Rezension: Mark Mazower – Hitlers Imperium

Mark Mazower – Hitlers Imperium (Mark Mazower – Hitler’s Empire)

Das 2009 erschienene „Hitlers Imperium“ des britischen Historikers Mark Mazower beschäftigt sich mit der Frage der Verwaltung der von den Nazis eroberten Gebiete. Untrennbar mit diesem Thema ist stets die Frage nach dem Potenzial verbunden, das das Deutsche Reich besaß, diesen Krieg tatsächlich zu gewinnen. Denn von der Ausbeutung der Ressourcen des unterworfenen Europa hing alles ab; sie war das explizite Ziel des Krieges, elementar als „Lebensraum“ in die NS-Ideologie eingebunden. Bekanntlich gelang es den Deutschen nur in sehr eingeschränktem Maße, ihre Ziele zu erfüllen. Die Gründe dafür sind vielfältig und komplex; sie reichen von praktischen Herausforderungen über Inkompetenz zu ideologischen Einschränkungen. In Letzteren sieht Mazower wieder und wieder den eigentlichen Grund für das immanent notwendige Scheitern der Nazis in ihren Absichten.

Das erste große Kapitel, das fast die Hälfte von Mazowers Werk einnimmt, befasst sich mit der Eroberung und Unterwerfung des Ostens zwischen 1939 und 1942. In dieser Zeit stürmte die Wehrmacht über Osteuropa, dicht gefolgt von Einsatzgruppen und SS, die den größten organisierten Völkermord aller Zeiten begannen. In dieser tödlichen Logik sehen wir auch von Anfang an die Probleme. Mazower zeichnet die Debatten nach, die in den verschiedenen, disparaten Machtzentren des chaotischen NS-Staates auftraten. Dieses Chaos war ebenfalls in die Ideologie eingebunden; es sorgte für Unklarheit, Kompetenzüberlappungen, Machtkämpfe, förderte Inkompetenz und sorgte für ständige Reibungen. Ich habe darüber schon vor Jahren geschrieben.

Diese Machtzentren, deren tatsächlicher Einflussbereich sich praktisch täglich ändern konnte, je nachdem, wer gerade das Vertrauen des „Führers“ errang oder seinen Phlegmatismus ausnutzen konnte, waren unter anderem: Hermann Görings Mammutbehörde für den Vierjahresplan; das Reichswirtschaftsministerium; die Reichsernährungsbehörden; das Innenministerium; das Außenministerium; die SS; der Generalgouverneur des „Warthegau“, Hans Frank; die verschiedenen Stäbe der Wehrmacht; die NSDAP; das Ostministerium unter Alfred Rosenberg und Hitler selbst.

Selbst innerhalb dieser Institutionen gab es erbitterte Richtungsstreitigkeiten. Die Ziele waren dabei völlig unvereinbar. Rosenberg etwa versuchte, nationale Aufstände gegen die Sowjetherrschaft auszunutzen und Deutschland als Hegemon zu etablieren, während Himmler und seine SS die „niederen Rassen“ völlig unterwerfen und zu guten Teilen auslöschen wollten. Versuche des Innenministeriums, die Verwaltung zu vereinheitlichen, stießen auf erbitterten Widerstand von SS und NSDAP, die aber wiederum völlig unterschiedliche Ansätze verfolgten. Völlig korrupte Gauleiter, oft genug genauso inkompetent wie korrupt, besaßen Vollmachten, die sie jederzeit unter Berufung ihres Status als Nazis der ersten Stunde bei Hitler behaupten konnten. Und so weiter.

