Die Rentenillusion der Deutschen

Die Altersvorsorge der Deutschen steht unter Druck. Keine Legislaturperiode vergeht, ohne dass die politischen Parteien ins Räderwerk des Systems des sogenannten Generationenvertrages eingreifen. Die ad hoc-Eingriffe mit Langzeitwirkung dienen dabei nie dazu, die Auszahlungen der Rentenversicherung zukunftssicher zu machen, die viel kritisierten Reformen wie Mütterrente, Rente mit 63, Rentengarantie und Grundrente sind allein darauf gerichtet, Lobbygruppen zu befriedigen und der wichtigsten Wählergruppe regelmäßige Happen hinzuwerfen. Sie verschleiern findungsreich und kostenintensiv den Fakt der schrumpfenden Decke. Kaum ein anderes Land setzt so einseitig auf die umlagefinanzierte Rente wie Deutschland und kaum ein anderes Land hat so große Probleme mit Kostenexplosionen im System.

Lesezeit: 14 Minuten

Einstmals von erzkonservativen Patriarchen wie Bismarck und Adenauer entwickelt, ist die umlagefinanzierte Rente der wichtigste Eckstein von Sozialromantikern geblieben. Allein sie hat den radikalmarktwirtschaftlichen Versuchen zu trotzen, die solidarische Daseinsvorsorge zu schleifen und die Deutschen zu mehr Kapitalismus in Form privater Vorsorge zu verführen. Sie muss als Beweis herhalten, dass solidarische Systeme mehr Sicherheit geben als Individualität, Eigenvorsorge ohne detaillierte Vorschriften des Staates.

Sechzehn lange Jahre diente Norbert Blüm als Gralshüter der Solidarrente, obwohl bereits in den Achtzigerjahren die langfristigen demographischen Probleme offensichtlich wurden. Früh genug zum Umsteuern warnten Ökonomen, die gesetzliche Rente wäre auf Dauer für die Gesellschaft nicht tragfähig. Teilweise brandete die Debatte so heftig, dass sich der Bundesarbeitsminister zu seiner legendären Plakataktion genötigt sah: Die Rente ist sicher! Das war zwar gegen die Wissenschaft und vor allem gegen die Mathematik, aber es wirkte. Reformer wie Kurt Biedenkopf und Meinhard Miegel mit ihrer steuerfinanzierten Grundrente hatten keine Chance gegen den langgehegten Glauben, eine Umlagerente sei eine Belohnung für Lebensleistung.

Erst Gerhard Schröder wagte spät einen ernsthaften Versuch, das Rentensystem durch eine Kapitalkomponente zu flankieren. Die Politik kam auf den letzten Drücker: Lange hatten Wissenschaftler gewarnt, das Zeitfenster für Reformen würde sich im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends schließen, da dann die Alterspyramide kippen und bei Wahlen keine Mehrheiten gegen die Alten möglich seien. Der Wille blieb in reformerischen Ansätzen stecken. Schröder beauftragte mit Walter Riester ausgerechnet einen führenden Gewerkschafter mit der Aufgabe, mehr Kapitalismus zu wagen. Das Ergebnis war erwartungsgemäß, nämlich völlig überreglementiert. Bei Entscheidungen von epochaler Bedeutung gibt es selten eine zweite Chance. Die deutsche Politik hat sie vermasselt.

Im Tunnel ins Jahr 2050

Die Vorgeschichte ist wichtig um zu verstehen, dass sich Deutschland in den kommenden Jahrzehnten in einem Tunnel befindet, in dem Kursänderungen kaum möglich sind. Wenn einige heute befinden, eine Grundrente sei eine feine Sache, so kommen sie ein paar Jahrzehnte zu spät. Es bestehen die höchsten Ansprüche der Geschichte an den Staat in Form von Anwartschaften. Die Alterssicherungsansprüche an die Deutsche Rentenversicherung belaufen sich derzeit auf rund 300% des BIPs, das sind über 10 Billionen Euro. Zum Vergleich: Die jährlichen Beitragseinnahmen machen gerade 222 Milliarden Euro aus, hinzu kommt der Steuerzuschuss von 78 Milliarden Euro.

Der Großteil der Anwartschaften entfällt auf die Jahrgänge der Babyboomer, die derzeit vor dem Eintritt in den Ruhestand stehen und die heutigen Rentenbezieher. Über alle dürften dies rund 7 der 10 Billionen Euro ausmachen. Was fangen wir jetzt mit dem Wissen an? Die Rentenbezugsdauer beträgt durchschnittlich rund 20 Jahre, das bedeutet, der Großteil dieser 7 Billionen Euro müssen bis Anfang der Vierzigerjahre erwirtschaftet werden. Leider machen die Beitragseinnahmen über diesen Zeitraum nur 4,5 Billionen Euro aus, ohne den Steuerzahler (der größtenteils identisch mit dem Beitragszahler ist) dürfte es nicht gehen. Das ist schon deswegen eine Herausforderung, da die Belastung der Einkommen der abhängig Beschäftigten schon heute bei 20% liegt. Kalkulieren wir den Steuerzuschuss ein, sind wir ehrlicherweise bei 30%.

Keine Frage, die Rechnung ist nicht dynamisiert, sie berücksichtigt keine steigenden Bruttoeinkommen. Allerdings sind auch die Renten dynamisiert. Zudem hat die Politik unter der Regentschaft von Angela Merkel mehrere Treibsätze gelegt. Die Mütterrente II macht auf 20 Jahre 75 Milliarden Euro aus, nachdem zuvor mit der Mütterrente I schon 130 Milliarden Euro aufs Konto genommen wurden. Die neue Grundrente schlägt mit mindestens 120 Milliarden Euro in diesem Zeitraum zu Buche.

Falls Sie jetzt den Überblick verloren haben, so scheint es der Politik auch zu gehen. Zu den ohnehin zu befriedigenden 7 Billionen Euro Anwartschaften kommen weitere über 0,3 Billionen Euro. Wenn es einen Preis für die kurzsichtigste Politik in der Geschichte der Altersvorsorge gäbe, Angela Merkel hätte ihn sicher. Lassen wir also bei diesem Thema die Dynamik außer Betracht, sie verkompliziert ohne am Ergebnis etwas zu ändern.

Es ist schwierig über das Thema Rente zu sprechen und nicht Zahlen in den Mittelpunkt zu rücken. Die meisten wollen einfach eine auskömmliche Rente. Die Politik macht sich diesen Widerwillen zum Wählerkauf zu nutze. Wer weiß schon, was in 20 Jahren ist? Leider lässt sich die Mathematik nicht betrügen und für Staaten sind zwei Jahrzehnte eine sehr kurze Zeit. Manchmal nur die Dauer einer Kanzlerschaft.

Das Mackenroth-Theorem

Für Ökonomen war früh klar: Der Entwicklung progressiv steigender Rentenausgaben ließe sich leichter mit Zins und Rendite abwerfenden Kapital begegnen. Der Druck hin zu mehr kapitalgedeckter Vorsorge wäre vorgezeichnet gewesen. Doch die Sozialromantiker waren da außen vor und gruben hierfür einen alten Bevölkerungswissenschaftler aus, der bereits 1955 gestorben war: Gerhard Mackenroth. Dieser hatte nach Ende des zweiten Weltkriegs eine Theorie formuliert, die im Grunde als Tautologie wirkt:

Nun gilt der einfache und klare Satz, daß aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muß. Es gibt gar keine andere Quelle und hat nie eine andere Quelle gegeben, aus der Sozialaufwand fließen könnte, es gibt keine Ansammlung von Periode zu Periode, kein ‚Sparen‘ im privatwirtschaftlichen Sinne, es gibt einfach gar nichts anderes als das laufende Volkseinkommen als Quelle für den Sozialaufwand […] Kapitalansammlungsverfahren und Umlageverfahren sind also der Sache nach gar nicht wesentlich verschieden. Volkswirtschaftlich gibt es immer nur ein Umlageverfahren.

Eine vererbte Firma wird nur dann zukünftige Erträge abwerfen, wenn es Menschen gibt, die weiter wirtschaften. Somit ähneln sich die Träger eines solidarischen Umlageverfahrens und einer kapitalgedeckten Rente. Was die Anhänger des Mackenroth-Theorems übersehen, ist vor allem die geschichtliche Einordnung. Der Soziologe hat praktisch sein gesamtes Leben in und zwischen Kriegen verbracht, in einer Zeit, wo Menschen Staaten gehörten und das Denken an der Grenze endete. Es war die Hochphase der Nationalökonomie, wirtschaftliche Zusammenhänge wurden durch die nationale Brille betrachtet und begrenzt.

Das ist heute anders. Im Unterschied zum Jahr 1950 wird ein Großteil des Volkseinkommens nicht mehr durch Geschäfte zwischen den Bürgern einer Nationalität und in Landesgrenzen erwirtschaftet, sondern im Austausch mit der ganzen Welt. Kapital ist heute flüchtig und wird binnen Sekunden um den Erdball gejagt, während die Mobilität der Bürger damit nicht Schritt halten konnte. Probleme eines Landes lassen sich also leichter mit anderen Nationen teilen, durchaus zum Vorteil aller. Eine Art globaler Solidarität hat sich da herausgebildet. Wir kommen darauf weiter unten zurück.

