Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
ZEIT: „Vögeln, feuern, fördern“ stand da – mit diesen Worten soll ein Springer-Mitarbeiter Ihren Umgang mit Kolleginnen beschrieben haben.
Reichelt: Abgesehen davon, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass ein Kollege das gesagt haben soll, weil es vollkommener Unsinn ist, wissen wir alle, dass ein anonymes Zitat nie in die Überschrift gehört. Es verstößt gegen alle journalistischen Standards. Dieser Artikel über mich ist ja dann auch gerichtlich verboten worden. Von der ersten Zeile, sprich der Überschrift, bis zur allerletzten. Ich habe den Eindruck, es ging gar nicht wirklich um mich als Mensch, sondern um die Vernichtung und Auslöschung politischer Gegner. Daran waren sehr viele Medien beteiligt. Die Tagesthemen haben sich für meinen öffentlich-rechtlich-kritischen Kurs gerächt und einen Aufmacher und auch noch einen Kommentar gefüllt mit Vorwürfen gegen mich, die so diffus erhoben wurden, dass man nicht mal genau erfuhr, was mir eigentlich vorgeworfen wird. Die Tagesthemen, die nur sehr ungern mit islamistischen Terroristen in Deutschland aufmachen, machen auf einmal mit mir auf, ohne überhaupt konkrete Vorwürfe zu nennen. Da wird ein neues Gesellschaftsbild mit erschaffen, das einer politischen Agenda dient. […]
ZEIT: Man kann als Journalist durchaus auch die Existenz Israels anerkennen, ohne sich dazu vertraglich verpflichtet zu haben. Diese Klausel gibt es bei keiner anderen deutschen Zeitung.
Reichelt: Die Personalabteilung von Springer warb für „Respekt“ und „Diversity“ mit Plakaten, auf denen Menschen mit eindeutig islamistischer Kleidung und Gesinnung abgebildet sind. Das ist alles einem schrecklichen Zeitgeist geschuldet, der leider auch bei Springer Einzug gehalten hat. Da gab es auch intern Menschen, die mich weghaben wollten, weil sie harten Boulevard nicht mögen, sondern eine Gesellschaft der totalen Achtsamkeit wollen. […]
ZEIT: Es hieß immer, Mathias Döpfner und Sie würden sich nahestehen – auch politisch.
Reichelt: Mathias hat ja oft öffentlich gesagt, dass er Bild als Bollwerk gegen manchen Zeitgeist empfindet. Und das stimmt. Deshalb empfinde ich es fast als tragisch, wie sich das nun dreht, weil ich ihn als großen freiheitlichen Geist kennengelernt und sogar verehrt habe. Und weil ich das Gefühl habe, dass ein solcher freiheitlicher Geist in unserer Gesellschaft derzeit massiv zurückgedrängt wird. […]
ZEIT: Der Springer-Verlag gehört nun zum großen Teil Amerikanern. Bei Chefs mit Affären im Unternehmen kennen sie keine Gnade. Wenn sich nun die Unternehmenskultur ändert, muss dann auch Bild sich ändern?
Reichelt: Das wäre Irrsinn. Und deswegen halte ich es für eine Fehlentscheidung, mich abzuschießen. Das war Appeasement gegenüber Gruppen, die seit Jahren ganz intensiv meinen Kopf wollten. Das wird jetzt aber nicht aufhören. Die Angriffe gegen Bild, Springer und Mathias werden sich noch verschärfen. Es ist jetzt Blut im Wasser. […]
ZEIT: Würden Sie eine zweite Agentur wie Storymachine gründen, nach dem Vorbild Ihres ebenfalls geschassten Bild-Vorgängers Kai Diekmann?
Reichelt: Nein, ich möchte keine PR machen, sondern Journalismus für die Massen. Ich liebe es, Millionen Menschen eine starke Stimme zu geben. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Woke-Wahnsinnigen, die wir gerade erleben, läuft ziemlich genau entlang der infamen Frage: War Winston Churchill ein Held oder ein Verbrecher? Für mich ist die Antwort klar: Held. Und in diesem Geiste sage ich: Never surrender! (Cathrin Gilbert, ZEIT)
Das ganze Interview mit Reichelt ist sehr lang und ausführlich und beschäftigt sich auch noch mit seiner Kündigung und der sexuellen Belästigung seiner Untergebenen sowie der Unternehmenskultur bei Springer. Die Highlights: Er hat nichts falsch gemacht, Frauen finden ihn einfach natürlich attraktiv, er ist das Opfer einer Schmierkampagne der diesen Mainstreampresse, die Unternehmenskultur bei Springer hat er „demokratisiert“, die BILD würde niemals die Privatsphäre von anderen Leuten verletzen, niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten. The usual.
Die Zitate, die ich hier rausgesucht habe, möchte ich vor allem deswegen hervorheben, weil sie eine unglaublich gefährliche Radikalisierung aufzeigen, die weit über die Person Julian Reichelt hinausgeht. Der Mann spricht die Sprache eines Bürgerkriegs. Er teilt die Welt in Freund und Feind: hier diejenigen, die loyal zu ihm und seinen Ansichten stehen, und dort die anderen, der „woke Mob“ und diejenigen, die zu feige sind, sich ihm entgegenzustellen. Es ist die Sprache von jemand, der den demokratischen Diskurs bereits verlassen hat, auch wenn er sich in genau dessen Erscheinungsbild zu gewanden versucht. Man täte gut daran, das zu sehen und Reichelt nicht für einen Exponenten der „bürgerlichen Mitte“ zu halten. Das ist weder bürgerlich noch Mitte. Das ist Rand.
2) Angela Merkel’s most important legacy: her civility
Merkel bequeaths Germany a complex legacy – she was a capable crisis manager but a poor strategist, a canny tactician but also a source of complacency and stasis. That is all up for debate by commentators and historians over the coming years. Yet what seems certain is that she has left the way in which most of her country’s politics is conducted in a state that some other parts of the democratic world, including the UK and US, have reason to envy; a state that it is to be hoped her successors can preserve. Civility does not impede effectiveness, and arguably can improve it. Nor is it a superfluous nicety. Quite the contrary: it is in many ways the very foundation of a successful democracy, where rival perspectives and visions can stake their claim to power, and those who wield it can do so with legitimacy and maturity. Civility should not be taken for granted. To remain polite, civil and decent, as Merkel did over 16 years as the leader of one of the world’s biggest economies in the heat of successive crises, is more than a footnote. It is something fundamental: a laudable commitment to the ethos that sustains democracy and with it free and prosperous societies. (Jeremy Cliffe, The New Statesman)
Wir werden an Merkel-Nachrufen und Merkel-Analysen sicher in der nächsten Zeit noch mehr sehen, aber ich glaube, eine Sache die völlig unbestritten stehen kann, unabhängig davon wie man politisch zu ihr steht, ist die Anerkennung, dass sie die wohl charakterlich integerste Kanzlerin war (an der Stelle gibt es leider keine Option, das vernünftig zu gendern; Männer sind natürlich mitgemeint). Ich stehe einem Willy Brandt politisch wesentlich näher als Merkel, aber sein Verhalten gegenüber seiner Familie, seine permanente Fremdgeherei – so was macht eine Merkel nicht. Von ihr wäre auch keine cholerische Herabkanzelei und ständige Herabsetzung der Untergebenen wie von einem mir ebenfalls näherstehenden Helmut Schmidt bekannt, von den Bestechungsskandalen eines Kohl einmal abgesehen.
Was man sich damit kaufen kann, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Merkel hat viel für die Gesundheit des demokratischen Diskurses getan, indem sie die „civility“ hochgehalten hat; ihr Politikstil hat auf der anderen Seite auch viel Schaden am demokratischen Diskurs angerichtet, weil die asymmetrische Demobilisierung und ihr „alternativlos“ nicht eben dazu angetan waren, fruchtbare Debatten zu befördern. Ich denke aber, es ist absolut fair eines stehen zu lassen: sie war kein schlechter Mensch.
3) „Die Mittelschicht braucht Dienstboten“ (Interview mit Oliver Nachtwey)
ZEIT ONLINE: An wen denken Sie, wenn Sie von Dienstboten sprechen?
Nachtwey: Die Mittelklasse kann ihr Mittelklassedasein in der Form nur praktizieren, weil sie von einer Reihe von Dienstboten abgesichert wird: Man hat eine Nanny, eine Zugehfrau, Hemden und Hosen gibt man zum Bügeln ab, das Essen wird bis an die Haustür geliefert.
ZEIT ONLINE: Sollte die Mittelklasse ein schlechtes Gewissen haben, weil sie andere ausbeutet, um ihren eigenen Wohlstand zu halten?
Nachtwey: Wenn man Tariflöhne zahlt und einen fairen Umgang pflegt – nicht unbedingt. Diese Form der Mittelklassenexistenz ist auch ein Resultat der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Die Emanzipation aus der Hausfrauenehe macht es für Familien und vor allem für Frauen unmöglich, Care-Tätigkeiten und gleichzeitig Erwerbsarbeit nachzukommen. Der Druck ist jetzt schon enorm. Wenn die Mittelklasse aufhören würde, Tätigkeiten zu delegieren, wäre sie nicht mehr konkurrenzfähig. Man kann sich aber fragen: Will ich so leben? Oder noch besser: Sollten wir alle so leben? Individuelle Auswege sind kaum möglich, nur kollektiv würde das gehen. Etwa durch eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit – dann bräuchte es auch diese Form der Arbeitsteilung nicht mehr.
ZEIT ONLINE: In Ihrem Buch wird sehr deutlich, dass es hierzulande eine Klassengesellschaft gibt – nur redet niemand darüber. Warum nicht?
Nachtwey: In Deutschland leugnen viele Menschen die Existenz einer Klassengesellschaft, gerade in der Mittelklasse. Einfach aus dem Grund, weil man sich gerne von den damit verbundenen Schuldgefühlen oder der Selbstkritik fernhalten möchte. Deshalb versuchen die Leute, legitime Gründe für ihren Wohlstand zu finden oder man schweigt einfach darüber. Wir schweigen ja über unser Einkommen. Das führt dazu, dass Politiker, die Privatjets haben und immer wieder CDU-Vorsitzender werden möchten, sich als Teil der Mittelklasse bezeichnen, obwohl sie zur Oberklasse gehören. Es ist keine Gesellschaftsleugnung, sondern eine Klassengesellschaftsleugnung, die da stattfindet. (Jana Gioia Burmann, ZEIT)
Insgesamt ist das ein sehr spannendes Interview, das zur Gänze empfohlen sei. Ich habe an dieser Stelle einige Anmerkungen.
Nachtwey spricht davon, dass in Deutschland die Klassenfrage generell völlig verleugnet wird, im Gegensatz zu anderen Ländern. Der Mythos der „nivellierten Mittelschichtsgesellschaft“ hält sich, obgleich mannigfaltig widerlegt, hartnäckig in Deutschland, gehört geradezu in den größeren Komplex der Gründungsmythen rund ums Wirtschaftswunder. Aber das zu leugnen heißt nicht, dass es das nicht gäbe. Und dass in Deutschland die soziale Mobilität katastrophal niedrig ist, wissen wir seit mittlerweile zwei Jahrzehnten, ohne dass viel dagegen getan würde.
Die Bedeutung der Gleichberechtigung, die Nachtwey hervorhebt, habe ich auch schon öfter beschrieben. Die Frauenvollzeiterwerbstätigkeit hat die deutsche Gesellschaft nachhaltig verändert, und die Konsequenzen wurden auf vielen Feldern immer noch nicht gezogen. Hier ist besonders viel Reformpotenzial von der Ampel zu erwarten, weil sowohl Grünen als auch FDP das ideologische Festhalten der CDU am klassischen Familienmodell fehlt.
Eine kritische Anmerkung: Nachtweys Beschreibung von der Abhängigkeit von Dienstboten kann ich an mir selbst und den mir bekannten Mittelschichtenfamilien nicht erkennen. Obwohl wir zu den 15-20% der obersten Einkommensgruppe zählen (auch ein trauriges Statement), haben wir weder eine Nanny, noch eine Zugehfrau (was ist das überhaupt?), noch ordern wir Essen, noch nutzen wir professionelle Reinigungsservices für unsere Wäsche. Dafür scheint man mir nochmal weiter hochrutschen zu müssen, in den sechsstelligen Gehaltsbereich, und ob man da noch guten Gewissens von „der Mittelschicht“ sprechen kann, sei mal dahingestellt.
