Ein Blick in die jugendliche FDP

Mit eine der größten Überraschungen der Bundestagswahl waren die starken Gewinne der FDP bei den Jungwählenden. In der ZEIT ist unter der etwas missglückten Überschrift „Ich habe bei YouTube mehr Mathe gelernt als in der Schule“ ein Interview mit Jens Teutrine erschienen, dem Vorsitzenden der JuLis, der es in den Bundestag geschafft hat. Teutrines Interview ist deswegen so interessant, weil er, typisch für die Jugendorganisationen der Parteien, sehr frei spricht und die üblichen Phrasen vermeidet. Aber es ist nicht nur sein Stil; auch der Inhalt dessen, was er sagt, zeigt ein anderes Gesicht der FDP, als es etwa Kubicki oder Lindner präsentieren. Ich möchte es in Auszügen hier diskutieren.

ZEIT ONLINE: Herr Teutrine, der neue Bundestag hat 736 Abgeordnete, warum braucht es ausgerechnet Sie? 

Jens Teutrine: Vielleicht, weil ich auf der einen Seite zu einer neuen, jungen Generation gehöre, aber auf der anderen Seite auch die politischen Mechanismen kenne. Ich habe zehn Jahre ehrenamtlich Politik gemacht, ich wohne in Bielefeld in einer Fünfer-WG und mein soziales Umfeld hat mit Berufspolitik nichts zu tun. Ich sehe mich als Dolmetscher zwischen der Politik und der jungen Generation, in beide Richtungen. Und der zweite Grund: meine Lebenserfahrung. Nicht mein biologisches Alter, das wird ja viel zu oft gleichgesetzt. Mit dem, was ich erlebt habe, muss ich mich hinter anderen Persönlichkeiten im Bundestag nicht verstecken. 

ZEIT ONLINE: Ihre Mutter war alleinerziehend und ist zeitweise putzen gegangen, Sie haben in Bäckereien und im Baumarkt gejobbt. Damit sind Sie in der FDP und im Bundestag etwas Besonderes. 

Teutrine: Es gibt Millionen Menschen, die die gleichen Struggles haben, wie ich sie hatte. Die sitzen halt nur selten im Bundestag.

ZEIT ONLINE: Sie waren wegen Sprachproblemen außerdem auf einer Förderschule. 

Teutrine: Das ist vielleicht schon besonderer. Und ja, diese Erfahrungen haben mich geprägt. Auch wenn ich das zehn Jahre lang, wenn es um Politik ging, nie angesprochen habe. 

ZEIT ONLINE: Warum nicht? 

Teutrine: Es gab eine Zeit, in der ich mich ein bisschen für meine Herkunft geschämt habe. Das tut mir meiner Mutter gegenüber heute wahnsinnig leid. Mittlerweile bin ich unglaublich stolz darauf, was sie für mich geleistet hat. Außerdem wollte ich nicht darauf reduziert werden, nicht bei den JuLis und auch sonst nicht. 

Eine Sache, die zumindest mir sofort auffällt, ist der Sprachstil Teutrines. Genauso wie Kevin Kühnert versteht er es, bestimmte generationelle Elemente („struggles„, „besonderer“) einfließen zu lassen und seinen Satzbau mehr wie tatsächlich gesprochene Sprache klingen zu lassen, als dies bei der älteren Politiker*innengeneration der Fall ist. Das schleift sich vermutlich mit den Jahren ab, aber es ist trotzdem wohltuend.

Auffällig ist aber auch, was im weiteren Verlauf noch ausführlicher thematisiert wird, dass die Herkunft und Biographie Teutrines ja tatsächlich nicht eben dem Klischee eines FDP-Politikers entsprechen. Bekäme man die Geschichte im luftleeren Raum erzählt, würde man sofort auf einen Sozialdemokraten tippen. Das ist, glaube ich, mehr als nur ein statistischer Zufall.

Auf der einen Seite hat die SPD ihre lange Hegemonie in dieser Demografie und für diese spezifische Art von Aufstieg verloren (was mit Sicherheit auch mit der Agenda2010 zu tun hat), andererseits aber haben sich die anderen Parteien geöffnet. Es ist inzwischen möglich, als Muslim*in in der CDU, als soziale*r Aufsteiger*in in der FDP oder als Unternehmer*in bei den Grünen zu sein. Die früheren Klassenschranken, wie sie noch zur Zeit der Honoratiorenparteien bestanden und teils bis in die 2000er Jahre fortlebten (und im Bundestag etwa noch durch Friedrich Merz verkörpert werden, ungeachtet dessen, dass er sich einen populistischen Anstrich zu geben versucht), sind zwar nicht gefallen. Aber sie sind deutlich durchlässiger geworden.

ZEIT ONLINE: Sie haben dann 2020 bei Ihrer Bewerbungsrede für den JuLi-Vorsitz von Ihrer Herkunft erzählt. Ihr Parteivorsitzender Christian Lindner, der ebenfalls Sohn einer alleinerziehenden Mutter ist und mal verraten hat, dass er Sozialwohnungsbau nicht nur aus Budgetplänen kennt, geht mit seiner Herkunft nicht so offensiv um wie Sie. Verändert sich da gerade was bei der FDP?

Teutrine: Wir beschäftigen uns als JuLis und als FDP heute mehr mit sozialem Aufstieg als noch vor ein paar Jahren. Es gibt bei uns in der Partei unzählige solcher Lebenswege, auch deshalb habe ich von meinem erzählt. […]

Hier bestätigt Teurin dann genau diesen Punkt. Ich zitiere das deswegen gesondert, weil das „als noch vor ein paar Jahren“ an dieser Stelle wichtig ist. Es ist eine neue Entwicklung, dass die FDP sich offen als eine mögliche Heimat für diese Art von Lebensweg bewirbt, was letztlich nur unter dem Preis möglich ist, sich ein Stück weit von der alten „Bürgerlichkeit“ zu verabschieden, die sie so lange ausgemacht hat. Gerade Westerwelle dürfte da echt großen Anteil daran haben, einerseits durch den Klamauk 2002, andererseits durch seine relative Jugend und natürlich seine sexuelle Orientierung, die allesamt irgendwie in der FDP eines Genscher oder Scheel noch No-Gos gewesen wären. Der wirklich große Umschwung scheint aber gerade erst zu kommen.

ZEIT ONLINE: Sie haben es dann von der Förderschule über die Gesamtschule an ein Wirtschaftsgymnasium geschafft, dann an die Uni Bielefeld, wo Sie Philosophie und Sozialwissenschaften studieren. Früher hätte man gesagt: typische SPD-Biografie.

Teutrine: Ich bin 2009 in die FDP eingetreten, und zwar wegen ihres Leistungsbegriffs …

Exakt: Typische SPD-Biografie. 2009 ist die Periode, in der die SPD bereits offen mit ihrem Agenda-Erbe haderte und der Streit um Hartz-IV sie komplett auffraß. Es verwundert nicht, dass Leute wie Teutrine sie nicht als den natürlichen Hafen ansahen, der sie früher für diese Biografien einmal gewesen sein dürfte. Ob sich das nun wieder ändern wird und kann, bleibt abzuwarten. Ich bin auf jeden Fall ziemlich zuversichtlich, dass die Grünen dezidiert keine Anlaufstelle dafür sind. Der Wettbewerb zwischen SPD und FDP auf diesem Feld ist daher eine eher ungewohnte Konstellation, die ziemlich spannend ist

ZEIT ONLINE: Das war, als die FDP unter Guido Westerwelle sich gerade ihren Ruf als Besserverdienenden- und Mövenpick-Partei erworben hat. 

Teutrine: Mich hat es wahnsinnig geärgert, wenn Leute in der Schule nicht die Note bekommen haben, die sie verdient haben. Ich finde es einfach ungerecht, wenn nicht alle faire Chancen haben. Dazu kommt eine andere Erfahrung: Als ich auf der Förderschule war, hatte ich teilweise auch motorische Probleme, Schuhe zubinden hat ewig gedauert. Ich war schnell stinkig auf mich, weil ich das nicht geschafft habe. Meine Mutter hat dann immer gesagt: „Komm, wir versuchen es noch mal, du schaffst das.“ Sie hat mich sehr früh zur Selbstständigkeit erzogen, anstatt mich zu übermuttern. Bei der FDP heißt das: Stärken wir den Glauben des Menschen an sich selbst! 

Lenz Jacobsen legt hier den Finger in die Wunde: Teutrine trat im Endeffekt auf dem Höhepunkt des damaligen Hypes in die FDP ein, der dann krachend in den nächsten Jahren in sich zusammenbrach. Seine politische Professionalität zeigt sich übrigens deutlich darin, dass er darauf überhaupt nicht eingeht und stattdessen bei seiner Person bleibt und implizit die Kritik alzeptiert, explizit aber nur erklärt, was sein Begriff von Leistung ist. Und Leistung ist eine Vokabel, ohne die FDP-Parteiwerbung nie auskommen kann.

Die Geschichte, die er dann erzählt, ist weniger klassisch sozialdemokratisch. Denn hier würde eine Institution mit hineinspielen – die Schule, die Gewerkschaft, irgendwelche solidarischen Institutionen. Demgegenüber greift Teutrine eher auf typisch amerikanische Narrative zurück: Halt in der Familie, Zurückgeworfensein auf sich selbst. Sehr effektiv.

ZEIT ONLINE: Bildungspolitik ist eines Ihrer Themen. Was würden Sie anders machen? 

Teutrine: Wir fordern ein Bafög unabhängig vom Elterneinkommen und eine Exzellenzinitiative auch für berufliche Bildung. Dazu einen zweiten Digitalpakt Schule. Während der Pandemie sind nicht nur die digitalen Lernplattformen, die Schulclouds, ständig abgestürzt, es sind eigentlich auch keine echten Schulclouds. Da kann man PDFs hochladen, na, herzlichen Glückwunsch! Eigentlich bräuchte eine Schulcloud eine E-Book-Bibliothek, eine digitale Hausaufgabensprechstunde und eigentlich müsste die Schulcloud so gut sein, dass ich dort die Lernvideos gucke, weil es da die besten gibt und nicht bei YouTube. Ich habe während des Abiturs bei YouTube mehr Mathe gelernt als in der Schule. Schulen könnten außerdem Fremdsprachenapps einsetzen, um den Lernfortschritt der Schüler zu tracken, sie könnten eine Plattform anbieten, auf der Schüler einfach posten können, wenn sie ein Grammatikproblem haben, und dann hilft ihnen ein Lehrer oder ein anderer Schüler. Das ist alles keine Raketenwissenschaft, weder technisch noch organisatorisch. Das geht! Aber wir machen es nicht. Und ich glaube, ein Grund ist der falsch verstandene Stolz beim Bildungsföderalismus. 

ZEIT ONLINE: Würden Sie Schulpolitik zur Bundessache machen?

Teutrine: Wenn ich ganz neu anfangen könnte, würde ich persönlich den Bildungsföderalismus in seiner jetzigen Form wahrscheinlich abschaffen, ja. Es gibt ja zwei grundsätzliche Argumente für Wettbewerb, die aber beim Bildungsföderalismus beide nicht greifen. Das erste ist die größere Auswahl. Ich kann aber nicht einfach von NRW nach Bayern ziehen, wenn mir da die Schulen besser gefallen. Das zweite Argument ist, dass durch Wettbewerb mehr ausprobiert und man voneinander lernen kann, was funktioniert. Ganz ehrlich, das habe ich in zehn Jahren Bildungspolitik nicht erlebt, dass Mal ein Ministerpräsident gesagt hätte: Das funktioniert woanders so gut, dass machen wir jetzt auch.

Jetzt kommen wir in die policy-Debatte. Ich habe eingangs schon erwähnt, dass ich den Spruch mit YouTube für eine misslungene Überschrift halte, einerseits, weil sie mir den Geist von Teutrines Interview nicht einzufangen scheint, andererseits, weil ich es für Quatsch halte. Ich bezweifle nicht, dass er auf YouTube mehr Mathe gelernt hat als in der Schule; die Qualität des Mathe-Unterrichts ist katastrophal, das ist ein gesamtdeutsches Problem. Aber Erklärfilme sind nicht die Lösung.

