Fragen eines Illusionärs

Ich möchte eingangs Stefan Pietsch zu seinem Beitrag über die „Rentenillusion der Deutschen“ danken. Er entsprang meiner eigenen neugierigen Nachfrage zum Thema. Es ist daher nur passend, wenn ich dem Beitrag mit weiteren Fragen antworte, denn so umfassend er auch seine Kritik der aktuellen Rentenpolitik darlegte, ist mir noch vieles unklar. Das soll erst einmal gar keine grundsätzliche Kritik am Beitrag selbst sein; ich möchte vielmehr eine größere Debatte anstoßen (auf die Stefan vielleicht wieder in einem eigenen Beitrag antworten wird?). Ich glaube nur, dass es den Rahmen der Kommentare etwas sprengen würde, all das hier unterzubringen. Genug der Vorrede, worum geht es? Meine Grundfrage ist die: Die ganze Rentenpolitik, das ganze deutsche Rentensystem, beruht auf zwei Prämissen. Einerseits ist es beitragsfinanziert (mit all den Problemen der Belastung des Faktors Arbeit und der Finanzierung anderer Bevölkerungsgruppen, die das mit sich bringt), was wie Stefan richtig beschreibt auch Reformen fast verunmöglicht (weil Anwartschaften existieren) und andererseits soll die Rente dem Anspruch nach eine Lebensstandardsicherung ermöglichen. In den letzten dreißig Jahren gab es periodisch zwar Debatten und Reformen, um die Rente „zukunftssicher“ (was auch immer das dann konkret heißen mag) zu machen, aber diese Prämissen werden von der Politik eigentlich nicht ernsthaft angegangen. Meine Frage ist also, wie Reformvorschläge angesichts dieser beiden Prämissen überhaupt umgesetzt werden sollen. Ich würde gerne, weiter in fragender, nicht anklagender, Form diese Gedanken weiterspinnen.

Stefan Pietsch weist zurecht darauf hin, dass eine Flankierung des bisherigen Systems durch ein Kapitalelement verpasst wurde. Gleichzeitig weist er – das war auch meine ursprüngliche Frage an ihn – auf die Beschränktheit des Mackenroth-Theorems hin, das die Verfügbarkeit internationaler Finanzmärkte (im Gegensatz zu rein nationalen Volkswirtschaften) nicht einbezog. Ich kam überhaupt erst auf dieses Thema, weil zwei FDP-Abgeordnete eine „Aktienrente“ als flankierendes Element vorschlugen und ich mir unsicher bin, was ich davon halten soll. Grundsätzlich sehe ich Stefans Argument, dass die Aktienrendite für die Rentenanlagen der Deutschen ja nicht in der deutschen Volkswirtschaft verdient werden müssen, sondern auch in stärker wachsenden und strukturell wesentlich jüngeren Volkswirtschaften verdient werden könnten. Das wäre quasi der best case, ein win-win für beide Seiten: das deutsche Kapital findet anders als im Inland ordentlich verzinste Anlagefelder und die Volkswirtschaften erhalten massig Investmentkapital.

Nun erscheint es mir, als würden hier drei Probleme noch nicht wirklich abgedeckt. Der FDP-Vorschlag kümmert sich, anders als etwa die Riesterrente (ein Fehlschlag auf vielen Ebenen, nicht nur, aber sicher auch der Überregulierung), um das erste davon: Ein Großteil der Bevölkerung hat kein übriges Kapital, das in Aktien investiert werden könnte, weil einfach generell wenig Rücklagen existieren. Die einschlägigen Statistiken vom „deutschen“ Vermögen, das im Durchschnitt existiert, ist eine Papier-Chimäre. Zwar mögen im Durchschnitt in Deutschland höhere zweistellige Vermögensbeträge existieren, aber in Wahrheit hat die Hälfte der Bevölkerung fast nichts, das sich in Aktien investieren ließe. Die Riesterrente blieb daher auch immer unterentwickelt. Der FDP-Vorschlag ist eine verbindliche Komponente, die den gesetzlichen Beitrag vollkommen ersetzt, würde dieses Problem also aufkommensneutral völlig umgehen.

Das zweite Problem scheint mir, dass das Mackenroth-Theorem ja aber auch weltweit gilt. Klar können deutsche Rentner sich von brasilianischen Anlegern aushalten lassen, und das mag, solange junge, aufstrebende Volkswirtschaften existieren, auch gut gehen. Aber würde dieses System nicht wie ein Kartenhaus zusammenfallen, wenn das nicht mehr gegeben ist? Denn diese Volkswirtschaften müssten das deutsche Kapital ja äußerst produktiv für Jahrzehnte verzinsen. Es ließe sich natürlich grundsätzlich auf neue, attraktivere Märkte verschieben, aber meine Frage ist, wie realistisch die Annahme ist, dass dies den entsprechenden Fonds für die nächsten 40 Jahre kontinuierlich gelingt und was wir machen, wenn nicht?

Das dritte Problem, das sich mir auftut, ist, dass die Menge des Kapitals, das so entstehen würde, gigantisch ist – und stetig wachsend. Den weltweiten Finanzmärkten fehlt jetzt ja schon nicht gerade Kapital; man kann durchaus aus gutem Grund argumentieren, dass gerade das Überangebot an Kapital für die Probleme der Finanzkrisen der letzten 30 Jahre sorgte. Würde also die Injektion von Rentenkapital in der gigantischen Höhe, die nötig wäre um relevanten Eindruck auf die deutsche Altersvorsorge zu machen (deren enormes Volumen Stefan in seinem Artikel ja korrekt beschreibt) nicht das Weltfinanzsystem an einem Überangebot Kapital geradezu ersticken lassen? Mein naiver Eindruck ist, dass dies ohne eine gleichzeitige Beseitigung des aktuellen Überangebots sehr gefährlich wäre – und das hieße, in klassisch linker Manier Ungleichheit zu beseitigen. Ist es möglich, dass hier linke und rechte Wirtschaftskonzepte quasi eine Synthese eingehen müssten?

Das wären erst einmal meine Fragen zur Kapitaldeckung. Dass das ganze System sich nicht grundlegend reformieren lässt, weil die Anwartschaften dies unmöglich machen, hat Stefan ja bereits gut dargestellt. Ohne einen Totalcrash, den sich nicht einmal der radikalste Neoliberale wünschen dürfte, sind wir für Jahrzehnte zumindest zu Teilen auf das beitragsfinanzierte System festgenagelt. Die Grundrente, die der beliebteste Reformvorschlag von liberaler Seite ist, lässt für mich aber auch noch Fragen offen, bei denen ich das Gefühl habe, dass Stefan um sie herumtänzelt, weil sie im Kern delegitimierend sind.

