Daddelnde Baerbock setzt nach Ohrfeige auf Klein-Klein im Internat gegen den Klimawandel – Vermischtes 07.07.2021

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Green mortgages: Homes need to catch up to climate change

Bigger houses lived in by the most affluent, leak most. But it is those on low incomes, in poor quality housing who pay proportionally the highest bills. The pain is evident in the alarming figures for energy poverty amongst Black and Latinx Americans (more than one in three.) The energy crisis is wrapped up in a broader housing crisis. In Baltimore, 42 percent of the homes are so severely afflicted by mold and decay that they are unsafe for the basic insulation work needed to fix their energy leaks. In Atlanta the percentage may be as high as 64 percent. […] In 2021, we need to define a new standard, this time for all Americans. By 2050, all Americans, whether homeowners or tenants, should be able to live in homes that are efficient, clean and healthy, that do not burden them with excessive utility bills and do not contribute to the climate crisis. Every property that benefits from a GSE guarantee should meet the highest energy standards. Every single mortgage should be a green mortgage. We know it can be done. […] With regulatory support and incentives this is a triple win for the climate, for social justice and for jobs. Making the energy transition is going to be hard. It may be divisive. We should seize the easy wins where we can. (Adam Tooze, The Hill)

Niedrig hängende Früchte abzugreifen sollte tatsächlich eine absolute Priorität sein. Ich weiß nicht, wie das im Vergleich in Deutschland ist – gefühlt sind wir hier bei der Förderung energetischer Sanierung weiter, aber ich weiß es nicht – aber es gibt sicherlich auch hier Dinge, die sich mit großer Breitenwirkung relativ fix umsetzen ließen. Ein hervorragendes Beispiel hierfür hierzulande ist das Tempolimit, das CDU und FDP leider aus ideologischen und identitätspolitischen Gründen scharf ablehnen.

Was wir aber grundsätzlich brauchen ist ein Mentalitätswandel. Wir müssen weg von dem ständigen Verschieben auf die Zukunft, wie es etwa Laschet zum Prinzip erhoben hat (der in völliger Realitätsverweigerung die Marke 2050 im Auge hat). Ich habe letzthin gelesen (weiß leider nicht mehr wo), dass wir CO2-Einsparungen betrachten müssen wie die Inflations- oder Arbeitslosenrate: als eine Kenngröße, die jeden Tag aufs Neue geprüft wird. „Wie viel CO2 haben wir heute eingespart?“ muss die Devise werden.

Und das würde dann konkrete Maßnahmen fordern. Anstatt dass man „CO2-Neutralität bis 2050“ als Zielmarke hat, das so groß und unbestimmt ist, dass es völlig fantastisch ist, muss die Frage lauten: was haben wir heute getan? Ich sehe die beste Analogie dafür beim Abnehmen. Jede Diät scheitert, die sich auf eine Zielmarke in ferner Zukunft („20kg bis zum Sommer!“) festlegt, ohne einen Plan zu haben, wie das funktionieren soll. Die Kalorienzahl muss jeden Tag aufs Neue überprüft werden. Jeden Tag müssen Kalorien eingespart werden. Und genauso müssen wir auch an den Klimawandel ran.

2) The debt hawks are flapping their wings

Fiscal rules came into fashion in the heyday of the ‘bond vigilantes’ in the 1990s, in a very different interest-rate environment. Given today’s low rates, the burden of debt service is far less. It is tempting to dispense with rules altogether. But the peculiar construction of monetary union and the mutual suspicion prevailing between parts of the European public exact their price. Europe needs rules. Yet the Maastricht-derived criteria are wholly out of date. To bring the old Stability and Growth Pact back into effect in 2022 would be a recipe for dysfunction and recrimination. It would unleash uncertainty and hamper recovery. If there has to be a restoration of rules, a prerequisite would be agreement on a new system which corresponded to European fiscal reality. […] Excessive fiscal tightening in big economies is as much a problem as excess debt. And since debt is serviced over the long run, what matter is not just today’s aggregate demand but growth in the long run. That depends on investment. A system of fiscal rules that stifles investment undercuts its own sustainability. And this is doubly so in the context of the climate crisis, which requires long-term investment in decarbonisation. (Adam Tooze, Social Europe)

Tooze spricht in seinem lesenswerten Artikel hier an, was ich im letzten Vermischten auch thematisiert habe. Der Fetisch von Regelungen, die ihre Funktion bestenfalls nicht mehr erfüllen, schlimmstenfalls aber aktiv Schaden anrichten, ist ein gigantisches Problem. Das gilt natürlich nicht nur für Maastricht; für mich ist das wegen meiner eigenen policy-Präferenzen nur das beste Beispiel. Gegner von Merkels Flüchtlingspolitik etwa dürfte schnell das Schengen-Abkommen in den Sinn kommen, wo die gleichen Leute, die gegen jede Aufweichung oder Abweichung von Maastricht wettern, sehr zu Abweichungen und Aufweichungen bereit waren. Regeln eines politischen Systems sind niemals in Stein gemeißelt, sie werden immer einem Anpassungsprozess unterliegen (müssen).

3) Can Elites Start the Climate Revolution?

Will the spring of 2021 prove to be a pivotal moment in the climate crisis? Last week, the management of both Exxon Mobil and Chevron lost battles with green activist shareholders. A third oil major, Shell, was ordered by a Dutch court to dramatically step up its climate effort. This followed a damning judgment in April by the German supreme court on Berlin’s plan for decarbonization. The International Energy Agency (IEA), formerly a bastion of the fossil fuel industry, laid out a demanding path to net-zero greenhouse gas emissions. […] The other news that came out this May is that thanks to its pandemic economic recovery, driven by heavy industry, China’s carbon dioxide emissions reached an all-time high. Over that 12-month period, China’s emissions exceeded those of the entire OECD rich country club. In 2019, India overtook Europe as the No. 3 emitter of carbon dioxide. We should welcome the signs that the energy transition is beginning to gather momentum in Europe and the United States, at last. But we should not mistake their import. We are no longer in the 1990s. We are well past the point at which the West decides the future of the world’s climate. (Adam Tooze, Foreign Policy)

Ich bin völlig Toozes Meinung, dass im Westen entscheidend sein wird, wie die großen, CO2 emittierenden Unternehmen sich verhalten werden. Wenn etwa Daimler einen fundamentalen Schwenk hinlegt, weil sie anders als in Deutschland nicht in allen Ländern die Politik kaufen können und sie nun mal ein global agierendes Unternehmen sind, dann ändert sich die Lage auch hier.

Tooze hat aber auch damit Recht, dass der Westen längst nicht mehr entschiedet, wie und ob das Klima gerettet wird. Wir leisten immer noch einen Löwenanteil, und ohne uns wird es nicht gehen. Aber unsere CO2-Neutralität ist eine notwendige, nicht eine hinreichende Bedingung. Das Problem mit Ländern wie Indien, China oder Brasilien ist, dass diese in Rekordtempo dekarbonisieren müssen, aber ihre Standardargumentation – der Westen hat 200 Jahre lang das Klima verschmutzt und will jetzt unsere Entwicklung blockieren – leider nicht komplett von der Hand zu weisen ist. Ich habe keine Ahnung, wie das gelöst werden soll. Vermutlich wäre der einzige Ausweg ein riesiger globaler Fonds, der Ausgleichszahlungen – quasi Reparationen – des Westens für die Dekarobinisierung der 2. Welt finanziert. Aber wie das funktionieren soll?

4) Erneut Hunderte Gräber von indigenen Kindern entdeckt

In Kanada sind auf einem Gelände in der Nähe eines früheren katholischen Internats für Kinder von Ureinwohnern im Dorf Marieval erneut Hunderte anonyme Gräber entdeckt worden. So viele nicht gekennzeichnete Gräber seien bislang noch nie gefunden worden […] In Kanada waren ab 1874 rund 150.000 Kinder von Ureinwohnern und interkulturellen Paaren von ihren Familien und ihrer Kultur getrennt und in kirchliche Heime gesteckt worden, um sie so zur Anpassung an die weiße Mehrheitsgesellschaft zu zwingen. Viele von ihnen wurden in den Heimen misshandelt oder sexuell missbraucht. Nach bisherigen Angaben starben mindestens 3.200 dieser Kinder, die meisten an Tuberkulose. […] Viele indigene Gemeinschaften machen die Heime, die ganze Generationen geprägt haben, heute für soziale Probleme wie Alkoholismus, häusliche Gewalt und erhöhte Selbstmordraten verantwortlich. Ottawa entschuldigte sich im Jahr 2008 offiziell bei den Überlebenden der Internate. Sie seien Opfer eines „kulturellen Genozids“, stellte eine Untersuchungskommission im Jahr 2015 fest. (AFP, T-Online)

Das wurde nicht nur in Kanada gemacht; auch in den USA haben diese „Indianerschulen“ eine Art „kulturellen Genozid“ durchgeführt, da gibt es seit Jahrzehnten zig Reportagen, Autobiographien und so weiter dazu. Es ist faszinierend, dass das immer noch nicht auch nur ansatzweise aufgearbeitet wurde. Die Flurschäden, die diese Politiken angerichtet haben – in zerstörten Biographien und unerschlossenem ökonomischen Potenzial – sind geradezu irre. Mal ganz davon abgesehen, dass in diesen Gefängnissen – denn Schulen sind das nicht wirklich – tausende von indigenen Kindern ermordet wurden…

5) Baerbock geht zum Gegenangriff über

Die ganze Wahlkampforganisation der Grünen schwimmt mittlerweile mit dem Bauch nach oben. Die unglaubliche Unprofessionalität, die da zur Schau gestellt worden ist, lässt sich nicht mehr einfangen. Für mich drängt sich der Vergleich mit HRC auf: auch hier wurde auf absolut vorhersehbare Schwächen erst gar nicht, dann erratisch reagiert. Die Folgen waren ein Mühlstein um den Hals, den die Kandidatin nie wieder los wurde, und HRC konnte im Gegensatz zu Baerbock mit Pfunden wie Erfahrung und Trump als Gegner punkten. Ich sehe nicht auch nur die geringste Chance, wie die Grünen das bis zum September wieder rausreißen wollen. Die können glücklich sein wenn sie 20% schaffen und dann 2025 einen neuen Anlauf wagen können. Möglicherweise haben sie die Chancen der Partei komplett versenkt. Und das völlig selbstverschuldet.