Grundsätzlich aber bin ich voll auf Teutrines Linie. Der Stand der Digitalisierung im Bildungswesen ist katastrophal, da muss so viel mehr passieren. Und der Bildungsförderalismus ist ein schlechter Scherz, da bin ich ebenfalls voll bei der FDP, die da schon immer der einsame Rufer in der Wüste war. Da würde ich mir deutlich mehr Einfluss der Partei wünschen.

ZEIT ONLINE: Was wäre Ihre Lösung?

Teutrine: Viel mehr Freiheit für die Schulen! Die sollten ihr Angebot stärker selbst bestimmen können. Dann können Eltern und Schüler in größeren Städten tatsächlich wählen, es gäbe echten Wettbewerb. Und die Schulen könnten, auch in ländlichen Regionen, besser auf die Bedürfnisse der Schüler eingehen und die Umstände. Und der Bund sollte für Vergleichbarkeit sorgen und das alles viel stärker finanzieren als bisher. 

Auch hier: unbedingt dabei. Ich glaube zwar nicht wirklich an den Effekt von Wettbewerb im Schulwesen, weil die Kund*innen die Qualität meist erst dann vernünftig abschätzen können, wenn es zu spät ist, und weil die Wechsel zwischen Schulen so ungemein schwierig sind. Wenn noch mehr Freiheit an den Schulen kommt (wofür ich bin!) wird dieser Faktor noch verschärft. Da sich die Profile dann deutlich unterscheiden, wird es sehr schwierig sein, zwischen Schulen vernünftig zu wechseln, vom Effekt des Herausreißens aus der Peer-Group mal abgesehen.

ZEIT ONLINE: In den Koalitionsverhandlungen sind Sie in der Arbeitsgruppe zur Arbeitsmarktpolitik. Was wollen Sie da erreichen? 

Teutrine: Ich setze mich für einen Staat ein, der Aufstieg ermöglicht und Leistung belohnt. Wenn es nach mir geht, sollten Kinder und Jugendliche, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, alles Geld behalten dürfen, das sie verdienen. Nicht nur 170 von 450 Euro, wie es bisher ist. Und ich fände einen Amazon-Warenkorb für Sozialleistungen gut. 

ZEIT ONLINE: Bitte was?

Teutrine: Der Sozialstaat bietet einiges an Sachleistungen an. Aber nur ein Bruchteil davon wird überhaupt abgerufen, weil der bürokratische Aufwand immens ist. Unser Staat ist an vielen Stellen ein Bürokratiemonster. Das kostet viel Geld und zudem findet sich in einem Bürokratielabyrinth niemand zurecht. Warum macht man das also nicht digital, wie bei Amazon? Alle, die berechtigt sind, kriegen einen Zugang und klicken sich dann die Leistungen zusammen, die sie brauchen: Kurse, Förderungen, Hilfe für Klassenfahrten und so weiter. Auf der anderen Seite sitzt dann nur noch jemand vom Amt, der das per Klick freigibt. Vielleicht kann das sogar ein Algorithmus. In der Sozialpolitik redet man schnell darüber, dass immer mehr Geld ausgeben werden soll. Dabei sollten wir viel mehr darüber reden, wie wir unseren Sozialstaat so gestalten, dass das Geld überhaupt zielgenau ankommt.

Auch hier sehen wir wieder den Modernisierungaspekt, den ich bereits in meinem Lagerdenken-Artikel ausgeführt habe. Die FDP hat das Potenzial, hier zusammen mit den Grünen aus den altbackenen Debatten der beiden ehemaligen Volksparteien auszubrechen. Es sind neue Ideen, die in die Debatte kommen, und ich habe bei Teutrine auch nicht das Gefühl, dass seine Reformvorschläge für Arbeitsmarkt und Soziales sofort auf Kürzungen rauslaufen – dieses stupide nach-unten-Treten, das so lange die schwarz-gelbe Haltung hier bestimmt hat.

ZEIT ONLINE: Sie laufen in T-Shirt, bunter Wolljacke und Baggy-Jeans durch den Bundestag. Wollen Sie auffallen? 

Teutrine: (lacht) Das klingt ja als wäre ich zu Hause so ein Philipp-Amthor-Typ und dann verkleide ich mich, wenn ich zur FDP oder in den Bundestag gehe! So ist das nicht, es ist eher andersrum: Politik war mein Hobby, deshalb trage ich dabei auch die Klamotten, die ich in meiner Freizeit trage, wenn ich mit meinen Freunden im Shisha-Café abhänge. 

ZEIT ONLINE: Im Bundestag fallen Sie damit auf. 

Teutrine: Aber in der Fußgängerzone nicht. 

ZEIT ONLINE: Herr Teutrine, woran sollen wir Sie in vier Jahren messen? 

Teutrine: (überlegt lange) Ob ich immer noch mit der gleichen Leidenschaft, mit der gleichen Hingabe Politik mache. Ja, das gefällt mir: Messen Sie mich daran, ob mich der Politikbetrieb in vier Jahren träge und desillusioniert gemacht hat, oder, ob ich noch mit Feuer dabei bin.

Das scheint mir vor allem das Jungpolitiker-Ding zu sein. In zehn Jahren läuft Teutrine bestimmt auch im Anzug rum. Viel mehr habe ich dazu auch nicht zu sagen.

Insgesamt fand ich das Interview sehr aufschlussreich und Hoffnung machend. Hier tut sich was, und es tut sich etwas nach vorne. Ich hoffe, dass Leute wie Teutrine mehr Einfluss in der Partei haben werden, und dass ihre Ideen eine gewisse Priorität in der Partei bekommen.

{ 103 comments… add one }
  • R.A. 1. November 2021, 10:29

    Sehr interessant.

    „Auf der einen Seite hat die SPD ihre lange Hegemonie in dieser Demografie und für diese spezifische Art von Aufstieg verloren (was mit Sicherheit auch mit der Agenda2010 zu tun hat)“
    Ersteres ist richtig. Aber das hat NICHTS mit der Agenda2010 zu tun – im Gegenteil. Die Agenda2010 war der letzte Anlauf der SPD, für Aufsteiger interessant zu bleiben. Inzwischen ist sie völlig von der Agenda abgerückt und für Aufsteiger nicht mehr akzeptabel.
    In der alten SPD hatten Leistung und Aufstieg ihren Platz, das war fast der Markenkern. „Fördern und fordern“ paßte da als Prinzip genau dazu (über Ausgestaltungsdetails kann man streiten).
    Inzwischen kopiert die SPD die „Linken“ und sieht alle Leute unter dem Durchschnittseinkommen als bedauernswerte unschuldige Opfer, die möglichst viel Geld geschenkt bekommen müssen. Die Aufsteiger werden nur noch als Zahlungspflichtige gesehen.

    „Es ist eine neue Entwicklung, dass die FDP sich offen als eine mögliche Heimat für diese Art von Lebensweg bewirbt, was letztlich nur unter dem Preis möglich ist, sich ein Stück weit von der alten „Bürgerlichkeit“ zu verabschieden,“
    So ist das nicht. Die FDP war immer offen für den Aufstieg, das gehört für sie immer auch zur Bürgerlichkeit. Bürgerlichkeit ist für Liberale schon immer eine Sache der Person selber, nicht des Elternhauses (das ist ein wesentlicher Unterschied zur Union).

    Das Neue ist – und deswegen bewirbt die FDP das offensiv – daß die FDP damit ein Alleinstellungsmerkmal hat. Weil die SPD als die andere Aufsteigerpartei sich aus dem Rennen genommen hat.
    Und die FDP bewirbt das offensiv, weil viele junge Leute ihre Lebensgestaltungschancen durch grüne Politik bedroht sehen.

    „die allesamt irgendwie in der FDP eines Genscher oder Scheel noch No-Gos gewesen wären.“
    Überhaupt nicht. Auch in der „alten FDP“ waren Schwule normal und wurden akzeptiert. Nur das öffentliche Outing ist ein neues Phänomen, das kam halt gesamtgesellschaftlich (und damit auch in der FDP) erst in der Zeit von Wowereit und Westerwelle.

    „Der Wettbewerb zwischen SPD und FDP auf diesem Feld ist daher eine eher ungewohnte Konstellation, die ziemlich spannend ist“
    Derzeit gibt es diesen Wettbewerb nicht (deswegen auch keine echte Spannung), weil die SPD nicht ansatzweise daran denkt sich wieder dieser Zielgruppe zu nähern. Ich wüßte keinen SPD-Spitzenpolitiker der in diese Richtung denkt.
    Wohl auch deswegen, weil Aufstieg heute nicht mehr SPD-kompatibel erfolgt (Arbeiterkind wird Ingenieur in einem großen Konzern oder Akademiker im öffentlichen Dienst). Mit Start-Ups kann die SPD nichts anfangen.

    „Da sich die Profile dann deutlich unterscheiden, wird es sehr schwierig sein, zwischen Schulen vernünftig zu wechseln“
    Richtig. Ich halte den Bildungs-Zentralismus der FDP für einen Fehler. Ein Schulsystem der Größe Deutschlands so gleichzuschalten, daß ein Kind zu jedem beliebigem Zeitpunkt von Flensburg nach Passau wechseln kann und dort exakt am selben Stand des Lehrstoffs einsteigen kann – das ist völlig unmöglich.
    Mehr Selbständigkeit der Schulen und deutliches Zurückdrängen der Kultusbürokratie mit ihren inhaltlichen Vorgaben ist richtig. Und das bedeutet, daß die Schulen flexibel mit Schulwechslern umgehen müssen und denen angepaßte Hilfen für den Übergang geben können und müssen.

    • Stefan Sasse 1. November 2021, 11:50

      Die Agenda2010 ist, ob zu Recht oder Unrecht, mit Kürzungen und soziale Abstieg verbunden. Die Chancen für soziales Aufsteigertum mögen durchaus darin angelegt gewesen sein, aber narrativ mit ihr verbunden waren sie ganz sicher nicht, und schon gar nicht mit der Partei SPD zu jener Zeit.

      Es gilt spiegelbildlich dasselbe für die FDP wie für die SPD: in der Substanz mag das durchaus angelegt gewesen sein, aber das war sicher nicht das Image. Die FDP war immer die Partei derer, die es geschafft haben, ganz ohne Zweifel, und genoss auch für die kometenhaften Aufstiege (Tellerwäscher zum Millionär) das Alleinstellungsmerkmal. Aber für den bescheideneren Aufstieg von Armut zu Bürgerlichkeit stand sie nicht. Wenn sich das jetzt ändern sollte, wäre das schon tektonisch.

      Ich denke, du übersiehst hier die Entwicklungen, die die SPD in den letzten zwei, drei Jahren vorgenommen hat.

      Ich denke es gibt keinen Widerspruch zwischen mehr Freiheit für die Schulen einerseits und Bildungszentralismus andererseits. Wichtig ist vor allem die Entmachtung der Länder.

      • Thorsten Haupts 1. November 2021, 12:51

        Wichtig ist vor allem die Entmachtung der Länder.

        Noch ein Zentralist :-). Wenn man den Ländern das einzige grössere Gebiet entzieht, auf dem sie noch eigenständige Kompetenzen haben, Bildungspolitik, bin ich allerdings auch dafür, den regierenden Landräten auch die Mitentscheidung über die Bundesgesetzgebung via Bundesrat zu entziehen. Danach macht die gesamte förderale Struktur Deutschlands keinen Sinn mehr.

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • Stefan Sasse 1. November 2021, 15:46

          Ich sag ja nicht dass alle Bundeskompetenzen aktuell da hingehören 🙂

        • CitizenK 1. November 2021, 19:07

          Macht schon Sinn, kann ja auch nicht abgeschafft werden (GG). Dass Föderalismus besser ist als Zentralismus zeigen die Reformen in Spanien, Frankreich und GB. Gewaltenteilung ist ein weiterer Punkt:
          Diktaturen sind immer zentralistisch.