Dazu erst eine kurze Erläuterung: Meinem Verständnis nach bedeutet Grundrente, dass der Staat innerhalb eines bestimmten Korridors eine Rente ausbezahlt, der deutlich kleiner als aktuell ist, oder sogar nur eine fixe Kopfrente. Alle weiteren Auszahlungen, also die Lebensstandardsicherung, müssten durch zusätzliche private Vorsorge erwirtschaftet werden. Es ist quasi das Prinzip von Hartz-IV auf die Rente übertragen: Grundsicherung nach dem Sozialstaatsgebot, aber nicht mehr. Es ist ebenfalls mein Verständnis, dass das deutsche Rentensystem zwar nicht formal, aber doch de facto bereits seit langem in diese Richtung geht. Das Absinken des Rentenniveaus hat ja mittlerweile solche Züge angenommen, dass die meisten Menschen aus der gesetzlichen Rente ohnehin nicht viel mehr herausbekommen.

Stefan kritisierte nun in seinem Beitrag die teuren Reformen der letzten Dekade, vor allem der Mütterrente. Und er hat sicherlich Recht mit der Höhe der Belastungen und dass diese grundsätzlich ungedeckt sind, sprich: sie müssen aus Steuermitteln gedeckt werden. Was mir in allen von eher liberalerer Seite herkommenden Beiträgen zu diesem Thema wie eine kuriose Leerstelle anmutet aber ist die grundsätzliche Frage: Verabschieden wir uns offiziell vom Ziel der Lebensstandardsicherung? Wird also die Rente in Zukunft nicht explizit eine sein, die zwar Grundsicherung ist – genauso wie Hartz-IV, und in ähnlicher Höhe, nur ohne Bedürftigkeitsprüfung und Arbeitszwang – aber darüber nur noch in Ausnahmefällen hinausgeht? Denn wenn das so wäre, müsste man das in meinen eigenen entsprechend deutlich benennen. Das ist, was ich eingangs mit „delegitimierend“ meinte. Denn wie Stefan ja ausgeführt hat, bestehen in den eingezahlten Beiträgen und erworbenen Rentenpunkten ja reale Vermögenswerte, die die Politik eigentlich nicht beliebig weginflationieren kann – was ja aber die Entwicklung der letzten Jahrzehnte ist.

Damit kommen wir zur Crux: Ist es das Ziel, dass die Rente mehr tut, als Grundsicherung zu betreiben? Denn wenn ich mir die entsprechenden Reformvorschläge ansehe, muss die Frage mit einem klaren „Nein“ beantwortet werden; mehr ist dann nur möglich, wenn es mir gelingt, a) über 45+ Jahre Arbeitsleben Kapital anzusparen und b) dieses Kapital nicht durch die Unwägbarkeiten des Weltgeschehens zu verlieren.

Damit kommen wir zu Stefans Argumentation bezüglich des Renteneintrittsalters. Er gibt eine mittlerweile vertraute Argumentation wieder: das Renteneintrittsalter muss steigen (er nennt die Zahl 70), um den Anstieg der Kosten durch den demographischen Wandel einigermaßen bewältigen zu können. Aber mehr als eine Notlösung ist das ja auch nicht, wenn ich das richtig verstehe. Die grundsätzlichen Probleme bleiben ungelöst, sind in ihrem Kern gar unlösbar (sofern man nicht einfach hinnimmt, dass der steuerfinanzierte Zuschuss zur GRV nicht einfach weiter steigt, was durchaus eine Option ist, wenngleich keine, die sich den Namen „elegant“ oder „gut“ verdienen würde).

Der spätere Renteneintritt scheint mir zudem – eine weitere Leerstelle – immer davon auszugehen, dass es sich um white-collar-Arbeitende handelt, die tatsächlich bis 70 (oder wann auch immer) arbeiten könnten. Wolfgang Schäuble ist da symptomatisch, als er erklärte, dass er selbst problemlos erst mit 70 in Rente könne. Und Trump und Biden zeigen das ja genauso wie Adenauer auch. Nur: ist das nicht die Ausnahme? Ist nicht die Tatsache, dass durchschnittliche Renteneintrittsalter jetzt schon deutlich unter 65 liegt, ein Hinweis darauf, dass das unrealistisch ist? Wäre ein späterer Rentenbeginn nicht letztlich für breite Bevölkerungsschichten vor allem eines: eine Rentenkürzung? Und, noch als letzter Denkanstoß: Wäre in diesem Zuge nicht am sinnvollsten, dass es überhaupt kein Renteneintrittsalter gibt, sondern die nachgewiesene Erwerbsunfähigkeit entscheidend ist? Manche würden dann bis 80 weiter Vollzeit arbeiten, andere bis 55.

Dazu kommen weiter die Gruppen, die nicht in die GRV einzahlen – etwa Mütter in Elternzeit, Beamte, Selbstständige, etc. – die aber in manchen Fällen trotzdem aus den Rentenkassen Geld beziehen. Der größte solche Influx wird in der Debatte gerne übersehen – die Deutsche Einheit. Hier wäre meine Frage, ob das Verschwinden der Generation, die ihre Rente zwar aus der GRV bezieht, aber nie oder nur kurz eingezahlt hat, weil sie in der DDR ihr Erwerbsleben verbrachten oder danach arbeitslos wurden, nicht zumindest einen Teil der Belastungen „gegenfinanzieren“ dürfte.

Die Probleme damit, sich auf steigende Produktivität zu verlassen, hat Stefan in seinem pessimistischen Ausblick ja bereits dargestellt. Ich möchte dazu einige ergänzende Fragen anbieten. Ich sage immer nur halb im Scherz, dass ich nicht damit rechne, mit 67 nicht mehr Vollzeit arbeiten zu müssen: entweder wird es deutlich früher oder später. Das spätere Szenario haben wir mit dem späteren Renteneintrittsbeginn ja bereits diskutiert, aber das frühere verträgt auch einen Gedanken: Vielleicht haben die Utopisten wie Elon Musk ja Recht, und wir steuern auf eine vollautomatisierte Zukunft zu. Diese braucht dann sehr, sehr viel weniger arbeitende Menschen als früher. Wenn wir die verteilungspolitischen Probleme einmal beiseite lassen, würde das die gesamte Rentenfrage auch derart fundamental angreifen, dass alle Überlegungen ohnehin hinfällig wären. Das ist natürlich für die policy-Entwicklung wenig hilfreich, aber wenigstens eine Überlegung wert.

Ich möchte mich abschließend dafür entschuldigen, so viele Fragen gestellt zu haben. Erst einmal danke an Stefan, dass er auf meine ursprünglichen Fragen hin einen so ausführlichen Artkel geschrieben hat. Ich möchte diesen Artikel als Teil einer Konversation und eines Lernprozesses verstanden wissen, nicht als Angriff. Und ich würde mich freuen, wenn daraus ein weiterer Austausch erwachsen kann.