6) Spanking can worsen a child’s behavior and do real harm, study finds

The review, published Monday in the journal Lancet, found physical punishment such as spanking is „harmful to children’s development and well-being,“ said senior author Elizabeth Gershoff, a professor in human development and family sciences at The University of Texas at Austin. „Parents hit their children because they think doing so will improve their behavior,“ Gershoff said. „Unfortunately for parents who hit, our research found clear and compelling evidence that physical punishment does not improve children’s behavior and instead makes it worse.“ […] The most „consistent support,“ in 13 of 19 independent studies, was that spanking and other forms of child punishment created more external problem behaviors over time, Gershoff said, such as „increased aggression, increased antisocial behavior, and increased disruptive behavior in school.“ Acting out by children who were physically punished occurred no matter the child’s sex, race or ethnicity, the review found. […] Finally, the review found that any negative outcomes of corporal punishment were not eased by parenting style. Four out of five studies found that an overall warm and positive parenting style „did not buffer the effect of physical punishment on an increase in behavior problems.“ (Sandy LaMotte, CNN)

Ich habe nicht sonderlich viel hinzuzufügen an der Stelle, ich möchte das Fundstück vor allem zum awareness raising da lassen. Wir haben glücklicherweise bereits seit fast einem halben Jahrhundert die Prügelstrafe aus den Schulen verbannt, und auch in der privaten Erziehung nimmt das immer mehr ab; richtiges Verprügeln gibt es kaum noch. Aber die Ansicht, dass die eine oder andere Ohrfeige oder grobe Anpacken „schon nicht schaden wird“ ist leider immer noch weit verbreitet.

Ich merke das auch selbst immer wieder. Das Verlangen nach einer körperlichen Reaktion kann geradezu übermächtig sein, wenn die Kinder in völlige Verweigerungshaltung gehen (ich glaube, alle Eltern kennen das). Ich muss mir dann immer wieder von Neuem klarmachen, dass das ein Versagen von mir persönlich ist. Jede Gewaltanwendung gegen Kinder, physisch oder psychisch (!), ist immer ein Versagen meiner eigenen Erziehung. Wenn ich so in die Ecke gedrängt bin, dass ich nichts mehr anderes tun kann, ging vorher etwas schief. Nicht, dass ich mich deswegen allzu selten in dieser Ecke finden würde…

7) Boring news cycle deals blow to partisan media

In the months since former President Donald Trump left office, media companies’ readership numbers are plunging — and publishers that rely on partisan, ideological warfare have taken an especially big hit.

Why it matters: Outlets most dependent on controversy to stir up resentments have struggled to find a foothold in the Biden era, according to an Axios analysis of publishers’ readership and engagement trends.

By the numbers: Web traffic, social media engagement and app user sessions suggest that while the entire news industry is experiencing a slump, right-wing outlets are seeing some of the biggest plunges.

  • A group of far-right outlets, including Newsmax and The Federalist, saw aggregate traffic drop 44% from February through May compared to the previous six months, according to Comscore data.

  • Lefty outlets including Mother Jones and Raw Story saw a 27% drop.

  • Mainstream publishers including the New York Times, Wall Street Journal, USA Today and Reuters dropped 18%. (Neal Rothschild, Axios)

Jede Analyse von Trump, jede Analyse, die sich mit dem Aufstieg der AfD beschäftigt, jede Analyse, die Wahlkampfmechanismen generell betrachtet und die Rolle der Medien und ihre Anreize bei der Polarisierung außer Acht lässt (und nicht wie etwa meine eigene brillante Betrachung der grünen Medien unternimmt), entgeht ein zentrales Puzzleteil. Es ist unangenehm für die Demokratie und das mediale Selbstbild als „vierte Gewalt“, aber Medien sind – mit Ausnahme der ÖR – Wirtschaftsbetriebe, die zuvordererst auf die Quote achten müssen, und selbst die ÖR richten sich größtenteils an dem aus, was Quote macht.

8) Video Games Are a Labor Disaster

The chaotic and exploitative employment arrangements of the video game industry might be justified or excused by pointing to the industry’s inarguable success—after all, those arrangements produced all-time classics like BioShock and reliable regular hits like the Call of Duty franchise. But gamers might come away from Press Reset with some new (or at least more refined) explanations for the things they don’t like about the industry. Endemic instability could help explain why hugely anticipated games so frequently get delayed and are then released seemingly unfinished, or why well-respected veteran developers like Warren Spector so often fail to find professional, stable homes or secure funding for new projects. Developers’ lack of autonomy at big studios might also help explain how a studio like Mythic Entertainment went from making competent online multiplayer PC games to a widely detested free-to-play mobile game. (One chapter tells of “product managers” from Mythic’s parent company, Electronic Arts, forcing developers to implement features that they knew made the game worse, in order to entice players to pay to make the game actually fun. “People are going to hate this,” an employee recalls his teammates saying. People did. Mythic closed.) Video game workers are not treated poorly because it’s so hard to make a game. The causation might actually run in the other direction: It might be hard to make a video game because the people who make them are treated so poorly. (Alex Pareene, The New Republic)

Pareenes Reportage ist sehr lang und ausführlich und sei interessierten Leser*innen zur Gänze empfohlen. Ich möchte hier vor allem auf den zitierten Ausschnitt eingehen, nämlich die Rolle der Gewerkschaften. Man sieht immer wieder, dass selbst in den 2020er Jahren diejenigen Branchen die besten Arbeitsbedingungen bieten, die während des goldenen sozialdemokratischen Zeitalters starke Gewerkschaften hatten. Das ist 70 Jahre her, aber es hat strukturelle Effekte bis heute. Alles, was danach kommt, ist praktisch durch die Bank schlechter, wenn wir von Spitzenbereichen wie Investmentbanking absehen.

9) „Das ist die Schuld des Westens“ (Interview mit Carlo Masala)

ZEIT: Sprechen wir über einige zentrale Forderungen der Parteien in der Außen-und Sicherheitspolitik: Olaf Scholz fordert eine europäische Armee, die dem EU-Parlament unterstellt sein soll. Seine eigene Partei kann sich nach zehn Jahren Debatte aber noch keine abschließende Meinung zum Einsatz von bewaffneten Drohnen bei der Bundeswehr bilden. Passt das zusammen?

Masala: Leider ja. Es handelt sich bei der europäischen Armee um eine reine Wohlfühlformel. Die Mehrheit der Deutschen fände sie super, hat aber keine Ahnung, was das für Konsequenzen hätte. Mein Verdacht ist, viele hoffen, man müsse sich dann weniger mit Verteidigung und lästigen Fragen wie bewaffneten Drohnen befassen, wenn man das Problem einfach nach Brüssel abschieben könnte. Das wird aber so nicht funktionieren.

ZEIT: Warum?

Masala: Jede Armee beruht auf der Zustimmung der Gesellschaft, dass Väter, Mütter, Söhne, Töchter, Brüder, Schwestern ihr Leben im Einsatz riskieren. Sind die Deutschen bereit, diese Entscheidung an Brüssel abzugeben? Sind es unsere Nachbarn? Was machen wir, wenn die Mehrheit der EU-Partner dafür ist, die europäische Armee in einen gefährlichen Einsatz zu schicken, den wir ablehnen?

ZEIT: Die CDU steht für eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich, aber die Verteidigungsministerin streitet sich mit dem französischen Präsidenten über den Begriff „strategische Autonomie“ – ist das klug?

Masala: Die deutsch-französische Freundschaft gehört zur parteipolitischen Folklore der CDU, schon seit Konrad Adenauers Zeiten. Lange Zeit gab es eine sicherheitspolitische Arbeitsteilung: Die Deutschen haben das Geld, die Franzosen die Nuklearwaffen. Nachdem sich die irrige Vorstellung durchsetzte, das Militärische sei nicht mehr so wichtig, nahm die Bedeutung dieser Waffen ab. Damit veränderte sich auch die deutsch-französische Zusammenarbeit. Paris will führen, aber die Deutschen wollen keine französische Führung, und die Franzosen wollen keine deutsche Führung. Deshalb lösen solche Vorschläge wie Macrons „strategische Autonomie“ für Europa Abwehrreflexe aus. (Jörg Lau/Özlem Topçu, ZEIT)

Ich teile Masalas Ansicht, dass die meisten Befragten sich wohl wenig Gedanken über die Konsequenzen einer europäischen Armee machen und sich eher darunter vorstellen, dass die Belastungen nach außen abgegeben werden, wie in der guten alten Zeit, als man sicherheitspolitisch komplett von den USA abhängig war und sich auch auf sie verlassen konnte. Die Franzosen haben wesentlich bessere strategische Denkfähigkeiten als die Deutschen (hier als Institutionen gemeint, nicht als Nationen oder Bevölkerungen). Natürlich denken sie aus Sicht ihrer nationalen Interessen strategisch, aber Deutschlands Dilemma ist ja unter anderem, dass es nicht einmal in der Lage ist, in strategischen Interessen zu denken, geschweige denn diese zu formulieren.