Auch die praktischen Ziele der Politik liefen gegen- und übereinander. Von Beginn an versuchte die SS, das Vernichtungsprogramm in Gang zu bringen, aber der ebenso inkompetente wie radikale Himmler schuf damit massenhaft Probleme für diejenigen, die mit der Umsetzung wenigstens mittelbar betraut waren. Das Dritte Reich improvisierte sich von Lösung zu Lösung, Anweisung für Anweisung auf dem Pfad des Holocaust entlang, dessen ideologischer Primat völlig quer zu den Erfordernissen der Kriegswirtschaft stand. In epischem Maßstab wiederholte sich dieses Muster beim Angriff auf die Sowjetunion, bei dem Millionen von Menschen ermordet wurden (meist durch Hunger und Vernachlässigung), die bereits drei Monate später als Arbeitskräfte dringend gebraucht würden.

All diese Konflikte zeichnet Mazower in erschöpfendem Detailgrad nach. Kompetenzstreitigkeiten noch und nöcher, Machtkämpfe unter den Satrapen, ideologische Grabenkämpfe, und all das in einem beginnenden Weltkrieg, der sich mit jedem Monat mehr gegen Deutschland wandte. Man hat immer wieder das ungute Gefühl, einer Art schwarzer Komödie beizuwohnen, aber angesichts der Millionen von Toten und noch viel mehr Millionen zerstörter Existenzen kann kein Gefühl der Erheiterung aufkommen. Das ganze Ausmaß der Inkompetenz der Nazis ist aber immer wieder bemerkenswert.

Mazower zeichnet auch nach, wie die Nazi-Besatzungspolitik funktionierte, wo denn eine solche unternommen wurde (und nicht nur wie in Osteuropa Todesräume geschaffen wurden). Dies betrifft vor allem die Benelux-Staaten, Frankreich, Dänemark und Norwegen. Der Kontrast ist gewaltig. Während auch hier Kompetenzchaos herrscht, ist doch allgemein die Auffassung vorherrschend, dass die Kooperation mit den lokalen Behörden und eine leichtere Hand notwendig sind. Wo die Nazis am wenigsten Gewalt anwandten – in Dänemark – erzielten sie besten Ergebnisse, wo sie sich verhältnismäßig am stärksten einmischten – in Frankreich – die schlechtesten.

Mazower zeigt, wie problemlos die Kooperation mit den bestehenden Verwaltungen und Regierungen war. Die betroffenen Länder wollen das heute zwar nicht mehr wissen – besonders Frankreich und Holland malen geradezu aggressiv eine Résistance-Mythologie darüber – aber ohne diese willige Kollaboration hätte weder die NS-Kriegswirtschaft noch der Holocaust in den betreffenden Ländern funktioniert. Mazower wirft auch den Blick auf das, was er „Ersatzdiplomatie“ nennt: den Umgang mit den unterworfenen und verbündeten Nationen, wobei die Nazis wenig Unterschied zwischen beidem machten. Hitlers Weigerung, Diplomatie und Politik in irgendeinem nützlichen Sinn zu betreiben und eine „Gegen-Atlantikcharta“ zu formulieren, ja, das explizite Verbot an die Dienststellen, auch nur über so etwas nachzudenken, zeigt den Herrschaftswillen der Nazis, dem sich alles zu unterwerfen hatte. Auf dieser Basis konnte niemals Frieden und Nachbarschaft möglich sein, und wenig überraschend begannen 1942/43 auch Absetzbewegungen aller Verbündeten.

Mazower lässt diese aber nicht vom Haken sondern untersucht in einer kurzen Vergleichsstudie, wie deren eigene Besatzungsregime aussahen. Die Italiener erzählten sich zwar nach dem Krieg gerne den Mythos von der sanfteren italienischen Besatzungspolitik, viel dran war da aber nicht. Und die Gewalt etwa Rumäniens in ihrer Besatzungszone „Transnistrien“ schockte die SS, die sich über die übermäßige Gewalt beklagte.