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  • Kning4711 7. März 2021, 18:10

    Vielen Dank für die ausführliche Replik!
    Ich finde Du sprichst einen sehr wichtigen Punkt an – die Rentenkapitalschwemme und die Auswirkungen auf das globale Finanzsystem. Sofern wir hier einige der Entfesselungen der vergangenen Jahre nicht zurückdrehen, wäre es ein potentielles Spiel mit dem Feuer. Gleichwohl kann uns die Geldanlage im Ausland die notwendige Luft zum nachhaltigen Umbau unserer Rentensystems schaffen.
    In meinen Augen wäre ein wesentlicher Altersarmutsverhinderer die Förderung zur Schaffung von Wohneigentum – überlegenswert wäre, dass ein Teil der Rentenbeiträge zum Erwerb einer altersgerechten Wohnung genutzt werden könnte. Setzt natürlich eine ganz andere Art der Wohnungsbaupolitik voraus. Natürlich werden viele uns auch länger arbeiten müssen (sofern es der Job hergibt) und wir müssen durch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen die Mobilität und Einsatzmöglichkeiten jedes Arbeitnehmers erhöhen.

    • Stefan Sasse 7. März 2021, 18:36

      War die Idee der Förderung von Eigenheimen nicht genau das, was die Finanzkrise 2007ff. gebracht hat?

      • CitizenK 7. März 2021, 19:24

        In den USA wurden Hauskredite an Menschen gegeben, die aufgrund ihres geringen Einkommens diese niemals bedienen (Zins und Tilgung) konnten.

        Knings Vorschlag zielt m. E. darauf, durch staatliche Förderung zu erreichen, dass sich auch Durchschnittsverdiener Wohneigentum leisten können. Die Wohnungsbauprämie ist ein Witz, die Eigenheimzulage wurde abgeschafft. Da gerade Wohnkosten im Alter ein großes Problem darstellen, war das vielleicht voreilig.

        • Stefan Pietsch 7. März 2021, 19:42

          Bauen ist in Deutschland im internationalen Vergleich sehr teuer. Grundstückspreise, Bauauflagen, Steuern und Gebühren (Grunderwerbsteuer, Notarkosten) bestimmen maßgeblich das hohe Niveau. Wenn selbst auf den Sekundärmarkt spezialisierte Investoren konstatieren, dass sie Wohnungen zu Mietpreisen von unter 9 Euro praktisch nicht erstellen lassen, ist offensichtlich, wo das Problem liegt.

          Die Zielrichtung von Förderungen lassen sich nicht so genau steuern, wie man sich das auf der politischen Ebene vorstellt. Die Eigenheimzulage lehnen alle maßgeblichen Ökonomen aus einem einfachen Grund ab: solche Prämien verschieben das Preisniveau nur nach oben. Die Anbieter im Markt wissen um die Höhe der direkten Zuwendung und preisen sie ein, während die Nachfrage das Gefühl für die realen Preise verliert. Der Effekt ist Null. Dazu ist die Prämie ein außerordentlich teures Instrument.

          Vor deren Abschaffung 2004 beliefen sich die jährlichen Ausgaben auf über 11 Milliarden Euro. Die Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer betrugen in dem Jahr knapp 5 Milliarden Euro. Das typische Modell „Rechte Tasche / Linke Tasche.

          • CitizenK 7. März 2021, 20:10

            Jein. Die Anbieter können im Voraus ja nicht sicher wissen, ob die Käufer die Zulage kriegen. Jedenfalls sagte mir damals der Verkäufer, dass einige seiner Kunden sich die Wohnung ohne die Zulage nicht würden leisten können.

            Aber im Prinzip stimmt es: Wie beim Wohngeld: Die staatlichen Mittel werden zum großen Teil auf die Konten der Vermieter bzw. der Bauträger umgeleitet.

            Wie also die Eigentumsquote auch als Altersvorsorge auf EU-Niveau anheben?

            • Kning4711 7. März 2021, 20:50

              Vielleicht findet sich hier eine Antwort:
              https://www.bundesbank.de/de/publikationen/forschung/research-brief/2020-30-wohneigentumsquote-822090

              Grundprobleme seien laut den Autoren:
              Um besser zu verstehen, warum die Wohneigentumsquote in Deutschland so niedrig ist, analysieren wir, welche Rolle wohnungspolitische Maßnahmen spielen, die sich in besonderer Weise von denjenigen in anderen Ländern unterscheiden. In Deutschland gibt es hohe Grunderwerbsteuern, keine steuerliche Abzugsmöglichkeit von Hypothekenzinsen für Eigennutzer und einen sozialen Wohnungsbau mit breiten Förderbedingungen. Diese Faktoren könnten Anreize für das Mieten setzen: Höhere Grunderwerbsteuern machen Immobilien zu einem teureren und weniger liquiden Vermögenswert; die fehlende Abzugsmöglichkeit für Hypothekenzinsen für Eigennutzer ist zwar steuersystematisch schlüssig, verteuert aber die Finanzierungskosten, und das Mieten von Sozialwohnungen bietet, sofern verfügbar, eine kostengünstige Alternative zum Wohneigentum.

              • Stefan Sasse 8. März 2021, 06:43

                Nach meinem Wissensstand hat zumindest Großbritannien ein ähnliches Problem, was hohe Wohnpreise angeht.
                Ist das nicht auch ein bisschen Ausfluss des Problems von zu viel Kapital, weil Immobilien als krisensichere Anlage statt als Wohnobjekt genutzt werden?

            • Stefan Pietsch 7. März 2021, 22:09

              Das hatte ich bereits geschrieben. Und ich habe es hier ausführlich behandelt:

              Der größte Teil des Vermögens besteht aus Grund- und Immobilienbesitz, der nach DIW-Berechnungen 5,1 Billionen Euro des in 2014 errechneten Gesamtvermögens (brutto) von 7,4 Billionen Euro ausmacht. Damit ist der Weg zu Besitz und Wohlstand im Alter vorgezeichnet. Nur setzen lediglich rund 40 Prozent der Deutschen auf diese Strategie, der Staat erschwert zusätzlich erheblich die Vermögensbildung auf dem klassischen Weg. Neben den standardmäßigen Klagen von Hausbauern wie Lobbygruppen über die stete Verteuerung des Bauens mittels Auflagen baut der Staat hohe Hürden für den Eigentumserwerb. So erhebt Nordrhein-Westfalen 6,5% Grunderwerbsteuer, was ein Standardhaus im Wert von 250.000 Euro um 16.250 Euro verteuert. In Bayern sind es 3,5% und damit fast 8.000 Euro weniger. Dazu kommen Notarkosten von so 0,8% und schließlich kommen noch Eintragungskosten von 0,3-0,5 Prozent on top. Andere Länder behandeln werdende Eigentümer schonender. Die Niederlande erheben lediglich 2% Grunderwerbsteuer und weil sie einen deregulierten Markt für Notare haben, machen deren Kosten meist einen geringen fixen Betrag aus. Und auch die Kosten für die Eintragung ins Grundbuch sind vernachlässigenswert niedrig. In Summe benachteiligen die hohen Nebenkosten gerade ärmere Haushalte massiv.
              http://www.deliberationdaily.de/2017/07/von-legenden-und-fakten-der-vermoegensverteilung/

              An den Gründen ändert sich nicht binnen Jahresfrist Elementares. Eine hohe Eigenheimquote, das ist kein Zynismus, sondern wird zeitweise von linken Parteien offen gesagt, ist politisch nicht gewünscht.