10) Löcher in der Leitung

Deutschland ist wegen seiner Mitgliedschaft im Weltklimarat dazu verpflichtet, alle Emissionen in einem jährlichen Inventarbericht aufzuführen. Alle Treibhausgase, ob sie von Autos oder von Rindern ausgestoßen werden, sind dort verzeichnet. Auf dieser Grundlage wird beschlossen, wie viel CO₂ beispielsweise im Autoverkehr oder der Energiewirtschaft eingespart werden muss. Auch Gas-Lecks sind aufgeführt, aber ihr Ausmaß wird vom Umweltbundesamt nicht geprüft. Man vertraut allein den Angaben der Industrie. […] Ganz offensichtlich fehlt ein Großteil der Lecks, aber niemand will dafür verantwortlich sein. Die Betreiber der Anlagen und die Landesbehörden weisen jede Verantwortung von sich. Das brandenburgische Landesumweltamt gibt gegenüber der ZEIT an, dass es keine „expliziten Meldepflichten“ für Betreiber von Gasanlagen gebe. Auch von Methan-Lecks in Mallnow wisse man nichts. […] Würde das alles umgesetzt, könnten bis 2030 rund 180 Millionen Tonnen Methan pro Jahr eingespart werden, heißt es in dem UN-Bericht. Dadurch sei es möglich, eine weitere globale Erwärmung um fast 0,3 Grad bis in die 2040er-Jahre zu vermeiden. „Dann könnten wir die Klimakrise entscheidend abbremsen“, sagt der Gasexperte der Deutschen Umwelthilfe, Constantin Zerger. Methan könne auch zu Asthma bei Kindern führen und Kreislauf-Krankheiten verschlimmern.  (Susanne Götze/Annika Joeres, ZEIT)

Passend zu Fundstück 1 haben wir eine niedrig hängende Frucht, die sich grundsätzlich angehen ließe. Wie so oft ist es intensives Lobbying, das die Ernte hier verhindert. Deswegen wäre ein Framingwechsel auch so nützlich: müssten Regierungen permanent vorlegen, wie sie konkret (!) Emissionen einsparen, wären solche Maßnahmen plötzlich von politischen Verlierern – interessiert keinen, kostet aber eine Menge politisches Kapital – zu Gewinnern gewandelt, weil sie auf die Art einige Monate Ruhe erkaufen könnten. Genauso wie man die Wirtschaft bei ihrem Eigeninteresse packen muss, um den Klimawandel anzugehen, so muss man das auch bei der Politik. Das sollte doch eigentlich gerade für die FDP ein guter Ansatz sein, weil es eben nicht auf idealistischen Großentwürfen basiert, die man ostentativ abzulehnen behauptet.

11) Im Land der Kleinmütigen

In sozialwissenschaftlichen Fragen regiert meist der gesunde Menschenverstand, der – bei allem Respekt – so gesund oft nicht ist. Entscheidungsträger folgen häufig „starken Intuitionen“, gehen fehlerhaft mit Wahrscheinlichkeiten um, verwechseln Korrelation mit Kausalität oder vernachlässigen Folgewirkungen und Ausweichreaktionen. Der Mangel an Evidenz oder ein falscher Umgang mit Daten führen deshalb regelmäßig zu Fehlschlüssen, die noch verstärkt werden durch politischen Druck, Stimmungen und Umfragen und die Tatsache, dass gerade Entscheidungsträger in ihrem Urteil häufig zu selbstsicher sind. […] Das bringt uns zur Situation in Deutschland. Hier herrschen Skepsis, Trägheit und Kleinmut, sowohl gegenüber sozialen Experimenten als auch bei der Bereitstellung administrativer Datensätze. Die Folge: Deutschland ist notorisch untererforscht. Ein enormer Standortnachteil! Während es anderswo durch die Verknüpfung von Daten beispielsweise möglich ist, zu identifizieren, welche Berufsgruppen besonders gefährdet sind, sich mit Corona zu infizieren (also etwa Busfahrer oder Lehrkräfte), war und ist dies in Deutschland leider nicht machbar. Was Deutschland dringend braucht, ist eine Kultur evidenzbasierter Politik. Die hierfür vielleicht wichtigste politische Voraussetzung ist das selbstkritische Denken. Wer sich einem wissenschaftlichen Test stellt, setzt die Möglichkeit des eigenen Irrtums voraus. Das ist kein Scheitern, sondern Kennzeichen einer rationalen Fehler- und Wissenschaftskultur. (Armin Falk, ZEIT)

Ich teile Falks Meinung völlig. Für das von ihm an anderer Stelle in seinem Artikel beschriebene Nudging plädiere ich ja etwa hier im Blog seit 2013 (siehe hier). Gleiches gilt für die bescheuert eng gefassten deutschen Regeln etwa beim Datenschutz, die verlässlich dafür Sorge tragen helfen, dass wir digitiales Schlusslicht der industrialisierten Welt sind. Leider ist bei keiner der im Bundestag vertretenen Parteien eine Neigung zu evidenzbasierter Politik auszumachen. Sie ist, fairerweise gesagt, auch nicht eben populär. Wahlkampf gemacht wird mit Gefühlen. Die evidenzbasiertest arbeitende Regierung war die von Obama, und deren Probleme, ihre Politik zu verkaufen, sind legendär. „Build the Wall“ ist da halt schon eingängiger, egal wie dumm es ist.

Aber es sei auch gesagt, dass es manchen Punkten einfach keine Evidenz geben kann. Eines meiner Lieblingsbeispiele ist das BGE. Die Befürworter*innen bringen in ihren Appellen zur Einführung gerne Studie um Studie und Experiment nach Experiment, aber letztlich sind die alle nutzlos. Die einzige Möglichkeit herauszufinden, ob ein BGE funktioniert, ist, es in einer großen, entwickelten Volkswirtschaft einzuführen. Nicht eben ein Experiment, das man unternehmen will (neben all den anderen Gründen, die gegen das BGE sprechen).

{ 56 comments… add one }
  • Nikolai 7. Juli 2021, 09:34

    Zu 6), bzgl. „Versagen der Erziehung“. Seit ich Vater geworden bin, bin ich immer noch massiv schockiert von der Tatsache, dass Erziehung in unserer Gesellschaft konsequent vollkommenen Dilettanten überlassen wird, damit meine ich die Eltern selbst. Sie kommen vollkommen unvorbereitet in das Elternsein rein und bekommen immer mehr Verantwortung zugeschoben, die sie, wenn wir z.B. die Maßstäbe der Industrie anlegen, mangels passender Bildung und Erfahrung nicht leisten können. Schlimmer noch: wenn sie dann das Wissen und die Erfahrung gesammelt haben, scheiden sie schon aus dem Elternsein aus und werden evtl. Großeltern, dessen Rat wichtig aber gemessen an der Notwendigkeit viel zu selten ist. Wir bemängeln das Fehlen von Profis in allen Lebensbereichen, fördern aber Zuhausebleiben, sodass viele Kinder vor der Schule nur den Eltern ausgesetzt sind, die wir gar nicht fördern und auf Selbstverantwortung und Selbstbildung bauen, während dir besagten Eltern auch z.B. in Ihrem Beruf besser werden müssen.

    Ich kenne nun keine Lösung für das Problem, vor allem weil mir die ganzen psychologischen Argumente bewusst sind, und ich plädiere genau aus den Gründen nicht für ein Internat-Modell, aber ein massiver Ausbau von Kitas und Krippen könnte da schon was bringen.

    • Stefan Sasse 7. Juli 2021, 13:19

      JA JA JA!
      Ich sage das sooooo oft! Und es ist völlig absurd, dass das nicht völlig common sense ist. Ich widerspreche immer heftig, wenn sie in Kindergarten und Grundschule in den Elterngesprächen immer sagen „Sie sind Experte für Ihr Kind.“ Nein, bin ich nicht! Ich bin dafür nicht ausgebildet.

      Danke für den Kommentar, made my day.

      • Nikolai 7. Juli 2021, 13:30

        Umgekehrt dürfen sich die Lehrer und Erzieher den Eltern die Kompetenz nicht absprechen, das ist halt auf sehr vielen Ebenen gefährlich. Da kann ich schon verstehen, warum diese Sätze kommen und warum sie teilweise auch kommen *müssen*, alleine schon, um sich nicht angreifbar zu machen.

        • Kning4711 7. Juli 2021, 15:17

          Ich widerspreche immer heftig, wenn sie in Kindergarten und Grundschule in den Elterngesprächen immer sagen „Sie sind Experte für Ihr Kind.“

          Da bin ich Zwiegespalten – als Eltern kenne ich das Verhalten meines Kindes und kann sicherlich gut einschätzen, was bei meinem Kind eher besser funktioniert und kann Verhalten einordnen und erklären. Insofern bin ich da schon ein stückweit Experte.
          Als Vater eines Kindes mit Förderbedarf kann ich aber sagen, dass es die Mischung macht. Die Verantwortung für die Erziehung für mein Kind, kann mir niemand abnehmen. Die Experten in Form von Lehrern, Erziehern, Förderer und Unterstützer sorgen gemeinsam mit den Eltern für Maßnahmen die das Kind am besten unterstützen.
          Problematisch wird es dort, wo die Eltern aus welchen Gründen auch immer, dieser Verantwortung unzureichend nachkommen – denn diese Verantwortung die ich als Eltern habe, kann ich nicht verlagern und dann bleibt ein wichtiger Aspekt für die Entwicklung des Kindes unbesetzt.

          • Stefan Sasse 7. Juli 2021, 15:56

            Klar, ich bin Experte dafür, bestimmte Verhaltensweisen zu kennen. Aber halt nicht für Frühpädagogik.

        • Stefan Sasse 7. Juli 2021, 15:55

          Ja, völlig.

  • Lemmy Caution 7. Juli 2021, 12:00

    zu 3) bin bzgl. Schwellenländer und Öko ziemlich optimistisch. Das mag auch an meinem Regional/Land Bias liegen.
    Der Ausbau der regenerativen Energie-Erzeugung in Chile ist atemberaubend, eben auch weil es dort die billigste Art der Energie-Erzeugung darstellt. Für Solar-Erzeugung gibt es in Europa keinen so effektiven Ort wie die Atacama Wüste. Es gibt Schätzungen, dass das Land 2030 seinen Strom rein regenerativ erzeugen wird.
    In die Sonntag eröffnete Verfassungsgebende Versammlung wurden viele unabhängige Überraschungs-Kandidaten mit Öko-Agenda gewählt. Als Präsidentin der Versammlung haben die nun eine Mapuche, die sowieso full Öko sind. Auch im Rest der Region scheint Öko auf dem Vormarsch.
    Die chinesische Führung hat das Thema hoch auf der Agenda.
    Frag mich, ob die Annahme, dass Schwellenländern unbedingt unserem Weg folgen, nicht ein wenig paternalitstisch ist. Die ersten hotspots der Klimakrise befinden sich nicht in Europa oder Nordamerika. Oft haben die für regenerative Energien Standortvorteile. Praktisch alle indigenen Gruppen ehemaliger Kolonialgebiete haben ökologische Themen als zentralen Punkt ihrer Agenda.
    Autoritäre Vollhorste wie Bolsonaro, Bukele oder Maduro können in diesen Ländern natürlich immer wieder an die Macht kommen, auch über Wahlen. Jedoch halte ich das nicht repräsentativ für das Gesamtbild.

    • Stefan Sasse 7. Juli 2021, 13:23

      Ich wäre nicht verwundert, wenn die Schwellenländer schneller dekarbonisiert sind als wir. Die überholen uns auch bei der Digitalisierung. Dieses Land ist so verkrustet, das ist der Wahnsinn.