Die Treibsätze der Demographie

Einstweilen verweilen wir noch etwas bei Herrn Mackenroth und seinen Anhängern. Die nationale Betrachtung lässt uns keine andere Wahl als die Probleme der Versorgung unserer Alten in der Familie zu lösen. Und das hat über die Jahrzehnte ja hervorragend funktioniert. Waren 1955 lediglich 16% der Bevölkerung 60 Jahre und älter, stieg dieser Anteil kontinuierlich an. Der Anteil der Deutschen im erwerbsfähigen Alter blieb gerade bis 1960 auf einem konstanten Niveau von 54% und nahm dann permanent ab. In den Siebzigerjahren erfolgte dann eine Umkehr. Heute sind wir wieder bei 53% angekommen. Allerdings macht der Anteil der Alten inzwischen 28,5% aus, Tendenz schnell steigend.

Diagramm 1: Verhältnis Erwerbsfähige zu über 60jährigen in % der Gesamtbevölkerung
Quelle: destatis; eigene Berechnungen

Ein stabiler Anteil von Erwerbstätigen muss heute also doppelt so viele Rentner versorgen. Und dabei wird es nicht bleiben. Der Anteil der Kinder hat stark nachgelassen, von 30 auf gut 18 Prozent. Es werden also in den nächsten 20 Jahren weit weniger Menschen erwerbstätig als in Rente gehen werden. Das ist eine gesicherte Erkenntnis.

Dass die Renten bisher noch tragfähig erschienen, hat 3 Ursachen:

  1. Die Babyboomer, also die Menschen, die nach Einführung der dynamischen Rente in den Sechzigerjahren geboren wurden, haben aufgrund ihrer Größe den Anteil der Erwerbspersonen stabilisiert. Wenn diese jetzt schnell in den Ruhestand gehen, bricht der Stabilitätsanker weg.
  2. Den Renten wurde zeitweise die Dynamik genommen, so dass sie langsamer stiegen als die Erwerbseinkommen. Das führte zu Klagen von Sozialverbänden und nicht zuletzt von denjenigen, die wegen ihrer geringen Einkünfte die Folgen am schnellsten durch niedrige Renten spüren.
  3. Die Beschäftigten mussten einen steigenden Anteil ihres Einkommens an die Rentenversicherung abtreten. Startete der Beitrag zur Rentenversicherung 1955 mit 11%, so entwickelte sich dieser schnell dynamisch und stieg bis 1973 auf 17%. Heute liegt dieser bei 18,6%. Das ist aber kein ehrlicher Wert, denn Ende der Neunzigerjahre wurden die Beitragszahler formal entlastet und ein Teil vom Steuerzahler übernommen. Ohne diese Maßnahme läge der Beitragssatz heute bei 23 Prozent.

Die zunehmende Alterung gepaart mit Großzügigkeit bei der Rentengewährung bis hin zu Frühverrentungsprogrammen hatte also einen deutlichen Preis für alle. Niemand kann zufrieden sein. Die Renten sind im internationalen Vergleich sehr niedrig, sie bewegen sich im unteren Drittel der OECD. Die Beschäftigten wie ihre Arbeitgeber tragen ebenso im internationalen Vergleich hohe Kosten und liegen im oberen Drittel der Industrieländer. Nicht zuletzt drückt das Einkommen und damit Lebenschancen der Deutschen in ihren aktiven Jahren.

Selbst der massenhafte Zuzug von Migranten in den Jahren 2015-2017 konnte den Trend nicht brechen. Trotz dieses Zustroms vor allem jüngerer Menschen sank in den letzten fünf Jahren der Anteil der erwerbsfähigen Personen von 54,4% auf 53%. Das ist verdammt schnell. Zuwanderung ist längst keine Lösung mehr, zumal Deutschland hauptsächlich für Zuwanderer aus Regionen attraktiv ist, in denen das Qualifikationsniveau niedriger ist, über Jahre also in die Qualifikation von Migranten investiert werden muss, bevor Erträge in Form höherer Pro-Kopf-Einkommen zu erwarten sind.

Technischer Fortschritt und seine Entstehung

An dieser Stelle zücken die Sozialromantiker einen weiteren vermeintlichen Joker. Der technische Fortschritt wird uns über die Klippe helfen, steigende Einkommen und hohe Renten seien möglich. Es ist die Flucht in Träume, die mit einer realistischen Betrachtung nichts zu tun haben. Halten wir uns vor Augen, wie seit Jahrzehnten Forderungen nach Lohnerhöhungen begründet werden. Inflationsausgleich und Produktivitätssteigerung, häufig ergänzt um eine „Umverteilungskomponente“ ergeben die Tarifforderung der Gewerkschaften. Nur die Berücksichtigung der Produktivität verbürgt echte Einkommensverbesserungen. Doch hier wachsen die Bäume nicht in den Himmel.

Produktivität entsteht durch technischen Fortschritt und den Aufbau von Wissen. Für Ökonomen ist beides Kapital. Kapital muss akkumuliert werden, gebildet durch Sparen. Unternehmen sammeln die Sparvermögen von investitionswilligen Menschen ein. Wirkten früher Banken und Versicherungen als Zwischenscharnier, so erfolgen Investitionen heute direkter. Gerade junge Unternehmen verschulden sich inzwischen nicht bei Banken, sondern sammeln Kapital über ausgegebene Anleihen, Private Equity-Anteile bis hin zum Crowdfunding. Und Studenten verzichten jahrelang auf Erwerbseinkommen, verschulden sich, was eben auch Sparformen sind.

Als Faustformel für Jungakademiker der Wirtschaftswissenschaften und MINT-Fakultäten gilt, dass sie innerhalb von 7 – 10 Jahren ihr Einstiegsgehalt verdoppeln sollten. Die Gehaltsentwicklung spiegelt dabei die Produktivitätsentwicklung der High Potentials wieder. Außerhalb des elitären Kreises gelten solche Sprünge als nicht erzielbar. Verglichen mit solchen Perspektiven sind die Durchschnittswerte ernüchternd. Wuchs die Produktivität in den Neunzigerjahren noch mit Raten von über 1%, waren es in den vergangenen 20 Jahren nur noch 0,6%. Die Gründe hierfür liegen aus ökonomischer Sicht auf der Hand. Die Re-Integration von Langzeitarbeitslosen wie Migranten in den Arbeitsmarkt drückten wegen deren geringeren Produktivität auf den Mittelwert. Zudem altert die Work Force, ältere Menschen vermögen weniger durch Lernen und Erfahrung ihre Produktivität zu steigern wie das bei einem 20jährigen der Fall ist.

Reallohnsteigerungen über der Produktivität erzeugt Arbeitslosigkeit, da sind sich neoliberale mit linken Ökonomen weitgehend einig. Damit ist der Deckel gezogen. Die Planwirtschaftler mit Mackenroth im Gepäck und der Absicht, Rentnern höhere Bezüge zuzuschieben, haben da wenig Respekt vor der Arbeit und dem Ehrgeiz junger Menschen. Wie selbstverständlich wollen sie die Anstrengungen gut ausgebildeter Twens verwenden, um politische Versäumnisse zu kompensieren. Sie wollen diesen damit die Möglichkeit nehmen, selbst Wohlstand und Eigentum zu bilden. Das wäre die Ausbeutung durch den „Generationenvertrag“ auf die Spitze getrieben.

Kluge und unkluge Rentenpolitik

Es würde auch nichts helfen. Das tatsächliche Renteneintrittsalter liegt heute bei 64 Jahren, vor 20 Jahren lag es noch knapp 2 Jahre niedriger – ein Erfolg der Politik, die Beschäftigten länger im Erwerbsleben zu halten. Auch hier haben die Regierungen Merkel versucht, diesen positiven Trend zu konterkarieren. Zur Klugheit solcher Politik, lesen Sie bitte noch einmal den obigen Abschnitt.

Wenn die Politik keine Kehrtwende einleitet, wenn sie weiterhin sich weigert, die Fakten der Demographie zur Kenntnis zu nehmen, werden die Kosten in den nächsten 20 Jahren noch höher als sie ohnehin schon sind. Die hätte weitere Wohlstandsverluste und die Verstärkung des Brain Drains zur Folge, welche sich bereits länger abzeichnen. Schauen wir daher auf diese Fakten und nehmen dazu die Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes. Legen wir hierbei eine moderate Bevölkerungsentwicklung zu Grunde (Geburtenrate 1,55 Kinder je Frau; Lebenserwartung bei Geburt 2060 für Jungen 84,4 / Mädchen 88,1 Jahre; durchschnittlicher Wanderungssaldo 221 000).

Tabelle 1: Entwicklung Anzahl der über 64jährigen 2020 – 2050 Quelle: destatis

Tabelle 1 zeigt, dass der Anteil der Rentner (Renteneintritt mit 64 Jahren) in den kommenden 20 Jahren um fast 27% zunehmen wird. Die Produktivität dagegen wird, Status quo fortgeschrieben, lediglich um knapp 13% zunehmen. Mehr Rentner bei gleichbleibender Zahl an Erwerbstätigen wäre schon eine große Herausforderung. Die Politik hat sich entschieden, die Produktivitätsgewinne von den Jungen auf die Alten umzuleiten und dazu noch eine „Sonderprämie“ abzuverlangen. Der Rentenbeitrag soll innerhalb von 10 Jahren auf 22% erhöht werden, was einer Steigerung um über 18% entspricht. Die Produktivitätsgewinne im gleichen Zeitraum liegen jedoch nur bei 6,2%. Mithin werden die Beschäftigten einen realen Einkommensverlust von 12% erleiden.