          Das bedeutet doch aber nicht, dass jedes Bundesland sein Bildungswesen selbst stricken muss – die Folgen sind bekannt. Kleinkarierte Eifersüchteleien sind einfach kontraproduktiv.

          • Stefan Sasse 1. November 2021, 22:12

            Ja, aber leider in Deutschland die Norm 🙁

          • Thorsten Haupts 2. November 2021, 19:34

            Sie nennen mir bei Gelegenheit mal Themen, die am besten auf Länderebene geregelt werden und den Föderalismus wenigstens rechtfertigen, ja?

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • CitizenK 4. November 2021, 19:04

              Im ehemals zentralistischen Frankreich musste für die Genehmigung eines Schwimmbads in Straßburg der Minister aus Paris anreisen. Habe ich damals bei einer Exkursion vom Bürgermeister erfahren, der uns um den Föderalismus beneidet hat.

              Frankreich hat seine aus Paris gesteuerten departements in Regionen aufgehen lassen. Spanien und GB haben ebenfalls den Zentralismus eingeschränkt.

              Im kleineren Maßstab: Bayern braucht keine Küstenschutz-VO und Schleswig-Holstein keinen Lawinenschutz. Verkehrs-Infrastruktur kann regional besser geplant werden, weil man die Gegebenheiten vor Ort kennt.

              Hauptgrund: Horizontale Gewaltenteilung. Die Gleichschaltung der Länder kam sofort nach der Machtergreifung der Nazis. Eine Diktatur kann nicht föderalistisch organisiert sein. Überzeugt?

              • Thorsten Haupts 5. November 2021, 09:04

                Nein :-). Selbstverständlich gibt es Themen, die man besser regional organisiert, aber dafür braucht es keine Länder-Parallelstruktur zum Bund, in der die Länder auch noch bei 75% der Bundesgesetzgebung Vetorechte wahrnehmen, weil sie irgendwie betroffen sind.

                Und das Diktatur-Argument war schon immer Unsinn – sollte eine solche sich in Deutschland etablieren, ist föderale Ordnung des Grundgesetzes vollkommen irrelevant.

                Gruss,
                Thorsten Haupts

                • Stefan Sasse 5. November 2021, 14:01

                  Völlig korrekt. Wer glaubt, das GG schütze uns vor einer Diktatur, dem hab ich nen Palast in Venedig zu verkaufen.

                  • CitizenK 8. November 2021, 09:54

                    Ja, bitte mit eigenem Gondelsteg und direkt am Canal Grande! Hat der Föderalismus nicht die Merkel-Diktatur verhindert? Und ruft nicht der Bayern-Herzog aktuell wieder nach einer MPK?

                    Aber im Ernst: Dem Ermächtigungsgesetz ’33 musste kein Bundesrat zustimmen. Ist zumindest eine zusätzliche Sicherung.

                    • Floor Acita 8. November 2021, 10:06

                      Ich glaube auch, dass der Föderalismus eine Geisteshaltung fördert die eine Diktatur unwahrscheinlicher macht. Ausserdem ja, verzögert er die Implementierung indem er „gleichzeitiges Handeln“ erschwert.

                    • Stefan Sasse 8. November 2021, 10:49

                      Grundsätzlich ja.

                    • Stefan Sasse 8. November 2021, 10:49

                      Wahr. Aber die Bundesratmehrheit hätten die Nazis auch gehabt, weil seit dem „Preußenschlag“ de facto jede bundesstaatliche Autonomie hinfällig war. In dem Moment, in dem die Regierung einfach das Verfassungsrecht ignorieren kann, ist der Text irrelevant.

                • CitizenK 8. November 2021, 09:57

                  War dann die Wieder-Etablierung der Länder ’45 und ’89/90 ein Fehler?

                  • Stefan Sasse 8. November 2021, 10:49

                    Ich bin zwar nicht gefragt, aber nein, war sie nicht.

                  • Thorsten Haupts 9. November 2021, 09:03

                    Allgemein gesprochen nein. Im konkreten deutschn Verfassungskonstrukt ja. Die Folge ist für mich seit 40 Jahren ziemlich offenkundig – Landesregierungen, die für nix verantwortlich sind, aber trotzdem überall ein Mirspracherecht haben. Und die Trennung zwischen Macht und Verantwortung ist ein Grundsatzfehler, umso mehr dann, wenn sie so krass ausfällt.

                    Gruss,
                    Thorsten Haupts

      • R.A. 1. November 2021, 15:32

        „Die Agenda2010 ist, ob zu Recht oder Unrecht, mit Kürzungen und soziale Abstieg verbunden.“
        Das ist inzwischen das allgemeine Narrativ. Aber das sich das durchsetzte hat eine Weile gedauert – am Anfang haben nur die „Linken“ das so erzählt. Erst später hat sich das über die SPD-Linken auch in der Partei durchgesetzt (und bei den meisten Medien).
        Anfangs war das Narrativ auch in der SPD mehrheitlich eines mit Reform und Förderung. Und zwar genau in dem Sinne, wie das die klassischen SPD-Aufsteiger verstanden haben.

        „Aber für den bescheideneren Aufstieg von Armut zu Bürgerlichkeit stand sie nicht.“
        Wahrscheinlich nicht in der Sicht ihrer Gegner – aber genau solche Aufstiege gehörten auch damals zur vielen FDP-Biographien. Das war bloß nicht so sichtbar, weil die SPD die dominantere Aufstiegspartei war. Bei diesem Aspekt hat sich in der FDP die letzten Jahrzehnte fast nichts geändert.

        „Ich denke es gibt keinen Widerspruch zwischen mehr Freiheit für die Schulen einerseits und Bildungszentralismus andererseits. Wichtig ist vor allem die Entmachtung der Länder.“
        Bildungszentralismus bringt immer weniger Freiheit für die unteren Ebenen. Ohne nennenswerten Zugewinn. Die Länder nehmen sich derzeit zu viel Macht auf Kosten der Schulen. Aber alles was oberhalb der Schule geregelt und vereinbart werden muß, kann sinnvoll nur auf Länderebene geschehen.

        • Stefan Sasse 1. November 2021, 15:54

          Durchaus richtig. Aber es ist unbestritten, dass es das Narrativ ist, und dass es das ist erklärt, warum die SPD nicht profitiert.

          Möglich, aber da müsste ich Empirie sehen.

          Ich glaube wir haben den Dissens mehr bei den Formulierungen als bei den konkreten Forderungen. So was wie zentralere Abis oder so hast du vermutlich auch nichts dagegen oder?

          • R.A. 1. November 2021, 16:46

            Eigentlich kann ich mir kein deutschlandweit zentral organisiertes Abi vorstellen.

            Letztlich ist ein Abi nur eine Hochschulzugangsberechtigung. Insofern sollte es wohl (analog den Bologna-Bestimmungen für Studien-Abschlüsse) eine EU-weite Definition geben, was man mindestens nachweisen muß um an einer EU-Hochschule zugelassen werden zu können. Was aber nur ein Minimum darstellt, viele Hochschulen werden zusätzliche Anforderungen stellen.

            Es wäre auch sinnvoll, wenn ein Abi konkrete Angaben über Skills macht, bei denen es anerkannte Standards gibt. D.h. mich interessiert nicht, ob ein Kandidat im Leistungsfach Englisch eine 9 Punkte oder im Grundkurs 12 Punkte hatte.
            Sondern ich will wissen wie gut er Englisch gemessen nach TOEFL oder Cambridge kann.
            Für die Fremdsprachen gibt es solche Standards, für andere Fächer nicht. Da sollen halt die Schulen selber entscheiden wie sie bewerten.

            Letztlich wird die Vergleichbarkeit von Noten und Abschlüssen völlig überschätzt (und viel zu viel bürokratischer Aufwand reingesteckt, eine solche vermeintlich zu erhalten).

            Ich habe einige Jahre Einstellungen gemacht, und da kamen die Bewerber aus allen möglichen Weltgegenden. Da habe ich Schul- und Hochschulzeugnisse aller Art gesehen, viele davon weitgehend unverständlich wenn es um die Einschätzung der Bewertungen geht.
            Mein Favorit war das Zeugnis mit „hat drei von sieben Prüfungsfächern bestanden“. Klang schlecht. War aber überragend, weil eigentlich nur ein Fach notwendig war.

            Am Ende schaut man nur, wieviel Zeit der Kandidat sich mit welchen Themen und Fächern beschäftigt hat. Und dann zeigt das Gespräch, was die Papierform praktisch bedeutet.

            • Stefan Sasse 1. November 2021, 16:54

              Hey, wenn es nach mir geht, wird der Blödsinn komplett abgeschafft. Aber „Vergleichbarkeit“ von Abi ist aktuell ein schlechter Scherz. Ich würde es bevorzugen, dass es grobe Richtlinien zentral gibt für ganz Deutschland und die Schulen dann eigenständig die konkrete Ausgestaltung in der Hand haben.

            • Erwin Gabriel 1. November 2021, 19:03

              @ R.A. 1. November 2021, 16:46

              Am Ende schaut man nur, wieviel Zeit der Kandidat sich mit welchen Themen und Fächern beschäftigt hat. Und dann zeigt das Gespräch, was die Papierform praktisch bedeutet.

              Ganz genau – so sollte es jeder halten, der mit den Leuten zusammenarbeiten muss, die er/sie einstellt.

              Es gibt in einigen Unternehmen oder Behörden andere Verfahren, aber die funktionieren nicht wirklich. Da regiert dann der Zufall.

  • Erwin Gabriel 1. November 2021, 10:37

    @ STEFAN SASSE on 1. NOVEMBER 2021

    Vorab: Spannendes Thema, danke.

    … (was mit Sicherheit auch mit der Agenda2010 zu tun hat).

    Bis zu diesem ideologisch geprägten Satz war das ein echt schön geschriebener Beitrag, den ich voller Interesse las. Und dann sinngemäß das: „Weil die SPD die Agenda 2010 gemacht hat, gehen Jungwähler aus dem Arbeiter-Milieu heute in die FDP“. Wohl eher nicht.

    Jens Teutrine ist in die SPD gegangen, weil ihn die Idee, sich auf die eigenen Beine zu stellen, aus eigenen Kräften zu laufen, stärker angesprochen hat als die Gleichmacherei (die ja nie nur Förderung der Schwachen, sondern immer auch Deckelung der Guten ist).

    Gerade Westerwelle dürfte da echt großen Anteil daran haben, …

    Westerwelle ist unter der heutigen Jugend nicht bekannt (Teutrine ist da wohl eher die Ausnahme); es dürfte eher Christian Lindner sein, der den neuen Ton traf und durch den Wiedereinzug in die Parlamente Impulse setzte.

    Und der Bildungsförderalismus ist ein schlechter Scherz, da bin ich ebenfalls voll bei der FDP, die da schon immer der einsame Rufer in der Wüste war.

    Zustimmung zu allen drei Aussagen (schlechter Scherz / FDP / warst Du in der Tat schon immer).

    Teutrine: Ich setze mich für einen Staat ein, der Aufstieg ermöglicht und Leistung belohnt.

    sic! Volle Zustimmung!!!

    Insgesamt fand ich das Interview sehr aufschlussreich und Hoffnung machend. Hier tut sich was, und es tut sich etwas nach vorne. Ich hoffe, dass Leute wie Teurine mehr Einfluss in der Partei haben werden, und dass ihre Ideen eine gewisse Priorität in der Partei bekommen.

    Auch hier: Volle Zustimmung.

    Seit langem der beste Beitrag hier im Blog (in dem Sinne, dass ich mich nicht nur unterhalten fühle, sondern dass es auch mal ein positiver Ausblick ist). Ich wünsche mir ja auch schon länger, dass die alten Garden aus CDU und SPD abtreten und nicht allzu sehr im Weg herumstehen, wenn die Jungen ihre Welt retten bzw. so anpassen wollen, wie sie es für angebracht halten.

    Also vielen Dank!