      • Erwin Gabriel 8. Juli 2021, 15:01

        @ Stefan Sasse 7. Juli 2021, 13:23

        Ich wäre nicht verwundert, wenn die Schwellenländer schneller dekarbonisiert sind als wir. Die überholen uns auch bei der Digitalisierung. Dieses Land ist so verkrustet, das ist der Wahnsinn.

        Ja, ein unfassbarer Wahnsinn. Das schreibe ich seit Jahren. Schön, dass Du das inzwischen auch siehst 🙂

        Und wie beim Klimawandel, wo ich vor zehn oder zwanzig Jahren dachte, dass meine Enkel darunter leiden werden, sehe ich auch hier, dass es mich noch erwischen wird, bevor ich (63) siebzig geworden bin. Die Beschleunigung, mit der wir uns auf dem Weg in den Misthaufen machen, ist derart hoch, dass es mich schaudert.

        • Stefan Sasse 8. Juli 2021, 15:25

          Wäre schöner hätte man dich vom Gegenteil überzeugen können 😀 😀 😀 Aber ja, sehe ich inzwischen auch so. Und ich schaudere mit.

  • Lemmy Caution 7. Juli 2021, 12:13

    zu 4) Die letzte dieser Zwangs-Internat Schulen schloss im Jahr 1996. In den 50ern wurden offenbar Ernährungsexperimente an den Kindern durchgeführt. Da gibts echt einiges.

  • Stefan Pietsch 7. Juli 2021, 13:06

    1) Green mortgages: Homes need to catch up to climate change

    Ich habe letzthin gelesen (weiß leider nicht mehr wo), dass wir CO2-Einsparungen betrachten müssen wie die Inflations- oder Arbeitslosenrate: als eine Kenngröße, die jeden Tag aufs Neue geprüft wird. „Wie viel CO2 haben wir heute eingespart?“ muss die Devise werden.

    Das ist totaler Unsinn. Die Inflationsrate wird vor allem im Jahresturnus betrachtet, die Arbeitslosenrate monatlich. Klimaentwicklungen und CO2-Emissionen haben einen weit längeren Zeithorizont. Preise sind leicht hoch und runter gesetzt, Arbeitsverträge binnen Tagen geschlossen und Monate gekündigt. Aber die Heizung lässt sich nicht gerade über Nacht umstellen (ausstellen ja).

    Zudem zeigt sich in solchen Kommentierungen das ganze Unverständnis der Aktivisten. Wie Religiöse. Was habe ich heute Gutes getan. So funktioniert das nicht. Einerseits sagen die Klimaaktivisten, die ganze Welt sei beim Klima in einem Boot, Entwicklungsländer auf der Südhalbkugel müssten für den Klimafrevel der Industrieländer auf der Nordhalbkugel büßen. Da ziehen wir doch lieber selber das Büßerhemd an.

    In keinem sind Grüne und Umweltbewegte so kleingeistig wie beim Klimaschutz. Wir müssten unsere Reduzierungsanstrengungen bei der Energieerzeugung erhöhen, heißt es. Dann schlägt man auf nationaler Ebene erstmal die Instrumente für die niedrigen Früchte aus der Hand und exportiert das Energieproblem. Die höchsten Strompreise in Europa haben nicht dafür gesorgt, dass extrem CO2-arm produziert wird. Und diese hohen Strompreise sind das Werk grüner Politik. Man kann also ermessen, wie erfolgreich die Maßnahmenvorschläge der Grünen wahrscheinlich sind.

    Eine Tonne CO2-Einsparung in Deutschland bringt Nullkommanull fürs Klima, wenn sie nicht generell eingespart wird. D.h., wenn nicht irgendwo auf der Welt ein Emittent seinen Ausstoß erhöht. Der Zertifikatehandel macht diesen Mechanismus transparent: die Emissionseinsparung des einen ist die Kosteneinsparung des anderen.

    Tempolimit: Nichts zeigt den Unsinn der Debatte deutlicher. Denn es wird so getan, als wäre ein solches kostenlos. Eine Studie des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW) kommt zu anderen Ergebnissen, denn darin wird nicht nur die Emissionseinsparung, sondern eben auch der Wohlstandsverlust mitberechnet. Machen wir es mal transparent:

    Ein Geschäftsreisender fährt Freitag Nachts 0 Uhr nach einer anstrengenden Woche mit erfolgreichen Kundengesprächen von Berlin nach Hause in Frankfurt am Main. Der letzte ICE ist ohnehin schon weg, die Fahrtstrecke beträgt 530 km, zu bewältigen in 4 Stunden bei zügiger Fahrweise, also auch mal 160 km/h. Andere benötigen locker 6 Stunden.

    Und dann muss dieser arbeitssame Mann am Übergang zum Wochenende mit 100 oder 130 km/h auf einer längst völlig leeren Autobahn dahindödeln, ist ja fürs Klima. Welchen Wert hat eine Stunde Lebenszeit? Ich weiß es nicht genau, am Ende des Lebens wird man es genauer sagen können. Es ist die Stelle, an der einem 1 kg CO2-Einsparung wirklich schnuppe sind.

    2) The debt hawks are flapping their wings

    Ohne die Maastricht-Regeln sind die Nordländer in einer dauerhaften Transferunion gefangen, in der permanent Wohlstand vom Norden in den Süden der Europäischen Union verbracht wird. Das Schlimme: es gibt dort keinen Ausblick auf Besserung, Spanien, Portugal und Griechenland sind seit fast 50 Jahren Empfängerländer, Italien bemüht sich nach Kräften, eins zu werden und macht gute Fortschritte. Wenn eine solche Transfergemeinschaft wider Willen schon in einem Nationalstaat wie z.B. Deutschland, aber auch Italien und Spanien für enorme gesellschaftliche Spannungen sorgt – wie ist das erst in einem Konstrukt, dass als Wirtschaftsunion gedacht war?

    3) Can Elites Start the Climate Revolution?

    Der Westen ist für so 30% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich, Tendenz stark abnehmend. Das ist weder der Löwenanteil noch das entscheidende Problem. Ökonomen würden sich den Bereichen zuwenden, wo ein Problem wächst und tatsächlich den Löwenanteil ausmacht. Aber nicht unsere Klimaaktivisten.

    5) Baerbock geht zum Gegenangriff über

    Annalena Baerbock ist in den Augen der Grünen eine Lügnerin und Betrügerin, nicht mal geeignet, ein Ministeramt zu übernehmen, geschweige denn das Kanzleramt. Wenn man schon so frech abkupfert, dann sollte man sich zumindest nicht erwischen lassen.

    So die Worte von Grünen-Politikern, unter anderem Jürgen Trittin. Das war allerdings vor 10 Jahren und ging gegen Karl-Theodor zu Guttenberg. Dass solche Einschätzungen bei einer Grünen natürlich nicht gelten, ist nur mit dem besonderen Moralempfinden dieser Monstranzträger zu erklären.
    https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/plagiatsvorwuerfe-gegen-baerbock-umgang-der-gruenen-mit-guttenberg-17424732.html

    Gegenangriff? Wie der aussieht, davon bekommt das Publikum momentan ein Gefühl. Die Grünen schlagen wie wild um sich, attackieren eine taz-Journalistin – ach so, nicht weil diese Polizisten als Müll bezeichnet hätte, sondern weil sie Baerbocks Rückzug verlangt hat. Sie reißen gerade mit ihrem Hintern ein, was Robert Habeck in sorgfältiger Imagepflege 3 Jahre lang aufgebaut hat. Die Grünen sind die gleichen Intoleranten wie vor 10 Jahren. Danke, dass dies gerade so deutlich gezeigt wird.

    • Stefan Sasse 7. Juli 2021, 13:28

      1) Das war ja auch eher metaphorisch.
      Klar muss die Tonne tatsächlich eingespart werden. Aber wenn alle sagen „wenn ich das mache bringt das ja nichts“ wird sie nie eingespart. Das ist wie bei den Schaulustigen, bei denen keiner die feuerwerhr gerufen hat, weil alle denken, dass es schon jemand anders gemacht haben wird. Das hat wenig mit Moral zu tun sondern sehr viel mehr mit Pragmatismus. Wir müssen alle ran, jeden Tag.
      Und klar, Grenzfälle gibt es immer, bei allem. Ich kann dir auch, siehe 2), problemlos Beispiele konstruieren wo die Rückzahlung von Krediten total doof ist. Nur sollte die Regel halt schon die sein, die die Hauptverkehrszeiten betrifft, wo die Leute tatsächlich unterwegs sind, nicht?

      2) Ich weiß nicht, warum du Maastricht und Transfer immer gleich setzt. Masstricht gilt ja auch für Deutschland.

      3) Ökonomen müssen auch nur Paper schreiben, was China vielleicht tun könnte. Als Deutsche aber wirken wir auf die deutsche Politik ein, nicht auf die chinesische. Da hilft dir dein idealistiertes Moralisieren nicht weiter 🙂

      • Stefan Pietsch 7. Juli 2021, 18:04

        1) Das funktioniert nicht einmal im kleinen Kreis und schon gar nicht mit 8 Milliarden Menschen. Das genau ist der religiöse Ansatz: Religionen wissen, dass die Idee, alle ohne Ausnahme zu moralisch absolut korrektem Lebensstil wie ihn die Religion empfiehlt, nicht wirklich funktioniert. Deswegen hat jede Religion einen ausführlichen Bußkatalog mit im Gepäck bis hin zur Androhung des Schlimmsten.

        Das ist der eigentliche Kern von Religionen: Die Menschen zu demütigen, gehorsamen Wesen zu machen. Im S/M-Bereich soll das übrigens auch ganz beliebt sein. 😉 Genau deswegen werden diese Vergleiche auch verwendet. Wenn der Weg nicht gangbar ist, geht es nicht um das vorgegebene Ziel, sondern um etwas anderes.

        Wer ein globales Ziel erreichen will, darf damit nicht im Kleinen anfangen, sondern im Großen. Doch dazu fehlt bei den Grünen wie den deutschen Klimaaktivisten jeder Ansatz. Im Europaparlament nehmen die Grünen zur Verschärfung der Besteuerung eine andere Position ein als in Deutschland. Dort ist die Sorge, dass höhere Umweltsteuern die armen Osteuropäer in Schwierigkeiten bringen könnten.