4) Inside Trump’s hunt for „disloyal“ Republicans
Donald Trump and his associates are systematically reshaping the Republican Party, working to install hand-picked loyalists across federal and state governments and destroy those he feels have been disloyal, sources close to the former president tell Axios. […] Trump is tapping his national network of allies to identify Republicans who were „weak“ in 2020 because they refused to go along with his efforts to overturn the election. No office has proven too small. His apparatus touches everything from unseating governors, members of Congress, state legislators and secretaries of state, to formulating policy and influencing local school boards. One common thread with many of the candidates he’s backed so far: They all support his efforts to overturn Joe Biden’s victory. […] Sources who have spent time with Trump at his Florida estate Mar-a-Lago say it’s impossible to carry out an extended conversation with him that isn’t interrupted by his fixations on the 2020 election. […] Trump has called for bills instituting reforms some of his advisers say would have kept him in power. Republicans in state legislatures enacted dozens of voting laws this year — many designed in direct response to Trump’s post-election pressure. Trump cheered on Georgia’s sweeping voting bill, saying the GOP legislators „learned from the travesty of the 2020 Presidential Election.“ He added, „Too bad these changes could not have been done sooner!“ At least 10 bills introduced at the state level — none yet passed — would allow partisan actors to overturn election results. […] Trump’s relentless messaging has forged an alternate reality for his followers: 58% of Republicans in an Axios/Ipsos poll last month said there was enough fraud to change the outcome of the 2020 election. Now he’s harnessing that energy. (Jonathan Swan/Andrew Solender, Axios)
Die amerikanische Republik steht vor dem Fall. Wie noch irgendjemand das bezweifeln kann, ist mir völlig schleierhaft. Die Republicans werden versuchen, mittels Wahlbetrugs zu gewinnen, wenn sie nicht ohnehin eine Mehrheit der Wahlleute und der Distrikte für sich gewinnen (eine Mehrheit in der Bevölkerung ist völlig illusorisch). Ob Trump antritt oder nicht ist da mittlerweile gar nicht mehr so bedeutsam, denn in der Partei gibt keine Personen mehr, die eine Aussicht auf die Nominierung oder irgendwelche Machtpositionen hätten und der Demokratie verpflichtet sind. Stattdessen haben in der Partei offene Faschisten die Macht übernommen. Natürlich wird 2024 nicht von einem Moment auf den anderen die Demokratie aufhören, aber das hat sie in Polen und Ungarn auch nicht. Es ist ein inkrementeller Prozess, aber da die Democrats unfähig sind, ihn aufzuhalten – mangels Mehrheit im Senat – gibt es auch nichts, das diesen Trend noch brechen könnte. Ich bin sehr, sehr pessimistisch.
Ein weiterer Lestipp ist Kevin Drums Versuch, das Ganze aus Sicht der Republicans zu sehen.
Eine Gesellschaft kann ohne Versprechen nicht funktionieren, aber deren rhetorische Statik ist zerbrechlich: Um ein Versprechen als gebrochen zu empfinden, muss man voraussetzen können, dass es gehalten werden wird, kann dies aber nie garantieren – sonst wäre das Versprechen ohnehin überflüssig. Und jetzt ist genau dies eingetreten, eine Situation, in der ein Wort nicht gehalten werden kann, weil sich die Umstände zu sehr verändert haben. Denn jedes Versprechen ist auch eine Haltung auf Grundlage eines Wissens über eine erhoffte Zukunft. […] Gerade in der Pandemie ergibt sich bei jedem getätigten Versprechen das Problem der »Diktatur der Dringlichkeit«, wie es der Autor Gilles Finchelstein formuliert. Es wird von politischen Ansprachen eine glaubwürdige Gegenwärtigkeit eingefordert, die während einer Krisensituation schlicht nicht einlösbar ist. Das anzuerkennen und zu vermitteln, wäre die Aufgabe derjenigen gewesen, die damals verkündeten, dass es keine Impfpflicht geben werde. Lindner, Söder, Habeck hätten dies anders kommunizieren müssen. »Real talk« statt »Wenn ihr brav seid, gibt’s keine Impfpflicht«. Mit ihrer damaligen Absolutheit wollten sie das Sicherheitsempfinden in einer unsteten Lage erhöhen – womit rückblickend genau das Gegenteil bewirkt wurde und für zukünftige Aussagen nun eine große Verunsicherung hinsichtlich der Glaubwürdigkeit nachvollziehbar ist. Wir haben es also tatsächlich mit einem Wortbruch zu tun. An dem die Wirklichkeit mitgehämmert hat, da die Optionen ausgehen: Entweder eine morbide Realität aus Tod und Verlust zwingt die Menschen dazu, sich impfen zu lassen – oder der Staat verpflichtet sie dazu. […] Den eigentlichen Wortbruch sehe ich jedoch an ganz anderer Stelle: nicht alles Erdenkliche getan zu haben, um das Eintreten dieser Situation zu verhindern. Denn das Versprechen, es werde keine Impfpflicht geben, zu brechen, ergab sich ja aus der Misere, dass nicht das Erhoffte eingetreten war, auf dessen Grundlage das Versprechen in erster Linie überhaupt gegeben wurde. Also: Man versprach keine Impfpflicht, mit sicherer Hoffnung auf eine ausreichende Impfquote. Im Grunde war der Satz »Es wird keine Impfpflicht geben« eine Vertrauensgeste, weil er im Subtext sich fortsetzen lässt mit: »…weil wir keine brauchen werden, weil wir Sie alle für vernünftig genug halten«. Die Wirklichkeit hat ihren Teil der Vereinbarung nicht eingehalten – aber die Regierung hat eben auch nicht genügend dabei geholfen, das zu verhindern. Mein Vorwurf ist also nicht, dass ein Wort gebrochen wurde, sondern, dass sich nicht mehr Mühe gemacht wurde, es zu halten. (Samira El Ouassil, SpiegelOnline)
Ein hervorragender Artikel. Der Hinweis, dass Politiker*innen aufpassen müssen, was für absolute Aussagen sie machen – die so genannten „Versprechen“ – ist völlig richtig. Ich bin bekanntlich kein Fan des Begriffs „Wahlversprechen“, aber den braucht es dafür auch gar nicht. Stattdessen relevant ist die Frage, ob eine Absichtsbekundung absolut ist oder nicht. Denn eigentlich kann niemand ernsthaft wollen, dass einmal abgegebene Absichtsbekundungen für die Ewigkeit feststehen. Was die Politik getrieben hat, in der Corona-Krise wieder und wieder markige Dinge rauszuhauen, von denen absehbar war dass sie zumindest mit einer höheren Wahrscheinlichkeit umgeworfen werden müssen und deren Flurschäden für die politische Kommunikation klar absehbar waren – ich weiß es nicht.
The assumption underlying such analyses of the 2021 contests is that most of the shift between 2020 and 2021 was due to conversion: 2020 Democratic voters moving into the GOP column in 2021. There is another possible explanation for Republican gains in 2021, however — disproportionate partisan mobilization. According to the partisan mobilization hypothesis, off-year elections often produce a shift in turnout in favor of the party that does not control the White House. While turnout drops for supporters of both parties compared to a presidential election year, out-party voters are more motivated to turn out to express their discontent with the leadership of the newly elected or reelected president. […] The reasons for the Republican tilt of the 2021 Virginia electorate are clear in Table 1, which compares the demographic characteristics and candidate preferences of the 2020 and 2021 Virginia electorates based on exit poll data from the two elections. The data in this table show that the 2021 Virginia electorate was substantially older, Whiter, and more rural than the 2020 Virginia electorate. The most dramatic difference between the 2020 and 2021 electorates involved their age distribution. Not only were the 2021 voters considerably older, but those young voters who did turn out in 2021 were far more Republican in their preferences than the much larger group that turned out in 2020. (Alan Abramowitz, Crystal Ball)
So viel zur Theorie, die Democrats hätten mit zu viel Gerede von Critical Race Theory die Mittelschicht verloren. Es waren die Republicans, die mit strategischem Dauer-Reden über CRT ihre eigene Basis mobilisiert haben. Die Geschichte ist ziemlich unspannend, eigentlich: die eigene Partei ist nicht sonderlich motiviert, weil sie das Weiße Haus hat, der regierende Gouverneur gibt keine sonderlich glückliche Figur ab und die Opposition hat ein tolles Narrativ. Man denke mal an Roland Kochs Unterschriftenkampagne gegen Ausländer 1999, mit der er Hessen eroberte. Gleiches Prinzip.
7) „Man macht dieselben Fehler wie bei Pegida“ (Interview mit Miro Dittrich)
Dittrich: Man hätte bei den ersten Demonstrationen eingreifen müssen. Aber das hat man nicht getan – weil die Leute dort angeblich so bürgerlich aufgetreten sind. Für mich ist es so frustrierend, dass sich alle Fehler wiederholen, die schon bei der Pegida-Bewegung passiert sind. Die Verantwortlichen haben argumentiert, dass sie auf die Sorgen der Bürger hören wollen – aber man hat nicht ernst genommen, was da eigentlich gefordert wurde, nämlich der Umsturz des Systems. Es hätte viel früher Strafverfolgung geben müssen, zum Beispiel, als es die ersten Mordaufrufe in Telegram-Gruppen gab. Es hat sehr lange gebraucht, bis die Sicherheitsbehörden verstanden haben, was dort passiert.
ZEIT ONLINE: Und wann war das?
Dittrich: Ein wichtiger Punkt war der Sturm auf den Reichstag. Das war eine echte Blamage für die Sicherheitsbehörden: Es gab ja eine Telegram-Gruppe namens „Sturm auf den Reichstag“, in der genau angekündigt worden war, was dann passierte. Das zeigte der Polizei wieder einmal, dass das nicht nur ein paar Spinner aus dem Internet sind. Und dann gab es noch den Mord von Idar-Oberstein. Aber trotzdem hat es in Sachsen erst einen Fackelmarsch vor dem Haus einer Politikerin gebraucht, um die Demos vor Ort zu stoppen. So ganz ist das Problem noch immer nicht angekommen.
ZEIT ONLINE: Befürchten Sie, dass es weitere Gewalttaten aus der Gruppierung geben könnte?
Dittrich: Es gibt sehr viel Druck in der Szene – und eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es zu Gewalt kommt. Was sollen die Leute auch anderes machen? Sie haben demonstriert, sie haben das Internet vollgeschrieben, aber der gefühlte Untergang steht immer noch bevor. Viele Gruppen haben sich online gefunden und wollen sich jetzt offline treffen – weil sie zum Beispiel planen, den sächsischen Ministerpräsidenten zu erschießen. Es wird auch mehr Affekthandlungen geben, also ungeplante Übergriffe, weil die Leute sich in ihren apokalyptischen Welten nach einem Befreiungsschlag sehnen – und nach Applaus aus der eigenen Community.
ZEIT ONLINE: Der Bundestag will demnächst über eine allgemeine Impfpflicht beraten. Gegner dieser Maßnahme argumentieren, dass das die Szene noch stärker radikalisieren könnte. Teilen Sie diese Befürchtung?
Dittrich: Ich halte das für sehr wahrscheinlich. Aber es wäre falsch, wenn wir uns davon erpressen lassen. Die Entscheidung über eine Impfpflicht sollte auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhen. Und dann müssen wir uns fragen: Wie können wir stärker gegen die radikale Szene vorgehen – und wie können wir uns vor Übergriffen schützen? Der Staat könnte zum Beispiel Impfzentren besser absichern. Oder Geschäfte dabei unterstützen, die Kontrollen der Corona-Maßnahmen durchzuführen. Und es ist wichtig, daran zu erinnern, dass es sich nur um eine kleine Minderheit handelt, die gerade durchdreht. Es gibt eine große Mehrheit, die eine klare Position zur Pandemie hat und sich deshalb an die Regeln hält. Es ist nicht „das Volk“, das auf der Straße steht. (Rebecca Wiese, ZEIT)
Ich fühle mich diesbezüglich ziemlich bestätigt. Genauso wie bei Pegida – ich bin für den Vergleich seitens Dittrich hier wirklich dankbar – war das „die sehen aus wie wir“ der wichtigste Grund, warum man den Extremismus laufen ließ. Ich erinnere mich noch an Sigmar Gabriels blödsinnige Tour nach Ostdeutschland, wo er mit den Leuten reden wollte. Genauso wie jetzt bei den Schwurblern war diese Bewegung schon immer, als was sie jetzt erscheint. Die Behauptung, sie habe sich radikalisiert, ist eine Schutzbehauptung, um Gesicht wahren zu können – damals war es sinnvoll zu reden, damals war es die Mitte der Gesellschaft, jetzt haben sie sich radikalisiert. Aber das ist nicht wahr. Die waren schon immer genau das, was sie sind.
Glücklicherweise hat Dittrich auch Recht damit, dass es eine kleine Splittergruppe ist. Und wenn die Obsession damit, diese Leute als die Hälfte der Gesellschaft oder gar eine schweigende Mehrheit darzustellen endlich aufhören könnte – durch die ganze Pandemie hinweg haben konstant 60-70% der Bevölkerung die bestehenden Maßnahmen ODER HÄRTERE befürwortet! -, wäre viel gewonnen. Ständig Extremist*innen zu normalisieren ist kein guter Ansatz.
Mein größter Kritikpunkt mit dem Interview ist der Satz, die Impfpflicht solle auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhen. Das ist ein Irrtum. Die Sicherheit von Impfungen, die entsprechenden Freigaben, all das kann auf wissenschaftlicher Grundlage beruhen. Die Impfpflicht aber ist eine politische Entscheidung. Man muss der ohnehin weit verbreiteten Tendenze der Politik, sich hinter „der Wissenschaft“ zu verstecken und die Verantwortung aus der Hand zu geben (siehe auch: Schuldenbremse, die), nicht noch Vorschub leisten. Kein Wissenschaftler kann auf empirischer Basis sagen, ob die Impfpflicht kommen muss. Das ist eine politische Entscheidung, Kern von Regierungshandeln.