    PS
    Eine persönliche Bitte: Du hackst immer sehr auf Hartz IV herum. Mach Dir mal Gedanken, warum diese Maßnahmen eingeführt wurden. War, mag sein, etwas vor Deiner Zeit; es waren aber aus der damaligen Situation unbedingt erforderliche Maßnahmen, um dem damaligen „kranken Mann Europas“ wieder auf die beine zu helfen.

    • CitizenK 1. November 2021, 11:25

      Ob die Agenda 2010 der entscheidende Faktor für die Überwindung der damaligen Krise war, ist durchaus umstritten. Problematisch war ja vor allem das „Wie“. Weil das Thema immer wieder hochkommt: Eine fundierte Diskussion aus der Retroperspektive wäre mMn lohnend.

      • Stefan Sasse 1. November 2021, 11:54

        Über Hartz-IV?

      • Thorsten Haupts 1. November 2021, 12:56

        Ob die Agenda 2010 der entscheidende Faktor für die Überwindung der damaligen Krise war, ist durchaus umstritten.

        In puncto Arbeitslosigkeit im wesentlichen dadurch, dass sie den Druck zur Arbeitsaufnahme erhöhte. Die Voraussetzungen für mehr Arbeitskräftebedarf hat die deutsche Wirtschaft praktisch ohne Zutun der Politik selbst geschaffen, durch ein an der Öffentlichkeit spurenlos vorbeigegangenes Modernisierungsjahrzehnt seit Mitte der neunziger. Eine selten anerkannte Leistung insbesondere der deutschen KMU im internationalen Wettbewerb.

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • Stefan Sasse 1. November 2021, 15:47

          KMU ist glaube ich echt der unbesungene Held des deutschen Sozialstaats.

      • Erwin Gabriel 1. November 2021, 13:39

        @ CitizenK 1. November 2021, 11:25

        Ob die Agenda 2010 der entscheidende Faktor für die Überwindung der damaligen Krise war, ist durchaus umstritten.

        Nicht der einzige, sicherlich. Ich hoffe, wir können uns auf einen entscheidenden Faktor einigen.

        Problematisch war ja vor allem das „Wie“.

        Durch Hartz IV“ sind die Sozialausgaben spürbar angestiegen, was gerne vergessen wird. Natürlich gab es Verlierer, es gab Gewinner. Die Gewinner haben brav die Klappe gehalten, die Verlierer jaulten auf, und so festigte sich der Ruf, dass die Hartz-Reformen sozial ungerecht seien.

        Inzwischen hat man für die Leute, die durch die Reformen in mehr Eigeninitiative gedrängt wurden bzw. die „weniger“ bekamen, die alten zustände praktisch wieder hergestellt, allerdings ohne die Ausgaben, die an anderer Stelle ausgeweitet wurden, wieder zurückzudrehen. Und immer noch wird gefordert, gefordert, gefordert.

        Deswegen halte ich diese ganze Sozialdebatte für mehr als scheinheilig. Die Küken sitzen im Nest und reißen alle die Schnäbel auf, wenn die Mutter kommt, und alle fühlen sich benachteiligt, wenn die Fuhre dieses Mal in einen anderen Schlund geht. Und selbst wenn man der Glückliche war, reißt man das nächste Mal den Schnabel wieder auf, als wäre nichts gewesen.

        Deswegen liege ich mit Dir immer über Kreuz, wenn Du nach einzelnen Maßnahmen fragst, die abgeschafft gehören. Ein jeder diskutiert und begründet aus seiner Sicht, was er hier oder dort möchte. Keiner diskutiert darüber, welche Ziele erreicht werden sollen, was der Staat zu leisten imstande ist, wie man unverzichtbare Leistungen dauerhaft sicher machen kann etc. Solange Politiker sich mächtig fühlen, weil sie die Milliarden anderer verschenken, solange wird sich nichts daran ändern.

        • Stefan Sasse 1. November 2021, 15:51

          Die Dynamik die du ansprichst ist völlig korrekt. H4 hatte Gewinner ganz unten, für die sich üblicherweise keiner interessiert, während die Verlierer halt eher die Mittelschicht war, für die sich sehr interessiert wird. Von daher: jupp.

          • Stefan Pietsch 1. November 2021, 17:05

            Hartz-IV hat Langzeitarbeitslose mit höheren Arbeitslosenhilfe-Bezügen getroffen. Hartz-IV hat aber auch dafür gesorgt, die Langzeitarbeitslosigkeit zu reduzieren, die wesentlich für Statusverlust und Einkommensungleichheit ist. Den Erwerbslosen wurde bewusst, dass mit dem Zuwarten auf eine bessere Beschäftigung ihre Chancen am Arbeitsmarkt eher sinken.

      • Stefan Pietsch 1. November 2021, 17:25

        Ob die Agenda 2010 der entscheidende Faktor für die Überwindung der damaligen Krise war, ist durchaus umstritten.

        Dazu hat das ifo-Institut gut zusammengefasst:
        Mehrere wissenschaftliche Studien haben sich seither mit der Frage des Beitrags der Reformen zum Rückgang der Arbeitslosigkeit auseinandergesetzt. Manche der Studien finden, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit, der durch die Hartz-IV-Reform verursacht wurde, klein war, während andere finden, dass die Hartz-IV-Reform die Triebkraft hinter dem deutschen Arbeitsmarktwunder war.

        Auf Grundlage eines modernen Arbeitsmarktmodells untersuchen Hartung et al. (2018) die Auswirkungen der Hartz-IV-Reform auf die Arbeitslosenquote. Sie berücksichtigen dabei alle der oben angesprochenen Anreizeffekte: Anreize zur Arbeitssuche der aktuell Arbeitslosen, Anreize für Arbeitgeber, neue Stellen zu schaffen, und die Anreize der Beschäftigten, in Lohnverhandlungen mit Arbeitgebern einen Ausgleich zwischen höheren Löhnen und Arbeitsplatzsicherheit zu suchen.

        Der erste Anreizeffekt der Arbeitslosenversicherung auf die Suchanreize der Arbeitslosen ist vermutlich eines der am besten erforschten Themen der Arbeitsmarktforschung, und es besteht wenig Zweifel daran, dass ein mehr an Versicherung zu längerer Arbeitslosigkeit führt. Quantitativ sind die Effekte allerdings überschaubar. Schätzungen für Deutschland (vgl. Schmieder et al. 2012) finden, dass im Durchschnitt eine Verlängerung der Bezugsdauer von zwölf auf 18 Monate zu einer Verlängerung der Arbeitslosigkeit um rund drei Wochen führen würde.

        Die beiden anderen Anreizeffekte auf Arbeitgeber und Beschäftigte sind dagegen weit weniger gut erforscht. Während die Idee hinter den Effekten intuitiv ist, ist ihre Quantifizierung weitaus schwieriger. Die Idee hinter dem Anreizeffekt für Arbeitgeber ist, dass eine Senkung der Arbeitslosenunterstützung die Nachfrage nach Arbeit durch die Schaffung neuer Stellen erhöht, da Arbeitnehmer bereit sind, auch schlechter bezahlte Stellen anzunehmen, so dass die Löhne sinken und die Nachfrage nach Arbeit steigt. Der Anreizeffekt auf die Beschäftigten erscheint genauso intuitiv wie der auf die Arbeitgeber. Wenn die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sinken, werden Arbeitnehmer versuchen zu verhindern, arbeitslos zu werden. Sie sind bereit, auf Lohnzuwachs zu Gunsten von Arbeitsplatzgarantien zu verzichten. Während die Idee im Rahmen eines theoretischen Modells abstrakt erscheint, beobachten wir sie konkret in der Arbeitsmarktrealität in Form von betrieblichen Bündnissen für Arbeit.

        Um die Frage nach den Folgen der Hartz-IV-Reform für die Entwicklung der Arbeitslosigkeit zu quantifizieren, nutzen Hartung et al. (2018) einen Datensatz mit Millionen von individuellen Erwerbsverläufen der Bundesagentur für Arbeit, um damit mit Hilfe des theoretischen Modells die Größenordnung der Auswirkungen der Anreizeffekte zu bestimmen. Die Analyse zeigt, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit in Deutschland vor allem auf einen Anstieg der Arbeitsplatzsicherheit bzw. einen Rückgang der Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden, zurückzuführen ist. Dieser bisher weitestgehend unerforschte Anreizeffekt auf die Beschäftigten ist der zentrale Effekte zur Erklärung des deutschen Arbeitsmarktwunders. Die Analyse von Hartung et al. (2018) kommt zu dem Schluss, dass die Hartz-IV-Reform ursächlich für einen Rückgang der Arbeitslosenquote im Jahrzehnt nach den Reformen war und darüber hinaus auch den sehr geringen Anstieg der deutschen Arbeitslosenquote während der Finanzkrise erklären kann, während anderswo in Europa und den USA die Finanzkrise eine der größten Arbeitsmarktkrisen der letzten Jahrzehnte nach sich zog.

        Legt man diese Schätzung zu den Auswirkungen der Hartz-Reformen zugrunde, so sind die fiskalischen Gewinne aus der Reform groß. Allein die Ausgaben der Arbeitslosenversicherung sind von 56,5 Mrd. Euro im Jahr 2002 auf 32,8 Mrd. Euro im Jahr 2014 (ohne Berücksichtigung der Inflation) zurückgegangen. Eine direkte Konsequenz daraus war, dass seit 2005 die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 6,5% auf 2,5% im Jahr 2019 gesenkt werden konnten. Hinzu kamen höhere Steuereinnahmen und höhere Beiträge zu den Sozialversicherungssystemen der Rente und der Krankenversicherung, so dass diese Zahlen nur eine untere Grenze abschätzen.
        https://www.ifo.de/DocDL/sd-2019-06-jung-kuhn-etal-hartz-iv-2019-2019.03.21.pdf

    • Stefan Sasse 1. November 2021, 11:53

      Du missverstehst meine Absicht. Ich wollte nicht auf Hartz-IV rumhacken, sondern habe politische Narrative und Wahrnehmungen beschrieben. Die Substanz ist dafür ziemlich egal. Ich habe es in meiner Antwort an R.A. ausführlicherer erklärt.

      Dass Westerwelle heute nicht bekannt ist steht außer Frage; meine These ist eher, dass er die Honoratiorenpartei gekillt und damit die Chancen für einen Lindner überhaupt geschafft hat. Die heutige FDP ist klar Lindners Verdienst, aber er steht auf Westerwelles Schultern.

      Bester Beitrag im Sinne von du stimmst zu?

      PS: Wie gesagt, ich wollte nicht auf H4 rumhacken.

      • Erwin Gabriel 1. November 2021, 13:23

        @ Stefan Sasse 1. November 2021, 11:53

        Du missverstehst meine Absicht. Ich wollte nicht auf Hartz-IV rumhacken, sondern habe politische Narrative und Wahrnehmungen beschrieben.

        Ist mir schon klar, dass Du das wolltest. Aber die politischen Narrative und Wahrnehmungen, die Du jedes Mal betonst, galten und gelten nur für einen Teil der Bevölkerung, und sind nicht für alle gleich. Ist auf der einen Seite verständlich, da Du eher aus der linken Richtung schaust, aber eben deshalb nicht automatisch richtig.

        Dass Westerwelle heute nicht bekannt ist steht außer Frage; meine These ist eher, dass er die Honoratiorenpartei gekillt und damit die Chancen für einen Lindner überhaupt geschafft hat. Die heutige FDP ist klar Lindners Verdienst, aber er steht auf Westerwelles Schultern.

        Bestenfalls mit einem Bein 🙂

        Ich verstehe den Punkt, mag aber nur eingeschränkt folgen. Zum einen ging es nach Westerwelles „lockeren“ Anfängen deutlich seriöser weiter. Und selbst wenn Westerwelle die Partei durchaus ein Stück weit geöffnet und verändert hat, galt die FDP zu seiner Zeit trotzdem als reine Wirtschaftspartei („Mövenpick-Steuer“).