        Ein globaler Ansatz beginnt damit, dass sich EU und USA zusammentun. Das hat man bei der Union und der FDP begriffen, bei den Grünen wartet man noch auf diese Erkenntnis. EU-Kommission und Biden-Administration verfolgen entgegengesetzte Ansätze. Während Europa mit Cap & Trade und CO2-Steuern Emissionen deutlich verteuert und neue Technologien durch die preislichen Anreize erreichen will, setzt Washington auf Subventionen und Wirtschaftsförderung als Belohnungssystem. Während hier Unternehmen Kapital und Liquidität entzogen wird, erhalten amerikanische Unternehmen Kapital und Liquidität zugeführt.

        Beides zusammen kann nicht funktionieren, das ist Hü und Hott. Der Entwurf der amerikanischen Klimapolitik für die nächsten Jahre steckt noch in den Anfängen, es ist also höchste Zeit für detaillierte Abstimmungsprozesse. Doch Ansätze hierfür finden sich nicht in den Grünen Wahlprogrammen.

        Ich habe kein Problem mit elektronischer Verkehrssteuerung. Aber Deutschland hat zig Autobahnen, die sechs- und achtstrahlig ausgebaut sind. Nur weil manche ein Problem mit Geschwindigkeit haben, ist das kein Grund für ein Tempolimit. Ansonsten nehmen wir halt das Flugzeug.

        2) Maastricht schließt Transfers aus. Um dies zu gewährleisten, müssen die Staaten natürlich ihre Finanzen im Griff haben. Dies haben sie umso weniger, je höher ihre Defizite und Gesamtverschuldung liegt. Wer möchte das anhand der Beispiele Spanien, Portugal, Italien und Griechenland bezweifeln? Die inoffizielle Begründung für die de facto Einführung von Eurobonds und nicht rückzahlbare Transfers im Rahmen des Corona-Pakets ist die hohe Staatsverschuldung Spaniens und Italiens.

        3) Ja, ja. Aber aus deutscher Sicht ist die Menge an Emissionen überschaubar und das Problem vernachlässigbar. Das wiederum ist auch Teil der Wahrheit. Und der Anteil jener, die sich ums Klima sorgen ist auch nur in Deutschland besonders hoch. Alles relativ, mit 25-30 Prozent, je nach Frage. Warum machst Du dann so ein Aufhebens?

        • Stefan Sasse 7. Juli 2021, 23:00

          2) Ich will auch keine Transfers. Die Maastrichtkriterien schaden auch Deutschland.

          3) Weil uns gerade der Planet unterm Arsch wegbricht? Ich will gerne auch in 20 Jahren noch normal leben können.

          • Stefan Pietsch 7. Juli 2021, 23:27

            2) Es gibt schöne Berechnungen, die zeigen, einen welch hohen Milliardenbetrag deutsche Anleger allein durch die Geldpolitik der EZB verloren haben. Und es lässt sich auf den Cent berechnen, dass Deutschland allein einen Betrag von über 80 Milliarden Euro ziemlich wertloser griechischer Anleihen übernommen hat, geliehenes Kapital (für das sich Deutschland selbst verschulden musste), das der Bundeshaushalt in diesem Leben nicht mehr wiedersehen wird. Also, es ist nicht ganz einfach zu der Ansicht zu gelangen, Maastricht habe Deutschland geschadet. Aber Zahlen überzeugen Dich ja nicht.

            3) Ich kann Dir garantieren: Du wirst auch in 20 Jahren noch „normal“ leben können. Es wird keine Tsunamis und Tornados in Deutschland geben. Vielleicht werden die Sommer etwas heißer (was wohl eher angenehm ist) und die Winter etwas kälter (was wieder mal angezeigt wäre), aber sonst wirst Du Dir eher darüber Sorgen machen müssen, wer eigentlich Deine Altersbezüge zahlen soll.

            Und die Weltrettung wird sicher nicht an ein paar Rotoren in Deutschland scheitern oder der Nichteinführung eines Tempolimits.

            Hebe diesen Kommentar gut auf, er wird Dich im Jahr 2041 daran erinnern, wie apokalyptisch Du einstmals gedacht hast.

            • Stefan Sasse 8. Juli 2021, 08:51

              2) Danke dass du meinen Punkt für mich machst. „Deutsche Anleger“ sind nämlich eine Minderheit. Deren Interessen werden zwar gerne verabsolutiert, weil sie deutlich größere Macht in Deutschland haben als ihre Größe andeutet, aber das heißt nicht, dass sie identisch mit „den Deutschen“ sind.

              3) Ich hoffe so sehr dass du Recht hast, das glaubst du gar nicht.

              • Stefan Pietsch 8. Juli 2021, 10:18

                2) Zweidrittel bis 80% der Deutschen halten Sparvermögen. Ihre festverzinslichen Anlagen – vom Sparbuch über Kapitallebensversicherungen, Betriebsrenten, private Lebensversicherungen bis hin zu Festgeld und Staatsanleihen sind von der Niedrigzinspolitik betroffen und zahlen mit Vermögensverlust. Ist das Dein Punkt?

                Selbst jene, die ein großes Sicherheitsbedürfnis haben und sich geschworen haben, nie ihr Geld in so etwas Unsicheres wie Aktien anzulegen, sind Opfer. Sie werden zu einem riskanteren Anlageverhalten gezwungen, wenn sie ihr Kapital erhalten wollen. Auch das ist Wohlstandsverlust.

                3) Das kannst Du selbst lesen. Mitteleuropa wird eher Profiteur des Klimawandels sein, zumindest wenn man es eben unter klimatischen Bedingungen betrachtet. Das riesige Problem des Klimawandels spielt sich nicht in Deutschland oder Frankreich ab. Es entwickelt sich den Peripheriebereichen. Z.B. im Andenstaat Chile, in Australien, im Herzen Afrikas, in bestimmten Zonen der USA, an den Gletschern Norwegens und in Patagonien. Gegenden, die ich übrigens liebe.

                Widersprüchlich Strategien, wo es um ein Ziel geht, führen fast immer zum Misserfolg. Umso wichtiger ist, dass wir uns global abstimmen. Das lässt sich durch nichts ersetzen. Hierauf sollten wir unsere politischen Anstrengungen richten, statt Industriepolitik zu betreiben.

                • Stefan Sasse 8. Juli 2021, 15:22

                  2) https://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/thumb/5/53/Verm%C3%B6gensverteilung_Deutschland_2002_und_2007.svg/1000px-Verm%C3%B6gensverteilung_Deutschland_2002_und_2007.svg.png

                  3) Wir müssen beides machen. Und „globale Abstimmung“ wird seit 30 Jahren gefordert. Diese Argumentationslinie ist eine Nebelkerze. Deutschland ist angeblich zu bedeutungslos, um mit Industriepolitik was zu reißen, aber weltweite Kooperation können wir herstellen? So ein hybrisbeladener Unfug.

                  • Stefan Pietsch 8. Juli 2021, 21:29

                    2) Was soll das? Jeder Sparer, der auch nur 10 Euro im Jahr spart und statt 4% keinen Zins erhält, erleidet einen Vermögensverlust. Das, Stefan, ist der Punkt, nicht die Frage der Vermögensverteilung.

                    3) Die von Dir so genannte „Nebelkerze“ ist die einzig logische Schlussfolgerung aus der Analyse. Weißt Du eigentlich, wie viel CO2 Deutschland emittiert? Weniger als 0,9 Milliarden Tonnen. Weltweit sind es 46 Milliarden Tonnen. Selbst wenn Deutschland heute völlig CO2 neutral würde, so würde dies nur den weltweiten Anstieg eines Jahres kompensieren. So klein wäre der Effekt.

                    Aber Du möchtest Dich lieber über Tempolimits unterhalten, die aus klimatechnischer Sicht ohnehin in einigen Jahren obsolet sind. Ich denke, wir müssen noch sehr am Problembewusstsein arbeiten. 🙂

                    • Stefan Sasse 9. Juli 2021, 07:43

                      2) Der Punkt ist, dass das für sehr, sehr viele Leute eine rein akademische Frage ist. Du hast behauptet, das betrifft 80-90% der Bevölkerung, und ich sage: Bullshit.

                      3) Den weltweiten Anstieg zu kompensieren wäre besser als ihn nicht zu kompensieren.

                    • Stefan Pietsch 9. Juli 2021, 11:41

                      2) Genau schrieb ich von zweidrittel bis 80%. Rein mathematisch betrachtet sind Zweidrittel 67% und nicht 90%.

                      Die Werte sind nicht willkürlich gegriffen. So viele Menschen besitzen in Deutschland ein Sparbuch oder das andere Zeugs, was ich aufgezählt habe. Wie gesagt, auch solch alberne Sachen wie Lebensversicherungen sind von niedrigen Zinsen betroffen.

                      All diese Menschen wollen eine Belohnung dafür, dass sie ihr Geld zurücklegen und nicht ausgeben. Das könnt ihr Linken nicht verstehen, aber das ist so. Und wer 35 Jahre in eine Lebensversicherung gespart hat, damit er es im Alter etwas leichter hat und nicht nur auf eine Rente von 1.200 Euro angewiesen ist, dann macht es für ihn sehr wohl einen Unterschied, ob die monatliche Auszahlung 500 oder nur 300 Euro beträgt.

                      Das mag für Dich keinen Unterschied machen, weil es Dir akademisch erscheint – aber deswegen dienen ja linke Parteien seit fast 20 Jahren nur noch als Beiwerk. Warum das so ist, dafür hast Du jetzt gerade eine Antwort erhalten.

                      3) Rein akademisch betrachtet, können 1,4 Milliarden Menschen 0,9 Milliarden Tonnen CO2 besser kompensieren als 0,083 Milliarden Menschen. Mathematisch gilt das übrigens auch.

                    • Stefan Sasse 9. Juli 2021, 12:36

                      2) Klar wollen diese Menschen das. Hartz-IV-Empfänger wollen möglichst hohe Sozialleistungen. Interessengruppen wollen ihren Interessen entsprechende Dinge. Das ist nachvollziehbar.

                      3) Wir. Müssen. Auf. Null.

                    • Stefan Pietsch 9. Juli 2021, 13:10

                      2) Es ist nicht normal, dass jemand dauerhaft Sozialleistungen erhält. Aber es ist normal, dass jemand dafür entlohnt wird, dass er sein Einkommen nicht sofort komplett verkonsumiert, sondern es produktiven Zwecken zur Verfügung stellt.