Als ausländischer Beobachter ist es mir im Grunde egal, ob die Demokratenoder die Republikaner hier die Wahlen gewinnen. Es gab in der Vergangenheit in beiden Parteien immer gute und integre Leute, und es gab ein zumindest weitgehend funktionierendes System von „checks and balances“ – die Institutionen sorgten dafür, dass die regierende Partei im Rahmen des immerhin halbwegs Erlaubten blieb. Ein Problem ist, dass es die Republikaner, die Grand Old Party, wie wir sie kannten, nicht mehr gibt. Trump hat diese Partei gekapert und in eine Höllenmaschine verwandelt. Die Demokraten, wie wir sie kannten, gibt es auch nicht mehr. Die Partei umfasst zu viele Strömungen und Positionen, sie wird ihre inneren Spannungen auf Dauer nicht aushalten. […] Was meines Erachtens in diesem Zusammenhang zu wenig Aufmerksamkeit erfährt, sind drei Faktoren. Erstens: Die Republikaner sind derzeit dabei, in von ihnen kontrollierten Bezirken und Bundesstaaten die Wahlkreise so neu zuzuschneiden, dass sie auf absehbare Zeit nicht mehr verlieren können, selbst wenn sie weniger Stimmen erhalten. Klingt absurd? Ist absurd. Das sogenannte „gerrymandering“, das Zuschneiden der Wahlbezirke, ist eine Kunst, die die Republikaner in Perfektion beherrschen. Die Demokraten sind da auch alles andere als unschuldig, aber zum einen sind die Republikaner skrupelloser, zum anderen kontrollieren sie viel mehr Bundesstaaten. Zweitens: das Wahlsystem. […] Die Republikaner haben es komplizierter gemacht, sich ins Wählerregister einzutragen. Sie haben die Zahl der Wahllokale verringert, insbesondere in Gegenden, in denen eher Minderheiten leben. Sie versuchen, die Briefwahl massiv einzuschränken. […] Kommen wir zum brutalen Teil: Sollte Trump im Jahr 2024 nicht – mehr oder weniger legal – zum Präsidenten gewählt werden, wird der 6. Januar 2021 im Vergleich zu dem, was dann passiert, wie ein Bildungsausflug von interessierten Bürgern zum Kapitolshügel aussehen. Dann wird sich Gewalt Bahn brechen. Es würde vermutlich, hoffentlich, kein Bürgerkrieg, aber wir würden das erleben, was man „bürgerkriegsähnliche Zustände“ nennt. Dass in den USA zu viele Menschen bewaffnet sind, ist bekannt, aber ich glaube, es ist in Europa vielen Leuten nicht bewusst, welche Mengen an Waffen es in diesem Land gibt, und welche kulturelle Rolle sie hier spielen. […] Die Demokraten in den USA umfassen, wenn man es mit Deutschland vergleicht, heute alles vom linken Rand der Linkspartei bis zu Friedrich Merz. Das kann keine Partei aushalten. Deshalb verzettelt sie sich in ziellosen Diskussionen und kriegt kaum was auf die Reihe. Selbst jetzt nicht, da sie das Weiße Haus besetzt und in beiden Kammern des Kongresses die Mehrheit hält. Zugleich tragen viele Demokraten ihre vermeintliche moralische Überlegenheit in unerträglicher Arroganz vor sich her. Ihre Selbstgerechtigkeit ist oft atemberaubend, und dass die Demokraten in der Mitte des Landes kein Bein auf den Boden kriegen, liegt daran, dass sie absolut keine Ahnung davon haben, was die Menschen dort bewegt. (Christian Zaschke, SZ)
Ich fand diesen Artikel grauenhaft. Nicht so sehr wegen des Inhalts; wer meine eigene Analyse der aktuellen Aussichten der Democrats gelesen hat, weiß, dass weder die Gefahr für die Demokratie durch die Republicans noch die destruktiven Flügel der Democrats Argumente sind, die mir fremd sind. Was mich massiv stört ist die Attitüde. Da ist auf der einen Seite die geradezu absurde Vorstellung, dass es für uns irrelevant wäre, ob Faschisten in den USA die Macht übernehmen; als wäre das eine rein innenpolitische Frage von bestenfalls akademischem Interesse.
Auf der anderen Seite noch viel abstoßender aber ist für mich die Arroganz und Überheblichkeit von Zaschkes Haltung. Der distanzierte Bothsiderismus, in dem, neben der bereits erwähnten Distanz, eine Performance von Objektivität und analytischer Schärfe mitschwingt. Diese aber bleibt Performance. Und die erwähnte Arroganz wird nirgendwo so deutlich wie in der Idee, dass die komplette demokratische Partei „keine Ahnung hat, was die Menschen in der Mitte des Landes bewegt“, er aber, der Korrespondent in Washington, schon. Dieses „nothing matters„, die Weigerung, für Meinungsfreiheit und Demokratie Partei zu ergreifen, nur um sich selbst besser zu fühlen, dieses Moralisieren im Gewand einer Analyse, wird uns noch alle in den Untergang führen.
9) Abschied von Bullerbü: Baerbocks Start in die Weltpolitik
Deutschland wird in Kürze Farbe bekennen müssen, vor allem gegenüber Moskau. Aus der SPD heißt es zwar weiterhin, wie einst unter Gerhard Schröder, es könne in Europa keine Friedensordnung ohne Russland geben. Dieser alte Satz ist zwar richtig. Doch leider gilt, was Omid Nouripour, Kandidat für den Bundesvorsitz der Grünen, an diesem Wochenende festhielt: Zu einer europäischen Friedensordnung gehöre „auch guter Wille in Moskau – und der ist gerade nicht sichtbar“. […] Das „Gebundensein durch Verantwortung“, von dem Robert Habeck zu Recht spricht, hat in keinem Feld so große Bedeutung wie in der Außenpolitik. Kanzleramt und Auswärtiges Amt müssen daran arbeiten, gegen die doppelte autoritäre Bedrohung durch Russland und China einen breiten politischen Zusammenhalt herzustellen: in Berlin, in Europa und vor allem über den Atlantik hinweg. Die Grünen gewinnen jetzt damit Profil, dass sie zumindest als erste in der Regierung sehr offen reden über die neuen außenpolitischen Herausforderungen und das damit verbundene Dilemma. Vielleicht erweisen sie sich am Ende sogar als Wegweiser für den Rest der rot-gelb-grünen Koalition. (Matthias Koch, Redaktionsnetzwerk Deutschland)
Während der „Abschied von Bullerbü“ für Teile der grünen Basis sicherlich zutreffend ist, sind die Aussagen Kochs eigentlich für den Großteil des deutschen Parteiensystems passender als die Grünen, die, wie vielfach bemerkt, im Wahlkampf den schärfsten Kurs gegen China und Russland fuhren und die noch den klarsten Blick hatten (was auch nur der einäugige König unter den Blinden der deutschen Außenpolitik ist). Am schlimmsten ist eigentlich die SPD, gefolgt, merkwürdigerweise, von der CDU. Aber so oder so ist es gut zu sehen, dass sich da etwas bewegt, und wenn Baerbock es schafft, die Autonomie ihres Ministeriums vor den bereits ziemlich unumwundenen Zugriffsversuchen des Koalitionspartners zu retten („Außenpolitik wird im Kanzleramt gemacht„, Mützenich).
10) Chartbook #57: 1914, the Urkatastrophe of the 20th century
A clash of Empires, for sure. How could it have been anything else? After all, all the great powers at the time were one or other type of empire. To add any value we need to be more precise in defining the historical conjuncture. 1914 was not simply a clash of Empires. The war was a product of a distinct conjuncture, well-labeled as the ‘age of imperialism’ . This conjuncture was defined not simply by empires butting up against each other, as they had for centuries. It was a new epoch defined by a new blend of expansive geopolitical claims, empires dynamized by nation-state mobilization at their core and the imbrication of those states with the interests of the latest generation of capitalist accumulation. All of this took place against the backdrop of a vision of history and global geography that was both grand and claustrophobic. The global frontier closed in the 1890s. The stage was set for the great play of world history to begin in earnest. […] Economic forces continue to play a key role in any plausible interpretation of World War I – in the form of Russia’s looming development and the costs of the arms race between the major power. But whereas under the sign of imperialism theory the link from geopolitical ambition to economic interests was made scandalously explicit, in more recent work the underlying economic dynamics are no longer foregrounded . The tight connection between the outbreak of war, imperial expansionism and capitalist competition has unravelled. […] The firewall drawn between “1914” and the story of the first globalization is ideological. But it is also a weak form of ideology – a silence rather than a strong thesis. Mainstream historical accounts of the July crisis in 1914 are, in fact, based, more often than not, on a modernization theory that dare not speak its name. Accounts such as Chris Clark’s Sleepwalkers rank Western European Empires and the scrappy Balkan protagonists in developmental terms. Meanwhile, economic accounts of the late 19th century that give a civilian-socio-economic analysis of the stresses of globalization and treat 1914 as exogenous, result not just in a whitewashing of global economic development, but in strange and counterfactual history of the early twentieth century. (Adam Tooze, Chartbook)
Es ist absolut faszinierend, wie diese Epoche immer wieder neu interpretiert wird. Gerade Adam Tooze (aber auch Niall Ferguson) haben hier unglaublich wertvolle Arbeit geleistet. Die obigen Ausschnitte sind nur kleine Teile des ersten Teils einer Kurzfassung eines Essays von Tooze zu Thema, und ich kann interessierten Lesenden nur die Lektüre anraten, genauso wie die seines Buches „Sintflut„. Eine Aussicht, die mich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch zurücklässt, ist, dass die Periode der 1930er und 1940er Jahre in spätestens zwei bis drei Jahrzehnten vermutlich ebenfalls einer Revisionismuswelle ausgesetzt sein dürfte, und ich bin nicht sicher, ob das gut sein wird. Aber es wohl unvermeidlich.
11) Chartbook #56: The West Asian Polycrisis – From Afghanistan to Lebanon
Regions of polycrisis might be defined succinctly as zones in which the collective trouble is worse than the sum of its parts. Think of a region where climate change brings drought or a historic hurricane that crosses borders, creating misery and refugee flows, with no safe place to go. Think of regions wracked by geopolitical tensions and local rivalries. Alongside Latin America, another region that might be thought of in these terms, is the region that Fred Halliday once dubbed Western Asia, a region that stretches by way of Pakistan and Afghanistan, to Iran, Iraq, Syria, Lebanon and Turkey (figures refer to population estimates). […] State borders in this region are some of the most arbitrary in the world. The Kurdish population of 40 million stretches across Turkey, Syria, Iraq and Iran. Millions of displaced people from Afghanistan, Syria and Iraq lived in improvised camps. The economies are interconnected through the use of multiple currencies, trade and infrastructure connections, particularly for energy. Climate change has inflicted simultaneous drought on Iraq, Iran and Afghanistan. Altogether, the region presents a landscape of crisis more intense than anywhere else in the world. (Adam Tooze, Chartbook)
Die westasiatische Region (ein passenderer Name als „Naher Osten“, irgendwie) ist so etwas wie die Welthauptstadt der schlechten Nachrichten. Die Instabilität ist gerade in Fällen wie Türkei oder Iran wegen deren Rolle im internationalen Staatensystem sehr gefährlich, während sie in Fällen wie Afghanistan vor allem für die Nachbarn ein Problem darstellt – und mittelfristig auch für uns, etwa durch verstärkte Flüchtlingsströme. Was man dagegen tun sollte, ist mir völlig schleierhaft. „Fluchtursachen bekämpfen“ ist eine Nullformel, ohne jeden Inhalt. Auf die Türkei ist man, wie eklig es auch sein mag, dank der Flüchtlingspolitik angewiesen. Auf den Iran hat kaum jemand Einfluss. Und so weiter. Man kann nur mit gerunzelter Stirn hinschauen und Sorge tragen.
Zu Punkt 4
Wie bewertest Du in diesem Zusammenhang die Rolle des Bundesstaaten – ich stimme Dir zu, dass die Aussicht düster erscheint – aber werden alle Bundestaaten das einfach geschehen lassen oder droht eine Sezession der sehr starken Blue-States, die eben nicht in diese Richtung laufen wollen?
Ich kann mir echt nicht vorstellen, dass Massachusetts, Kalifornien oder New York einfach zusehen werden, wie ein konservativer Backleash mühsam erkämpfte gesellschaftspolitische und bürgerrechtspolitische Errungenschaften zurückdrehen wird. Und was bedeutet das für die Swingstates mit deutlichen Unterschieden zwischen Stadt und Land (z.B. Georgia, Pennsylvania oder Arizona)?
Sezession mit 99,9999999999999%iger Wahrscheinlichkeit nicht. Die werden dasselbe machen wie bereits 2016-2020 und alle Spielräume nutzen, um sich zu wehren. Aber die Republicans haben ja keinerlei Respekt vor den Grenzen der Verfassung; wie viel das helfen wird, sei mal dahingestellt.
1)
Was genau spricht denn gegen „die wohl charakterlich integerste Kanzler*in“?