              • Stefan Sasse 8. März 2021, 06:45

                Spielst du auf die Grünen aktuell an? Ich glaube nicht, dass kein Wohneigentum gewünscht ist, sondern keine Einfamilienhäuser in Ballungsgebieten. Aber die sind ja auch zum Mieten nicht erwünscht…

                • Stefan Pietsch 8. März 2021, 10:17

                  Es ist immer schön zu sehen, wie für einfach gestrickt Du mich hältst, während ich mich als jemanden wahrnehme, der distanziert-analytisch an die Dinge rangeht. 🙂

                  Wenn die Eigenheimquote im internationalen Vergleich niedrig ist, dann ist das eine (sehr) langwierige Entwicklung. Sie war nämlich in den Siebziger- und Achtzigerjahren auch nicht höher. Und ich bin keineswegs derjenige, der den Grünen auch noch die Hexenverbrennungen ankleben will.

                  Hofreiter war einfach nur dumm. Oder sagen wir einfältig. Er ist ja zu seinem Job auch nicht aufgrund überbordender Fähigkeiten gekommen, sondern durch das Protegee des alternden Vormannes Jürgen Trittin. Hofreiter hat ausgesprochen, was seit Jahrzehnten Kern deutscher Wohnungsbaupolitik ist, nur politisch so ungeschickt, dass den Grünen nun zu Recht ein neuer Stempel aufklebt.

                  Deutschland ist ein dicht besiedeltes Land. Dennoch leben viele Menschen in der Fläche. Die Organisation staatlicher Leistungen in der Fläche ist schwerer als wenn die Menschen in Ballungsräumen leben. Der seit den Neunzigerjahren bestehende weltweite Trend von der Fläche in die Großstädte zu ziehen, erleichtert kommunales Arbeiten. Die Grünen als Lobbypartei der Großstädter haben dieser Entwicklung maßgeblich ihren politischen Aufstieg zu verdanken.

                  Eigenheimbesitzer werden zu Kapitalisten. In sozialistischen Kommunen wie im Kommunismus besitzt keiner Wohneigentum. Das Denken von Eigentümern ist ein anderes als das von Mietern. Linke Parteien wie Gewerkschafter hatten nie ein großes Interesse daran, dass ihre Anhänger und Mitglieder Wohneigentum erwerben.

                  Aber auch Konservative haben besondere Interessen. Wer etwas besitzt, was wenige haben, ist elitär und begehrenswert. Ideal ist, wenn der Arbeiter direkt neben der Fabrik lebt, so langgehte Überzeugungen. Der Ausbau öffentlicher Infraktstruktur nährt die Wichtigkeit des Staates.

                  Die einzigen, die immer ein großes Interesse an Wohneigentum hatten, waren die Liberalen. Zum einen gehören Immobilienmakler und Bauherren zu einer wichtigen Klientel für sie, zum anderen sind Eigenheimbesitzer Kapitalisten und damit leichter ansprechbar als schutzwürdige Mieter.

                  Wenn ärmere Länder wie Spanien oder Griechenland eine hohe Eigenheimquote aufweisen, Länder wie Deutschland oder die Schweiz aber eine niedrige, dann steht dahinter Politik. Und: in Großstädten besitzen wenige Wohneigentum, auf dem Land dagegen gibt es nicht viel zu mieten.

                  • Stefan Sasse 8. März 2021, 11:18

                    Ich halte dich nicht für einfach gestrickt, ich fragte nur ob du auf diese Debatte Bezug nimmst, weil die Grünen und Linken sich nicht generell gegen Wohneigentum aussprechen, das ist einfach falsch. Ansonsten stimme ich dir in deiner Einschätzung ja grundsätzlich zu.

                    • Stefan Pietsch 8. März 2021, 11:27

                      Das weiß ich. 🙂 Ist immer nur überspitzt gemeint. Was Du allerdings regelmäßig übersiehst, ist das, was bereits in meiner Vorstellung 2014 stand: Mich interessieren die langen Linien, die überlagernden Trends.

                      Das schlägt sich auch in der Bewertung von Hofreiters Aussagen nieder: er legte im Grunde offen, was die Basis seines Denkens ist und konnte nicht klug genug die politische Decke darüberziehen. Die wäre die Umkehrung seiner Rethorik gewesen: Wohneigentum gut und förderungswürdig, nur verursachen Eigenheime eben auch höhere Umweltkosten. Also so, wie es Union und SPD seit Jahrzehnten tun. Leider, leider ist Bauen halt in Deutschland so teuer. Aber wir arbeiten hart daran, jedem sein Eigenheim zu ermöglichen. Wirklich!

                      *treuer Augenaufschlag*

                    • Stefan Sasse 8. März 2021, 13:44

                      Ich meine, wir stoßen ja irgendwo an Grenzen. Die Leute ziehen vermehrt in die Ballungsräume und ihre Vorstädte, ergo ist dort der Wohnraum knapp und teuer. Oder nicht?

                    • Stefan Pietsch 8. März 2021, 15:51

                      Man stößt immer an Grenzen. So ist das Leben. „Erst“ seit 25 Jahren haben wir in Deutschland den Trend zu den Großstädten. Dieser kehrt sich gerade um, in den vergangenen 3 Jahren sind mehr Menschen wieder aufs Land als in die Stadt. Der Markt funktioniert.

                      Menschen können sich das Leben in der Stadt oft nicht mehr leisten, weil zu viele dort leben wollen. Aber gerade auch der digitale Wandel kann dafür sorgen, dass sich die große Nachfrage nach Wohnraum wieder anders verteilt.

                      In Ländern wie Australien gibt es keine Wahl. Wenn man kein Einsiedler ist, dann bleiben nur die großen Städte zum leben. Auf der anderen Seite war das schon immer so, Australier flüchten nicht in die Städte, sie lebten schon immer dort. Und Down Under regelt konsequent die Zuwanderung, um die gesellschaftlichen Systeme und Regelmechanismen nicht zu überfordern.

                      Obwohl Sydney einer der lebenswertesten Städte der Welt ist, das Einkommensniveau eines der höchsten auf dem Globus, liegt es im Ranking der teuersten Städte nur auf Platz 32, hinter vielen weithin unbekannten Orten.
                      https://www.merkur.de/reise/sind-teuersten-staedte-welt-2018-zr-9535922.html#:~:text=Die%20Top%20100%20der%20teuersten%20St%C3%A4dte%20weltweit%20(deutsche,%20Basel,%20Schweiz%20%2079%20more%20rows
                      So geht’s auch.

