich eingeführt. Er ist bezeichnend, dass Studien jetzt zwanghaft positive Effekte herausfinden wollen, die ursprünglich niemand anstrebte. Weniger Lohnunterschiede, really? Was bringt einer armutsgefährdeten Person bitte so eine statistische Größe? Das ist doch menschenverachtende Quatschstatistik!

    Nein, ein Mindestlohn hat noch nirgendwo ein soziales Problem gelöst. Populistische Symbolpolitik zur Besänftigung der Massen, ohne dass man wirklich etwas ändern muss. Und gerade jetzt in Inflationszeiten brandgefährlich.

    Aber egal. Sozial schwache Menschen interessieren niemanden in der Politik, darum wird es auch fast nie wirksame Politik zur Verbesserung ihrer Lage geben.

    • Tim 10. Juni 2022, 18:29

      Nachtrag: Gerade lese ich, dass die Armutsgefährdungsquote im Jahr 2021 18,5 % betrug. Im Jahr vor Einführung des Mindestlohns waren es 15,4 %.

      Armutsgefährdung mal eben um 20 % erhöht. Ein großer Erfolg der Sozialpolitik! Ich gratuliere allen Freunden des Mindestlohns.

      • Hias 14. Juni 2022, 03:46

        Fließt in die Berechnung der Armutsgefährdungsquote nur Erwerbseinkommen oder alle Haushaltseinkommen ein? Denn dann könnte die deutliche Zunahme des Anteils der RentnerInnen ein Grund für die Zunahme der Armutsgefährdungsquote sein.
        https://de.statista.com/statistik/daten/studie/14177/umfrage/deutschland-anteil-rentner-an-erwerbsbevoelkerung/

        • Tim 14. Juni 2022, 19:51

          Übrigens ist die Armutsgefährdungsquote keinesfalls ein sinnvolles Mittel der Armutsmessung. Tatsächlich ist sie ein ausgesprochen schlecht konstruierter Indikator. Aber sie wird von den Interessengruppen, die von der Armut leben, stets wie eine Monstranz präsentiert und war auch bei der Einführung des Mindestlohns omnipräsent.

          Jetzt, wo offensichtlich ist, dass der Mindestlohn die Armutsgefährdung nicht senken kann, gehört eigentlich mindestens eines der beiden Konzepte in den Mülleimer der Sozialpolitik: Armutsgefährdung oder Mindestlohn (tatsächlich sogar beide). Doch das passiert natürlich nicht.

          Wie ich schon schrieb: Auch in der linken Hälfte des politischen Spektrums interessiert sich niemand wirklich für die sozial Schwachen, darum gibt es auch keine wirksame Sozialpolitik.

          • Stefan Pietsch 14. Juni 2022, 23:21

            Guter Punkt. Das Problem wird statistisch vergrößert: Armutsgefährdungsquote klingt genauso wie Armutsquote. Und bis der Unterschied erklärt ist, ist die Botschaft längst angekommen: verdammt viele leben in Armut.

            Wenn jemand ein fraglos existentes Problem immer mehr aufmotzt bis es riesengroß erscheint, ist eins klar: Er will nicht das Problem lösen, sondern es am Kochen halten. Ökonomen jeglicher Art (BWLer, Umweltökonomen, Finanzwissenschaftler etc.) gehen umkehrt vor: Das Problem wird so lange eingegrenzt und parzelliert, bis es mit klaren Maßnahmen lösbar wird.

            Der Lösungsweg zeigt, was der Protagonist will: Problem erhalten oder Problem lösen.

          • cimourdain 15. Juni 2022, 08:37

            Kleine historische Korrektur: Der Begriff Armutsgefährdung ist Ergebnis eines statistischen EU-Standards, der die ‚poverty Line‘ bei 60% des Medianeinkommens ansetzt. Davor hat Deutschland die Armutsdefinition der OECD (50% des Medians) verwendet. Um diese Begriffe unterscheiden zu können, gibt es die ‚Armutsgefährdung‘.

        • cimourdain 15. Juni 2022, 08:29

          Für die Armutsgefährdungsquote wird als Bezugsgröße das Nettoäquivalenzeinkommen verwendet. Das umfasst alle Einkünfte und Bezüge (auch Renten).
          Aber die Spur ist richtig: Durch den Mindestlohn sind v.a. die niedrigen Arbeitseinkommen (Vollzeit) deutlich gestiegen. Das hat den Einkommensmedian verschoben, wodurch viele Rentner (deren Bezüge nicht so stark gestiegen sind) unter die Armutslinie gerutscht sind. Sicher ein zu berücksichtigender Effekt.