3) darüber bin ich auch gestolpert. Zu meiner Zeit als ich in Frankfurt noch beruflich Anzug tragen musste, habe ich die (lächerlich günstigen) Reinigungn für Hemden dort benutzt. Das wars.
Was er da als Mittelschicht zu beschreiben scheint, gibt es in Deutschland so nicht.
Und eine Zugehfrau ist wohl nichts anderes als eine Haushaltshilfe bzw. Putzfrau. Ist m.W. veraltet, vielleicht aber auch regional noch im Gebrauch?
1) Du meinst welche Gegenargumente? Ich kenn keine, aber ich wollte die Möglichkeit offen lassen.
3) Versteh ich auch gar nicht. Ich glaube, der schreibt echt aus seiner Bubble. Für den ist das so normal wie der Privatjet für Merz, und dann sehen sie sich als „durchschnittliche Mittelschicht“.
1) (eigentlich 2, hatte mich vertan)
Ich meinte was gegen das Gendern wie von mir vorgeschlagen spricht. Du schreibst „an der Stelle gibt es leider keine Option, das vernünftig zu gendern“ und das verstehe ich nicht.
So wie du es schreibst ist es streng genommen Quatsch. Als einzige Kanzlerin ist sie natürlich auch die integerste. Aber auch die korrupteste 🙂
Entweder ist sie der bisher integreste Kanzler (das wäre immer noch die korrekte Schreibweise glaube ich) oder der/die bisher integreste Kanzler*in
Ja, ich weiß was du meinst, aber das liest sich halt echt unschön. Inhaltlich korrekt. Ist halt ein Findungsprozess.
Liest sich unschön? Im Ernst? Das kann doch nicht plötzlich ein Argument für dich sein?
Ich sehe auch ehrlich gesagt nicht, wieso das jetzt weniger schön als der gegenderte Rest sein soll.
Aber am wichtigsten ist doch, dass es klar ist. Es kann doch nicht Dein Anspruch sein, dass so ein einfaches Statement nur mit einer doppelt so langen Erklärung in Klammern dahinter einwandfrei verständlich ist?
Wie wär’s mit:
„An moralischer Integrität übertrifft sie alle bisherigen Kanzler.“
Ob das stimmt, ist allerdings ’ne andere Frage. Dem Erhard kann man/frau diesbezüglich eigentlich auch nichts nachsagen. Und Willys „Verhalten gegenüber seiner Familie, seine permanente Fremdgeherei“ war auf jeden Fall „außerdienstlich“, also uninteressant, und in welchem Verhältnis da Dichtung und Wahrheit zueinander stehen, weiß auch kein Mensch. Merkel hat da im Vergleich zu Willy den Vorteil, dass sie keine drei Plaudertaschen als Söhne hat und auch sonst offenbar keine Quasselheinis in ihrer Umgebung.
Und so was – obschon nicht unmoralisch – müssen wir halt auch schmerzhaft entbehren – bis jetzt jedenfalls:
https://img.welt.de/img/icon/partnerschaft/mobile187978005/9052500357-ci102l-w1024/Schroeders-Kochkurs.jpg
@ Dennis 14. Dezember 2021, 22:55
Merkel hat da im Vergleich zu Willy den Vorteil, dass sie keine drei Plaudertaschen als Söhne hat und auch sonst offenbar keine Quasselheinis in ihrer Umgebung.
Zustimmung 🙂
Es gibt aber bisher auch wirklich kein Anzeichen dafür dass bei ihr was vorläge.
@ Stefan Sasse 15. Dezember 2021, 06:26
Es gibt aber bisher auch wirklich kein Anzeichen dafür dass bei ihr was vorläge.
Nein, nicht, dass ich wüsste …
Ich hab schon ziemlich deutlich gemacht dass ich hier nicht nur dienstliches Verhalten meine, sondern generell.
Erhard war ein arroganter Luftbeutel, der seine Untergebenen rumscheuchte um sich selbst größer zu fühlen.
Was Erhard betrifft gibt es zwei bedeutende Biografien. Eine von Mierzejewski (ein Amerikaner) und eine von Volker Hentschel. Hentschels fast 1000 Seiten kann man/frau – zurückhaltend ausgedrückt – schon als ziemlich angriffslustig bezeichnen; okay, ist nicht verboten. Es geht ihm mehr oder weniger darum, Erhard als – nicht nur allgemein-politisch sondern auch wirtschaftspolitisch – unbedeutend zu „entlarven“; auch nicht verboten, man/frau kann da verschiedener Meinung sein.
Zu der hier angesprochenen Sache indes sagt er folgendes:
Zitat:
„Auf enge Mitarbeiter wirkte Erhard sympathisch. Er war zugänglich, man musste vor ihm keine Scheu haben. Und er war im Grunde ein apolitischer Mensch. Er war nicht in der Lage, Gremien vernünftig zu leiten oder politische Konzepte zu entwickeln. Jeder in der CDU wusste, dass er dem Amts des Bundeskanzlers nicht gewachsen ist. Aber angesichts seiner Beliebtheit in der Bevölkerung kam man schlicht nicht an ihm vorbei.“
Hm, ok, danke. Vielleicht verwechsle ich ihn da auch.
@ Stefan Sasse 15. Dezember 2021, 06:22
Ich hab schon ziemlich deutlich gemacht dass ich hier nicht nur dienstliches Verhalten meine, sondern generell.
Ja. Aber das ist in weiten Bereichen uninteressant. Menschen sind, wie sie sind, ob sie dann Professor werden oder Bundeskanzlerin. Ob sie heimlich raucht oder nicht, ist mir echt egal. Und selbst wenn sie nicht allzu deutlich erkennbar selbst gebissen hat, hat sie doch andere für sich beißen lassen.
Sie war halt Bundeskanzlerin. Das ist der einzige Aspekt, der mich betrifft, und in dem Job fand ich sie nicht gut.
Korrekt.
1) „Da gab es auch intern Menschen, die mich weghaben wollten, weil sie harten Boulevard nicht mögen, sondern eine Gesellschaft der totalen Achtsamkeit wollen.“
Man konstratiere das mit dem, was der ehemalige Politikchef von BILD in der SZ über Boulevard geschrieben hat:
/// Streng betrachtet wird eine Boulevardzeitung nie „seriös“ sein können. Sie kann sich bemühen, anständig zu bleiben. Sie ist ja auch eigentlich gar keine Zeitung, sondern ein Unterhaltungsprogramm, das jedem etwas anbietet: dem Politik-Interessierten, dem Fußball-Freak, dem Guten, dem Bösen, dem Ängstlichen, dem Mutigen, dem Voyeur, dem Romantiker. Jeder soll etwas finden, das ihn interessiert, aufregt, niederschmettert oder zum Lachen bringt. Vielleicht sogar einen Trend setzt. Faktenbasierte Emotionen.
Die richtige Mischung aus Fakten, Fiktionen, Tatsachen und Träumereien ist für den Erfolg auf dem Boulevard so wichtig wie das geheime Leberwurst- oder Cola-Rezept. Julian Reichelt hat dieses Rezept nie verstanden, und allein das wäre ein guter Grund gewesen, ihn zu feuern. (…)
Wenn Journalisten eigene Macht verspüren, ist ihre Integrität bedroht. Verloren sind sie in dem Moment, in dem sie glauben, diese Macht auch einsetzen zu sollen. Schlimmstenfalls sogar für eigene Interessen. (…)
In besseren Zeiten hatten wir mit Bild viel zu lachen. In der Sommerpause haben wir durchgeknallte Krokodile oder Bären als Nachfolger des Ungeheuers von Loch Ness gejagt. Uns Gedanken gemacht, ob Joschka Fischer „zu fett für den Wahlkampf“ geworden ist und Ölgemälde betrachtet, die Bild-Leser liebevoll von Helmut Schmidt gemalt haben.
Dank Döpfner und Reichelt gab es nichts mehr zu lachen. Die Regierung denkt über Monate jeden Tag darüber nach, wie sie uns in der Merkel-Diktatur immer wieder neu quälen kann. Das „Islamismus-Problem“ wird verschwiegen. ARD, ZDF und die großen Zeitungen belügen uns. Die Meinungsfreiheit ist abgeschafft. Das ist die Welt, die Bild uns zeigt.
Reichelt ist weg. Döpfner bleibt. Ob er etwas dazugelernt hat? ///
https://www.georgstreiter.de/bild-reichelt-elefant-doepfner/
Das Ranwanzen an Querdenker und ähnliche Gestalten kommt dann an eine Grenze, wenn diese ihr wahres Gesicht zeigen (siehe 7). Und wenn diese die Häuser von Politikern belagen, ist dann auch die Leserschaft von BILD geschockt – und so finden wir in der gestrigen Ausgabe ein Gespräch mit Köpping und Schwesig:
https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/manuela-schwesig-und-petra-koepping-ueber-fackel-terror-aufzuege-sind-ein-feiges-78524262.bild.html
Jepp.
7) „Kein Wissenschaftler* kann auf empirischer Basis sagen, ob die Impfpflicht kommen muss“
Aber er kann sagen was passiert, wenn sie nicht kommt. Dann bleibt der Politik nur, es entweder nicht zu glauben oder trotzdem nichts zu tun. Genau das ist ja passiert. Sie hat sich von der „kleinen Splittergruppe“ treiben lassen – was in einer Demokratie eigentlich nicht sein kann, weil die Politik doch nur nach Wählerstimmen giert?
P.S. Warum war Gabriels Versuch blödsinnig? Hinterher war je – fundiert – klüger.
* der Lesefluss dankt 😉
7) Wissenschaftler*innen können Prognosen abgeben, was ohne Impfpflicht passiert. Genau sagen, was passieren wird, können sie nicht. Die Schlussfolgerungen sind politisch (wie übrigens auch bei der Klimakrise).
PS: Großartig. Wochenlange Profilierung von Pegida, Normalisierung, nur dass Gabriel danach einsieht, was von Anfang an klar war. *slow clap*
Zu 2):
Kohl war bestechlich? Dazu hätte ich gerne wenigstens einen seriösen Hinweis gesehen. Werde ich natürlich nicht, weil der nicht existiert :-).
Gruss,
Thorsten Haupts
Kirch?
Ehlerding?
Flick ?
Wow, ein vor-Indernet-Gerücht jagt das nächste :-).
Eine ganz, ganz simple Frage: Wo finde ich das Aktenzeichen der staatsanwaltschaftlichen Klage gegen Kohl auf Bestechlichkeit oder wenigstens einen seriösen journalistischen Bericht, der mir die politische Entscheidung zeigt, für die man Kohl bestechen musste, inklusive der finanztechnischen Wege, auf denen man ihn bestochen hat?
Gibt´s nicht? Dann ist das nix als der übliche Rufmord – und den finde ich eklig.
Gruss,
Thorsten Haupts
Wir haben auch kein Aktenzeichen für die Bestechlichkeit von Gerhard Schröder oder Philipp Amthor, und da bezweifeln wir es hoffentlich auch nicht.
Kohl wurde nie Bestechlichkeit vorgeworfen. Schröder übrigens auch nicht. Auch nicht von Journalisten.
Merkel kann man vorwerfen, öfter gegen ihre Überzeugungen gehandelt zu haben, so z.B. beim Atomausstieg, wo Journalisten zu berichten wissen, sie wusste damals, dass das Abschalten falsch sei, aber hatte keine Lust, gegen die kurzfristige öffentliche Meinung anzugehen. So ein Agieren nennt sich heute wohl „integer“.
Kohl und Schröder haben für ihre Überzeugungen ihr Amt riskiert. Das nennt sich heute wohl „bestechlich“.
Nein, bestechlich nenne ich ein Politik für Gazprom zu machen und dann einen Aufsichtsratsposten mit Millionengehalt dort zu kriegen und als Lobbyist zu arbeiten. Bestechlichkeit nenne ich, ein Milliardengeschäft für Kirch zu organisieren und dann von ihm einen wohldotierten Posten zu kriegen.
Als was kann jemand nach vielen Jahren in der Politik arbeiten? Wer lange aus dem Geschäft ist, kommt nicht wieder rein. Du störst Dich an Nebentätigkeiten wie von Kubicki, der immer als Rechtsanwalt praktiziert hat. Du wünscht völlige Offenlegung, was in einigen Berufen nicht geht. Du verteidigst den Berufspolitiker, auch wenn er keine Ahnung vom realen Leben hat und wenn er abgewählt ist, soll er sich zur Ruhe setzen. Oder putzen gehen. Das mag für manche das Ideal des Politikers sein, aber das ist ziemlich realitätsfern. Worüber sich dann auch aufregen ließe.
Bestechlichkeit setzt eine gewisse zeitliche und sachliche Mittelbarkeit voraus. Das Geld wird auf den Tisch gelegt, der Beamte genehmigt einen Antrag. So etwa.
Helmut Kohl und Leo Kirch waren zeitlebens befreundet. So etwas gibt es. Aber wir urteilen ja heute aus der Perspektive, wo man im Zweifel im gesetzgeberischen Auftrag selbst den leiblichen Kindern (ungeimpft) das eigene Haus verbieten soll. Da muss ich noch den Perspektivwechsel lernen.