                      Der Staat hat dagegen viel zu viel Liquidität in die Finanzmärkte gepumpt, das irgendwo hin muss. Das führt dann dazu, dass Top-Lagen in London nicht mehr zum Wohnen, sondern als Anlageobjekt genutzt werden in der bisher sicheren Erwartung, dass der Preis wie von selbst steigt. So lief das in den Neunzigerjahren und zu Beginn des Jahrtausends in den USA, so läuft das seit längerem in Westeuropa.

                      Die Liquidität, die die Notenbanken in die Märkte gepumpt haben, muss wieder raus. Das haben sie nicht zur Rettung von Unternehmen oder der Wirtschaft getan, sondern zur Erleichterung der Staatsschulden.

                    • Stefan Sasse 8. März 2021, 22:07

                      Hoffen wir mal, dass der Trend tatsächlich existiert.

                    • Stefan Pietsch 8. März 2021, 22:45

                      Er existiert. Ich sauge mir das nicht aus den Fingern, sondern hatte dazu vor einigen Wochen eine Studie, die das feststellte.

                    • Stefan Sasse 9. März 2021, 08:47

                      Ich meine dass das tatsächlich ein langfristiger Trend wird und nicht eine dreijährige Ausnahme, quasi ein Ausreißer in der Statistik. Dass deine Zahlen stimmen glaube ich dir!

                  • Floor Acita 9. März 2021, 19:13

                    zunächst will ich die Gelegenheit nutzem Ihnen für Ihre letzten beiden Artikel zu danken, eventuell Fragen -die Stefan hier aufwirft, aber keine grösseren Widersprüche-, allerdings denke ich, dass sie hier tatsächlich einem veralteten Bild anhängen: „Linke Parteien wie Gewerkschafter hatten nie ein großes Interesse daran, dass ihre Anhänger und Mitglieder Wohneigentum erwerben.“

                    IG Metall, IG BCE, ich denke verdi? evt andere DGB Gewerkschaften haben eigene -Kapitalmarkt/Anlage-finanzierte- Wohneigentumserwerb-/Wohnungsbau Programme für Mitglieder?!

                    • Stefan Pietsch 9. März 2021, 19:30

                      Danke. Muss ja nicht immer erwähnt werden, aber schön, wenn es eben nicht vergessen wird, dass so ein Angebot auch Arbeit für die Blogger bedeutet. 😉

                      Ich hab’s nicht gefunden, aber in Berlin haben Vertreter der Linkskoalition sich vor 2 Jahren klar gegen Wohneigentum positioniert – wohlgemerkt, dass die Berliner selbst kaufen. Meiner Erinnerung nach waren es Politiker der Linkspartei.

                      Ich bin nicht so naiv zu glauben, die Komplexität des deutschen Steuersystems seit Bestehen der Nachkriegsrepublik sei reiner Zufall. Und so glaube ich auch nicht, dass die niedrige Eigenheimquote trotz entsprechend anderslautender Wünsche der Deutschen sei ein Produkt von Pleiten, Pech und Pannen.

                      Es gibt viele Mittel, die Eigenheimquote niedrig zu halten. Bis heute verbreitet ist der restriktive Ausweis von Bauland. Berlin ist hier bundesweit das prominenteste Beispiel. So hätte in Berlin-Neukölln am alten Flughafen die Möglichkeit bestanden, in größerem Umfange Bauland auszuweisen. Sowohl die linke Senatsregierung als auch die Bezirksverwaltung wussten das über Jahre zu torpedieren.

                      Andere Instrumente sind hohe Bauauflagen. So haben sich die Bauvorschriften in den letzten 15 Jahren nochmals vervielfacht. Vorschriften kosten Geld und gehen in die Baukosten ein. Und und und.

                      Das ist kein Zufall, das ist politische Planung.

        • Stefan Sasse 8. März 2021, 06:41

          Ja, aber diese Kredite gab es ja auch über Förderprogramme (Stichwort Fannie May, Freddie Mac). Aber ich sehe was du meinst. Im Endeffekt progressiv auslaufende Subventionen oder?

          Und die Wohnkosten in Deutschland sind irrwitzig gestiegen in der letzten Zeit, das ist glaube ich das zentrale Problem.

          • CitizenK 8. März 2021, 07:30

            Ich lese und höre, dass selbst gut verdienende junge Familien nicht mal mehr das Eigenkapital für den Kredit aufbringen können. Die hohen Mieten in der Anspar-Phase sind ein Faktor.
            Meine Tochter zahlt für eine mäßige Wohnung in mäßiger Lage 15 Euro pro qm, da bleibt nicht mehr viel.
            Grunderwerbsteuer abschaffen und kompensieren? Evtl. auch durch Erbschaftssteuer auf EFH/ETW? Oder eine Bodenwertzuwachs-Steuer?
            Baukosten senken – aber: Energiewende?
            Man könnte rationeller bauen. Warum immer noch nicht industriell-vorgefertigt?
            Kredite sind so billig wie nie – noch. Die steuerliche Abzugsfähigkeit von Zinsen wie anderswo hätte mittelfristig kaum einen Effekt.
            Faktor Bodenpreise. Ein Architektenteam hat ausgerechnet (Quelle grad nicht zur Hand), dass allein die Überbauung von Supermärkten/Parkplätzen einen wesentlichen Beitrag leisten könnte.
            Viel Reformbedarf. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, ob Brinkhaus nicht der bessere Kanzlerkandidat wäre.

            • Stefan Sasse 8. März 2021, 09:22

              Die Grunderwerbssteuer ist doch nicht das Problem. Bei uns im Neubaugebiet kostet eine Doppelhaushälfte rund 700.000 Euro. Und wir sind ein Kaff. Glaubst du, wer das Geld aufbringt, scheitert an der Grunderwerbssteuer? Und die Leute bauen eigentlich alle Fertighäuser, da ist auch nichts zu holen. Ich bleibe dabei, dass der Markt überreguliert ist: https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwi586iVoqDvAhU9A2MBHSB2CUcQFjAAegQIARAD&url=http%3A%2F%2Fwww.deliberationdaily.de%2F2015%2F09%2Fdereguliert-die-aecker%2F&usg=AOvVaw33Y7jFWDnz61DtoTqveqRB

              • CitizenK 8. März 2021, 10:30

                Das Remstal ist schon ein spezielles Soziotop. Sieht man ja an Palmer 😉

                GrErwSt/Notar- und Grundbuchkosten sind für kleine Leute schon ein Problem. Da stimme ich mal dem anderen Stefan zu.

                DHH für eine Dreiviertelmillion sind eh nur für eine kleine Gruppe. Für viele ist das Ziel eine ETW für ein Drittel: Man kann nicht gekündigt werden, im Alter keine Miete und man kann sie notfalls vermieten – und vererben.