        Christian Lindner hat gleich an mehreren Stellschrauben gedreht: Zwangsläufig hat er die Partei deutlich stärker in Richtung Jugend gedreht (schließlich war er erst 34 Jahre alt, als er den Parteivorsitz übernahm, und wollte nicht von Honoratioren gesteuert werden). Dann hat er sich nicht erst seit diesem Wahlkampf auf Themen wie Bildung und Digitalisierung. konzentriert.

        Darüber hinaus hat er die FDP von der Wirtschafts- zur Unternehmer-Partei gewandelt. Ich habe in den letzten beiden Wahlkämpfen keinen anderen Politiker gehört, der derart kompetent und begründet gegen die Bevorzugung der Großindustrie argumentiert hat. Seine Zielgruppe sind stärker denn je Selbstständige und Unternehmer, was in Start-up-Zeiten bei vielen potentiellen (und jungen) Gründern gut ankommt.

        Er hat in der Corona-Krise auch nicht wie andere Parteien alle Maßnahmen pauschal durchgewunken, sondern immer darauf hingewiesen, dass diese im Einklang mit dem Grundgesetz stehen müssen – sicherlich ein stückweit populistisch, aber stets gut begründet, nie dumpf.

        Ich mag vorbelastet sein, da ich ihn persönlich bei einer Podiumsdiskussion (u.a. mit Andrea Nahles und Hermann Gröhe) kennenlernte, als er noch Generalsekretär war. Schon da hat er durch kluge Argumente und Sachlichkeit geglänzt, während die anderen beiden das aus Talkshows bekannte populistische Polittheater aus Worthülsen abzogen. Aber bei ihm ist halt so viel Eigenes dabei, dass man seine Erfolge nicht seinen Vorgängern zuschreiben muss.

        Bester Beitrag im Sinne von „Du stimmst zu“?

        Bester Beitrag von „nicht alles Scheiße, es geht voran“.

        Ich bin ( da diskutieren wir hier ja schon seit Jahren drüber) total genervt, was hier in Deutschland alles nicht passiert ist, während andere voranschreiten. Dass es uns noch vergleichsweise gut geht, liegt deutlich stärker an der Wirtschaft als an den letzten Regierungen. Jetzt zu sehen, dass neue Gesichter und Ideen in den Bundestag einziehen (statt solcher ausgestanzten, hohler Keksköppe wie Philip Amthor), gibt mir etwas Hoffnung.

        PS: Wie gesagt, ich wollte nicht auf H4 rumhacken.

        Du tust es halt immer. 🙂

        Ich bin ja bei Dir, wenn Du sagst, dass nicht alles gut ist daran. Ist aber auch nicht alles schlecht (selbst wenn es einen weiteren Ausgabensprung im sozialen Bereich bedeutete). Und die Idee, dass man sich erst mal selbst bemühen muss, ehe man sich der Gesellschaft auf die Tasche legt, ist ja nicht grundsätzlich falsch.

        • Stefan Sasse 1. November 2021, 15:50

          Ok, das sehe ich gerne. Aber wir debattieren ja, warum die SPD für ihre Wählendenschaft nicht mehr attraktiv ist, das ist ja per Definiton für linkere Wählendenschaften interessant.

          Meine Westerwelle-Deutung basiert vor allem auf Stefan Pietschs engagierten Verteidigungen.

          Och, ich schreib schon auch andere „es geht voran“-Beiträge, nur magst du da die richtung weniger – Stichwort Gendern 😉

          Call me out for it. 🙂 Solange du damit lebst dass ich dich fürs auf Gendern rumhacken kritisiere 😉

          • Stefan Pietsch 1. November 2021, 17:08

            Meine Westerwelle-Deutung basiert vor allem auf Stefan Pietschs engagierten Verteidigungen.

            Dann ist es auch richtig und zutreffend. 😉

            Die heute Mitte 30 / Anfang 50jährigen wurden maßgeblich von Westerwelle in die Partei gezogen, nicht Christian Lindner. Nach 2013 erlebte die FDP ja einen deutlichen Mitgliederabfluss und auch aktive Politiker verließen die Liberalen. Erst vor 6 Jahren drehte sich das. Wer damals also Abiturient oder Student war, ist heute Mitte bis Ende Zwanzig. Das sind die Lindner-Parteigänger.

          • Erwin Gabriel 1. November 2021, 19:22

            @ Stefan Sasse 1. November 2021, 15:50

            Aber wir debattieren ja, warum die SPD für ihre Wählendenschaft nicht mehr attraktiv ist …

            Ich dachte, es ging um Veränderungen bei den Liberalen, bzw. allgemeiner im Parlament.

            Meine Westerwelle-Deutung basiert vor allem auf Stefan Pietschs engagierten Verteidigungen.

            Westerwelle ist sicherlich unterschätzt, aber das aktuelle Gesicht der FDP ist schon sehr stark durch Lindner geprägt. Auch wenn Westerwelle nicht Lindners direkter Vorgänger gewesen wäre (Philip Rösler zählt irgendwie nicht) sondern Möllemann oder Gerhard, würde die FDP nach acht Jahren Christian Lindner ähnlich aussehen wie jetzt.

            Och, ich schreib schon auch andere „es geht voran“-Beiträge, nur magst du da die Richtung weniger – Stichwort Gendern 🙂

            Och, falsches Beispiel – da bringst Du verschiedene Sachen durcheinander. Zum einen habe ich nichts gegen Gendern, solange sich jemand aus freien Stücken dazu entscheidet (gelegentlich, wenn es passt, mache ich das ja selbst, auch hier – ist Dir wahrscheinlich mehrfach entgangen). Problematisch wird es für mich, wenn es von oben aufgezwungen wird, wenn Bachelor- oder Master-Arbeiten deswegen zurückgewiesen werden, wenn Menschen benachteiligt und verunglimpft werden, die sich damit schwertun oder es aus grundsätzlichen Erwägungen heraus ablehnen. Da stört mich nicht das Gendern per se, sondern der allzu oft nölige, selbstgerechte, moralisierende Zwang. So etwas ist nie gut für eine Gesellschaft.

            Ist ganz etwas anders als ein Vertreter der Jugend, der sich über Chancenungleichheiten echauffiert und versucht, aktiv dagegen vorzugehen.

            Solange du damit lebst, dass ich dich fürs auf Gendern rumhacken kritisiere …

            Da werde ich aus den genannten Gründen an Dir deutlich mehr herumzuhacken haben als Du an mir 🙂

            • Stefan Sasse 1. November 2021, 22:14

              Bei der Agenda-Debatte, nicht im Artikel.

              Vermutlich, ja.

              Es schreibt doch auch niemand vor. Und das mit den Bachelor-/Masterarbeiten ist und bleibt ein Mythos; an keiner Uni gibt es entsprechende Regeln, und sie wären vermutlich auch rechtlich nicht durchsetzbar. Ich zweifle nicht, dass einzelne Dozent*innen das mal gemacht haben, aber es ist definitiv keine Regel und auch kein Trend.

              Sicher 🙂

              • Erwin Gabriel 2. November 2021, 09:14

                @ Stefan Sasse 1. November 2021, 22:14

                Bei der Agenda-Debatte, nicht im Artikel.

                OK

                Es schreibt doch auch niemand vor.

                Sicher 🙂

              • Thorsten Haupts 2. November 2021, 19:40

                Noch schreibt es offiziell keine Fakultät vor. Nach einem kurzen Blick in die USA ( wegen der Zeiträume für die Verbreitung der neuen Kultinhalte) gebe ich Deutschland noch 3 Jahr.

                Gruss,
                Thorsten Haupts

                • Stefan Sasse 3. November 2021, 18:33

                  Wir reden dann wieder drüber, ok?

                  • Thorsten Haupts 3. November 2021, 20:49

                    Dieses Thema wurde nicht und nebenbei noch nie von mir aufgebracht :-).

                    Gruss,
                    Thorsten Haupts

      • R.A. 1. November 2021, 15:46

        „meine These ist eher, dass er die Honoratiorenpartei gekillt und damit die Chancen für einen Lindner überhaupt geschafft hat.“
        Du hast recht, daß Westerwelle in vielen Punkten die Basis für Lindner geschaffen hat. Aber das war NICHT die Abkehr von der Honoratiorenpartei – die war schon zur Zeit der Freiburger Thesen weitgehend tot (außer in manchen ländlichen Gegenden BaWüs).

        Der wesentliche Beitrag Westerwelles war nicht auf die Parteistruktur bezogen, sondern inhaltlich. Die FDP hatte bis dahin eine auf pragmatische Weiterentwicklung der bundesrepublikanischen Gewohnheiten ausgerichtete Programmatik. Im Zweifelsfall hat immer etwas weniger Staat als bei der Konkurrenz, aber eigentlich voll kompatibel zu SPD und Union.
        Zu Westerwelles Zeiten wurden in der Partei und ihren Vorfeldorganisationen plötzlich wieder die liberalen Grundlagen (Hayek et al.) gelesen und diskutiert. Das hatte vorher Jahrzehnte lang keiner gemacht. Westerwelle hat diese Entwicklung nicht gestartet, aber sie lief eben zu seiner Zeit und er hat sie gefördert.

        Von außen wurde die neu propagierte liberale Eigenständigkeit nur als Kanzlerkandidatur und Verzicht auf Koalitionsaussage wahrgenommen. Aber parteiintern ist seitdem Konsens, daß der Liberalismus eine völlig eigenständige politische Grundausrichtung ist und „sozialliberal“ oder „wirtschaftsliberal“ nur tagespolitische Etiketten ohne inhaltliche Fundierung sind.
        Wenn Lindner heute nicht von „Wirtschaft“ spricht, sondern von Unternehmern – dann ist das Folge dieser inhaltlichen Neuorientierung.

        • Erwin Gabriel 1. November 2021, 19:25

          @ R.A. 1. November 2021, 15:46

          Zu Westerwelles Zeiten wurden in der Partei und ihren Vorfeldorganisationen plötzlich wieder die liberalen Grundlagen (Hayek et al.) gelesen und diskutiert. Das hatte vorher Jahrzehnte lang keiner gemacht. Westerwelle hat diese Entwicklung nicht gestartet, aber sie lief eben zu seiner Zeit und er hat sie gefördert.

          Wenn Lindner heute nicht von „Wirtschaft“ spricht, sondern von Unternehmern – dann ist das Folge dieser inhaltlichen Neuorientierung.

          Das hatte ich so nicht betrachtet (bzw. schon wieder vergessen), aber es scheint mir schlüssig zu sein.

          Danke für die Ergänzung.

  • CitizenK 1. November 2021, 11:15

    Vielen Dank für den Beitrag auch von mir. Sehr interessant. Ein punktuelles Vorurteil weniger. In vielen Punkten stimme ich zu, auch zu Deinen Anmerkungen.
    Leider gibt es keine Aussagen zu den zentralen Positionen bei der Regierungsbildung.

  • Thorsten Haupts 1. November 2021, 13:01

    Halt in der Familie, Zurückgeworfensein auf sich selbst.

    Ja. Davon gibt´s bei jüngeren Leuten nach meiner Lebenbserfahrung so einige, in der „liberalen“ Medienblase dagegen keine. Erklärt, warum viele von dem Erfolg der FDP bei U 30 so überrascht waren – diese Leute haben in ZEIT, SPIEGEL oder ÖRR überhaupt keine Vertretung, in der Öffentlichkeit existieren sie nicht.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Erwin Gabriel 1. November 2021, 13:41

      @ Thorsten Haupts 1. November 2021, 13:01

      … in der „liberalen“ Medienblase dagegen keine. Erklärt, warum viele von dem Erfolg der FDP bei U 30 so überrascht waren – diese Leute haben in ZEIT, SPIEGEL oder ÖRR überhaupt keine Vertretung, in der Öffentlichkeit existieren sie nicht.

      Guter Punkt.

      Gruss,
      E.G.