Ich verstehe, wenn Ihnen das an dieser Stelle zu kompliziert erscheint. Leider ist es mit den schlechten Nachrichten nicht genug. Während die Zahl der Alten um 27% steigen wird, sinkt die Zahl der erwerbsfähigen Deutschen bis 2040 um rund 12% (siehe Tabelle 2). Ein Viertel mehr Rentner, dafür fällt jeder Achte Beschäftigte aus der Rechnung – das ist eine Dramatik, wie sie weltweit selten ist. Unter diesen Bedingungen wäre eine Beitragssteigerung auf 22% und ein weiteres Absenken des Rentenniveaus eine optimistische Annahme. Wahrscheinlich wird es nicht reichen.

Tabelle 2: Entwicklung Erwerbsbevölkerung 2020 – 2050 Quelle: destatis

Wie in der Coronakrise sind die Menschen jedoch klüger als der Staat und die Politiker, die ihn vertreten. Ein Teil antizipiert das Unvermeidliche und bereitet sich vor. Leider vertrauen noch zu viele den optimistischen Aussagen von Politikern, die vor allem Wählerstimmen kaufen wollen und dabei einen Zeithorizont haben, der nicht einmal eine Legislaturperiode beträgt.

Sie finden das zu hart geurteilt? Stellen Sie sich vor, Sie sind Deutschland. Sie besitzen Reife, sind Mitte bis Ende 40. Ihre Kräfte fangen an zu schwinden, sie haben nur ein Kind. Sie wissen, dies allein wird sie im Alter nicht versorgen können. Sie sind aber relativ vermögend, Ihre Leistungen sind gefragt. Was tun Sie?

Sie werden sich einrichten, so lange es geht zu arbeiten. Und Sie werden sparen. Sie sparen, in dem Sie bei Ihren Kunden und Partnern Vermögenspositionen aufbauen, die sie im Alter einfordern können. Denn Ihre Kunden und Partner haben Kinder, mehr als Sie. Sähe so Ihre Planung aus? Sicher, wenn Sie nicht im Alter in Armut leben wollen. Viele Deutsche kalkulieren so, sie erwarten länger zu arbeiten, auch wenn das nicht ihren persönlichen Wünschen entspricht. Und sie sparen wie noch nie im Ausland.

Auslandsvermögen Deutschland 2000 – 2020
Quelle: Deutsche Bundesbank

In den ersten beiden Jahrzehnten des neuen Jahrtausends haben Deutsche im Ausland so viel gespart, dass sie sich inzwischen den Ärger der westlichen Partner zugezogen haben. Ihre aus Exportüberschüssen resultierenden Auslandsvermögen haben sich von praktisch Null auf 2,5 Billionen Euro gesteigert mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von unvorstellbaren 21%. Deutsche investieren die Gewinne aus den Leistungsbilanzüberschüssen in Anteile an amerikanischen und asiatischen Unternehmen, sie halten Contracts auf Rohstoffe und Immobilien.

Das ist die Umkehrung des Mackenroth-Theorems. Statt Ansprüche aus dem Generationsvertrag gegenüber nicht vorhandenen Kindern aufzubauen, erwerben die betagteren Deutschen Ansprüche gegenüber den Kindern in den USA, Kanada, Australien, Großbritannien und Südostasien. Dies nicht mittels solidarischem Umlageverfahren, sondern durch Kapitalexport.

Was die Politik übrigens tun kann, ist das Gegenteil, was sie in der langen Ära der Angela Merkel getan hat. Sie muss die Gesellschaft darauf vorbereiten, dass sie länger arbeiten müssen – wenn sie es denn können. Wenn das Renteneintrittsalter bald auf 70 Jahre angehoben würde, könnte in den kommenden 20 Jahren der Zuwachs an Rentnern auf 7% begrenzt werden. (statt 27%; faktischer Renteneintritt: 68 Jahre). Und die Zahl der Erwerbstätigen bliebe nahezu konstant.

Tabelle 3: Entwicklung Erwerbsbevölkerung 2020 – 2050 (Alternativszenario)
Quelle: destatis; eigene Berechnungen

Bei der Altersvorsorge gilt eine einfache Regel: eine Gesellschaft, die wenig Kinder hervorbringt, muss Kapital bilden. Dieses zu verbrämen, hoch besteuern zu wollen und dessen Mobilität zu beschränken ist eine ökonomische Torheit, die sich nur die Deutschen leisten.

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  • Lemmy Caution 7. März 2021, 07:56

    1. Ziele eines Rentensystems
    Ich wünsche jedem möglichst viel Geld im Alter. Allerdings mit einer starken Betonung des „jedem“.
    Der letzte ausgegebene Euro für den super-günstigen Busurlaub meiner Oma mit der katholischen Kirche stiftete sicher einen höheren Grenznutzen als der letzte Euro für die Luxuskreuzfahrt von Nachbarn meiner Eltern mit einem erstaunlichen geerbten Immobilien-Besitz.

    2. Umlageverfahren vs. Kapitalansammlungsverfahren aka Individualkonto
    Man sollte auch die Nachteile des Kapitalansammlungsverfahren benennen, das ich in Folge Individualkonto nenne, weils kürzer ist.

    2.1.1 Individualkonto-Systeme in der empirischen Realität
    b) AFP in Chile
    In Chile wurden Anfang der 80er Individualkonten als dominierendes Rentensystem eingeführt. …Das System brach zusammen, sobald Anfang der 00er die ersten unter diesem System aus dem Erwerbsleben ausschieden. Für die vielen Chilenen, die überhaupt keine oder eine extrem geringe Rente bezogen, gabs dann eine Soli-Rente. Diese lag lange Jahre bei etwa 150 Euro und wurde 2019 als Reaktion auf heftigste Sozialproteste auf 200 bzw. 225 Euro (über 80 jährige) erhöht. Auch damit kannst Du ohne Unterstützung durch deine Kinder nicht überleben, selbst wenn Du in deiner eigenen Immobilie wohnst und geringe Kosten für Medikamente hast. (Fußnote 1)
    Die Soli-Rente wird aus Steuern finanziert.
    Exakt anfang dieser Woche machte die Regierung nach der Sommerpause einen neuen Vorschlag, nach dem die Unternehmen nun 3% des Brutto-Gehalts ihrer Angestellten in diese Soli-Rente einzahlen, wohl auch um zukünftige Erhöhungen der nach wie vor Hungerrente möglich zu machen. Aktuell beziehen 800.000 (Einwohnerzahl: 18,5 Millionen) eine Solidarrente, wobei darunter auch solche fallen, die aufgrund weiterer Einkünfte nicht den vollen Betrag erhalten.

    2.1.2 Rürup Rente
    Die in diesem Land immer zahlreicheren Freiberufler können sich mit der Rürup Rente für ein Individualkonto entscheiden. Empfohlen wird diese Option ausdrücklich nur für solche, die hohe Einkünfte haben.
    Die Einzahlungen in die Rürup Rente sind nämlich inzwischen zu 94% von der Einkommenssteuer absetzbar. Darin besteht für mich persönlich der Hauptnutzen des Systems. Ich verschiebe zu versteuerbare Einkünfte von fette in magere Jahre und zahle aufgrund der Steuerprogression insgesamt weniger. Für Leute mit geringen Einkommen bringt das natürlich deutlichst weniger Nutzen.

    2.2 Nachteile von Individualkonten
    2.2.1. Kosten
    Individualkonten generieren auch Kosten. Erstmal hält die Versicherung die Hand auf und dann wollen natürlich auch die Fondsmanager ihre Leistungen bezahlt sehen.

    2.2.2 Ertrag
    Über einen langen Zeitraum ist die Wahrscheinlichkeit von Kursgewinnen natürlich sehr hoch. Allerdings profitieren davon Leute mit einem hohen Betrag im Individualkonto viel stärker. Gerade in den letzten beiden Jahren war die Benachrichtigung über den Stand meines Kontos ein Gute Laune Brief. Am Anfang, als sich noch wesentlich weniger Geld auf dem Konto befand, absolut nicht.
    Dabei besteht natürlich auch das Risiko, dass ein Börsencrash unmittelbar vor dem Renteneintritt sehr starke Konsequenzen auf die spätere Rente hätte.

    2.2.3 Auszahlung
    Rürup-Rente und chilenische AFPs unterscheiden zwischen einer Ansparphase und einer Auszahlungsphase. Zu Beginn der Auszahlungsphase muss die Versicherung dem Versicherten einen festen monatlichen Betrag nennen, den der bis zum Grab erhält. Ich rechne aktuell mit etwa 450 Euro für jede 100.000 auf dem Konto. Viele wird dieser geringe Betrag überraschen. Das hat aber einen Grund: Die Versicherungen dürfen den Bestand des Kontos in der Auszahlungsphase nur noch in extrem sichere Anlagen investieren. Deren Rendite ist aber aufgrund der Niedrigzinspolitik aktuell sehr gering. Wenn man auf das Geld wirklich angewiesen ist, wären drastische Auszahlungen aufgrund eines Börsencrashs einfach zu hoch.
    Das bedeutet: Genau wenn das Konto den höchsten Stand erreicht und damit die im Schnitt höchsten Erträge aus Kursgewinnen zu erwarten wären, wird das ganze schöne Geld in sichere Anlagen ohne Ertrag verschoben.