Dominiert allerdings wird die Besatzungspolitik am Ende immer von der „Endlösung“. Mazower zeichnet deren Genese aus den Kompetenzkämpfen der verschiedenen Behörden nach und zeigt, wie der eigentliche Plan entstand. In diesem Bereich leistet er wenig Neues, aber die Zusammenfassung ist immer willkommen, und der Fokus auf dem Behördenchaos und den Eifersüchteleien ist erhellend. Das Bestreben der SS, die „Endlösung“ durchführen zu können, hat mindestens so sehr mit der Hoffnung auf Machtzuwachs zu tun wie mit ideologischem Eifer: die Ausrottung der Juden in Europa ist ein bürokratisches Megaprojekt, und die Institution, die den Zugriff darauf bekommt, bekommt Personal, Mittel und – vor allem – Kompetenzen. Der Konflikt um eben diese Kompetenzen ist es, der dann am Wannsee entschieden wird. Die Frage, ob man ein solch verbrecherisches Programm auflegen will, spielte da keine Rolle.

Wesentlich kontroverser dürften die folgenden Kapitel sein, in denen sich Mazower Westeuropa zuwendet. Zuerst skizziert er die wirtschaftliche Bedeutung der unterworfenen Länder und zeigt auf, wie die deutschen Besatzungsbehörden mit vergleichsweise sachter Hand agierten, um die bestehenden Systeme nicht zu sehr zu stören und so ein Maximum aus den besetzten Gebieten zu holen (selbiges Maximum war sehr, sehr bescheiden, aber diese Analyse findet sich beim brillanten Adam Tooze). Doch all das wäre ohne die bereitwillige Kollaboration der westlichen Länder nicht möglich gewesen.

Diese Kollaboration, die in den meisten dieser Länder nach wie vor sehr unzureichend aufgearbeitet und von einem heroischen Résistance-Mythos überkleistert ist, analysiert Mazower im dreizehnten Kapitel vor allem am Beispiel Frankreichs. Spannend ist hier nicht nur, dass es die Deutschen schaffen, das Land mit gerade einmal 2000 eigenen Leuten zu verwalten, weil die französische Bürokratie bereitwillig die deutschen Forderungen umsetzt, sondern wie Vichy es anstellt, die eigene Souveränität so lange wie möglich zu erhalten, indem es den Eiertanz dieser Kollaboration aufführt. Je weiter der Krieg voranschreitet, und je schlechter er für Deutschland läuft, desto unwilliger wird diese Kollaboriation, und desto mehr Leute wechseln die Seiten zur Résistance.

Besonders bemerkenswert ist aber, wie wenig die Deutschen mit dieser Bereitwilligkeit machen. Hitler lehnt es stets ab, eine enge Zusammenarbeit mit Vichy einzugehen, weil in seinem Europa nur brutale Dominanzstrukturen vorstellbar sind. Die französische Rechte, begeistert über den deutschen Einmarsch und sich brutal an ihren linken Gegnern rächend, beginnt sich selbst in einem Fraktionskampf zu zerreißen, der bis an den Rand des Bürgerkriegs führt (und vermutlich nur vom alliierten Einmarsch gestoppt wird). Der Sieg der französischen Rechten über ihre republikanischen Gegner ist total, und dass die Deutschen nicht in der Lage sind, das auszunutzen, zeigt einmal mehr die Schwäche des ganzen nationalsozialistischen Ideologiesystems.

Natürlich ist der französische Fall ein Klacks gegen das Wegwerfen von Chancen und Möglichkeiten in Osteuropa. Mazower untersucht auch die polnische Kollaboration. Zwar erzählt sich Polen den Mythos, dass es keine solche gegeben hätte. Aber die Verwaltung hat auch in Polen viel zu wenig Personal, um das ohne örtliche Hilfe zu schaffen. Es gab genug Polen, die mehr als bereit waren, unter deutscher Vorherrschaft an einem anti-bolschewistischen Kreuzzug teilzunehmen. Aber jeder Ansatz in diese Richtung scheiterte an Hitlers Fanatismus und seiner unbedingten Weigerung, mit irgendjemandem irgendwie zusammenzuarbeiten. Aus seiner Sicht gab es nur totale Unterwerfung. Kein Wunder, dass, sobald das allen Beteiligten klar war, sich massiver Widerstand regte.