  • Thorsten Haupts 10. Juni 2022, 18:19

    Zu b)
    Folgerichtig Ah ja … Wo genau finde ich den Artikel, in dem „Streiks, Blockaden und Anschläge“ für irgendeinen „rechten“ Zweck in den wenigen verbliebenen nichtlinksiberalen Medien (FAZ, WELT, focus) gerechtfertigt werden (Gewalt markiert den Übergang von radikal zu extremistisch)? Ich biete Stefan Sasse eine Wette von 1:10, dass der nicht existiert. Worauf also bezieht sich „folgerichtig“? Der Artikel ist nur ein weiterer beleg dafür, dass man als Linksradikaler und Linksextremist in deutschen Leitmedien folgenlos jede Position vertreten darf und trotzdem Teil des öffentlichen Diskurses bleiben kann. Darauf verweist ja schon Stefans Einstufung als „dumme Idee“ …

    Zu i)
    Ah. Das übliche Linke Gegreine, wenn man vollständig legale und in anderen Umständen von ihr geschätzte Methoden gegen sie anwendet. Meh.

    Zu p)
    Wo Posener Recht hat …

    Zu r)
    Eine Runde Falschdarstellung. Es geht um die Teilnahme von Transfrauen an Frauensport – und die ist und bleibt eine Unverschämtheit allen biologischen Frauen gegenüber (Männer, auch solche, die sich äusserlich zu Frauen umformen lassen, geniessen den automatischen Vorteil einer ab Geburt >30% höheren Muskelmasse bei gleichem Gewicht. Bei gleicher Trainigsintensität ist dieser Vorteil unaufholbar – genau deshalb gibt es Frauensport).

    Zu t)
    Irreführender Einführungssatz. Es geht um eine Art der Bezahlung, die laut eines Buches angeblich im China der sechziger Jahre (Mao Diktatur) irgendwo beobachtet wurde. Dazu noch eine völlig irrelevante Debatte für alle Gesellschaften, die von ihrer Wirtschaft Output-Effizienz erwarten (die im entwickelten Westen die Grundlage für materiellen Massenwohlstand war und auf absehbare Zeit bleibt).

    Zu 8)
    Das passt ja gerade prima in die geistige Landschaft: Bekommt man die Deutschen vom Holocaust weg, kann man den viel leichter als Untergruppe in den postkolonialen und rassismuskritischen Mainstream der angelsächsischen Geisteswissenschaften wegdefinieren. Wie fängt man das an? Man macht einen der grossartigsten Züge der deutschen Gesellschaft der letzten 60 Jahre madig – die selbstkritische deutsche Vergangenheitsaufarbeitung. Wären die radikalen deutschen Rechten auch nur ein wenig intelligenter, sie würden das sofort aufgreifen und puschen.

    Gruss,
    Thorsten

    • Stefan Sasse 11. Juni 2022, 11:02

      b) So ein Blödsinn.

      t) Ok.

      8) Ja, die Gefahr sehe ich auch. Aber die Artikel-Argumentation ist auch nicht von der Hand zu weisen.

  • Thorsten Haupts 10. Juni 2022, 18:23

    Zu 2)
    Mit Engländern, Franzosen und Niederländern folgten die Dampfmaschine, der Explosionsmotor, die Elektrizität, das Flugzeug, der Transistor. Kolonialismus brachte beiden Amerika, Schwarzafrika und der Südsee die Schrift (so wie das römische Kolonialreich uns das Alphabet gebracht hatte) …

    Wüsste nicht, was daran historisch inkorrekt wäre? Moderne Medizin müsste man ergänzen (die durchschnittliche Lebenserwartung lag in einigen afrikanischen Regionen lag vor der Kolonialisierung bei unter 30 Jahren …) Der europäische Kolonialismus ist keineswegs eine einzige, ausschliessliche, Negativgeschichte, woran dessen egoistische und imperialistische Motive genau nichts ändern.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 11. Juni 2022, 11:02

      Weil die davon nichts hatten.

      • Thorsten Haupts 14. Juni 2022, 13:07

        In der Pauschalisierung ist das einfach Quatsch. Subsahara-Afrika war in den besten (!) bekannten Fällen vor der Kolonialisierung etwa auf dem Stand des späten europäischen Mittelalters, also 1870 entwicklungstechnisch knapp 5 Jahrhunderte zurück.