                • Stefan Sasse 8. März 2021, 10:35

                  Brrrrr, geh mir weg mit dem! 😀

                • Ariane 8. März 2021, 16:35

                  Das Problem ist eben auch, dass die Kaufnebenkosten nicht mit im Kredit sind, genau wie weiteres Geld, das man für Umbau und Zeugs braucht, man muss also selbst wenn man den Kredit für das Wohnobjekt bekommt, schon einen Batzen auf der Seite liegen haben. Das ist das eigentliche Problem denke ich: ab einem gewissen Vermögen ist das ja alles nicht mehr so problematisch. Dann kann man ein Haus kaufen oder was am Kapitalmarkt zur Seite legen für später. Das Problem sind ja eher die, die das nicht können. Und das sind eine ganze Menge.

                  Und es bindet halt auch viel Kapital, mit Eigentum hat man ja noch weitere recht unkalkulierbare Kosten, weil man eben nicht den Vermieter wegen der Heizung anrufen kann.

                  Die Gegend um Stuttgart ist aber schon eine der teuersten, kein Wunder, dass die Schwaben woanders alles kaufen^^ In SH ist immer noch ein totaler Run auf Immobilien. Aber das sind ja keine Häuser zum Bewohnen, sondern wirklich mehr Ferienhäuser oder irgendwie als Anlageobjekt zum Geld verstecken. Und das sind die Preistreiber, dadurch wird nämlich auch das normale Wohnen teurer, wodurch dann weniger Leute Geld zur Seite legen können, um selbst ein Haus zu bauen oder ne Wohnung zu bekommen. Es lohnt sich aber, weil das eine der wenigen Sachen ist, wo man noch ordentlich Geld rausbekommt, viele andere Sparanlagen sind weg oder werfen nicht genug ab. Nur auf Dauer geht sowas eben nie gut.

    • Dennis 7. März 2021, 21:42

      Zitat Kning4711:
      „In meinen Augen wäre ein wesentlicher Altersarmutsverhinderer die Förderung zur Schaffung von Wohneigentum“

      Ja, das sehe ich auch so. Es handelt sich nicht zufällig um den Klassiker der privaten Altersvorsorge, weil es sich dabei um die praktisch einzige signifikant mögliche und einträgliche Form des langfristigen ANSPARENS (ein echtes Ansparen sind immer Sachen und kein Geld) handelt, was so viel heißt wie: Ein Konsumgut in der passiven Zeit, also auf die alten Tage, aufzehren, das man in der aktiven Zeit zu bezahlen in der Lage war, weil man das Aufzehren lange strecken kann. Instandhaltung darf man allerdings auch nicht vergessen^.

      Diese Methode funzt leider mit den Produkten des täglichen Bedarfs überwiegend nicht. Der Rentner braucht zur Zeit des Rentenbezugs aktuelle Produzenten, da etwaige früher zurückgelegte Sachen verfault sind. Erschwerend kommt übrigens hinzu, dass der Rentner seinen Anspruch am aktuellen Standard misst und nicht etwa an seinem eigenen früheren. Er muss also hilfsweise bei früher zurückgelegten Personen^ anklopfen, in der Erwartung, dass die aktuell was abzweigen. Warum sollten die das machen ? Nu ja, die wissen, dass sie selbst auch mal alt werden und das „Spiel“ potentiell unendlich ist.

      So funzt das „Umlagesystem“. Gibt es außer diesem noch ein anderes ? Nein, Geld sparen ist auch nichts anderes als eine Umlage, denn der Rentner entspart natürlich (der Sinn der Sache) und die Produzenten müssen das Entsparen honorieren, sprich: zahlen. Dass die das im als erforderlichen erachteten Maße können, ist alles andere als selbstverständlich. Im Hinblick auf Forderungstitel, die rentnerseitig vorgelegt werden, kann man sich für pleite erklären und sie Sache ist erledigt; und mit dem Wollen hapert’s vermutlich auch da und dort^, denn moralisch soll es ja auch nicht unbedingt immer edel zugehen. Das Umlageding muss also wesentlich POLITISCH funktionieren, Akzeptanzbereitschaft ist die Währung.

      Ferner darf man m.E. Geld und Kapital nicht verwechseln. Ein Haufen Geld auf dem Konto ist per se kein Kaptal, aber das nur nebenbei.

      Im Übrigen setzt auch die „Aktienrente“ voraus, dass – indem der Rentner seine Aktien verfrisst (was soll er sonst machen?) – andere die Lücke wieder füllen. Typischer Fall von Umlage.

      Man sieht: Ich bin ein Mackenrothianer^. Das Argument: Es gibt ja außerdem auch noch die Welt da draußen, ändert ja nichts an der Grundüberlegung (Stefan Sasse hat schon darauf hingewiesen) und es lohnt sich der Hinweis, dass auch die Welt da draußen endlich ist. Häßlich ist außerdem, dass die da draußen nicht unserer Jurisdiktion unterliegen und politisch jede Menge Fragilität entsteht. Das von manch einem als Heiligtum verehrte Grundgesetz und alles was so dranhängt ist jenseits der Grenzen pille-palle und Zahlen-für-die-Deutschen ist womöglich weltweit nicht unbedingt der grosse Renner.

      ceterum censeo: Der Rentner kann in allen Fällen auch eine Rentnerin sein ^.

  • Stefan Pietsch 7. März 2021, 18:12

    Alles gut, ist kein Angriff. Die Fragen sind intelligent gestellt, dass es mir unmöglich ist, sie in einem Kommentar zu beantworten. Ich bin also wieder auf einen eigenen Artikel zurückgeworfen. 🙂

    Trotzdem zum letzten Passus, das Paradies. Situationsbedingt gilt dies für manche heute bereits und sie werden zunehmen. Es bestehen dabei nur zwei elementare Probleme:

    1. Selbst in einer vollautomatisierten Welt wird es Menschen bedürfen, die Maschinen, Computer und Roboter so programmieren, dass sie passgenau die Bedürfnisse der Menschen befriedigen. Es braucht Menschen, die organsisieren und Kapitalströme sowie Ressouren lenken. Der Bedarf an beiden Kategorie Mensch ist seit 1990 expotentiell gewachsen, nirgends ist ein Rückgang zu erkennen. Der Rückgang ist sowohl statistisch als auch in den Prognosen auf standardisierte Tätigkeiten begrenzt. Die Innovations- und Improvisationskunst des Menschen ist selbst für KI-Experten bisher nicht produzierbar.

    2. Auch im Paradies werden die Ressourcen irgendjemanden gehören. Mehr noch, es wird Menschen geben, denen nichts gehört, sie werden im Paradies ärmer, nicht reicher, weil sie nichts mehr anzubieten haben, was andere wollen. Das macht sie zu Almosenempfängern, während die Besitzer entschädigt werden müssen dafür, dass sie großzügig sind – ebenso wie die Organisatoren des Paradieses in Nummer 1.

    Jedes Paradies endete bisher mit einer Zwei-Klassen-Gesellschaft.