    ———
    Fußnoten
    1) Hinweis: Die Lebenshaltungskosten sind in Santiago de Chile etwa 1/3 günstiger als in Köln. Das ergibt der Vergleich auf expatistan.com, den ich basierend auf eigenen Erfahrungen für realistisch halte.

    • Stefan Pietsch 7. März 2021, 08:30

      Gleich zu Beginn eine Klarstellung: Der Artikel plädiert nicht für eine Umgestaltung des Rentensystems.

      Die immensen aufgelaufenen Kosten (10 Billionen Euro! Das 3fache des BIPs!) machen ein Handeln in den nächsten 20 Jahren unmöglich, wenn man die Bürger nicht restlos überfordern will. Da es ist bei den Anwartschaften um eigentumsähnliche Titel handelt, die unter dem Schutz des Grundgesetzes stehen, sind an dieser Stelle auch signifikante gesetzgeberische Eingriffe ausgeschlossen. Im System kann nicht umverteilt werden.

      Jede Reform erzeugt damit weitere Kosten mit dem sicheren Ergebnis, die Bürger vollständig zu überfordern. Schon jetzt liegen auf dem produktiven Kern der Erwerbstätigen Belastungen von 30% des Einkommens. Selbst nach den offiziellen Planungen soll dies noch auf ein Drittel steigen. Dann kommen noch die Kosten des Gesundheitssystems und der Pflege hinzu, die durch den gleichen Personenkreis verursacht werden und eine deutlich steigende Tendenz von der ohnehin schon hohen Belastung erwarten lassen.

      Was die Regierungen Merkel getan haben, war sozialpolitischer Harakiri. Unverantwortlich, dumm, auch noch den letzten Spieiraum wegnehmend. Die Träumer müssen endlich aufwachen. Die Politik hat’s versemmelt und eine zweite Chance gibt es hier nicht. Obwohl nach Umfragen die Neigung abnimmt, aus beruflichen Gründen auszuwandern, hat sich der jährliche Flow ins Ausland binnen nur 10 Jahren verdoppelt! Allein im vergangenen Jahr haben per Saldo 50.000 Deutsche das Land verlassen. Umgekehrt haben wir einen starken Zustrom aus Osteuropa und dem nahöstlichen arabischen Raum. Es gehört nicht viel Phantasie dazu anzunehmen, dass die abwandernde Qualifikation nicht durch Zuwanderung ausgeglichen wird.

      Chile hat eine ganz andere Situation. Die Kosten für die Altersvorsorge befinden sich am untersten Ende der OED. Da besteht viel Spielraum für Veränderungen, die zweifellos notwendig sind. Zudem hat das Land eine viel bessere Demographie.

      • Lemmy Caution 7. März 2021, 09:55

        Ich finde ja auch, dass man auf Arbeitseinkünfte zu viel Steuern zahlt, aber woher sonst soll das Geld kommen?
        Zumindest habe in Deutschland die Geburten ja ab 2009 wieder zugenommen. Ein paar Jahre liesse sich die Finanzierung Renten-Lücke wohl auch mit Schulden finanzieren.
        Mein Kernpunkt besteht darin, dass ein System mit Kapitalansammlungsverfahren eben auch seine Schwächen hat. Die werden aber nicht wirklich ernsthaft diskutiert.
        Insbesondere aus Nordafrika und Osteuropa kommen übrigens u.a. auch viele gut ausgebildete und hochproduktive IT Experten. Hab letztens einen Bericht vom US-Fernsehen über Klempner in Seattle gesehen. Die erhalten als Angestellte Gehaltschecks von deutlich über 100.000 Dollar im Jahr. Bei uns auch wegen Osteuropa sehr unwahrscheinlich, dass wir in so eine Knappheit laufen.

        Über Chiles Demographie haben wir an anderer Stelle schon einmal diskutiert. Nochmal: So total verschieden ist die Situation in beiden Ländern nicht.
        Das Alter des Durchschnitts-Chilenen betrug 2018 35,8 Jahre, in Deutschland 42,1. Das chilenische steigt rasant an.
        Lebenserwartung Chile: 80 Jahre, Deutschland 81 Jahre.
        Hier die Fertilitätsraten seit 1960 im Vergleich: https://tinyurl.com/s4vm2s67
        2017 gabs 1,68 Geburten je Frau. Deutschland: 1,57.
        In Chile ging das 2002 unter 2, also die aktuell in den Arbeitsmarkt eintretende Generation…

        Es gibt viele junge und gutausgebildete Chilenen, die ihr Glück in den USA oder Europa suchen. Ich hab da keine Zahlen, aber anekdotische Fälle unter Bekannten und auf twitter.
        Viele nicht so gut ausgebildete Haitianer, Ost-Kolumbianer und Peruaner sind in den letzten Jahren ins Land geströmt. Die Venezolaner sind oft besser ausgebildet. Hab jetzt von den Fall einer BWL-diplomierten Mutter gehört, die 23 Euro für den Tag putzen nimmt und sich mit der Nummer selbstverständlich direkt für eine Einmalzahlung von 300 Euro aus meinem persönlichen Corona-Soli-Fond qualifizierte.

        • Stefan Pietsch 7. März 2021, 10:22

          Deutschland zahlt ja sehr viel für die Altersvorsorge. Wenn dann nur Renten im unteren Bereich herauskommen, läge der Gedanke nahe, wir haben einiges falsch gemacht.

          Diese Frage stellt sich die Gesellschaft nicht, sie ist nakotisiert. Die einzige Antwort, die gegeben wird: Dann müssen wir halt noch mehr ins System geben. Das ist für rational denkende Menschen nicht logisch, aber die Deutschen denken im Sozialen nicht logisch, sondern lassen ihre empathischen Sensoren stimulieren.

          Auch die Grundsatzentscheidung, eher Arbeitseinkommen oder die späteren Erträge, nämlich Erbschaften, hoch zu besteuern, wurde immer wieder beantwortet. Niemand wollte „Oma’s klein Häuschen“ und Firmenübergaben hoch besteuern. Ach so, schon, um damit mehr soziale Wohltaten zu finanzieren. Das zähle ich nicht.

          Die Wahrheit ist: jeder Cent, der übrig blieb, verwendete die demokratisch legitimierte Politik darauf, den jeweils gegenwärtigen Rentnern die Bezüge zu erhöhen. Und das wird auch weiter so bleiben. Altersvorsorge bedeutet perspektivisches Handeln. Aber hier sehen wir es schon als Zukunftsvorsorge, wenn 20jährige für 90jährige mehr von ihrem Einkommen abgeben.

          Als Gesellschaft haben wir nur noch einen Weg: wir werden deutlich längere arbeiten müssen, und das schon sehr bald. Eine Rentenbezugszeit von 20 Jahren ist heller Wahnsinn, der ein angegriffenes System endgültig in den Ruin treiben muss. Andere Staaten, allen voran Japan, haben auf die demographischen Verwerfungen längst reagiert. Über 70jährige, die noch erwerbstätig sind, sind in Nippon keine Seltenheit. Dagegen kalkuliert das Bundesfinanzministerium in seiner Tragfähigkeitsanalyse der Staatsfinanzen damit, dass Frauen nochmals ihre Erwerbsarbeit ausweiten. Diese liegt heute bei 32 Wochenstunden, der Finanzminister benötigt jedoch 34 Stunden. Doch der Wunsch von Frauen liegt eben laut Umfragen bei nur 32 Stunden.

          Die Geburten haben sich in Deutschland erhöht, das ist richtig. Dafür gibt es zwei Erklärungen: Die Geburten von Migrantinnen schlagen inzwischen merklich durch. Dies ist jedoch nicht unproblematisch, denn es gebären vor allem Frauen, die selbst über sehr wenig Bildung verfügen. Der Staat müsste regulativ eingreifen um nicht den zukünftigen prekären Bereich auszubauen. Und die noch relativ starke Schicht der heute 30 bis 40jährigen Frauen bekommen aktuell Kinder. Aber schon diese Schicht ist dünn und sie wird weiter dünner. Das reicht alles nicht, um den jetzt in den Ruhestand gehenden Babyboomern die Rente zu sichern. Erst wenn diese Jahrgänge sterben, entsteht wieder Spielraum im System. Das ist in 20 Jahren.

          Und nochmal: das ist eine sehr fokussierte Betrachtung. Kostenexplosionen sind schließlich auch im Gesundheitssystem und der Pflege zu erwarten. Der Unterschied zu Chile liegt darin, dass die Spielräume dort sehr groß sind, weil die gesamte Abgabenlast niedrig und die spezielle für Alterseinkünfte besonders niedrig liegen. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob jemand bisher 50% von seinem Verdienst abgibt und zukünftig 55% zahlen soll, oder ob jemand mit Abzügen von 10% zukünftig 12% zahlen soll.