        Selbstverständlich kann man trotzdem argumentieren, es hätte sich aus eigene Kraft (durch reinen Handel) in die Moderne katapultiert, sehr wahrscheinlich ist das allerdings nicht. Bzw. es gibt dafür kein historisches Vorbild (Japan, der einzige historisch bekannte Fall einer Blitz-Selbstentwicklung in die Moderne, war zum Zeitpunkt seiner Zwangsöffnung durch eine US-Flotte deutlich weiter, u.a. weil es den regelmässigen Kontakt nach Europa nie vollständig verlor und diesen zu seinen Bedingungen gestaltete, solange es waffentechnisch den Anschluss nicht verlor).

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • Stefan Sasse 14. Juni 2022, 16:24

          Lass den Fall umdrehen: Japan wäre mit Sicherheit nicht annähernd so erfolgreich gewesen, wäre es kolonisiert worden. Dass es sich modernisieren konnte, verdankt es seinem Widerstand gegen den Imperialismus.

          • Thorsten Haupts 14. Juni 2022, 18:18

            Japan wäre nie kolonisiert worden – dazu war es bereits zu widerstandsfähig und Kosten/Nutzen hätten für kein europäisches Land in einem sinnvollen Verhältnis gestanden. Genau deswegen ist es ja auch nie kolonisiert worden. Es war eben genau nicht mehr im frühen bis späten Mittelalter.

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • Stefan Sasse 14. Juni 2022, 21:08

              Das halte ich für eine reine Behauptung. Die haben alle möglichen widerstandsfähigen Länder kolonisiert.

              • Thorsten Haupts 15. Juni 2022, 12:01

                Haben sie nicht. Aber egal – we agree to disagree?

  • Lemmy Caution 10. Juni 2022, 22:01

    Ich bin ja voll für eine „slavic alliance“. Die SPD verspielt da gerade eine Menge. Sozusagen als zweites Standbein zur West-Bindung.
    Genetisch bin ich wie viele sowieso 50% slawisch/baltisch und 50% friesisch (also niederländisch-deutsch). Außerdem haben die gute IT-Fachkräfte und politisch neben Schatten auch Licht.
    Muskowien aka „Rußland“ bleibt da natürlich außen vor. Der Begriff Muskowien war in der frühen Neuzeit noch gebräuchlich in Deutschland. Leider haben die Nationalsozialisten diesen exakten Begriff für die Nachfolgestaaten des Moskowiter Russ mißbraucht.

    • Stefan Sasse 11. Juni 2022, 11:03

      Und warum sollte ich diesen Begriff anstelle Russlands nehmen wollen…? Also brauchen wir einen neuen?
      Und Slavic Alliance, schön und gut. Aber ich sehe das mit den aktuellen Ländern nicht.

      • Lemmy Caution 11. Juni 2022, 16:52

        Russland wird immer gedacht als Dominanz des relativ kleinen Gebiets westlich von Moskau über den gewaltigen Rest. Dabei gewinne ich immer mehr den Eindruck, dass das Wesen des Landes wesentlich föderaler ist.
        Mit der Ukraine und auch Belarus gibts sowieso weitere Russ mit starken zentrifugaler Energie gegen Moskau/St. Petersburg.
        Natürlich können wir nicht eine sibirische Unabhängigkeitsbewegung fördern, aber wenn das so weitergeht werden sich entsprechende Bewegungen formieren. Das Land wird uns in jeden Fall weiter beschäftigen.
        Ökologisch hat das Land eine Menge Verantwortung über riesige Wälder, Taiga, Tundra. In dem aktuellen Zustand sind die dazu nicht in der Lage. Auch ohne diesen absolut und total völlig verrückten Krieg stellt Rußland eine Bedrohung dar, die aus meiner Sicht unterschätzt wird.
        PiS gewinnt in Polen Wahlen, aber mich beunruhigen Le Pen und Vox mehr. In Italien erscheint sowieso grundsätzlich immer vieles möglich. In Tschechien, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien regieren die Populisten genau nicht. Die baltischen Regierungen machen durch die Bank für EU Verhältnisse einen überdurchschnittlich vernünftigen Eindruck.
        Gerade auch vor dem Hintergrund der Geschichte dieser Länder zwischen den beiden Weltkriegen sehe ich politisch das Glas in Mittel-Ost Europa eher halb voll als halb leer.
        Im übrigen sollten wir mal zur Kenntnis nehmen, dass das Wahlverhalten der Menschen in Demokratien in den letzten Jahren nicht intelligenter geworden ist.
        Südamerika ->
        Uruguay: gut
        Chile: gut nach vielen Startpannen, aber gesellschaftlicher Diskurs befindet sich am Rande des Nervenzusammenbruchs.
        Paraguay: schwer Einblicke zu bekommen, aber diese Regierungen mit Wurzeln in Strößner-Diktatur erscheinen nach meinem sehr kursorischen Blick erstaunlich vernünftig. Ich kann mich da irren.
        Bolivien: schwer Einblicke zu bekommen, aber sieht mit kursorischen Blick nicht schlecht aus. Ich kann mich da irren.
        Ecuador: schwer Einblicke zu bekommen, aber sieht mit kursorischen Blick nicht schlecht aus. Ich kann mich da irren.
        Peru: Katastrophe.
        Kolumbien: Katastrophe und nächstes WE Stichwahl. Zur Wahl stehen 2 Optionen mit aus meiner Sicht Potential zur großen Katastrophe. Beide.
        Brasilien: große Katastrophe
        Argentinien: große Katastrophe