                      Der Staat hat diesen normalen Mechanismus außer Kraft gesetzt, denn ohne den Staat, würde er weiterhin funktionieren. Das ist wie beim Sport, wo der Schiedsrichter alle Aktionen der einen Mannschaft abpfeift und den Ball den anderen hinwirft. Kann man machen, mit einem normalen, fairen Spiel hat das allerdings nichts mehr zu tun. Und es ist eine Frage der Zeit, bis unter solchen Bedingungen niemand mehr mitmachen will.

                      3) Wenn die ganze Welt ihre Emissionen auf Null senken würde, nur Deutschland nicht, gäbe es keine messbaren Auswirkungen auf das Klima. Würde die ganze Welt ihre Emissionen auf Null senken, nur China (oder die USA) nicht, wären die Anstrengungen der anderen nur relativ wirksam.

                      Unterschied verstanden?

                      Wenn ja, warum setzen wir unsere Hauptanstrengungen darauf, Deutschland auf Emission Null zu bringen? Vertrauen wir einfach darauf, dass die chinesischen Bürger das gleiche Interesse haben? Echt? Schau‘ mal nach Hongkong, wohin divergierende, von der Staatsparteilinie abweichende Policies führen.

                    • Stefan Sasse 9. Juli 2021, 14:51

                      2) Ohne den Staat würde der Finanzmarkt überhaupt nicht existieren 😉 Aber ich weiß was du meinst. Die Politik entscheidet derzeit zwischen akzeptablen Zinsen und einer Rezession. Ich bin sehr glücklich, dass sie sich gegen die Rezession entscheiden.

                      3) WEIL DIE DEUTSCHE POLITIK NUR DIE DEUTSCHEN EMISSIONEN AUF NULL BRINGEN KANN. WEIL AUCH DIE DEUTSCHEN EMISSIONEN RUNTER MÜSSEN.

                    • Stefan Pietsch 9. Juli 2021, 16:50

                      2) Nein, tut sie nicht. In Deutschland hätte in den Zehnerjahren auch mit höheren Zinsen keine Rezession gedroht. Und in Italien haben wir seit 20 Jahren Rezession.

                      Nein, es geht nur darum zu vermeiden, dass die Hosen runtergelassen werden müssen und wir erkennen: viele Staaten sind schlicht überschuldet, wir müssen die Uhr zurückdrehen. Übrigens, Rezession ist eigentlich kurzfristig, wenn eine Wirtschaft Jahre bei Nullwachstum verharrt, stimmt einiges nicht.

                      3) Warum? Ich habe doch gezeigt: Wenn Deutschland seine Emissionen hält, ist der Effekt auf den Klimawandel praktisch nicht messbar.

            • popper 8. Juli 2021, 09:51

              @Stefan Pietsch 7. Juli 2021, 23:27

              Deutschland allein einen Betrag von über 80 Milliarden Euro ziemlich wertloser griechischer Anleihen übernommen…

              Hat Deutschland nicht. Es geht bei den 80 Mrd. um das allgemeine Anleihekaufprogramm der EZB und nicht um griechische Anleihen. Außerdem ergeben sich die 80 Mrd. aus einem Verteilerschlüssel, sollte es tatsächlich zu einer Haftung kommen, was allerdings ziemlich hypothetisch ist. Die EZB kann jede x-beliebige Summe in Euro auf ihre Bilanz nehmen, da Geld für sie weder einen Wert noch einen Verlust darstellt. Diese theoretischen bilanztechnischen Geschichten sind für den geldpolitischen Laien vielleicht noch beeindruckend, für die europäische Finanzstruktur völlig belanglos. Das hat schon die Diskussion um Target2 gezeigt, wo Leute, die diesen finanztechnischen Mechanismus (noch) nicht verstanden haben, substanzlose Horrorgeschichten verbreiten. An vorderster Stelle Prof. Sinn.

              • Stefan Pietsch 8. Juli 2021, 10:33

                Das Problem, wenn Sie ein Steckenpferd haben: Sie schauen nicht links oder rechts und Sie schauen nicht genau hin.

                Hätten Sie das getan, hätte Ihnen auffallen müssen, dass die 80 Milliarden Euro in der Größenordnung nicht mit dem Anteil aus den Target2-Salden korrespondieren, egal ob man das nun als vermögenswirksam betrachtet oder nicht.

                Ergo: Das kann Herr Pietsch kaum gemeint haben oder er hat einen ziemlich großen Fehler begangen. Vernünftig wäre, von ersterem auszugehen.

                An Portugal wurden im Rahmen des EFSF und EFSM knapp 50 Milliarden Euro ausbezahlt. An Griechenland flossen im Rahmen des 1. Griechenlandprogramms 73 Milliarden Euro, der deutsche Anteil durch bilaterale Verträge beträgt 15,2 Milliarden Euro. Das 2. Griechenlandprogramm hatte einen effektiven Umfang von 131 Milliarden Euro, die tatsächlich ausbezahlt wurden.

                Bewerten wir die Einlagen in die Fonds mit 28%, so haftet Deutschland hieraus für 66 Milliarden Euro und das liegt nur deswegen signifikant unter den von mir genannten 80 Milliarden Euro (immerhin aus dem Kopf), weil ein Teil der gewährten Hilfen nicht zur Auszahlung kamen.
                https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Europa/Stabilisierung_des_Euro/europaeische-finanzhilfen-efsf-efsm.html#:~:text=Der%20deutsche%20Anteil%20der%20europ%C3%A4ischen%20bilateralen%20Kredite%20im,tilgen.%20Die%20vom%20IWF%20im%20Rahmen%20des%201.

                Also, packen Sie Ihre Target-Salden und Erläuterungen dazu bitte ein.

                • popper 8. Juli 2021, 11:47

                  @Stefan Pietsch 8. Juli 2021, 10:33

                  Und an Sie habe ich die Bitte an Sie, nicht aus dem Thema zu flüchten, es zusammenhanglos ausweiten, um meine Argumentation zu übernehmen. Ihr Referat über EFSF und EFSM und Portugal, hat mit Ihrer Aussage, die Sie vermutlich DIE WELT haben, nichts zu tun. Sie rühren einen zusammenhanglosen Mischmasch zusammen, der von Ihrer absolut falschen Behauptung wohl ablenken soll.

                  EFSF und EFSM sind keine Aufkaufprogramme, wo Staaten Anleihen anderer Staaten übernehmen, wie Sie formuliert haben,sondern der sogenannte Euro-Rettungsschirm und Notfinanzierungsprogramme, das auf Mittel angewiesen ist, die auf den Finanzmärkten aufgebracht und von der Europäischen Kommission unter Verwendung des Haushalts der Europäischen Union als Sicherheit garantiert werden. Für die kassieren wir sogar Zinsen.

                  Sie haben behauptet: dass Deutschland allein einen Betrag von über 80 Milliarden Euro ziemlich wertloser griechischer Anleihen übernommen hat… was völliger ist Quatsch ist.

                  Hätten Sie das getan, hätte Ihnen auffallen müssen, dass die 80 Milliarden Euro in der Größenordnung nicht mit dem Anteil aus den Target2-Salden korrespondieren…

                  Sie sollten mir nicht etwas unterstellen, was ich gar nicht gesagt oder in den von Ihnen behaupteten Zusammenhang gebracht habe. Die Targe2 Salden waren nur ein weiteres Beispiel dafür, wie die europäische Finanzstruktur fehlinterpretiert wird. Das stand aber in keinen Zusammenhang mit den von Ihnen genannten 80 Mrd.

                  • Stefan Pietsch 8. Juli 2021, 12:58

                    Es geht bei den 80 Mrd. um das allgemeine Anleihekaufprogramm der EZB und nicht um griechische Anleihen. Außerdem ergeben sich die 80 Mrd. aus einem Verteilerschlüssel, sollte es tatsächlich zu einer Haftung kommen, was allerdings ziemlich hypothetisch ist. Die EZB kann jede x-beliebige Summe in Euro auf ihre Bilanz nehmen, da Geld für sie weder einen Wert noch einen Verlust darstellt.

                    Ihre Behauptung hier ist und war falsch. Es ging eben nicht um das Anleihekaufprogramm der EZB. Die Europäische Notenbank kauft nämlich im Rahmen dieses Programms keine griechischen Staatstitel. Der Grund ist, dass Athen in den Zehnerjahren mehrere technische Defaults hingelegt hat.

                    Der Bundeshaushalt haftet unmittelbar für 15 Milliarden Euro, die direkt an Griechenland gegeben wurden. Diese Darlehen ersetzten auslaufende griechische Anleihen.

                    Ebenso ersetzten die Kredite von EFSF und EFSM griechische Staatstitel, sie weiteten nicht die griechische Staatsschuld aus. Wir erinnern uns: Athen konnte sich mehrere Jahre nicht mehr am Kapitalmarkt versorgen. Wo kam also das Geld her, um auslaufende Anleihen zu befriedigen? Das könnten Sie wissen, würden Sie sich die Zusammensetzung der griechischen Staatsschuld nach Gläubigern 2010 und 2020 im Vergleich mal betrachten. Würden Sie das, würden Sie sehr leicht erkennen, dass hier ein Austausch in großem Umfange stattgefunden hat.

                    Von den griechischen Staatsschulden entfallen fast zwei Drittel auf die Euro-Rettungsfonds EFSF und ESM sowie auf bilaterale Kredite von Eurostaaten, die im Rahmen des ersten Hilfsprogramms gewährt wurden. Jeweils fünf Prozent seiner Verbindlichkeiten schuldet Griechenland dem IWF und der Europäischen Zentralbank, der Rest entfällt auf andere Gläubiger.

                    https://www.wiwo.de/politik/ausland/griechenland-ewig-gefangen-im-schuldenstrudel/14869814.html

                    Das war einmal anders:
                    https://www.wiwo.de/bilder/schuldenkrise-griechenlands-groesste-glaeubiger/4698678.html

                    Aber wahrscheinlich haben die auch alle keine Ahnung.