Kirch hat den Aufstieg Kohls publizistisch begleitet. Ja, es ist richtig, er hat nicht für Schmidt geworben. Anfang der Achtzigerjahre sorgte Kohl mit für die Freigabe des Privatfernsehens in Deutschland. Das war aber keine Sololeistung eines Bundeskanzlers, dabei ist das Kabinett und die Länderebenen mitbestimmungspflichtig.
Vor allem gilt es zu fragen: war es sachlich erforderlich und profitierte eine Person, während andere ausgeschlossen waren? Ein Vorteil, der allen zugute kommt, ist kein Vorgang der Bestechlichkeit. Die erste Frage ist mit ja, die zweite mit nein zu beantworten.
Die Verbreitung des Privatfernsehens in Deutschland war kein singulärer Vorgang, er fand in vielen europäischen Ländern statt. Wahrscheinlich wäre er auch von den europäischen Wettbewerbsbehörden erzwungen worden. Denn für die Abschottung des deutschen Fernsehmarktes und die Erhaltung eines staatlichen (!) Duopols gibt es keinen sachlichen Grund.
Profiteur war aber nicht nur Leo Kirch, sondern eine Reihe Medienschaffender. Im Verlauf entstand eine Fülle von Sendern und dahinter Produktionsgesellschaften, eine ganze Industrie. Kirch ging übrigens später pleite.
Fast zwei Jahrzehnte später erhielt Kohl einen gut dotierten Beratervertrag, als er wegen der Spendenaffäre unter finanziellem Druck war. Er, der sein Leben der Politik gewidmet hatte, hatte keine sonderlichen Vermögenswerte, da die Allgemeinheit auch seine verdienstvollsten Repräsentanten nicht belohnt. Boni für Wiedervereinigungen gibt es nicht. Man kann das problemlos als Dankbarkeit Leo Kirchs werten. Dass aber die beiden Freunde 1983 verabredet hätten, Kohl 1999 zu entschädigen, ist absurd. Vor allem lebensfremd, aber das ist ja heute kein Kriterium, das stört.
Du selbst behauptest, Schröder wollte über 2005 hinaus Bundeskanzler bleiben. Die Entwicklung und Genehmigung von Nord Stream fällt in die zweite Legislaturperiode. Mehrere politische Ebenen befürworteten und genehmigten das Projekt, die unabhängig voneinander sind. Zwei weitere Bundeskanzler, darunter die von Dir als so integer geschätzte Angela Merkel, kämpften für das Projekt. Mehr noch: die so integre Merkel ließ den Bau der zweiten, heute höchst umstrittenen Pipeline zu. Ihren letzten Besuch im Weißen Haus nutzte sich zu weitreichendem Lobbying und schloss möglicherweise Deals zum Schaden Deutschlands. Vielleicht müssen wir sie ja demnächst im Aufsichtsrat von Gazprom erwarten.
Die MV-Ministerpräsidentin Schwesig gründete zur Durchsetzung des Projekts mit russischem Geld eine Stiftung. So ungefähr sieht Bestechung aus. Oder so: Obwohl es die Richtlinien der EU-Kommission verbieten, arbeiten sämtliche Mitglieder der Vorgängerkommission heute als angemeldete Lobbyisten in ihrem früheren Bereich.
Ihr Vorteil: sie sind keine Ex-Bundeskanzler, über die Blogger schreiben wollen.
Und bei Kohl bezweifle ich es nicht nur, ich bin zu 99% davon überzeugt, dass er vollkommen unbestechlich war. Sie dürfen das gerne anders sehen, aber es als Fakt darstellen, ist intellektuell wie ethisch unredlich. Belege dafür gibt es jedenfalls exakt 0,0.
Gruss,
Thorsten Haupts
@ Thorsten Haupts 15. Dezember 2021, 17:26
Aus Wikipedia, zu Ehlerding:
Im Jahr 1998 kaufte ein Konsortium, an dem die WCM beteiligt war, 30.000 Wohnungen aus dem Besitz der Deutschen Bahn. Im selben Jahr gab Ehlerding der CDU mit umgerechnet ca. drei Millionen Euro eine der höchsten privaten Parteienspenden in der Geschichte der Bundesrepublik. Ein Untersuchungsausschuss wurde eingesetzt, der die möglichen Zusammenhänge näher beleuchten sollte. Die Anfangsvermutung, dass es sich hierbei um den Missbrauch von Spenden als Einflussmöglichkeit auf politische Entscheidungen gehandelt hat, konnte durch die Beweisaufnahme des Untersuchungsausschusses nicht bestätigt werden.“
Dieses „da konnte ja nichts bestätigt werden“ ist für mich so eine Argumentation wie „die Fische starben alle an Altersschwäche, als sie am Chemiewerk vorbeischwammen“.
30.000 Wohnungen zum Vorzugspreis auf der einen Seite, eine Spende in bis dato nicht bekannter Höhe auf der anderen, und davor steht ein Gespräch zwischen den beiden? Bestenfalls Freispruch aus Mangel an Beweisen …
Tschuldigung, aber die Frage war „Bestechlichkeit von Kohl“ und nicht, ob ein CDU-geneigter Privatunternehmer sich so über einen Kauf freute, dass er der Partei (nicht Helmut Kohl!) drei Millionen Mark spendete. Und wenn der Untersuchungsuasschuss auch nur halbwegs sauber gearbeitet hat, bedeutet dessen Freispruch auch, dass offensichtlich Marktpreise gezahlt wurden. Und dafür besteche ich niemanden :-).
Gruss,
Thorsten Haupts
@ Thorsten Haupts 17. Dezember 2021, 23:56
… dass offensichtlich Marktpreise gezahlt wurden.
Und um die zu ermitteln, geht man normalerweise in ein Bieterverfahren, nicht wahr?
Zu 3) ob man da noch guten Gewissens von „der Mittelschicht“ sprechen kann, sei mal dahingestellt.
Für die Schicht der Gutverdienenden (80 bis 140 K Jahresbruttoeinkommen aka Abteilungsleiter in Konzernen), aber Vermögenslosen, fehlt einfach ein passender Begriff. Zu der klassischen Oberschicht gehören sie weder nach ihrer Selbst- noch nach der ausserhalb von Medien gängigen Fremdeinschätzung. Zu Recht, weil sie nicht einfach aufhören können, Geld mit ihrem eigenen Arbeitseinsatz zu verdienen. Ich gehöre selbst dazu und wüsste auch keinen guten Begriff für diese 5% der deutschen Angestellten und Beamten.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ich auch nicht, hast völlig Recht. Aber Oberschicht ist wie Unterschicht; in Deutschland gehört niemand dazu, wenn man die Leute fragt.
@ Thorsten Haupts 14. Dezember 2021, 18:02
Für die Schicht der Gutverdienenden (80 bis 140 K Jahresbruttoeinkommen aka Abteilungsleiter in Konzernen), aber Vermögenslosen, fehlt einfach ein passender Begriff. Zu der klassischen Oberschicht gehören sie weder nach ihrer Selbst- noch nach der ausserhalb von Medien gängigen Fremdeinschätzung. Zu Recht, weil sie nicht einfach aufhören können, Geld mit ihrem eigenen Arbeitseinsatz zu verdienen.
Zustimmung
@ Stefan Sasse 14. Dezember 2021, 19:16
Ich auch nicht, hast völlig Recht. Aber Oberschicht ist wie Unterschicht; in Deutschland gehört niemand dazu, wenn man die Leute fragt.
Wenn Du den weiten Bereich zwischen „obdachlos“ und „mehrfacher Milliardär“ in nur drei Gruppen aufteilen willst, kriegst Du natürlich Probleme …
Klar. Wie gesagt, ich bin auch kein Fan dieser Einteilung, aber dass etwa ein Merz von sich behauptet, er gehöre nicht zur Oberschicht, oder wenn sich ungelernte Kassierende vom Supermarkt nicht in die Unterschicht einrechnen wollen, dann verlieren die Begriffe alle Bedeutung.
@ Stefan Sasse 15. Dezember 2021, 06:27
… dann verlieren die Begriffe alle Bedeutung.
Haben ja auch keine mehr, deswegen sollte man sie nciht so benutzen, wie Du das tust 🙂
rechthaberische Grüße
E.G.
Ich reich dir eine Portion Recht rüber 😉
Zu 5) Was die Politik getrieben hat, in der Corona-Krise wieder und wieder markige Dinge rauszuhauen …
???? Das ist ihr modus operandi seit anno tobak, von den blühenden Landschaften und dem Soli-Zuschlag über die Nichtfinanzierung von Schuldenstaaten über die EZB bis eben heutigen Corona- Wortbrüchen. Wir wählen in Demokratien exakt dieselben Feiglinge, die wie selber sind (was auch sonst?), mit der Folge, dass diese Leute sich und anderen harte, foklgenreiche, politische Entscheidungen mit haltlosen Versprechen schönreden. Eine Menschheitskonstante.
Gruss,
Thorsten Haupts
Vermutlich.
Zu 10):
Selten so einen Blödsinn gelesen. Wenn Economic forces continue to play a key role in any plausible interpretation of World War I richtig wäre, würde sich das in den Wochen der Diploamtie vor dem Kriegsausbruch wenigstens in internen Memoranden und Briefen widerspiegeln. Tut es aber nicht, also ist die These sehr wahrscheinlich höherer Blödsinn. Es hat auf dem Weg zu 1914 genügend Gelgenheiten gegeben (und zwischen einigen Grossmächten wurden diese auch ergriffen), den Zug zum Krieg aufzuhalten, OHNE dass die Beteiligten weniger imperialistisch oder kapitalistisch geworden wären.
Je mehr ich über Stefan S. von Tooze lese, umso weniger halte ich von ihm, dafür Dank.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ich glaube, du machst es dir da zu einfach. Die Thesen sind ja viel komplexer. Er sagt nicht „Krieg brach wegen Wirtschaftsstreit aus“, à la Lenin oder so. Aber dazu müsstest du dich mit dem Werk auseinandersetzen.
Zu 4):
Bleibt die Frage, warum die „Faschisten“ noch immer 48% der Wähler für sich mobilisieren können. Einige Antworten gibt es hier:
https://equisresearch.medium.com/post-mortem-part-two-the-american-dream-voter-66dd6f673d1e
Nur für´s Protokoll: Ich halte die Republikaner, selbst die Masse der Trump-Apologeten, mitnichten für „Faschisten“. Mir geht der Gebrauch dieses historisch relativ klar umrissenen Begriffes für alles und nichts seit meinen zwanziger Jahren tierisch auf den Senkel.
Gruss,
Thorsten Haupts
Kann ich verstehen. Ich bin auch hin- und hergerssen.
Zu 1) Herr Reichelt, können Sie ohne „Bild“ leben? „‚Bild‘ war Julian Reichelt“ (Interview mit Julian Reichelt)
Fast alle BILD-Chefredakteure haben an deutlich spürbaren Realitätsverzerrungen gelitten. Reichelt ist da nicht der erste, sicherlich aber besonders stark betroffen.
Was er mit vielen Vorgängern gemein hat, ist ein Missverständnis: Die Wasserverdrängung kommt durch das Schiff, nicht durch den Kapitän. Ich lese aus seinen Worten nur Anmaßung, Verblendung und Arroganz.
2) Angela Merkel’s most important legacy: her civility
So sehr ich die zurückhaltende Art von Angela Merkel als positiv empfand, so sehr hat mich immer wieder gestört, dass sie offenbar keine oder nur wenige Überzeugungen zu haben schien – ich kann das nicht wirklich voneinander trennen. Nichts, aber auch wirklich nichts an verkündeten Ansichten, Meinungen, Vorstellungen, was sie nicht irgendwann aus Gründen des Machterhalts über Bord geschmissen hat. Sie hat so viel vor die Hunde gehen lassen, in den meisten Fällen durchaus absichtsvoll.
Ich bin so erleichtert, dass diese zerstörerische Kraft endlich weg ist.
3) „Die Mittelschicht braucht Dienstboten“ (Interview mit Oliver Nachtwey)
Mit „Mittelschicht“ meint Nachtwey vermutlich die Schicht, die genügend Mittel hat, ansonsten wäre das in weiten Fällen dummes Gelaber.
Ansonsten: Vermutlich bin ich zu wenig Philosoph, um mit dem Begriff „Klassen“ viel anfangen zu können – es klingt für mich wie die Definition eines Schichtenmodells, wo ich eher einen fließenden Verlauf sehe. Es sind durchaus
sozialewirtschaftliche Aufstiege möglich, aber in der Regel nicht vom Volksschulabschluss zum Milliardär.Dafür scheint man mir nochmal weiter hochrutschen zu müssen, in den sechsstelligen Gehaltsbereich, und ob man da noch guten Gewissens von „der Mittelschicht“ sprechen kann, sei mal dahingestellt.
Jetzt nimm mal – rein hypothetisch – ein Vermögen von zwei Millionen Euro an, gebunden in zwei Häusern (eines selbst gebaut, eines geerbt), angelegt in Aktienfonds und einer üppigen Rente. Nichts, was ich „arm“ nennen würde. Selbst wenn man die Liga Bezos, Gates und Zuckerberg außen vor lässt, gibt es doch die Pierchs und Porsches, die Klattens, die Albrechts oder die Hopps dieser Welt, die das Hundert- oder Tausendfache dieses Vermögens ihr Eigen nennen. Warum willst Du die beiden Gruppen immer in die gleiche Schublade stecken?