          • Lemmy Caution 7. März 2021, 16:34

            Ich bin ja auch dafür die Erbschaften stärker zu besteuern. Der Steuerfreibetrag für Kinder bei Erbschaft beträgt 400.000 Euro. Die Lage von Omas Häuschen muss schon sehr beliebt sein, damit es diesen Betrag einspielt, insbesondere angesichts der typischen 2-Kind Familien.
            Bezüglich des länger arbeiten sollte echt differenziert werden zwischen mit ihrem Körper arbeitende Menschen und Kopfarbeitern in Büros wie wir. Bin zwar letzte Woche am extrem steilen Drachenfels bei Bonn von einem geschätzt mitte-70 jährigen überspurtet worden, aber jeden Tag arbeiten ist halt etwas anderes als kurzfristige Extrembelastung auf dem Fahrrad. Dieser Herr erzählte mir oben, dass er das jeden 2ten Tag macht.
            Wir sollten dringend versuchen das nicht so bildungsfreundliche Ambiente vieler Imigranten-Familien durch staatliche Angebote entschlossen zu konterkarieren. Aus IT-Sicht sieht das überhaupt nicht dramatisch aus. Rumänen, Polen, Palästinenser, Kolumbianer, Venezolaner, Ägypter, Tunesier, Ukrainer, Pakistanis als Kollegen oder technische Projektleiter sind für mich absolut nichts exotisches.
            Aber auch andere Bereiche: Aktuell eröffnet sich ein neuer Weg, dass sich ein mir bekannten Chilene zum Medizin-Studium nach Italien lotst. Gesamtkosten, d.h. mit Lebenshaltung, könnten bis zu 80% (!!!) geringer sein als in Chile. Italiens Medizinschulen scheinen auch sehr offen zu sein. Der noch nicht 18-jährige hat in 5 Wochen persönliche Kontakte über eine weitere Person zu einem Rektor einer solchen geknüpft und kauft sich nun Lernmaterial für den Zugangstest. Bin absolut baff über dem diesen Pragmatismus und überleg mir seit heute morgen, wie ich dem eigentlich die Nummer über whatsup kommentieren soll.
            Uns zum brain drain Opfer zu stilisieren, trifft die Realitäten dann nun wirklich eher nicht.
            Da der Pillenknick angesichts von dem was später kam gar nicht sooo extrem war, rechne ich eher mit 30 Jahren, bis sich die Lage entschärft.

            • Stefan Pietsch 7. März 2021, 18:36

              Je älter ich werde, desto ablehnender stehe ich einer höheren Erbschaftsbesteuerung gegenüber. Klar, aus liberaler Sicht bin ich da wie in früheren Artikeln beschrieben indifferent. Aus persönlicher Sicht muss ich allerdings feststellen, dass ich gegen meinen Willen mein gesamtes Berufsleben lang eine nach internationalen Maßstäben obszöne Belastung meines Einkommens hinnehmen musste. Meine Mitbürger fanden das „fair“. Damit wurden mir jedoch Möglichkeiten geraubt, mehr eigenen Wohlstand aufzubauen.

              Wie bei den meisten wird Erbschaft einen Beitrag zu meiner Vermögensbildung leisten. Praktisch geschenkt. Mein Verständnis, auch dies hoch oder nur überhaupt besteuern zu müssen, hält sich in engen Grenzen.

              Alsdie Bedingungen für meine Lebenschancen gezogen wurden, also während meines Studiums und kurz danach, wäre ich absolut einverstanden gewesen, eine 20 oder gar 30prozentige Besteuerung meines Erbvermögens hinzunehmen im Gegenzug zu einer moderaten Besteuerung, wie sie z.B. die Schweiz bietet. Ich argumentierte auch stark für eine steuerfinanzierte Grundrente, auch wenn dies für meine Generation Doppelzahlungen bedeutet hätte: Deckung der Anwartschaften der damaligen Rentnergeneration und folgende sowie Aufbau einer eigenen privaten Vorsorge. All dem steht der in Deutschland so vorherrschende „Solidaritätsgedanke“ entgegen, der nach meiner langjährigen Wahrnehmung jedoch arg pervertiert daherkommt.

              Bei vielen Migranten reichen Angebote nicht, weil sie in der Vergangenheit nicht gereicht haben. Kulturelle Muster und Schemata werden praktisch vererbt und sie stehen einer modernen Gesellschaft entgegen. Es gibt immer noch einen hohen Anteil von Muslimen, die das wichtigste Erziehungsziel für ihre Töchter darin sehen, gut verheiratet zu werden. Und die Jungs lernen, ihre „Ehre“ zu verteidigen.

              Ich weiß, dass ITler aus Osteuropa gut qualifiziert sind. Ich denke das hat jedoch eher damit zu tun, dass außerhalb Deutschlands die Ablehnung von Mathematik und Informationstechnologie nicht so groß ist. Deutsche Kinder haben immer noch völlig veraltete Berufswünsche. Mädchen wollen vor allem Ärztin und Lehrerin werden, Jungs irgendetwas Handwerkliches. Okay, ich wollte als Kind auch Arzt werden, um dann viele Menschen unentgeltlich zu behandeln. Irgendwie hat sich mein Leben jedoch ganz anders entwickelt. 🙂

              Nun, seit über einem Jahrzehnt verlassen deutlich mehr Deutsche das Land als zurückkommen. Der Saldo liegt jährlich bei Minus 30.000 bis 60.000. Das sind bei weitem nicht nur Rentner.

              Die Bevölkerungsvorausberechnung zeigt, dass zwischen 2040 und 2050 die Erwerbsbevölkerung nicht mehr nennenswert abnehmen wird. Anders formuliert: Die nächsten 20 Jahre werden richtig wild.

          • Stefan Sasse 7. März 2021, 18:40

            Würde eine volle Frauenerwerbszeit die Lage entspannen? Also angenommen, die Fragen würden im Schnitt genauso viel arbeiten wie die Männer?

            • Stefan Pietsch 7. März 2021, 19:00

              Ja, so wie jedes Mehr an Erwerbstätigen positiv wirken würde. Nur ist es keine realistische Option, deswegen habe ich sie nur in einem Satz thematisiert. Deutschland konnte binnen einer Generation die Frauenerwerbsarbeit von einem der hinteren Plätze der OECD auf einen Spitzenplatz steigern. Wir bewegen uns auf einem Level mit Schweden oder der Schweiz. Damit ist das Potential, Frauen als Easing-Instrument einzusetzen, ausgereizt. Laut einer wissenschaftlich geführten Umfrage (SOEP?) wollen Frauen nicht mehr als 32 Wochenstunden arbeiten. In Ostdeutschland liegt der IST-Wert noch bei 34 Stunden, aber auch hier gibt es den Wunsch zur Reduktion.

              Es dürfte eine nicht zu bewältigende Aufgabe sein, Frauen zu mehr Erwerbsarbeit zu bringen. Gut- und hochqualifizierte Frauen haben diesen Wunsch selbst dann selten, wenn sie auf der Karriereleiter gut vorangekommen sind. Alleinerziehende arbeiten wenig, weil einerseits die Betreuungsoptionen für sie nicht optimal sind, aber auch, weil sich eine Ausweitung ihrer Erwerbsarbeit oft finanziell nicht lohnt.

              Wir haben ein Paradoxon, das aber menschlich leicht nachzuvollziehen ist. Einerseits nimmt die Lebensarbeitsleistung zu, wie beschrieben. Allerdings erfolgte dies doch aufgrund politischen wie wirtschaftlichen Drucks (z.B. Abschaffung der Altersteilzeit). Andererseits wünschen die Deutschen, frühzeitig in Ruhestand gehen zu können. Ohne wirtschaftliche Zwänge würden sie mit so 59 Jahren ausscheiden. Die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre (auf das ich in meiner Replik noch genauer eingehen werde) ließe sich politisch nur dann durchsetzen, wenn sie einherginge mit finanziellen Anreizen wie Arbeitserleichterungen und darüber hinaus flexibel gehandhabt würde.

              • Stefan Sasse 8. März 2021, 06:47

                Wie du weißt, bin ich ein großer Fan von Frauenerwerbsarbeit. Und ich halte das Potenzial da bei weitem noch nicht für ausgereicht und die Gründe für den geringeren Erwerbszeitenwunsch vor allem strukturell bedingt.

                • Stefan Pietsch 8. März 2021, 10:29

                  Es ist nicht relevant, ob Du von Fan von etwas bist. Ich bin jedenfalls kein alter weißer Mann, sondern Liberaler. Deutschland hat es innerhalb nur einer Generation in den Spitzenbereich der Beschäftigung von Frauen gebracht. Es ist nicht anzunehmen, dass sich in einem so kurzen Zeitraum Grundüberzeugungen diametral in einer Gesellschaft verändern. Tatsächlich haben stagnierende Einkommen und die Auslagerung von Arbeit in Billiglohnländer die Notwendigkeit von Doppelverdienern befördert. Dazu kommen die großen Bildungssprünge bei Frauen.

                  Aber der Trend zur Reduktion von Arbeit ist unübersehbar. Die Zahl der geleisteten Überstunden geht ebenso zurück wie der Anstieg der Teilzeitarbeit steigt. Neue Slogans besitzen Popularität bis hin zu Stellenbeschreibungen: Work-Life-Balance. Auch Männer wollen ihren Arbeitsaufwand reduzieren, da bin selbst jemand wie ich nicht ausgenommen. Wenn Deutschland auf dem Niveau von skandinavischen Ländern liegt, welche die Speerspitze der Frauenerwerbsquote bilden, dann wirkt Deine Prognose wie die des Spielsüchtigen beim Black Jack mit eine Dame und einen Buben auf der Hand und dem festen Glauben, dass die nächste Karte ein As sei.

                  Das ist für Blogger ungefährlich. Ein Finanzminister, der auf solchen Annahmen seine Tragfähigkeitsanalysen aufbaut, spielt Harakiri.