        • Stefan Sasse 11. Juni 2022, 17:12

          Ich halte das für eine Fehleinschätzung. Das Land ist vieles, aber nicht föderal. Sollte es das sein? Zweifellos. Aus den von dir genannten Gründen, unter anderem. Aber es wird von wenigen, russischen Metropolen beherrscht; das riesige Hinterland ist quasi Kolonie.

    • cimourdain 15. Juni 2022, 16:00

      Sorry, aber der Begriff ist durch die Verwendung im 20. Jahrhundert richtig eklig verbrannt:
      https://de.wikipedia.org/wiki/Moskowien

  • Lemmy Caution 10. Juni 2022, 22:40

    Für die Kolonialismus-Debatte ist es leider noch viel zu früh. Je mehr ich mich mit dem Kolonialismus/Imperialismus in v.a. Südamerika und Vietnam beschäftige, desto verwirrender wurde und wird es.
    Allgemein von einer zivilisierenden Wirkung der europäischen Mächte zu sprechen ist absoluter bullshit.
    Ein paar Beispiele:
    – Ein Großteil unserer Renaissance verdanken wir ja bekanntlich der Tatsache, dass viele antike Autoren in muslimischen Bibliotheken überlebten.
    – Das Generalkapitanat Chile (1565 bis 1819) behandelte afrika-stämmige und Mestizen uendlich viel barbarischer als die Mapuche-Konföderation südlich des Bio Bio.
    – Unabhängige indianische Gesellschaften waren in der Lage, technischen Fortschritt in die eigene Kultur zu integrieren (z.B. Pferde).

    Die Wahrheit besteht aus einer Menge an verwirrender Details. Eine Debatte „Kolonialismus vielleicht doch gut?“ oder „Edle Wilde“ Perspektive lenkt von den eigentlich wertvollen Einsichten eher ab.

    Kolonialismus und Imperialismus waren vor allem dynamische Prozesse.
    Die heutige chilenische Nation hat europäische und indigene Wurzeln, wobei die europäischen zeitlich viel länger schriftlich reflektiert wurde.

  • Erwin Gabriel 12. Juni 2022, 15:27

    1) In Osteuropa ist das Bild des hässlichen Deutschen zurück – schuld daran ist Olaf Scholz

    Zustimmung. Ein Feigling, der vor Putin kuscht und die osteuropäischen Länder weitgehend im Regen stehen lässt.

    Dafür braucht man allerdings eine Strategie.

    In der Tat. Hier weiß man bestenfalls, wie man das Wort schreibt. Trauerspiel. Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: Das ist seit knapp 30 Jahren bzw. seit der Wiedervereinigung so. Abtauchen, wegducken, raushalten – egal, was passiert.

    2) Den Kolonialismus erklären und die lähmende Opfermentalität in den Geschichtsbüchern Afrikas und des Nahen Ostens überwinden

    Allen kolonisierten Landstrichen ginge es heute besser, wären sie nie kolonisiert worden.

    Das nenne ich mal eine gewagte Behauptung. Afrika war vor der Kolonialisierung tribal geprägt, es gab auch vorher Sklavenhandel, und die einzelnen Stämme hatten nur wenige Probleme damit, sich die Köpfe einzuhauen oder Gefangene an die Araber zu verkaufen.