  • Thorsten Haupts 1. November 2021, 14:47

    Danke. Aber ich glaube deshalb auch, dass Sie in einem Punkt irren, verehrter herr Gabriel – die Gesellschaft von einem selbstverantwortlichen Individuum her denken ist auf der Müllhalde der veröffentlichten Meinung gerade schwer auf dem Rückzug, mitnichten aber in der Gesellschaft :-). Auch viele junge Leute begreifen sehr wohl, welche beleidigung es für sie darstellt, sie nur als Opfer der Verhältnisse und der bösen X (was X auch gerade sein mag) zu betrachten. Und welch eingebildete Herablassung. Da bin ich gar nicht so pessimistisch. Vor allem, weil sich „links“ kurzfristig unwiderruflich auf diesen offenen Paternalismus für Dummies festgelegt hat.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Erwin Gabriel 1. November 2021, 19:34

      Thorsten Haupts 1. November 2021, 14:47

      … die Gesellschaft von einem selbstverantwortlichen Individuum her denken ist auf der Müllhalde der veröffentlichten Meinung gerade schwer auf dem Rückzug, mitnichten aber in der Gesellschaft 🙂 . Auch viele junge Leute begreifen sehr wohl, welche Beleidigung es für sie darstellt, sie nur als Opfer der Verhältnisse … zu betrachten. Und welch eingebildete Herablassung.

      Ich stimme zu und sehe Ähnliches, durchaus. Auch die Trennung zwischen Gesellschaft und öffentlicher veröffentlichter Meinung kann ich nachvollziehen. Ich schaue schon lange keinen „Tatort“ mehr, weil da allzu oft zwar ein Täter gesucht, aber auch entschuldigt wird, wenn er aus bestimmten Gesellschaftsschichten kommt.

      Ich sehe auch in der aktuellen Jugend viele gute Entwicklungen. Ich habe immer wieder mit Start-ups zu tun und mit Gründern, die meine Enkel sein könnten. Spannend, mit welcher Denke und mit welchem Verständnis für die eigenen Leistungen die in Gespräche gehen.

      Freut mich trotzdem besonders, wenn das hier mal ein Thema ist.

  • Jens Happel 1. November 2021, 15:01

    Nach meiner persönlichen Einschätzung ist der Unterschied der Jungwähler die zur FDP gewechselt sind und den anderen Jungwählern, das bei den FDP Jungwählern die Mehrheit Parteiprogramme gelesen oder zumindest die sie intersierenden Passagen gelesen haben.

    Gruß Jens

    • Stefan Sasse 1. November 2021, 15:52

      Wer liest schon Parteiprogramme?

      • Erwin Gabriel 2. November 2021, 09:16

        @ Stefan Sasse 1. November 2021, 15:52

        Wer liest schon Parteiprogramme?

        Ich. Da hole ich mir immer Munition…
        Du nicht? 🙂

  • Juri Nello 1. November 2021, 17:50

    Wir erinnern uns and die großen Erfolge der Bildungspolitik unter Kohl (CDU/FDP). Der arme Junge wird wohl sehr desillusioniert werden.

    Immerhin kann er jetzt mehr Geld für Vorträge verlangen. Das ist auch nötig. Bielefeld ist die einzige Universitätsstadt ohne Studentenkneipe. Dementsprechend waren und sind die Preise dort.

    Parteien sind angetreten um zu verwalten. Veränderungen stehen da nur an, wenn sie von außen angestoßen werden, siehe Thunberg.

    Eine Reform des Parteiensystems ist nicht in Sicht.

    Was bleibt, ist das Herumdoktoren an Symptomen, aber auch das dürfte Dank Corona ziemlich flach fallen.

    Herr Teutrine wird später mal den Sinn beerben und den Leuten erklären, dass alles, was gut für den Arbeitgeber auch gut für den Arbeitnehmer ist. Freilich dann im Anzug.

    Soweit so langweilig.

    Mehr wird auch nicht. Da kann man sich ganz sicher sein, egal, wie die Gazetten noch irgendwelche Personen hochstilisieren.

    Das Erste, was die neue Koalition darf, ist sich in Mangelverwaltung zu üben. Da kommen die aus dem DDR-Modus auch nicht raus. 😀

    Das wird ein großer Spaß werden. Gerade die letzten Dekaden haben gezeigt, wie wichtig Schulbildung etc. dem Staat sind. Das Kriegsbudget dürfte besser ausfallen. Schließlich will man jetzt selber Drohnenmorden.

    Reform ? Etwa noch zu Gunsten der Bürger oder für hehre Ziele? Ja, klar 2102 machen wir das. Versprochen!

    Vgl.: https://www.dasding.de/update/fdp-deutschrap-junge-waehler-100.html

    Vielleicht gibt es dann bei nächsten Feier im Bundestag Haftbefehl zu hören?

    Vgl. https://www.rnd.de/politik/junge-liberale-jens-teutrine-fuer-eine-ampel-koalition-braucht-es-mehr-als-nur-legales-kiffen-WRITAVR7T5DDHHBILFJLHBSRZY.html

    Siehe aber auch: https://wetzlar-kurier.de/1923-volle-breitseite-gegen-das-christentumabschaffung-der-sonntagsruhe/

    Zumindest wird es sprachlich in Zukunft nicht langweilig werden.
    Das ist immerhin schon etwas.

    • Erwin Gabriel 2. November 2021, 09:18

      @ Juri Nello 1. November 2021, 17:50

      Ich bin immer wieder überrascht – kein klarer Standpunkt, der mit der Debatte zu tun hat, kein begründetes Argument, keine Auseinandersetzung mit anderen Diskussionsteilnehmern …

      Immerhin: eine eigene Meinung, wie unbegründet auch immer vorgetragen. Aber aller Anfang ist schwer.

      • Juri Nello 2. November 2021, 18:15

        Stimmt! Im Gegensatz zu Ihnen verfolge ich keinen journalistischen Anspruch.

        • Erwin Gabriel 3. November 2021, 13:48

          @ Juri Nello 2. November 2021, 18:15

          Stimmt! Im Gegensatz zu Ihnen verfolge ich keinen journalistischen Anspruch.

          Immerhin – mit Humor genommen.

          Ich verstehe ja, dass wir politisch nicht gemeinsam in der gleichen Ecke hocken. Ich verstehe aber in der Regel nicht, was Sie wollen, oder was Ihr Punkt ist, und das macht Ihre Kommentare für mich in der Regel irritierend.

          Nichts für ungut.

          Es grüßt
          E.G.

          • Juri Nello 5. November 2021, 19:07

            Das ist nicht schlimm! Offenbar geht es den Meisten so.
            Ich habe hier nur meine Meinung zum Interview & meine Prognose geäußert.
            Im letzten Monat kam wohl kein Medium um ein Interview oder eine Kolumne zu Jens Teutrine rum. Das nennt man Hype.
            „Don`t believe the hype“ ist ein Klassiker bei Jens Musik, der an Aktualität nicht eingebüßt hat.

            • Erwin Gabriel 7. November 2021, 01:56

              @ Juri Nello 5. November 2021, 19:07

              „Don`t believe the hype“ ist ein Klassiker bei Jens Musik, der an Aktualität nicht eingebüßt hat.

              Jetzt kann ich es besser einordnen. Danke

  • Dennis 2. November 2021, 13:56

    Tja, wie das Parteien-Rebranding ausgeht weiß man/frau noch nicht, is ja momentan noch alles im Fluss. Die gegenwärtige Übergangsphase muss sich erstmal ’n bissle stabilisieren und dann gucken wir weiter.

    Aber vielleicht so: Die CDU macht auf merzistisch-linnemannistisch rechtsliberal, holt das entsprechende Publikum von der FDP sowie Teile der AfD und gibt die Mitte frei, die wiederum mit Betonung auf jung-dynamisch, digital pp. und zartgrün die neue Spielwiese der FDP werden kann. Die offensive Klientelbedienung zu Gunsten der gehobenen Stände müssten die sich dann allerdings abgewöhnen, das übernimmt nunmehr die CDU (= FDP alt).

    Die älteren merkelistischen Herrschaften (alte Mitte) halten zur neuen Merkel, also Scholz. Die Knallroten zur Linkspartei, die sich wieder erholen wird, und ferner wieder stärker ostisch-protestisch auftritt.

    CDU-CSU-mäßig gibt’s mehr denn je Knatsch noch und nöcher, weil die CDU als neue Mende-FDP in Bayern gar nicht gut ankommt. Söder, der den Unionsthron nicht Merz überlassen will, wird nicht begeistert sein, genauso wenig wie weiland Seehofer, der immer stolz darauf war, den berüchtigten Leipziger CDU-Parteitag (damals von Merz UND Merkel einhellig bejubelt) angeblich eigenhändig liquidiert zu haben.

    Im Übrigen balgen sich Grünens und die FDP um die Lufthoheit über die hippen Urbanen. Das bringt natürlich für beide jeweils nicht viel. Kretschmann mit seiner Schwäche für die Union geht in Pension, auch im übertragenen Sinn. Was die eher ländlich-sittlichen Grünen namentlich in Süddeutschland so machen ist auch noch offen.

    Alles sehr volatil und fluid, jedenfalls. Sezessionen, Spaltungen und Übertritte werden das dystopische Blld abrunden^. Die „beiden großen Volksparteien“ (LOL) müssen sich im 20-Prozent-Turm wohnlich einrichten und können froh sein, wenn sie da nicht nach unten durchrutschen, mehr ist nicht drin.

    • Stefan Sasse 2. November 2021, 14:26

      Ich hoffe ja fast, dass das bei der CDU so läuft. Denn dann stellen sie sich für mehrere Legislaturen ins Abseits.

      • Dobkeratops 2. November 2021, 14:56

        Die sogenannten Nachwuchskräfte, allen voran Amthor, Kuban und Ploß scheinen jedenfalls fest entschlossen, den mutmaßlichen Irrweg „Rechtsruck mit Merz“ erstmal auszuprobieren.

        Wenn es so kommt und keine unerwarteten externen Katastrophen alles durcheinanderbringen, dann dürfte die Ampel 2025 relativ geschmeidig weiterlaufen.

        Spannend wird dann 2029. Falls er seine kommende Landtagswahl nicht in den Sand setzt, könnte ich mir durchaus ein Duell Günther vs. Schwesig vorstellen.

        • Stefan Sasse 3. November 2021, 18:32

          2029…? Bis dahin fließt noch ne Menge Wasser die Spree runter.

      • Stefan Pietsch 2. November 2021, 15:45

        Kannst Du eigentlich nicht abwarten und anschließend analysieren? Solche Prognosen habe ich bei keiner linken Partei abgegeben.

  • Lemmy Caution 3. November 2021, 08:19

    Solche Leute hat es schon in meiner Generation gegeben, d.h. Abi 1988.
    Ehrgeiz sich in unserem vergleichsweise okayen System zu behaupten und es mit einfach mal mit einem konsistenten eigenständigen Bemühen um Leistung zu versuchen, ist für viele 17 bis 25-jährige ein Thema. Bei mir war das nach verbummelten 2 Jahren auf der Uni nach einem äußerst unterhaltsamen Zivildienst nicht anders. Mit solchen Grundeinstellungen gerät man leicht in die FDP. Ich selbst hab ja mal 2 Wochen Veranstaltungen der FDP Hochschulgruppe besucht und unterhielt auch Freundschaften mit der Szene.
    Ich mutmasse, Stefan Sasse wird zu der hevorragenden Idee dieses Artikel nicht zuletzt auch durch seine konkreten Erfahrungen mit Heranwachsenden als Lehrer inspiriert. Überspitzender Journalismus neigt dazu den Weltgeist der aktuellen Jugend zu suchen. Neben den Greta-Aktivisten gibt es da natürlich auch andere Wege, sich einen Weg in ein Leben als Erwachsener zu schlagen.
    Persönlich denke ich, dass die Herausforderungen Deutschlands der nächsten 30 Jahre Lösungen mit einer starken gemeinschaftlichen Perspektive verlangen: Umwelt, the riches are getting richer, vernünftige Integration von Neubürgern aus anderen Kulturen.
    Die Attraktivität dezidiert liberaler Positionen sieht man übrigens auch in einer mit europäischen Kulturen bei allen Unterschieden doch recht nahen Kulturen: Südamerikas Cono Sur. Die zu den Wahlen in Argentinien (14.11.) und Chile (21.11.) dieses Monats noch zu schreibenden Beiträge in deutschen Medien werden sich stark mit der Überrachung über den Erfolg neoliberaler Kandidaten insbesondere unter Jungwählern beschäftigen.