                  • Stefan Sasse 8. März 2021, 10:35

                    Klar, einfach annehmen dass das passiert wäre irre. Aber Maßnahmen in die Richtung zu ergreifen wäre ja möglich, das wird ja gerade nicht gemacht. Darum geht’s mir an der Stelle aber gar nicht, ich wollte nur mein Verständnisproblem klären. Danke!

  • Lemmy Caution 7. März 2021, 09:03

    Ich wünsche mir eine Welt, in der Rente eben auch stark als kollektives Problem unserer jeweiligen Generation gesehen wird.
    Ich denke über das Thema schon länger nach, v.a. nachdem ich in Chile einmal gesehen habe wie 2 ältere Frauen Brot in ihren Tee getunkt haben, um ihr Hungergefühl zu übertölpeln.

    Zum Teil wurde bereits in diese Richtung gesteuert. Renten werden ja immer mehr besteuert. Afaik werden Betriebsrenten voll besteuert und die staatliche nur zu etwa 35%, aber da gibts eine Tabelle nach der das jährlich ansteigt (schau jetzt nicht nach). 2035 sind dann nur noch 5% steuerfrei.
    Meine Schwester sowie die Cousins und Cousinen sind wie ich alle um die 50. Mit einigen habe ich längere Gespräche über das Thema Rente geführt. Nicht zufällig sind das ausgerechnet die Leute mit deutlich überdurchschnittllichen Arbeitseinkommen. Mit Riester-Rente läßt sich prima Einkommenssteuer sparen. In der Regel enthält ihr Arbeitsvertrag einen Anspruch auf Betriebsrente. Außerdem ist für diese Leute sowieso immer ein bisschen Geld über. Es sind auch meist die most nerd, also solche, die sich informieren und ein wenig Finanz-Mathe wird eher als interessante Freizeitbeschäftigung wahrgenommen. Die nicht so nerd der Gutverdiener haben i.d.R. sowas wie einen Finanzberater bei ihrer Bank, mit dem sie wirklich reden! Der ruft die dann an, weil da winken vergleichsweise fette Umsätze: „Frau xxx. Wir haben bei Ihnen eine Versorgungslücke entdeckt.“

    Leute, die sich in ihrem Konsumverhalten ohnehin mehr zusammenreissen müssen, leben diesbezüglich in einer ganz anderen Welt.

    Lange Rede kurzer Sinn: Personen mit ohnehin hohen Renten-Erwartungen dürften auch viele Riester-Verträge besitzen. Ein nicht geringer Teil dieser Gruppe wird on top auch noch überdurchschnittlich erben.
    In Speckgürtel-Suburbia mit den hohen Immobilien-Werten geht btw auch ein Gespenst um: Die Angst, dass die Kinder doch tatsächlich Rentensteuer bezahlen könnten. Also werden Erbschaften gestreckt, d.h. man verschenkt Teile des Vermögens zu Lebzeiten an die Kinder. Findet die Schenkung 10 Jahre oder so vor dem Erbschaftsfall statt, befindet die sich außerhalb der Erbmasse…

    • Stefan Pietsch 7. März 2021, 09:40

      Die extrem teuren Entscheidungen für Mütterrente, Rente mit 63, Rentengarantie und Mindestrente ohne Bedürftigkeitsprüfung sind ja noch nicht so lange her und die Mehrheit hat begeistert gerufen: toll! mehr davon! Man hat sich jeden Spielraum genommen für Korrekturen und jammert das alte Spiel: Aber es muss doch noch mehr im Pott sein?! Es gibt doch Menschen, die viel haben! Wie sind so ein reiches Land! Wie ungerecht.

      Ich erinnere mich noch sehr gut an die frühen Debatten, in den Achtziger- und auch Neunzigerjahren. Am Ende hat schon ein kleiner, vernünftiger Eingriff wie der demographische Faktor eine Regierung hinweggefegt. Die Leute wollten nicht hören. Als Biedenkopf Vorschläge zu einer steuerfinanzierten Grundrente vorschlug, welche die Gesellschaft für eine Generation stärker belastet hätte, erntete er nur Ablehnung. Wir wären heute mit der Umfinanzierung durch.

      Stattdessen empörten sich die Sozialpolitiker, nicht zuletzt auf der linken Seite des politischen Spektrums, den hart arbeitenden Beschäftigten würde die Anerkennung ihrer Lebensleistung genommen. Wer viel einzahlt, solle auch viel herausbekommen. 25 Jahre später gelten die Sprüche nicht mehr. Der Arbeitsminister will über den Wert von Lebensleistung bestimmen, hohe Einzahlungen gelten dafür nicht mehr als ausreichender Beleg.

      So geht man nicht mit etwas Langwierigem wie der Altersvorsorge um! Welches Land hat in den letzten 30 Jahren so kurzsichtig bei dem Thema agiert? Ich habe mir meine Rentenansprüche ehrlich erworben. Die sind zwar in absoluten Zahlen gar nicht so hoch, aber relativ natürlich top. Ich habe jahrzehntelang nur den Höchststeuersatz gezahlt und als Ausgleich blieben für alle die Erbschaften niedrig besteuert. Wenn ich nun selber davon profitieren kann, warum sollte ich das nicht?!

      Alles hat im Leben seinen Preis. Wenn die Wähler meinen, es gäbe so etwas wie free lunch, werden sie halt am Ausgang darauf aufmerksam gemacht werden müssen, dass sie jemand belogen hat. Als junger und mittelalter Mann habe ich immer und sehr heftig für das Ganze argumentiert. Es wurde nicht auf mich, auf die von mir unterstützten Personen und Parteien gehört. Das sind eben dann auch Entscheidungen. Ich gehöre zu den Menschen, die bereit sind, die Konsequenzen von Entscheidungen zu tragen. Die Politik hegt die Illusion, dass man das nicht müsse, wenn man nur laut klage und sich für arm erkläre.

      Jede Lücke, die Politik und Gesellschaft in den letzten 20 Jahren meinten zu erspähen, nutzten sie dazu, die Renten fetter zu machen. Wenn wir nicht einmal die dem Namen nach „Mindestrente“ dazu nutzen, alten Menschen das Schicksal von Armut zu ersparen oder zumindest zu lindern, dann ist es halt so. Dem Alkoholiker kann ich auch nur begrenzt die Flasche wegnehmen, wenn er sich immer neu kauft, tja, dann wird er halt krepieren.

      Ob ich in diesem Land meinen Lebensabend genieße? Ich denke eher nicht. Soll man sich doch in 10 Jahren über die großen Dummheiten balgen, die begangen wurden, aber ohne mich.

      • Lemmy Caution 7. März 2021, 10:44

        Mütterrente find ich ok, der Rest war gefährlicher Unsinn.
        Die Rente mit 63 wäre zumindest für Personen in handwerklichen Berufen zu prüfen. Das geht dann oft gesundheitlich einfach nicht mehr. Viele in den besser bezahlten Bürojobs arbeiten ja auch gerne länger. Mein Vater ist sehr früh aus den Berufsleben ausgeschieden. Das machte damals finanziell Sinn, aber glücklicher hat ihn diese Entscheidung nicht gemacht. Eigentlich hat er glaub ich wirklich ausgesprochen gerne gearbeitet.
        Viele Menschen meiden das Thema Rente. Ich auch, bis ich 42 wurde. Da hab ich mir darüber plötzlich sehr viel Gedanken gemacht. Fast zehn Jahre später bin ich darüber sehr froh.
        Auf die Politiker hoffe ich überhaupt nicht. Vielleicht gibt es Bewegungen aus der Gesellschaft, wenn es zwischen 2030 und 2050 wirklich eng wird. Die 20 Jahre werden wir auch kaum allein aus Schulden finanzieren können. Für mich persönlich ist es jetzt absolut vorstellbar, dass ich irgendwann mit Mitte 70 und in trockenen Tüchern bereit wäre, einen größeren Betrag an Altersarme in Deutschland zu spenden. Hab mich ja auch mit meiner Selbstständigkeit aus dem Solidarsystem der Rentenversicherung verabschiedet. Aber vielleicht hat man dann auch Angst, noch ein wirklich total kostspieliger Pflegefall zu werden.

        • Stefan Pietsch 7. März 2021, 11:53

          Das sehe ich ganz und gar nicht so. Schon die Mütterrente war ein Irrsinn. Mehr noch, ich sehe es als politischen Betrug an.

          Um das zu verstehen, müssen wir uns betrachten, wie die Reform entstanden ist. Noch die Regierung Kohl stellte Frauen besser, die Kinder bekamen. Die Gesetzesänderung war als Maßnahme zu verstehen, die Geburtenrate in Deutschland zu erhöhen, in dem gebärenden Frauen ein Bonus als Ausgleich für Einkommensverzicht gewährt wurde. Die Ungleichbehandlung zu Frauen, die schon vor 1992 ihre Kinder bekommen hatten, billigte das Bundesverfassungsgericht bereits 1996.

          Ohne große gesellschaftliche Bewegung zog Angela Merkel das Thema der Ungleichbehandlung 20 Jahre später im Bundestagswahlkampf 2013 hoch. Im Ergebnis wurde damit eine bevölkerungspolitische Maßnahme zur Steigerung der Geburtenrate ein politisches Geschenk an Frauen, die unter ganz anderen rechtlichen Bedingungen ihre Kinder bekommen haben. Wir können den Irrsinn in der Betrachtung noch weitertreiben, wenn wir konstatieren, dass die durch die ursprüngliche Reform „geförderten“ Kinder nun für die vermeintliche Ungleichbehandlung zahlen müssen, während die Kinder der Mütter, die bereits 1960 geboren wurden, jetzt selbst bald in Rente gehen.