            • Detlef Schulze 8. Juli 2021, 10:03

              „Es wird keine Tsunamis und Tornados in Deutschland geben. “

              Davon abgesehen, dass Tsunamis nichts mit dem Klimawandel zu tun haben und dass Tornados auch in Deuschland vorkommen, kann Deutschland sicherlich ganz gut mit den direkten Folgen des Klimawanels umgehen. Viele andere Länder können das aber nicht. Schon jetzt gibt es weltweit Konflikte um Wasser und Nutzflächen für die Landwirtschaft. Durch Bodenerosion und Desertifikation werden diese Flächen immer kleiner, was weltweit zu erhöhten Lebensmittelpreisen führt, die sich dann viele Menschen einfach nicht mehr leisten können. Man stelle sich nur vor, wie die Preise auf dem Weltmarkt sich ändern würden, wenn im California Valley Landwirtschaft nicht mehr betrieben werden kann, weil dass Grundwasserreservoir leer ist. Klar, die reichen Länder könnten diese Preise bezahlen, Menschen in der 3. Welt aber nicht mehr.

              Massenmigration vom Süden in den Norden will ja hier (im Norden) niemand und daher ist auch das Argument, dass Permafrostböden durch den Klimawandel nutzbar werden ziemlicher Quatsch. Vermehrte Unwetter und auch Hitzewellen im Sommer sind für Deutschland sicher das geringste Problem.

              • Stefan Pietsch 8. Juli 2021, 10:37

                Viele andere Länder können das aber nicht. Schon jetzt gibt es weltweit Konflikte um Wasser und Nutzflächen für die Landwirtschaft.

                Sie brauchen mich nicht von den erwarteten Schäden des Klimawandels zu überzeugen. Ich bin ein Überzeugter. Das ist hier nicht der Diskussionspunkt. Allerdings ist es eine faktenfreie Annahme mit einem Tempolimit von 130 km/h auf Deutschlands Autobahnen würde ein spürbarer Beitrag zur Verlangsamung des Klimawandels geleistet.

                • Detlef Schulze 8. Juli 2021, 10:59

                  @Pietsch
                  Bzgl, Einfluss von Tempolimit auf Klimawandel:

                  Die paar Euro, die ich an Steuern zahle haben auch keinen Einfluss auf den Staatshaushalt. Trotzdem ist es dem Staat sehr wichtig, dass ausgerechnet ich zahle.

                  Und seien Sie ehrlich, ihr Argument dass übermüdete Geschäftsleute am Freitag nach 0Uhr mit 160km/h von Berlin nach Frankfurt fahren müssen, damit sie vor Morgengrauen bei ihren Familien sind, ist doch eher eines für das Tempolimit.

                  • Stefan Pietsch 8. Juli 2021, 11:36

                    Ja, aber das mit den Steuern ist kein gutes Beispiel. Denn die einen müssen sehr hohe Steuern entrichten und manche ganz wenige oder keine. Der Staat kann es sich eben leisten, bei einigen auf eine Steuererhebung ganz oder teilweise ganz verzichten, ohne dass dies im Haushalt sonderlich spürbar wäre oder das Budget gesprengt würde. Zu einem Problem wird es nur, wenn die Erleichterungen oder der Verzicht alle oder sehr große Gruppen trifft.

                    Ich fahre meist mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen 120 und 150 km/h, weil sonst einfach zuviel Benzin aus dem Tank gezogen wird. Wissen Sie, die Tanknadel ist ein Signalgeber, wie viel Geld von meinem Konto abgebucht wird. Und wer mag schon so etwas?

                    Auf dem normalen Arbeitsweg rase ich nicht. Warum auch? Der Verkehr und die verhältnismäßig kurze Strecke geben keinen messbaren Zeitgewinn.

                    Aber das Beispiel war nicht fiktiv, das bin ich. Ich wohne nahe Frankfurt und habe in meinem Berufsleben oft und häufig in Berlin gearbeitet. Ich habe sogar zweimal meinen Arbeitgeber danach ausgesucht. Und in meinem Beruf fährt man nicht selten zu verkehrsarmen Zeiten. Nach 20 Uhr kann man die A2, A9 und A4 richtig langbrettern. Ich habe nie verstanden, dass manche für die Strecke 6-7 Stunden benötigten. Ich fahre das meist in gut 4 Stunden.

                    Das ist Lebenszeit. Die Vorstellung, statt mal mit 170 nur mit 100 oder 120 lang zu gurken, ist da ein echter Horror, gerade eben auf so einer langen Strecke. Wie gesagt, es kommt auf die Situation an. Auf meinem Arbeitsweg habe ich kein Problem mit einem Tempolimit von 130 km/h. Bei langen Strecken sehr wohl.

                    P.S.: Ich habe von Frankfurt nach Berlin alle relevanten Verkehrsmittel benutzt. Keins ist ideal.

                    • Stefan Sasse 8. Juli 2021, 15:23

                      Ist faszinierend dass die Menschen in allen Ländern außer Deutschland überleben. Denn wir sind das einzige Land ohne Tempolimit.

                    • Stefan Pietsch 8. Juli 2021, 21:13

                      Ja, echt faszinierend. Aber in anderen Ländern sind ja auch die Steuern bedeutend niedriger und Du findest das auch nicht beeindruckend. Jedenfalls nicht so, dass Du es Dir auch für Deutschland wünscht. Und nirgends außer in Deutschland spielen grüne Parteien eine bedeutende Rolle – auch eine Erfahrung, auf die mancher hier gerne verzichten würde. 😉

                      Was ist eigentlich, wenn in ein paar Jahren wie geplant hauptsächlich E-Autos rumsausen – spätestens dann ist doch Dein Klimaargument entfallen. Mit anderen Worten, in ein paar Jahren brauchst Du eine völlig neue Argumentation für etwas, was Du willst.

                      Was zeigt, dass Du ein ganzes Stück unehrlich bist, my friend.

                    • Stefan Sasse 9. Juli 2021, 07:42

                      Das Klimaargument würde entfallen, wenn wir mit e-Autos herumsausen und der Strom aus Erneuerbaren kommt, ja. Ich bin zwar auch aus verkehrssicherheitstechnischen Gründen für das Tempolimit, aber das spielt hier ja keine Rolle, daher würde das Argument dann entfallen, ja. Aber das dauert ja noch drei Jahrzehnte, wenn es nach dem Willen der lobbyhörigen CDU geht.

                    • Stefan Pietsch 9. Juli 2021, 11:52

                      Nach dem Willen der Grünen sollen ab 2030 keine Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden. OPEL will auch ab diesem Jahr keine mehr herstellen, andere Hersteller haben sich einen Übergangszeitraum von 2025 – 2035 gesetzt.

                      Das sind keine Jahrzehnte wie von Dir behauptet, sondern eher ein Jahrzehnt und weniger. Zumal nicht ab einem Stichtag die Verkaufsquote von Stromern von 10 auf 100 Prozent steigt.

                      Da über die Hälfte der auf deutschen Straßen verkehrenden Kraftfahrzeuge gewerblich oder als Mietwagen genutzt werden und viele Fahrzeuge ohnehin nur im Stadtverkehr oder auf der Kurzstrecke gefahren werden, würde der Effekt eines Tempolimits schon in wenigen Jahren gegen Null sinken.

                      Wie mit Substituten wie synthetischen Kraftstoffen zu verfahren ist, darüber macht sich die selbsternannte Umweltpartei natürlich keine Gedanken. Wer schon mit dem Redigieren von halben Sachbüchern überfordert ist, kann Komplexität in seinem Denken nicht berücksichtigen.

                      Aber die Wahrheit ist: Du magst es nicht, wenn Menschen in Karossen schnell und sehr schnell fahren. Die Begründung ist Dir egal und so setzt Du die Argumente hier ja auch ein. Nur sagen magst Du das nicht.

                    • Stefan Sasse 9. Juli 2021, 12:36

                      Wieso, ich sag doch ich bin auch aus anderen Gründen für das Tempolimit?

                    • Stefan Pietsch 9. Juli 2021, 13:01

                      Nein, Du sagst, und wenn das Argument mit dem Klima nicht funktioniert, habe ich noch 100 andere Gründe, warum man für ein Tempolimit sein muss. Du hast ja schon das Dritte zur Sicherheit genannt: in den meisten Ländern gibt es Geschwindigkeitslimits auf Autobahnen, ohne dass die je an die Auswirkungen auf das Klima gedacht hätten. Übrigens auch nicht an mögliche Verkehrstote. Das versteht man, wenn man mal in Frankreich oder Spanien auf der Autobahn fährt. Die sind ziemlich leer.

                      Es gibt im Leben immer das eine Argument, dass die Waagschale bei einer Entscheidung neigt. Das ist bei Unternehmensentscheidungen so, das ist vor Gericht so, das ist in der Liebe so. Da mag es eine Fülle an Gründen des Für und Widers geben, am Ende macht’s das eine Ding.

                      Wärst Du prinzipiell neutral und objektiv, dann wäre das bei Dir auch so. Nach dem Motto, „gute Gründe fürs Schnellfahren“, „gute Gründe für das Limit“ alles gut. Aber am Ende müssen wir ans Klima denken.

                      Wenn dieses Key-Argument ausgeräumt ist, ändert sich üblicherweise die Neigung der Waagschale. Bei Dir nicht. Was nichts über den Sinn von Tempolimits sagt, sondern über Deine grundsätzliche Einstellung.

  • Kning4711 7. Juli 2021, 15:37

    Der Westen ist für so 30% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich, Tendenz stark abnehmend. Das ist weder der Löwenanteil noch das entscheidende Problem. Ökonomen würden sich den Bereichen zuwenden, wo ein Problem wächst und tatsächlich den Löwenanteil ausmacht. Aber nicht unsere Klimaaktivisten.

    Die Frage ist nicht welches Land das CO2 ausstößt, sondern wofür der Ausstoß verwendet wird. Wenn die Firmen des Westens Ihre Produktion in Schwellen- und Entwicklungsländer auslagern, schafft es dort sicherlich ein Stück weit Wohlstand, aber eben auch Emissionen und Umweltprobleme. Insofern ist der Einfluss der reichen restlichen Länder deutlich größer als die angesprochenen 30 %.

    • Stefan Sasse 7. Juli 2021, 15:57

      Sehr guter Punkt.