Generell ist es faszinierend, dass die Nationalsozialisten erst um 1942/43 herum verstanden, dass sie viel zu wenig Personal hatten, um ihr zusammenerobertes Imperium selbst zu verwalten. Angesichts der Tatsache, dass Hitler stets bewundert hatte, mit wie wenig Personal die Briten ihr eigenes Kolonialreich verwalteten, wäre doch anzunehmen, dass er sich einmal die Frage gestellt hätte, warum das so ist. Aber offenkundig erklärte nicht nur er, sondern die gesamte deutsche (nicht nur: NS-)Elite sich das mit rassischen Überlegenheitsfantasien.

Überhaupt, die Rassefantasien. Als der Krieg sich gegen Deutschland wandte, begann ausgerechnet Himmlers SS mit Feuereifer, rassische Kategorien aufzuweichen und sich (natürlich falsch verstanden) an k.u.k.-Modellen zu orientieren. Die Waffen-SS wurde zu einer multiethnischen, multinationalen Söldnertruppe, und vom Import von Millionen Sklaven aus dem besetzten Europa, die Deutschland zum ersten Mal zu einem wirklich multiethnischen Land machten (wenngleich natürlich mit scharfer Apartheid) sei einmal ganz abgesehen. Das NS-Regime konterkarierte seine eigenen ideologischen Ziele, was es dann durch umso verschärfte Radikalität auf anderen Feldern, etwa beim Holocaust, wettzumachen versuchte. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so bitternernst wäre.

Und zum Lachen war es den Leuten nicht. Denn die andere Seite der Medaille der Kollaboration ist die des Widerstands. In den besetzten westlichen Gebieten begann er vor allem ab 1943 ernsthaft, allerdings weit weniger in Form der später mythisch überhöhten Sabotageakte und direkten Angriffe durch tapfere Résistance-Kämpfer*innen als vielmehr im Blockieren von Anordnungen und Lieferungen. Wesentlich gewalttätiger war einerseits der Widerstand im Osten. Ohne Chance auf Kollaboration blieb den Unterworfenen oft nur der Widerstand, und ab 1942 rief die Sowjetunion gezielt zur Partisanentätigkeit hinter den deutschen Linien auf. Auch in Jugoslawien und Griechenland war der Widerstand um ein Vielfaches gewalttätiger als in Westeuropa.

Die Reaktion der Deutschen darauf bestand in blanker, erbarmungsloser und unterschiedloser Gewalt. Die offiziellen deutschen (!) Zahlen in Belarus etwa sprachen von 73 toten Belarussen für jeden toten Deutschen; die reale Zahl dürfte noch um ein Vielfaches höher liegen. Zehntausende wurden ermordet, Dörfer eingeebnet. Das stärkte auf Dauer die Partisanen, da die Menschen keinen anderen Zufluchtsort mehr hatten.

Aber die Deutschen handelten nicht irrational. Die massive, vergeltende Gewalt gegen jedweden Widerstand unterdrückte denselben im Großen und Ganzen sehr wirkungsvoll – das Gebiet der Sowjetunion stellte da eher die Ausnahme denn die Regel dar. Selbst in Jugoslawien, wo der Partisanenmythos sich besonders hartnäckig hält, waren die Massenmorde, mit denen die Deutschen auf den Widerstand reagierten, in seiner Unterdrückung außerordentlich effektiv. Da das Personal fehlte, um echte Kontrolle über das eroberte Territorium auszuüben, blieb nur diese massive Gewalt – eine Spirale, die sich mit verschlechternder Kriegslage immer schneller drehte.