          Es wurden auch keine armen Frauen begünstigt. Die meisten profitieren nicht nur von eigenen Ansprüchen, sie erhalten auch höhere Witwenrenten und Ansprüche aus Trennungen, da sie häufiger verheiratet waren und die Männer weniger gebrochene Erwerbsbiographien aufweisen. In meinem Umfeld ist es so, wie es auch Forscher mit dem den Daten des SOEP-Panels feststellten.

          Hinzu kommt, dass solche Frauen Mitte der Neunzigerjahre eine weitere außerordentlich großzügige Begünstigung erfuhren: mit einer Einmalzahlung konnten sie Rentenansprüche erwerben. Rentenansprüche, die heute mit mehr als 100% „verzinst“ werden – pro Jahr! Wer 1995 eine Einmalzahlung von umgerechnet 5.000 Euro leistete, erhält heute einen monatlichen Rentenanspruch von ca. 600 Euro.

          Die Politik vermittelt immer noch den Eindruck, dass es ohne Härten gehen wird. Schlimmer, sie gewährt umgekehrt noch Großzügigkeiten. Der Verzicht auf die Bedürftigkeitsprüfung bei der Mindestrente kostet ein Vielfaches des eigentlich notwendigen Betrages. Dieses Geld fehlt, um den wirklich armutsgefährdeten Alten zu helfen.

          Ich persönlich möchte meine letzten Lebensjahre nicht in einem Land verbringen, in dem ich nur von alten Menschen umgeben bin, das erbitterte Verteilungskämpfe zwischen Alten und Jungen durchlebt und das in der Politik skle­ro­tisch erstarrt ist. Ich möchte noch lange arbeiten, aber nicht in einem solchen Umfeld.

          • Lemmy Caution 7. März 2021, 17:02

            Bei der Kritik, dass viele der rentenstützenden Maßnahmen absolut an den wirklich Bedürftigen vorbei gingen, gehe ich absolut mit.
            Hab in der Familie eine voll arbeitende, gut verdienende und bald ihre 25-jähriges Betriebszugehörigkeit zu einem deutschen Großkonzern feiernde Person, die sich als jemand mit einem starken Sicherheitsbedürfnis einstuft.
            Ergebnis ist ein bombastisches Geflecht aus Konten, die vielfach staatlich gefördert werden. Hab schon spaßeshalber abgemacht, dass ich nach einem Total-Absturz der Wirtschaft wegen einer großen Klimakatastrophe bei der einziehen kann. Damit die arm wird, braucht es einen Atomkrieg.
            Die hat auch ein Soziales Bewußtsein, dass sie irgendwann den nicht so Begünstigten durch Spenden helfen wird. Auf solche Indidividual-Entscheidungen hoffe ich eher als auf die Politik.

          • Stefan Sasse 7. März 2021, 18:44

            Kleine Korrektur: Die Mütterrente war nicht Merkels Idee (das wäre auch echt merkwürdig, das ist eine ganz und gar unmerkelige Idee), sondern der CSU.

            • Stefan Pietsch 7. März 2021, 19:02

              Formal ja, wobei das glaube ich nur für die Mütterrente II gilt. Ich erinnere mich aber an ein Zitat von Merkel, das sie unter CDU-Granden gemacht habe. Auf die Frage, warum die CDU sich hinter die Forderung stelle, soll sie geantwortet haben: Weil es bei unseren Leuten bei den Wahlveranstaltungen so gut ankam.

              • Stefan Sasse 8. März 2021, 06:40

                Logisch, warum auch sonst? 😀 Aber genauso wie die Herdprämie ist die Mütterrente etwas, das CSU-Fingerabdrücke überall drauf hat. Es hat einfach nicht dfas Gefühl einer Merkel-Initiative. Klar nimmt sie das mit (und weil es populär ist gerne die gute PR), aber ist nicht ihr Ding.

                • Stefan Pietsch 8. März 2021, 09:59

                  Du weigerst Dich immer noch zu sehen, dass Angela Merkel eine hemmungslose Opportunistin mit geringen Überzeugungen ist. 2013 hat sich das Projekt durchgesetzt, gegen jede Vernunft, einfach weil es ihr Popularität versprach. Das war nicht die CSU, das war Merkel.

                  • Stefan Sasse 8. März 2021, 10:31

                    Tu ich doch gar nicht, das ist ja gerade meine Aussage 😀 :D: D Sie ist opportunistisch aufgesprungen, aber es war nicht ihre Idee. Ins Wahlprogramm hat es die CSU. Merkel hat es dann mit umgesetzt, weil es populär war – wie sie es immer tut. Sie ist die vollendete Opportunistin.

                    • CitizenK 8. März 2021, 15:14

                      Ihr kritisiert also, dass die Regierung etwas tut, was die Leute wollen. Legislative und Exekutive setzen um, was der Souverän will. Wenn das auf Wahlveranstaltungen gut ankommt, dann wählen die Bürger doch entsprechend. Geht so nicht „Demokratie“?

                    • Stefan Pietsch 8. März 2021, 15:40

                      Wir haben eine repräsentative Demokratie, damit der „Volkswillen“ nicht unmittelbar durchschlägt. Der Kanzler hat in der verfassungsrechtlichen Ordnung eine gesicherte Stellung, um vor launenhaften Umschwüngen geschützt zu sein.

                      Ja, in einem solchen demokratischen System, das auf Kompromiss und Ausgleich angelegt ist, kann man erwarten, dass Wahlpropaganda sich nicht eins zu eins in Gesetzen wiederfindet. Ein solches System sollte bessere Chancen haben, auf Dauer angelegte Systeme wie die Altersvorsorge zu erhalten. Die Idee der Gründungsväter der Bundesrepublik war, dass sich nicht jede politische Dummheit im Gesetzesblatt wiederfindet. Und die Mütterrente war eine der größten politischen Dummheiten in der Geschichte der Rente. Das will etwas heißen.

                      Ein System ist nur so stark wie die Menschen, die darin arbeiten. Leider haben wir mit Merkel eine Kanzlerin, die vielen Versuchungen nicht widerstehen konnte und die nur hart ist, wo es gegen die Verfassung geht.

                    • Stefan Sasse 8. März 2021, 22:07

                      Nö, ich betone schon seit langem, dass Politiker*innen auf die Bevölkerung hören und machen, was die will. Ob es jetzt doof ist oder nicht. Ist halt Demokratie. In dem Sinne ist Merkel die demokratischste Kanzlerin, die wir je hatten.

                    • Erwin Gabriel 17. März 2021, 08:13

                      @ CitizenK 8. März 2021, 15:14

                      Ihr kritisiert also, dass die Regierung etwas tut, was die Leute wollen.

                      Ja.

                      Hast Du Kinder? Gestehst Du ihnen alles zu, was sie wollen (von Süßigkeiten bis Spielekonsole und Sauforgien), damit sie Dich dann gut finden, oder versuchst Du, die Sachen zu machen, die gut für sie sind, da sie manchmal die Folgen nicht richtig abschätzen können.

                      Und ja, der Vergleich passt.

                    • Stefan Sasse 17. März 2021, 08:23

                      Ganz grundsätzlich haben wir für genau so was eine Regierung.

  • Erwin Gabriel 8. März 2021, 00:09

    @ Stefan P

    Meinen Respekt vor der Arbeit!
    Danke

    • Stefan Pietsch 8. März 2021, 09:57

      Danke! Es hat mich einen Samstag Nachmittag und Abend gekostet, dank der Geduld meiner Frau.

      Was vielen nicht bewusst ist: solche Artikel sind aufwendig, aber wir tun es kostenlos. Neben einem Sendungsbewusstsein möchten Stefan, Jens und ich ein Diskussionsangebot machen und die Belohnung ist, wenn die Artikel gelesen und kommentiert werden. Wer das nicht bringt, kann es sich auch leicht leisten, auf solche Angebote zu verzichten.

  • Jens Happel 12. März 2021, 18:00

    Hi Stefan,
    also erst mal Respekt für diese Fleißarbeit.

    Bei den Auslandspositionen die Deutsche angeblich im Ausland sparen muss man aber etwas differenzieren. Die größten Beiträge sind nicht Gelder von deutschen Privatpersonen, sondern Firmen (Direktinvestitionen) und Währungsreserven (Buba). Viele der anderen „Ersparnisse“ dürften von wenigen sehr Vermögenden Deutschen kommen.

    Im wesentlichen sind diese Überschüsse den Überschüssen aus ins Ausland verkauften Waren und Dienstleistungen zu verdanken. Diese landen eben nicht beim deutschen Bürger, sondern bei deutschen Firmen. Die Akkumulation dieser Ersparnisse sind in den seit Jahren steigenden Eigenkapitalquoten der Firmen zu finden.

    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/150148/umfrage/durchschnittliche-eigenkapitalquote-im-deutschen-mittelstand/

    Das Hauptproblem bei den Renten aus Sicht des Bürgers sind die vielen kleinen Einkommen, insbesondere aus dem „besten Niedriglohsektor“ (Schröder). Diese haben nicht genug Einkommen um wirklich sparen zu können.