    • Stefan Pietsch 7. Juli 2021, 18:09

      Sehr schlechter Punkt. Der CO2-Ausstoss in den Entwicklungsländern ist überschaubar. China ist inzwischen die größte Volkswirtschaft der Welt und die großen Exportnationen fertigen heute für das Land der Mitte. Zudem ist der energieintensive Industrieanteil sowohl an der Produktion als auch am Konsum geringer als in Schwellen- und Entwicklungsländern. In Deutschland fliegen die Leute halt lieber nochmal in den Urlaub nach Italien statt sich einen großkalibrigen SUV zuzulegen.

      Die Wohlstandsgewinne in Schwellen- und Entwicklungsländern sind per definitione schmutziger als im Westen. Und nur zur Erinnerung: Kyoto wurde von der 2. Welt begraben, nicht von der ersten.

      • Lemmy Caution 8. Juli 2021, 08:19

        Energiepolitik Chinas -> https://www.energiezukunft.eu/wirtschaft/licht-und-schatten-in-china/

        Stefan, Du verstehst ja Spanisch. Deshalb hier die Antrittsrede der zu dem Zeitpunkt gerade von den Deputierten mit 70% gewählten Präsidentin der Verfassungsgebenden Versammlung der Republik Chile. Wer die Rede versteht, wird mit mir übereinstimmen, dass dies ein militanteres pro-Ökologie Auftreten ist als beim Einzug der Grünen im Deutschen Bundestag 1983. Dabei existiert der „kleine“ Unterschied, dass die Grünen damals knapp über die 5% Hürde kamen und die Frau von 70% der Delegierten zur Präsidentin gewählt wurde.
        So viel zum Thema Irrelevanz von Ökologie Themen in dem Schwellenland, das lange Zeit als äußerst erfolgreiches Entwicklungs-Modell für liberale Wirtschaftspolitik galt.
        Die erste halbe Minute der Rede sind in Mapudungun, dann wechselt sie in Spanisch.
        https://www.youtube.com/watch?v=jW5RNJSLRHE

  • Sebastian 8. Juli 2021, 14:28

    Hat mal einer einen Link zu so einer ominösen Szenarioausbreitung, wie sich der Klimawandel in Deutschland auswirken würde? Hier im Mittelrheintal mag’s ja vielleicht nett für den Weinanbau sein, aber das ist trotzdem ein sterbender Zweig, und dafür vermute ich hier eher mehr Belastungen durch Hitze (in den letzten Sommern gab es hier Strecken mit Temperaturen deutlich über 35°C) und Bodenerosion (mehr Starkregen treffen auf knochentrockene Böden). Ich habe auch so im Gefühl, über die letzten Jahre nehmen die Tage zu, an denen der Rhein nicht schiffbar ist, weil der Wasserstand entweder viel zu niedrig oder viel zu hoch ist.

  • Erwin Gabriel 8. Juli 2021, 15:06

    2) The debt hawks are flapping their wings

    Gegner von Merkels Flüchtlingspolitik etwa dürfte schnell das Schengen-Abkommen in den Sinn kommen, wo die gleichen Leute, die gegen jede Aufweichung oder Abweichung von Maastricht wettern, sehr zu Abweichungen und Aufweichungen bereit waren.

    Grundsätzlich sind Regeln dazu da, eingehalten zu werden.

    Zu Schengen: Das gilt nicht für Flüchtlinge, die illegal über die Grenze kommen etc., sondern ist gedacht für Bürger der EU und ihre „seriösen“ Besucher. Auch im Rahmen von Schengen sind temporäre Grenzkontrollen und Einreiseverbote für Bewohner des Schengen-Raums statthaft und üblich, etwa bei Fußballspielen, wenn man Hooligans vom Austragungsort fernhalten will.

    Das Problem an dieser Stelle ist nicht die Schengen-Regelung, sondern die Nicht-Regelung, wenn sowohl die Schengen- als auch die Dublin-Vorgaben nicht eingehalten werden (und dass ich sowohl die Dublin-Regelung als auch eine fehlende Einwanderungs-Gesetzgebung für dummes Zeug halte, habe ich hier ja schon oft beschrieben). Aber Schengen wurde im Rahmen der Flüchtlingskrise nicht aufgeweicht, sondern gebrochen; der Vergleich passt hier überhaupt nicht.

    Zu Maastricht: Da zeichnest Du mir definitiv zu schwarz-weiß und zu wenig in die Tiefe. Ein Staat sollte in der Lage sein, seine laufenden Ausgaben aus seinen laufenden Einnahmen zu decken. Kann er das nicht, macht er was falsch. Ausnahmen können bestimmte Infrastruktur-Maßnahmen (z.B. Digitalisierung, Schul-Modernisierung etc.) sein, die über Kredite geleistet werden. Aber hier sollte vorher klar sein, wieviel Geld man wofür braucht und wie die Refinanzierung der Projekte erfolgt. Auch eine Krise wie Corona könnte ein Anlass sein, einen Teil der erforderlichen Hilfsmaßnahmen über Kredite zu finanzieren.

    Die Methode der allermeisten EU-Staaten – Parteien vergeben aufwendige (angeblich „soziale“) Wahlgeschenke, um wiedergewählt zu werden – gehört nicht zu den Anlässen, Schulden zu machen. Was viele Regierungen in Südeuropa, Frankreich, auch Deutschland) da treiben, ist einfach nur eine Schweinerei.

    Und Dir sollte klar sein, dass diese unseriöse Art der Schuldenmacherei dazu führt, dass viel „sinnloses“ Geld in den Markt kommt, dort nach oben fließt und Multi-Millionäre oder gar Milliardäre schafft. Da verstehe ich Deine Argumentation überhaupt nicht.

    • Stefan Sasse 8. Juli 2021, 15:27

      Ich bin der Überzeugung, dass der Staat keine laufenden Kosten – Sozialleistungen, Gehälter, Mieten, Unterhalt, etc. – aus Schulden finanzieren sollte. Ich bin aber der Überzeugung, dass Nettoinvestitionen da rausgerechnet gehören (und nein, Lehrer*innengehälter sind keine Investitionen).

      • Erwin Gabriel 8. Juli 2021, 21:38

        @ Stefan Sasse

        Deine Einstellung wundert mich bei Deinem sonst üblichen Eintreten fürs Schuldenmachen, Aber dann haben wir schon mal eine halbwegs ausreichende Gemeinsamkeit über den Sollzustand.

        Leider richtet sich kaum eine Regierung, kaum eine Partei danach – mit den genannten Folgen.

        • Stefan Sasse 9. Juli 2021, 07:45

          Ich bin ja nicht für Schulden um der Schulden wegen! Das ist ein ziemliches Zerrbild. Und natürlich richtet sich da keine Partei danach. Die Vorstellung, demokratische Politik in ein enges Regelkorsett packen zu können, ist auch zum Scheitern verurteilt – daher meine Kritik an Maastricht.

          • Erwin Gabriel 9. Juli 2021, 21:13

            @ Stefan Sasse 9. Juli 2021, 07:45

            Ich bin ja nicht für Schulden um der Schulden wegen!

            Nun ja, Du bekämpfst die schwarze Null aus Prinzip.

            • Stefan Sasse 10. Juli 2021, 11:40

              Die Schwarze Null IST ein Prinzip. Wenn ich dagegen argumentiere, greife ich logischerweise ein Prinzip an. Kann ja gar nicht anders sein. 🙂

      • Thorsten Haupts 13. Juli 2021, 12:29

        Das wäre ja eine durchaus volkswirtschaftlich solide Diskussionsgrundlage, nur: Schuldenbremse im Grundgesetz und schwarze Null wurden etabliert, weil Regierungen jahrzehntelang lustvoll gegen dieses Prinzip verstiessen. Wie schon gesagt – eines der wenigen politischen Wunder unserer Zeit :-). Im übrigen stiesse selbst dieses Prinzip sehr schnell an die Hürde zu hoher Gesamtverschuldung, je nach Zinslast. UND eine hohe Gesamtverschuldung beeinträchtigt natürlich Ausgabenspielräume in grossen Krisen, also dann, wenn man sie am dringendsten braucht.

        Ich habe bisher niemals ein wirklich überzeugendes Argument gesehen, warum man in einer langsam aber stetig wachsenden Volkswirtschaft in normalen Zeiten auf Schulden ANGEWIESEN sein sollte.

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • Stefan Sasse 13. Juli 2021, 18:39

          Nein, die wurde aus anderen Gründen etabliert. Die bürgerlichen Parteien hofften, dadurch über Bande Haushaltspolitik zu betreiben zu können, indem sie weitere EU-Integrationsschritte im finanziellen Bereich einerseits und Sozialstaatsausweitungen im Inland andererseits unmöglich machten. Die SPD hoffte, damit den Bürgerlichen unmöglich zu machen, Steuersenkungen durchzudrücken. Mir ist schlicht unbekannt, wie sich die Grünen damals dazu verhielten (ich glaube aber, sie waren auch dafür, wer sich auskennt, gerne ergänzen). Aber eine hehre Einsicht in deine propagierten Prinzipien spielte keine Rolle. Wenig überraschend, Idealismus und Politik kommen selten so in Reinform zusammen.

  • Erwin Gabriel 8. Juli 2021, 15:08

    5) Baerbock geht zum Gegenangriff über

    Die ganze Wahlkampforganisation der Grünen schwimmt mittlerweile mit dem Bauch nach oben. Die unglaubliche Unprofessionalität, die da zur Schau gestellt worden ist, lässt sich nicht mehr einfangen. Für mich drängt sich der Vergleich mit HRC auf: auch hier wurde auf absolut vorhersehbare Schwächen erst gar nicht, dann erratisch reagiert. Die Folgen waren ein Mühlstein um den Hals, den die Kandidatin nie wieder los wurde, und HRC konnte im Gegensatz zu Baerbock mit Pfunden wie Erfahrung und Trump als Gegner punkten.

    Zustimmung. Ich bin weiß Gott kein Grünen-Sympathisant, aber eine Annalena Baerbock als Kanzlerin hätte ich mir aus Neugier (und um der CDU die dringend benötigte Atempause zu gönnen) gerne mal angeschaut. Wahrscheinlich hätte ich vier Jahre gemault, aber sei es drum.

    Nun bleibt nicht viel außer der die Frage, wie man nur so blöd sein kann. Schade eigentlich.

    • Stefan Sasse 8. Juli 2021, 15:28

      Jepp. Ich kannte vor dieser Kanzlerkandidatursgeschichte nicht mal ihren Namen. Besonders überzeugend ist sie sicher nicht bislang.

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