Doppelter (Brutto-)Lohn heißt nicht doppeltes (Netto-)Einkommen, doppeltes Netto-Einkommen heißt nicht doppelter Lebensstandard etc. Diese Neigung, alles, was ein bisschen über den eigenen Vermögensverhältnissen liegt, als „reich“ anzunehmen, ist albern und allzu oft neidgetrieben.
5) Versprochen, gebrochen
Was die Politik getrieben hat, in der Corona-Krise wieder und wieder markige Dinge rauszuhauen, von denen absehbar war dass sie zumindest mit einer höheren Wahrscheinlichkeit umgeworfen werden müssen und deren Flurschäden für die politische Kommunikation klar absehbar waren – ich weiß es nicht.
Zustimmung. Das ist auch für mich der entscheidende Punkt.
Wenn man z. B. Wahlversprechen zur wirtschaftlichen Entwicklung macht und diese aufgrund unbeeinflussbarer Entwicklungen (9/11, Finanzkrise, Corona) nicht exakt einhalten, ist es eine Sache. Aber derart sehenden Auges diesen ganzen Mist herauszuhauen, den Jens Spahn und Konsorten da verzapft haben, grenzt an bewusste Lügen und Volksverarsche.
7) „Man macht dieselben Fehler wie bei Pegida“ (Interview mit Miro Dittrich)
Ja, die Parallelen zwischen Pegida und Querdenkern sind unübersehbar – in vielerlei Hinsicht. Beide Bewegungen sind als Reaktion auf eigentümliches Staatshandeln entstanden, dass nicht vernünftig erklärt und kommuniziert wurde. Beide Bewegungen wären (zumindest in ihrer ursprünglichen Wucht) vermeidbar gewesen, wurden schnell groß und breit, wurden permanent verunglimpft, und dampfen sich nun immer stärker auf einen radikalen Bodensatz ein.
Erst kommt das Kommunikationsversagen des Staates, dann das Handlungsversagen des Staats. Ist von Staats wegen nicht weit her mit Lernen.
9) Abschied von Bullerbü: Baerbocks Start in die Weltpolitik
… die Grünen, die, wie vielfach bemerkt, im Wahlkampf den schärfsten Kurs gegen China und Russland fuhren und die noch den klarsten Blick hatten (was auch nur der einäugige König unter den Blinden der deutschen Außenpolitik ist).
Außenpolitik ist wohl der Bereich, wo ich die größte Übereinstimmung mit den Grünen finde. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Annalena Baerbock das Thema so vor die Wand fahren wird wie der Versager Heiko Maas.
1) Was meinst du mit der Wasserverdrängung?
2) Sie hatte welche, aber nicht viele. Aber das hatten wir schon mal. Nachweinen werde ich ihr sicherlich nicht.
3) Ich will die gar nicht in die gleiche Schublade stecken. Aber das sind nun mal die seit Jahrzehnten etablierten Begriffe, und wenn du die Sinus-Milieus benutzt, schauen dich die Leute an wie nen Wald.
5) Ja.
7) Von Seiten der Zivilgesellschaft und Medien aber auch nicht. In beiden Fällen hat man die Gefahr lange geleugnet, hat relativiert, normalisiert.
9) Wäre die Hoffnung.
@ Stefan Sasse 15. Dezember 2021, 06:25
1) Was meinst du mit der Wasserverdrängung?
Die Wasserverdrängung, die Wirkmacht liegt nicht beim Kapitän (Reichelt), sondern bei Schiff (BILD).
3) Ich will die gar nicht in die gleiche Schublade stecken. Aber das sind nun mal die seit Jahrzehnten etablierten Begriffe, …“
Ob die Begriffe etabliert sind oder nicht – warum benutzt Du sie, wenn sie nicht aussagen, was Du aussagen willst?
Aber (nicht nur) Du argumentierst auch so, als wären „wohlhabend“ und „stinkreich“ das Gleiche. Und glaub jemandem, der zwar wohlhabend sein mag, aber definitiv nicht stinkreich ist, dass man auch dort ganz normal für sein Geld arbeiten muss und sich durch den Alltag kämpft, selbst wenn der eine Stufe höher liegt als bei einem Durchschnittsverdiener.
7) Von Seiten der Zivilgesellschaft und Medien aber auch nicht. In beiden Fällen hat man die Gefahr lange geleugnet, hat relativiert, normalisiert.
Ich erinnere mich an die Diskussionen zur Berliner Anti-Corona-Maßnahmen-Demo letzten Sommer, wo hier ein teilnehmender Mitdiskutant als Rechtsextremist dargestellt wurde, weil am anderen Ende der Veranstaltung Attila Hildmann sein Wasser abschlug.
Wer so andere Meinungen abqualifiziert, darf sich nicht darüber wundern, wie schnell solche Bewegungen zu Sammelbecken von aufmerksamkeitsheischenden Spinnern und Extremisten gekapert werden.
Die meisten guten und normalen Leute sind inzwischen draußen, ein Teil radikalisiert sich; eventuell auch deswegen, weil sie schon für eine normale, reguläre, zivile, legale und legitime (und nicht einmal blöde) Meinungsäußerung als Extremist behandelt werden.
1) Ah jetzt. Wusste nicht wer in der Metapher wer sein soll. Danke!
3) Ja, ich weiß. Hast du bessere Ideen? Ich sehe das Problem völlig.
7) Irgendwie merkwürdig, dass es nie die Schuld derer ist, die sich radikalisieren. Wann wurde es zum völlig normalen Statement, dass es total nachvollziehbar ist dass Durchschnittsmenschen sich radikalisieren nur weil jemand ihnen sagt dass sie was Doofes machen? Ich find diese Infantilisierung furchtbar.
@ Stefan Sasse 16. Dezember 2021, 19:05
7) Irgendwie merkwürdig, dass es nie die Schuld derer ist, die sich radikalisieren.
Das habe ich nicht behauptet. Was ich gesagt habe, ist, dass in beiden Fällen die Regierung diese Gruppen ausgegrenzt hat, was einer Radikalisierung Vorschub leistet.
Wann wurde es zum völlig normalen Statement, dass es total nachvollziehbar ist dass Durchschnittsmenschen sich radikalisieren nur weil jemand ihnen sagt dass sie was Doofes machen?
Noch einmal: Das war nicht meine Aussage.
Ansonsten kann man – Beispiel Flüchtlingskrise – keinesfalls behaupten, dass die Aufnahme von 2 Millionen Menschen in einem Jahr eine kluge Idee war, oder nicht zu Schäden speziell im Sozial/finanziell schwachen Gesellschaftsgruppen führte etc. Wer sich damals dagegen (halbwegs zivil) geäußert hat, hat weiterhin meine Zustimmung.
Auch zum Thema Corona kann man konstatieren, dass die regierung mehr als dürftig kommunizierte, dass ein Großteil der Maßnahmen vergeblich war, andere (in anderen Ländern wirksame) Maßnahmen dagegen versäumt wurden, und dass dadurch erhebliche Schäden entstanden sind. ich finde, dass
„etwas Doofes“ in diesem Zusammenhang eine äußerst unpassende Formulierung ist.
Und für beide gruppierungen gilt ausserdem, dass sich, wenn man so mag, die Spreu vom Weizen trennt. Wenn Du Di anschaust, was Pegida mal war und was davon übergeblieben ist, kannst Du die enorme Differenz als „bürgerlich“ verbuchen.
Für Dich waren das damals schon alles Rechtsextremisten. Das habe ich damals anders gesehen, und sehe es heute anders.
Wenn Du jeden normalen Menschen, der eine abweichende Meinung äußert, als Extremist abtust, musst Du damit rechnen, dass sich ein Teil dieser diskriminierenden Diskussion schlichtweg entzieht (= schlecht), oder radikalisiert (= noch schlechter). Beide Gruppen sind für die Politik auf weiteres nicht mehr erreichbar.
Was das hier nicht sein soll: Ein Plädoyer für Extremisten, die sich neben andere stellen, um sie einzuvernehmen, für Gewalttäter etc.
Die Kommunikation der Regierung wie auch der Medien ist katastrophal und trägt in weiten Teilen zu der schlechten Impfquote und dem miserablen Verständnis der Pandemie bei, keine Frage. Ich kann da gar nicht so viel fressen wie ich kotzen möchte.
Dass da Bürgerliche sich dran gehängt haben bezweifle ich nicht. Mein Vorwurf war nicht, dass alle, die bei Pegida oder den Schwurblern mitlaufen, Rechtsextremist*innen sind, sondern dass die bei einer rechtsextremen Demo mitlaufen. Das war damals so, das ist heute so, nur dass es heute gesehen wird.
Keine Frage?! Österreich und die Schweiz haben ganz vergleichbare Impfquoten, Schweden genauso. Alles eine Frage der schlechten Kommunikation un katastrophaler Medien? Really? Sehr einfache Erklärungsmuster…
13 Millionen sind also rechtsextrem oder Querdenker oder beides…. Tststs.
@ Stefan Sasse 18. Dezember 2021, 12:56
Mein Vorwurf war nicht, dass alle, die bei Pegida oder den Schwurblern mitlaufen, Rechtsextremist*innen sind, …
Doch, natürlich …
Vielleicht besser formuliert: Ich mich nicht erinnern, von Dir diese Differenzierung mitbekommen zu haben. Wir haben damals sehr heftig darüber gestritten, und Du hast meine „gemischte Sicht“ immer sehr stark abgelehnt. Ich war damals der Meinung, dass die Gefahr besteht, dass viele dieser Leute in den Extremismus abgleiten, wenn man sie nicht ernst nimmt und ihre Sorgen und Ängste nicht berücksichtigt. Du hieltest solche Gespräch für überflüssig, weil Du die schon als rechtsextreme wahrgenommen hast.
sondern dass die bei einer rechtsextremen Demo mitlaufen.
Hm, vielleicht erinnere ich mich falsch.
Zu 9) Baerbock: Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, aber leider war Maas der perfekte Vertreter des in aussen- und sicherheitspolitischen Fragen dominierenden Milieus in Deutschland. Ob Baerbock dagegen ankommt, bezweifle ich wirklich – der fehlt dafür Joschka Fischers egomanische Härte und seine Strassenkampferfahrung.
Gruss,
Thorsten Haupts
Was halt massiv gegen Baerbock arbeitet ist die Kompetenzverlagerung der AP ins Kanzleramt in den letzten 20 Jahren. Sie hat viel weniger Macht als Fischer.
@ Thorsten Haupts 15. Dezember 2021, 08:29
Zu 9) Baerbock: Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, aber leider war Maas der perfekte Vertreter des in aussen- und sicherheitspolitischen Fragen dominierenden Milieus in Deutschland. Ob Baerbock dagegen ankommt, bezweifle ich wirklich – der fehlt dafür Joschka Fischers egomanische Härte und seine Strassenkampferfahrung.
Vermutlich hast Du Recht. Ich erwarte auch keinen zweiten Joschka Fischer, aber ich hoffe dennoch auf mehr als das Nichts, das Heiko Maas vorgelegt hat.
@ Stefan Sasse 15. Dezember 2021, 13:25
Zu 9) Baerbock: Was halt massiv gegen Baerbock arbeitet ist die Kompetenzverlagerung der AP ins Kanzleramt in den letzten 20 Jahren. Sie hat viel weniger Macht als Fischer.
Ich sehe mit Freuden, wie hart daran gearbeitet wird, das zurückzudrehen.
Ich auch.
1) Exakt. Wie diverse Kommentatoren hier und anderswo schon korrekt dargestellt haben, ist das eigentliche Problem Döpfner. Reichelt ist nur das (bisher) sichtbarste Symptom, das daraus resultiert.
Ich sehe das auch nicht besser werden. Piatov, Ronzheimer und die anderen Buddys von Reichelt sind nach wie vor da und werden soweit ich das sehen kann weiterhin gefördert.
2) So sehr ich die zurückhaltende Art von Angela Merkel als positiv empfand, so sehr hat mich immer wieder gestört, dass sie offenbar keine oder nur wenige Überzeugungen zu haben schien – ich kann das nicht wirklich voneinander trennen. Nichts, aber auch wirklich nichts an verkündeten Ansichten, Meinungen, Vorstellungen, was sie nicht irgendwann aus Gründen des Machterhalts über Bord geschmissen hat.
Zustimmung. Aber gerade deshalb hat es mich so verwirrt, dass es so viele Menschen gab, die sich gewünscht haben, dass ausgerechnet Söder Merkel ablöst. Auf ihn trifft all das oben Gesagte schließlich 1:1 zu, nur dass „zurückhaltende Art“ eher nicht so sein Ding ist.
5) Ich weiß, wir hatten in der Vergangenheit schon einmal darüber gesprochen: Ich habe Spahn immer schon für einen (nicht einmal besonders geschickten) Blender gehalten. Zu den wenigen positiven Nebeneffekten der Coronakrise gehört für mich, dass das nicht zuletzt durch seinen anscheinend unkontrollierbaren Drang, ohne Not absehbar haltlose Statements rauszuhauen, nun offenbar endlich auch der breiteren Öffentlichkeit klargeworden zu sein scheint.