    • Stefan Sasse 7. März 2021, 18:38

      Danke, genau das hatte ich erhofft. Ursprünglich war das Blog ja mal für solche Diskurse gedacht gewesen 🙂

      Ich habe das übrigens gar nicht als Paradies gemeint. Ich finde es eher ein Horrorszenario, in dem einige wenige Hochqualifizierte die seltene Arbeit haben und der Rest auf Grundsicherungsniveau rumrutscht, ohne Chance, ohne Perspektive, weil man sie einfach nicht BRAUCHT. Das ist alles, aber kein Paradies. Es erledigt aber auch die ganze Rentendebatte…
      Ich bin vorsichtig optimistisch, dass uns, wie du beschreibst, die Arbeit nicht ausgehen wird. Aber ich halte es für eine Möglichkeit (im Rahmen einer niedrigen zweistelligen Wahrscheinlichkeit), dass es wie oben beschrieben kommt. Das Paradies halte ich Rahmen einer niedrigen, 0,X%-Variante. Dafür sind Menschen einfach zu sehr Schweine.

      • Stefan Pietsch 7. März 2021, 18:46

        Ist nur eine spöttische Bezeichnung, weil manche sich so die Arbeitswelt vorstellen. Übrigens gab des diese Vorstellungen bereits, als ich Kind war. Und wahrscheinlich davor.

        • Stefan Sasse 8. März 2021, 06:46

          Ich weiß. Aber die Vorstellung, mal auf den Mond zu fliegen, gab es auch sehr lange, bevor sie dann plötzlich Realität wurde. Wie gesagt, für sonderlich wahrscheinlich halte ich es nicht, aber es ist was, das man zumindest im Hinterkopf haben sollte.

  • Stefan R. 7. März 2021, 19:07

    Weil es gerade passt, quasi eine zweite Meinung zum Thema (es wird auch ausführlich auf das bestehende System eingegangen):
    Wohlstand für alle, Folge 82: Die FDP-Aktienrente

  • CitizenK 7. März 2021, 20:27

    Ein Punkt, der auch nicht ganz außer Acht gelassen werden sollte, die „Versicherungsfremden Leistungen“:
    „Die Ausgaben für die versicherungsfremden Leistungen in der Gesetzlichen Rentenversicherung werden je nach Abgrenzung auf 58–93 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt.[5] Es ist umstritten inwieweit diese Ausgaben der Rentenversicherung durch Bundeszuschüsse abgedeckt werden, sodass sie nicht aus den Beiträgen der Versicherten, sondern wie gesetzlich vorgesehen aus Steuermitteln finanziert werden.“ (Wikipedia)

    Ob Über- oder Unterdeckung, das liegt wohl im Auge des Betrachters.

    • Stefan Pietsch 7. März 2021, 22:25

      Die sogenannten versicherungsfremden Leistungen sind in diesem Zusammenhang völlig irrelevant, so lange es sich um die Zahlung an Rentner handelt. Und dies aus mehreren Gründen.

      Auf dem Höhepunkt der Eingliederung Deutscher aus den Ostgebieten nach dem Krieg lag der Anteil der versicherungsfremden Leistungen und damit der Bundeszuschuss bei einem Drittel der Beitragszahlungen. Es ist nicht plausibel, dass heute dieser Anteil vergleichbar hoch sein soll, nach langen Friedenszeiten und in Zeiten, wo kein Ausgleich mit mittellosen Gruppen durchgeführt werden muss.

      Eine Kommission berechnet heute den notwendigen Beitragssatz. Der Bund gleicht gemäß Gesetz die Differenz zu den Rentenzahlungen aus. Eine Berechnung der versicherungsfremden Leistungen findet nicht mehr statt, sachlich wird unterstellt, dass die Lücke diesen Kosten entspricht. Die Debatte ist damit nur noch eine theoretische.

      Die Altersvorsorge muss immer vom produktiven Kern geleistet werden. 33,3 Millionen Menschen sind in Deutschland abhängig beschäftigt, 4 Millionen sind selbständig tätig. Das ist der Personenkreis, der über Beiträge und Steuern die Renten sichern muss. Jedes Mehr an Leistungen die Alten belastet diesen produktiven Kern.

      • Lemmy Caution 8. März 2021, 18:38

        Wie viele von den 4 Mio Selbstständigen sind eigentlich freiwillig gesetzlich versichert? Ich kann dazu nichts finden. Persönlich kenne ich keinen einzigen. Mein verdacht ist: Wir sind so wenig dabei wie die Beamten.

        • Stefan Pietsch 8. März 2021, 19:58

          Juhu, ich schlage einen IT-Experten! Ein Klick:

          Im Jahr 2015 waren fast alle Arbeitnehmer mit 95 % und 56 % der Selbst­stän­di­gen in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Von den Arbeitnehmern sind fast alle pflichtversichert, nur ein geringer Teil mit 5 % sind freiwillige Mitglieder einer ge­setz­li­chen Krankenversicherung. 5 % der Arbeitnehmer und 43 % der Selbst­ständi­gen sind in einer privaten Kran­ken­ver­si­che­rung abgesichert.
          https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-2/krankenversicherungsschutz.html

          • Lemmy Caution 11. März 2021, 07:34

            Moment. Hab nicht die Krankenversicherung gemeint. Ich bin z.B. gesetzlich krankenversichert. Es ging mir um die Rentenversicherung. Da zahle ich nun seit bald 10 Jahren nicht mehr ins Solidarsystem ein.
            Mich zu „schlagen“ ist in vielen Themen nicht so schwierig.

        • Ariane 9. März 2021, 01:27

          Doch, mein Stiefvater und meine Mutter auch – als sie noch selbstständig war^^
          Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich meine, es kommt auch enorm auf das Alter an und ob man Familie hat, ob das lohnenswert ist oder nicht. GKV ist auf jeden Fall besser planbar.

          • Lemmy Caution 11. März 2021, 07:56

            Mein Posting war irreführend. Bin in der GKV geblieben. Bei meinen Eltern läuft das gut, hatte Bedenken das im Alter die Beiträge in der PKV steigen und ich wollte mich auch nicht aus beiden Solidarsystemen Rente und KV verabschieden. Aus reinem Kosten-Nutzen Kalkül ist das mit hoher Wahrscheinlichkeit keine rationale Entscheidung.
            Für die Rente zahl ich nicht mehr in die staatliche sondern auf ein Individualkonto ein.

            • Stefan Sasse 11. März 2021, 08:49

              Kannst du das einfach entscheiden oder fällst du aus der aus anderen Gründen raus?

              • Lemmy Caution 11. März 2021, 20:51

                Ich glaub, keiner hat meine Beiträge in der Diskussion mit Stefan verstanden. So dumm waren die nicht.