    Dass durch das willkürliche Ziehen von Grenzen nichts besser geworden ist, unterschreibe ich gerne, ebenso, dass viele Europäer da unten übel gewütet haben. Aber ja, „die Autobahnen“ bleiben, selbst wenn die auch ohne Massaker und Ausbeutung möglich gewesen wären.

    Nicht falsch verstehen: Ich heiße die Kolonialisierungen und das ganze Herrenmenschen-Getue nicht für richtig, nicht für gut. Ich bezweifle nur sehr heftig Deine Aussage, dass es allen Landstrichen heute besser gehen würde.

    3) What the President secretly did at Sandy Hook Elementary School

    Was auch immer man über seine Politik sagen will, es kann keinerlei Zweifel geben, dass Barack Obama der integerste Mensch seit vielen Jahrzehnten war, der im Weißen Haus saß. Auch das ist etwas wert.

    Zustimmung.

    4) Shadows of the First World War loom over Germany’s ambiguous response to Russia

    Zustimmung.

    6) Anatomy of a fake

    Und das nicht, weil sie konservative Ideen und Interessen vertreten (obwohl, das natürlich auch), …

    Warum Du Dich immer über Pietschs Grünen-Bashing beschwerst, wenn Du selbst jede Gelegenheit nutzt, Deiner Gegenseite ein mitzugeben, erschließt sich mir nicht.

    8) No, Post-Nazi Germany Isn’t a Model of Atoning for the Past

    … und Traverso hat sicher Recht damit wenn er feststellt, dass dies in vielen Ländern gerne genutzt wird, um von eigenen historischen Diskursen abzulenken.

    Zustimmung.

    • Stefan Sasse 12. Juni 2022, 19:07

      1) Eine Weile konnte man ja echt noch annehmen, dass Scholz halt nach außen ruhig ist und im Inneren sein Ding macht, aber…da ist nur Baerbock, und die SPD blockt.

      2) Ich sage nicht, dass damals alles super war. Ich sage, schlimmer als heute wäre es nicht. Das ist glaube ich nicht sonderlich gewagt. Ich erwarte nicht, dass ganz Afrika ohne Kolonisierung Wakanda wäre.

      6) Ich halte das in dem Fall vor allem für ehrlich; ich will ja nicht behaupten, ich hätte keine Interessen. Das war nur als Transparenzhinweis gemeint: ich bin befangen.

  • Erwin Gabriel 12. Juni 2022, 20:12

    2) Ich sage nicht, dass damals alles super war. Ich sage, schlimmer als heute wäre es nicht.

    Genau das hast Du eben nicht gesagt 🙂

    6) Ich halte das in dem Fall vor allem für ehrlich; ich will ja nicht behaupten, ich hätte keine Interessen. Das war nur als Transparenzhinweis gemeint: ich bin befangen.

    Gilt für andere auch, und die werden angemault.

    • Stefan Sasse 13. Juni 2022, 10:39

      2) Das tut mir Leid, das wollte ich zumindest sagen 🙂

      6) Ich sehe das da nicht. Es ist ja kein Bashing zu sagen, dass ich damit nicht übereinstimme. Ich fände es viel schlimmer, wenn ich so tun würde, als würde ich irgendwie objektiv da zu einer Einschätzung kommen, wo halt meine Priors einfach eine große Rolle spielen.

      • Erwin Gabriel 13. Juni 2022, 16:27

        @ Stefan Sasse 13. Juni 2022, 10:39

        6) Ich sehe das da nicht. Es ist ja kein Bashing zu sagen, dass ich damit nicht übereinstimme. Ich fände es viel schlimmer, wenn ich so tun würde, als würde ich irgendwie objektiv da zu einer Einschätzung kommen, wo halt meine Priors einfach eine große Rolle spielen.

        Wie gesagt; ich sehe das eben so.

        Der Punkt ist nicht, dass Du andere Prioritäten hast als beispielsweise ich. Der Punkt ist, dass Du Dich nicht zu einem Thema äußerst, sondern pauschal ablästerst.

        Ist ja auch kein Drama, sondern nur ein Hinweis meinerseits. Ich weiß ja, wie diese linken Pädagogen drauf sind. 🙂

        • Stefan Sasse 13. Juni 2022, 17:55

          I see what you did there.

          • Erwin Gabriel 14. Juni 2022, 11:48

            @ Stefan Sasse 13. Juni 2022, 17:55

            I see what you did there.

            Ich habe von den Besten gelernt 😉

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