  • Narf 3. November 2021, 11:24

    Nebenschauplatz: Ist es wirklich so schwer, den Namen Teutrine korrekt zu schreiben? Immerhin sieht man ihn richtig geschrieben in allen auftauchenden Zitaten.

  • cimourdain 3. November 2021, 13:35

    Was ich bemerkenswert finde, dass Teurine ein anderes Menschenbild ausstrahlen will, das ‚eigentlich‘ eine große Stärke des Liberalismus sein sollte: Ein großes Vertrauen ‚nach unten‘.
    Beginnen wir mit dem einfachen Teil: Es ist in meinen Augen ein Ablenkungsmanöver, den Veränderungsunwillen im Bildungssystem auf den Föderalismus zu schieben. Ob jetzt die für Bildungsentscheidungen zuständigen Politiker und Ministerialbeamten in Berlin sitzen oder in [Landeshauptstadt], das ändert doch nichts daran, dass diese Kompetenzen nicht bei den Schulen vor Ort sind.
    Aber genau dort wären sie nach Teurine (und auch Sasse) richtig aufgehoben. Zum einen, weil dadurch ein breiteres Spektrum an Möglichkeiten und Ideen ausprobiert werden kann. Aber wichtiger, weil die Schule selbst am besten weiß, was notwendig und was nützlich ist.
    Der Pferdefuß dabei ist natürlich, dass auch eine Schulleitung Fehler macht, Möglichkeiten nicht nutzt oder Mittel zweckentfremdet, Probleme, die erst viel später auftauchen und womöglich(?!) durch externe Steuerung vermieden worden wären.
    Noch deutlicher ist dieser Unterschied im Ansatz bei dem anderen Thema, das hier im Forum stark diskutiert wird, den Sozialleistungen. Hartz-IV geht mit einem maximalen Misstrauen an die Betroffenen heran (was vielleicht der wichtigste Grund für den schlechten Ruf ist). Teurine möchte ihnen eine Menge eigene Agenda (pun intended) mit seinem ‚Amazon-Modell‘ (imho ein sehr unglücklich gewählter Begriff) zurückgeben.
    Der Haken ist, dass davon diejenigen profitieren, die mit dem System zurechtkommen und sich daraus den meisten Nutzen ziehen können. Wer das System nicht voll nutzen kann (mangels Zugang, Technikkenntnis oder Verständnis für die Angebote), bleibt dabei noch mehr auf der Strecke als bei H-IV sowieso schon der Fall ist. Selbst ein überlasteter und abweisender Sachbearbeiter ist besser als gar kein Sachbearbeiter.
    Wie gesagt, es ist gut und wichtig, wenn jemand die Möglichkeiten der Menschen sieht, aber man muss sich auch bewusst werden, wie unterschiedlich die Voraussetzungen sind, wer welche Freiheiten auch nutzen kann.

  • Erwin Gabriel 3. November 2021, 14:09

    @ cimourdain 3. November 2021, 13:35

    Ob jetzt die für Bildungsentscheidungen zuständigen Politiker und Ministerialbeamten in Berlin sitzen oder in [Landeshauptstadt], das ändert doch nichts daran, dass diese Kompetenzen nicht bei den Schulen vor Ort sind.

    So weit, so richtig.

    Aber Bildungspolitik ist immer ein stückweit Ideologie-getrieben und Identitätspolitik. Entsprechend gibt es häufig je nach Ausgang von Landtagswahlen wüste Sprünge. Dabei springt jedes Land in eine andere Richtung – wo der eine Bildungsminister in einer langgezogenen Kurve nach links geht, geht eine andere Bildungsministerin vielleicht nach rechts vorne oben mit Drehung auf den Kopf, oft heben aufeinanderfolgende Regierungen die vom Vorgänger angestoßenen Entwicklungen auf etc. Bayern ist da außen vor, weil dort seit Jahren die gleiche Partei dominiert.

    Wäre die Bildungspolitik bundespolitisch bestimmt, käme eine gewisse Ruhe allein deswegen herein, weil dann alle Länder nach einem Regierungswechsel in die gleiche Richtung springen würden, und der Bundesrat die wüstesten Eskapaden abfedern würde.

    Natürlich würden sich die Entwicklungen verlangsamen (die guten wie die schlechten), aber Themen wie Digitalisierung könnten zentral und einheitlich angegangen werden. Eine zentrale Vorgabe von Leitlinien, die es einzelnen Schulen ermöglicht, sich inhaltlich zu spezialisieren, fände ich gut. Aber bestimmte Themen gehören meiner Meinung nach in Bundeshand.

    Wie gesagt, es ist gut und wichtig, wenn jemand die Möglichkeiten der Menschen sieht, aber man muss sich auch bewusst werden, wie unterschiedlich die Voraussetzungen sind, wer welche Freiheiten auch nutzen kann.

    Das ist natürlich eine grundlegende Schwäche aller Systeme, die Individuen über einen Kamm scheren.

    Ich habe keine grundsätzlichen Einwände, eine persönlichere, individuellere Unterstützung zu geben. Ich habe aber ein Problem damit, mit aller „Gewalt“ auch Leute künstlich auf das Niveau eines Facharbeiters zu heben, die von der Bildung / vom Intellekt / vom Willen her nicht in der Lage sind, sich selbst dorthin zu bewegen. Es muss einem jeden, einer jeden möglich sein, sich durch eigene Leistung nach oben abzuheben.

    • Stefan Sasse 3. November 2021, 18:36

      Die Sprünge halten sich trotz allem ja in engen Grenzen. Auch wenn die KuMis das anders sehen, so sind die Gemeinsamkeiten zwischen den Ländern wesentlich größer als die Unterschiede. Schau mal nur hier in BaWü. Kulturkampf getrieben hat man jedes Mal, aber letztlich tiefgreifend geändert hat sich wenig.

      • Erwin Gabriel 3. November 2021, 19:47

        @ Stefan Sasse 3. November 2021, 18:36

        Schau Dir Nordrhein-Westfalen an, wo im Namen der Integration viele Spezialschulen plattgemacht wurden.

        In Schleswig-Holstein musste eine meiner Töchter nach einem Regierungswechsel wg. Einschränkungen aus dem Sprachbereich, und ein Mathe-Abitur hinlegen, mit dem ihr Notendurchschnitt spürbar litt.

        Es mögen aus Sicht der Politiker nur kleine Änderungen sein, aber ausbaden müssen es vor allem die Schüler und die Lehrer (was indirekt dazu führt, dass es die Schüler ausbaden).

        • Stefan Sasse 4. November 2021, 10:15

          Inklusion meinst du, oder? Ich bin da auch skeptisch, aber ich habe keinerlei Kenntnisse in dem Bereich, deswegen lege ich mich da nicht fest.

          Schon der Wechsel zwischen Lehrkräften an derselben Schule bringt meist Verwerfungen im Notenbild mit sich. Klar beeinflussen Schulwechsel, erst recht über Ländergrenzen, das ebenfalls. – Ich bin nicht sicher was du mit „Einschränkungen aus dem Sprachbereich“ meinst?

          Ich weiß. Ich wollte es nur ins Verhältnis setzen.

          • Thorsten Haupts 4. November 2021, 16:12

            Klar beeinflussen Schulwechsel, erst recht über Ländergrenzen, das ebenfalls.

            Beeinflussen ist gut :-). Ich musste 1 Jahr vor dem Abi ausgerechnet von NRW nach Rheinland-Pfalz (damals noch Renate-Laurin) wechseln. Mit der Folge, dass ich mein Abitur nicht in Erdkunde, Sozialkunde Geschichte und Deutsch, sondern in Geschichte, Englisch, Deutsch und Chemie machen musste – von einer prognostizierten 1,3 auf eine mässige 2,1.

            Grund dafür waren allerdings nicht die Lehrerwechsel, sondern die völlig verschiedenen Abi-Voraussetzungen, die das Fächerangebot der Gymnasien massiv beeinflussten.

            Und dann das allerernüchternste – meine Schulnote hatte überhaupt keinen (zero, nada, 0) Einfluss auf das, was ich seit Jahrzehnten beruflich mache :-).

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • Stefan Sasse 4. November 2021, 20:20

              Stimmt alles. Ich denke aber, das lässt sich grundsätzlich kaum vermeiden. Wechsel mal im Studium die Uni oder auch nur den/die betreuende*n Professor*in…

          • Erwin Gabriel 7. November 2021, 01:59

            @ Stefan Sasse 4. November 2021, 10:15

            Inklusion meinst du, oder?

            Ja, danke für die Richtigstellung.

            Ich bin nicht sicher was du mit „Einschränkungen aus dem Sprachbereich“ meinst?

            Verändertes Sprachangebot; war kein Abi mehr in Spanisch möglich.

  • Floor Acita 4. November 2021, 07:32

    „Die Geschichte, die er dann erzählt, ist weniger klassisch sozialdemokratisch. Denn hier würde eine Institution mit hineinspielen – die Schule, die Gewerkschaft, irgendwelche solidarischen Institutionen. Demgegenüber greift Teutrine eher auf typisch amerikanische Narrative zurück: Halt in der Familie“

    Aber Bafög ist eine Institution. Interessant auch, dass er hier den Staat offenbar für effektiver hält als die Familie, denn er will es ja offenbar explizit auch an solche ausbezahlen die mit guten Ressourcen ausgestattet sind…

    • R.A. 4. November 2021, 09:47

      Bafög für alle hat nichts mit Effektivität zu tun, sondern mit Gerechtigkeit.

      Mit Volljährigkeit sollten Menschen selbständig sein und nicht mehr auf Kosten der Eltern leben. D.h. entweder arbeiten sie und verdienen Geld oder sie studieren und bekommen Bafög. Oder sie bekommen Stütze – seit Hartz bedeutet das ja auch daß sie auf Staatskosten ausziehen können.

      Umgekehrt fallen dann natürlich mit Volljährigkeit der Kinder auch Kindergeld oder steuerliche Absetzbarkeit für die Eltern weg.

      • Stefan Sasse 4. November 2021, 10:18

        Grundsätzlich klingt das okay.

      • Floor Acita 4. November 2021, 13:00

        „Bafög für alle hat nichts mit Effektivität zu tun, sondern mit Gerechtigkeit.“

        Also genau wie bei „Medicare for all“ in den USA oder bspw einer Bürgerversicherung in Deutschland?

        • Stefan Sasse 4. November 2021, 13:17

          Klar. Die Sozialbürokratie dient dazu, das System schwieriger und schlechter zu machen. Die wurde absichtlich von Liberalen und Konservativen so konstruiert. Schau doch mal in die USA, wo sie „work requirements“ und „means tests“ überall dran klatschen. Super teuer, wahnsinnig ineffizient, aber die Ideologie kennt kein Gebot.

          • Thorsten Haupts 4. November 2021, 16:19

            Die Sozialbürokratie dient dazu, das System schwieriger und schlechter zu machen. Die wurde absichtlich von Liberalen und Konservativen so konstruiert.

            Klar. Wie wir ja alle wissen, sind 99,9% der Menschen so verdammt ehrlich, dass eine Nichtprüfung/Nichtüberwachung des gegenleistungslosen Bezugs von Sozialleistungen niemals nicht eine offene Einladung zum Ausnutzen des Systems wäre. Nein, lassen Sie sich das bitte von den bösen Konservativen und Liberalen nicht einreden – wir alle wissen doch, dass wir 1000 Euro auf einem Fensterbrett im Erdgeschoss aussen an einer belebten Strasse den ganzen Tag unbewacht liegen lassen können und sie abends selbstverständlich wiederfinden. Wissen wir doch alle, oder?

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • Stefan Sasse 4. November 2021, 20:22

              Ich rede nicht von Kontrolle generell. Nur wenn die Kontrollen mehr kosten als die Sozialleistung selbst wird es irgendwann albern.