Während der militärische Wert des Widerstands, wieder mit Ausnahme der Sowjetunion, praktisch bei null lag, kann seine Bedeutung für die Nachkriegsordnung kaum hoch genug geschätzt werden. Mazower verweist darauf, wie in den besetzten Ländern der Widerstand vor allem 1943/44 dazu führte, dass die vorhergehende Kollaborationszeit aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwand und durch das Einheitsnarrativ des Widerstands ersetzt wurde, eine wohl unabdingbare Voraussetzung für das Verhindern zerstörerischer Bürgerkriege, wie sie etwa Griechenland plagten.

Am Ende aber stand dann die unabwendbare Niederlage. Die Zerstörung wandte sich nun auch gegen seine Urheber. Hitlers strategisch kontraproduktive Haltung des „keinen Schritt zurück“ sorgte dafür, dass Polen und Deutschland nun genauso verheert wurden wie vorher die Sowjetunion. Eine Stadt nach der anderen wurde in Schutt und Asche gelegt (während im Westen etwa Paris kampflos aufgab, um genau dieses Ergebnis zu vermeiden; gegen ausdrücklich anderslautenden Befehl Hitlers übrigens). Neben den Massenvergewaltigungen, Plünderungen und Morden, die damit einhergingen, begannen auch sofort die Vertreibungen. Die Staaten Osteuropas wollten auf jeden Fall vermeiden, dass nach diesem Krieg die „Volksdeutschen“ erneut eine 5. Kolonne deutschen Revanchismus würden. Die Folgen für die Bevölkerung waren verheerend.

Mazower thematisiert dies nicht weiter, weil es außerhalb des Rahmens des Buchs liegt, aber ich bin immer wieder fasziniert davon, wie sehr die Jahre 1945-1948/49 aus der öffentlichen Erinnerung verschwunden sind. Für die meisten Deutschen begann die schlimme Leidenszeit mit dem Ende des Krieges, aber in der „offiziellen“ Erinnerung ist das eine Leerstelle; man springt gerne von der Kapitulation zum Wirtschaftswunder, ohne die Dekade dazwischen, in der das Leben für große Teile der Bevölkerung furchtbar war. Das dürfte gerne mehr thematisiert werden.

In seinem Epilog schließt Mazower mit dem ganz großen Bogen, der gefühlt genug Stoff für ein eigenes Buch ausmachen würde. Er nennt es „Wir Europäer“ und stellt die Frage, welche Europa-Konzeption die Nationalsozialisten hatten und welche anderen Nachkriegspläne es gab. Wenig überraschend sehen wir, dass ab 1943 die NS-Rhetorik sich zunehmend auf „Europa“ beruft. Mazowers These ist, dass hier viel Potenzial bestand, eine anti-bolschewistische europäische Identität zu schaffen (wie es ja dann später auch unter anderen Vorzeichen geschah) und dass der Sieg der politischen Rechten in den 1930er und 1940er Jahren, die in praktisch allen Ländern die Vorherrschaft gewann (spätestens durch den deutschen Einmarsch) hier große Möglichkeiten schuf.

Diese Möglichkeiten waren aber wegen des Nationalsozialismus‘ selbst nicht nutzbar: „Europa“ blieb immer eine Leerstelle in der NS-Ideologie; die Rhetorik hatte keinerlei Inhalt. Hitler konnte sich Europa nicht anders als von Deutschland unterworfen vorstellen. Für ihn gab es keine souveränen Staaten außerhalb Deutschlands, gleichrangige ohnehin nicht. Nach seinem Selbstmord fabulierten einige NS-Funktionäre denn auch davon, ein geeintes, anti-bolschewistisches und föderales Europa zu schaffen und so deutsche Macht zu retten, einer der Gründe, warum der Idee eines förderalen Europas (für das es ja in den 1950er Jahren ebenfalls die Option gab!) auf so viel Misstrauen stieß und zugunsten einer Zusammenarbeit von Nationalstaaten beiseite gelassen wurde: es war gerade die Europa-Rhetorik der Nationalsozialisten, die förderalen Lösungen einen Riegel vorschob. Diese These würde wesentlich mehr Erkundung ermöglichen als nur einen Epilog.