                Als Selbstständiger bist Du nicht automatisch in der Deutschen Rentenversicherung.
                Du hast 4 Optionen:
                a) Du versicherst Dich FREIWILLIG in der Deutschen Rentenversicherung.
                b) Du versicherst Dich in der Rürup-Rente. Die Einzahlungen kann man von der Einkommenssteuer absetzen. Das ist ein Individualkonto. Du kannst den Versicherungsträger veranlassen in eine Auswahl von Fonds zu investieren oder Du erhälst weniger als 1% im Jahr oder so.
                c) Du versicherst Dich irgendwie sonstwie privat. Die Einzahlungen kann man nicht von der Einkommenssteuer absetzen.
                d) Du hälst Dich für Peter Pan und machst dir keinen Kopf um die Rente.

                Die meisten der gut verdienenden werden wohl Option b) gewählt haben, aber ich kenne 3 Fälle, die mit 55 bis 62, die 20 bis 25 Jahre über 120 K im Jahr gemacht, viel Steuern bezahlt und sich für Option d) entschieden haben. Einer der drei bekommt irgendwann eine gute Erbschaft und da fragt sich natürlich auch wann.

                • Stefan Sasse 12. März 2021, 06:37

                  Danke.

                  • Lemmy Caution 12. März 2021, 08:53

                    hab jetzt gelesen, dass 2018 2,2 Mio Rürupverträge in Deutschland existierten.
                    In Deutschland gibt es über 4 Mio Selbstständige.
                    Für Angestellte mit hohem Einkommen kann eine Rürup Rente on top ihrer staatlichen Rente Sinn machen. Für Selbstständige mit einem Einkommen unter 80.000 pro Jahr macht eine Rürup Rente vermutlich keinen Sinn. Beachte bei den Einkommens-Zahlen immer, dass Selbstständige die komplette Einkommenssteuer, KV-Beiträge und Rente zahlen. 80 Tsd ist dann echt nicht viel Geld.

                    Meine Grundthese ist: Ein System mit Individualkonten erzeugt zwar Anlage-Erträge durch Kursgewinne und Dividenden, macht aber eine Umverteilung zu den Bedürftigen wesentlich schwieriger. Außerdem entstehen durch dieses System Zusatzkosten für die Leistungen von Versicherungen und Börsenmaklern.

                    • Stefan Sasse 12. März 2021, 08:59

                      Ja, die Kritik hab ich schon häufiger gelesen.

      • popper 9. März 2021, 17:38

        Eine Berechnung der versicherungsfremden Leistungen findet nicht mehr statt, sachlich wird unterstellt, dass die Lücke diesen Kosten entspricht. Die Debatte ist damit nur noch eine theoretische.

        Finden Sie, stimmt aber nicht https://www.adg-ev.de/images/adg/Dokumente/Publikationen/ADG_E025_2007_Tabelle_komplett.gif

  • CitizenK 8. März 2021, 16:12

    „Der Staat“ ist schuld, wieder mal. Die Häuser in London werden doch nicht von den Notenbanken gekauft, sondern von Gesellschaften, die das Geld auf Märkten „verdient“ haben, manchmal ehrlich oder – sehr oft – nicht.

    *Nicht wenige dieser leerstehenden Luxus-Immobilien gehören juristisch nicht Menschen aus Fleisch und Blut, sondern juristischen Gebilden, von denen wiederum nicht wenige in sogenannten „Steuerparadiesen“ residieren.

    Lesen Sie bloß nie Katharina Pistor (Der Code des Kapitals – Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft). Teile der Lektüre könnten Ihr Weltbild ins Wanken bringen.

    • Stefan Pietsch 8. März 2021, 16:26

      Ja, auch wenn’s Ihnen unangenehm ist: Politische Entscheidungen waren in der Vergangenheit oft Auslöser gr0ßer Krisen, weil Politiker die komplexen langfristigen Auswirkungen nicht überblicken können („Kinder bekommen die Leute immer“).

      Normalerweise wirft eine Immobilie dadurch Erträge ab, dass sie Mieteinnahmen oder Verkaufserlöse generiert. Wenn mitten in besten City-Lagen in größeren Umfange Immobilien dauerhaft leerstehen, stimmt etwas nicht. Sollte Ihnen logisch erscheinen.

      Immobilien haben noch eine Besonderheit: sie sind leichter leer als bewohnt zu veräußern. Das alles zeigt sehr deutlich, dass Immobilien als Investitions- und Spekulationsobjekt gehalten werden. Also untypisch.

      Und damit hat die weltweite Liquiditätsschwemme nichts zu tun? Was ist denn der Effekt von immer mehr Geld im Markt? Preise steigen und steigen. So funktionierte schon die Hausse in New York.

      • Stefan Sasse 8. März 2021, 22:11

        Stimmt schon, aber auch Unternehmer*innen können das oft nicht. Wie oft schließlich sind schon Unternehmen gescheitert, weil langfristige komplexe Auswirkungen nicht überblickt wurden? Die kurzsichtige Konzentration auf Verbrenner etwa könnte deutsche Autobauer noch reichlich teuer zu stehen kommen, nur als ein potenzielles Beispiel.

        • Stefan Pietsch 8. März 2021, 22:43

          Das Prinzip von Wettbewerb beruht auf Trial and Error. Für Fehler haften die Eigentümer, nicht selten bis zum Totalverlust (was die Gegner von Aktien nicht müde werden zu betonen). Und was ist mit dem steten Verweis, der Staat sei mit Unternehmen nicht zu vergleichen?

          Der Staat kann nicht in der Form des Versuchs und Irrtums arbeiten wie Unternehmen. Die einzige vernünftige Strategie ist dann Zurückhaltung. Leider können die Verfechter des Staates das genau nicht.

          • Stefan Sasse 9. März 2021, 08:46

            Ist ja auch nicht zu vergleichen.

            Mein Argument ist grundsätzlich. ALLEN Menschen fällt es schwer, langfristig zu planen und zu denken. Das hat die Psychologie ja auch hinreichend belegt.

          • Marc 10. März 2021, 13:16

            Der Staat kann nicht in der Form des Versuchs und Irrtums arbeiten wie Unternehmen.

            Natürlich kann er. Er kann z.B. Programme auflegen und deren Wirkung messen.

            Die einzige vernünftige Strategie ist dann Zurückhaltung. Leider können die Verfechter des Staates das genau nicht.

            Weil es ja eben keine vernünftige Strategie ist, sich allein auf den zu oft versagenden Markt zu verlassen.

    • Stefan Pietsch 8. März 2021, 16:31

      (..) sondern von Gesellschaften, die das Geld auf Märkten „verdient“ haben

      Nur der Respekt vor Ihnen schützt vor dem Schenkelklopfer. Die Liquidität kommt durch Leasing Contracts in den Markt. Dazu kommt, dass die Hebelung der Renditen umso ertragreicher funktionieren, als der Eigenkapitalanteil möglichst niedrig gehalten wird. Eine der Gründe, warum die Deutsche Bank AG zeitweise in arge Schräglage gekommen ist. Sie hat besonders arg gehebelt.

      Nein, Profis stecken da nur in überschaubaren Umfange mit eigenem Geld drin.

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