              • Thorsten Haupts 5. November 2021, 00:04

                Aber ja doch. Nur liegt der Grund dafür nicht in „konservativ“, sondern in „Bürokratie“. Wenn man die nicht scharf an die Kandare nimmt, ertrinkt man am nächsten Tag in Formularen.

                Gruss,
                Thorsten Haupts

                • Stefan Sasse 5. November 2021, 14:00

                  Oh, sicher, aber da hast du mich missverstanden. Dass Bürokratie dazu neigt, alles komplizierter zu machen, ist keine Frage. Manche Sachen werden von links verkompliziert, man denke nur an bestimmte zusätzliche Leistungen oder Ausnahmebestände im Steuerrecht für wünschenswerte Technologien/Verhalten oder so. Nur ging es mir nicht allgemein um „komplizierte Vorgänge“, sondern ganz spezifisch um das Komplizierte durch den Versuch, Empfänger*innen von Sozialleistungen zu gängeln, und das ist halt eher ein Phänomen der Konservativen/Liberalen (wenig überraschend). Umgekehrt dürften Linke eine größere Neigung dazu haben, die Bürokratie zur Gängelung von Unternehmenserb*innen zu benutzen. Verstehst was ich meine?

                  • Thorsten Haupts 5. November 2021, 15:24

                    Na gut. Nicht weitersagen – aber damit kann ich leben.

                    Gruss,
                    Thorsten Haupts

      • Thorsten Haupts 4. November 2021, 16:14

        Zu meiner aktiven zeit gab es schon elternunabhängiges BAFöG – in der Regel ab dem 25. Lebensjahr. Hat sich das geändert?

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • Stefan Sasse 4. November 2021, 20:21

          Das gibt es, aber dann verklagt das Bafög-Amt die Eltern und holt sich das ggf. zurück. Viel Spaß beim nächsten Familientreffen.

          • Stefan Pietsch 4. November 2021, 22:53

            Wie ist das eigentlich mit dem Elternunterhalt? Da gilt wohl nicht „Viel Spaß beim Familientreffen“, schließlich kommen die Eltern gar nicht.

            Wir haben ein gewisses Sozialverständnis. Das Grundsätzliche fehlt in solchen Diskussionen. Es führt zu immer neuen Ungerechtigkeiten, punktuell einzugreifen und nur die Mechanismen zu verschieben. Das ist Lobbypolitik. Gerechtigkeit und Fairness resultiert aus Prinzipien, Lobbyismus ist die ständige Durchbrechung dieser.

            Warum ist es nicht gerecht, wenn Eltern für ihre volljährigen Kinder Ausbildung und Unterhalt zahlen müssen, aber warum ist es gerecht, wenn Kinder für ihre pflegebürftigen Eltern mit ihrem Vermögen haften müssen? Erwachsene sind in der Lage, für ihr Alter selbst vorzusorgen. Können sie es nicht oder tun sie es nicht, sind sie im Falle der Pflegebürftigkeit ein Fall für die Allgemeinheit. Die Kinder haben damit nichts zu tun.

            Wenn Du das genauso siehst, stellt sich die Frage, warum Du gefühlt hundert Mal über Reformen beim BAföG diskutieren willst, aber kein einziges Mal über das Prinzip und daraus resultierende Folgen wie den Elternunterhalt.

            • Stefan Sasse 5. November 2021, 13:57

              Verstehe ich dich richtig, dass du Elternunterhalt abschaffen möchtest? Ich bin mir unsicher, was deine Kritik ist, bzw. ob du Kritik äußerst. Worauf willst du raus?

              • Stefan Pietsch 5. November 2021, 15:03

                Recht gründet auf Prinzipien. Das lernen wir eigentlich schon als kleine Kinder. Ohne Prinzip kein Recht.

                Eines der wesentlichen Prinzipien unserer Rechtsordnung ist sowohl die Respektierung ehelicher und familiärer Verhältnisse als auch da Rechte und Pflichten, die aus der Familiensolidarität erfolgen. Eheleute sind zum gegenseitigen Beistand, der auch finanzielle Leistungen wie Unterhalt einschließt, verpflichtet. Das Gleiche gilt in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Dies gilt auch dann, wenn die Kinder längst erwachsen sind.

                Das ist übrigens nicht in allen Rechtsräumen so. In Norwegen endet die generelle Unterhaltspflicht mit der Volljährigkeit. Danach springt der Staat ein. In Deutschland wie in anderen Ländern mit römischer Rechtstradition entlastet die familiäre Solidarität den Staat in monetärer wie nicht-monetärer Hinsicht.

                Die Verpflichtung zur Ausbildungsvergütung entspringt dem familiären Solidaritätsgedanken. Wer das abschaffen will, hebelt an einer Stelle das Prinzip aus. Das kann man so nicht machen, ohne eine Fülle von Unrechtigkeiten zu schaffen. Denn man will ja nicht das Prinzip außer Kraft setzen, sondern nur für Heranwachsende mit hohem Ausbildungsanspruch.

                Es geht um Grundsätzliches: wollen wir an dem Prinzip des Familienunterhalts festhalten oder wollen wir die (finanzielle) Solidarität innerhalb der Familie an den Staat übergeben, so wie das in Skandinavien weitreichend gilt? Beides ist legititim, aber dann eben als Leitgedanken und nicht als Cherry Picking.

                Wer das BAföG prinzipiell von den finanziellen Verhältnissen der Eltern lösen will, der kann dann auch nicht am Elternunterhalt festhalten. Denn wer die Ausbildungsfinanzierung in der Form reformieren will, für den enden familiäre Unterhaltsansprüche mit der Volljährigkeit.

                • Stefan Sasse 5. November 2021, 18:31

                  Verstanden. Ja, da stimme ich die völlig zu. Deswegen auch meine Bemerkung: das elternunabhängige Bafög ist eine Notmaßnahme, falls die Eltern der Unterhaltspflicht nicht nachkommen WOLLEN, aber KÖNNEN (alle anderen Fälle sind ja geregelt; entweder kriegst Bafög oder Eltern zahlen). Ich wäre grundsätzlich für das skandinavische Modell, was dich sicher nicht überrascht. Aber erstens ist das unrealistisch (Stichwort Pfadabhängigkeit) und zweitens unnötig, weil das deutsche System sich recht leicht reformieren ließe und dann ordentlich arbeitete.

                • R.A. 5. November 2021, 18:43

                  Ich sehe da keinen Zusammenhang mit dem Elternunterhalt. Der begründet sich im wesentlichen damit, daß die Eltern bis zur Volljährigkeit für die Kinder gesorgt haben.

                  Und grundsätzlich ist auch in Deutschland (wie in Norwegen) mit Volljährigkeit Schluß.
                  Die Weiterfinanzierung bis zum Studienabschluß ist die Ausnahme von der Regel.

                  Man kann m. E. schon diskutieren, ob diese Ausnahme sinnvoll und gerechtfertigt ist – und die Forderung nach Abschaffung ist keine Forderung nach grundlegendem Systembruch oder „cherry picking“.

                  Schließlich fällt ja bei Volljährigkeit auch jedes Recht der Eltern weg mitzubestimmen, was die Kinder mit dem Geld machen bzw. was sie studieren.

                  • Stefan Sasse 5. November 2021, 20:32

                    Ist die Regel nicht, dass Eltern unterhaltspflichtig sind bis 25, sofern die Kids nicht vorher Geld verdienen?

                  • Stefan Pietsch 5. November 2021, 21:56

                    Das Prinzip habe ich ja erläutert. Mit Volljährigkeit hat es praktisch nichts zu tun. Eltern sind verpflichtet, ihren Kindern eine Ausbildung zu finanzieren. Dabei haben sie vollen Unterhalt zu leisten. Das Kritierum ist „Bedürftigkeit“ und das gilt so auch für pflegebedürftige Eltern.

                    Von daher stimmt es nicht, was Sie schreiben: die Unterhaltspflicht endet zwar grundsätzlich mit der Volljährigkeit, im Zweifel aber mit Ende der ersten Ausbildung. Und die Kinder können mit dem finanziellen Anspruch eben nicht machen, was sie wollen.

                    • Stefan Sasse 5. November 2021, 23:13

                      So gefühlt ist das ein bisschen das schlechteste aus beiden Welten, oder?

                    • Stefan Pietsch 6. November 2021, 11:53

                      Überhaupt nicht. Die Durchlöcherung von Prinzipien führt zu Ungerechtigkeiten, an denen wir dann Jahrzehnte herumdoktern.

                      Die Aufhebung des Nacheheunterhalts hat zwar viele geschiedene Männer glücklich gemacht, aber auch viele Frauen sozial abstürzen lassen. Die Rente mit 63 sorgte für erhebliche Kosten in der gesetzlichen Rentenversicherung und horizontalen wie vertikalen Ungerechtigkeiten. Die Durchbrechung von Prinzipien macht die Welt nicht gerechter, sondern führt immer zu mehr Willkür.

                      Was machen wir eigentlich zukünftig mit Vätern, die den Unterhaltspflichten für ihre minderjährigen Kinder nicht nachkommen wollen? Sagen wir, „Schwamm drüber, der Staat kann ja einspringen“?

                      Der Elternunterhalt für betagte Menschen ist für längst erwachsene Kinder das weit höhere Vermögensrisiko in ihrem Leben und es tritt absolut willkürlich auf. Dagegen sind die Kosten eines Studiums planbar und übrigens auch versicherbar. In einer stark alternden Gesellschaft würde ich mir als junger Mensch weit mehr Sorgen um die spätere Inanspruchnahme für pflegebedürftige Eltern als über die zeitweise Abhängigkeit vom Geldbeutel meiner Eltern machen.

                      Da es immer weniger Kinder und potentiell Studenten gibt, sind die gesellschaftlichen Kosten für das elternunabhängige BAföG überschaubar. Doch wie wollen wir zukünftig rechtfertigen, Menschen für Pflegebedürftige in Anspruch zu nehmen, mit denen sie manchmal nur noch den Namen teilen? Das wird sehr wahrscheinlich nicht funktionieren. So lösen wir dann mit einem kleinen Eingriff eine Kostenlawine für den Staat aus.

                    • Thorsten Haupts 6. November 2021, 13:40

                      In einer stark alternden Gesellschaft würde ich mir als junger Mensch weit mehr Sorgen um die spätere Inanspruchnahme für pflegebedürftige Eltern …

                      Mit einer Nichte im Alter von Mitte 30 kann ich bestätigen – das ist unter Jüngeren durchaus ein Thema. Zu Recht.

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

  • derwaechter 4. November 2021, 14:32

    Die meisten hatten das, zu Recht, nicht so auf dem Schirm, weil es für die Wahl an sich wenig relevant ist.

    Aber so groß sollte die Überraschung nicht sein. Grüne und FDP waren auch 2017 schon mehr oder weniger gleich auf bei den Jungwählern.

    Die FDP hat 2021 etwas stärker abgeschnitten als erwartet und die Grünen etwas schlechter. Thats it.

    Ich zitiere mal aus einem Artikel von vor (!) der Wahl, der sich näher mit dem Thema beschäftigt hat.

    „Bundestagswahl: Junge Menschen wählen eher Grüne, FDP und AfD“

    „Außerdem hat die Jugend ein Faible für die FDP. Den Freien Demokraten scheint es gelungen zu sein, sich als Partei für Digitalisierung zu positionieren. Zudem dürfte ihr zeitgenössischer Social-Media-Wahlkampf sowie das Auftreten des wortgewandten Christian Lindner (vor kurzem zum besten Wahlkampfredner gekürt) bei der Jugend gut ankommen. “

    https://www.merkur.de/politik/bundestagswahl-analyse-jungwaehler-stimmzettel-olaf-scholz-armin-laschet-spd-union-gruene-fdp-91002778.html

    Und dieser Kommentar, allerdings mit Hindsight geschrieben, erklärt schön, weshalb die Überraschung nicht so groß sein sollte.

    https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/warum-so-viele-erstwaehler-die-fdp-gewaehlt-haben-100.html

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