So oder so aber bleibt Mazowers Buch eine sehr wertvolle Lektüre. Ich habe viele seiner Thesen hier natürlich nur ausschnittsartig und unvollständig wiedergeben können. Ich kenne aber kein anderes Werk, das sich mit der Frage deutscher Besatzungs- und Verwaltungsordnung so intensiv und umfassend beschäftigt und dies auch aus europäischer Perspektive tut wie dieses. Unbedingte Empfehlung!

{ 7 comments… add one }
  • Thorsten Haupts 17. März 2022, 09:22

    Untrennbar mit diesem Thema ist stets die Frage nach dem Potenzial verbunden, das das Deutsche Reich besaß, diesen Krieg tatsächlich zu gewinnen. Denn von der Ausbeutung der Ressourcen des unterworfenen Europa hing alles ab

    Nein. Nur als völlig irreales Gedankenspiel: Selbst wenn die Nazis 90% des theoretischen Wirtchaftswertes der besetzten Gebiete hätten nutzbar machen können, wäre

    1) Das alliierte Wirtschaftspotential noch immer deutlich höher gewesen (die USA beispielsweise haben intern nie voll mobilisieren müssen)
    und
    2) Das produzierte Kriegsgerät hätte einfach wegen Ölmangel nicht betrieben werden können. Der Punkt geht auch bei Wirtschaftsbetrachtungen für den WW II regelmässig unter, aber das Dritte Reich hatte ab 1942 spätestens schon Probleme beim Betrieb seiner in zunehmend unzureichender Stückzahl produzierten, motorisierten, Kriegsmaschine (LKW, Panzer, Flugzeuge, Schiffe) aufgrund akuten Betriebsstoffmangels

    Last but not least hätte das volle Produktionspotential Europas nicht gehoben werden können, weil es schon der historisch bekannten Kriegsproduktion Deutschlands 1939 bis 1945 bspw. an aller Art von Leicht- und Spezialmetallen sowie Metallegierungen fehlte, da sie ebenso hermetisch wie weitgehend vollständig von jedem Weltimport abgeschnitten waren.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 17. März 2022, 10:07

      Das ist natürlich alles richtig und wird übrigens von Adam Tooze in „Ökonomie der Zerstörung“ auch sehr schön herausgearbeitet. Du missverstehst nur meinen Punkt: die NS-KRIEGSSTRATEGIE hing davon ab. In den Überlegungen der NS-Planer waren es die Ressourcen eines „kontinentalen Blocks“, die Widerstand gegen die USA erlaubt hätten (und natürlich der Atlantik dazwischen). Die haben das US-Wirtschaftspotenzial chronisch unterschätzt, völlig korrekt. Aber das ändert ja nichts daran, dass das die zugrundeliegenden Überlegungen waren.

  • Thorsten Haupts 17. März 2022, 11:21

    … NS-KRIEGSSTRATEGIE …

    Okay. Ich würde den Haufen unsortierter Illusionen ja nicht als „Strategie“ labeln, aber dem Selbstverständnis der NS-Führung nach war es wohl eine.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 17. März 2022, 13:19

      So leicht würde ich das nicht weglächeln. das war ja nicht die Gurkentruppe in Lack und Leder, sondern das ganze mittlere Managment der Technokraten, die die gleichen Vorstellungen hatten.

      • Thorsten Haupts 18. März 2022, 15:12

        Bestimmt. Was ich von den Fähigkeiten des mittleren Managements (allgemein) zu strategischem Denken halte, kann ich hier beruflich bedingt leider nicht zum Ausdruck bringen :-).

        Gruss,
        Thorsten Haupts

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