    Für die gesamte Volkswirtschaft ist hingegen die Finanzierung der Renten UND Pensionen, das riesengroße Problem.

    Das Problem ist, wie du schon schreibst ein Verteilungsproblem. Zukünftig stehen immer mehr Arbeitenden immer mehr nicht arbeitende Bezieher von Renten und Pensionen gegenüber. Du hast das Problem sehr von der Geldseite betrachtet.

    Von der Güterseite stellt es sich etwas einfacher da. Immer weniger Arbeiter müssen immer mehr Güter produzieren. Diese Güter werden dann nach marktwirtschaftlichen Prinzipien verteilt (über Geld; Löhne, Renditen etc). Durch sparen im Ausland änderst du an diesem Problem erst mal nichts. Erst wenn aus dem Ausland vermehrt Güter importiert werden und diese meinetwegen bezahlt werden aus Ersparnissen die im Ausland angelegt sind verbessert sich die Situation in Deutschland.

    Es ist aber sehr fraglich ob es möglich sein wird zukünftig diese Nachfrage aus dem Ausland zu bedienen. Denn nahezu das gesamte westliche Ausland plus China haben exakt das gleiche Problem. Überaltertung! Das heist das Ausland hat genug zu tun Güter für sich selbst herzustellen.

    Am Grundproblem, dass weniger Menschen mehr produzieren müssen, ändert eine Anlage im Ausland deswegen nichts! Und was ganz sicher nicht funktionieren wird ist, dass unsere Volkswirtschaft weiterhin soviele ExportÜBERschüsse erzeugen kann, wenn gleichzeitig nicht genug Güter für Deutschland da sind.

    Die einzige Lösung aus Gütersicht heißt die Produktivität steigern und die Lebensarbeitszeit zu verlängern.

    Ich habe mich schon mal darauf eingestellt bis 70 zu arbeiten. 😉

    • Stefan Pietsch 13. März 2021, 10:42

      Und was machen deutsche Firmen mit ihren Auslandspositionen? Wir reden ja nicht allein von Siemens und BMW (die übrigens selbst in den USA fertigen und daher keine Auslandspositionen gegenüber dem aus ihrer Sicht Inland aufbauen). Wir reden von der Dynamics GmbH, der Puffdaddy GmbH & Co. KG und der Solitär OHG. Haben Unternehmen eigentlich keine Eigentümer? Und sind die alle Altruisten?

      Ich kenne niemanden (!), der über relevantes Vermögen >80.000 Euro verfügt und nicht in irgendeiner Form in Übersee engagiert ist. Zahlreiche Deutsche, die nicht zu den Reichsten im Land zählen, verloren in der Finanzkrise durch Immobilienengagements viel Geld. Sie kaufen mit dem, was über ihre Jobs an überdurchschnittlichem Einkommen erwirtschaftet wird, Vermögenspositionen in New York, San Diego, San Francisco, Miami. Aktuell berate ich eine ältere Dame bei der Vermögensanlage, zu der amerikanische Fonds einen gewichtigen Anteil besitzen.

      Viele derjenigen, die nach 2005 im „besten Niedriglohnsektor“ beschäftigt waren, waren zuvor arbeitslos. Der Wechsel ist mit Sicherheit nicht angenehm gewesen, aber notwendig. Wie Du sicher weißt, hat Deutschland zwischen 2015 und 2017 in absoluten wie relativen Zahlen die meisten Menschen in der EU aufgenommen, ein Großteil davon nach OECD-Maßstäben geringqualifiziert. Es ist allein diesem „besten Niedriglohnsektor“ zu verdanken, dass bisher die Integration von Menschen unter Facharbeiterniveau ganz ordentlich gelungen ist, unter Berücksichtigung der Verhältnisse. Wir müssen diesen Leuten schon etwas Zeit geben, bis sie zum Millionär aufsteigen.

      Die Babyboomer, die jetzt in Rente gehen und in den kommenden 20 Jahren so große Probleme verursachen werden, haben weit überdurchschnittlich gut bis sehr gut verdient – weswegen sie ja auch so hohe Anwartschaften haben. Und diese hohen Vermögenspositionen müssen überdurchschnittlich von Leuten bedient werden, die nicht so gut situiert sind. Dies könntest Du skandalisieren.

      Die Pensionen habe ich ausgespart, da es an dem grundsätzlichen demographischen Problem (die „Illusion“) nichts ändert, sondern sie schlechtestenfalls verschärft. Und sie verschärft sie, weil die Pensionen noch schneller steigen als die Renten.

      Das Problem der Gütermenge besteht nicht. Das ist Old School. Du solltest mal die Quellen Deiner volkswirtschaftlichen Bildung überdenken. Wir haben kein Mengen- sondern Qualitätsproblem. Jedes Produkt wird komplizierter, da die Anforderungen an Komfortabilität wie Originaliät permanent steigen. So gibt es keinen Bedarf an neuen Autos, der Weltmarkt bietet Überkapazitäten en masse. Es mangelt jedoch an Weiterentwicklungen, batterie- und wasserstoffbetriebenen Mobilen und an selbstfahrenden Kisten. Selbst wenn wir die Kapazitäten der Automobilindustrie um 40 Prozent reduzieren, würden immer noch genügend fahrbare Untersätze produziert. Ob allerdings „die Richtigen“, ist eine ganz andere Frage.

      Viele Länder der Welt, ausgerechnet die mit den größten Wachstumspotentialen, haben kein demographisches Problem. Ob es Europa in 30 Jahren noch gibt, interessiert die wenigsten. Da sollten wir nicht so viel Nabelschau betreiben.

      Zum Schluss hörst Du Dich wie der Finanzminister Wolfgang Schäuble an. Die Außenhandelsüberschüsse werden abnehmen, weil eben die alternden Deutschen ihr Vermögen verbrauchen werden – zu dem nun einmal Vermögenspositionen im Ausland zählen.

  • CitizenK 17. März 2021, 10:17

    Landeskinder, erzogen (belohnt und bestraft) von Landes-Mutti und Landesvätern. Aber gleichzeitig kritisieren, dass „die da oben“ nicht wissen oder jedenfalls nicht berücksichtigen, was „das Volk“ (der Souverän!) will. Inkonsistentes Demokratieverständnis, das der Klärung bedarf.

    Ja, ja, ich weiß: Repräsentative Demokratie und so. Aber: deren Mechanismen sollen doch die Willensbildung des Volkes in die Institutionen transportieren: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“. Und wie schreibt S. P. immer? In der Demokratie braucht es Mehrheiten, nur das zählt.

    Also was gilt: Landeskinder/Untertanen oder „mündige Bürger“, die besser wissen was für sie gut ist als abgehobene und/oder egoistische und/oder gar korrupte „Politiker“? Regierung DURCH das Volk oder Regierung FÜR das Volk. Entscheidet euch.

    • Stefan Pietsch 17. März 2021, 11:36

      Aber: die Mechanismen [der repräsentativen Demokratie] sollen doch die Willensbildung des Volkes in die Institutionen transportieren

      Natürlich, aber doch nicht ungefiltert 1:1!

      Ich finde es befremdlich, Ihnen den Wesenskern der repräsentativen Demokratie erklären zu müssen. Dies aus zwei Gründen. Zum einen benutzen Sie die Argumentationsmuster des rechten wie linken politischen Randes, so als gäbe es den einen Volkswillen. Den gibt es selten. Es lässt sich in Debatten nicht immer vermeiden, Argumente des politischen Gegners zu verwenden. Das ist nicht verwerflich. Doch politischer Extremismus definiert sich nicht durch das Argument, sondern die Methode.

      Wenn zwei extrem teure (und für die Systematik schädliche) Vorschläge wie die Mütterrente und die Rente mit 63 zur Wahl stehen, ist es kaum angezeigt, beides umsetzen, wenn die beiden miteinander im Wettbewerb stehenden Parteien schlussendlich eine Koalition bilden. Wo gibt’s denn sowas?! 2005 Zudem hätte noch die Frage gestellt werden müssen, ob und wer die Kosten schultern soll. Es ist wie bei Umfragen: eine Mehrheit ist für Steuererhöhungen für „die Reichen“. Wird jedoch die Frage gestellt, ob man selbst höhere Steuern zahlen würde, verneint dies eine übergroße Mehrheit. Man kann für so vieles eintreten, wenn es für einen selbst folgenlos bleibt.

      Zum anderen sollte jemand wie Sie sehr wohl wissen, wo die Vorteile der repräsentativen gegenüber der direkten Demokratie liegen. Wenn Sie das nicht wissen, finde ich es erschreckend, denn dann vermitteln Sie Nichtwissen an andere. 2005 standen eine Bürgerversicherung und eine Kopfpauschale zur Wahl. Es siegte knapp die Partei, welche für Individualität in der Krankenversicherung stand. Nach den Regeln der direkten Demokratie wäre dies entschieden.

      Doch wir haben eben keine direkte Demokratie und zur Wahl standen viele Maßnahmen und nicht eine. Die ehemals konkurrierenden Parteien setzten sich also zusammen und handelten Kompromisslösungen aus. Für Rechts- wie Linksextremisten stehen solche Lösungen im Geruch, den „Volkswillen“ zu verfälschen oder sogar zu brechen.

      Jetzt wissen Sie, in welchem Lager Sie stehen.

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