Auch innerhalb der Partei scheint sich mir sein Standing deutlich verschlechtert zu haben. Zwar will man ihn noch nicht ganz fallen lassen und hat ihn gerade zu einem der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt, es ist jedoch ein kleines aber feines Detail, dass zu den ihm zugedachten Schwerpunktthemen explizit nicht der Bereich „Gesundheitspolitik“ gehört. Aber vielleicht überinterpretiere ich das auch.
1) Reichelt betont ja auch ständig, dass er und Döpfner politisch auf einer Linie liegen. Das ist ja das Problem.
2) Schon, aber Söder ist so wunderbar nicht Merkel.
5) Keine Ahnung, da bin ich zu wenig drin.
@ Dobkeratops 15. Dezember 2021, 09:04
zu 1) Exakt. Wie diverse Kommentatoren hier und anderswo schon korrekt dargestellt haben, ist das eigentliche Problem Döpfner. Reichelt ist nur das (bisher) sichtbarste Symptom, das daraus resultiert.
Sagen wir so: Ich nähere mich dieser Meinung langsam, aber sicher an.
2) Aber gerade deshalb hat es mich so verwirrt, dass es so viele Menschen gab, die sich gewünscht haben, dass ausgerechnet Söder Merkel ablöst.
Schöner als Stefan Sasse kann ich das auch nicht sagen. 🙂
Söder ist jemand, der vom Naturell her die Neigung hat, etwas voranzutreiben (= brauchen wir); Merkel ist das vom Naturell her nicht (= schädlich).
5) Ich weiß, wir hatten in der Vergangenheit schon einmal darüber gesprochen: Ich habe Spahn immer schon für einen (nicht einmal besonders geschickten) Blender gehalten. …
Ja. Ich war da durchaus anderer Meinung, aber Du hast Recht behalten mit Deiner Einschätzung. Heiße Luft, nicht viel mehr.
2) Der große Fleck auf dem Bild der ‚integren‘ Kanzlerin ist ihre Rolle als Vorgesetzte: Dort hat sie durch stillschweigende Duldung einer massiven Korruption Vorschub geleistet – sowohl in ihrer Partei ( EnBW, Augustus Intelligence, Azerbeijan ) als auch in ihrem Kabinett ( Scheuer, von der Leyen) , von den institutionalisierten Formen der Korruption (Drehtüreffekt, Nebeneinkünfte) ganz abgesehen.
3) Eine Zugehfrau ist einfach eine Putzfrau (in Bayern üblicher Ausdruck, am Land habe ich auch schon ‚Zugeherin‘ gehört) und damit wahrhaft ein Service, der auch von der oberen Mittelklasse häufig genutzt wird. Andere ‚Dienstbotenjobs‘ sind Taxifahrer, Paketboten, Kinderbetreuung (auch im Hort institutionalisiert), etc… und dann kommt der Megabereich häusliche Pflege. Nachtwey ist auf der richtigen Spur, viele dieser Tätigkeiten waren früher auf einen Dienstherrn fixiert, jetzt sind Arbeit- und Auftraggeber getrennt… da wäre viel Raum für marxistische Analyse.
5) Der entscheidende Begriff ist ‚Vertrauen‘. Nach der Wahl hat ein Bürger wenig bis keinen Einfluss, was mit seiner Stimme passiert. Also möchte er sich darauf verlassen, dass in der Packung das ist, was vorher angekündigt wurde – wenn nicht, sollte der Grund glaubwürdig sein. Aber ‚Mit der Wahrheit hätten wir keine Stimmen bekommen‘, was oft kaum verhohlen der eigentliche Grund ist, schafft Misstrauen und damit Politikverdrossenheit.
7) Mit „Die waren schon immer genau das, was sie sind‘ bist du gefährlich nahe an dem Freund-Feind-Denken (Stichwort Othering), das du bei 1) zu Recht als toxisch diagnostizierst.
8) Nein. Journalismus muss nicht Partei ergreifen. Er muss die Wirklichkeit darstellen, auch wie hier schonungslos. Dass ein gebildeter Leser (an die sich die SZ richtet) dann daraus Schlüsse ziehen kann und zu einer (moralischen) Bewertung kommt, steht auf einem anderen Blatt. Aber die Reihenfolge muss bleiben Fakten – Analyse – Bewertung, auch wenn die sympathischeren Leute dann nicht so gut aussehen.
9) (Nachtrag zu der Professionalitäts-Debatte zwischen dir und Stefan P. im letzten Vermischten) Ein womöglich interessanter Aspekt beim Gesinnungswandel der Grünen ist ein gewisser ‚chickenhawk‘ Effekt. Gerade weil die die jetzigen Grünen-Funktionäre dank Generation, Geschlecht und/oder Milieu nie Kontakt zur Alltagsrealität der Bundeswehr hatten, können sie leichter Falken-Entscheidungen rein ‚aufgrund der Aktenlage‘ treffen.
Umgekehrt hatten bei früheren Friedensbewegungen Veteranen oder ‚geläuterte‘ Ex-Militärs (prominentes Beispiel Gert Bastian) oft eine Rolle gespielt.
10) Der 100-Jahresabstand, mit dem vergangene Ereignisse analysiert werden, ist interessant. Erst zu diesem Zeitpunkt sind die direkten zeitbezogenen Narrative soweit abgeklungen, dass eine Betrachtung aufgrund ‚harter‘ historischer Fakten und mit einem aktualisierten ‚Werkzeugkasten‘ zu Erkenntnissen über Zusammenhänge führt, ohne im Zwang zu stehen , diese mit einem Werturteil zu versehen.
11) Dieses „Westasien“ sieht mir danach aus, als wären rein nach dem Kriterium ‚Bad news‘ Staaten zusammegewürfelt worden: Türkei und Syrien gehören in die Weltregion Naher Osten-Levante, Afghanistan definitiv zu Zentralasien. Auf einem höheren Level kann man umgekehrt all die Staaaten und viele mehr, die genügend ‚bad news‘ liefern in der MENA-Großregion einsortieren.
2) Jepp. Ich hab auch bewusst nur von ihr persönlich gesprochen.
3) Verstehe.
7) Ich gebe dir völlig die Gefahr, aber du wirst ja kaum abstreiten wollen, dass sich da nichts verändert hat, sondern nur für alle offensichtlich wurde.
8) „Wahrheit“ ist ein objektivierbarer Begriff. Des einen Wahrheit ist allzu oft des anderen Propaganda. Ich stimme dir zu, dass man so wie von dir beschrieben vorgehen sollte, wo möglich, aber das ist seltener der Fall als oft angenommen.
9) Guter Pinkt.
10) Das Wichtigste ist: die Zeitzeug*innen sind tot.
11) Sind nicht alle diese Gruppierungen arbiträr am Ende?
11) Eine weniger arbiträre Konstellation wäre in meinen Augen eine ‚greater bad news Region southwestern/central Asia‘ , die neben den erwähnten Staaten auch die umgebenden bad-news-Staaten umfasst: die …-stan Staaten in Zentralasien, den Kaukasus, die arabische Halbinsel und (mit Abstrichen) Israel/Palästina.
@ Stefan Sasse
7) Ich gebe dir völlig die Gefahr, aber du wirst ja kaum abstreiten wollen, dass sich da nichts verändert hat, sondern nur für alle offensichtlich wurde.
Bei Pegida hat sich erheblich etwas verändert, bei den Querdenkern auch. Deswegen wurde es doch offensichtlich …
Kriegen wir da irgendwelche Empirie für her?
@ cimourdain 15. Dezember 2021, 10:22
Durchgängig Zustimmung
1) Herr Reichelt, können Sie ohne „Bild“ leben? „‚Bild‘ war Julian Reichelt“ (Interview mit Julian Reichelt)
Ich verstehe nicht, warum Du Dich an Julian Reichelt so abarbeitest. Soweit man die Fakten kennt, ist das Arbeitsrecht auf Reichelts Seite. Sogar der SPIEGEL hat die Höchststrafe für einen offensichtlich völlig unsachlichen Artikel bekommen. Dennoch geht es Dir vor allem um ein Schuldbekenntnis desjenigen, der nach Recht und Gesetz nicht verwerflich gehandelt hat. Warum kannst Du das nicht ab?
2) Angela Merkel’s most important legacy: her civility
Ist das eine Qualitätsanforderung, moralisch integer zu sein? Du definierst eheliche Untreue als Merkmal, moralisch nicht integer zu sein. Über die Hälfte der Bevölkerung erfüllt damit nicht Deine Ansprüche an Moral und Anstand. Sind wir hier in den Fünfzigerjahren?! Schröder hast Du gleich ausgespart, der Mann hat sich schließlich viermal scheiden lassen. Wie lautet der Vorwurf sonst?
Merkel hat viel für die Gesundheit des demokratischen Diskurses getan, indem sie die „civility“ hochgehalten hat; ihr Politikstil hat auf der anderen Seite auch viel Schaden am demokratischen Diskurs angerichtet, weil die asymmetrische Demobilisierung und ihr „alternativlos“ nicht eben dazu angetan waren, fruchtbare Debatten zu befördern.
Da kann man sich nur wundern. Nach Meinung der meisten Beobachter hat Merkel den öffentlichen Diskurs erstickt und der Akzeptanz der Demokratie geschadet. Wer heute bejubelt, wie friedfertig der Regierungswechsel vonstatten ging, der hat vergessen, dass auch 1998 der Machtwechsel in gegenseitigem Respekt erfolgte.
Vor allem aber sparst Du das Thema aus, das unter Merkel das Land und sogar den Kontinent wie kein anderes gespalten hat, ihre Flüchtlingspolitik ab 2015. Wie kannst Du so ein spalterisches Thema völlig unerwähnt in einer solchen Würdigung lassen?
3) „Die Mittelschicht braucht Dienstboten“ (Interview mit Oliver Nachtwey)
Wir haben in Europa nivellierte Gesellschaften. Das sieht andernorts in der Welt völlig anders aus.
Und dass in Deutschland die soziale Mobilität katastrophal niedrig ist, wissen wir seit mittlerweile zwei Jahrzehnten, ohne dass viel dagegen getan würde.
… weil es Unsinn ist. Pauschal hat sich die soziale Mobilitität in Deutschland nicht nennenswert verändert.
https://www.vodafone-stiftung.de/wp-content/uploads/2019/06/vfst_soziale_mobilitaet.pdf
Die Decke ist zwar für die Unterschicht wenig durchlässig, auch im internationalen Vergleich. Das gilt aber nicht für die Durchlässigkeit an die Spitze. In Deutschland liegt die Wahrscheinlichkeit, dass jemand aus der Sohn eines Unterschichtlers ebenfalls im prekären Bereich lebt, bei 42%, im internationalen Vergleich liegt dieser Weit bei 14%. Einmal Unterschicht, immer Unterschicht.
Allerdings: Die Wahrscheinlichkeit, das der Nachwuchs eines Angehörigen der Oberschicht auch zu dieser Klasse zählen wird, beträgt nur 9%, in der OECD jedoch 50%. Ganz so einfach ist die Geschichte nicht, wie Du sie erzählst. Zudem gehören in Deutschland überproportional viele Zugewanderte der Unterschicht an, denen auch in anderen Ländern seltener der Aufstieg gelingt. Das ist ein Indiz, dass nicht die gesellschaftlichen Strukturen, sondern individuelle Verhaltensweisen Aufstiege behindern.
Link nachgeliefert:
https://www.oecd.org/germany/social-mobililty-2018-DEU-EN.pdf
@ Stefan Pietsch 15. Dezember 2021, 13:14
Zu 1) Reichelt bin ich anderer Meinung, und gehe mit dem anderen Stefan.
Beim Rest hast Du meine Zustimmung.
Verräter! 😉
Was mich unheimlich an Stefans Argumentationen stört, ist das Springen in den Maßstäben. Das lässt sich auch in diesem Mehr-Themen-Artikel schön beobachten. Die Kanzler Kohl und Schröder bewertet er mit heutigen Maßstäben, wonach bereits der Anschein eines anrüchigen Verhaltens der Tat gleichzusetzen ist. Jeder habe sich eines Good Governance Codes zu unterwerfen, nur dann sei jemand integer. Auf die älteren Herren Brandt und Schmidt ist er aus anderen Gründen nicht gut zu sprechen. Brandt sei fremdgegangen, was vielleicht 1960 die Integrität eines Politikers berührte, aber wohl kaum im Jahr 2021, vor allem, wenn es ein handelsübliches Verhalten ist.
Was zählt denn nun? Der moralische Wertemaßstab der Gegenwart oder der, der in der Zeit galt? Sich für einen Sachverhalt und eine Person den gerade genehmen Maßstab rauszusuchen, ist hochgradig unfair.
Reichelt wurde massiv öffentlich beschuldigt, ein Medium aus Hamburg hat seine jahrzehntelange Fehde mit dem Axel Springer Haus in Berlin personalisiert. Das war nicht nur unanständig, ethisch niederträchtig, es war journalistisch auch noch größtenteils falsch. Auf dieser Basis führt Stefan seine Kommentierung.
Nun erwartet Stefan, dass der Beschuldigte und übel beleumundete Reichelt den juristisch zurechtgewiesenen SPIEGEL-Leuten nachträglich recht gibt und mea culpa betreibt. Und das bei einem Sachverhalt, der Reichelt Strafverfahren, Schadensersatzprozesse und völlige Rufruinierung einbringen würde. Vielleicht hätte Stefan ein paar Beispiele, wo Leute so edel gehandelt haben. Oder so dämlich. Oder so falsch. Andernfalls scheint er auch hier die Maßstäbe total zu überziehen und Reichelt als eine neue Art des Teufels zu sehen, durch nichts zu toppen.
Sorry, Herr Pietsch, aber jeder, der eine Machtposition gegen Untergebene (neudeutsch Mitarbeiter) ausnutzt, um sich einen (hier sexuellen) Vorteil zu verschaffen, ist ein Arsch und für keine wie auch immer geartete Führungsposition brauchbar. Für mich ist dieser Vorwurf gegen Reichelt hinreichend gut belegt, damit ist das Thema durch – dem Mann ist kein Unrecht geschehen, sondern leider nicht ausreichend Recht.
Gruss,
Thorsten Haupts
Das mag sein. Nur ist das eine Sache für Anwälte und Arbeitsgerichte sowie zukünftige Arbeitgeber. Eine Suada loszutreten, weil ein ausschließlich öffentlich moralisch Beschuldigter nicht sich in den Staub wirft und um Vergebung flennt, ist eine unangenehme Debattenführung.
Ich sag’s dir mal wieder wenn es um Journalist*innen der ÖR geht.
Bei Deinen berühmten Kokosnuss- / Erdnuss-Vergleichen?
Hauptsache Nüsse. Ich mag allerdings Erdnüsse nicht, die rangieren noch unterhalb von Paranüssen. Macademia ist König.
Hauptsache Du vergleichst sie nicht. 🙂
Klar vergleich ich sie. Macademia schmecken besser als Erdnüsse. 🙂
https://dilbert.com/strip/2014-03-23
Die Kanzler Kohl und Schröder bewertet er mit heutigen Maßstäben, wonach bereits der Anschein eines anrüchigen Verhaltens der Tat gleichzusetzen ist. Jeder habe sich eines Good Governance Codes zu unterwerfen, nur dann sei jemand integer. Auf die älteren Herren Brandt und Schmidt ist er aus anderen Gründen nicht gut zu sprechen. Brandt sei fremdgegangen, was vielleicht 1960 die Integrität eines Politikers berührte, aber wohl kaum im Jahr 2021, vor allem, wenn es ein handelsübliches Verhalten ist.
Blödsinn. Ich bewerte die alle nach den heutigen Maßstäben. Brandts Fremdgehen war nicht das Problem; mit einer der größten Vorwürfe der CDU war stattdessen, dass er im Dritten Reich ins Exil ist, statt wie sie munter mit den Nazis zu kooperieren. Mir wäre halt nicht bekannt, dass Brandt oder Schmidt Firmenkontakte gehabt und die versilbert hätten.
…, aber [Brandts] Verhalten gegenüber seiner Familie, seine permanente Fremdgeherei – so was macht eine Merkel nicht.
Das muss wohl jemand anders eingefügt haben. Ich war’s nicht, Stefan. 😉
Mir ist halt immer noch nicht klar, wie Du Dir eigentlich so eine idealtypische Politikerkarriere nach Deinen Maßstäben vorstellst und wie die Anschlussverwendung aussehen könnte.
Hier hast Du nur Antworte auf Fragen gegeben, die nicht gestellt worden waren.
Merkel ist sicherlich alles, aber nicht idealtypisch. Ich bin absolut kein Merkelfan, aber diesen Zug darf man durchaus anerkennen. Über eine idealtypische Politiker*innenkarriere zu schreiben wäre allerdings mal spannend.
Ich fasse zusammen: Du bevorzugst für Politiker die stromlinienförmige Karriere Uni, NGO, Abgeordneter. Die Nebenwirkungen, nach einer Abwahl nur als Lobbyist gutes Geld verdienen zu können, lehnst Du aber (natürlich) zutiefst ab.
Ich bevorzuge Politiker, die nach ihrer (akademischen) Ausbildung einige Jahre in einem Beruf gearbeitet haben und die politische Karriere in den Feierabend verlegten. Trotz des politischen Aufstiegs verlieren sie nicht die Bodenhaftung, halten ihre Connections und übernehmen vielleicht kleinere Aufträge. Mit dem Ende der politischen Karriere können sie in ihre normalen Verhältnisse zurück.
Deine Position hat den gravierenden Nachteil, dass der Politiker völlig abhängig von seiner Partei wird und mit der Abwahl nur eine Alternative hat. Meine Position hat den Nachteil, dass der Politiker sich in einem Balanceakt zwischen Gemeinwohlverpflichtung und den Verführungen privater Geldgeber ist. Der Punkt ist: man wird immer Nachteile akzeptieren müssen.
Das, was Du an Merkel lobst, ist durch zwei Parameter bedingt: Aufgrund ihrer protestantischen Erziehung haben materielle Güter nur einen bedingten Reiz. Schröder war da, aufgestiegen aus ärmlichsten Verhältnissen, anders strukturiert. Wonach Merkel allerdings in ihrem Leben strebte, blieb immer im Nebel. Zum anderen war die Pfarrerstochter so lange Bundeskanzlerin, dass sie sich über die (erwerbstätige) Zeit danach keine Gedanken machen musste. Das hätte anders ausgesehen, wäre sie bereits nach 4 Jahren wieder abgewählt worden.
Merkel kam nie in die Situation, sich über Karriereschritte nach dem Höhepunkt Kanzleramt Gedanken machen zu müssen.
Korrekt, nichts ohne Nachteile. Ich halte Berufserfahrung in anderen Bereichen für überbewertet, aber das hatten wir ja schon 🙂 Ich schau mal, ob ich da was Ausführlicheres zu mache.
Berufserfahrung bezieht sich auf Bodenhaftung. Im neuen Bundestag reden sehr viele Politiker über Steuern und Abgabenbelastung mit, die das weder aus eigener Anschauung noch in der realen Welt als Auswirkung kennen. Individuelle Belastungen kennen sie nur aus Studien, wo sie sich die Ergebnisse selektiv aussuchen, statt widersprechende Resultate logisch zusammenzuführen. Die andere Länder nur durch geführte Reisen des Parlaments kennen und den Klimawandel aus ihrer Zeit als Aktivisten von NGOs.
Die Deutschen haben bisher nur Politiker zu Bundeskanzlern gemacht, die solche Bedingungen erfüllten. Merkel ist das schon ein Stück Ausreißer.
Du meinst, es macht für die Kenntnis der Steuerbelastung einen Unterschied, ob Diäten oder Gehalt belastet wird? Halt ich für gewagt.
Es macht sehr wohl einen Unterschied, wenn die Nachteile ausgeglichen werden. Interessanter als die Frage, wie spürbar ist die Steuerbelastung für jemanden, der bisher ein Studentengehalt hatte und über Nacht zu den Topverdienern zählt, ist ja, wie sieht es für Leute zwischen 4.000 und 8.000 Euro aus. Das ist die Gruppe, die das Gros der Steuerzahler ausmacht und die Bundestagsabgeordnete gerade mal übersprungen haben. Und wie das für jemanden ist, der bisher Hartz-IV bezogen hat und sich mit einem Teilzeitjob herausarbeiten will, wissen die meisten auch nicht. Wie sonst wäre es auch erklärlich, dass die neue Koalition so viel mehr wert auf die Absicherung der Sozialhilfeempfänger legt und so wenig auf den Übergang ins Erwerbsleben?
1) Reichelt
Ich finds wirklich gruselig. Das ist ja keine Selbstviktimisierung mehr, sondern schon ausgewachsener Verfolgungswahn und völlige verzerrte Realität. Gerade auch, was die aggressive Sprache angeht (never surrender, Blut im Wasser, Appeasement, etc.)
Und – siehe auch Döpfner – noch bedenklicher ist ja, dass das nicht ernstgenommen wird, sondern gerne noch als Witz verharmlost wird. Da findet auch innerhalb dieser Gruppen überhaupt keine Selbstreflektion statt. Womit dann ja wieder der Kreislauf beginnt, dass sie sich schön einreden können, für die schweigende Mehrheit zu sprechen. Und machen wir uns nichts vor, Reichelt hat bestimmt schon etliche Angebote auf dem Tisch liegen.
2) Merkel
Ich denke aber, es ist absolut fair eines stehen zu lassen: sie war kein schlechter Mensch.
Ja absolut und wie ich neulich schon anmerkte, gerade weil der „Trend“ eher in die andere Richtung ging und geht. Und ich glaube es ist auch wichtig, dass sie als erste Kanzlerin so erfolgreich war, obwohl selbst sie wirklich viel Misogynie aushalten musste. Mir persönlich gefallen da zwar Typen(Typinnen?^^) wie Nahles oder AKK besser, aber das hätte nicht so gut funktioniert.
Übrigens: Ich habe ja die Befürchtung, dass die Integrität Merkel noch zum Problem wird. Ich würde nämlich unheimlich gerne eine zehnbändige Autobiografie von ihr lesen, bin aber besorgt, dass sie entweder gar keine schreibt oder eben so nett und höflich, dass man hinterher auch nicht mehr weiß. 😛
3)
Insgesamt ist das ein sehr spannendes Interview, das zur Gänze empfohlen sei.
Tja, dummerweise jetzt Pay und zig Onlineabos können sich auch nur Leute mit einer Zugehfrau leisten. 🙁
Und ja, da muss man schon zu der ganz oberen Mittelklasse gehören oder eben schon alt und ohne Kinder. Bzw nicht nur Kinder, auch die Alten brauchen ja Care-Tätigkeiten und durch das spätere Kinderkriegen hat sich das oft so verschoben, dass an beiden Enden viel Care-Arbeit anfällt. Und da ist es noch schwieriger und teurer, das an Dienstboten zu delegieren.
Und ja, das ist ein enorm blinder Fleck in Deutschland. Margarete Stochowski hatte in ihrer Kolumne nebenbei was ganz Spannendes angemerkt:
https://www.spiegel.de/kultur/margarete-stokowski-karl-lauterbachs-zaehne-und-robert-habecks-fruehstueckpolitikerverhalten-unterm-mikroskop-a-bc5ed4b1-80af-4e0f-a0d7-57e953b1caee
Was gilt als minderwertig, wenn man arm ist, aber als nobel, wenn man reich ist? Darunter fallen so unterschiedliche Dinge wie: öffentliche Verkehrsmittel benutzen, zerrissene Jeans tragen, bilingual aufwachsen, einen Cousin heiraten, tagsüber Alkohol trinken, Spenden sammeln, zu einem öffentlichen Anlass zweimal dasselbe anziehen, Secondhand-Klamotten
7) radikale Schwurbler*innen
T-Online hat da auch gerade eine sehr genaue Analyse, wie es so weit hat kommen können, für überraschte Politiker.
https://www.t-online.de/nachrichten/id_91272586/corona-pandemie-gewalttaetige-proteste-die-ursachen-liegen-viel-tiefer.html
Ich musste tatsächlich die letzten Tage/Wochen auch häufig an den Reichstag-Sturm denken. Wir leben ja wirklich in einer Zeitschleife, es braut sich was zusammen und irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem alle ganz entsetzt sind (jetzt die Morddrohungen gegen Kretschmer, wo tatsächlich mal das LKA aktiv wird. Absolut zurecht! Aber das ist ja nicht die erste Morddrohung, die in dem Umfeld auftaucht, Drosten und Lauterbach lassen grüßen)
Und meiner Meinung nach ist es auch an der Zeit, das mal vom aktuellen Anlass (hier Pandemie oder Impfpflicht abzukoppeln), das ist vollkommen egal, die Leute setzen sich doch nicht ruhig zu Hause hin und werden wieder normal, nur weil es keine Impfpflicht gibt oder kein 2G mehr.
Da hat ja selbst Boris Pistorius mal Klartext geredet (sogar auch mit Pegida-Vergleich), was hoffentlich auch ein Hinweis ist, dass die SPD da dazugelernt hat:
https://twitter.com/NDRinfo/status/1470396918912139267
9) Baerbock
Gott, ich finde diesen Mützenich so ätzend, warum konnte der nicht zur EU weggelobt werden, man muss ja schon froh sein, dass er kein Ministeramt bekommen hat.
Ob daraus wirklich ein Koalitionskonflikt wird, mal abwarten. Mützenich ist da ein ziemlicher Hardliner und dass Schröder oberster Russland-Lobbyist ist, ist jetzt so gar keine Überraschung. Insgesamt sollte die SPD von der klaren Kante gegen Russland ja eigentlich auch nicht so überrascht sein, die Grünen haben ja kein Geheimnis draus gemacht.
1) Völlig.
2) Sie hat schon angekündigt eine Autobiografie zu schreiben, du bist sicher.
3) Ja und nein. Symbolpolitik ist schon wichtig…
7) Danke, und völlige Zustummung.
9) Ja, schon echt komisch dass Mützenich nicht Minister wurde, was? 😀 😀 😀